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Mia Sanchez

Alle guten Dinge sind Zwei

Kindersegen in Freedom Falls





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Saras Ängste

 

 

Sara blickte von ihrer Illustrierten hoch, ließ ihre Beine von der Couch auf den Boden gleiten, und schenkte ihrem Freund Andreas einen liebevollen Blick. Andreas saß mit gesunkenem Kopf am Küchentisch, schlürfte seinen morgendlichen Kaffee aus seiner Lieblingstasse und war ganz und gar in die frisch gedruckte Ausgabe der Freedom Falls - Tageszeitung vertieft. Sara fand es herrlich, ihn bei diesem Ritual tagtäglich zu beobachten. Manchmal verzog er die Unterlippe, wenn er einem Beitrag nicht zustimmte, oder er rollte mit den Augen, wenn er der Meinung war, dass der Reporter nicht ausreichend genug recherchiert hatte. Und hin und wieder musste er während des Lesens schmunzeln, weil er von dem Bericht begeistert war. 

Doch heute tat er nichts dergleichen. 

»Was liest du denn gerade?«, fragte sie, neugierig auf seine Reaktion, weil sie bis jetzt nicht klar erkennen konnte, was in ihrem Freund vorging.

»Hm?«, kam von Andreas als Antwort, der sich nicht einmal die Mühe machte den Kopf zu heben. 

»Ich habe dich gefragt, was du gerade liest, mein Schatz.« Wieder bekam Sara keine Antwort. Noch vor einigen Wochen sah das ganz anders aus. Sie erinnerte sich gut daran, wie sie Andreas vor vier Monaten offenbart hatte, dass sie Nachwuchs erwarteten. Er konnte dieses unvorstellbare Glück kaum fassen, umarmte Sara und drückte sie so fest an sich, dass sich ihre Füße vom Boden abhoben. Das ließ er aber dann sofort wieder bleiben, aus Angst er könnte das Baby zerquetschen. Sara musste über seine liebevollen Gedanken lachen und spürte in dieser Sekunde, dass Andreas einen ausgezeichneten Papa abgeben würde. 

Auch Saras Freundinnen waren an diesem Tag dabei gewesen, denn sie ließ die Bombe auf einer Hochzeit platzen, zu der all ihre Freundinnen ebenfalls eingeladen gewesen waren. Es war der perfekte Moment gewesen, und Sara schwebte beinahe, vor überschäumenden Glücksgefühlen. Ihre besten Freundinnen Melody, Leonie und Natascha hatten sie direkt nach Andreas in den Arm genommen und sich mit ihr gefreut. Zwar meinte Natascha, das würde jetzt aber doch sehr überraschend kommen, aber das nahm sie ihrer Freundin nicht übel. Natascha konnte einfach nicht anders, als ihre Gedanken frei auszusprechen, was Sara eigentlich sehr an ihrer Freundin schätzte. 

Die nächsten Tage, nachdem sie von ihrer Schwangerschaft erzählt hatte, vergingen wie im Flug. Aus Tagen wurden Wochen und nun lag der freudige Moment bereits vier Monate zurück. Sara war nun schon im siebten Monat schwanger und ihr Bauchvolumen wuchs stetig an. Es war unglaublich, dass so ein kleines Wesen so viel Platz brauchte. 

Ihre Freundinnen Leonie und Natascha waren in der Zwischenzeit nach Freedom Falls gezogen, und ihre Freundin Melody plante eifrig ihre Hochzeit, die ebenfalls in dem kleinen Städtchen gefeiert werden musste, weshalb Melody viel Zeit hier verbrachte. So war es den Freundinnen möglich, jede freie Minute miteinander zu verbringen und sich Namen für das Baby auszudenken. 

Doch je mehr Zeit verging, desto mehr löste sich Andreas´ Enthusiasmus in Luft auf. Anfangs begleitete er sie zu jedem noch so kleinen Termin, der mit der Schwangerschaft zu tun hatte, und wollte ständig ihren Bauch berühren. Doch in letzter Zeit sah er sie kaum noch an. Sie fühlte sich wie ein (fetter) Windhauch, der wortlos an Andreas vorbei zog und zu wenig Kraft besaß, um sich in einen Sturm zu verwandeln. 

Sara berührte nachdenklich ihren Bauch und strich mit den Fingern darüber. Mittlerweile war aus der kleinen Wölbung ein ansehnlicher Kugelbauch geworden. Das siebte Monat raste im Eiltempo auf die Zielgerade zu und Sara fühlte sich von Tag zu Tag mehr mit ihrem Kind verbunden. Sie fragte sich, warum es ihrem Freund nicht genauso ging. Er hatte nicht nur das Interesse an ihr verloren, sondern auch an seiner zukünftigen Tochter oder an seinem Sohn. 

»Andreas?«, fragte sie erneut.

»Was ist denn?« Wieder hob er seinen Kopf nicht, um sie anzusehen. 

Hastig, also so hastig wie es ihr mit dem Babybauch möglich war, erhob sich Sara von der Couch, schnappte ihre Tasche vom Küchenstuhl und wankte auf ihren geschwollenen Füßen zur Tür hinaus. Bevor sie das Türblatt zuzog, erklärte sie: »Ich treffe mich mit meinen Freundinnen, du brauchst nicht auf mich zu warten. Ich weiß nicht, wann ich wieder komme.«

Ein kurzes »Aha«, war die einzige Antwort, die sie auf ihre Aussage erhielt. Wütend knallte Sara mit der Tür. Vielleicht hatte Andreas zumindest dieses kurze Donnerwetter wahrgenommen, wenn ihm doch sonst schon alles entging. 

Wütend stapfte Sara zu ihrem Auto. Bald musste sie den Sitz zur Gänze nach hinten rücken, wenn ihr Bauchzwerg weiter so schnell wachsen sollte. Doch dann würde sie höchstwahrscheinlich die Pedale nicht mehr erreichen können und dann wäre sie völlig von Andreas abhängig, der sie dann herumfahren musste. Ob er das nun wollte, oder nicht.

Im Schneckentempo fuhr sie hinauf zum Hotel. Normalerweise würde sie diesen Weg gemütlich entlang spazieren, doch an einen Spaziergang mochte sie momentan nicht einmal denken. Ihre Füße taten schrecklich weh, ihre Beine waren geschwollen und ihr Rücken schmerzte abartig schlimm. Abgesehen davon, dass sie gefühlt alle fünf Minuten zur Toilette musste, was bei einem Spaziergang doch eher unpraktisch war, fehlte ihr jegliche Motivation, um ihren schmerzgeplagten Körper bei dieser andauernden Hitze auf einer Straße ohne Schatten zu befördern. Und wenn dann doch der Toilettennotfall eintreten würde, dann müsste Sara ihre Beine zusammenknoten, vor allem deshalb weil es weit und breit keinen einzigen Busch gab hinter dem sie sich notfalls erleichtern konnte. Freedom Falls war zwar bekannt für seine bewaldeten Flächen, doch der Weg zum Hotel bestand nur aus einer Straße, umringt von saftig grünen Wiesen, auf der die schönsten Wildblumen wuchsen. An denen konnte sich Sara aber aktuell auch nicht erfreuen. Denn das Verhalten ihres Freundes ging ihr einfach nicht aus dem Kopf. Klar, sie war nicht mehr gerade die attraktivste Frau, aber sie sah sich trotzdem immer noch gerne im Spiegel an. Sie hatte bis jetzt nur ein paar Kilo zugelegt und fand ihre neuen Rundungen sogar sehr sexy. Andreas stimmte ihr zu und fiel dann meist über sie her. Also ... jedenfalls war das vor kurzem noch so gewesen. Seit ... Ja, seit wann eigentlich? Sara überlegte, ob es einen besonderen Moment oder einen Zwischenfall gab, der Andreas dazu bewegt haben könnte, ihr und dem Baby keine Aufmerksamkeit mehr zu schenken.

»Sara!«, riss Nataschas Stimme sie aus ihren Gedanken, »Hier drüben sind wir!«

Sara winkte ihren Freundinnen zu und parkte direkt vor dem Hotel, obwohl dort offiziell kein Parkplatz eingezeichnet war. Martin, der Besitzer des Hotels hatte jedoch nichts dagegen einzuwenden, weil Sara ihn zuvor gefragt hatte. Und er kam dadurch auf die Idee, demnächst einen extra Parkplatz für junge Familien direkt vor dem Eingangsbereich anzulegen. Sara freute sich schon auf den Tag, wenn Martin seinen Plan endlich in die Tat umsetzte. Dann würde sie sich auch nicht mehr so mies fühlen, wenn sie aus ihrem Auto ausstieg und die anderen Hotelgäste sie sahen. Zwar trug sie ja jetzt schon eine erkannbare Kugel mit sich herum, aber die Leute sahen sie trotzdem manchmal verständnislos an. 

»Hallo Mädels, lasst uns nach hinten in den Gastgarten gehen. Das Wetter ist einfach zu herrlich.«

»Ach, stört dich die Sonne denn gar nicht mehr?«, fragte Leonie und nahm Sara ihre Tasche ab. Noch beim letzten Treffen hatte Sara ihre Freundinnen gebeten, nicht im Freien sitzen zu müssen, weil sie die Sommerhitze einfach nicht besonder gut ertrug.

»Heute geht es mir prima«, log Sara und legte ein breites Grinsen auf. Natascha rückte Saras Stuhl zurecht und sah ihre Freundinnen erwartungsvoll an. »Sagt mir, was ihr trinken wollt, ich gehe hinein und bestelle es direkt bei Lisi. So geht es schneller.«

Die Mädels brauchten nicht in der Karte zu schmökern. Sie waren Stammgäste in dem hoteleigenen Restaurant und kannten die Getränkeliste mittlerweile auswendig. Natascha überbrachte die Bestellung an die Kellnerin und kam mit einem vollen Tablett wieder. Seit sie mit einem Barmann zusammen war, hatte Natascha auch hin und wieder gekellnert und sie machte das wirklich toll. Bis jetzt hatte sie noch nie etwas verschüttet. Und auch dieses Mal kamen alle Getränke heil und randvoll am Tisch an. 

»Danke, Nati«, sagte Sara und gönnte sich einen Schluck von ihrem Eistee. Dann seufzte sie.

»Was ist denn los?«, fragte Melody, die ein besonderes Radar für die Sorgen ihrer Freundinnen eingebaut haben musste. Sie erkannte innerhalb kürzester Zeit, wenn etwas nicht stimmte, und hatte zu Neunundneunzig Prozent recht damit. Auch heute sollte es nicht anders sein.

»Andreas interessiert sich nicht mehr für mich«, kam Sara gleich direkt auf den Punkt.

»Das kann doch nicht wahr sein«, sagte Leonie entsetzt, »dieser Mann war doch von der ersten Sekunde an verrückt nach dir.«

»Vielleicht sind wir schon zu lange ein Paar«, seufzte Sara schulterzuckend.

»Das glaubst du doch nicht im ernst, oder?«, warf Melody ein. »Noch vor zwei Wochen bei der Grillparty hat er den anderen Männern groß vorgeschwärmt, wie glücklich er mit dir ist, und dass er es kaum erwarten kann, Vater zu werden. Jedenfalls hat mir das Ted erzählt.«

Ted war Melodys Verlobter und war extra für das Grillfest nach Freedom Falls gereist. Er war ein vielbeschäftigter, erfolgreicher Moderator in der Stadt, weshalb Melody die meisten Hochzeitsvorbereitungen alleine, also ohne ihren Verlobten, machen musste. Ihre Freundinnen halfen ihr natürlich, so gut sie konnten, doch ihren baldigen Ehemann konnten sie logischerweise nicht ersetzen. Sara war bis jetzt so froh darüber gewesen, dass Andreas nicht zu den Karrieretypen gehörte und die Arbeit für das Wohl seiner Familie stets hinten anstellte. Sogar seinen Sommerjob, die Betreuung des Feriencamps, hatte er dieses Jahr ausfallen lassen, um bei Sara bleiben zu können. Das hatte er extra getan, um ihr so gut er konnte unter die Arme zu greifen. Doch nun spürte sie von seiner Fürsorge nichts mehr.

»Jetzt wo du die Party erwähnst ...« Sara ging ein Licht auf. »Es wäre gut möglich, dass Andreas sich seit diesem Tag so abweisend mir gegenüber verhält.«

»Bist du dir da ganz sicher?«

»Sicher bin ich mir nicht, es ist echt schwer, zu sagen, seit wann er nicht mehr so aufmerksam mir gegenüber ist. Aber mir kommt vor, seit diesem Fest ging es ziemlich abrupt.«

»Woran mag das wohl liegen?«, sinnierte Natascha. »Eventuell ist auf der Party irgendetwas geschehen, was ihn dazu gebracht hat? Es könnte doch gut sein, dass er-«

»Mel, tu mir einen Gefallen, und lass Nati ausreden, ja?«, sagte Sara in standfestem Ton. 

Sara nickte ihr zu, wandte sich aber dann an Natascha. »Also, wie genau ist deine Theorie?«

»Ein Unbekannter ist bereits ein Fremder«, sagte Leonie trocken.

»Ich glaube, du liest zu viele Krimis, Nati«, warf Melody ein. »Seit du was mit dem kellnernden Schreiberling am Laufen hast, sind deine Ideen noch verrückter geworden als sonst.«

»Ich gehe jetzt mal von etwas Banalerem aus«, sagte Leonie und wandte sich dann direkt an Sara. »Spiel den Nachmittag nochmal in Gedanken durch. Ist dir irgendein Moment besonders in Erinnerung geblieben? Könnte es ein Ereignis gegeben haben, das ihn dazu veranlasst hat, dich aus genau diesem Grund in der Gegenwart zu ignorieren?« Da kam wieder Leonies analytische, aber leicht verrückte Ader durch. 

CSI-den Tätern auf der Spur

»Aha, aha«, sagte Leonie, mehr zu sich selbst, als in die Runde, »dann hat es also nichts mit Nataschas Freund zu tun. Hätte mich auch gewundert.«

»Dann fragen wir Josef doch einfach«, beschloss Melody kurzerhand.