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Alpha O’Droma

Elfenstress

Teil 1: Die Schlacht am Stierhornpass

Vorwort

Verehrte MitbürgerInnen draußen im Lande,

eine der vornehmsten Aufgaben der Mitarbeiter des Bundesamtes für magische Wesen liegt in der Dokumentation und Geschichtsforschung sowie der Herausgabe der Geschichten längst vergangener Reiche. Behufs dieses edlen Zweckes sendet das Amt seine Mitarbeiter in die staubigen Archive dumpfer Kellergewölbe und lässt sie in den Annalen vergangener Epochen wühlen. Manchmal tauchen unsere Mitarbeiter sogar wieder auf, wenn auch erst nach langen Jahren. Wir stufen das als artgerechte Haltung von Beamten ein.

Aus Zeiten, als Könige noch Könige waren, einsam umherstreifende Recken, deren Anblick allerlei übles Gesindel erblassen ließ, dies auch in der Sehnsucht nach einem Mauseloch, woselbst besagtes Gesindel sich verkriechen könnte, in jenen guten alten Zeiten, als eines Mannes Arm ein Schwert führte und Probleme mit diesem anerkannten Problemlöser zu lösen in der Lage war, werden Geschichten überliefert, die uns heute wehmütig an die gute alte Zeit zurückdenken lassen.

Das Ihnen vorliegende mehrbändige Epos, das wir im Amt dem Stil des Erzählers folgend beim Genusse edler Rebensäfte genossen, nachdem unser Mitarbeiter Alpha O’Droma es zu Papier brachte, mag Sie, verehrter Leser, ebenfalls in seinen Bann schlagen und nach mehr Genuss rufen lassen. Wir arbeiten daran, das sei Ihnen versichert.

Das Amt ordnet vergnügliche Lektüre an.

Edmund F. Dräcker,

Präsident des Bundesamtes für magische Wesen

Die Welt

Prolog

Was macht einen großen Mann aus?

So sehr ich mein Hirn auch martere, ich wüsste nicht, wie man das Leben eines Menschen bemisst. Dafür bin ich wohl auch zu jung.

Misst man es nach ruhmvollen Taten? An Tugenden?

An Errungenschaften? An Reichtum?

Was hatte ich schon erlebt, als dass ich dies zu beurteilen vermochte? Die große Schlacht am Stierhornpass, all die Toten, all das Leid des Gebeins und all der Schmerz der Seele, all die Völker, die Heroen, Dämonen, Halbwesen, sie schweben durch den luziden Schleier meiner Reminiszenz, so machtvoll, so real, wie ich sie jetzt gerade dem braven Mönchlein diktiere. Mit wissender Milde lächelt er mich an, ganz als wolle er sagen: »Berichte nur, mein Junge! Befreie dich von dieser Last!«

Und das möchte ich fürwahr. Ich will Ihnen, mein hochgeschätzter Leser, der Sie diese Chronik bei einem warmen Becher gewürzten Weines an Ihrem Kamin studieren, alles genau so darlegen, wie ich es erlebt habe, nichts auslassen, tadeln oder beschönigen.

Das Urteil überlasse ich weiseren Männern als mir.

Möge die Nachwelt über all dies richten!

I

Mein Name ist Amor, Sohn des Meisterbarden Don do Ahpla, und ich beginne ganz am Anfang.

Als meine Mutter an der Seitenkrankheit starb, war ich ein Bube von beinahe neun Jahren. Mein Vater übergab mich der Obhut seiner Gilde in Aquilaneum, wo ich seit nunmehr zehn Lenzen die Künste der Geschichte, Musik, Lyrik und Rhetorik gelehrt wurde. Kurz vor Ende meiner Ausbildung stand ich, hatte alle Prüfungen abgelegt, bis auf Sagenkunde und meine große Schwäche, das Lautenspiel, als mich die Nachricht erreichte.

Ein Diener rief mich zu Mulbert Tougendward, seines Zeichens Großmeister der Bardengilde und kaiserlicher Hoflectorius, und mir schwante schon Übles, hatte ich doch mit seiner jüngsten Tochter, der liebreizenden Heidelinde, in ihrer Kammer poussiert, deren Schlüssel ich aus des Großmeisters Tasche stibitzt hatte.

Und so stieg ich schuldbewusst die steinernen Stufen zum Uffizium des Großmeisters empor, das sich hoch oben im Turm der Gilde befand. Sein Sekretär hieß mich einzutreten, Großmeister Tougendward harre bereits meiner.

Schweigend saß er am Kamin und starrte ins Feuer. Ich befürchtete bereits das Schlimmste, doch er bedeutete mir, mich zu ihm zu setzen, schenkte mir sogar Wein ein, was mich völlig verwirrte. War Heidelinde gar schwanger? Das bedeutete gewiss, er würde mich jetzt entweder aus dem Turmfenster werfen oder zum Schwiegersohn machen – daher wohl der Wein.

Beide Vorstellungen erschienen mir gleichermaßen erschreckend und so hatte ich bereits mit dem Schicksal abgeschlossen und mich für das Turmfenster entschieden, da dies mir die gnädigere Alternative deuchte, als er seinen Blick vom Kaminfeuer löste und mir mit melancholischer Miene in die Augen sah: »Wusstest du, dass ich schon mit Ramon do Ahpla, deinem Großvater geritten bin? Er war ein großer Minnesänger, ich bewunderte ihn um seine Gabe und diesen außerordentlichen Bariton, mit dem er die Frauenzimmer bezauberte.

Meine Talente lagen stets in Komposition und Dichtung und so trennten sich unsere Wege nach der Ausbildung. Er reiste mit den Rittern, Königen und Zauberern, um wilde Abenteuer zu erleben, Oden auf sie zu verfassen und sie an ihren Höfen zu besingen, während ich in diesen Mauern hier hockte, nicht mehr als ein besserer Bibliothekar. Fürwahr, ich stieg schnell auf, wurde Meister und letztlich Großmeister, während dein Großvater ein einfacher fahrender Barde blieb, doch wenn ich ehrlich bin, habe ich ihn immer beneidet. Er starb jung, hinterließ ein Heer trauernder Weiber und einen Sohn, Don do Ahpla, um dessen Ausbildung ich mich kümmerte. Dein Vater war disziplinierter und sollte sogar den Meistergrad erreichen, doch auch er trug dieses unruhige Blut in sich. Schon als Knabe sah ich ihn stets entrückt in die Ferne blicken. Da drüben, dieses Turmfenster zu deiner Rechten, da stand er gern Stunden lang wie in Trance herum und starrte gebannt zum Horizont, als würde er etwas erwarten, das jeden Moment erscheinen müsse. Darauf angesprochen, erklärte er mir, er wolle um jeden Preis herausfinden, was sich dort befände. Und dahinter. Und dann noch weiter dahinter. Er war unerhört begabt und so hatte ich gehofft, ihn als rechte Hand und meinen Nachfolger heranziehen zu können, doch schon bald musste ich einsehen, dass dies unmöglich war, dass ich ihn nie würde halten können, ohne dass das Fernweh seine Seele gefoltert hätte. Ich liebte deinen Vater wie meinen eigenen Sohn, doch so sehr es mich schmerzte, ich musste ihn gehen lassen, damit er seiner Bestimmung folgt, dem fahrenden Minnesang.

Als deine Mutter starb, Amor, war es nur logisch, dass ich auch dein Ziehvater werden sollte, denn ein Barde kann schwerlich mit einem Kind durch die Lande ziehen. Und wie schon deinen Vater werde ich auch dich jetzt in die Freiheit entlassen.«

»Aber Meister, meine Ausbildung ist noch nicht beendet?!«, warf ich erschrocken ein. Selbstverständlich sehnte auch ich mich nach Abenteuern in fernen Ländern, nach Ruhm und Ehre und all diesen Dingen, von denen junge Männer träumten, doch so kurz vor dem Abschluss meiner Lehre konnte dies nur eine Strafe darstellen.

Der Großmeister kicherte amüsiert: »Du kleiner Tunichtgut denkst, ich wolle dich vom Hofe jagen, weil du Heidelinde den Kopf verdrehst?«

In meinem Gesicht muss sich das schlechte Gewissen widergespiegelt haben, nebst des Schreckens und der unangenehmen Peinlichkeit des Ertapptseins, doch das schien ihn nur noch mehr zu belustigen: »Du hast geglaubt, ich wüsste das nicht? Wie naiv! Sorge dich nicht, jung Amor, es steht mir nicht der Sinn nach Bestrafung. Auch ich hätte die Beendigung deiner Ausbildung gerne noch persönlich überwacht, doch kam letzte Nacht ein Bote an und überbrachte mir eine Depesche aus Elfenfurt. Dein Vater schickt nach dir, er bittet mich, dich sofort auf ein Pferd zu setzen, es pressierte. Fragen wage er mir auf diesem Wege nicht zu beantworten, er wolle dies nachholen, wenn er wieder in Aquilaneum weile, doch solle ich die Marschbecken polieren lassen.«

Das klang alles sehr geheimnisvoll und ich verstand es nicht: »Die Marschbecken?«

»Es sind Becken mit Schlaufen, wie man sie in einer Marschkapelle trägt. Was dein Vater uns damit sagen will, ist klar.«

»Erhellt mich, Meister, mir ist es unklar.«

»Dein Vater glaubt, es wird Krieg geben.«

Unwillkürlich schluckte ich. Wir Barden besangen gern heroische Kämpfe, Schlachten und Heldentaten, doch in der Regel aus einer sicheren physischen und zeitlichen Entfernung von diesen Geschehnissen. Die mögliche Aussicht, heroischen Kämpfen, Schlachten und Heldentaten persönlich beizuwohnen, stellte jedoch in meinen Augen ein nicht unbeträchtliches Gesundheitsrisiko dar.

»Und meine Ausbildung?«

»Ist so gut wie beendet. Alle Sangesprüfungen hast du abgelegt und bestanden, genau wie die in Rhetorik und Erzählkunst, wo du ein Naturtalent bist. Dafür spielst du die Laute so furchtbar, dass ich fürchte, euch werden jedes Mal die Gäule durchgehen, wenn du einen Akkord anschlägst. Da hilft nur Übung, Übung und nochmal Übung. Und das letzte Fachgebiet, dessen Prüfung dir noch bevor steht, die Sagenkunde, ist die größte Stärke deines Vaters. Kein Barde kennt die Historie so gut, vermag jede Sage, jedes Lied, jede Ode und jede Geschichte, die seit dem Anbeginn der Welt jemals an einem Lagerfeuer erzählt wurde, so hervorragend vorzutragen. Don do Ahpla ist ein Meisterbarde, der wohl beste, den ich je sah, und auch wenn er nach dem Tod deiner Mutter ein versoffener Weiberheld geworden ist, kann ich mir keinen Besseren vorstellen, deine Ausbildung zu beenden. Und nun schnür dein Bündel, ich habe die Stallburschen bereits angewiesen, dir ein Pferd zu satteln. Der Küchenmeister hat dir Proviant eingepackt. Du brichst sofort auf!«

»Aber Meister!«

»Keine Widerrede! Ich bin sicher, dein Vater hat gute Gründe für sein Handeln, die ich nicht hinterfrage, dafür kenne ich ihn zu gut. Und nun leb wohl, Amor! Mögen die Götter dich beschützen!«

Mit diesen Worten stand Großmeister Tougendward auf und reichte mir die Hand zum Abschied. Mir blieb nichts, als sie zu ergreifen und mich kleinlaut zu verabsentieren.

Zeit zum Nachdenken hingegen blieb mir nicht. Meine Sachen waren schnell gepackt, in der Küche drückte man mir einen Beutel mit Brot und Käse in die Hand und im Stall wartete bereits Rosswitha auf mich, eine nach der Kaiserin benannte, gescheckte Stute, die – genau wie die Kaiserin – an ein Brauereipferd erinnerte. Sie war alt, nicht sehr schnell, doch ausdauernd, zuverlässig und gutmütig.

Grinsend zog der Stallbursche den Sattelgurt fest, woraufhin Rosswitha einen lauten Darmwind ließ, und reichte mir die Zügel: »Sie hört schwer, aber so wie du Laute spielst, Amor, ist das ja auch vielleicht ganz hilfreich!«

Diese Frechheit überhörte ich mit einem gequälten Lächeln, schnürte mein Bündel am Sattel fest, saß auf und ritt hoch erhobenen Hauptes von dannen, einem ungewissen Schicksal entgegen.

II

Die Straßen von Aquilaneum vibrierten voller Geschäftigkeit. Bauern, Bürger, Händler, Huren, Taschendiebe, alles wuselte durcheinander in der schmalen Gasse, durch die ich nachdenklich meinen Gaul lenkte. Das hoch erhobene Haupt und die ostentative Gelassenheit waren gespielt gewesen. Tatsächlich verspürte ich Aufregung, Sorge und eine große Furcht vor dem Ungewissen.

Behütet war ich aufgewachsen, erst bei meiner Mutter und dann, als sie der Seitenkrankheit erlag, in der Bardengilde. Ich verbrachte meine Tage vor dem Kamin, in der Bibliothek oder in der Aula beim Gesangsunterricht, es war eine unbeschwerte Zeit, in der es mir an nichts mangelte, doch wie würde es jetzt weitergehen?

Meinen Vater kannte ich nicht. Selbstverständlich wusste ich, wer er war, doch selbst als Mutter noch lebte, zog er stets nur durch die Lande und beehrte uns höchstens ein bis zweimal im Jahr mit seiner Anwesenheit. Nie hielt er es länger als eine Woche aus, schon nach wenigen Tagen erfasste ihn diese Unruhe und wir spürten, dass er am liebsten sofort wieder aufgebrochen wäre und nur unseretwillen noch ein paar Tage blieb. Nach Mutters Tod sah ich ihn nur noch einmal im Jahr. Maximal. Und jetzt sollte dieser Vagabund mir Obhut und Ausbildung gewähren?

Ich befürchtete einerseits, ihm unbotmäßig zur Last zu fallen, aber andererseits war er selbst es doch gewesen, der nach mir geschickt hatte …

Kurzum, mir war völlig unklar, was ich davon halten sollte, doch was blieb mir übrig, als seinem Ruf Folge zu leisten und es herauszufinden?

Die Gasse führte auf die große Hauptstraße, welche den Kaiserpalast in grader Linie mit der gewaltigen steinernen Brücke verband, die sich in kunstvoll gemauerten Bögen aus Granitquadern über den Lin spannte, der hier, so dicht an seiner Mündung, eine Viertelmeile breit dahin floss, bevor er sich ins Ostmeer ergoss.

Diese Brücke führte nach Neu-Aquilaneum, einer stetig wachsenden Urbanität, welche all jene beherbergte, die in der Kaiserstadt selbst keinen Platz mehr fanden. Aquilaneum war eine Jahrtausende alte Trutzburg, von so gewaltigen Ausmaßen, dass selbst ein von einem Langbogen abgeschossener Elfenpfeil es nicht bis hoch zur Mauerkrone geschafft hätte, die so breit war, dass Vierspänner auf ihr fahren konnten. Die Stadt war uneinnehmbar und der Kaiserpalast in ihrem Zentrum seinerseits eine Burg in der Burg, umgeben von einem breiten Wassergraben, in dem hungrige Geschöpfe lebten, die jeden armen Tropf, der hineinfiel, binnen eines Augenblicks verschlangen. Sehr praktisch für die Assassinengilde, wann immer sie jemanden verschwinden lassen musste. Sowohl in der Stadt, als auch im Palast existierten tiefe Brunnen, Speicher und Kornkammern, so dass bei einer Belagerung viel eher die belagernden Truppen verhungert wären als die Bewohner Aquilaneums. Und so war die Stadt in all den Jahrtausenden nie gefallen, was auch daran gelegen haben mag, dass ob der offensichtlichen Aussichtslosigkeit nie jemand einen Angriff gewagt hatte.

Doch das bewohnbare Stadtgebiet war durch die gewaltigen Befestigungsanlagen selbstverständlich begrenzt, und so konnte nur die Bürgerschaft sich leisten, dort zu wohnen. Gemeinsam mit den Bediensteten bei Hofe, den Mitgliedern der in der Hauptstadt ansässigen Gilden und dem dort stationierten Militär waren dies gut 30.000 Seelen. Dazu kamen noch einmal ein paar tausend, die in der Kanalisation hausten, wie die Angehörigen der Diebesgilde, aber auch Assassinen, Kindesentführer, Bettler und andere, weniger respektable Persönlichkeiten, die sich besser nicht bei Tageslicht blicken ließen.

All die Bauern, fahrenden Händler, Küfer, Schmiede, Repschläger, die vielen Seeleute und das Gesinde jedoch lebten in den einfachen Holzhäusern und Baracken Neu-Aquilaneums, das im Laufe der Zeit stetig gewachsen war und dessen Bevölkerung die der eigentlichen Hauptstadt mittlerweile um ein Vielfaches übertraf. Hier stank es, denn es existierte keine Kanalisation und der Unrat floss in Gräben am Rand der meist unbefestigten Straßen.

Und so überquerte ich die kaiserliche Brücke nicht, sondern hielt mich rechterhand des Lins, um auf der Uferstraße nach Nordwesten zu reiten. Den Lin würde ich dann bei Elfenfurt queren, doch waren dies noch zwei Tagesritte und so gab ich Rosswitha ein wenig Sporen, um sie in einen leichten Kanter übergehen zu lassen. Das gute Tier hatte schon zu lange im Stall gestanden und war froh über etwas Bewegung, so dass wir Aquilaneum schon bald hinter uns ließen.

Die Herbergen waren so nahe der Hauptstadt recht teuer. Da ich wenig besaß und mir 50 Kupferpfennige für eine simple Pritsche zu kostspielig schienen, hielt ich bei Sonnenuntergang auf eines der vielen Lagerfeuer zu, welche die Uferstraße säumten, die von Händlern und allerlei fahrendem Volke frequentiert wurde, deren Börse ebenfalls zu schmal für eine Kammer war.

Ein Bader und ein Messerschleifer saßen hier mit ihrem Anhang und wärmten sich am Feuer. Der Sommer neigte sich dem Ende zu und die Nächte wurden langsam länger und kühler. Nachdem ich mich vorgestellt hatte, musste ich selbstverständlich eine Weise singen und wurde dafür mit einem Teller Wurzelsuppe entlohnt, die in einem alten Blechtopf über dem Feuer köchelte. Und so brach ich mein Brot mit den braven Leuten, verteilte meinen Käse an deren Kinder, bettete den Kopf auf Rosswithas Sattel und rollte mich in meine Decke.

Noch lange lag ich wach, grübelte nach über das, was da kommen würde, über meinen Vater, einen möglichen Krieg, doch irgendwann muss ich wohl doch eingeschlafen sein, denn als ich die Augen wieder öffnete, schien mir die Morgensonne ins Gesicht, das Feuer war erloschen und ich lag allein am Wegesrand.

Nachdem ich meinen Gaul am Lin getränkt und gesattelt hatte, ritt ich weiter, nichts Berichtenswertes geschah und so erreichte ich am frühen Abend Elfenfurt, überquerte dort den Lin und begab mich in die Stadt.

Großmeister Tougendward hatte mir mitgeteilt, mein Vater logiere stets im besten Haus am Platze, »Zum lustigen Langohr«, das ich auf der Hauptstraße fände und unmöglich verfehlen könne, da es das einzige dreistöckige Gebäude in ganz Elfenfurt sei. Und tatsächlich konnte man es schwerlich übersehen, nicht nur wegen seiner Größe, sondern auch ob seiner in leuchtendem Lindgrün getünchten Fassade und dem großen Holzschild, das einen verschmitzt lachenden Elfen zeigte. Ein Bursche nahm mir Rosswitha ab und brachte sie in den angrenzenden Stall, kaum dass ich abgesessen war und noch an der Eingangstür empfingen mich dienstbare Geister, um sich nach meinem Begehr zu erkundigen.

Auf die Frage nach dem Barden Don do Ahpla geleitete man mich sogleich in einen der hinteren Räume, der als Taverne genutzt wurde.

Was ich dort erblickte, ließ meinen Kiefer hinunter klappen wie die Zugbrücke einer belagerten Burg, der man die Ketten durchtrennt hatte.

III

Um eine große Tafel versammelt, saß eine Wand aus schwarzem Stahl, die ich unschwer als die Garde des Ritterkönigs Kamrau von Prack identifizierte. 13 Mann in schwerer Rüstung, von denen einer der König selbst war. Nur welcher? Er trug keinerlei Insignien und sah auch sonst genau so aus wie jedes andere Mitglied seiner eigenen Garde. Es musste einer der älteren Ritter sein, doch derer gab es drei.

Dann saß dort noch eine Frau von solch exquisiter Schönheit am Tisch, dass es mir den Atem verschlug. Es schien unmöglich, ihr Alter zu schätzen, sie deuchte weder jung noch alt und eine Aura des Mysteriums umgab ihre strahlende Erscheinung wie Schmetterlinge einen Berglilienstrauch.

Und dann hockte da noch ein Mann mittleren Alters in farbenfroher, fast geckenhafter Kleidung, dessen wallendes aschblondes Haar ihm in wirren Strähnen in sein markantes Gesicht hing, während er einen Weinbecher leerte: mein werter Herr Vater …

»Bürschlein, was stehst du da herum mit offenem Maul? Klapp die Kinnlade hoch und setz dich zu uns, oder shindagarische Hornissen werden noch ein Nest in deinem Mund bauen.«

Mit diesen Worten begrüßte mich die holde Maid, wobei mir ihre tiefe, rauchige Stimme auffiel, die so gar nicht zu ihrem bildschönen Antlitz passen wollte.

Kurzerhand schloss ich meinen Mund, besann mich meiner Kinderstube und vollführte einen tiefen Kratzfuß, um mich sogleich der erlauchten Herrschaft vorzustellen. Doch mein Vater kam mir zuvor: »Das, werte Freunde, ist die Frucht meiner Lenden, Amor do Ahpla, Barde in Ausbildung und seines Zeichens ein verwöhnter Hosenscheißer.

Doch wir werden ihm das Leben schon beibringen, wo könnte er besser lernen als in dieser unserer hervorragenden Gesellschaft. Und nun komm her mein Junge, in meine Arme, lass dich ansehen!«

Ich tat wie geheißen und er drückte mich kurz an sich, wobei ich seine fürchterliche Fahne roch. Dann drückte er mir einen Becher Wein in die Hand, rief der Bedienung zu, sie solle drei frische Krüge bringen, und sprach einen Toast: »Auf die Freundschaft, den Wein und das Leben!«

Die Ritter standen auf wie ein Mann, dass es nur so schepperte, und auch die geheimnisvolle Dame erhob sich, um gemeinsam mit uns »Auf die Freundschaft, den Wein und das Leben!« anzustoßen und den Becher in einem Zug zu leeren.

Dann stellte mein Vater mir die Anwesenden vor: »Diese wundervolle Frau hier ist Idara von Finegrind, so anmutig wie weise und so trinkfest wie verdorben, mit einem Wort: eine vortreffliche Gefährtin, im Kampf und in der Kaschemme. Böse Zungen behaupten, sie sei eine 1.455 Jahre alte Zauberin, doch ich sage, sie sieht keinen Tag älter aus als 1.400, nicht wahr, meine Taube?«

Madame Idara rollte mit den Augen, um sogleich schelmisch zu grinsen: »Was bist du doch für ein Charmeur!«

Ein dicker Kloß bildete sich in meiner Kehle. Dies sollte die berühmte Idara von Finegrind sein, Großmagierin und Herzdame des Unsterblichen, von der die Sagen seit anderthalb Jahrtausenden berichten? Sie schien nicht mehr als 30 Lenze gesehen zu haben und augenscheinlich müssen sich diese Gedanken nur allzu deutlich in meinem Gesicht wiedergespiegelt haben, denn sie lächelte mich gütig an und beantwortete sogleich die ungestellte Frage: »Die Leute wundern sich immer, warum Zauberer so viel älter als normale Menschen werden. Tatsächlich altern wir nur sehr langsam, denn wir kümmern uns nicht um Zeit oder Tod.

Und weil Zeit und Tod eitle Geschwister sind, ignorieren sie uns deswegen ebenfalls.«

Noch bevor ich dieses interessante Konzept zu reflektieren vermochte, fuhr mein Vater mit der Vorstellung fort: »Dieser alte Zausel dort ist Kamrau von Prack. Er unterscheidet sich von seiner Garde nur dadurch, dass er rauflustiger, dickköpfiger und übelriechender ist als die anderen zwölf. Mir deucht, nur deswegen ist er ihr König.«

Der angesprochene Monarch lachte laut, schlug dabei mit seiner stahlbewehrten Faust auf die Tischplatte, dass sämtliche Teller, Becher und Weinkrüge Polka tanzten und ihm entfuhr zum Beweis seiner Königswürde ein kräftiger, lang gezogener Wind. Dieser ließ nun auch seine Ritter in lauthalses Gejohle ausbrechen und »Heil König Kamrau!« skandieren.

In welche Gesellschaft war ich hier geraten?

Als sich das allgemeine Gelächter gelegt hatte, nahm mich mein Vater an seine Seite, schenkte mir Wein nach und begann, mir die Situation zu erklären: »Wir treffen uns hier auf Geheiß des Unsterblichen. Vor gut einem Mond weilte ich mit ihm in Shindagar, wir besuchten Elrind den Pfeil, seines Zeichens Großmeister der elfischen Bogenschützen und ein alter Freund, als uns die Nachricht aus dem Norden ereilte. Shabernak und Shalimar, die Könige der Berg- und der Waldelfen ließen nach dem Unsterblichen schicken. Dieser brach sofort auf und hieß mich, nach Süden zu reiten und hier in Elfenfurt auf ihn zu warten. Kurz darauf trafen Madame Idara und König Kamrau ein, der Zwergenkönig befindet sich ebenfalls bereits auf dem Weg, genau wie die Elfenkönige, die in Bälde eintreffen sollten, also warten wir hier auf sie.

Offensichtlich ist die Sache ernst, sonst hätte der Unsterbliche wohl kaum die Herrscher der Welt in Marsch gesetzt. Alles, was wir bisher wissen, ist, dass es Gefechte im Norden gegeben hat. Orks sind in Nordshindagar einmarschiert und haben die Bergelfen überfallen, es scheint, als stünde uns ein Krieg bevor, denn wären es nur wie üblich einige marodierende Horden gewesen, hätten die Bergelfen dies gewiss selbst erledigt.«

Besorgt hatte ich den Bericht meines Vaters verfolgt, doch eine Sache war mir nicht klar: »Wenn der Unsterbliche vor einem Mond in Shindagar weilte, wie konnte er dann so schnell den Zwergenkönig in Zalor benachrichtigen, dass dieser sich bereits auf dem Weg hierher befindet und seine Exzellenz, König Kamrau hier, der sogar bereits eingetroffen ist? Von Shindagar nach Zalor reist man allein mehr als einen Mond …«

Idara von Finegrind lächelte mich milde an: »Mächtige Zauberer wie der unsterbliche An Togarot haben ihre eigenen Wege, jung Amor.«

In just diesem Moment flackerten die Kerzen, als ein Luftzug von der Tür her wehte. Wir sahen uns um und erblickten einen schlanken und für seine Rasse sehr hoch gewachsenen Elfen, der in Begleitung einer anmutigen Elfenfrau und eines älteren Elfen den Raum betrat und uns in einer Mischung aus Neugier und Misstrauen musterte.

Mein Vater sprang auf, verbeugte sich und stellte die Anwesenden, sofern sie einander noch nicht kannten, vor: »Majestäten und Exzellenzen, lasst uns König Shabernak von Nordshindagar, den König der Bergelfen und seine liebreizende Frau, Königin Shakira begrüßen! Dieser alte Griesgram, der mit ihnen reist, ist Elrind der Pfeil, Großmeister der elfischen Bogenschützen.«

Die Anwesenden erhoben sich und wir verbeugten uns ebenfalls. Don do Ahpla fuhr fort: »Werte Gäste, die bezaubernde Idara von Finegrind muss ich euch nicht vorstellen und dies hier ist König Kamrau von Prack nebst seiner Garde – Jungs, rückt doch mal zusammen und macht etwas Platz! – und dieser Bengel hier ist mein Sohn Amor. Wenn die Herrschaften so freundlich wären, sich zu uns zu gesellen?«

Elfen waren Kratzfüße fremd, also nickten sie uns zu und setzten sich auf eine Bank, welche Kamraus Garderitter unter lautem Geklapper und Geschepper für sie frei machten. Erstaunlich fand ich, dass mein Vater jeden vorgestellt hatte, nur nicht seine eigene Person, denn ich wusste damals noch nicht, dass jeder König, jeder Großmeister, Meister, vor allem jedoch jeder Hofschenk, jede Magd und jede Hure auf der großen, weiten Welt ihn kannte.

König Shabernak blickte mürrisch in die Runde und kam ohne Umschweife zur Sache: »Wo ist der Unsterbliche?«

Madame Idara ergriff das Wort: »Er hat zuerst König Kamrau hier aufgesucht und danach den Zwergenkönig, wir erwarten ihn in Bälde zurück, aber bitte berichte uns, alter Freund, wie steht es um Nordshindagar? Und wo bleibt König Shalimar? Wir hatten erwartet, dass er mit euch eintrifft.«

Der Elfenkönig senkte sein Haupt und wir sahen Tränen in seinen mandelförmigen Augen glitzern. Um Fassung und Worte ringend, brachte er doch nur ein heiseres Krächzen hervor. Königin Shakira ergriff seinen Arm und blickte Hilfe suchend den alten Elfen an ihrer Seite an: »Elrind, bitte erzähle du, was sich zugetragen hat!«

Großmeister Elrind der Pfeil räusperte sich in einer Weise, die ahnen ließ, dass es auch ihm schwer fiel, die richtigen Worte zu finden.

Dann begann er: »König Shalimar stieß vor sechs Wochen zu uns, als die Angriffe der Orks immer häufiger wurden. Er kam mit seiner eigenen und einem Dutzend anderer Sippen, insgesamt rund 300 Waldelfen, um uns in Nordshindagar beizustehen. Bald darauf traf auch der Unsterbliche ein und es gelang uns, die Orks zurückzuschlagen. An Togarot war es, der angesichts der neuen Invasion die Könige zu diesem Treffen hier einlud, denn er erkannte, dass uns größeres Übel aus dem Norden dräute, als wir ahnten. Kaum war der Unsterbliche gen Südosten aufgebrochen, um Euch, König Kamrau, und den Zwergenkönig aufzusuchen, rollte eine neue Angriffswelle heran, stärker noch als alle vorausgegangenen. Es müssen mehrere Tausend Orks gewesen sein, die auf die Schwarze Burg marschierten. Wir dezimierten sie auf dem Felde, doch es wurden zu viele, unsere Pfeile konnten sie nicht aufhalten, und so zogen wir uns in die Burg zurück. Von dort aus spickten wir sie mit Pfeilen. Welle um Welle brandete an die Mauern, wie Lemminge rannten sie an und starben, uns gingen fast die Pfeile aus. Am dritten Tag dann zogen sie sich zurück, mitten in einem Angriff, als gehorchten sie alle einem für uns unhörbaren Befehl. Und wir ahnten, dass dem tatsächlich so war, dass der Fürst der Finsternis sie befehligte. Voller Sorge sahen wir, dass die dunkle Horde kehrt machte und sich nach Süden wandte. Dorthin, wo der Großteil unseres Volkes friedlich lebte, der sich nicht in der Schwarzen Burg verschanzt hatte. Wir berieten uns und entschieden uns für einen Ausfall. Einerseits mussten wir Tausende Pfeile bergen, die am Fuße der Burg in Orkleichen steckten, um unser Arsenal zu bestücken, andererseits galt es, diese Armee daran zu hindern, in unser Kernland vorzudringen. Also beschlossen wir, ihnen in den Rücken zu fallen. Schon am nächsten Tage hatten wir sie eingeholt und machten sie nieder, es waren zwar noch etwa 1.500 Orks übrig, wir aber zählten fast 700 Bogenschützen, so dass sie keine Chance hatten, uns auch nur zu erreichen. Mitten in der Schlacht erschien plötzlich eine Gruppe von drei Sicheldämonen wie aus dem Nichts. Sie tauchten im Norden auf, genau in unserem Rücken. Binnen einer Minute hatten sie König Shalimar und seine Sippe zerstückelt, noch bevor wir ihnen zu Hilfe eilen konnten. Unsere Pfeile vermochten ihnen wenig anzuhaben. Man konnte sie blenden, indem man ihnen in beide Augen schoss, aber selbst dann wirbelten sie noch wie rasend herum und enthaupteten mit ihren langen, scharfen Klauen jeden, der ihnen zu nahe kam. Nur mit Schwertern konnten wir ihnen zuleibe rücken. König Shabernak zückte Schlachtlied, jene sagenumwobene Klinge und schleuderte sie einem Dämonen direkt ins Herz. Die anderen beiden erstarrten kurz, als sie dessen Mark erschütternden Todesschrei hörten und den triumphierenden Gesang von Schlachtlied, als es seine Seele verzehrte. Wir nutzen diesen Moment und stürzten uns auf sie, hackten sie in Stücke, was uns abermals gut 30 Männer kostete, erst dann hatten wir die Dämonen erledigt, doch da war der König der Waldelfen und seine gesamte Sippe bereits bis ins letzte Glied dahin gerafft. Wir sammelten uns und vernichteten die Orkarmee. Bis zum Sonnenuntergang war der letzte Ork getötet, doch es war ein hohler Sieg, erkauft mit einem viel zu hohen Preis. Deshalb vergebt uns, wenn es uns an Höflichkeit mangelt und wir gar miserable Gesellschaft sind, doch wir befinden uns in tiefer Trauer.«

Dieser Bericht ließ uns schweigen. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir schwiegen, aber mir kam es wie eine Unendlichkeit vor, bis schließlich der Ritterkönig sich ein Herz fasste und das Wort ergriff: »König Shalimar war ein guter und gerechter Herrscher. Ich selbst traf ihn nur ein einziges Mal, doch war ich beeindruckt von seiner Ausstrahlung, seiner Geradlinigkeit und Integrität. Er blickte einem stets direkt ins Antlitz, sprach aus, was er dachte, und sein Wort galt. Euch mein Beileid zu bekunden, deucht mir hohl und leer in dieser schweren Stunde, vielmehr möchte ich euch meine bescheidenen Dienste anbieten, wann immer ihr sie benötigt. Könige und Kaiser, der Unsterbliche, wir alle werden jetzt konvenieren und palavern und ich weiß nicht, was beschlossen wird, doch seid versichert, König Shabernak, dass mein Schwertarm euch gehört und der eines jeden meiner Ritter, wenn es darum geht, die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen und die dunklen Horden in die Hölle zu schicken, das schwöre ich euch bei meiner Ehre.«

König Kamrau von Prack schlug sich mit der Faust auf den Brustpanzer und seine Garde tat es ihm gleich, um diesen Schwur zu bekräftigen.