Prinzessin meines Herzens

Barbara Cartland

Barbara Cartland E-Books Ltd.

Vorliegende Ausgabe ©2018

Copyright Cartland Promotions 1988

 

Gestaltung M-Y Books

www.m-ybooks.co.uk

1 ~ 1870

Prinzessin Thea sang fröhlich vor sich hin, als sie den Gang entlangging und eine Nebentreppe hinunterlief. Zu schade, daß der schönste Teil des Palastes allein feierlichen Anlässen vorbehalten ist, dachte sie dabei, denn ihre besondere Vorliebe galt der großen Freitreppe im Haupttrakt mit dem prachtvollen goldverzierten Geländer, ebenso wie den Gemälden an den Wänden und den kunstvollen, von italienischen Künstlern geschaffenen Kamineinfassungen.

Ihr Urgroßvater hatte seinerzeit den Palast zu einem der schönsten und auch eindrucksvollsten aller Balkanländer gemacht, und Thea war überzeugt, er wollte damit vergessen machen, daß Kostas ein kleines und verhältnismäßig unbedeutendes Land war. Schon öfter war ihr der Gedanke gekommen, daß er an einem Minderwertigkeitskomplex gelitten haben mußte, da er es liebte, sich mit allem Glanz und Pomp, den eine Monarchie entfalten konnte, zu umgeben. Diese Neigung wollte er auch auf seine Nachkommen übertragen, und so hatte Prinzessin Thea bei der Taufe die hochtrabenden Namen Sydel Niobe Anthea erhalten. Kaum konnte sie sprechen, hatte sie sich dieser Namensanhäufung entledigt und sich fortan Thea genannt, ein Name, der ihr geblieben war.

Thea betrat das Frühstückszimmer, einen gemütlichen, einfachen Raum, in den die Morgensonne schien. Ihr Bruder Georgi saß bereits beim Frühstück. Bei ihrem Eintreten blickte er auf.

»Du kommst aber spät!« bemerkte er.

»Ja, ich weiß, aber der Morgen war so herrlich, und Merkur nahm alle Hindernisse, als könne er fliegen.«

Sie bediente sich vom Frühstücksbüffet, das ausgesprochen englisch war. Ihr Vater, König Alpheus von Kostas, hatte sich als junger Mann häufig in England aufgehalten, ja, er hatte in Oxford sogar eine Zeitlang studiert. Seine Vorliebe für den englischen Lebensstil stammte aus jener Zeit. Er hatte auch darauf bestanden, daß seine Kinder die englische Sprache lernten, für Thea und Georgi bedeutete das keine Schwierigkeit, da sie auch die Sprachen aller angrenzenden Balkanstaaten beherrschten. Dagegen sei Englisch das reinste Honiglecken, hatte Georgi einmal behauptet.

Thea ging mit ihrem Teller zum Tisch und setzte sich. In Gedanken war sie noch immer bei ihrem morgendlichen Ausritt.

Als sie zu Messer und Gabel griff, sagte sie: »Ach, übrigens, die Zäune sollten erhöht werden.«

»Ich weiß«, erwiderte ihr Bruder. »Du mußt dich darum kümmern.«

»Warum ich?«

»Weil ich morgen abreise.«

»Wie!? Du fährst fort? Aber warum und wohin?«

Georgi warf einen verstohlenen Blick über die Schulter.

»Zufällig nach Paris. Du darfst Mama aber nichts davon sagen. Sie glaubt nämlich, ich statte der französischen Armee einen halboffiziellen Besuch ab.«

»Wieder nach Paris?« sagte Thea erstaunt. »Ich kann mir nicht vorstellen, was dich immer wieder von zu Hause forttreibt.«

Ihr Bruder lächelte.

»Darauf gebe ich dir gern eine Antwort: Paris ist überaus amüsant, und die Frauen sind einfach phantastisch.«

Thea starrte ihn fassungslos an.

»Soll das heißen, daß du nur zum Vergnügen fährst?«

»Genau, du hast es erfaßt.«

»Und du fährst. . . allein?«

»Ich, werde nicht lange allein sein.«

»Bitte . . . nimm mich mit! Bitte!« drängte Thea in flehentlichem Ton.

»Na, dann denk mal dran, was Mama dazu sagen würde«, antwortete Georgi geringschätzig.

»Aber . . . aber wir könnten doch sagen, daß ich bei einer deiner Freundinnen bleibe.«

»Das würde Mama gewiß nicht billigen.«

»Warum nicht?«

»Weil es sich zwar um faszinierende und sehr attraktive Damen handelt, die aber für eine behütete und wohlerzogene Prinzessin gewiß nicht der geeignete Umgang sind.«

Thea machte ihrem Unwillen gehörig Luft.

»Warum bin ich kein Junge geworden!?«

»Ach, du wirst noch dahinterkommen, wie viele Männer sich freuen, daß du ein Mädchen bist.«

Thea bedachte ihn mit einem abfälligen Blick.

»Männer? Bis auf die alten Höflinge, die praktisch mit einem Fuß im Grab stehen, bekomme ich keine Männer zu Gesicht.«

Ihr Bruder goß sich Kaffee nach.

»Da muß ich dir recht geben. Aber zufällig habe ich mich gestern abend mit Papa über deine Heirat unterhalten.«

Thea traute ihren Ohren nicht.

»Meine . . . Heirat?« flüsterte sie tonlos.

»Du bist achtzehn«, fuhr ihr Bruder fort, »und Papa ist der Meinung, eine Verbindung mit einem unserer mächtigsten Nachbarländer könne die Bedeutung unseres eigenen Landes steigern.«

»Mit wem?« fragte Thea abrupt.

»Höchstwahrscheinlich mit König Otho von Kanaris.«

Entsetztes Schweigen. Es verging einige Zeit, bis Thea ihre Sprache wiederfand: »Ist das dein Ernst?«

»Ich wüßte nicht, wer sonst in Frage käme.«

»Aber er ist doch bedeutend älter als Papa!«

»Sein Land ist doppelt so groß wie unseres.«

»Aber wie könnte ich jemals einen Greis heiraten? Als ich ihn zum letzten Mal sah, waren seine Haare und sein Bart schlohweiß.«

»Sicher, für dich ist es nicht einfach«, gestand Georgi ihr zu, »aber . . . irgendjemanden mußt du heiraten.«

»Ich ... ich möchte einen jungen Mann heiraten, den ich liebe.«

Georgi lehnte sich zurück.

»Thea, du weißt so gut wie ich, daß wir an unseren Rang denken müssen. Wir sind Nachkommen des Königs und müssen bei einer Ehe in. erster Linie an unser Land, nicht an uns selbst denken. Das bedeutet, daß wir nehmen müssen, was sich bietet.«

»Wenn das deine Meinung ist, warum heiratest du nicht selbst?« fragte ihn Thea.

Ihr Bruder überlegte, ehe er sagte: »Ich weiß, daß es auch mir nicht erspart bleibt. Papa hält bereits nach einer geeigneten Frau Ausschau. Sicher wird sie alles andere als hübsch sein, dick wahrscheinlich und dazu langweilig.«

Etwas heftiger setzte er hinzu: »Deswegen zieht es mich immer wieder nach Paris. Ich will mich amüsieren, so lange ich die Möglichkeit dazu habe.«

Aus seinen Worten war ein Anflug von Härte herauszuhören.

»Muß ... ich es denn tun?« fragte sie ganz leise.

»Die Antwort kennst du.«

»Es muß doch einen Besseren geben als ausgerechnet König Otho!«

»Das sagte ich auch, als ich gestern mit Papa darüber sprach«, gab Georgi zurück, »er aber wandte ein, daß die Herrscher unserer Nachbarländer zumeist verheiratet sind und ein halbes Dutzend Kinder haben, von einem misogynen Typ wie König Ärpäd abgesehen. Bleibt also nur Otho.«

»Was heißt misogyn?« wollte Thea wissen.

»So nennt man einen Mann, der Frauen haßt«, gab ihr Bruder zurück. »Das ist meist der Fall, wenn der Mann nach einer unglücklichen Liebesaffäre zum verbitterten Zyniker wird.«

»Aber es muß noch einen anderen geben!« rief Thea verzweifelt.

»Tut mir leid, Schwesterherz«, sagte Georgi, »aber ich bin mit Papa sämtliche Möglichkeiten durchgegangen. Das Ergebnis war gleich Null.«

»Das ist unfair!« rief Thea aus. »Ich heirate Otho nicht! Ich werde mich ganz einfach weigern!«

In ihrer Angst und Erregung war sie immer lauter geworden. Sie wußte, daß sie unbedingt etwas unternehmen mußte, wenn es keine Alternative gab. Ebenso wußte sie, daß der Ehrgeiz ihres Vaters, die Bedeutung des Landes aufzuwerten, ihn unbeugsam machte. Was immer sie sagte, er würde sich dadurch nicht beeinflussen lassen.

Sie starrte Georgi über den Tisch hinweg an.

In ihren Augen schimmerten Tränen, als sie ihn anflehte: »Hilf mir, Georgi, bitte! Hilf mir!«

»Ich wünschte, ich könnte es, aber meine Lage ist ja nicht viel günstiger. Ich werde nächsten Monat einundzwanzig. Papa hat mir eröffnet, daß ich vor Ablauf dieses Jahres heiraten müsse, um die Thronfolge zu sichern.«

Thea stand auf.

»Mir wird übel, wenn ich an Papas Pläne denke.«

Sie trat ans Fenster, von dem aus man den schön angelegten Garten mit seiner Fülle von Frühlingsblumen überblicken konnte.

Thea aber sah nur das von Falten durchzogene Gesicht König Othos vor sich, dessen weißes Haar sich schon ziemlich lichtete.

Daß man ihr einen solchen Mann als Ehemann zumutete, hätte sie sich nie träumen lassen!

Thea, die schon als Kind viel allein gewesen war, als Georgi seine Ausbildung absolvierte und dann in die Armee eintrat, hatte sich bald in die Welt der Märchen geflüchtet, und sie hatte an die Märchen geglaubt, die sie las, so sehr, daß sie zu einem Teil ihres Lebens geworden waren.

In ihren Träumen hatte sie sich ausgemalt, daß eines Tages ein hochgewachsener, stattlicher Prinz in ihr Leben treten würde. In diesen Prinzen würde sie sich verlieben, und sie würden heiraten. Der Mann ihres Lebens würde Verständnis für sie haben, er würde begreifen, wie teuer Thea ihre schöne Heimat war, die hohen Berge mit den schneegekrönten Gipfeln, von denen Kostas umgeben war, der silberne Strom, der das Tal durchfloß und die Felder mit Wasser versorgte. Die Bauern waren arm, litten aber keinen Hunger, da das Land fruchtbar war und reiche Ernte brachte. Es war ein Land, dessen Frauen für ihre Schönheit, insbesondere für ihren herrlichen Teint berühmt waren. Kostas war an der Südgrenze Ungarns gelegen.

Da im Laufe der Jahrhunderte vielfache Blutsbande zwischen beiden Ländern geknüpft worden waren, gab es in Kostas viele Landeskinder ungarischen Typs, darunter viele Rothaarige.

Theas Haar war rot, vielmehr eine Mischung aus Rot und Gold, das in der Sonne wie tanzende Flammen wirkte.

Da verstand es sich von selbst, daß ihre Augen grün waren. War sie erregt, dann nahmen sie eine dunkle, fast schwarze Tönung an.

Sie hatte keine Ahnung, daß ihr Bruder sie beobachtete und insgeheim dachte, wie schön sie im letzten Jahr geworden war.

Sie würde mit jedem Jahr reizvoller werden. Ein wahrer Jammer, daß der einzig für sie in Frage kommende Ehemann König Otho war, doch das ließ sich nun mal nicht ändern. Georgi konnte nichts dagegen unternehmen.

Er hatte ohnehin sein Möglichstes getan. Er hatte sich mit seinem Vater in einen so heftigen Streit eingelassen, daß dieser außer sich geriet: »Stell dich doch nicht noch dümmer, als du bist! Wir sind zu unbedeutend, als daß wir von den Königshäusern anderer, größerer Länder überhaupt in Betracht gezogen werden!«

Und verbittert setzte der König hinzu: »Überdies verfügt Thea über keine Mitgift, die einen Anreiz darstellen könnte.«

Georgi wußte, daß dies ein wunder Punkt war. Sein Vater hatte immer unter Geldmangel gelitten, an dem vor allem seine ehrgeizigen Pläne schuld waren. So hatte er eine Riesensumme für den Umbau des Palastes und für die Anlage des Parks ausgegeben. Außerdem war die kleine Armee des Landes mit schönen bunten Uniformen ausgestattet worden und mit allerneuesten Geschützen.

Wenn man nicht in den Bergen Gold fand oder Perlen im Fluß und das war ziemlich unwahrscheinlich, wie Georgi wußte dann würde es auch in Zukunft um ihre Finanzen sehr schlecht bestellt sein, und man würde alle möglichen Kniffe anwenden müssen, um überhaupt auszukommen. Kein Wunder, daß sein Vater sich für ihn eine Prinzessin wünschte, die als Mitgift ein Vermögen mitbrachte. Da spielte es keine Rolle, ob sie dick oder dünn, hübsch oder häßlich war; war die Mitgift genügend groß, würde er sie heiraten müssen.

Der Gedanke, sein Leben lang mit einer Frau zusammenleben zu müssen, die allein unter diesem Gesichtspunkt ausgewählt worden war, ließ Georgi seine Vorbereitungen für die Reise nach Paris vorantreiben. Mochten die faszinierenden Kurtisanen dort auch sehr kostspielig sein, sie verstanden sich darauf, einen Mann alles vergessen zu lassen. Er hatte seinen letzten Aufenthalt in Paris sehr genossen. Und er wußte, daß es einige sehr reizvolle filles de joie gab, die ihn mit offenen Armen willkommen heißen würden, nicht nur, weil er ein Prinz war und es bisher immer geschafft hatte, sich sehr großzügig zu zeigen. Er war zudem ein sehr gutaussehender junger Mann. Mehr noch, die Männer von Kostas waren als wundervolle und feurige Liebhaber bekannt. Auch diese Eigenschaft hatten sie mit den Ungarn gemeinsam, ebenso wie die Tatsache, daß sie hervorragende Reiter waren.

Georgi stand auf und trat neben seine Schwester ans Fenster.

Er legte ihr den Arm um die Schulter und sagte: »Kopf hoch, Schwesterherz! Wenn wir verheiratet sind, dann werde ich dich unter irgendeinem Vorwand nach Paris oder vielleicht sogar nach England mitnehmen.«

Thea hörte ihm aufmerksam zu, und er erklärte ihr: »Einer verheirateten Frau sind viel mehr Freiheiten gestattet als einem jungen Mädchen.«

»Ich ... ich möchte aber jetzt mit dir kommen.«

»Ich wünschte, ich könnte dich mitnehmen, aber ich glaube, du würdest ziemlich schockiert sein, und außerdem würde es nicht meinem Stil entsprechen.«

Thea fügte sich seufzend.

Dann aber sagte sie ganz leise: »Glaubst du . . . glaubst du, Papa wird während deiner Abwesenheit etwas unternehmen?«

»Wenn irgend möglich, werde ich ihn überreden, es nicht zu tun«, versprach Georgi. »Andererseits möchte ich vermeiden, daß er es zum Anlaß nimmt, meine Reise zu verhindern.«

Thea seufzte wieder.

»Ja, das kann ich verstehen.«

»Du tust gut daran«, fuhr Georgi nun fort, »dich nach besten Kräften zu amüsieren. Reite so viel aus wie möglich, so lange du noch ohne Begleitung ausreiten darfst.«

Thea blieb buchstäblich die Luft weg.

»Soll das heißen . . . daß ich nach der Heirat ständig irgendeine langweilige Hofdame oder einen Adjutanten um mich haben muß?«

Georgi gab darauf keine Antwort, und sie wußte, was das hieß.

Natürlich, als Königin würde man sie wie eine Gefangene halten.

Da sie im Palast an Personalmangel litten, hatte man ihr erlaubt, allein im Park auszureiten, ohne daß ein Stallbursche sie begleitete. Es verstand sich von selbst, daß sie stets innerhalb der Mauern blieb, die den Park umgaben. Bei diesen Ausritten konnte sie sich allein und unbeobachtet ihren Gedanken hingeben, und sie konnte mit Merkur, ihrem, Pferd, Zwiesprache halten, ohne daß es jemand hörte.

Allmählich wurde ihr klar, was es bedeutete, wenn man nie allein gelassen wurde, weil man eine wichtige Persönlichkeit war.

Etwas ganz anderes wäre es, wenn ich mit jemandem zusammen ausreiten könnte, den ich liebe und mit dem ich offen sprechen könnte, dachte sie bei sich.

In den Geschichten, die sie sich erträumte, war ihr jeweiliger Märchenprinz immer ein hervorragender Reiter. Im Traum besaß er so edle und feurige Pferde wie kein anderer.

Und sie ritten allein dahin, immer weiter, einem unendlichen Horizont entgegen.

Doch wenn sie sich König Otho vorstellte, war sie ganz sicher, daß er kein guter Reiter war. Kein hervorragender jedenfalls.

Ebenso sicher war sie, daß er allergrößten Wert auf Fragen des Protokolls und Zeremoniells legen würde.

Unwillkürlich hatte sie immer versucht wegzuhören, wenn ihre Gouvernanten sie belehrten: »Eine Prinzessin darf dies nicht tun, eine Prinzessin darf das nicht tun! Königliche Hoheit, bitte daran zu denken, daß Königliche Hoheit eine Prinzessin sind!«

Und jetzt würde sie sich Ähnliches von ihrem Mann anhören müssen, nur würde es jetzt heißen: »Eine Königin tut nichts, was sie eigentlich tun möchte!«

Georgi, der zu ahnen schien, was ihr durch den Kopf ging, zog sie kurz an sich. »Ich muß jetzt gehen. Ich muß Papa zu einer Parade begleiten.«

»Aber morgen wirst du doch Zeit haben?« fragte Thea ihn.

»Man muß Gott auch für kleine Lichtblicke danken«, erwiderte ihr Bruder, »auch wenn diese, wie du weißt, sehr kurz ausfallen.«

Damit verließ er das Frühstückszimmer. Thea folgte ihm nicht. Sie blieb am Fenster stehen und starrte in den Garten, ohne bewußt etwas wahrzunehmen, da sie vor Entsetzen buchstäblich wie versteinert war.

Als sie sich schließlich ins Musikzimmer begab, wo bereits ihr Lehrer wartete, war sie totenblaß.

Ihre Gouvernante hatte man sofort nach Theas achtzehntem Geburtstag entlassen. Nur ihre Lehrer waren ihr geblieben, und mit diesen setzte sie ihre Studien fort.

Unter ihnen war ihr der liebste der alte Professor, der ihr Musikunterricht erteilte. In jüngeren Jahren war er ein in ganz Europa berühmter Künstler gewesen. Die für ihre Klugheit bekannte Königin, die in ihm den idealen Lehrer für ihre Tochter sah, hatte ihn tatsächlich als Musiklehrer für Thea gewinnen können. Der Professor lehrte Thea, sich in ihrem Spiel und auch in ihren Kompositionen auszudrücken, und sie war stets bemüht, alles, was ihr Herz höher schlagen ließ, in ihrer Musik deutlich zu machen. Wenn sie den Gesang der Vögel hörte, ging sie ans Klavier und versuchte die Lebensfreude, die sie heraushörte, entsprechend umzusetzen.

Im Musikzimmer wurde sie von dem alten Herrn bereits erwartet. Er saß und spielte einen melodiösen verträumten Walzer, der romantische Stimmungen weckte.

In Thea erwachte sofort die Erinnerung an ihren Märchenprinzen, den sie eines Tages zu finden gehofft hatte. Der Gedanke, daß König Otho ihr »Prinz« werden sollte, war für sie ein schrecklicher Schock, von dem sie sich nicht erholen konnte.

Der Professor begrüßte sie, und sie setzte sich sofort ans Klavier. Gedankenverloren spielte Thea sich all die Angst, den Kummer und den Aufruhr von der Seele, den sie verspürte, wenn sie an das ihr bestimmte Schicksal dachte.

Erst am Abend wurde Thea zu ihrem Vater befohlen. Sein Adjutant, ein Mann in mittleren Jahren, stand schon sehr lange in königlichen Diensten.

Er betrat Theas Salon und meldete: »Seine Majestät bat mich, Ihre Königliche Hoheit davon in Kenntnis zu setzen, daß er Sie in seinem Arbeitszimmer erwartet.«

Thea, die sich in ein Buch vertieft hatte, wußte sofort, daß der schicksalhafte Augenblick gekommen war. Zuvor hatte sie noch gebetet, ihr Vater möge mit dem, was er ihr zu sagen hatte, bis nach Georgis Rückkehr warten. Sie hatte sich an das Versprechen ihres Bruders geklammert, der ihn darum bitten wollte.

Jetzt war ihr klar, daß der König in seiner gewohnten Ungeduld die ganze Sache rasch vorantreiben wollte.

Noch ehe ich weiß, wie mir geschieht, dachte sie, werde ich vor dem Traualtar stehen und verheiratet sein.

Sie kämpfte mit sich, ob sie dem Adjutanten sagen sollte, sie sei zu müde und fühle sich nicht wohl und könne daher der Aufforderung ihres Vaters nicht folgen. Doch ihr fiel ein, daß sie dann am nächsten Tag nicht würde ausreiten können. Merkur, ihr Pferd, würde vergeblich auf sie warten, das einzige Wesen, das verstehen würde, wie sie sich fühlte.

»Ich muß Ihrer Königlichen Hoheit auch mitteilen«, sagte nun der Adjutant, »das Prinz Georgi im letzten Moment seine Pläne geändert hat und noch am heutigen Abend nach Paris abgereist ist.«

»Sie meinen . . . er ist. . . bereits unterwegs?« fragte Thea verdutzt.

»Seine Königliche Hoheit hat den Expreß ganz knapp erreicht. Er bat mich, Ihnen seine Grüße zu bestellen.«

Thea wußte auch ohne zu fragen genau, was sich zugetragen hatte.

Georgi hatte ihren Vater gebeten, wegen ihrer Heirat so lange nichts zu unternehmen, bis er wieder zurück war. Der König hatte dieses Ansinnen abgelehnt, und ihr Bruder war deswegen auf und davon.

Sie wußte, daß er Szenen haßte, ganz besonders Strafpredigten. Deshalb hatte er die Flucht ergriffen, und sie konnte es ihm gar nicht verdenken.

Sie wußte nur zu gut, daß er sich dem Unausweichlichen gefügt hatte.

Georgi hatte für sie nichts tun können.

Sie legte das Buch beiseite und stand langsam auf.

»Bitte sagen Sie Seiner Majestät, daß ich in wenigen Minuten bei ihm sein werde«, sagte sie.

Der Adjutant empfahl sich mit einer Verbeugung.

Thea trat vor den Spiegel, der in einem kunstvollen, von Cupidos gekrönten Rahmen an der Wand hing.

Stumm starrte sie ihr Spiegelbild an.

Dann aber sagte sie laut vor sich hin: »Spieglein, Spieglein, sag mir an, Hilf mir, sag, was tun ich kann.«

Insgeheim erwartete sie, eine Antwort zu erhalten, doch sie sah statt dessen nur ihr eigenes Spiegelbild: das kleine ovale Gesicht, die gerade Nase und die großen grünen Augen. Die letzten Strahlen der untergehenden Sonne verwandelten ihr Haar in flammendes Gold.

Mit einem Laut, der halb Stöhnen und halb Schluchzen war, drehte sie dem Spiegel den Rücken, ging aus dem Zimmer und lief die Treppe hinunter.

Das Arbeitszimmer ihres Vaters war ein sehr behaglich eingerichteter Raum. Herrschten im offiziellen Teil des Palastes vergoldete und Damast überzogene Sitzmöbel vor, so hatte der König für sein Arbeitszimmer große bequeme Ledersessel gewählt.

Das Sofa war weich wie ein Federbett, und ein großer Schreibtisch lud zum Arbeiten ein.

An den Wänden hingen zahlreiche Ahnenporträts, deren kunstvoll geschnitzte und vergoldete Rahmen mit einer Krone verziert waren. Einige wertvolle chinesische Vasen bewiesen, daß der König Kunstverständnis hatte. In jeder dieser Vasen prangte ein Fliederstrauß.

Der Raum als Ganzes war Theas Ansicht nach Ausdruck der immensen Macht ihres Vaters, denn es war unmöglich, die riesigen vergoldeten Insignien zu übersehen, die über dem Kamin hingen.

Von seinem Schreibtisch aus hatte der König sie immer vor Augen.

Sie erinnerten ihn täglich, ja stündlich und jede Minute an seine königlichen Pflichten, dachte Thea.

Als sie eintrat, stand ihr Vater mit dem Rücken zum Kamin.

»Guten Abend, meine Liebe«, sagte er. »Ich war den ganzen Tag über sehr beschäftigt, aber jetzt möchte ich mich ein wenig mit dir unterhalten.«

Thea gab ihm einen Kuß auf die Wange und setzte sich aufs Sofa. Sie wußte, was jetzt folgen würde, und faltete unwillkürlich die Hände.

»Du bist jetzt achtzehn«, begann ihr Vater, »und wir müssen langsam an deine Zukunft denken.«

»Papa, ich bin aber mit meinem jetzigen Leben sehr glücklich.«

»Und ich bin sehr glücklich, daß ich dich um mich habe, aber deine Mutter war auch achtzehn, als wir heirateten.«

Thea wollte schon sagen: ‚Sie heiratete einen Mann, der nur fünf Jahre älter war als sie.‘ Damit aber hätte sie das Vertrauen, das Georgi in sie setzte, verraten, und ihr Vater hätte gewußt, daß Georgi mit ihr bereits über die Heiratspläne gesprochen hatte.

»Ich habe mir reiflich überlegt«, fuhr der König fort, »welche Verbindung unserem geliebten Land den größten Nutzen bringen würde.«

Er machte eine Pause, als erwarte er, Thea würde sich dazu äußern.

Als sie kein Wort sagte, fuhr er fort: »Zufällig erhielt ich heute einen Brief von König Otho, in dem er anfragt, ob er uns in vier Tagen besuchen dürfe.«

Thea hielt den Atem an und verkrampfte die Finger.

»Ich habe so eine Ahnung, daß er geradezu hellseherisch meine Pläne vorausahnte«, fügte der König hinzu.

»Und wie sehen diese Pläne aus, Papa?« fragte Thea mit einer Stimme, die ihr selbst fremd in den Ohren klang.

»Eine Verbindung zwischen Othos Land und dem unseren würde uns sehr zum Vorteil gereichen.«

Er warf seiner Tochter einen schnellen Blick zu.

»Deshalb antwortete ich ihm, daß wir ihn herzlich willkommen heißen und seinem Besuch mit großer Freude entgegensehen.«