Inhaltsverzeichnis


Einführung

Vorwort
Kurzbiografie Gerhard Richter

Gerhard Richter im Gespräch

„Mich interessiert der Wahn“
Der Maler spricht mit dem SPIEGEL über seine Suche nach Schönheit

Annäherungen an Gerhard Richter

Wenn’s knallt
Die Arbeitsweisen des erfolgversprechenden Malers
Strich am Bau
Für eine westfälische Berufsschule liefert Gerhard Richter zwei paradoxe Riesenbilder
Einfach ein Bild
In Düsseldorf wird Richters Werk im Überblick gezeigt
Das Ende der RAF, gnädig weggemalt
Gerhard Richters Bilderzyklus „18. Oktober 1977“
Ein Strahlemann kehrt zurück
Wie Richter dem Medienzeitalter grandiose Bilder ohne einheitlichen Stil abtrotzte
Selbstentblößung in Schmelz und Wut
Autobiografische Elemente im Werk von Gerhard Richter
„Wunden kann ich nicht malen“
Interview mit Richter über seinen Bilderzyklus, der bei der Biennale von Venedig 2001 gezeigt wird
Die Entdeckung des Himmels
Richters „Wolken“ hing 25 Jahre lang versteckt im Landesamt für Statistik in Düsseldorf
Der Maler löst den Bann
Der Schriftsteller Botho Strauß über Abbild und Wirklichkeit am Beispiel von Richters „übermalter Fotos“
Der Zerstörer
Warum Gerhard Richter Dutzende seiner Bilder vernichtete
Vom Schnappschuss zur Kunst
Ausstellung der Richter-Editionen in Berlin
Leicht verwischt
Eine junge Künstlergeneration arbeitet sich an Maler-Übervater Richter ab
Inventur der Eindrücke
„Atlas“, Richters Fundus der Bildideen in einer Münchner Ausstellung
Vermischtes
Kurze Meldungen, Auszüge und Zitate aus SPIEGEL-Artikeln 1971–2018

Anhang

Impressum
Einführung • Einleitung

Vorwort

Im Jahr 1968, vor fünfzig Jahren also, erschien im SPIEGEL ein großer Artikel über den damals 34 Jahre alten Maler Gerhard Richter. Seither haben Redakteure des Nachrichtenmagazins immer wieder über ihn berichtet und sprachen mit ihm.
Regelmäßig schien und scheint er das Publikum, auch die Experten vor Rätsel zu stellen. Ein Porträt seines verstorbenen Onkels, ein anderes seiner Tochter wirken so brisant und aufgeladen wie das der toten RAF-Häftlinge, die er malte. Seine abstrakten Gemälde können unglaublich kühl und kühn sein oder als riesige Farbwellen und -welten die Augen (und die Seele) des Betrachters fluten. 
Heute ist Richter der berühmteste Maler dieser Zeit, es heißt oft, er habe wie kein anderer die Malerei erneuert. Das stimmt, überhaupt treffen viele Superlative zu. 
Richter selbst spricht anders über sich und seine Kunst, zurückhaltender und differenzierter, doch immer wieder hat er Überraschendes eingeflochten, etwa, als er das Porträt erwähnte, das er von seiner Tochter Betty malte: Er sagte, er habe zuerst Bedenken gehabt, er sei ihm zu filmisch erschienen, er habe an Hitchcocks Thriller „Psycho“ denken müssen, an den Moment, als der Mörder darin einen Stuhl umdrehte und man das Gesicht der mumifizierten Mutter sehe. „Aber das Eigentliche, was da zur Wirkung kommt, ist doch vielmehr eine schmerzliche Wehmut über Verlust und Trennung und was da so in die Richtung geht.“ 
Seine Bilder, die gegenständlichen wie die abstrakten, berühren etwas in den Menschen. 
Dass seine Werke gelegentlich den Besitzer wechseln und auf dem Auktionsmarkt zu Rekordsummen versteigert werden, schien ihn immer am wenigsten zu interessieren, im Gegenteil, solche Meldungen waren ihm eher unangenehm. 
Seit einiger Zeit wächst die Faszination auch an seiner Biografie, Richters Leben ist mit der Zeitgeschichte, mit der Geschichte des Landes verknüpft: Geboren 1932 in Dresden, wuchs er in den Jahren der NS-Diktatur auf, wurde erwachsen in der DDR, flüchtete kurz vor dem Mauerbau in den Westen. Hier schrieb er Kunstgeschichte und schreibt sie bis heute.
Nach einer tabellarischen Übersicht steht am Beginn dieses E-Books ein viel zitiertes, umfassendes SPIEGEL-Gespräch mit Gerhard Richter aus dem Jahr 2005, in dem der Maler sehr grundsätzlich über sich und seine Kunst spricht. Es schließen sich, chronologisch geordnet, 13 Artikel aus sechs Jahrzehnten an. Das Buch schließt unter der Rubrik „Vermischtes“ mit Meldungen, Auszügen und Zitaten, die in knapper Form Licht auf das Leben und Schaffen des Malers werfen.

Ulrike Knöfel 
Einführung

Kurzbiografie Gerhard Richter

Geboren am 9. Februar 1932 in Dresden 
Umzug der Familie ins sächsische Reichenau 1935, später nach Waltersdorf nahe der tschechischen Grenze
1947 besucht Richter die Handelsschule in Zittau, belegt zudem einen Abendkurs in Malerei 
1948 Anstellung in einem Betrieb, der Polittransparente für die DDR-Regierung herstellt 
1950 stellt ihn das Stadttheater Zittau als Gehilfe in der Prospektmalerei ein (und wird entlassen, weil er sich weigert, das Treppenhaus zu streichen) 
Richter wechselt zur Deutsche Werbe- und Anzeigengesellschaft in Zittau, bewirbt sich (zum zweiten Mal) an der Hochschule für Bildende Künste Dresden, wird angenommen  
Im Sommer 1951 beginnt er sein Malerei-Studium in Dresden. Er erhält in den 1950er Jahren mehrfach Genehmigungen für Reisen nach Westdeutschland 
Studienabschluss 1956, anschließend nimmt er an einem Programm zur Förderung vielversprechender Künstler teil 
1957 Heirat mit Marianne (Ema) Eufinger  
Im Frühjahr 1961 flüchten beide nach Westdeutschland, Richter beginnt erneut ein Studium, dieses Mal an der Kunstakademie Düsseldorf, 1964 schließt er dort ab 
1968 Geburt der Tochter Betty 
1972 vertritt Richter Westdeutschland auf der 36. Biennale in Venedig, zudem nimmt er das erste Mal auf der Documenta in Kassel teil, bis heute war er dort acht Mal eingeladen. Sein Ruhm wächst in den nächsten Jahren stetig, auch international 
Nach der Scheidung von seiner ersten Ehefrau Ema heiratet er 1982 die Künstlerin Isa Genzken, sie ziehen nach Köln, die Ehe währt elf Jahre 
1995 erwirbt das Museum of Modern Art in New York Richters so genannten RAF-Zyklus (entstanden 1988, Titel: „18. Oktober 1977“). In Deutschland wird darüber debattiert, wo diese Gemälde-Serie eigentlich hingehört  
Seit 1996 ist Richter mit der Malerin Sabine Moritz verheiratet, das Ehepaar hat drei Kinder  
Richter zählt, heute sogar mehr denn je, zu den Künstlern, die weltweit am häufigsten in Ausstellungen geehrt werden 
Gerhard Richter im Gespräch
DER SPIEGEL 44/2013

„Mich interessiert der Wahn“

Der Maler Gerhard Richter über die viel zu teure Gegenwartskunst, über Schönheit als Programm gegen die Verwahrlosung und seine künstlerische Auseinandersetzung mit einer schwierigen Familiengeschichte. Von Susanne Beyer und Ulrike Knöfel 
SPIEGEL: Herr Richter, Ihre Bilder erzielen auf Auktionen Höchstpreise, Sie gelten als der teuerste Künstler der Welt. Je berühmter Sie wurden, je mehr man Sie weltweit feierte, desto mehr wurde betont, wie scheu und unnahbar Sie seien. Lebt es sich gut als hochgehandeltes Geheimnis?
Richter: Sicherlich, obwohl ich mich selbst nicht als Geheimnis sehen kann. Ich bin nur relativ zurückhaltend. Ich war nie gut im Reden, habe keinen Spaß daran, das macht etwas scheu. Außerdem bin ich grundsätzlich skeptisch mir selbst gegenüber und anderen gegenüber natürlich auch. Und so bin ich mir auch nie sicher, ob das, was ich tue, richtig, ob es gut ist.
SPIEGEL: Das können wir dem begehrtesten Künstler der Welt leider nicht abnehmen.
Richter: Das müssen Sie aber. Bei anderen habe ich diese schöne Sicherheit immer bewundert. Zum Beispiel die fundamentale Selbstgewissheit bei meinem Kollegen Georg Baselitz, der kann sich leicht auf ein Podium stellen und losreden. Oder früher als Akademiestudent, da erstaunten mich Kommilitonen, die pfeifend vor ihren Bildern saßen, so begeistert waren sie von ihren eigenen Sachen. Ich bin beim Malen eher enttäuscht, dass es bloß wieder ein Bild geworden ist.
SPIEGEL: Bloß ein Bild - um das sich dann der Weltkunstmarkt reißt. Herr Richter, Ihre Bescheidenheit wirkt kokett.
Richter: Zur Selbstzufriedenheit gibt es gar nicht so viel Grund. Warum sollte ich nicht etwas kleinlaut werden bei der Konfrontation mit all den Meisterwerken der Kunstgeschichte? Über das Eigentliche, die Kunst, kann man sowieso nicht reden. Man kann nicht erklären oder gar beweisen, was an einem Bild des niederländischen Altmeisters Pieter Saenredam so gut ist, das kann man nur sehen. Aber zum Trost: Unsicherheit kann ein ganz guter Motor sein.
SPIEGEL: Sind unsichere Menschen bessere Künstler?
Richter: Keine Ahnung. Ich weiß ja nicht, wie der Herr Rubens gewesen ist.
SPIEGEL: Wir haben aber den Eindruck, dass Sie Ihre Zurückhaltung ablegen. Sie haben in den vergangenen Jahren Ihre Geburtsstadt Dresden für sich wiederentdeckt und auch Ihre Freude darüber bekundet. Sie haben wichtige Werke ins Dresdner Museum Albertinum gegeben und wollen dort jetzt auch ein Richter-Archiv mit Dokumenten zu Ihrem Leben, Ihrem Werk unterbringen. Sind Sie tatsächlich dabei, das Geheimnis um sich selbst zu lüften?
Richter: Nochmals: Es gibt kein Geheimnis. Aber ich denke, dass ich nun - mit 73 Jahren - nicht mehr so viel Grund habe, scheu zu sein. Es bringt ja nichts. Man kann ohnehin nicht immer alles richtig machen oder sagen. Ich kann vieles jetzt entspannter sehen.
SPIEGEL: Und doch müssen Sie als Künstler schon immer sehr selbstbewusst gewesen sein: In den sechziger Jahren sind Sie angefeindet worden, weil Sie nach Fotovorlagen malten - was ungewöhnlich war und viele irritiert hat. Aber Sie haben unbeirrt weitergemacht.
Richter: Ja, ja, so allein für mich gab es diese Seite bei mir schon immer, eine Art instinktives Wissen von dem, was gut und schlecht ist. Ich sehe viele Landschaften, fotografiere davon Hunderte, male davon eine oder zwei; ich kann daraus schließen, dass ich weiß, was ich will. Und das scheint mir doch eine gewisse Sicherheit zu geben.
SPIEGEL: Sind die Preise, die für Ihre Werke bezahlt werden, nicht schon Grund genug, selbstbewusst zu sein? Es geht da um Millionen, die ein Auktionator erzielen kann. So mancher Sammler dürfte reich geworden sein, als er ein frühes Bild von Ihnen zur Versteigerung eingereicht hat.
Richter: Von solchen Rekordsummen zu hören ist natürlich erst mal sehr erfreulich, und zugleich ist es erschreckend. Vor allem aber taugt so was nicht als Motivation zur Arbeit. Wenn ich nicht gut drauf bin, nehme ich solche Erfolge sogar als Zeichen, dass die Zeiten verdorben sind, dass die Käufer nichts von Kunst verstehen, dass ich sie vielleicht betrogen habe und dass sie viel zu viel bezahlt haben. Und das tun sie ja nun tatsächlich: allgemein viel zu viel für Kunst zahlen. Da besteht doch ein völliges Missverhältnis zwischen dem Wert und der Relevanz von Kunst und diesen wahnwitzigen Preisen, die dafür gezahlt werden.
SPIEGEL: Was soll so furchtbar daran sein, viel Geld für Kunst auszugeben?
Richter: Es gibt ja auch Käufer, die ein Werk per Telefon ersteigern, das sie nie gesehen haben. Das ist kein Kunstverständnis, das ist Verwahrlosung und gehört zum Kulturabbau. Der Sinn und das Interesse für Kunst verschwindet. Vielleicht geht es den Menschen darum, ihr Kapital anzulegen. Aber es ist nicht so, dass sie die Kunst noch brauchen.
SPIEGEL: Und ob sie das tun. Die Leute laufen doch in Massen gerade in Ihre Ausstellungen, dabei machen Sie es dem Publikum nicht immer leicht. Sie sorgen dafür, dass man Ihren Bilder-Kosmos schwer deuten kann. Da wechseln sinnliche Landschaften mit strengen Farbtafeln oder schwelgerischbunter Abstraktion. Von einer „unerbittlichen Neutralität“ Ihrer Kunst war mal die Rede. Selbst die Kritiker scheinen nicht schlau aus Ihnen zu werden.
Richter: Warum sollten die per se klüger sein als andere Kunstinteressierte? Sie haben nur das schwierige Los, sofort formulieren zu müssen, was die Bilder meinen. Da kommt es dann zu Behauptungen wie der, dass es sich bei meinen Gemälden um Malerei über Malerei handelt, dass das also gemalte Konzeptkunst sei, distanziertes Virtuosentum, Verweigerung, Verschleierung und was weiß ich.
SPIEGEL: Das sind Begriffe, mit denen Ihre Kunst seit 30, 40 Jahren beschrieben wird. Alles falsch?
Richter: Ja. Denn die Sache ist viel einfacher, meine Bilder sind viel mitteilsamer als die der meisten meiner Kollegen. Ich verschleiere doch kaum etwas. Im Gegenteil: Mir ist das fast peinlich, dass ich mich, mein Leben in den Bildern so ablesbar zeige.
SPIEGEL: Heute weiß man, dass es sich bei den Menschen auf Ihren Porträts oft um Familienmitglieder handelt und welche Geschichten sich da verbergen - das Bild Ihrer Tante Marianne etwa, die im Februar 1945 umkam, oder Ihr Onkel Rudi in Wehrmachtsuniform. Warum sind die autobiografischen Bezüge in Ihrem Werk so lange ignoriert worden?
Richter: Ich hatte gar kein Interesse daran, dass darüber gesprochen wird. Ich wollte doch, dass man die Bilder sieht und nicht den Maler und seine Verwandten, da wäre ich doch irgendwie abgestempelt, vorschnell erklärt gewesen. Tatsächlich hat mich das Faktische - Namen oder Daten - auch gar nicht so interessiert. Das alles ist wie eine andere Sprache, die die Sprache des Bildes eher stört oder sogar verhindert. Man kann das mit den Träumen vergleichen: Sie haben eine ganz spezifische, eigenwillige Bildsprache, auf die man sich einlassen oder die man vorschnell und falsch übersetzen kann. Natürlich kann man Träume auch ignorieren, nur wäre das schade, sie sind ja nützlich.
SPIEGEL: Inzwischen werden all Ihre Werke und Ihre Biografie bis ins kleinste Detail durchleuchtet. Als Sie vor ein paar Jahren Bilder präsentierten, auf denen Ihre Frau Sabine und Ihr kleiner Sohn Moritz zu sehen waren, galt das wie eine Offenbarung, als Richters Bekenntnis zu einer neuen Empfindsamkeit - kein Feuilleton, das nicht darüber berichtete.
Richter: Diese Art der Berichterstattung führt von den Bildern weg, da wird ein ganz anderer Bedarf gedeckt, der nach Klatsch. Ich kann das auch verstehen. Wenn ich beim Zahnarzt in der „Bunten“ blättere, unterhält mich Klatsch ja auch. Zum Werkverständnis können biografische Details nur bedingt beitragen, und natürlich muss man erst einmal das Bild kennen. Man glaubt halt gern, dass man Francis Bacons Bilder deshalb so viel besser versteht, weil man erfahren hat, dass er schwul ist.
SPIEGEL: Anfang September erscheint ein Buch des Journalisten Jürgen Schreiber über Ihre Tante Marianne, die in den vierziger Jahren Opfer eines Euthanasie-Mordes wurde. Ihr erster Schwiegervater, ein Medizinprofessor in Dresden, war in solche Untaten verstrickt. All das wird in dem Buch rekonstruiert - der Ausgangspunkt ist ein von Ihnen gemaltes Bild Ihrer Tante. Passt Ihnen das?
Richter: