VORWORT

Wie Sie gesund alt werden und dabei sogar noch Spaß haben können

Einer weitverbreiteten Vorstellung entsprechend bedeutet Anti-Aging-Medizin, dass einem der Arzt alles verbietet, was Spaß macht und schmeckt. Als Folge wird man zwar 100 Jahre alt, weiß dann allerdings nicht, wie man seinen Geburtstag feiern soll.

Viele der einschlägigen Anti-Aging-Ratgeber bestätigen dieses Klischee. Die Handlungsanweisungen für die angehenden Hundertjährigen sind dabei immer die gleichen: Nicht rauchen, keinen Alkohol trinken, weniger essen, die Sonne meiden. Stattdessen lautet das Rezept für eine möglichst lange Restlebenszeit »Turne bis zur Urne, Fasten ohne Rasten«.

Es gibt Leute, denen macht so etwas Spaß. Es gibt aber auch Menschen, die winken angesichts derartiger Perspektiven gelangweilt ab. Sie vertreten eher den Standpunkt: Macht euren Hundertjahresplan mal ohne mich. Ich genieße lieber mein Leben.

Die Hinweise verdichten sich, dass die zweite Gruppe mit ihrer Einstellung gar nicht so falsch liegt. Es könnte sogar sein, dass deren Vertreter nicht nur besser, sondern auch länger leben. Denn ganz offensichtlich sind es nicht unbedingt die verknöcherten Gesundheitsapostel, denen als Belohnung für ihr asketisches Dasein ein Methusalemalter winkt. Die sinnenfrohen Genussmenschen dürfen sich nach neueren Studien ebenfalls Hoffnungen machen. Ihr Lebensstil wird immer mehr zu einem Rollenmodell für erfolgreiches Altern.

Zu viel »Schonung« kostet Lebensjahre

Was berechtigt uns zu einer solchen Aussage? Es ist vor allem die Abkehr von einem allzu simplen und mechanistischen Bild unseres Körpers. Im Gegensatz zu einer lange verbreiteten Vorstellung ist unser Körper eben keine Maschine, die sich allmählich abnutzt und verschleißt und von der man, um ihre Lebensdauer zu erhöhen, alle schädigenden Einflüsse möglichst fernhalten muss. Unser Organismus ist vielmehr ein überaus dynamisches biologisches System, das auf ganz beachtliche Weise in der Lage ist, auf Belastungen, Stress und Schädigungen aller Art höchst flexibel zu reagieren.

Mehr noch: Wir brauchen derartige Belastungen sogar, um unsere Gesundheit zu erhalten, um unsere Fitness zu trainieren und um uns körperlich und geistig weiterzuentwickeln. Maschinen mögen länger halten, wenn sie wenig benutzt werden oder gleichmäßig im Schongang laufen. Wir nicht. Wir profitieren am meisten, wenn wir immer mal wieder voll aufdrehen. Wir brauchen nicht nur Ruhe, wir brauchen auch Stress. Wir müssen uns nicht immer nur mäßigen, wir dürfen auch gelegentlich über die Stränge schlagen. Die maßlosen Appelle zur Mäßigung sind daher wenig zielführend. Wer nicht genießt, wird nicht nur ungenießbar – er hat auch die falsche Altersstrategie.

Die Genussmenschen setzen da offensichtlich auf das wesentlich bessere Programm. Was sie lange Zeit mit schlechtem Gewissen praktiziert haben, erweist sich ­immer mehr als der Königsweg zur Langlebigkeit.

Harmonie heißt: Bewegung und ständige Veränderung

Dass Genießer länger leben, klingt ja fast zu schön, um wahr zu sein. Denn widerspricht es nicht all jenen philosophischen und medizinischen Auffassungen, die gerade in der Mäßigung, der Ausgeglichenheit und der Harmonie den Schlüssel zu einem gelungenen und gesunden Leben sehen?

Nein, überhaupt nicht. Denn Ausgeglichenheit und Harmonie entstehen ja nicht dadurch, dass wir uns ständig nur auf einem »gesunden Mittelweg« bewegen. Wir sollten lieber versuchen, mit dem hin und her schwingenden Wechsel zu leben. Go with the flow.

Nichts versinnbildlicht dieses Konzept von Harmonie besser als das berühmte Yin-Yang-Symbol des chinesischen Taoismus. Ausgeglichenheit entsteht dabei durch die Vereinigung von Gegensätzlichem. Schwarz und Weiß, Tag und Nacht, Bewegung und Ruhe, Männlich und Weiblich – beides gehört zusammen und beides greift sogar ineinander über. Aber die Gegensätze nivellieren einander nicht. Sonst wäre das Resultat ein tristes Grau.

Die alte Weisheit des Ostens wird durch die neuen Erkenntnisse der Medizin in erstaunlicher Weise bestätigt. Konkret besagen die Folgendes: Gesundheit stellt sich nicht ein durch das rigide Befolgen eines gleichförmigen Lebensstils. Gesundheit entsteht vielmehr durch das Ausbalancieren gegensätzlicher Pole. Das Leben ist keine Gerade. Es ist eine Sinuskurve.

Harmonie bedeutet nicht die Nivellierung von Gegensätzen. Die Kunst ist vielmehr, diese Gegensätze kreativ auszubalancieren.

Spazieren Sie auf dem Boulevard der Möglichkeiten, die das Leben bietet

Obiger Erkenntnis ist der vorliegende Ratgeber verpflichtet. Speziell für Genussmenschen enthält er einige ebenso erstaunliche wie erfreuliche Neuigkeiten aus der Welt der Anti-Aging-Medizin. Der Weg zu einem langen Leben in guter Gesundheit ist nicht der schmale Pfad der Askese. Es ist ein breiter Boulevard der Möglichkeiten, an dessen beiden Seiten viele aufregende Entdeckungen auf uns warten. Lassen Sie uns diesen Weg gemeinsam gehen.

Wohl denen, die das Leben genießen – denn sie haben recht!


Prof. Dr. med. Bernd Kleine-Gunk, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Anti-Aging-Medizin (GSAAM)