Roman Nies

Auflösung und Erlösung des Kosmos

Der Brief an die Kolosser

Auflösung und Erlösung des Kosmos

Der Brief an die Kolosser

Eine heilsgeschichtliche Auslegung

von

Roman Nies

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Würdigkeit und Wandel    Kol 1,5-11

Die Merkmale der Gemeinde Jesu Christi    Kol 1,9-12

Vom finsteren Schein ins lichte Sein    Kol 1,13-14

Der sichtbar werdende Gott    Kol 1,15

Die Vollendung des Alls durch Christus    Kol 1,16-17

Der unversöhnliche Mensch    Kol 1,21-22

Sofern im rechten Glauben gegründet    Kol 1,22-23

Verborgene Auftragslage    Kol 1,24-29; 2,2-3

Der Kampf gegen Irrung und Verführung    Kol 2,6-8

Die Fülle der Gottheit    Kol 2,9-15

Gegen das Schattenhafte    Kol 2,16-23

Der alte und der neue Mensch    Kol 3,1-17

Ordnungen in Christus    Kol 3,18-23; 4,1.10.11. 16-18

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Vorwort

Der Brief des Apostels Paulus an die Kolosser ist ein kolossales Werk nicht nur hinsichtlich seiner Bedeutung für die Theologen und Bibelausleger. Es gibt außerhalb des Neuen Testaments kein literarisches Werk, welches so Großartiges zu sagen hat zur Stellung des Menschen im Kosmos, seiner Beziehung zum Schöpfer des Kosmos und seiner Bestimmung im Kosmos. Der Kolosserbrief offenbart, warum es die Schöpfung gibt, was der Mensch darin soll und wie es Gott schafft, die Menschheit zum großen Ziel zu bringen, wofür sie geschaffen worden ist. Was für den Menschen kolossal im Anspruch erscheint und herausfordernd im Herandenken, ist für Gott nur fahrplanmäßige und exakte Durchordnung vom Groben bis zum Feinen.

Gerade im Kolosserbrief wird die Kosmologie besonders hervorgehoben. Dabei ist im Sinne von Paulus und den Verfassern des Neuen Testaments nicht an eine wissenschaftliche Beschreibung der sichtbaren Kräfte und physikalischen Gesetzmäßigkeiten des Universums zu denken,*1 ja, es geht noch nicht einmal um Ursachenforschung auf der metaphysischen Ebene, sondern es geht um die ersten und letzten Wahrheiten, mehr noch, um den Zweck, den Sinn, das Ziel des Ganzen.

Kosmologie bei Paulus ist nicht bloß ein Teilgebiet der Astronomie, das in enger Beziehung zur Astrophysik steht, sondern das Wirkungsgebiet des Gottes, der Himmel und Erde erschaffen hat. Er hat sie nicht einfach aufgeworfen, um sich irgendwie damit auseinanderzusetzen oder herabgeworfen, um sich an ihnen schadlos zu halten. Er hat sie in Gang gesetzt, um sie zu vollenden. Der Kosmos steht in einem engen Wirkzusammenhang mit dem Menschen, der geistigen Gesetzmäßigkeiten ausgesetzt, aber auch Freiheiten zugeführt werden soll, die weit über das bloß Physische und noch unfertig Geschaffene, das die Bibel auch das Sichtbare nennt, hinausgehen. Der Geist des Menschen ist ebenso wenig eine Funktion des Kosmos wie der Geist Gottes eine zwingende Erscheinung darin ist. Denn es kommt auf die Wahrnehmbarkeit an. Sie hat beim Menschen Grenzen, bei Gott nicht. Daher muss es klar sein, dass der Mensch im physischen Kosmos nicht alles Geschaffene finden oder erklären, viel weniger sehen kann. Was in einem nichtphysischen Teil des Kosmos stattfindet, in den Überhimmeln oder im Jenseits muss ihm offenbart werden, wenn er davon etwas wissen will. Und das tut niemand so sehr wie Paulus in seinen Briefen. Der weltliche Mensch weiß sehr wenig. Der Ausschnitt der Wirklichkeit, die ihm geläufig ist, ist vermutlich unter 1 %. Und trotzdem reißt er den Mund auf, als wüsste er wenig unter 99%.

Die Christologie, die Paulus im Kolosserbrief entbietet, ist deckungsgleich mit seiner Kosmologie. Das bedeutet, dass alles was ist, von Christus ausgeht und zu Christus hinführt und nur in Ihm überhaupt seine Bestimmung von Gott her erreichen kann. Geistige Wesen können sich andere Bestimmungen zum Ziel setzen. Sie bleiben jedoch nur von vorübergehender Relevanz, sind sie doch selber dazu bestimmt, das Ziel, das ihnen Gott gesetzt hat, zu erreichen. Die Freiheit von geistigen Wesen scheint darin zu bestehen, herumzuirren, bis sie auf die Weisheit Gottes gestoßen sind und sich endlich danach ausrichten dürfen. In Wirklichkeit besteht aber die Freiheit darin, der Bestimmung folgen zu dürfen, weil ja alles andere tatsächlich in eine Unfreiheit und Gebundenheit der einen oder anderen Art führt. Und Paulus verdeutlicht das auch im Kolosserbrief. Es gibt kein Ausweichen von der Realität Gottes. Zu dieser Realität gehört Sein Ratschluss und das Ziel, das Er sich gesetzt hat! Es gibt ein Zaudern in den gegebenen Freiheiten, ein noch so eifriges Drumherum, ein kleines menschliches Brausen und plumpes Dröhnen. Aber der Ton kommt nicht gegen den Töpfer an. Er wird so lange mit Wasser bearbeitet, bis die Form passt. Dann wird er dem Feuer ausgesetzt, damit er, nun formgerecht, gebrauchsfertig wird.

Wer von der kosmologischen Christologie, das heißt der uneingeschränkten Wirkweite des Heilandes und Weltenarchitekts, nichts weiß und glaubt, dass das Licht des Töpfers nicht die Dunkelheit auslöschen kann, weiß nicht, was die Welt und den Menschen im Innern bewegt. Er lebt im Grunde bewusstseinsmäßig an der höchsten Realität vorbei. Und dennoch kann er sich dem nicht entziehen, denn er ist Teil des Ganzen und das Ganze findet seine Ordnung und seinen Platz in Christus, bis zur Vollendung des Kosmos. Der ist eine ganze Ton-Welt, in der am Ende alles harmonisch seinen Platz gefunden haben wird, wie man es sich von einer Komposition nicht idealer wünschen kann.

Paulus lehrt also, dass der Kosmos nur dann seine Bestimmung einer verherrlichten Schöpfung erreichen wird, wenn sich alles, was geschaffen wurde, Christus unterordnet und von Ihm eingliedern lässt in die göttliche Ordnung, die von Anfang an die Verherrlichung Gottes zum Ziel hatte. Sie entfaltet zunächst noch weitgehend unsichtbar ihre Ordnungsmacht, läuft aber spurtreu immer erfahrbarer auf das Ziel zu. Das bedeutet aber unmissverständlich, dass der Heiland alles heil machen muss, wenn Er dieses Ziel verwirklichen will. Paulus lehrt nirgendwo einen Dualismus, der länger bestehen könnte als er dienlich ist, um aus zwei ungleichen Dingen endlich eine Vereinigung zu etwas Größerem und Herrlicherem werden zu lassen, als vorher war.

Was bei Menschen nicht möglich ist, ist bei Gott nicht nur nicht unmöglich, sondern Schöpfungsvorgabe: Er macht alles neu, nicht indem Er das, was alt ist, aufpoliert und frischen Glanz aufträgt, sondern indem Er das Schattenhafte benutzt, um es durchzulichten. Es ist wie bei einem Vater, der seinen Sohn einer Vielfalt von widrigen Umständen aussetzt, an denen er sich bewähren und seine Sinne schärfen kann. Das Heil durch Christus ist eine Durchlichtung, die auch bei der Finsternis – das heißt bei allen Menschen - das Programm auf Lichtwerdung stellt. Eine ganz neue Qualität entsteht, eine göttliche Qualität, eine göttliche Herrlichkeit, eine göttliche Freude, ein göttliches Wohlgefallen.

Die sehr früh gefallene, das heißt von Gott entfremdete Schöpfung wird in eine vergöttlichte, das heißt mit Gottes Willen und Wohlgefallen eins gemachte Schöpfung verwandelt. Aus dem Fernsein wird ein Nahesein, aus dem Zweisein wird ein Einssein. Aus Trennung und Tod wird Zusammenkunft und Leben nach göttlicher, gedeihlicher, wachstümlicher Art.

Und das alles geschieht durch und in und zu Christus (Röm 11,36). Warum? Weil Er der Vermittler ist zwischen dem Idealen und Göttlichen einerseits und dem Unheiligen und Unfertigen andererseits. Christus ist Mensch geworden und Mensch geblieben. Er war Gott und ist Gott geblieben. Und nur daher kann Er der ideale Vermittler sein. Ohne selbst geschaffen zu sein, ist Er doch ein vom Vater Gezeugter. Er wurde ins Menschliche hineingezeugt, um die Menschen aus dem bloß Menschlichen herauszeugen und ins Göttliche hinein zeugen zu können. Daher spricht das Neue Testament vom Christus als Menschensohn und Gottessohn, als dem Erstgeborenen oder Erstgezeugten (Kol 1,15) und vom Omega, dem Vollender der Schöpfer, nachdem Er als Alpha, dem Beginner der Schöpfung, angefangen hat. Es gibt kein Heil, kein Ganzwerden, kein Vollenden ohne Ihn, der alles angefangen hat (Joh 1,1ff), wie es auch hier im Kolosserbrief heißt (Kol 1,16), und der auch alles zur Vollendung bringen wird, so dass am Ende dieser Kosmos-Zeit alle Knie sich in Anbetung, Dankbarkeit und Lobpreis Ihm beugen werden.

Christus ist der König Israels, das Haupt der Gemeinde seines Leibes. Diese beiden Abteilungen darf man nicht durcheinander bringen. Beide, Israel und die Gemeinde haben eine wichtige Ordnungsfunktion, die Gott in Kraft setzt, wo und wann Er es in Seinem Heilsplan für die Schöpfung vorgesehen hat. Sie haben keinen Selbsterfüllungszweck wie sowohl von Vertretern des Volkes Israel, als auch von Vertretern derer, die sich als Zugehörige des Leibes Christi in den zahlreichen Kirchen verstehen möchten, behauptet wird. *2 Beide haben Gott sei Dank nicht Recht. Sie erkennen daher nur einen Ausschnitt des Heilsplanes Gottes und meinen, das Wichtigste schon erkannt zu haben.

In Israel meint man, Gott würde sich mit einem Bund, der im Idealfall wie ein Ehebund sei, zwischen Ihm und dem Volk Israel zufrieden geben. In den Kirchen meint man, Gott würde sich mit ihrer Kirche – und noch nicht einmal mit allen Kirchenmitgliedern – zufrieden geben, wenn Er sie dann in den Himmel verfrachtet hat. Das ist naiv und zu kurz gedacht. Vor allem ist es nicht biblisch und entspricht nicht der Wahrheit, für die Jesus Christus steht. Für die Wahrheit, die das ganze Heilsprogramm Gottes enthält, ist Er ans Kreuz gegangen. Er hat Sein Leben als Mensch hergegeben, damit die Menschen das Leben gewinnen können. So steht bei jedem Menschen am Anfang seines Erfolgsweges im Sinne des Wohlgefallen Gottes das Siegeszeichen des Kreuzes. Das ist seine Lebensversicherung. Das Kreuz hat Gott persönlich aufgepflanzt, um alle zu sich zu ziehen.

Der Kolosserbrief tut kund, was diese Wahrheit bedeutet: Gott wohnt mit Seiner ganzen Fülle in Christus, um durch Ihn alles zu versöhnen (Kol 1,19). Alles in den Himmeln und auf der Erde, und unter der Erde, alles im Kosmos führt Gott zu Christus, damit es von Christus den Frieden und die Freude erfährt, die sich nach der Versöhnung einstellen (Kol 1,20).

Man könnte auch sagen, die Bibel führt erzählerisch und berichtend das aus, was der Kolosserbrief zusammenfasst und auf die Kernaussage reduziert. Der Kolosserbrief ist auch eschatologisch. Er sagt an, was endgeschichtlich zu erwarten ist. Man muss aber schon die anderen Briefe von Paulus lesen, oder auch die Endzeitreden von Jesus in den Evangelien und die Offenbarung nach Johannes, um zu begreifen, dass die bisherige leidvolle Erfahrung der Menschheit mit dem schmerzhaften Dualismus zwischen Wollen und Nichtkönnen, zwischen höllischen und himmlischen Erfahrungen, zwischen dem Fernsein von Gott und dem Ruhen in Christus noch lange nicht überwunden ist.

Der Mensch muss durch große Tiefen gehen, damit er die Höhen als solche verstehen und erleben kann. Eine Alltagserfahrung, die sich ohne Widerspruch in das kosmologische Weltbild von der Allvollendung einfügen lässt. Das Universum ist ein kalter oder heißer Ort, wo nirgendwo das Leben wie es auf diesem blauen Planeten vorkommt, existieren kann. Man forscht ja nach Spuren von Planeten im Weltall, wo solches Leben möglich sein könnte. Aber auch dann, wenn es ähnliche Planeten wie die Erde gäbe, bliebe es bei dieser scheinbar unüberwindlichen Kluft zwischen der leeren Finsternis und dem Licht des Lebens, in welchem sich alles das entfalten kann, was die Menschen lieben und sie erfreut. Und sie verfügen über die Kunst, dass sie sich alles immer noch schöner ausmalen können, weil sie wissen, das Gute und Schöne lässt sich steigern und der Mensch wird unter irdischen Verhältnissen nie das Ende der Vorstellung oder das Optimum der Einbildungskraft erreichen.

Auch im mikrokosmischen Forschen sucht man nach dem Übergang zwischen Unbelebtem und Belebtem vergeblich. Man wird auch hier nichts finden, weil eine Grenzüberschreitung nötig wäre, die von der gleichen Qualität wäre, wie wenn ein Toter wieder lebendig würde.

Paulus vertritt die Lebensformel, dass Jesus den Tod besiegt hat. Jesus ist der Mensch, der auferstanden ist. Er hat die entscheidenden Lebensschritte für die Menschheit gemacht. Man muss Ihm nur noch nachfolgen. Die Bibel lehrt, dass der Mensch wegen seiner Sünden sterben muss. Aber es geht gar nicht ums Sterben. Es geht immer nur darum, wie nahe das, was von Gott getrennt ist und deshalb nicht im Strahlglanz seiner Heiligkeit und Vollkommenheit ist, zu Gott hingelangen kann. Der, der in unzugänglichem Licht wohnt, weil Er von unfassbarer Singularität ist, die alles, was jemals vollkommen sein kann, in Einzigartigkeit vereint, ist für jeden und jedes, welches daran mangelt, unerreichbar. Das nennt man Dualität.

Das Problem des Menschen ist, dass er von sich aus, seine Mängel nicht beheben kann. Er kann sich verbessern, aber da es immer etwas geben wird, wo er bemakelt ist, hat er bereits für immer das Wässerchen getrübt, das eigentlich ein reines Wasser sein soll. Und deshalb musste Gott persönlich dafür sorgen, dass reines Wasser fließt, in welchem sich die Menschen reinigen lassen können. Jesus sagte, dass Er dieses Wasser des Lebens darreichen würde (Of 21,6). Er hat die Vollmacht, weil Er die Wirksamkeit der Sünde mit sich ans Kreuz nageln ließ. Das gibt Gott die Rechtfertigung, den Menschen zu vergeben und sie nach dem nur rituellen Wasserbad, das Symbol ihres Einverständnisses zur Übergabe ihres Unvermögens, aus sich selber das Heil erwerben zu können, in ein geistiges Wasserbad zu bringen, das ihnen die Heiligkeit und Reinheit erstehen lässt, die alles Trennende, alles Dualistische aufhebt. Das nennt Paulus „in Christus sein“.

Aus diesem allem wird klar, warum Paulus so über die jüdische Torah redet, wie er das tut. Das krampfhafte Versuchen, die Gebote zu halten, hebt den Dualismus und die Trennung nicht auf und bringt niemand Gott auch nur einen Millimeter näher, weil so auf diesem Wege nie eine Grenzüberschreitung des Unheiligen zum Heiligen stattfinden kann. *3 Es ist aber umgekehrt so, dass ein Leben aus Christus heraus, im Geiste Gottes, also nach der Auslösung der Dualität im Einssein mit Christus, immer auch Werke des Geistes, somit gerechte Werke, somit Werke, die mit der göttlichen Torah, dem Gesetz Christi und welche Begriffe Paulus noch verwendet, um das Gleiche zu bezeichnen, übereinstimmen, vollbringen wird. „Ich halte nicht die Torah, um gerecht zu werden“, sagt Paulus, sondern, „Ich halte die Torah, nachdem ich gerecht geworden bin, aus meiner Gerechtigkeit heraus. Und meine Gerechtigkeit ist Christus.“ Aber er meint dabei nicht die Torah, wie sie aus den ersten fünf Büchern Mose wörtlich herausgelesen werden kann, sondern die Torah, die Gott gerade in jedem beliebigen Augenblick Seines Willens meint. Gottes Willen ist jederzeit in Christus präsent.

Taufe ist für Paulus also nur eine Bezeichnung, die man für Sichtbares symbolhaft und stellvertretend sehen kann, für etwas, was im Unsichtbaren eine großartige Realität anzeigt: der Mensch stirbt seinem alten Adam, der sündhaft immer nur sündhaft sein konnte, selbst wenn er es anders wollte und sich um Heiligkeit und Gerechtigkeit bemühte. Und dann steht der neue Mensch auf, um in Christus ein neues Leben anzufangen, das Leben Christi. Die Sünden bleiben im Wasserbad, sie tropfen immer weiter dahin zurück. Sterben bedeutet nun nicht mehr, den physischen Leib zu verlieren und als Seele im Ungewissen des Finsteren zu bleiben – warten auf bessere Zeiten, die dann vielleicht sogar noch schlechter werden. Sterben bedeutet auch nicht mehr, Angst haben zu müssen, vor dem Urteil eines Gottes, weil man ja immer nur der Gerechtigkeit mangeln kann, die man haben sollte. Sterben bedeutet auch nicht mehr, in ein Gericht zu gehen, in dem man die Versäumnisse des Lebens verflucht, weil sie einen einholen und der Tod nichts verbessert hat und keine Erleichterung gebracht hat. All dieses bedeutet Sterben nicht mehr. Sondern Sterben bedeutet jetzt, mit Christus, dem Erstauferstandenen, zu leben und nahtlos in ein neues Leben hinüberzugeben, wo der physische Leib nur ein Hindernis wäre. Er ist ja nur für den alten Äon geschaffen, der seine eigenen Lebensverhältnisse für das noch Unvollkommene hatte. Man muss nicht, sondern darf sich von ihm trennen. An ihm bleiben die Sünden und Fehler der Vergangenheit hängen, dazu die Versäumnisse und Unzulänglichkeiten, die Ärgernisse und Enttäuschungen, die Schmerzen, das Leid und die tiefen Sehnsüchte, die Verlassenheiten und die Vereinsamung. Statt Einsamkeit kommt die Gemeinsamkeit. Erbe Gottes! Das alles bedeutet Taufe für Paulus. Der alte Mensch, der frühere Sünder ist tot, es lebe der neue Mensch in Christus, für den das physische Ableben nur ein Übergang sein kann, wo die Nähe zu Gott vollendete Wirklichkeit wird!

Und was bedeutet für Paulus die „Kirche“? Paulus kennt sie nur als Leib des Hauptes Christi. Es ist die Gemeinschaft aller, die Christus angehören, weil sie Gott vor Grundlegung der Schöpfung dazu auserwählt hat (Eph 1,4). Paulus meint keineswegs, dass jeder, der für Christus die Lippen öffnet, dieser Gemeinschaft angehört. Es genügt nicht, sich nur äußerlich zu taufen, wenn keine Geistestaufe erfolgt. Nur wer den Geist Christi in sich hat, ist Glied am Leibe Christi. Wer andere Geister in sich hat, wer nur den Geist des Menschen hat, wer von anderen Geistern getrieben wird, wer vom anti-christlichen Geist erfasst ist, sie sind eines anderen Herren Diener aber keine freien Gefolgsleute in Christus. Nicht jede Kirche ist eine Geistesgemeinschaft Christi, aber jede sichtbare Kirche ist ein sichtbares Werk von Menschen, das von Gott benutzt werden kann. Dass Kirchen auch von anderen Geistern als dem Geist Gottes inspiriert und angeleitet werden können, scheint die Geschichte der Kirchenchristenheit nur zu deutlich zu zeigen. Hier unbedenklich auf eine ökumenische Vereinheitlichung der Kirchen hinzuwirken, ließe viele geistliche Grundsätze außer Acht und ist daher nicht ratsam.

Wenn vereinzelt von Theologen darauf hingewiesen wird, dass sich Paulus widersprechen würde, wenn er einerseits das Kreuz Christi als absolutes Vollendungszeichen des göttlichen Heilsvorhabens darstellt und andererseits im Kolosserbrief von einem noch zu vollendenden Leiden Christi spricht (Kol 1,24), zeigt das nur ihre theologische Voreingenommenheit, die aus ihrem traditionsverhafteten Denken herrührt. Paulus widerspricht sich nicht, denn das Kreuz Christi steht wie ein Garantiezeichen. Jesus sprach am Kreuz: „Es ist vollbracht!“ Es hing nie vom Menschen ab, dass Gott Seine Schöpfung erlöst und zum Ziel bringt. Der Mensch wirkt mit, aber er verwirkt es nicht. Daher können auch diejenigen, die Christus angehören, Glieder sein, die der Leib abwirft, denn der Leib baut sie, gesteuert vom Haupt her, auf. Dieser Aufbau ist aber mit der Kreuzigung Jesu nicht abgeschlossen, sondern er dauert an, bis zur Vereinigung mit Christus.

Christi Erlösungstat am Kreuz gilt universell. Was auf sie folgt, ist die fortschreitende Unterordnung unter Seine Heilsordnung. Dazu gehört auch der Aufbau einer Gemeinde, die ihrerseits noch das Universum weiter ausbauen wird, damit alles, was noch leer und finster wird, gefüllt und licht wird, zur Verherrlichung Gottes. Es ist am Kreuz vollbracht, der Weg ist frei zu Gott, nun wird er aber auch beschritten werden. Der Sieg ist errungen. Und er ist ein vollständiger, der sich nun vollständig vollzieht.

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