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CONRAD LERCHENFELDT

»Immer ist es Liebe, die gewinnt«

CONRAD LERCHENFELDT

»Immer ist es Liebe, die gewinnt«

HELENE FISCHER

DIE BIOGRAFIE

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie. Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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3. Auflage 2019

© 2014 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,

Nymphenburger Straße 86

D-80636 München

Tel.: 089 651285-0

Fax: 089 652096

© Copyright der deutschen Originalausgabe 2014 by riva Verlag. Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des 2014 erschienen Titels Helene Fischer.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Redaktion: Palma Müller-Scherf, Ronit Jariv

Umschlaggestaltung: Maria Wittek

Umschlagabbildung: picture alliance/SuccoMedia/Ralf Succo

Satz: Geraldine Schaefer; inpunkt[w]o, Haiger (www.inpunktwo.de)

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

eBook: ePubMATIC.com

ISBN Print 978-3-7423-0810-8

ISBN E-Book (PDF) 978-3-7453-0540-1

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-7453-0541-8

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.rivaverlag.de

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INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

Kapitel 1 – Von hier bis unendlich

Der Augenblick: Tränen für die Chance

Russisches Medley: Zwischen Wolga und Sibirien

Sehnsucht: Als das Eis schmolz

So kann das Leben sein: Der Traum vom Rampenlicht

Lass mich in dein Leben: Ein neuer Mann

Willkommen in meinen Träumen: Hand in Hand nach Varasdin

Kapitel 2 – Zaubermond

Und morgen früh küss ich dich wach: Worte einer Dame

Die Sonne kann warten: Basisarbeit

Auf der Reise ins Licht: Goldene Überraschung

Hab den Himmel berührt: So ein Mann

Zwischen Himmel und Erde: Ohne Netz und doppelten Boden

Mit keinem Andern: Eine Neuerfindung

Kapitel 3 – Farbenspiel

Phänomen: Der Amerikaner

Allein im Licht: Hinter den Kulissen

Tausend gute Gründe: Butter bei die Haare

Ein kleines Glück: Die doppelte Helene

Mitten im Paradies: Die unbestrittene Nummer eins

Fehlerfrei: Perfektion ist Ansichtssache

Kapitel 4 – Flieger

Das volle Programm: Gewissenlose Vorwürfe

Schon lang nicht mehr getanzt: Wie die Zeit vergeht

Wir zwei: Freiraum für Florian

Wir brechen das Schweigen: Zurück auf Anfang

Schon lang nicht mehr getanzt: Ein doppeltes Comeback

»Immer ist es Liebe, die gewinnt«: Kleine Skandale, große Worte

Schlussbemerkung

Quellen

VORWORT

Sie wurden gesucht, gefunden und vergessen. Seit mehr als einem Jahrzehnt widmet sich ein Millionenpublikum der ewigen Suche nach dem neuen Supertalent, dem neuen deutschen Pop- oder Superstar. Diejenigen, die auf diese Weise gefunden wurden, konnten das Scheinwerferlicht jedoch meist nur kurz genießen. Heute verdienen sie ihr Geld als Lehrer oder geben Gitarrenkurse – wenn sie Glück hatten. Andere freuen sich, wenn sie vielleicht mal wieder bei einer Baumarkteröffnung singen dürfen. Gleichzeitig aber steht das Jahrzehnt der Castingshows für die Erfolgsgeschichte eines echten deutschen Superstars. Der überließ seine Karriere allerdings nicht einer wie auch immer gearteten Jury. Als Deutschlands Castingstar den mittlerweile weitgehend vergessenen Namen Elli Erl trug und sich ein gewisser Tobias Regner aufmachte, in deren Fußstapfen zu treten, absolvierte eine junge Frau mit dem Namen Helene Fischer im Jahr 2005 ihren ersten Fernsehauftritt. Dabei tat sie etwas, das seinerzeit vor den Augen wohl jeder hyperaktiven Megastar-Jury zum sofortigen Wertungsausschluss geführt hätte. Statt Coverversionen internationaler Popsongs zu trällern, sang sie an der Seite von Florian Silbereisen ein Medley ungarischer Lieder, und das auch noch in einer Sendung, die den Titel Das Hochzeitsfest der Volksmusik trug.

Das Ganze dauerte keine fünf Minuten. Die Medien und Meinungsmacher des Landes nahmen trotz der mehr als sechs Millionen Fernsehzuschauer kaum Notiz davon. Und doch geriet nach diesem 14. Mai etwas ins Rollen, dessen tatsächliches Ausmaß sich erst Jahre später zeigen sollte.

Die von der Öffentlichkeit damals noch weitgehend ignorierten Anhänger des Schlagers und der Volksmusik nahmen den Premierenauftritt der Zwanzigjährigen nämlich sehr wohl wahr und reagierten begeistert.

Über ein Jahrzehnt später sieht die Welt in jeder Hinsicht anders aus, auch die Welt der unverändert andauernden Superstar-Suche. Dort orientiert man sich mittlerweile nicht mehr allein daran, ein deutsches Pendant zu den international erfolgreichen Größen zu entdecken. Niemand fahndet mehr ernsthaft nach einer deutschen Lady Gaga, einem neuen Robbie Williams aus Gelsenkirchen oder Wuppertal. Stattdessen versucht man nun, ein Stück vom plötzlich so verlockend erscheinenden Schlagerkuchen abzubekommen. Und so brachte die immer noch größte deutschsprachige Casting-Maschine nach unendlich erscheinender Suche tatsächlich noch ein Erfolgsmodell hervor: Beatrice Egli. Eine Schweizer Sängerin, die damit beworben wurde, dass sie die neue Helene Fischer sei. Doch auch abseits der Castingwelt gingen seitdem immer wieder neue Schlagersterne auf und feierten überraschende sowie anhaltende Erfolge. Die Namen hinter diesen Erfolgen kennen außerdem nicht nur eingefleischte Schlagerliebhaber: Eine Vanessa Mai oder auch eine Kerstin Ott stehen vielmehr für ganz eigene und beständige Erfolgsgeschichten. Selbst etablierte Stars wie Maite Kelly haben längst den Schlager als Erfolgsmodell für sich erkannt.

Hinter all dem aber steht ausnahmslos der Name Helene Fischer. Denn deren Erfolg übertrifft inzwischen das lange Zeit Vorstellbare. Die junge Frau, die einst im orange glänzenden Abendkleid Volksweisen sang, war zum größten Star aufgestiegen, den das Musikgeschäft seit langer Zeit vorzuweisen hatte. Gleichzeitig hatte sie, wie auch die ähnlich erfolgreiche Andrea Berg, den betulichen deutschen Schlager modernisiert und ihm neue Zielgruppen erschlossen. Was noch vor wenigen Jahren als Musik der Generation sechzig plus galt, ist heute bei Menschen aller Altersgruppen akzeptiert – allerdings vor allem dann, wenn der Begriff Schlager gemeinsam mit dem Namen Helene Fischer genannt wird. Die hat in der Zwischenzeit Millionen von Alben verkauft, Hunderttausende reißen sich um Tickets für ihre Live-Auftritte in den größten Hallen, wo sie eine Show geboten bekommen, die sich längst mehr an Las Vegas als an einer von Kritikern weiterhin zitierten Schlager-Heimeligkeit orientiert.

Mit dem sagenhaften Erfolg ist natürlich auch das Interesse an der Person Helene Fischer gewachsen. Unzählige Male wurde inzwischen die Frage gestellt, wer Helene Fischer wirklich ist. Vor allem die landläufig als kritisch geltenden Medien mochten sich nicht mit dem Image der Makellosigkeit begnügen, das dem Star anhängt. Doch wer auch immer sich bemühte, hinter das zu blicken, was er als reine Fassade vermutete, der scheiterte. Statt die von den Medien suggerierten – oder wahrscheinlich sogar erhofften – Abgründe aufzutun, stießen sie immer nur auf das, was Helene Fischer von sich selbst stets behauptete: dass sie genau so ist, wie sie sich gibt. Dass sie niemandem etwas vorspielt, nicht vorgibt, jemand zu sein, den es in Wahrheit gar nicht gibt. Den Medien blieb schließlich nichts anderes übrig, als mit der Erkenntnis einer Nichtkenntnis ihre Schlagzeilen zu füllen. Helene Fischer wurde zur Miss Makellos, zu Germanys Goldkehlchen und zu einer Person, der man mangels anderer Formulierungen auch schon mal die Frische einer Tannennadel als Eigenschaft anhängte.

Trotzdem wurde unentwegt weiter nachgefragt, aber Helene Fischer wurde nicht müde, die immer gleichen Fragen zu beantworten – was sie weiterhin stets freundlich und geduldig tat. Ihre Aussagen zu Privatem wurden allerdings im Laufe der Jahre zusehends zurückhaltender. Dabei gibt es über Helene Fischers vierunddreißigjähriges Leben durchaus so einiges zu erzählen.

KAPITEL 1

Von hier bis unendlich

Der Augenblick: Tränen für die Chance

Als Helene Fischer von ihrer großen Chance erfuhr, brach sie in Tränen aus. Nicht vor Freude, sondern aus Unsicherheit und vielleicht auch aus Furcht.

Gerade einmal 20 Jahre alt war sie an jenem Tag. Eben erst hatte sie ihre dreijährige Ausbildung zur Musical-Darstellerin abgeschlossen, träumte von der großen Bühne und bewunderte internationale Stars wie Céline Dion. Nun zeigte sogar ein renommierter Manager starkes Interesse an einer Zusammenarbeit mit der gerade dem Teenageralter entwachsenen Frau, nachdem er ihre Probeaufnahmen gehört hatte. Doch was der vorschlug, entsprach so gar nicht ihren Träumen und Vorstellungen. Nicht die erfolgreichen Musicals sollten ihre Zukunft sein, auch nicht die Popmusik und schon gar nicht englischsprachige Texte. Was der Mann ihr vorschlug, lag weit entfernt von allem, was sie sich bis zu diesem Augenblick für ihre Zukunft erträumt hatte. Sie sollte deutsch singen, sollte in die Fußstapfen von Schlagergrößen wie der damals erfolgreichen Michelle oder Andrea Berg treten. Mehr noch: Als Sprungbrett sollte ausgerechnet ein Auftritt in einer Volksmusiksendung dienen, in der sie gemeinsam mit dem Moderator ein Operetten-Medley zu singen hatte.

Das waren die Gedanken, die der jungen Helene Fischer durch den Kopf gingen, als sie nach dem Gespräch mit ihrem späteren Manager wieder im Auto saß – jenem privaten Raum, in dem sie so gerne die Pop-Balladen mitsang, die sie im Radio hörte. Genau das war doch die Musik, die sie liebte, die sie so gerne selber machen wollte. Und davon sollte sie sich nun verabschieden. Schlager statt Pop, Volksmusik statt bewegender Balladen.

Helene Fischer zweifelte – und weinte. Ihr wurde eine Chance geboten, eine Möglichkeit, auf die viele ihrer Mitschüler an der Frankfurter Stage & Musical School vielleicht ihr Leben lang vergeblich warteten. Ein Fernsehauftritt, danach eventuell auch Plattenaufnahmen, die Zusammenarbeit mit Komponisten, Textern und Managern, die auf jahrzehntelange Erfahrung verweisen konnten. Die schon Erfolge feierten, als Helene Fischer nicht einmal geboren war. Auch sie konnte sich ausrechnen, dass dies zumindest einen ersten Schritt für ihre bis dahin noch gar nicht existente Karriere bedeuten könnte – auch wenn niemand jetzt schon in der Lage war zu sagen, wie erfolgreich dieser Schritt am Ende sein würde.

Aber wollte sie das wirklich? Wollte sie sich von ihren Plänen und Träumen verabschieden? Wollte sie Schlager singen?

Schließlich war das eine Musik, die im Jahr 2004 vor allem von der jungen Generation belächelt wurde – wenn man sie denn überhaupt wahrnahm. Schlager, das war volkstümliche Schunkel- und Schenkelklopf-Musik im Stil von Lebt denn der alte Holzmichel noch?, oder es war eine Karikatur, wie sie Sänger vom Schlage eines Guildo Horn und Dieter Thomas Kuhn darboten. Gleichzeitig zeigte sich zu jener Zeit, dass deutsche Musik auch funktionieren konnte, wenn sie ohne den Zwang mitzuklatschen auskam. Erst zu Jahresbeginn hatten die Deutschrocker von Oomph mit Augen auf! monatelang die Charts regiert, hatte Rosenstolz mit Liebe ist alles bewiesen, dass die große Ballade auch mit deutschem Text existierte. Yvonne Catterfeld feierte mit Du hast mein Herz gebrochen einen weiteren Erfolg in deutscher Sprache, und das weit ab von bekannten Schlagerklischees.

Das alles waren Künstler, deren Weg sicher auch eine Helene Fischer gerne eingeschlagen hätte. Doch genau dies sollte ihr nun verwehrt bleiben. Sie würde keine Titel von Céline Dion oder gar Britney Spears interpretieren, würde auch nicht Teil einer vielleicht zweiten Neuen Deutschen Welle werden, zu der im Jahr 2004 auch die Band Juli mit Perfekte Welle gehörte.

Sie würde mit Menschen arbeiten, die schon Rex Gildo gemanagt, die Lieder für längst verblasste Größen wie Costa Cordalis oder Ireen Sheer komponiert hatten.

Es fällt nicht schwer nachzuvollziehen, dass solche Überlegungen, solche Vergleiche bei Helene Fischer die Tränen fließen ließen. Sie war noch so jung, ihr komplettes Leben lag vor ihr – und doch sollte sie eine Rolle übernehmen, die sie nie zuvor für möglich gehalten hätte. Sie, die von Kindesbeinen an davon geträumt hatte, im Rampenlicht zu stehen. Helene Fischer war in diesem Moment nicht wirklich verzweifelt, aber sie haderte, war sich nicht sicher, ob sie diesem vorbestimmten Weg folgen sollte, wie weit sie gehen sollte.

Was aus diesen Anfangsbedenken geworden ist, das weiß heute jeder, dem der Name Helene Fischer etwas sagt. Sie hat schnell aufgehört zu zweifeln, hat sich entschieden. Helene Fischer folgte dem Rat und dem Wunsch ihres Managements. Vielleicht auch mit dem Hintergedanken, dass der Moment schon kommen würde, an dem sie ihren weiteren Weg selbst bestimmen und ihre eigenen Wünsche durchsetzen konnte. So wie sie es in ihrem Leben eigentlich immer schon getan hatte. Denn die Zwanzigjährige hatte bereits eine Wegstrecke hinter sich, die vielleicht dreimal so lang war wie bei anderen in ihrem Alter. Ihr Weg hatte rund 6500 Kilometer weiter östlich seinen Anfang genommen.

Russisches Medley: Zwischen Wolga und Sibirien

Wird Helene Fischer heute in Interviews nach ihrer Herkunft gefragt, dann fasst sie sich in der Regel äußerst kurz. Sie sei am 5. August 1984 in Karsnojarsk im fernen Sibirien geboren worden.

Nichts gibt sie von der Geschichte preis, die sich hinter diesen dürftigen Fakten verbirgt: einer Geschichte voller Leid und Entbehrungen, die vor fast 350 Jahren begann.

Am Anfang dieser Geschichte steht die russische Zarin Katharina II., besser bekannt als Katharina die Große. Die Regentin besaß deutsche Wurzeln und wurde als Sophie Auguste Friederike von Anhalt-Zerbst geboren. Kaum 16 Jahre alt heiratete sie den russischen Thronfolger und wurde im Jahr 1762 schließlich selbst zur Zarin, der Kaiserin von Russland – und eine bis heute berühmte Person der Zeitgeschichte.

Viel wird über ihr Wirken als Herrscherin erzählt. In Vergessenheit gerieten dabei jedoch jene Überlegungen, die den Anfang ihrer Regentschaft bestimmten. Katharina II. suchte nach Möglichkeiten, wie sie die Bevölkerung in den unendlich weiten und dünn besiedelten Regionen ihres riesigen Reiches vergrößern könnte.

Eine ihrer Überlegungen wurde bereits ein Jahr nach ihrer Machtübernahme umgesetzt: Mit dem sogenannten Einladungsmanifest vom 22. Juli 1763 warb sie vor allem im Ausland um neue Siedler, die sich in Russland niederlassen sollten – nicht zuletzt in ihrer eigenen alten Heimat. So wurde den Menschen in den deutschen Fürstentümern der Umzug in das unbekannte Land schmackhaft gemacht. Das Angebot hörte sich für die einfachen Leute jener Zeit sicher verlockend an. Katharina II. gewährte ihnen nicht nur Religionsfreiheit, sie versprach auch Geld, das den Start in der neuen Heimat erleichtern sollte, und darüber hinaus 30 Jahre Steuerfreiheit. Mehr noch – alle Siedler wurden vom Militärdienst befreit, durften sich selbst verwalten und auch weiter die deutsche Sprache pflegen. Diese Offerte kam an.

Allein in den ersten drei bis vier Jahren nach Veröffentlichung der Einladung sollen sich rund 30 000 Deutsche auf den Weg nach Osten gemacht haben, dazu weitere Siedler aus Frankreich, den Niederlanden und anderen Nationen. Schließlich war neben den beschriebenen Vorteilen auch die Fläche verlockend, über die jeder verfügen sollte. Da in Russland Land im Überfluss zur Verfügung stand, versprach die Kaiserin jedem neuen Siedler dreißig Hektar Land, das er bewirtschaften konnte – nicht weniger als 300 000 Quadratmeter.

Allerdings konnten sich die neuen Bürger nicht irgendwo im Riesenreich im Osten niederlassen. Ein Großteil der ihnen zugedachten Siedlungsplätze befand sich im Umkreis der Stadt Saratow an der Wolga, dem mit 3530 Kilometern längsten Fluss Europas.

Kaum einer derjenigen, die das Angebot der Kaiserin annahmen, wusste etwas über das Land Russland – geschweige denn darüber, welche beschwerliche Reise ihm bevorstand. Wer sich im 18. Jahrhundert aufmachte und ein Tausende Kilometer entferntes Ziel ansteuerte, der konnte beileibe nicht sicher sein, dass er auch je dort ankommen würde. Als Transportmittel standen Karren und Kutschen zur Verfügung, wer sich aufwärmen wollte, musste unterwegs ein Lagerfeuer entfachen, denn vor Wind und Regen schützten nur dünne Planen. Für die Aussiedler war die Reise in vielerlei Hinsicht lebensgefährlich: Immer wieder kam es zu Unfällen, Krankheiten grassierten und zu essen gab es unterwegs auch nicht regelmäßig etwas. Tausende sollten ihr Ziel deshalb nicht erreichen.

Jedoch auch bei denjenigen, die die Strapazen überstanden, währte die Freude nicht lang. Schnell stellte sich heraus, dass die russischen Anwerber bei den Lobpreisungen der neuen Heimat deutlich übertrieben hatten.

Wer von einem Leben inmitten blühender Landschaften geträumt hatte, wurde bitter enttäuscht. Bis heute sind Berichte von Zeitzeugen erhalten, die das Entsetzen bei der Ankunft wiedergeben. Da wird erzählt, wie der Tross der Wagen eines Tages im unendlichen Nichts stoppte und man den Neuankömmlingen verkündete, dass sie ihr Ziel erreicht hätten. Ein Ort, der aus kaum mehr als einer mit zähem Gras bewachsenen Steppe bestand. Doch eine Wahl hatten die Siedler nicht: Niemand konnte einfach umkehren, kaum jemand hätte noch einmal die Strapazen einer Reise zurück in die Heimat überlebt. Außerdem stand der berüchtigte russische Winter bevor. Wer überleben wollte, der hatte keine Zeit für Beschwerden, sondern musste für sich und seine Familie so schnell es irgend möglich war eine Behausung errichten, die für die eisigen Monate Schutz bot.

Nicht alle schafften dies rechtzeitig, einige verspätete Neuankömmlinge starben. Auch die kommenden Sommer brachten statt Sicherheit und guten Ernten zusätzliche Gefahren: Immer wieder fielen feindliche Reiterhorden in das Gebiet ein, plünderten die Höfe und töteten die Bewohner.

Trotzdem schafften es die zahlenmäßig deutlich dezimierten Auswanderer: Die Überlebenden setzten sich gegen die Natur und ihre Feinde durch, errichteten als Wolgadeutsche entlang des namensgebenden Flusses im Laufe der Zeit mehr als 100 Dörfer. Dass sie auch weiterhin gedanklich eng mit ihrer ursprünglichen Heimat verbunden blieben, dafür steht die Tatsache, dass all diese Dörfer überwiegend deutsche Namen erhielten. An der Wolga gründete man Orte wie Bäckerdorf oder Blumenfeld, nannte andere Holstein, Mannheim, Morgentau oder Neu Weimar.

Ein Ortsname fiel im Zusammenhang mit Helene Fischer schon häufiger: Straßburg. Immer mal wieder erzählt die Sängerin, dass ihre Großeltern in Straßburg geboren wurden. Wohl jeder denkt da zunächst an die elsässische Stadt im heutigen Frankreich. Doch Straßburg gehörte nicht immer zu Frankreich: Als Hauptstadt des sogenannten Reichslandes Elsass-Lothringen war Straßburg zwischen 1871 und 1918 ein Teil Deutschlands beziehungsweise des damaligen Deutschen Reichs.

Doch es ist nicht das einzige Straßburg. Die Wolgadeutschen benannten ebenfalls eines ihrer neu gegründeten Dörfer nach der Stadt im Elsass – ein Ort namens Fischer existierte an der Wolga übrigens auch.

Nach den unerwartet harten Anfängen in Russland beruhigte sich die Lage der deutschen Kommune an der Wolga in den folgenden Jahrzehnten. Mit sprichwörtlicher deutscher Gründlichkeit machten die Siedler das karge Land urbar. Nach unvorstellbaren Mühen ernteten sie dann so viel, dass sie immer mehr Menschen ernähren konnten – mit der Folge, dass die Zahl der deutschen Siedler im Russischen Reich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts auf geschätzte 600 000 anstieg.

Zu diesem Zeitpunkt war das Leid der Vorväter längst weitgehend vergessen – jedoch eine neue und weitaus grausamere Katastrophe stand den Wolgadeutschen bevor.

Vorher gab es noch einmal gute Nachrichten: Nach dem Ersten Weltkrieg erkannte die damalige Regierung die Wolgadeutschen als eigenständiges Volk an. Sie stellten eine Gruppe dar, die sich durch eine gemeinsame Sprache und auch kulturelle Eigenschaften auszeichnete. Die Folge: Man gewährte der Volksgruppe eine begrenzte Eigenständigkeit. Aus der von Deutschen besiedelten Region an der Wolga wurde die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen. Mit der Führung der neuen deutsch-russischen Kleinrepublik wurde ein gewisser Ernst Reuter betraut. Der war damals bereits ein leidlich bekannter Politiker. Doch erst nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte er als Berliner Bürgermeister zu internationaler Berühmtheit, als er während der Blockade Berlins den unvergessenen Satz äußerte: Völker der Welt, schaut auf diese Stadt.

Bis dahin jedoch sollte sich die Situation an der Wolga vollkommen verändert haben. Um 1920 kam es im gesamten Land zu Hungersnöten. Fast 100 000 Wolgadeutsche flüchteten in andere Regionen oder zurück nach Deutschland, fast 50 000 starben vor allem an Hunger.

Auf den Hunger folgten Aufstände. Und als sich die Lage wieder beruhigt zu haben schien, kam in Deutschland Adolf Hitler an die Macht, was zu stärkerem Druck des kommunistischen Regimes auf die Deutschstämmigen führte.

Doch wirklich bedrohlich wurde die Lage für die Bevölkerung erst 1941. Am 22. Juni des Jahres begann der Angriff Deutschlands auf die Sowjetunion – in dessen Folge auch Helene Fischer als Nachfahrin von Wolgadeutschen eben nicht an dem großen Fluss, sondern im fernen Krasnojarsk auf die Welt kommen sollte.

Im August 1941 gab die sowjetische Führung einen Erlass heraus, in dem die gesamte deutsche Bevölkerung des Landes der Kollaboration beschuldigt wurde. Jeder Deutschrusse wurde also des Vergehens bezichtigt, mit den kriegerischen deutschen Eindringlingen zusammenzuarbeiten. Man ließ sogar verlauten, sichere Informationen darüber zu besitzen, dass Tausende Wolgadeutsche als Spione im Nazi-Auftrag aktiv waren, Sabotageakte verübten und eben mit den Eindringlingen gemeinsame Sache machten. Mit Beweisen für die Vorwürfe mochte man sich nicht aufhalten, sondern bezeichnete die Wolgadeutschen stattdessen pauschal als Feinde der Sowjetunion.

Der Erlass und die Verdächtigungen gingen vor allem auf den damaligen Diktator Josef Stalin zurück, der übereinstimmend als krankhaft misstrauisch beschrieben wird. Das Misstrauen und seine Unterstellungen gingen so weit, dass er zunächst sogar auf diejenigen Russlanddeutschen verzichtete, die in der ohnehin schon durch den deutschen Angriff geschwächten Roten Armee ihren Dienst taten – rund 100 000 Russlanddeutsche mussten bis Ende 1941 ihren Dienst in der Armee quittieren.

Danach erwartete sie das gleiche Schicksal wie die übrigen Deutschen im Land. Um ihnen die angebliche Kooperation mit der immer weiter vordringenden Wehrmacht zu erschweren, griff man zu einem Mittel, das man als das einfachste erachtete: Man erhöhte die räumliche Distanz zwischen Eindringlingen und Russlanddeutschen. Während also die Wehrmacht von Westen vorrückte, wurden die Russlanddeutschen nach Osten verfrachtet. Und Osten, das hieß in diesem Fall Kasachstan, Ural, vor allem aber Sibirien – jene kaum besiedelte Region, die gemeinhin mit Unwirtlichkeit und einer nicht vorstellbaren Kälte verbunden wird.

Eine derart große Menschengruppe in einen anderen Landesteil zu transportieren, lässt natürlich die unterschiedlichsten Szenarien vermuten. Man könnte ihnen die Reise selbst überlassen haben oder sie mit einem gewissen Grad an menschlicher Würde ziehen lassen. Tatsächlich aber wurden die Menschen behandelt wie Vieh – und zwar wie solches, von dem man sich keinen Nutzen mehr versprach.

Die Wolgadeutschen wurden in unbeheizte Viehwaggons gepfercht, über Hunderte und Tausende Kilometer nach Osten befördert und dort im Grunde einfach aus den Waggons gejagt.

Wieder einmal standen die Einwanderer, wie schon 300 Jahre zuvor ihre Vorväter, vor dem Nichts, das jedoch noch um ein Vielfaches grausamer war. Sie fanden sich nicht im Gras der Steppe wieder, sondern an einem der eisigsten Orte. Hatten die ersten Deutschen in Russland noch genügend Zeit, sich für den bevorstehenden Winter zu rüsten und Hütten zu bauen, gruben sich die Verbannten in den vierziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit den Händen in den gefrorenen Boden ein, suchten in den so geschaffenen Höhlen Schutz vor der beißenden Kälte.

Wer damals Glück hatte, der fand Zuflucht in einer Kolchose und fristete fortan sein Dasein als Arbeitssklave. Denn mit der Vertreibung aus der langjährigen Heimat verloren die Wolgadeutschen auch ihre Rechte, ihr Eigentum wurde eingezogen. Wieder einmal starben die Deutschen in Russland zu Tausenden und zu Hunderttausenden. Niemand hat jemals die Zahl derjenigen genau erfasst, die in jenen Jahren ihr Leben ließen. Schätzungen jedoch belaufen sich auf etwa 700 000 Tote.

Wer, wie Helene Fischers Familie, überlebte, konnte lange Zeit kaum auf Besserung seiner Lebensbedingungen hoffen. Der Alltag bestand in der Regel aus zu wenig Nahrung und kaum vorhandener medizinischer Versorgung in Kombination mit Schwerstarbeit, die schon Jugendliche zu verrichten hatten.

Konnten sie bis zu dieser Zeit ihre deutschen Traditionen pflegen und die Sprache ihrer Ahnen sprechen, so änderte sich nun auch das. Deutsch zu sein, das war in der Sowjetunion jetzt nicht nur unerwünscht, sondern lebensgefährlich. Das Deutschsein wurde von oberster Stelle im Grunde verboten. Lernten die Kinder in den Schulen der Dörfer entlang der Wolga noch völlig selbstverständlich die deutsche Sprache, stand nun Russisch auf dem Lehrplan – jedenfalls für die wenigen Kinder, die überhaupt die Chance für einen Schulbesuch bekamen.

Für die Erwachsenen war es zudem schon ein Risiko, sich in ihrer Muttersprache zu unterhalten: Deutsch zu sprechen, das barg die Gefahr, als Faschist und damit als Feind eingestuft und gebrandmarkt zu werden.

Heute weiß man, dass der deutsche Einmarsch in die Sowjetunion ins Stocken kam. Spätestens mit der vernichtenden Niederlage der Deutschen Wehrmacht bei Stalingrad wurde aus dem brutalen Angriffskrieg ein nicht minder mörderischer Rückzug. Am Ende gab es auf beiden Seiten Millionen Tote, Deutschland wurde vernichtend geschlagen und kapitulierte 1945.

Die Probleme für die einstigen Wolgadeutschen im fernen Sibirien waren damit jedoch nicht vorbei. Noch Jahre nach Kriegsende blieb die Stimmung ihnen gegenüber meist äußerst feindlich – zwar hatten sie kaum etwas mit dem Krieg zu tun gehabt, doch die Sowjetbevölkerung sah in ihnen jenes Volk, das für den Tod von bis zu 40 Millionen Sowjetbürgern verantwortlich war.

Davon, dass sie irgendwann einmal zurück in ihre Heimat an der Wolga ziehen dürften, wagten sie nicht einmal mehr zu träumen. Noch im Jahr 1948 ordnete das Präsidium des Obersten Sowjets an, dass die Verbannung der Wolgadeutschen weiter Bestand haben sollte, und zwar, wie es hieß, »auf ewige Zeiten«.

Die in Sibirien lebenden Deutschen sahen sich also auch lange nach dem Krieg noch strengen Maßregelungen und immer wiederkehrenden Anfeindungen ausgesetzt. Sie unterlagen Ausgangsbeschränkungen, mussten sich regelmäßig bei den staatlichen Stellen melden. Wer seinen Wohnort – besser gesagt die Stätte seiner Zwangsansiedlung – verließ, der riskierte, für Jahre in ein Arbeitslager verbannt zu werden, selbst wenn er sich eigentlich nur auf dem Weg zu einem Besuch im Nachbardorf befunden hatte.

Erste Besserungen für die derart gepeinigten Deutschen gab es erst, nachdem der damalige deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer die sowjetische Hauptstadt Moskau besucht hatte. Nun ließ sich das Regime zumindest zu kleinen Zugeständnissen für die Familien überreden. Die rechtlichen Beschränkungen der Bevölkerungsgruppe der ehemaligen Wolgadeutschen in den sogenannten Sondersiedlungen in Sibirien wurden größtenteils aufgehoben. An anderer Stelle blieb man jedoch hart: Die Genehmigung zur Rückkehr in ihre Dörfer entlang der Wolga wurde auch jetzt nicht erteilt und das während der Verbannung beschlagnahmte Vermögen erhielten die Familien ebenfalls nicht zurück. Nach außen hin wurden die nach wie vor bestehenden Auflagen sogar noch als Akt der Barmherzigkeit verkauft: Die Wolgadeutschen hätten in ihrer neuen Heimat Sibirien Wurzeln geschlagen, hieß es, daher wolle man ihnen keine erneute Umsiedlung zumuten.

Tatsächlich fanden sich die meisten der Russlanddeutschen zumindest teilweise mit ihrer Lage ab – weil ihnen kaum etwas anderes übrig blieb. Sie konnten an ihrer Situation verzweifeln, oder sie konnten versuchen, das Beste daraus zu machen. In Sibirien lebten sie nun entweder in kleinen Siedlungen mit größtenteils deutschstämmiger Bevölkerung oder in den Städten in Vierteln, die ebenfalls überwiegend von Landsleuten bewohnt wurden. Ihre deutsche Tradition konnten sie nur unter sich pflegen. Während es in den Dörfern der einstigen Wolgarepublik bis zu 400 deutsche Schulen gegeben hatte, wurde noch 1979 berichtet, dass in der gesamten Sowjetunion keine einzige solche Einrichtung mehr existierte. Immerhin zwei positive Entwicklungen gab es zu vermelden: Je länger die Kriegsjahre zurücklagen, desto mehr schwanden auch die Vorbehalte der Russen gegenüber ihren deutschen Mitbürgern. Nach und nach vermischten sich die Bevölkerungsgruppen in den Dörfern der Verbannten mit neu zugezogenen Sowjets. Zwar durften die Deutschen immer noch nicht zurück an die Wolga. Aber sie durften nun, wenn auch noch begrenzt, zumindest ihren Aufenthalts- beziehungsweise Wohnort selbst wählen. Anfangs entschieden sich nur wenige dafür, den beschwerlichen Weg der Ausreise zurück nach Deutschland einzuschlagen – da er damals noch mit großen Schwierigkeiten und nicht selten Jahrzehnte dauernden Wartezeiten verbunden war. Viele jedoch zogen zurück in die wenigen dichter besiedelten Orte Sibiriens. Vor allem eine Stadt hatte eine gewisse Anziehungskraft für diese Bevölkerungsgruppe: Krasnojarsk, der spätere Geburtsort von Helene Fischer.

Der Ort hat im vergangenen Jahrhundert eine erstaunliche Entwicklung durchlaufen. Lebten dort an der Schwelle zum 20. Jahrhundert kaum 30 000 Menschen, waren es im Jahr 1959 bereits mehr als 400 000. Und in der gesamten Region Krasnojarsk, die weitere Orte umfasst, wurden im selben Jahr nicht weniger als 66 000 Russlanddeutsche gezählt. Heute hat Krasnojarsk knapp eine Million Einwohner, der Anteil der Deutschstämmigen ist jedoch deutlich gesunken. Denn vor allem seit den späten achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts wurden Millionen von Russlanddeutschen zu sogenannten Spätaussiedlern: Nach oft vielen Generationen in Russland kehrten die Familien zurück nach Deutschland, das sie immer noch als eigentliche Heimat empfanden, obwohl es ihnen völlig unbekannt war, sie noch nie einen Fuß dort auf den Boden gesetzt hatten – wie die Familie von Helene Fischer.

Sehnsucht: Als das Eis schmolz

Der 5. August 1984 war ein Tag, wie ihn sich der Mitteleuropäer wohl kaum für Sibirien vorzustellen vermag. Es war ein herrlicher warmer Sommertag. Denn auch in Sibirien unterscheiden sich die Jahreszeiten, und zwar weit deutlicher, als es bei uns der Fall ist. Während in den Wintermonaten nicht selten Temperaturen unterhalb von minus 25 Grad Celsius erreicht werden, steigen die Quecksilbersäulen in den Thermometern vor allem zwischen Juni und August, häufig überschreiten sie sogar die Marke von 30 Grad plus. Und hält man sich während des Winters möglichst nur drinnen, in geheizten Räumen auf, verlagert sich das Leben während des trockenen und warmen Sommers fast vollständig nach draußen.

Doch das Kind, das Helene Fischers Mutter an diesem Tag zur Welt brachte, erlebte nicht nur im Hinblick auf das Wetter eine ungewöhnliche Wärme – Mitte der achtziger Jahre kündigte sich auch das langsame Ende des Kalten Krieges an. Das kommunistische Regime bröckelte. Denn im Jahr 1984 begann der Aufstieg eines Mannes, der schon bald die Welt verändern sollte.

Michail Sergejewitsch Gorbatschow war bereits seit 1980 Mitglied des Politbüros, des Führungsgremiums, der Kommunistischen Partei. Doch erst 1984 wurde das westliche Ausland auf ihn aufmerksam, das sowjetischen Würdenträgern immer noch mit Misstrauen begegnete. Eine entscheidende Begegnung bildete dabei ein Besuch des Politikers bei der damaligen Premierministerin Großbritanniens, Margaret Thatcher.

Thatcher zeigte sich beeindruckt von Gorbatschow und überzeugte daraufhin auch andere Staatsführer, dass nach der langen Herrschaft störrischer alter Männer in der Sowjetunion dort nun wirklich jemand sei, mit dem man reden könne.

Ein Jahr später übernahm Gorbatschow die Rolle des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei in Moskau und stand damit an der Spitze des riesigen Reiches. Bald schon sollte sich zeigen, dass er es nicht bei freundlichen Worten gegenüber dem Westen beließ. Gorbatschow änderte die Politik seines Landes im Hinblick auf das Ausland vollkommen – und beeinflusste dadurch auch das Leben der kleinen Helene Fischer, die davon natürlich nicht das Geringste ahnen konnte.

Bis heute ist die Ära Gorbatschow vor allem von zwei Begriffen geprägt – Glasnost und Perestroika. Glasnost bedeutet Offenheit und beschreibt den neuen Stil einer Politik, die zu mehr Offenheit zwischen der Staatsführung auf der einen und der Bevölkerung auf der anderen Seite führen sollte. Perestroika wiederum heißt Umbau oder Umgestaltung und bezeichnet die Neuausrichtung des gesamten politischen wie gesellschaftlichen Systems der Sowjetunion. Doch Michail Gorbatschows neuer politischer Stil sollte nicht nur nach innen wirken.

Auch nach außen änderte Gorbatschow das Handeln der Sowjetunion und damit auch das Image des riesigen Reiches – das jedoch nach seiner Amtszeit in dieser Form gar nicht mehr existieren sollte. Denn Gorbatschow versprach dem Ausland nicht nur, dass er abrüsten und die Zahl der Kriegswaffen verringern wollte.

Vor allem kündete Gorbatschow 1988 an, dass die Mitgliedsstaaten des damaligen Warschauer Paktes künftig ihre Staatsform selbst bestimmen konnten – sie mussten sich also nicht mehr an den in der mächtigen Sowjetunion vorherrschenden Kommunismus anpassen. Der Warschauer Pakt stellte seinerzeit ein Verteidigungsbündnis dar, dem neben der Sowjetunion auch Länder wie Ungarn, Polen, die Tschechoslowakei oder die Deutsche Demokratische Republik (DDR) angehörten.

Gorbatschows Ankündigung war nicht weniger als der Startschuss für die vielen meist friedlichen Revolutionen jener Jahre, die das Bild in Europa dauerhaft änderten. Nicht zuletzt führte die Ära Gorbatschow dazu, dass das mehr als vier Jahrzehnte geteilte Deutschland wieder vereint wurde.

Als denkwürdigster Tag dieser Ära gilt der 9. November 1989, der Tag, an dem die Berliner Mauer fiel.

Tatsächlich begann an anderer Stelle das Zusammenwachsen Deutschlands schon früher. Besonders die mittlerweile von der deutschen Öffentlichkeit vergessenen Russlanddeutschen