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Impressum
© 1976/2018 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-879-9
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Die Inseln
des Teufels

Sie waren lieblich anzusehen – aber eine Falle für jedes Schiff

Dieses Mal hatten Philip Hasard Killigrew und seine Männer eine harte Nuß zu knacken, denn ihr Gegner – Juan Vargas, Kapitän der spanischen Handelsgaleone „Santa Barbara“ – spielte geradezu teuflisch seine Trümpfe aus. Seine Trümpfe waren vierzig junge Indianerinnen vom Stamm der Arawaks. Sechs von ihnen ließ er über Bord stoßen, und seine Rechnung ging auf, als er sah, wie das Korsarenschiff die Verfolgung der „Santa Barbara“ abbrach, um die sechs Frauen aus dem Wasser zu bergen. Jetzt hatte er noch vierunddreißig „Weiber“ an Bord und konnte dieses satanische Spiel beliebig lange fortsetzen – vielleicht bis zum Einbruch der Dunkelheit, die ihm die Möglichkeit bieten würde, mit einer Kursänderung ungesehen zu verschwinden …

Die Hauptpersonen des Romans:

Philip Hasard Killigrew – besucht eine spanische Handelsgaleone und interessiert sich für einen „reichen Bürger“.

Mac Pellew – paßt als Hahn im Korb auf sein Hühnervölkchen auf und bekommt Ärger.

Don Juan de Alcazar – hat hart zu schlucken, weil er einen „alten Freund“ entdeckt.

Roviro Valenzuela – ein Capitán, der Mühe hat, nicht aus der Haut zu fahren.

Taina – die junge Indianerin spürt, daß sie und ihre Gefährtinnen unter Freunden sind.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Dieser Vormittag des 5. Mai 1595 sah nicht danach aus, als würde sich im weiteren Verlauf des Tages noch etwas Vielversprechendes ereignen.

Ringsum war die Kimm leer. Nur am nördlichen Horizont hatte Dan O’Flynn mit seinem gewohnt scharfen Blick ein paar hauchdünne Nadelspitzen entdeckt – Mastspitzen von mehreren Einzelfahrern.

Seit der Versenkung der Frachtgaleone „Santa Barbara“ waren die „Isabella“, die „Chubasco“ und der Viermaster „Eiliger Drache über den Wassern“ Ostkurs gesegelt. Die derzeitige Position der drei Schiffe des Bundes der Korsaren war annähernd einhundertzwanzig Meilen südsüdwestlich der Bermuda-Inseln. Die Arwenacks und ihre Freunde hofften, auf Einzelfahrer des mittlerweile zersprengten Geleitzugs zu stoßen, um sie auszunehmen.

Ohnehin war das allgemeine Interesse an Bord der „Isabella“ ganz und gar nicht auf das mögliche Auftauchen lohnender Objekte gerichtet, die sich in Form von Mastspitzen über der Kimm angekündigt hätten. Bis auf wenige Ausnahmen hatten die Männer sowieso damit zu tun, sich auf jene Arbeiten zu konzentrieren, die sie befehls- und routinemäßig auszuführen hatten. Denn seit der Begegnung mit jener „Santa Barbara“ hatte sich das Geschehen an Bord grundlegend gewandelt. Da gab es eine munter plappernde Schar von Schönheiten, bei deren Anblick jedem Seemann auf den Weltmeeren einfach die Augen übergehen mußten.

Wenn sich die Arwenacks als wahre Gentlemen zeigten und die Ladys nicht einmal mit einer vorwitzigen Bemerkung bedachten, so lag es an dem, was sie über ihre weiblichen Gäste an Bord wußten.

Was die neununddreißig Indianerinnen vom Stamm der Arawak hinter sich hatten, mußte grauenvoll gewesen sein. Und noch düsterer war das Schicksal gewesen, das ihre spanischen Entführer ihnen zugedacht hatten.

Der Seewolf sah voraus, was sich abspielen würde. Das war in dem Moment, in dem Sam Roskill aus der Grätingsluke vor der Nagelbank des Großmasts auftauchte und sich schnell und verstohlen umsah. In einem unbeobachteten Augenblick hatte er sich davongeschlichen, und da auch jetzt alle Aufmerksamkeit zur Back gerichtet war, hatte Sam keine Mühe, sich heimlich vor den festgezurrten Beibooten aufzurichten.

Hasard konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen, fuhr aber fort, so zu tun, als beobachtete er voller Interesse die nördliche Kimm. Scheinbar hingebungsvoll hantierte er an seinem Spektiv, das irgendwie zu klemmen schien. Was sich da unten auf der Kuhl anbahnte, war schon lange fällig. Hasard wußte indessen, daß er nicht einzugreifen brauchte. Denn für einen solchen Fall hatte er bestens vorgesorgt.

Sam Roskill, der schlanke Draufgänger mit dem dunklen Haar und den dunklen Augen, hatte sich ausgerüstet. Lange hatte er nachgedacht, bis er auf die zündende Idee verfallen war. Teufel auch, dieser Plan mußte klappen! In beiden Händen, als sei es besonders zerbrechlich, trug er das Werkzeug, das er sich unter Deck besorgt hatte – Holzhammer und Zangen zum Demontieren des Hinterlader-Verschlußstücks und einen Rohrwischer. Gerade in der jüngsten Vergangenheit waren die Drehbassen auf der Back besonders häufig benutzt worden. Al Conroy hatte sie mehrfach und mit besonderem Erfolg für seine höchst wirksamen „Achterstiche“ eingesetzt.

Diese Methode, sich von achtern an einen Gegner heranzupirschen und ihm die Ruderanlage zu zerschießen, hatte im Fall des Geleitzuges jedesmal von neuem gewirkt. Das hatte so weit geführt, daß der Seewolf bereits überlegt hatte, diese Taktik in ein noch zu verfassendes Seekriegshandbuch aufzunehmen. Allerdings waren die besonderen Fähigkeiten Big Old Shanes und Batutis mit ihren englischen Langbögen wesentlicher Bestandteil dieser Taktik, vor allem jedoch die überragenden Fähigkeiten des schwarzhaarigen Stückmeisters.

Die beiden Drehbassen auf der Back, so hatte Sam Roskill messerscharf überlegt, bedurften dringend einer gründlichen Pflege. Während er an der Steuerbordseite der Kuhl zielstrebig losmarschierte, war er seiner Sache bereits völlig sicher. Keiner der Kerle würde ihn durch eine dämliche Bemerkung zurückhalten. Denn interessiert waren sie letzten Endes alle genauso wie er. Und wenn seine Methode funktionierte, dann würden die Nachahmer mit ähnlichen Ideen im Handumdrehen folgen.

Die ersten Schritte klappten reibungslos. Sam fühlte sich bestärkt und schritt rascher aus. Ringsum verstummten die Gespräche. Er fühlte die staunenden und bewundernden Blicke, die ihm folgten.

Staunt nur, ihr einfallslosen Kakerlaken, dachte er voller Stolz, Ideen muß der Mensch haben, dann erreicht er auch was.

Im nächsten Moment vollführte sein Herz einen Freudenhüpfer. Das Kombüsenschott stand halb offen, und von drinnen war deutliches Klappern zu hören. Der Mann, der dort drinnen hantierte, konnte niemand anders als Mac Pellew sein, der Sauertopf vom Dienst.

Sam hatte von Anfang an damit gerechnet, sich den Weg freikämpfen zu müssen – mit Worten natürlich. Und jetzt gab es nicht einmal ein Hindernis. Wahrscheinlich war der Griesgram soeben damit beschäftigt, für seine liebreizenden Schutzbefohlenen einen Leckerbissen zuzubereiten. Das tat er natürlich voller Hingabe, und er hatte sicherlich weder Augen noch Ohren für seine Umgebung.

Eingedenk des nicht vorhandenen Hindernisses konzentrierte sich Sam nun auf das verlockende Ziel, das greifbar nahe war.

Ihr heiteres Geplapper war so rein wie heller Glockenklang. Ihre Haut schimmerte bronzefarben im milden Sonnenlicht, und ihr Haar glänzte wie Seide. Von jener bronzenen Haut zeigten sie überhaupt sehr viel, und sie taten es auf eine so natürliche Weise, daß es den Arwenacks keinen Moment als Grund für krumme Gedanken erschienen war.

Die jungen Frauen hatten sich auf der Back versammelt, wie es der Seewolf angeordnet hatte. Sie genossen die frische Luft, ordneten ihr Haar und besserten ihre Kleidung aus. Das Leben war ihnen wiedergeschenkt worden, und sie würden die stickigen Unterdecksräume der spanischen Handelsgaleone rasch vergessen.

Eine ihrer Leidensgefährtinnen war von dem teuflischen Capitán Vargas erschossen worden – als Geisel, um den großen schwarzhaarigen Engländer an seiner Rettungsaktion zu hindern. Die Trauer der überlebenden Frauen gehörte nicht etwa der Vergangenheit an. Aber Vargas hatte für sein Verbrechen bezahlt. Und sie wußten, daß sie sich mit ganzem Mut auf einen neuen Lebensabschnitt vorbereiten mußten.

Mit jedem Schritt, den sich Sam Roskill dem Steuerbordniedergang zur Back näherte, wuchs seine Faszination. Was sich seinen immer größer werdenden Augen da auftat, mußte er erst einmal verdauen. Himmel, diese Ladys waren Schönheiten, eine wie die andere. In der allgemeinen Wuhling bei ihrer Rettung hatte man darauf gar nicht so sehr geachtet. Jetzt aber, da er den Vorzug ausgiebiger Blicke aus unmittelbarer Nähe genießen durfte, wurde Sam Roskill klar, welchen kostbaren Schatz sie hier an Bord genommen hatten.

Die jungen Frauen vom Stamm der Arawak-Indianer waren samt und sonders jung, gutgewachsen und ausnehmend hübsch. Sam Roskill konnte sich nicht erinnern, so etwas jemals an Bord eines Segelschiffes erlebt zu haben. Und er war immerhin schon Pirat in der Karibik gewesen, bevor er sich dem Seewolf und seinen Männern angeschlossen hatte.

Gewiß, da hatte es einige Begegnungen mit der holden Weiblichkeit gegeben. Sam dachte an die Galeone der Komödianten. Eine muntere Schar, in der besonders die männerhungrigen Schauspielerinnen aufgefallen waren. Die Timucua-Indianer waren auf Coral Island mit ihren Frauen unter sich geblieben.

Und jene Galeone, die seinerzeit käufliche Damen aus dem alten Paris nach Tortuga gebracht hatte, war ein Segen gewesen. Manon und die anderen lebten noch immer auf der Schildkröten-Insel, wie sich vor kurzem bei einem Abstecher ergeben hatte. Aber in ihrer besonderen Art von Abgebrühtheit waren sie ein völlig anderer Schlag als diese jungen Arawak-Frauen in ihrer Natürlichkeit.

Sam Roskill bemerkte, daß die ersten von ihnen ihre Gespräche unterbrachen und sich zu ihm umsahen. Das muntere Geplapper verstummte nach und nach, und interessierte Blicke aus glutvollen schwarzen Augen richteten sich auf den schlanken, gutaussehenden Mann, der offenbar mit einem besonderen Auftrag auf die Back zustrebte.

Sam spürte das Interesse, das er erweckte, und ein Gefühl innerer Wärme erfaßte ihn. Er fühlte sich bestärkt in seinem Beschluß, denn natürlich bewunderten ihn die Ladys wegen seines Wagemuts. Bestimmt wußten sie, daß es der Crew ausdrücklich verboten worden war, sich den weiblichen Gästen an Bord mit eindeutigen oder zweideutigen Angeboten zu nähern. Mac Pellew, die Essiggurke, führte sich auf wie ein Gockel, weil Hasard ihn zum Verantwortlichen für das Wohlergehen der Ladys ernannt hatte.

Seitdem spielte der Kombüsenstint den Wichtigtuer, spreizte sich regelrecht und hatte bei Hasard sogar durchgesetzt, daß der Mannschaft das Betreten des jeweiligen Bereichs untersagt wurde, in dem sich die Frauen gerade aufhielten.

Immer noch war das Klappern aus der Kombüse zu hören. Sam Roskill konnte es kaum glauben, aber er erreichte unbehelligt den Niedergang. Die Stille an Bord war wie zum Schneiden. Hinter ihm kriegten die Kerle immer längere Stielaugen. Und vor ihm bestaunten ihn die Ladys wie ein Wundertier.

Mit gewinnendem Lächeln enterte er über den Niedergang auf und verharrte auf der ersten Planke. Beim Klabautermann, das war ein Anblick, der einen zum Jodeln bringen konnte. Diese Glutblicke, diese ebenmäßigen Gesichter, diese jugendlich straffe Haut und diese festen hüllenlosen Brüste! Sam spürte das Verlangen, sich zu kneifen, um festzustellen, ob es nicht vielleicht doch ein Traum war.

Von der Galion war das helle Keckern des Schimpansen zu hören. Arwenack genoß als einziges männliches Wesen an Bord der „Isabella“ den Vorzug, ständig mit den Ladys zusammensein zu dürfen. Einige von ihnen schienen auf der Galion beschäftigt zu sein. Ihre Kleidung mußte nach dem Zwangsaufenthalt in den stickig-stinkigen Laderäumen der Spaniergaleone dringend gewaschen werden. Das Lachen der Indianerinnen begleitete die Laute des Schimpansen. Seine Späße erweckten ihre Heiterkeit.

Sam Roskill gab sich einen Ruck und wandte sich Taina zu, die mit dem Einverständnis ihrer Leidensgefährtinnen so etwas wie eine Anführerin und Sprecherin geworden war. Außerdem beherrschte sie die spanische Sprache, was eine Verständigung mit Hasard und seinen Männern erleichterte.

„Bitte um Verzeihung“, sagte Sam mit einer angedeuteten Verbeugung.

Seine Stimme klang seltsam heiser, er fühlte sich tapsig und unbeholfen wie ein Walroß beim Landgang. Er beherrschte die spanische Sprache ebenfalls perfekt, und so hätte es ihm eigentlich keine Mühe bereiten dürfen, das auszudrücken, was er sagen wollte. Aber angesichts der vielen freundlich-interessierten Blicke aus diesen sinneslähmenden Glutaugen wurde er auf eine Weise verlegen, wie sie ihm völlig unbekannt war.

Er suchte nach Worten und fand sie nicht. Sein Schädel war auf einmal wie leergebrannt, und er brachte nicht mehr als ein langgezogenes „Äh – mhm – äh, also …“ zustande.

Taina richtete sich mit verständnisvollem Lächeln vor ihm auf. Auch ihr Oberkörper war unverhüllt, sie trug lediglich einen Lendenschurz aus inzwischen gewaschenem und getrocknetem buntem Tuch.

„Sie brauchen sich nicht zu verzeihen, Señor“, sagte Taina. „Sie haben eine Arbeit zu erledigen, nicht wahr? Also, fangen Sie nur an, wenn wir Sie nicht dabei stören.“

Sam Roskill mußte lachen. Das Eis war gebrochen.

„Stören? Sie mich?“ entgegnete er nach kurzem Zögern. „Eher umgekehrt, Señorita.“

Taina sah ihn forschend an. Ihr Lächeln wich einem Stirnrunzeln.

„Ich habe etwas Falsches gesagt, nicht wahr? Warum verbessern Sie mich nicht? Ich lerne gern.“

Ihre Offenheit verblüffte ihn. Teufel auch, da dachte man als höflichkeitsbeflissener Gentleman dreimal um die Ecke, um nur niemanden zu beleidigen, und diese Naturkinder sagten es einem rundheraus ins Gesicht, was sie dachten und empfanden. Bestimmt die bessere Art zu leben, dachte Sam Roskill.