Über das Buch

Wie hat die Biologie Sie zu dem wunderbaren Menschen gemacht, der Sie ohne Zweifel sind? Und was können Sie dagegen tun? Das neue Buch von Science-Slam-Europameister Martin Moder entführt uns in die Naturwissenschaft der Gegenwart und Zukunft – und klärt dabei spielerisch die bedeutendsten Fragen. Wie wird man weniger blöd? Kann man Weicheier zu Alphatieren machen, indem man ihnen ins Gehirn leuchtet? Wie wird ein Sesselfurzer zum muskelbepackten Adonis, ohne auch nur aufstehen zu müssen? Und darf man eine Genschere am Flughafen mit ins Handgepäck nehmen? Mit viel Humor beschreibt der Neuzugang der Science Busters, wie die Wissenschaft versucht, uns zu besseren Menschen zu machen.

Martin Moder

GenpoolParty

Wie die Wissenschaft uns stärker, schlauer und weniger unausstehlich macht

Carl Hanser Verlag

Inhalt

Vorwort

Deine DNA und du

Die Veränderung des menschlichen Genoms

Erwachsene genetisch verändern

Embryonen genetisch verändern

Was wollen wir optimieren?

Intelligenz: Ursachen und Nebenwirkungen

Erfolgsgarant Selbstüberschätzung

Intelligenz ist nicht alles

Die genetische Grundlage der Intelligenz

Wie wird man weniger dumm?

Die Biologie des menschlichen Verhaltens

Internationale Seuchenparty

Die Vermessung der Persönlichkeit

Forscher, die mit Pilzen dealen

Attraktiv und dominant

Das Streben nach Glück

Wie soll das nur weitergehen?

Gefährliche Biologie

Ethische Optimierung

Die Apokalypse kann warten

Schlusswort

Literatur

Register

Vorwort

Ich weiß, was Sie beim Lesen des Klappentexts gedacht haben: »Wieder so ein Österreicher, der vom Übermenschen schwärmt.« Aber so einer bin ich nicht und erkläre Ihnen auch gerne warum. Erstens wäre ein Buch, das den Übermenschen feiert, zum Scheitern verurteilt, weil Leute, die der Eugenik vergangener Tage nachtrauern, nur selten Bücher lesen. Zweitens kann es so etwas wie einen »idealen« Menschen grundsätzlich nicht geben. Schön für Sie, wenn Sie ein persönliches Ideal haben, sei es Jesus, Gollum oder Wonder Woman, aber als allgemeingültiges Ideal taugt es wenig, da sich die Zuschreibung »ideal« grundsätzlich nicht auf der Ebene eines Individuums machen lässt. Das liegt daran, dass eine Gesellschaft ihren Mitgliedern zahlreiche verschiedene Einsatzmöglichkeiten bietet, die vollkommen unterschiedliche Ansprüche an die ideale Besetzung stellen. Bestünde eine Gesellschaft ausschließlich aus idealen Kindergärtnern, würde sie gleichermaßen scheitern wie eine, die zur Gänze aus idealen Atomphysikern, Ausdruckstänzern oder Steuerberatern besteht. Schon alleine deshalb kann es einen idealen Menschen nicht geben, selbst wenn Sie in Ihrem Freundeskreis einen kinderfreundlichen Steuerberater haben, der das Periodensystem der Elemente tänzerisch darstellen kann. Sogar Eigenschaften, die auf den ersten Blick eindeutig positiv erscheinen, beispielsweise hohe Lebenszufriedenheit, haben ihren Preis. Hätten Künstler wie Tschaikowski oder Chester Bennington von Linkin Park so berührende Musik machen können, wenn sie nicht mit Depressionen zu kämpfen gehabt hätten? Wären alle Menschen stets gut gelaunt, wären in Musikgeschäften bald nur noch »Best Of Mallorca Party Hits« erhältlich. Eine Welt, die eine feurige Apokalypse mehr als verdient hätte.

Wenn man nicht definieren kann, was der Idealzustand ist, lässt sich auch schwer bestimmen, welche Veränderung eine Optimierung darstellt und welche nicht. Aber seien wir doch mal ehrlich – vermutlich sind Sie eher daran interessiert, wie man einen Menschen stärker, intelligenter und attraktiver macht, als daran, wie man schwach, dumm wie Brot und ekelerregend wird. Nicht umsonst sind Filme erfolgreicher, bei denen der Protagonist nach dem Reaktorunfall Superkräfte bekommt, als solche, in denen er mit Verdacht auf Basalzellkarzinom verunsichert im Wartezimmer des Allgemeinen Krankenhauses Wien landet. Wir wählen deshalb diesen rein pragmatischen Ansatz, um trotzdem das Wort »Optimierung« zu verwenden.

Von Zeit zu Zeit bringt die Menschheit Individuen hervor, die in manchen Bereichen so herausragend sind, dass es ihnen gelingt, die Welt für uns alle zu verändern. Ein Herr namens Albert war so brillant, dass wir dank ihm das Universum besser verstehen und Navigationssysteme bauen können. Eine Dame namens Rosa war so unbeugsam, dass ihre Standhaftigkeit die Bürgerrechtsbewegung in den USA startete. Ein Österreicher mit einprägsamer Gesichtsbehaarung war ein so begnadeter Redner, dass es ihm gelang, die Welt in blutiges Chaos zu stürzen. Wodurch ist es diesen Leuten gelungen, sich derart von der Masse abzuheben? Die Wissenschaft der letzten Jahre hat immer deutlicher gezeigt, dass nicht nur körperliche Attribute wie Aussehen, Kraft und Größe eine starke biologische Komponente haben, sondern auch Eigenschaften, die uns so ungreifbar erscheinen wie Persönlichkeit, Intelligenz, Glücksempfinden und Empathie. Was diesen biologischen Einfluss ausmacht, kann die Wissenschaft mit ständig zunehmender Genauigkeit beschreiben. Die Aufgabe dieses Buches ist es, Ihnen zu zeigen, was Sie zu dem wunderbaren Menschen macht, der Sie ohne Zweifel sind – und was Sie dagegen tun können. Denn der Punkt, an dem wir unsere biologische Evolution dem brutalen Mechanismus von Mutation und Selektion entreißen und sie selbst bestimmen können, scheint beinahe erreicht zu sein. Inwieweit sind Persönlichkeit und Intelligenz einer Person biologisch bedingt? Was sind überraschende Wege, um darauf Einfluss zu nehmen? Was macht uns glücklich und weshalb bilden wir uns überhaupt ein, dass ein Streben danach sinnvoll ist?

Die gezielte Veränderung unserer biologischen Grundlage wird schon bald keine Frage des Könnens mehr sein, sondern eine Frage des Wollens. Doch die Wissenschaft der letzten Jahre hat einfache Möglichkeiten aufgezeigt, durch die wir uns bereits heute in interessante Richtungen verändern können. Wenn Sie schon immer wissen wollten, wie Drogenpartys im Labor ablaufen, warum Klaviermusik aus dem 19. Jahrhundert so geil macht und was das alles mit der Verbesserung des Menschen zu tun hat, werden Sie mit diesem Buch große Freude haben.

Deine DNA und du

Als Kind war ich dick und froh darüber. Meine Prioritäten waren klar verteilt und lagen irgendwo zwischen dem Computerspiel »Age of Empires« und Pizza. Aus damaliger Sicht war meine Leibesfülle etwas durchaus Wünschenswertes. Mir wurde nicht schnell kalt, und wenn ich einen Joghurt im Rucksack hatte, war ich froh darüber, dass ich nicht leicht umzustoßen war. Doch dann kam das böse Erwachen: die Pubertät. Und mit ihr die schaurige Erkenntnis, dass es neben Computerspielen und Muttis preisverdächtigem Melanzani-Auflauf noch andere Dinge gibt, für die man sich interessieren könnte. Mir wurde klar, dass ein Idealzustand etwas Subjektives und Wandelbares ist. Ich habe deshalb begonnen, mich gesünder zu ernähren, Sport zu treiben, und nach einiger Zeit war alles, was von dem dicken Martin übrig geblieben war, der Martin. Das ist auch gut so, denn füllige Menschen, die Bücher schreiben, laufen Gefahr, spöttisch als »Kugelschreiber« bezeichnet zu werden. Würde ich meinem Appetit jedoch freien Lauf lassen, wäre das Comeback des dicken Martin nur eine Frage der Zeit. Wieso drängt uns der eigene Körper zu einem Verhalten, das ihm selbst schadet? War die Evolution im Biologieunterricht kurz unaufmerksam und hat »Survival of the Fettest« verstanden? Oder liegt es daran, dass unser Körper für eine Welt optimiert wurde, in der weder weiße Schokolade noch Quattro Formaggi Pizza existieren? Das Zeitalter, in dem wir keine Angst davor haben müssen zu verhungern, hat aus Sicht der Erdgeschichte gerade erst begonnen. Und das noch nicht einmal auf der gesamten Welt. Wen wundert es also, dass unser Körper trotz vorhandener Zentralheizung versucht, uns durch Winterspeck vor dem Erfrieren zu schützen, und uns trotz 24-Stunden-Lieferservice auf den drohenden Hungertod vorbereiten möchte. Dass unser Körper für diese durchgehende Verfügbarkeit von Kalorien nicht optimiert ist, spiegelt sich darin wider, dass mittlerweile mehr Menschen von Übergewicht betroffen sind als von Unterernährung.

Lässt man der Natur ihren Lauf, passt sich die Biologie im Laufe von Tausenden, wenn nicht Millionen von Jahren an neue Umweltbedingungen an. Allerdings kann sich unser modernes Leben innerhalb weniger Jahrzehnte so grundlegend verändern, dass sich die Biologie »Eh scho wurscht« denkt und es erst gar nicht versucht. Mit einer solchen Unstimmigkeit zwischen unserem Umfeld, unserer Psychologie und unserer Biologie lässt sich auf drei Arten umgehen: Entweder wir ändern unser Umfeld, unsere Psychologie, oder unsere Biologie. Bezogen auf unsere bewegungsarme, Tiefkühlpizza-reiche Lebensweise bedeutet das, dass dekadente Kalorienbomben meistens unerreichbar sein müssten (Umgebung ändern), oder wir die Willenskraft aufzubringen hätten, köstlichen Versuchungen zu widerstehen (Psychologie ändern), was vielen Menschen jedoch kaum gelingt. Die dritte und radikalere Möglichkeit ist es, unsere Biologie selbst zu verändern. In diesem Fall so, dass unser Körper mit den neuen Lebensbedingungen besser zurechtkommt.

Das ist zum Beispiel die Idee hinter der »Polypill«, einer präventiv wirkenden Tablette, die verschiedene Arzneistoffe kombiniert, um unseren Organismus besser an den westlichen Lebensstil anzupassen und Blutdruck sowie Cholesterinwerte trotz fettreicher Ernährung und Bewegungsmangel im Normalbereich zu halten. Auch Eingriffe wie ein Magenbypass, bei dem das Verdauungssystem so zurechtgestutzt wird, dass es weniger Nahrung aufnimmt, sind letztlich Versuche, die Biologie eines Menschen radikal an eine Umwelt anzupassen, in der Cheeseburger € 1,29 kosten und per Rolltreppe erreichbar sind. Aber auch unsere geistigen Fähigkeiten hatten kaum Gelegenheit, sich auf biologischer Ebene an die immer komplexer werdende, technologisch hochentwickelte Umgebung anzupassen, in der wir heute leben. Mit dem Resultat, dass konzentrationsfördernde Substanzen wie Ritalin und andere »Gehirndopingmittel« immer beliebter werden, um unser Denkorgan für eine solche Umwelt zu optimieren. Selbst unsere Psyche lässt sich an Lebensbedingungen anpassen, die nicht unserem Wesen entsprechen – dank Antidepressiva.

Better Babies

Derartige Eingriffe stoßen aber schnell an ihre Grenzen, da lediglich nachträgliche Schadensbegrenzung an einer bereits vorhandenen biologischen Grundlage betrieben wird. Die Biologie eines Hamsters wird ihm auch dann nicht das Lösen von Integralgleichungen erlauben, wenn Sie ihm eine ganze Jahrespackung Ritalin füttern. Im Gegenteil – tot umfallen wird er. Kein Wunder also, dass Menschen fasziniert sind von dem Gedanken, diese Grundlage gezielt zu beeinflussen. Allerdings waren wir nicht die Ersten, die diese Idee hatten. Die Natur kam uns Jahrmillionen zuvor. Immerhin ist einer der Hauptgründe dafür, dass Sie manche Menschen attraktiver finden als andere, dass Sie Ihre Nachkommen mit den bestmöglichen Eigenschaften ausstatten möchten. Dabei hebt sich der Mensch von anderen Tieren insofern ab, als sich manche von uns sogar Pokale verleihen lassen, wenn sie glauben, gute Partnerselektion betrieben zu haben. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden auf US-amerikanischen Volksfesten »Better Babies«-Wettbewerbe abgehalten. Dabei wurden Säuglinge ab 6 Monaten von Medizinern und Krankenschwestern benotet. Spitzen-Babys konnten maximal 1000 Punkte erzielen – 700 für ein makelloses Erscheinungsbild, 200 für mentale Leistungsfähigkeit und 100 für körperliche Eigenschaften wie Größe und Gewicht. Wieso 700 Punkte für das physische Erscheinungsbild und nur 200 für mentale Fähigkeiten? Na, was erwarten Sie bitte bei Volksfesten, auf denen sonst nur Saatgut und Zuchtrinder verglichen werden? Die Eltern der Sieger bekamen eine Trophäe, die Verlierer eine Liste mit Ratschlägen, wie man trotzdem noch das Beste aus dem Winzling machen kann. Ziel der Wettkämpfe war es, Menschen dazu zu motivieren, Nachwuchs zu zeugen, der von der Mehrheitsgesellschaft als wünschenswert betrachtet wird. In der Hoffnung, das ganze Land würde davon profitieren. Charles Darwin war noch keine 30 Jahre tot, und schon versuchte man, seiner Theorie ins Handwerk zu pfuschen. Allerdings ohne nennenswerten Erfolg. Vermutlich weil die Aussicht auf einen Volksfest-Pokal bei der Partnerwahl selten an der Spitze der Prioritätenliste steht.

So undenkbar diese Wettbewerbe aus heutiger Sicht auch erscheinen, ihre Grundannahme war nicht gänzlich absurd: Genetisch festgelegte Eigenschaften lassen sich anreichern, wenn innerhalb bestimmter Gruppen geheiratet wird. Ein Beispiel dafür findet man bei Mitgliedern einer Gruppe, die zur Glaubensgemeinschaft der Amischen gehört. Die Amischen sind für die Wissenschaft besonders interessant, da sie in den USA bis heute sehr zurückgezogen leben, nur innerhalb der eigenen Gemeinschaft heiraten und deshalb eine genetisch abgegrenzte Gruppe bilden. Bei ihnen stießen Forscher 2017 auf eine Genvariante, die ihre Träger nicht nur langsamer altern ließ, sondern auch länger gesund hielt. In der Studie trugen 16 Prozent der untersuchten Amischen eine Mutation in beiden Kopien des Gens SERPINE1, wodurch sie durchschnittlich 10 Jahre älter wurden als ihre un-mutierten Glaubensgeschwister und seltener an Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen litten.

Lautet das Rezept für den gesellschaftlichen Jungbrunnen also: sich eine überschaubare Gruppe vorzüglich mutierter Freunde suchen und sich in einen ungehemmten, generationenübergreifenden Inzest-Gangbang stürzen? Nicht wenn die Gruppe so klein ist, dass es darin zu wenig genetische Vielfalt gibt. Schmerzhaft erfahren musste das Karl II., der letzte Habsburger in Spanien. Karl war körperlich krank, mental zurückgeblieben und hatte ein Gesicht, das nur eine Mutter lieben kann. Selbst ohne seine Impotenz wäre er vermutlich kinderlos gestorben. Seine Unfähigkeit, Nachkommen zu zeugen, machte nicht nur ihm zu schaffen, sondern stürzte durch den Spanischen Erbfolgekrieg halb Europa ins Chaos. Kein triumphales Ende einer jahrhundertelangen Heiratspolitik, die politische Interessen über die der genetischen Vielfalt stellte. Niemand weiß genau, aus wie vielen Individuen eine Gesellschaft bestehen muss, damit sie trotz ausschließlich gruppeninterner Fortpflanzung ausreichend genetische Vielfalt aufweist, um langfristig überleben zu können. Viele Berechnungen kommen auf mehrere Tausend Personen. So viele Freunde haben Sie aber nicht, auch wenn Ihr Facebook-Account etwas anderes behauptet – versuchen Sie es also erst gar nicht.

Vom Gen zur menschlichen Eigenschaft

Die Zeit von Karl II. liegt aus heutiger Sicht lange zurück, und mittlerweile wurden viele Dinge entwickelt, die sein Leben deutlich hätten verbessern können: Körperhygiene, Internet Dating und die moderne Genetik – und mit Letzterer die bevorstehende Möglichkeit, gezielt in das menschliche Erbgut einzugreifen. Eine Voraussetzung, um den Code des Lebens, unsere DNA, umzuschreiben, ist, ihn lesen zu können. Mittlerweile sind wir darin ziemlich gut geworden, obwohl es nicht einfach ist. Ein Buch kann man einfach aufschlagen und immer wieder in ihm nachschlagen. Macht man das jedoch bei einem Menschen, landet man im Gefängnis. Um DNA abzulesen, muss man klüger vorgehen, obwohl sie auf den ersten Blick recht simpel erscheint. Unsere Erbinformation ist in nur 4 Buchstaben niedergeschrieben, die man auch als Basen bezeichnet: A (Adenin), T (Thymin), G (Guanin) und C (Cytosin). Die vier Buchstaben befinden sich auf einem fadenartigen Rückgrat, das aus Zuckermolekülen und Phosphat besteht. Auf diese Weise bildet die DNA eines Menschen einen Code, der drei Milliarden Buchstaben lang ist und in Form einer sogenannten Doppelhelix zusammengerollt in den Kernen unserer Körperzellen wohnt. Würde man diesen Faden aus einer einzigen Zelle herauskratzen, entwirren und in einer geraden Linie aufspannen, wäre er beinahe zwei Meter lang. Dieses Molekül ist das Resultat von beinahe vier Milliarden Jahren natürlicher Selektion. Unzählige Generationen haben es durch ihren tapferen Überlebenskampf und ihre unbezwingbare Sexbesessenheit ermöglicht, dass eine sich laufend verbessernde Kopie dieses Moleküls ohne Unterbrechung vom ersten Lebewesen der Welt bis zu Ihnen weitergegeben wurde. Alles, was einen Menschen ausmacht, bevor die Umwelt als zweiter prägender Faktor hinzukommt, ist auf diesem Faden niedergeschrieben, der sogar zu klein ist, um als mikroskopisch bezeichnet zu werden. Viele Menschen wissen das, aber die wenigsten können sich vorstellen, wie dieses tote, unscheinbare Molekül so persönliche Merkmale wie unsere Einfühlsamkeit beeinflussen soll. Zur Veranschaulichung lesen Sie bitte folgenden Absatz laut vor:

DNA.tif

Ist Ihnen etwas aufgefallen? Richtig, in der Mitte des Buchstabensalats befindet sich ein R. Ich habe es fett markiert, weil Sie sich ja doch zu gut dazu sind, die paar Zeilen aufmerksam durchzulesen. Bei diesem Absatz handelt es sich um etwa sieben Prozent der DNA-Sequenz eines Gens namens OXTR, das den Rezeptor für das Hormon Oxytocin kodiert. Dieser Rezeptor ist die Voraussetzung dafür, dass unsere Gehirnzellen auf das Hormon reagieren können, das unser Sozialverhalten auf vielfältige Weise beeinflusst. Der Buchstabe R, in der Mitte der Sequenz, bedeutet in diesem Fall nicht, dass wir den Nobelpreis für die Entdeckung eines neuen DNA-Bausteins bekommen. Er dient lediglich als Platzhalter, da sich an dieser Stelle der DNA entweder ein A oder ein G befinden kann. Je nachdem, bei welchem Menschen man nachsieht. »Ja, meine Güte«, denken Sie jetzt, »ein Buchstabe von drei Milliarden, da würden selbst radikale Internet-Grammatik-Nazis ein Auge zudrücken.« Aber in der Genetik können kleinste Veränderungen große Auswirkungen haben. Mehrere Studien haben gezeigt, dass dieser einzelne Buchstabe die Funktion des Oxytocin-Rezeptors beeinflusst und somit auch unser Sozialverhalten verändert – abhängig davon, ob sich an dieser Stelle ein G oder ein A befindet.

Von fast allen unserer Gene tragen wir zwei Kopien in uns – eine von der Mutter und eine vom Vater. Menschen, bei denen in beiden Kopien des OXTR-Gens an dieser Stelle ein G steht, sind im Durchschnitt einfühlsamer, fühlen sich weniger alleine und interagieren auf feinfühligere Weise mit ihren Kindern als Leute, bei denen sich in beiden Kopien ein A befindet. Und das ist nur ein Beispiel von vielen. Alleine im OXTR-Gen sind zahlreiche Mutationen bekannt, von denen man Auswirkungen auf unser Verhalten vermutet. Unser Denken und Handeln basiert auf einer Vielzahl von Hormonen und Neurotransmittern, deren Funktion und Zusammenspiel sich durch winzigste Veränderungen der DNA beeinflussen lassen.

Macht uns DNA-Sequenzierung zu Arschlöchern?

All das können wir nur deshalb erforschen, weil wir erstaunlich gut darin geworden sind, unsere Erbinformation abzulesen. Um die DNA-Sequenz des ersten menschlichen Genoms zu entschlüsseln, haben über 1000 Wissenschaftler weltweit 13 Jahre lang gearbeitet und dafür 3 Milliarden Dollar Budget verheizt. Fertig waren sie damit 2003. Heute wird etwa alle 10 Minuten ein komplettes menschliches Genom sequenziert. Tendenz stark steigend. Die Kosten dafür betragen mittlerweile weniger als 1000 Dollar pro Genom. Tendenz stark sinkend. Damit steht das Ablesen des menschlichen Genoms kurz davor, eine medizinische Routinemaßnahme zu werden. Zumindest aus technischer Sicht wird das bald kein Problem mehr sein. Abzuwarten bleibt, ob es aus menschlicher Sicht eines werden könnte. Verändert man den Menschen bereits dadurch, dass man ihm etwas über seine Gene erzählt?

»Experten auf dem Gebiet der menschlichen Genetik sagen uns, dass die kleine Population der Tutsi darauf zurückzuführen ist, dass sie nur untereinander heiraten … Eine Kakerlake kann keinen Schmetterling zur Welt bringen. Eine Kakerlake bringt eine weitere Kakerlake zur Welt.« – Übersetzt aus der Hutu-Zeitung Kangura vom März 1993. Im darauffolgenden Jahr töteten Angehörige der Hutu-Mehrheit innerhalb weniger Monate Hunderttausende der in Ruanda lebenden Menschen, die der Tutsi-Minderheit angehörten. Lange bevor das erste menschliche Genom sequenziert war, wurde der Hinweis auf genetische Unterschiede schon dazu benutzt, um Bevölkerungsgruppen gegeneinander aufzuhetzen. Forscher fanden Hinweise darauf, dass wir Menschen bevorzugen, von denen wir glauben, sie seien uns genetisch ähnlich. Fair ist das nicht, aber manchmal verhält sich Evolution nun mal wie ein gefühlskalter Egomane. Jemanden zu unterstützen, der einem genetisch ähnelt, ist die zweitbeste Strategie zur Verbreitung des eigenen Genmaterials, nach der direkten Weitergabe des eigenen. Je enger Lebewesen miteinander verwandt sind, desto häufiger beobachtet man zwischen ihnen selbstloses Verhalten, weil dadurch die Chance steigt, die eigenen Gene an nachfolgende Generationen indirekt weiterzugeben.

Eine grobe Genanalyse, die die Übereinstimmung der eigenen DNA mit Populationen rund um den Globus vergleicht, ist mittlerweile leicht zu bekommen. Bei dem Anbieter 23andMe reichen dazu ein bisschen Spucke, sechs Wochen Wartezeit und 99 Euro. Mit zunehmender Verbreitung von Genanalysen drängt sich die Frage auf, wie Menschen mit den Resultaten umgehen. In einer Studie aus dem Jahr 2016 testeten Forscher, welche Auswirkungen es hat, wenn Menschen erfahren, dass ihre DNA der einer anderen Gruppe gegenüber ähnlich oder unähnlich ist. Um es spannend zu machen, rekrutierten sie Versuchsteilnehmer aus zwei Bevölkerungsgruppen, die nicht für ihren liebevollen Umgang miteinander bekannt sind: Juden und Araber. Sie bekamen Zeitungsartikel zu lesen, in denen entweder auf die genetischen Unterschiede zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen eingegangen wurde oder auf die genetischen Gemeinsamkeiten. Danach testeten die Forscher, ob sich die Vorurteile der Versuchsteilnehmer gegenüber der anderen Gruppe verändert hatten, abhängig davon, welchen der Artikel sie gelesen hatten. Teilnehmer, die über genetische Unterschiede informiert wurden, charakterisierten die jeweils andere Gruppe als gewalttätiger und unfreundlicher – obwohl der Zeitungsartikel nichts dergleichen erwähnt hatte.

Doch ändert sich dadurch auch ihr Verhalten? In einem anderen Experiment täuschten die Studienleiter jüdischen Versuchsteilnehmern vor, sie würden ein Computerspiel mit einer Person namens »Mohammed« spielen, die sich angeblich in einem anderen Raum befindet. In dem Spiel mussten die jüdischen Versuchsteilnehmer nach jeder gewonnenen Runde den Verlierer Mohammed mit einem Geräusch bestrafen, dessen Intensität von angenehm leise bis unangenehm laut wählbar war. Lasen sie zuvor den Artikel über genetische Unterschiede, wählten sie dabei höhere Lautstärken als Leute, die über genetische Gemeinsamkeiten informiert worden waren. Die Forscher gingen aber noch einen Schritt weiter und führten die Studie in Israel fort, dem Ort, an dem der Konflikt zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen am intensivsten ausgetragen wird. Jüdische Israelis, die über genetische Unterschiede gelesen hatten, waren weniger bereit, politische Kompromisse mit Palästinensern einzugehen, unterstützten eher deren politischen Ausschluss und zeigten vermehrte Bereitschaft zu Kollektivbestrafungen.

Was schließen wir daraus? Menschen suchen unermüdlicher nach Gründen, um sich von unliebsamen Gruppen zu distanzieren, als Gargamel nach den Schlümpfen. Die Studie fand allerdings auch heraus, dass das Betonen der genetischen Gemeinsamkeiten in manchen Fällen zu einer größeren Unterstützung von Friedensbemühungen führte. Man weiß nicht, ob diese Effekte nur kurzfristig auftreten oder langfristigen Einfluss auf das Verhältnis von Gruppen haben, die miteinander in Konflikt stehen. Auch wenn alle DNA-Tests der Welt keinen Alexander Van der Bellen dazu bringen mögen, sich eine Glatze, Springer-Stiefel und Bomberjacke zuzulegen, legt die Studie nahe, nicht unbedacht über Dinge zu berichten, die für unser menschliches Selbstverständnis so essenziell erscheinen wie die eigene DNA. Lässt man seine Abstammung genetisch testen, ist es nicht ungewöhnlich, Resultate zu bekommen, die keinerlei Überlappung mit entfernten Populationsgruppen zeigen. Dabei sollte man sich jedoch bewusst machen, dass diese Vergleiche auf den weniger als 0,1 Prozent unserer DNA basieren, die sich zwischen einzelnen Menschen unterscheiden. Richtig verstanden, Donald Trump, Richard Lugner und Sie teilen sich über 99,9 Prozent der Erbinformation. Tragen Sie Ihre 0,1 Prozent mit Stolz! Außerdem kann man keine absoluten Aussagen über einzelne Menschen treffen, nur weil eine Eigenschaft in einer Gruppe durchschnittlich anders ausgeprägt ist als in einer anderen. Das wäre die statistische Ignoranz, die leider oft in Rassismus oder Sexismus mündet. Die Tatsache, dass Frauen im Durchschnitt kleiner sind als Männer, sagt Ihnen nichts über die spezifische Körpergröße Ihres Blind Dates. Ebenso wenig verrät Ihnen die Tatsache, dass die zuvor besprochene Oxytocin-Rezeptor-Version mit dem Buchstaben G in Europa besonders stark verbreitet ist, etwas über das Einfühlungsvermögen Ihres Schnitzel-Verkäufers. Mit diesem Wissen im Hinterkopf können wir uns endlich an eines der heikelsten und gleichzeitig dringendsten Themen der Genetik wagen.

Die Veränderung des menschlichen Genoms

Schauen Sie, ich möchte Ihnen ja gar nicht einreden, dass wir Menschen genetisch verändern sollten. Meine Aufgabe besteht darin, Ihnen zu zeigen, wie weit wir davon entfernt sind, es zu können. Das wird man ja noch sagen dürfen. Wir werden uns damit beschäftigen, was derzeit möglich ist, was nicht und was demnächst möglich sein wird. Spricht man über die genetische Veränderung des Menschen, muss man zwei Dinge auseinanderhalten, die sich grundlegend unterscheiden: die Veränderung eines ausgewachsenen Menschen und die eines winzigen Zellklumpens, aus dem sich eines Tages ein Mensch entwickeln wird.

Im Gegensatz zur Veränderung Erwachsener haben Genetiker bei der Veränderung von Embryonen viel mehr Möglichkeiten zur kreativen Entfaltung. Denn viele der Eigenschaften, die beim Erwachsenen bereits in der Entwicklung festgelegt wurden, sind bei Embryonen noch beeinflussbar. Vorausgesetzt natürlich, dass diese Eigenschaften eine nennenswerte genetische Grundlage haben. Aber auf welche Eigenschaften trifft das zu? Und wie viele Eigenschaften hat ein Mensch überhaupt? Laden Sie bei Gelegenheit mal Ihren Nachbarn auf einen Kaffee ein und schauen Sie, wie viele seiner Eigenschaften Sie beschreiben können. Wachsen Haare aus seinen Ohren? Auf seinen Zehen? Gehört er zu den Menschen, die niesen, wenn sie in grelles Licht blicken? Wie sensibel reagiert er auf den Hitzereiz, wenn Sie ihm Kaffee in den Schritt schütten? Je genauer Sie einen Menschen betrachten, desto mehr seiner Eigenschaften können Sie beschreiben. Wie viele es insgesamt zu entdecken gibt, kann keine Zahl festlegen, weil es davon abhängt, wie intensiv Sie danach suchen.

Was vererbt wird und was nicht

Wenn Sie wissen möchten, welche der beobachtbaren Eigenschaften eher genetisch geprägt sind, erkundigen Sie sich am besten bei dem Menschen, bei dem Sie auch sonst ständig Rat suchen: Mutti. Frauen können besser abschätzen, welche Eigenschaften eine starke genetische Grundlage haben, als Männer. Dabei schneiden Eltern mit zwei oder mehreren Kindern bei ihrer Einschätzung am besten ab. Vermutlich, weil sie hautnah miterleben, welche Eigenschaften sie durch Erziehung nennenswert beeinflussen können und welche eher nicht. Vielleicht haben Sie als Eltern also gar nicht versagt und Ihr Rotzbub versucht nur deshalb ständig auf die Katze zu pinkeln, weil Sie bezüglich Tierliebe einfach Pech im Genroulette hatten. Ein wissenschaftliches Vorgehen sieht natürlich anders aus, und besonders treffsicher sind selbst die aufmerksamsten Vollzeiteltern nicht. Beispielsweise wird der genetische Einfluss auf die sexuelle Orientierung von Laien tendenziell überschätzt, wohingegen Übergewicht stärker durch die Genetik beeinflusst ist, als oftmals angenommen. Die beste Auskunft über die Vererbbarkeit menschlicher Eigenschaften bekommen Sie deshalb bei Genetikern, die sich seit etwa 50 Jahren intensiv mit den genetischen Grundlagen menschlicher Eigenschaften auseinandersetzen. Die bisher umfangreichste Übersichtsarbeit zu diesem Thema wurde 2015 veröffentlicht und fasst die Ergebnisse von beinahe 3000 wissenschaftlichen Studien zusammen, in denen die Vererbbarkeit von über 17.000 menschlichen Eigenschaften untersucht wurde. Heraus kam, dass keine einzige der untersuchten Eigenschaften unabhängig von genetischen Einflüssen ist. Bitte lassen Sie das auf sich wirken. Die umfangreichste aller Arbeiten zur Vererbbarkeit menschlicher Eigenschaften kommt zu dem Schluss, dass keine unserer Eigenschaften unabhängig von unserer Genetik ist. Wie ausgeprägt dieser genetische Einfluss ist, unterscheidet sich zwischen den verschiedensten Eigenschaften jedoch stark. Insgesamt kam die Untersuchung zu dem Schluss, dass etwa die Hälfte aller messbaren Unterschiede zwischen Menschen auf deren Gene zurückzuführen ist und nicht auf den Einfluss ihrer Umwelt.

Die Evolution ist ein opportunistischer Trottel

Wieso bildet sich der Mensch in seiner grenzenlosen Arroganz überhaupt ein, er könne sein Genom besser machen, als es 4 Milliarden Jahre evolutionäre Optimierung geschafft haben? Die Triebfeder der Evolution sind Mutationen, also zufällige Veränderungen der DNA, gepaart mit natürlicher Selektion. So wie jeder Begriff, der das Wort »natürlich« beinhaltet, klingt »natürliche Selektion« relativ harmlos, fast schon liebenswert. Würde man stattdessen »das massenhafte Krepieren der schlecht Angepassten« sagen, wäre das ebenso richtig, würde den Wohlfühlfaktor des Biologieunterrichts aber massiv minimieren. Mit jeder neuen Generation durchmischt die Natur die elterlichen Gene per Zufallsprinzip und bringt noch die eine oder andere Spontanmutation mit ein. Ob die zufällig zusammengewürfelten Genvarianten, die in jedem Menschen in einer noch nie dagewesenen Kombination aufeinandertreffen, gut zusammenarbeiten, ist dabei vollkommen ungewiss. Hinzu kommt, dass der Großteil aller spontan auftretenden Mutationen unvorteilhaft ist. Dieser Prozess hat rein gar nichts mit »intelligent design« zu tun, sondern arbeitet so zielgerichtet wie ein blinder Parkinson-Patient beim Dartspielen. Würde man es bei der Mutation und der zufälligen Durchmischung elterlicher Genome belassen, ginge es im Laufe der Generationen mit praktisch allen Eigenschaften bergab. Der »intelligente« Aspekt der Evolution, der die Aufräumarbeit macht, ist deshalb die natürliche Selektion. Sie ermöglicht es, dass unvorteilhafte Genvarianten auf lange Sicht aus dem Genpool verschwinden. Sie wissen schon, durch das »massenhaften Krepieren der schlecht Angepassten«. Allerdings klappt das nur begrenzt.

Im Gegensatz zu den meisten Säugetieren sind wir nicht in der Lage, körpereigenes Vitamin C zu produzieren. Grund dafür ist eine genetische Mutation, die vermutlich keinerlei Vorteil bietet, in der Vergangenheit jedoch zu unzähligen Toten durch Vitamin-C-Mangel geführt hat. Wenn der Mensch das Ebenbild Gottes ist, trinkt der Herrgott zum Frühstück hoffentlich brav seinen Orangensaft. Doch offensichtlich hätte es einen größeren Leichenberg gebraucht, um diese Mutation wieder aus unserem Genpool verschwinden zu lassen. Und was sollen eigentlich diese männlichen Brustwarzen? Wenn bei einem Radio nur jeder zweite Knopf funktioniert, gebe ich es zurück! Eine Absurdität, die der Körper erst nach 25 Jahren merkt und schamvoll versucht, die unnützen Nippel hinter einem Büschel Haare verschwinden zu lassen. Wir bezeichnen uns als die Krone der Schöpfung, dabei sind es die Schweine, bei denen ein Orgasmus 20 Minuten dauert. Ob sich eine Eigenschaft durch den evolutionären Prozess verbessert, hängt letztlich davon ab, ob genügend Leute, die eine unvorteilhaftere Genvariante tragen, sterben oder sich zumindest weniger erfolgreich fortpflanzen. Wir haben ein gutes Immunsystem, weil in der Vergangenheit genügend Menschen gestorben sind, die ein schlechtes hatten. Das Resultat ist wünschenswert, der »natürliche« Weg dorthin ist jedoch um ein Vielfaches grausamer, als man es bei einer gezielten Verbesserung des menschlichen Immunsystems jemals akzeptieren würde.

Die Evolution strebt nicht nach einem Optimum, sondern lediglich nach einem »gut genug angepasst, um viele Kinder in die Welt zu setzen, die selbst wiederum viele Kinder in die Welt setzen«. Sie hat kein zwingendes Interesse am Wohlergehen von Individuen, folgt keinem ethischen Kodex, sondern belohnt urteilslos alle Lebewesen mit dem Fortbestand ihres Genmaterials, wenn sie mehr Nachkommen zeugen als die Konkurrenz. Das ist einer der Gründe, warum es mit der menschlichen Gesundheit so rapide bergab geht, sobald das fortpflanzungsfreudige Alter überschritten ist. Genvarianten, die einen Vorteil im hohen Alter bringen, werden von der Evolution kaum bevorzugt. Für spätere Lebensphasen, in denen wir sexuell kaum noch aktiv oder gar unfruchtbar sind, greifen die Optimierungsmechanismen der Evolution nicht mehr. Selbst wenn Oma plötzlich ihr Rheuma los wäre und ihre Gelenke Stabhochsprung-tauglich würden, hätte das keinen Einfluss auf die Weitergabe ihrer Gene. Gegen Alterserscheinungen können die Mechanismen der Evolution deshalb nur wenig ausrichten – seien es Muskelschwund oder neurodegenerative Erkrankungen. Alterserscheinungen sind deshalb einer der Bereiche, in denen eine gezielte genetische Veränderung des Menschen eines Tages die Lücken des evolutionären Optimierungsprozesses füllen könnte.

Der Begriff »Krone der Schöpfung« täuscht vor, wir stünden am Ende eines brillanten Optimierungsprozesses. Das ist gleich doppelt falsch. Zum einen, weil wir uns nicht am Ende befinden, sondern mittendrin. Zum anderen, weil die genetischen Veränderungen, die von Natur aus auftreten, nicht brillant sind, sondern ungerichteter Zufall. Jeder Mensch kommt mit zufällig entstandenen Mutationen zur Welt, von denen die meisten neutral sind, manche problematisch und nur die allerwenigsten einen Vorteil bieten. Damit eine vom Menschen gezielt eingebrachte genetische Veränderung sinnvoller ist als eine natürlich aufgetretene, müsste sie gar nicht perfekt geplant sein. Es reicht, wenn sie bessere Chancen auf einen positiven Effekt hat als der blanke Zufall, der in der Genetik typischerweise einen negativen Effekt hat.

Erwachsene genetisch verändern

Erwachsene haben den Vorteil, dass man sie im Gegensatz zu einer frisch befruchteten Eizelle fragen kann, ob sie überhaupt genetisch verändert werden möchten. Ein Nachteil hingegen ist, dass Erwachsene aus verdammt vielen Zellen bestehen. Ein ausgewachsener menschlicher Körper besteht aus über 30 Billionen davon. Wie soll man sich eine solche Zahl vorstellen? Wenn Sie 30 Billionen Seiten Papier ausdrucken und übereinander stapeln, würde der Stoß fast acht Mal von der Erde bis zum Mond reichen. Vier Mal, wenn Sie die Seiten doppelseitig bedrucken. Mit ein paar wenigen Ausnahmen beinhalten alle Ihre Zellen den gesamten Bauplan des menschlichen Körpers, niedergeschrieben auf einem jeweils 1,8 Meter langen, zusammengewickelten DNA-Faden. Diese Erbinformation schwimmt aber nicht freizügig durch Ihre Zellen, sondern liegt gut verpackt in deren Zellkernen. Um die Erbinformation eines erwachsenen Menschen in seinem gesamten Körper zu verändern, müsste man deshalb einen Weg finden, eine genetische Sequenz zuverlässig und sicher in die Billionen von Zellkernen dieser Person einzubauen. Sie können sich vorstellen, dass das nicht einfach ist. Unser Körper hat wenig Interesse daran, jedes dahergelaufene Stück DNA in seinen Zellkernen herumpfuschen zu lassen. Im Gegenteil, Zellen sind bemüht, ihre DNA so gut als möglich vor äußeren Einflüssen zu schützen, inklusive fremder Erbinformation, die versucht, in sie einzudringen. Wie es sich anfühlt, wenn es fremder Erbinformation trotzdem gelingt, in Ihre Zellen zu gelangen, haben Sie mit Sicherheit bereits erlebt, sei es in Form von Schnupfen, Windpocken oder Herpesbläschen. Richtig erkannt, wir sprechen von Viren