Über das Buch

Wie werden wir in Zukunft arbeiten? Künstliche Intelligenzen und Roboter übernehmen schon jetzt immer mehr Aufgaben und sorgen für Existenzängste, die in die Hände von Populisten spielen. Dabei sollten wir die Zukunft der Arbeit nicht dem Markt überlassen — sie ist eine Frage der politischen Gestaltung, die gerade jetzt couragiert beantwortet werden kann. Arbeit hält Gesellschaften zusammen, sie ist etwas fundamental Menschliches, und die Philosophin Lisa Herzog zeigt, wie sie in digitalen Zeiten gerechter und demokratischer werden kann, als sie es je war — für alle, nicht nur für wenige Privilegierte. Ihr Buch gibt neue Antworten auf eine der großen Fragen unserer Zeit und gibt wichtige Impulse für eine bessere Politik.

Lisa Herzog

Die Rettung der Arbeit

Ein politischer Aufruf

Hanser Berlin

1.

Die Zukunft der Arbeit:

Dystopie oder Utopie?

Wenn die Algorithmen kommen, wer werden die Gewinner sein und wer die Verlierer?

Die einen haben mehr Freizeit, weil die Lebensmittel automatisch vom Kühlschrank bestellt und von einer Drohne geliefert werden, während Algorithmen die optimalen Rezepte zusammenstellen. Die anderen sind arbeitslos, und weil ihr Grundeinkommen bedingungslos, aber kärglich ist, stocken sie es durch Essensspenden von gemeinnützigen Tafeln auf. Die einen beziehen ihr Einkommen aus Software-Patenten und lassen Heerscharen von Robotern für sich arbeiten, die anderen stehen auf Abruf bereit und müssen lossprinten, sobald die App eine Arbeitsgelegenheit meldet. Die einen arbeiten, sofern sie es überhaupt tun, frei und selbstbestimmt, bei den anderen erfasst eine App, vielleicht sogar ein eingepflanzter Chip, jede Bewegung und jede Toilettenpause.

Sieht so die Zukunft der Arbeitswelt aus? Bildung, Ausbildung, der Erwerb von »Humankapital«, eine hohe Motivation und Leistungsbereitschaft — all das scheint keine Garantie mehr zu sein für ein geordnetes Arbeitsleben mit einem Einkommen, das ein gutes Leben ermöglicht. Zu unklar ist, wie die Umbrüche aussehen könnten, die Roboter, Algorithmen und künstliche Intelligenz bringen werden. Einerseits wird eine goldene Zukunft ständig wachsenden Wohlstands prophezeit, in der alle lästigen Routineaufgaben an Maschinen delegiert werden können. Andererseits stehen Vorhersagen im Raum, die das Ende von weit über vierzig Prozent der derzeit existierenden Berufsbilder behaupten, und zwar keineswegs nur im Bereich der »niedrigqualifizierten« Arbeit. Wen es treffen wird und wen nicht, scheint ziemlich unvorhersehbar.

Die Angst vor der Zukunft der Arbeitswelt — davor, nur noch Anhängsel eines Computers oder Sklave einer App zu sein oder gar komplett aussortiert zu werden — treibt derzeit viele Menschen um. Die öffentliche Debatte über Roboter, Automatisierung und die Rolle von Big Data in der Gesellschaft tobt. Doch oft verliert sie sich im Diffusen, beißt sich an einzelnen Zahlen fest oder wiederholt gebetsmühlenartig die immer gleichen Auseinandersetzungen. Was fehlt, ist eine Einigung auf grundlegende Werte und die Entwicklung einer Vorstellung davon, wohin es im Interesse des Gemeinwohls mit der digitalen Transformation der Arbeitswelt gehen könnte. Jetzt ist der Moment, zentrale Fragen zu beantworten und entsprechende institutionelle Reformen einzuleiten. Denn bei Veränderungen in der Arbeitswelt geht es um grundlegende Mechanismen des gesellschaftlichen Zusammenlebens, aber auch um die Verteilung von Einkommen, Ansehen und Macht.

Wollen wir in Zukunft »auf Abruf« arbeiten, wie zum Beispiel bei den in Großbritannien weit verbreiteten zero hour contracts, bei denen es keinerlei Garantie gibt, wie viel Arbeit angeboten wird und wie viel Einkommen damit erzielt werden kann? Wer hat das letzte Wort, wenn Computerprogramme für die Bedürftigkeitsanalyse in staatlichen Wohlfahrtsprogrammen eingesetzt werden? Lassen wir zu, dass digitale Geschäftsmodelle die soziale Ungleichheit verschärfen? Wer hat welche Chancen der Teilhabe in der digitalisierten Arbeitswelt? Und wie bleibt in einer durch digitale Prozesse geprägten Gesellschaft der soziale Zusammenhalt erhalten, der bislang in hohem Maße durch die Integration in der Arbeitswelt gewährleistet wurde?

Es geht um sehr grundsätzliche Fragen, auf die wir eine Antwort benötigen, und zwar jetzt — denn die Veränderungen werden kommen, keine Frage. Bei diesen Veränderungen der Arbeitswelt geht es letztlich um nicht weniger als um die Grundfragen der politischen Philosophie: Wie wird menschliches Zusammenleben organisiert, was macht eine gute und gerechte Gesellschaft aus, und wie können wir unsere Institutionen und sozialen Praktiken entsprechend gestalten?

Ende der Arbeit?
Rettung der Arbeit!

Die These dieses Buches ist, dass die Arbeitswelt eine viel zu wichtige Rolle für unsere Gesellschaft spielt, als dass man sie in Zeiten des digitalen Umbruchs einfach ihrem Schicksal — oder dem ungesteuerten Wirken des freien Markts — überlassen dürfte. Arbeit ist mehr als ein lästiges Übel, und sie ist mehr als ein Mittel zum Geldverdienen. Arbeit ist eine zutiefst menschliche Angelegenheit: etwas, das so sehr zu unserem Wesen gehört, dass es sie wahrscheinlich auch dann noch gäbe, wenn die sozialen Verhältnisse komplett anders organisiert wären und Maschinen uns noch mehr Aufgaben abnehmen würden. Menschen wollen etwas schaffen, sie wollen ihre Welt gestalten — Arbeit ist eine zentrale Form, die dieser Drang annimmt.

Vor allem aber ist menschliche Arbeit eine soziale Angelegenheit: weil Menschen soziale Wesen sind, arbeiten sie in der Regel gemeinsam mit anderen. Arbeit bringt uns mit der materiellen Welt in Kontakt, vor allem aber bringt sie uns miteinander in Kontakt. Sie stellt uns in soziale Räume, ohne die unser Leben um ein Vielfaches ärmer wäre. Sicherlich, es gibt auch Kollegen, bei denen wir nicht traurig wären, wenn wir sie nie im Leben wiedersehen würden. Aber das ist der Preis, den wir für etwas sehr Wertvolles zahlen: dafür, durch die Arbeit mit Menschen zusammengebracht zu werden, denen wir sonst nie begegnen würden (und das gilt übrigens auch für viele Formen von »Arbeit« jenseits der Lohnarbeit, zum Beispiel die geteilte Betreuung von Kindern im privaten Kontext). Diese soziale Dimension der Arbeit wieder in den Blick zu rücken, nach den Herausforderungen wie auch den Möglichkeiten einer solidarischen Arbeitswelt zu fragen und Vorschläge zu entwickeln, wo es hingehen könnte — das sind die Anliegen dieses Buches.

Dass Arbeit zur menschlichen Natur gehört, ist ein Gedanke, der sich durch die Geschichte des politischen Denkens zieht. Dieser Strang beginnt spätestens mit Aristoteles und wurde in der jüngeren Ideengeschichte von so unterschiedlichen Denkern wie Hegel oder Marx aufgegriffen. Menschsein bedeutet, die materielle Umgebung zu formen und selbst dadurch geformt zu werden. Es bedeutet, mit der eigenen Arbeit auf der Arbeit anderer aufzubauen und sie fortzuführen. Auch im feministischen politischen Denken spielt die Frage der Arbeit eine zentrale Rolle, weil sie immer noch ein Bereich ist, in dem sich die Ungleichbehandlung der Geschlechter besonders stark manifestiert. Frauen haben über Jahrhunderte dafür gekämpft, an der Arbeitswelt außerhalb des Hauses teilhaben zu dürfen — und auch dafür, dass diese Arbeitswelt anders organisiert wird und besser mit Familienleben und Pflegearbeit vereinbart werden kann.

Umgekehrt waren es oft durch die Arbeit entstandene Kollektive, besonders die Arbeitervereine und Gewerkschaften seit dem 19. Jahrhundert, deren politische Kämpfe entscheidend dazu beitrugen, Fortschritte durchzusetzen. Regulierung der Arbeitszeit, Arbeitsschutzbestimmungen, wohlfahrtsstaatliche Einrichtungen, Mitbestimmung — all diese Errungenschaften wären ohne den Einsatz dieser Gruppen nicht denkbar.

In den letzten Jahrzehnten allerdings wurde Arbeit oftmals extrem individualistisch gedacht. Viele der vorherrschenden Bilder und Modelle der Arbeitswelt, besonders im ökonomischen Bereich, gehen implizit oder explizit von einem radikalen Individualismus aus, als wären wir alle Robinson Crusoes auf einsamen Inseln, die nur gelegentlich zur Nachbarinsel paddeln, um Bananen gegen Kokosnüsse zu tauschen. Dabei wären die wenigstens von uns in der Lage, auch nur einige Tage auf Robinsons Insel zu überleben. Wir sind als arbeitende Individuen Teil eines komplexen Gesamtsystems, das mit anderen sozialen Systemen wie der Politik, der Kultur oder der Wissenschaft eng verwoben ist. Wimmelbilder, wie man sie aus Kinderbüchern kennt — oder auch die ähnlich angelegten Gemälde niederländischer Maler aus dem 16. Jahrhundert —, illustrieren viel besser, wie menschliche Arbeit funktioniert: durch das Ineinandergreifen unzähliger Aktivitäten, auf die man sich aber nur deshalb konzentrieren kann, weil andere Menschen anderen Aktivitäten nachgehen.

Wie dieses soziale System der Arbeitswelt aussieht, hängt maßgeblich davon ab, wie wir es gemeinsam gestalten, vor allem durch die Rahmensetzung innerhalb demokratischer Politik, aber auch durch die gemeinsame Verwirklichung kultureller Werte und Normen.

Die Sozialität menschlicher Arbeit ist eine ihrer ganz großen Stärken. Es kann beglückend und bereichernd sein, an arbeitsteiligen Systemen mitzuwirken — es sei denn, diese sind so organisiert, dass die arbeitenden Menschen Zwang, Schikane oder Ausbeutung ausgesetzt sind, wie das allzu oft der Fall war und ist. Die sozialen Strukturen der Arbeitswelt verändern sich durch digitale Technologien, und dies kann massive Auswirkungen darauf haben, wie Menschen ihre Arbeit erleben. Aber es ist nicht ausgemacht, dass dies Veränderungen zum Schlechten sein müssen — ausschlaggebend ist, ob wir die Gestaltungsaufgaben annehmen, die einerseits das Wohl der Arbeitenden betreffen, andererseits die Frage, wie Gerechtigkeit, Gemeinwohl und sozialer Zusammenhalt in Zukunft gesichert werden können.

Ökonomische Modelle unterstellen, dass Arbeit vor allem ein Mittel zum Zweck des Einkommenserwerbs ist; allenfalls »höhere« Berufe, in denen eigene Fähigkeiten optimal zum Einsatz gebracht werden könnten, würden davon eine Ausnahme darstellen. Doch dies ist ein Vorurteil. Die Soziologin Isabelle Ferreras hat in einer aufschlussreichen Studie den Arbeitsalltag und die Einstellungen von Supermarktkassiererinnen untersucht, also von Menschen, deren Arbeit nicht gerade ein Höchstmaß an Selbstverwirklichung oder sozialem Ansehen bietet. Aber auch für sie, so das Ergebnis, ist die Arbeit sehr viel mehr als nur ein Instrument zum Geldverdienen. Sie bietet eine Gelegenheit, sich gesellschaftlich zu integrieren, sich nützlich zu machen, sich eine gewisse Autonomie zu verschaffen. Die Kassiererinnen, die Ferreras interviewte, wollten nicht auf ihre Arbeit verzichten, selbst wenn sie finanzielle Alternativen hatten — was sie störte, waren konkrete Aspekte der Arbeitsbedingungen und fehlende Mitsprachemöglichkeiten. Die Arbeitswelt, so das Fazit der Studie, kann nicht als ein System verstanden werden, in dem alle Akteure ausschließlich instrumentell agieren. Sie ist ein Teil unserer gemeinsamen, öffentlichen Welt und muss auch als solche verstanden werden.

Mit »Rettung der Arbeit« ist gemeint, diese öffentliche Arbeitswelt — und konkret die rechtlichen und sozialen Spielregeln, nach denen sie funktioniert — so zu gestalten, dass sie unseren Vorstellungen von der Würde und den Rechten der Einzelnen und vom Wohl der Gesellschaft als ganzer entspricht, anstatt hinzunehmen, dass sie von den Kräften, die derzeit die digitale Transformation vorantreiben, auf eine Art und Weise geformt wird, die unseren Vorstellungen von Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie zuwiderläuft. Fjodor Dostojewski schrieb einmal, man könne den Grad der Zivilisation einer Gesellschaft am Zustand ihrer Gefängnisse beurteilen. Vielleicht zeigt sich am besten, wie es eine Gesellschaft mit der Gerechtigkeit hält, wenn man ihre Arbeitswelt betrachtet — und auch, wie sie mit denjenigen umgeht, die dort angeblich nicht mehr gebraucht werden. Das Bekenntnis zu demokratischen Prinzipien, so eines der Argumente dieses Buches, sollte nicht an der Schwelle zu den Arbeitsplätzen Halt machen. Im Gegenteil: Ich werde dafür plädieren, gerade die neuen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten des digitalen Zeitalters dafür zu nutzen, Partizipation und demokratische Formen der Governance noch viel stärker in die Wirtschaftswelt zu tragen, als dies derzeit der Fall ist.

Natürlich wird auch jenseits der öffentlichen Arbeitswelt viel gearbeitet: Das betrifft nicht nur die Haus-, Erziehungs- und Pflegearbeit, die in Familien stattfindet und zwischen den Geschlechtern oft sehr ungleich verteilt ist. Es betrifft auch zahlreiche Formen ehrenamtlicher Arbeit, für die die Betroffenen allenfalls eine symbolische Aufwandsentschädigung erhalten. Auch über die gerechte Gestaltung dieser Formen von Arbeit ließe sich sehr viel sagen. Sie stehen im Folgenden nicht im Fokus meiner Ausführungen, doch sie sind mit der öffentlichen Arbeitswelt und ihren Problemen eng verwoben. Es ist eine Frage der Schwerpunktsetzung, nicht ein Urteil über die relative Bedeutung, dass ich in diesem Buch vor allem Fragen stelle nach der Gestaltung der öffentlichen Arbeitswelt angesichts der durch die digitale Transformation anstehenden Umbrüche.

Gegen wen aber schreibe ich damit an? Wer könnte dagegen sein, die Arbeit zu retten? Es gibt zwei Arten von Gegenpositionen, auf der theoretischen und auf der praktischen Ebene. Auf der theoretischen Ebene ist die alternative Strategie zu einer Rettung der Arbeit, auf das Ende der Arbeit zu setzen. Auf der praktischen Ebene besteht die Gegenposition darin, schlicht nichts zu tun, oftmals aus falsch verstandenem Fatalismus heraus.

Die erste, theoretische Position ist besonders dann naheliegend, wenn man Arbeit in erster Linie als ein notwendiges Übel betrachtet, als das, was uns am Sonntagabend schlechte Laune bereitet, weil es am Montagmorgen wieder losgeht. Wäre die Welt nicht umso besser, je weniger es davon gäbe? Und ist nicht eine der großen Hoffnungen der Digitalisierung und der »Industrie 4.0«, dass Arbeit, wie wir sie kennen, abgeschafft wird und wir völlig neue Formen des sozialen Lebens verwirklichen können — jenseits der Arbeit?

Die Frage, ob man Arbeit eher verbessern oder auf ihre Abschaffung setzen sollte, war schon im 19. Jahrhundert eine Kontroverse, an der sich progressive Geister schieden. Die eine Seite hoffte auf eine Abschaffung oder zumindest maximale Reduktion aller Arbeit. Nur dann wäre eine wirkliche Entfaltung der menschlichen Natur, ein wirklich freies Leben möglich. Die andere Seite dagegen wollte nicht von der Arbeit befreien, sondern die Arbeit befreien: von all den Zwängen, all den Ungerechtigkeiten, all den einseitigen Machtverhältnissen, unter denen sie stattfand. Bessere, freiere Arbeit war das Ziel und durchaus auch eine Reduktion der Arbeitszeit — aber keine Abschaffung der Arbeit als solcher.

Diese Debatte — Abschaffung oder Verbesserung der Arbeit? — flammte immer wieder auf. 1995 veröffentlichte der amerikanische Soziologe und Ökonom Jeremy Rifkin ein Buch mit dem Titel Das Ende der Arbeit. Roboter und Algorithmen, so seine Prognose, würden die traditionelle Arbeitswelt komplett übernehmen, und es sei nicht zu erwarten, dass man dagegen irgendetwas tun könne. Wenn überhaupt, sei »gute« Arbeit in Zukunft nur im »dritten Sektor« der Zivilgesellschaft möglich, nicht in Form traditioneller Lohnarbeit. Auch viele derjenigen, die heute ein bedingungsloses Grundeinkommen fordern, tun dies vor dem Hintergrund der Annahme, dass in Zukunft nicht mehr alle Mitglieder einer Gesellschaft Arbeit im klassischen Sinne haben könnten. Allerdings: Derartige Vorhersagen sind schon sehr viel älter und haben sich bislang nie bewahrheitet. Anfang des 19. Jahrhunderts zerstörten englische Textilarbeiter, die sogenannten Luddites, die Maschinen, durch die sie ihre Arbeitsplätze bedroht sahen; so mancher, der heute seinen Job bedroht sieht, würde vielleicht gerne Ähnliches tun.

Doch so schmerzhaft die Umbrüche in vielen Einzelfällen sein mögen, besonders, wenn die gesellschaftlichen Institutionen fehlen, um damit umzugehen: Maschinenstürmerei scheint mir kein erfolgversprechendes Modell. Die Luddites konnten den Gang der Entwicklung nicht stoppen, und das Ende der Lohnarbeit trat bislang nicht ein — nicht, weil es nicht stimmte, dass Maschinen bestimmte Jobs ersetzen würden, sondern, weil neue Arbeitsplätze entstanden. Es ist ein jahrtausendealtes Phänomen, dass Wissen und Erfahrungen darüber, wie bestimmte Arbeitsschritte erledigt werden können, in Werkzeugen und Maschinen »gespeichert« werden — und ein ebenso altes Phänomen, dass die Maschinen dann doch nicht ganz das tun, was wir von ihnen wollen, weshalb Menschen gebraucht werden, die sich um sie kümmern. Und so entstanden immer wieder neue Arbeitsplätze, entweder um die Maschinen herum oder in ganz neuen Arbeitsfeldern.

Selbst wenn intelligente Roboter und Computerprogramme in Zukunft noch viel mehr Arbeit übernehmen können, ist das kein Grund zu der Annahme, dass die Nachfrage nach menschlicher Arbeit als solcher zum Erliegen kommen wird. Und wenn wir davon ausgehen, dass wir weiterhin in großen, komplexen Gesellschaften leben, in denen Individuen nicht nur Arbeit verrichten, die der Befriedigung ihrer unmittelbaren Bedürfnisse dient, dann wird es auch weiterhin so etwas wie einen »Arbeitsmarkt« und Arbeitsplätze in Firmen oder Behörden außerhalb des eigenen Haushalts geben. Natürlich stimmt es, dass neue Technologien Potenzial für eine Reduktion der Arbeitszeit enthalten. Wird dieses Potenzial ausgeschöpft, dann haben im besten Fall alle Mitglieder der Gesellschaft mehr freie Zeit, etwa wenn die Viertagewoche zur Regel würde. Dass die soziale Sphäre, die wir als »Arbeitswelt« kennen, jedoch komplett verschwinden würde, darauf deutet wenig hin, und es ist auch fraglich, ob es wünschenswert wäre.

Wovor die Arbeit zu retten ist

Aber das heißt nicht, dass wir uns zurücklehnen könnten in der Annahme, dass alles so bleiben sollte, wie es ist. Im Gegenteil — wir müssen die Zukunft der Arbeitswelt aktiv gestalten, umso mehr angesichts der bevorstehenden Umbrüche. Die Herausforderungen, die sich dabei stellen, werde ich in den folgenden Kapiteln diskutieren, wobei es zunächst eher um ideen- und kulturgeschichtliche Hintergründe, im zweiten Schritt dann um Lösungsvorschläge gehen soll. Ich diskutiere erstens ein weitverbreitetes Missverständnis darüber, was Arbeit ist und wie sie heute stattfindet. Moderne Arbeit ist ihrer Natur nach arbeitsteilig, organisiert innerhalb sozialer Systeme, die viele Vorteile gegenüber individualistischer Arbeit haben, aber auch neue Gefahren bergen. Das betrifft unter anderem die Frage, wie der Missbrauch dieser arbeitsteiligen Systeme verhindert werden kann und welche Rolle Whistleblower dabei spielen können. Zweitens geht es darum, endlich den fehlgeleiteten Glauben an eine »unsichtbare Hand des Marktes« oder an andere Automatismen abzulegen und sich zu fragen, wer welche Gestaltungsmöglichkeiten hat und diese auch nutzt. Drittens geht es um ein Problem, das nicht nur, aber in besonderem Maße in der modernen Arbeitswelt zu finden ist: die ungleiche Verteilung von Verantwortung und Haftung und das Verwischen von Verantwortung, das sich zum Beispiel beim VW-Abgas-Skandal gezeigt hat. Durch den Einsatz digitaler Technologien könnten diese Tendenzen gefährlich verschärft werden. Zugespitzt gesagt: Es scheint an vielen Stellen das Prinzip zu gelten, dass man die Kleinen hängt und die Großen laufenlässt; mit dem Prinzip gleicher Rechte für alle Mitglieder einer demokratischen Gesellschaft ist dies unvereinbar. Viertens geht es darum, dass die Arbeitswelt zu stark durch Steuerung von oben, über viele Hierarchieebenen hinweg, geprägt ist. Dabei bieten neue Kommunikationstechnologien zahlreiche neue Möglichkeiten der Partizipation, die dem alten Projekt einer Demokratisierung der Wirtschaftswelt ganz neuen Auftrieb verschaffen können. Diese Chance sollten wir als Gesellschaft nicht ungenutzt lassen — zumal sich die deutschen Praktiken der Mitbestimmung, die schon eine gewisse Demokratisierung im Vergleich zu anderen Firmenmodellen darstellen, historisch gut bewährt haben. Und fünftens geht es darum, die Rolle der Arbeitswelt für den Zusammenhalt der Gesellschaft nicht aus den Augen zu verlieren. Ist tatsächlich jede von uns dazu verdammt, die digitale Transformation als egoistischer »homo oeconomicus« zu erleben, oder kann es gelingen, sie unter soziale Vorzeichen zu stellen?

Ob die digitale Transformation uns in eine albtraumhafte Dystopie statt in eine bessere Arbeitswelt führt, wird maßgeblich davon abhängen, wie wir als Gesellschaft mit den genannten Herausforderungen umgehen — ob wir sie scheuen oder ob wir die Chance zur Gestaltung nutzen. Diese politische Aufgabe betrifft Politikerinnen1 und Bürger in ihren jeweiligen Rollen, geht uns also alle an.

An dieser Stelle eine Bemerkung zum Schlagwort »Digitalisierung«. Der englische Begriff »Digitization« bedeutete ursprünglich und ganz technisch die Umwandlung von analoger Informationen in digitale Information, die in Bits und Bytes gefasst ist (»Digitalization« meint auf Englisch übrigens schlicht das elektronische Einscannen von Büchern, so dass sie zum Beispiel im Internet verfügbar gemacht werden können). »Digitale Transformation« ist der vielleicht treffendste Begriff: Er beschreibt Veränderungen infolge der Einführung digitaler Technologien. Was in den verschiedenen Bereichen genau gemeint ist, muss im Einzelfall festgestellt werden. Es kann von der Einführung digitaler Kommunikation — z.B. elektronische Formulare bei staatlichen Behörden — über automatisierte Entscheidungsverfahren — z.B. Algorithmen, die prognostizieren, wie hoch die Rückfallwahrscheinlichkeit eines verurteilten Verbrechers ist — bis hin zur völligen Ersetzung menschlicher Arbeitskraft durch vollautomatisierte Maschinen, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind, reichen. In jedem Fall aber bedeutet es: Die Formen der Arbeit und die Formen der Information und Kommunikation über die Arbeit ändern sich. Und damit ergeben sich neue Fragen danach, wie die Arbeitswelt gestaltet werden kann.

Technischer Determinismus oder politische Gestaltung?

Dies führt zu der zweiten Gegenposition zu den Vorschlägen, die dieses Buch unter dem Stichwort »Rettung der Arbeit« unterbreitet. Sie besteht schlicht darin, nichts zu tun, und den Dingen ihren Lauf zu lassen — weil man nichts tun könne. Über digitale Transformation wird oft auf eine Weise gesprochen, als entziehe sie sich grundsätzlich den Eingriffsmöglichkeiten demokratischer Politik. Die Phänomene des Wandels werden als unaufhaltsame Prozesse beschrieben, als evolutionäre Entwicklungen, die übergeordneten Gesetzen gehorchten und nicht regulierbar seien. Gegen »die Digitalisierung« könne man genauso wenig etwas tun wie gegen »die Globalisierung« oder »die Weltmärkte«.

Aber wenn Politik und Zivilgesellschaft nichts unternehmen, um den digitalen Wandel zu gestalten, dann gestalten ihn andere — gegenwärtig sind das vor allem die großen, global agierenden Internetkonzerne und andere Firmen, die hoffen, vom digitalen Kuchen etwas abzubekommen. Wenn das Wohl privater Unternehmer automatisch mit dem Wohl der Gesellschaft gleichgesetzt werden könnte, müsste man sich keine Sorgen machen. Doch es gibt keinen Anhaltspunkt dafür, dass dies der Fall wäre. Zum einen hat sich die sogenannte »Trickle down«-Theorie, der zufolge wirtschaftliche Zuwächse von den wohlhabenden Schichten der Gesellschaft irgendwie zu den weniger Privilegierten »hinuntertröpfeln«, als Chimäre erwiesen. Zum anderen können digitale Firmen heute überall auf der Welt ihren Sitz haben; es ist also nicht einmal klar, welche Gesellschaft es wäre, die von ihren Aktivitäten profitieren würde. Und wie beispielsweise die »Paradise Papers« gezeigt haben, werden ihre Gewinne regelmäßig der Besteuerung — und damit einer der wichtigsten Formen, einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten — entzogen.

Es ist also politische Gestaltung gefragt, anstatt sich in rhetorische Floskeln über die Unkontrollierbarkeit der Veränderungen zu flüchten. Zumal hier ein Paradox liegt: Gerade diejenigen, die von Unkontrollierbarkeit sprechen, wollen unbedingt die Kontrolle behalten. Das zeigt sich beispielsweise, wenn man in politischen oder Wirtschaftskreisen vorschlägt, Arbeitnehmern mehr Kontrolle über Arbeitsprozesse zu geben, weil diese oft besser beurteilen können, wie neue digitale Tools am besten einzusetzen sind. Solche Vorschläge stoßen nach meinen Erfahrungen auf Irritation und eisiges Schweigen. Es ist nicht besonders konsistent, einerseits zu behaupten, nichts tun zu können, und andererseits nichts von seiner Gestaltungsmacht abgeben zu wollen.

Wenn diejenigen, die über politische und wirtschaftliche Macht verfügen, nur mit den Entwicklungen mitschwimmen, anstatt aktiv die Rahmenbedingungen zu gestalten, wirken die Versprechen von Populisten, die sich als starke Männer oder starke Frauen präsentieren und mit politischer Handlungsfähigkeit werben, umso verlockender. Wenn ständig von der Unabdingbarkeit und der Alternativlosigkeit bestimmter Tendenzen die Rede ist, muss es einen dann wundern, wenn Angst, Fatalismus und ein gefährlicher Nährboden für politische Rattenfänger erzeugt werden? Die Angst vor den bevorstehenden Umbrüchen ist wahrscheinlich eine der Tiefenursachen dafür, dass viele westliche Gesellschaften in den vergangenen Jahren immer anfälliger für populistische Politik wurden. Das Gefühl der »neuen Unübersichtlichkeit« und der sich ständig beschleunigenden Veränderung lässt die scheinbare Stabilität und Harmonie früherer Jahrzehnte, als die Welt noch viel stärker in die fest geschnürten Pakete nationalstaatlicher Ordnungen verpackt war, anziehend heimelig aussehen (während die damaligen sozialen Zwänge, die Macht der Konventionen, der Mangel an Wahlmöglichkeiten gerne ausgeblendet werden).

»Taking back control« war einer der wichtigsten Kampfrufe der »Brexit«-Befürworter während der britischen Kampagne für den EU-Austritt. Dass man die globalisierte Wirtschaft an vielen Stellen wieder stärker unter politische Kontrolle bringen müsste, ist in der Sache nicht falsch — aber es ist weder wünschenswert noch sinnvoll, dies im nationalistischen Alleingang, bei gleichzeitiger Hetze gegen Migranten und gegen die EU, zu tun. Was wir tatsächlich brauchen, ist ein »taking back control« im Sinne einer demokratischen Kontrolle der Wirtschafts- und Arbeitswelt. Und weil dies in einer globalisierten Welt nur noch bedingt durch das Auferlegen von Regeln »von außen«, durch demokratische Rahmensetzung, erfolgen kann, muss die Wirtschafts- und Arbeitswelt viel stärker als bisher »von innen« demokratisiert werden — diese These werde ich im fünften Kapitel genauer ausführen.

Es soll hier also um etwas gehen, das von ökonomischen Theorien nur selten thematisiert und im öffentlichen Diskurs allzu gerne verschwiegen wird: um die Machtverhältnisse zwischen Wirtschaft und Politik. Erleben wir eine digitale Transformation, die ganz im neoliberalen Sinne dem »Markt« und damit letztlich dem Wohl digitaler Firmen dient — oder eine digitale Transformation, bei der demokratische Gesellschaften die Chance ergreifen, die Arbeits- und Wirtschaftswelt menschlicher und gerechter zu gestalten? Wer profitiert materiell von den Veränderungen? Aber auch: Was bedeutet Arbeit in der schönen neuen Welt der Roboter und Algorithmen überhaupt noch, und wer hat die Deutungshoheit darüber? Wer hat Zugang zu welcher Form von Arbeit? Bringt sie die Gesellschaft zusammen, oder wirkt sie spaltend? Mein Vorschlag ist nicht, dass die Politik die Arbeitswelt bis ins Detail »durchregieren« sollte. Politische Veränderungen »von oben« können jedoch die Weichen dafür stellen, dass Veränderungen dann »von unten« gestaltet werden, von denen, die wirklich betroffen sind.

Was könnte dies konkret bedeuten? Zum Beispiel, dass Formen juristischer Haftung verändert und stärker partizipative Rechtsformen für Unternehmen entwickelt werden. Zum Beispiel, dass der Wohlfahrtsstaat so umgebaut wird, dass das Prinzip der Solidarität und der Sozialversicherung unter sich wandelnden Bedingungen auf den Arbeitsmärkten aufrechterhalten werden kann, und dass die Verteilung der Steuerlast auf Kapital und Arbeit überdacht wird. Manches davon wäre am sinnvollsten auf Ebene der EU zu verwirklichen, aber auch nationale Regierungen können Veränderungen anstoßen. Möglicherweise könnte das Projekt einer partizipativ und demokratisch gestalteten Wirtschaftswelt sogar der Kern der vielfach geforderten Erneuerung sozialdemokratischer Politik sein.

Weitere Beispiele: Innerhalb von Unternehmen kann mit neuen Praktiken der Partizipation experimentiert und die Bewegung hin zu demokratischeren Governance-Formen vorangetrieben werden. Und nicht zuletzt kann jede und jeder einzelne von uns anders über Arbeit, berufliche Identität und so etwas wie »krumme« Lebensläufe nachdenken — es wäre viel gewonnen, wenn beispielsweise die vorübergehende Abhängigkeit von staatlicher Unterstützung enttabuisiert würde. Unsere Arbeitswelt wird nur dann sozialer, gerechter und demokratischer werden, wenn die Veränderung sich auf allen Ebenen vollzieht: der politischen, der wirtschaftlichen, der zivilgesellschaftlichen und kulturellen. Ob die Zukunft der Arbeit eine Dystopie sein muss oder ob wir der Utopie einer freieren, gerechteren und demokratischeren Arbeitswelt näherkommen, liegt in unser aller Hand.

Sicherlich — man darf Arbeit auch nicht zu einem Fetisch machen. Gerade protestantisch geprägten Nordeuropäern steckt noch stark die Vorstellung in den kulturellen Knochen, dass man arbeiten müsse, um ein gottgefälliges Leben zu führen. Möglichkeiten zur Reduzierung von Arbeit und zur Effizienzsteigerung sollten genutzt werden, auch zur Schonung der natürlichen Ressourcen. Idealerweise kommen sie in Form eines höheren Lebensstandards allen Mitgliedern der Gesellschaft zugute, nicht nur wenigen. Aber gerade, um dies zu erreichen, müssen wir die Arbeitswelt als eine gemeinsame und gemeinsam zu gestaltende Angelegenheit ernst nehmen.

Viele Errungenschaften in Bezug auf die Arbeitswelt wurden über Jahrzehnte hinweg mühsam erkämpft: Standards der Arbeitssicherheit, geregelte Höchstarbeitszeiten, Urlaubsanspruch, betriebliche Mitbestimmung, Rentenansprüche. Es war ein Kampf darum, Arbeit fairer zu gestalten und die Früchte der Arbeit gerechter aufzuteilen. Dieser Kampf muss weitergehen, gerade in Zeiten, in denen große technologische Umbrüche anstehen. Lässt sich das Erkämpfte verteidigen oder geht mit der digitalen Transformation der Kampf um bessere und gerechtere Arbeit verloren? Können wir die neuen Technologien vielleicht sogar nutzen, um das bereits Erreichte weiter auszubauen?

Die Mythen der Vergangenheit

Wenn große Umbrüche bevorstehen, ist es wichtig, mit nüchternem Blick abzuwägen, was auf dem Spiel steht: um welche Prinzipien und Werte es geht, wessen Interessen betroffen sind, welche Prioritäten gesetzt werden müssen, welche Kompromisse nötig sind. In solchen Phasen ist es besonders problematisch, wenn man unbedacht Annahmen und Vorurteile aus der Vergangenheit auf die Zukunft projiziert. Deswegen ist es von entscheidender Bedeutung, die impliziten Bilder und Modelle der Arbeitswelt, die unser Handeln und oft auch unsere Institutionen prägen, explizit zu machen und kritisch zu hinterfragen. Denn einige davon sind Mythen, die uns gefährlich in die Irre führen können.

Einer der gefährlichsten dieser Mythen ist ein sehr simpler: der nämlich, dass Arbeit eine rein ökonomische Angelegenheit und folglich aus einer rein ökonomischen Perspektive zu beurteilen sei. Man greift viel zu kurz, wenn man Arbeit allein als einen Faktor betrachtet, der zusammen mit Boden, Kapital und Maschinen auf der Zutatenliste für die Produktion von Gütern und Dienstleistungen steht. Leider wurde Arbeit in vielen wirkmächtigen ökonomischen Theorien genauso behandelt: als ein Produktionsfaktor, für dessen Betrachtung es kaum relevant ist, dass er von Menschen bereitgestellt wird — von Menschen mit Hoffnungen und Träumen, die Fertigkeiten entwickeln, Anerkennung finden und ihr Leben gestalten möchten, allein und gemeinsam mit anderen.

Auch viele Praktiken der Arbeit wurden anhand derartiger Denkmodelle gestaltet — sie wurden gerade nicht als politische, sondern als rein ökonomische Projekte gesehen. Das klassische Beispiel dafür ist das berühmt-berüchtigte tayloristische Modell der Fließbandarbeit, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts ihren Siegeszug antrat: Es wurde auf die Sekunde genau ausgemessen, wie lange die Arbeiter für bestimmte Handgriffe brauchten und wie man ihre Körper zu den Maschinen hin positionieren musste, um ihre »Leistung« zu optimieren. Mitdenken war nicht gefragt; alle menschlichen Anliegen wurden rein unter dem Gesichtspunkt der Effizienz betrachtet.

Dass derartige Fließbandarbeit — zumindest in westlichen Ländern — heute kaum noch vorkommt, haben wir auch den technologischen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte zu verdanken. Und es besteht das Potenzial, dass noch viel mehr routinehafte, für Menschen langweilige oder sogar gefährliche Arbeit in Zukunft von Maschinen übernommen wird. Es ist ein Irrglaube, dass der Erhalt aller Arbeitsplätze in der jetzigen Form oder aller Elemente derzeitiger Berufsbilder per se wünschenswert ist. Es hat schon immer zur Natur menschlicher Arbeit gehört, diese in einzelne Schritte zu zerlegen und Gerätschaften aller Art einzusetzen, um sie zu erleichtern.

Um also den Status quo besser zu verstehen, möchte dieses Buch einige der Ideen und Vorstellungen hinterfragen, die die heutige Arbeitswelt und die öffentliche Debatte über sie durchziehen. Befreit von einigen hartnäckigen, aber dennoch falschen Vorurteilen will ich dann konkrete Ansätze für eine gerechte und demokratische Gestaltung der Arbeitswelt herausarbeiten.

Meine Perspektive ist dabei eine philosophische; eine der Kernaufgaben der Philosophie ist es schließlich, in Frage zu stellen, was als selbstverständlich und unvermeidbar betrachtet wird. Eine ihrer Ressourcen ist dabei die Ideengeschichte: Was können wir aus der Geschichte des Denkens lernen über das, was uns bevorsteht? Welche der Behauptungen, die heute zirkulieren, gab es schon in anderen Epochen, und haben sie sich damals bewährt? Woher kommen die Vorstellungen, die wir mit uns herumtragen, und sind sie heute noch angemessen? Um Lösungsvorschläge zu entwickeln, muss die Philosophie jedoch oft in den Dialog mit anderen Disziplinen treten — für das vorliegende Thema ist dabei besonders die Soziologie relevant, aber auch Einsichten aus der Ökonomie und der Politikwissenschaft sind von Bedeutung.

Manche Kommentatoren neigen bei der Analyse von Gegenwartsphänomenen wie der digitalen Transformation dazu, vor allem die negativen Aspekte zu sehen: die Gefahren für die Demokratie, die Risiken für die Menschlichkeit, die Bedrohung von allem, was wahr, schön und gut ist. Angesichts mancher aktueller Entwicklungen fiele es tatsächlich leicht, den Pessimistinnen recht zu geben. Aber damit würde man übersehen, dass in dem Wandel, der sich vollzieht, auch Chancen liegen. Vielleicht wirken einige meiner Vorschläge auf den ersten Blick zu optimistisch. Aber nur, wenn wir über sie diskutieren, besteht die Möglichkeit, dass sie eines Tages verwirklicht werden könnten — wenn positive Vorschläge niemals auf den Tisch kommen, wird es zur selbsterfüllenden Prophezeiung, dass die Veränderungen nur Schlechtes bringen.

Anderen Leserinnen wiederum mag das Bild, das ich entwerfe, nicht visionär genug erscheinen, nicht radikal genug die Grundlagen der heutigen Gesellschaft hinterfragen. Vielleicht ist es eine Frage des politischen Temperaments, ob man lieber die großen Visionen einer besseren, aber fernen Zukunft entwirft oder die pragmatische Auseinandersetzung mit konkreten institutionellen Verbesserungsmöglichkeiten sucht. Das eine schließt aber das andere nicht aus, und wichtig scheint mir in jedem Fall, dass pragmatische Schritte nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie zukünftige radikalere Veränderungen ausschließen, erübrigen oder gar verhindern sollen. Im Gegenteil: Je mehr pragmatische Schritte wir gehen, desto mehr lernen wir darüber, welche weiteren Veränderungen hin zu einer gerechteren und freieren Gesellschaft möglich sind. In einem derartigen Prozess können sich Institutionen, Praktiken und Werte nach und nach gemeinsam wandeln — während allzu viele Versuche, institutionellen Wandel brachial voranzutreiben, obwohl die Werte und die Kultur sich noch nicht geändert hatten, entweder im kleinlauten Einräumen des Versagens oder in tragischen Konflikten endeten.

Meine Vorschläge sind also eher »evolutionär« als »revolutionär« — aber verbunden mit der Hoffnung, dass aus der Summe evolutionärer Schritte ein Wandel entstehen kann, der letztlich revolutionär ist und der statt einer Dystopie die allmähliche Annäherung an Verhältnisse, die wir derzeit noch als utopisch beschreiben würden, bringen kann. Die Konturen dieses Wandels können sich im Laufe der Veränderungen herausbilden, in einem gemeinsamen Prozess des Lernens, aber auch des Durchstehens von Konflikten und des Aushandelns von Kompromissen, durch die wir besser verstehen, was es heißt, abstrakte Werte wie Gerechtigkeit und Partizipation unter den Bedingungen der digitalen Arbeitswelt zu verwirklichen. Dies scheint mir nicht nur das strategisch sinnvollere Vorgehen, sondern auch das demokratischere: Es setzt auf einen Wandel, bei dem so viele Menschen wie möglich ihre Erkenntnisse und Erfahrungen einbringen können und dazu beitragen, dass Veränderungen zum Besseren gelingen.

Im folgenden Kapitel geht es um einen Mythos, der besonders stark von einem fehlgeleiteten Individualismus geprägt ist: den Mythos von den »Entrepreneurs« des digitalen Zeitalters. Sie werden bewundert, sie erhalten eine öffentliche Bühne, sie haben das Ohr von Staatenlenkern — aber ist dies gerechtfertigt? Eine der großen Herausforderungen der Gegenwart ist, die soziale Seite menschlicher Arbeitsprozesse — und auch der digitalen Transformation — nicht länger auszublenden. Technische Entwicklungen bauen auf historischen Leistungen auf und werden durch die Beiträge vieler einzelner Individuen ermöglicht. Der soziale Charakter menschlicher Arbeit wird oft übersehen, weil sie entweder rein ökonomisch als Mittel des Einkommenserwerbs oder ausschließlich als eine Form der individuellen Selbstverwirklichung betrachtet wird. Durch die Digitalisierung verändern sich die sozialen Strukturen der Arbeit, und dem Potenzial nach können dabei viele negative Aspekte der Arbeitsteilung überwunden werden: Gerade die Arbeitsschritte, die so routinehaft sind, dass sie unmenschlich erscheinen, können am einfachsten von Robotern übernommen werden. Anstatt einzelne Entrepreneurs als Helden zu verehren, müssen wir diese komplexen sozialen Systeme in den Blick nehmen. Und weil diese Systeme anfällig für Sabotage und Missbrauch sind, gibt es eine andere Kategorie von Helden, die wir tatsächlich feiern sollten: Whistleblower, die derartige Missstände aufdecken.

müssten könnten