Über das Buch

Jayrôme hat früher als weiße Französin gelebt. Dann zieht er nach Berlin, beginnt Testosteron zu nehmen und erlebt eine zweite Pubertät. Ihm wächst ein dunkler Bart — und plötzlich wird er auf der Straße auf Arabisch angesprochen. Ob im Café, in der Umkleide oder bei der Passkontrolle, er merkt, dass sich nicht nur seine Identität, sondern vor allem das Verhalten seiner Umwelt ihm gegenüber radikal geändert hat. Er kann vergleichen: Wie werde ich als Mann, wie als Frau behandelt? Und was bedeutet es, wenn sich nicht nur das Geschlecht ändert, sondern augenscheinlich auch Herkunft und Alter? Mitreißend erzählt er von seinem queeren Alltag und deckt auf, wie irrsinnig gesellschaftliche Wahrnehmungen und Zuordnungen oft sind.

Jayrôme C. Robinet

Mein Weg von einer weißen Frau zu einem jungen Mann mit Migrationshintergrund

Hanser Berlin

Inhalt

Kopfsprung

Wünsch mir was!

Immer schön lächeln

Sie verlassen den heteronormativen Sektor

Am See

Erste Male

I will survive

Baby-Bär

Hochzeit

Krise der Männlichkeit?

Male Bonding

Willkommen bei den Sch’tis

Fallhöhe

Ins Wasser

Privilegien

Boys do cry

The King

Desintegrier dich!

Erster Versuch

Sugar-Daddy

Geschenkt

Es geht um uns alle

Dank

… für die Männer, die keine Lust haben, Beschützer zu sein, die es gern wären, aber nicht wissen wie, die sich nicht prügeln können, die gern heulen, die nicht ehrgeizig sind, nicht konkurrenzfähig, nicht aggressiv sind, die schlecht gebaut, ängstlich, schüchtern, verletzlich sind, die sich lieber um den Haushalt kümmern würden, als arbeiten zu gehen, die zart oder kahl sind, zu arm, um zu gefallen, die Lust haben, sich in den Arsch ficken zu lassen, die nicht wollen, dass man sich auf sie verlässt, die Angst haben, wenn sie abends allein sind.

Virginie Despentes, King Kong Theorie

Ab wann beginnt das Erwachsenwerden? Nimmt das einen Anfang? Zu einem bestimmten Zeitpunkt? Wann war das, was wir erlebten, nicht mehr Kindheit? Woran machte sich das fest? Und wer konnte das bestimmen?

Carolin Emcke, Wie wir begehren

Das Ausrufungszeichen im Wort vereint das Binnen-I und den Unterstrich bzw. den Genderstern. Das kleine i wird auf den Kopf gestellt — dadurch soll abgebildet werden, dass körperlich und psychisch nicht nur die Pole »männlich« und »weiblich« existieren, sondern es ein ganzes Spektrum von Geschlechtern, Geschlechtsidentitäten und Körperlichkeiten gibt. Diese Schreibweise ist inspiriert von der Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch, die sich wiederum von der Sängerin P!nk hat inspirieren lassen, deren Inspiration uns derzeit unbekannt ist.

Das Kapitel »Geschenkt« und der Spoken-Word-Text auf Seite 208*209 sind in leicht abgewandelter Form bereits im Prosa- und Lyrikband Das Licht ist weder gerecht noch ungerecht erschienen (w_orten & meer, 2015).

Kopfsprung

Heute also zum ersten Mal in die Männerumkleide. Ich atme tief durch. Was erwartet mich dort? Faust ins Gesicht, Kieferbruch? Bestimmt nicht. Oder doch? Werde ich auffliegen? Seit zwanzig Minuten will ich sie betreten und schaffe es nicht. Vor mir sind zwei halbkreisförmige Treppen, die aus dem Barbereich nach rechts beziehungsweise links oben führen — wie im Vestibül von Kaiserin Sissi. Auf den Bodenfliesen kleben Wegweiser in Form von farbigen Flip-Flops: rosa in Richtung Frauenumkleide, blau für die Männer. Ich komme mir vor wie ein Paar Kirschen, das jemandem am Ohr hängt, süß, aber deplatziert. Und plötzlich bin ich wieder sechzehn — wie damals, als ich im Freibad vom 10-Meter-Turm springen wollte.

Es war der Sommer 1994. Damals lebte ich in Nordfrankreich, an der Grenze zu Belgien — im Land der Sch’tis, der Region mit dem komischen Dialekt, in der mehr Bier als Wein getrunken wird. Ich stand im Bikini in der Schlange vor einem haushohen Sprungturm. Warum ich da überhaupt runterspringen wollte? Wusste ich damals schon, dass ich eigentlich ein Junge bin und Jungen solche Sachen nun einmal machen? Nein, vermutlich wollte ich nur das Herzrasen spüren, die Schwerelosigkeit im Flug.

Mein Bikini-Slip kniff am Po, mein Pferdeschwanz war ganz brav, keine losen Haarsträhnen, alles schön glatt gezogen, und die roten Trägerschnüre im Nacken lagen bewegungslos auf meiner Haut. Es war windstill, alle Flaggen hingen schlaff herab. Der Junge hinter mir gab seinem Kumpel einen Klaps auf den Hinterkopf, beide kicherten. Ich war dran.

Ich stieg die steile Leiter hoch. Immer wenn ich einen Fuß auf die nächste Sprosse stellte, spürte ich Dutzende Augenpaare zwischen meinen Oberschenkeln. Es war, als hätte ich nichts an, mitten am helllichten Tag, ein fremdes Gefühl, unheimlich und zugleich sinnlich, wie nackt im See schwimmen. Die Welt unter mir wurde immer kleiner, über mir ragte der Sprungturm auf und warf seinen finsteren Schatten auf das Türkis unter ihm. Hatte ich ernsthaft gedacht, ich würde die Rampe wie eine Ballerina entlanghüpfen und nach zwei Salti grazil ins Wasser tauchen? Die Plattform war nass, ich würde abrutschen und auf den Beckenrand prallen. Und selbst wenn ich das Becken treffen würde — aus zehn Metern Höhe ist Wasser hart wie Beton! Schweiß brannte mir in den Augen, auf den Lippen ein salziger Geschmack, gemischt mit Chlor. Unten das Johlen der Jugendlichen. Immer mehr Leute drängelten sich am Sprungturm und sahen hoch zu mir. Ich klammerte mich fest, niemals würde ich dort oben ankommen, aber hinunter ging es nun auch nicht mehr. Ich würde einfach mein Leben hier verbringen, wie ein Säulenheiliger, von der Sonne gewärmt. Jemand schlug unten gegen die Leiter, der Stahl begann zu zittern, ich dachte, ich sterbe gleich.

Zum Schluss bin ich die Leiter in Zeitlupe wieder hinuntergestiegen. Mit jeder Sprosse, die ich mich ungelenk hinabtastete, schoss die Scham in mir hoch. Die anderen schrien und lachten. Wieder auf festem Boden, verzog mir das Gefühl von Versagen das Gesicht wie mein Pferdeschwanz, der so straff war, dass er die Haut mit nach hinten zog.

Und jetzt, gut zwanzig Jahre später, führt wieder eine Treppe vor mir in die Höhe. Doch ich bin nicht mehr sechzehn. Nun bin ich erwachsen. Und diesmal werde ich es schaffen.

Trotzdem setze ich mich erst mal in die Lounge-Ecke bei der Bar. Ich sinke tief in die Sofakissen und fühle mich unsichtbar. Neben mir thront eine künstliche Palme. Ich beneide die Selbstverständlichkeit, mit der ein Bodybuilder auf dem Barhocker sitzt und an seinem Erdbeer-Shake nippt. Ich würde mich gerne neben ihn setzen, wie im Film, wenn ein Typ Liebeskummer hat und Whisky runterkippt, und dann tritt jemand heran, viel zu nah, und verändert alles.

Ich zücke mein Smartphone — ob Kris sich gemeldet hat? Ich bin ausnahmsweise zu früh. Normalerweise komme ich notorisch zu spät, wahrscheinlich, damit ich nicht warten muss. Wenn ich warte, habe ich Angst, dass meine Verabredung mich sitzenlässt. Ich kaue an den Fingernägeln, das heißt, eigentlich tue ich nur so, das Überbleibsel einer Angewohnheit, die ich als Teenie hatte. Es brummt und dröhnt. Am Tresen steht statt Zapfanlage ein riesiger Entsafter, der so groß ist, dass der Barmann ganze Äpfel in den Schacht einfüllen kann. Die Elektro-Gans wird gestopft.

Seit Wochen schiebe ich diesen Augenblick auf. Es gibt ja immer einen guten Grund, keinen Sport zu treiben — zu müde, zu viel zu tun, die Katze schnurrt auf meinem Schoß, ich kann mich nicht bewegen.

Die Wahrheit ist: Der Gedanke, zum ersten Mal die Männerumkleide zu betreten, schnürt mir die Kehle zu. Werden die Typen dort merken, dass ich einen Packer, also einen Kunstpenis, in der Hose trage? Und das Kompressionsshirt, das meine Brust flach macht — wird es auffallen? Und wenn ja, was passiert dann? Wie werden sie reagieren? Sofort ist die Scham wieder da, ich erröte. Auch vor den Blicken habe ich Angst. Wie schauen sich Männer in der Umkleide an? Seit ich als Mann durchgehe, merke ich, wie sehr Blicke kodifiziert sind: Wie viele Sekunden darf ein Blickkontakt dauern, um was zu bedeuten? Welchen Grad an Härte, Herzlichkeit oder Sympathie sollte er ausdrücken, um Männlichkeit und Heterosexualität zu signalisieren? Ist der Blick zu lang, gilt man schnell als schwul oder als jemand, der Streit sucht. Ist er zu kurz, gilt man als Feigling.

Als ich als Frau lebte, lernte ich unbewusst, mit Männern zu flirten. Damals schien es das Natürlichste der Welt: sich lässig durch die langen Haare fahren, schöne Augen machen und häufig nach unten schauen, die perfekte Mischung aus Freude und Verlegenheit. In Frankreich wird ohnehin mehr geflirtet. Es ist eine Art Höflichkeitsform, es gehört zum netten sozialen Umgang, es ist quasi Pflicht. In Deutschland bringt man zum eigenen Geburtstag einen Kuchen mit ins Büro oder stellt den Kolleg!nnen zu Ostern ein Körbchen mit verzierten Eiern neben den PC. Franzosen flirten lieber. Nun jedoch ist jeder Blickkontakt mit einem Mann, als würde ich bei Rot über die Ampel gehen.

Der Binder drückt auf meinen Brustkorb, ich kriege kaum Luft, wie soll ich so überhaupt Sport treiben? Gleichzeitig fühle ich mich, als würde ich platzen vor Kraft. Alle zwei Wochen spritze ich mir Testosteron direkt in die Muskulatur. Vor Kurzem konnte ich nachts nicht schlafen, in meinem Blut war Silvesterparty, Sex oder Sport, habe ich gedacht, Sex oder Sport. Da ich Single bin, entschied ich mich für Sport und joggte um drei Uhr morgens auf dem Columbiadamm. Bewegungsdrang ist natürlich nicht die einzige Motivation im Gym zu trainieren.Ich will meinen Körper formen. Ich will sehen, wie meine Muskeln härter werden. Ich will ich selbst werden. Außerdem habe ich morgen ein Date — mein erstes, seit ich als Mann wahrgenommen werde. Also muss ich dort rein.

»Da bist du ja!« Ich bin so erleichtert, Kris vor mir zu sehen, dass ich ihr die Verspätung sofort verzeihe. Sie hat ihre Sporttasche über die Schulter geworfen und trägt auch bei dreißig Grad eine pomadisierte Elvis-Tolle, ein kariertes Hemd, Cowboystiefel und ihre alte Perfecto. »Femmes halten Pumps aus, Butches tragen auch im Sommer Lederjacke«, sagt sie. Kris und ich kennen uns aus der queeren Szene. Als ich sie zum ersten Mal auf der Bühne sah, trug sie ein Gedicht in Tweet-Länge vor: The saddest story of the world in four words: No one really cares. Doch eigentlich ist Kris nicht verzweifelt, sondern witzig.

Ich springe von der Couch auf. Ach, könnten wir doch zusammen in die Frauenumkleide gehen, wie in alten Zeiten. Früher waren wir oft gemeinsam hier, doch als mein Bart anfing zu wachsen und meine Stimme tiefer wurde, habe ich eine Trainingspause eingelegt, die seit sechs Monaten andauert.

»Alles wird gut«, sagt Kris.

Dieser Satz ist erstaunlich. Obwohl wir genau wissen, dass es nicht stimmt, funktioniert er. Ich atme tief in den Bauch hinein, um mich zu entspannen.

»Schöner Militärhaarschnitt.« Kris fährt mit der Hand über meinen kurz geschorenen Hinterkopf.

Ich grinse. Wenn die Jungs in der Umkleide wüssten, dass ich zu der Zeit, als es in Frankreich noch die Wehrpflicht gab, die Musterung nicht bestanden hätte.

»Los!«, sagt sie. »Wir sehen uns im Geräteraum!«

Im Vestibül von Kaiserin Sissi trennen sich unsere Wege. Kris, die männlicher wirkt als ich, folgt den rosa Flip-Flops. Und ich den blauen.

Ich steige die Stufen hoch.

Und dann springe ich.

Um Testosteron nehmen zu dürfen, musste ich zunächst eine Psychotherapie machen. Das verlangt der Medizinische Dienst der Krankenversicherung, kurz MDK. Die Psychotherapie muss mindestens achtzehn Monate dauern. Dabei muss ein sogenannter Alltagstest absolviert werden. Es geht darum, in allen Bereichen des Lebens in dem »gewünschten« Geschlecht zu leben, um die »neue« Geschlechterrolle zu erproben. Erst dann kann ein Gutachten erstellt werden, das die Diagnose »Transsexualismus« bestätigt und grünes Licht für die Hormontherapie gibt. Dieser Psychotherapie-Zwang ist ein Problem. Ich kenne trans* Leute, die sich eine solche Begleitung wünschen, aber viele brauchen das nicht. Sie sehen sich als Expert!nnen in eigener Sache. Ob ein Juwelier zum Psychiater geht, um das Karat seiner Diamanten einschätzen zu lassen?

Falls man neben der Hormontherapie auch Operationen möchte, wird man erneut zum MDK bestellt, der ein weiteres psychiatrisches Gutachtenverfahren initiiert. Gleichzeitig wird die Vornamens- und Personenstandsänderung beim Amtsgericht beantragt. Das Gericht verlangt wiederum zwei Gutachten von sogenannten Sachverständigen. Nicht selten erfolgt eine grenzüberschreitende Befragung: »Haben Sie Sex mit Männern oder mit Frauen?«, »Lassen Sie sich dabei an den Geschlechtsteilen berühren?«, »Liegen Sie bevorzugt oben oder unten?« Bis hin zu: »Machen Sie mal Ihren Oberkörper frei!« Im Grunde ist das ganze Verfahren eine Art Rekrutenmusterung, bei der die Person Selbsthass und ihre Tauglichkeit für die Zweigeschlechterordnung beweisen muss. Allerdings: So wie es bei mir ablief, hätte genauso gut ein Juwelier das Gutachten schreiben können.

Auch an jenem Tag war ich ausnahmsweise zu früh. Die Sprechstundenhilfe hatte mir am Telefon mitgeteilt, ich müsse meinen trans*-Lebenslauf mitbringen.

»Meinen was?«

»Die Eckpunkte Ihrer Biographie, die Sie veranlassen zu denken, Sie seien transgender.« Die Sprechstundenhilfe sprach das Wort »transgender« nicht wie im Englischen aus, sondern mit g wie »Gustav«.

Ich fühlte mich wie vor einem Bewerbungsgespräch. Im Wartezimmer übte ich Coolness, saß mit gespreizten Beinen da, den Arm auf der Rückenlehne des Nachbarstuhles. Bewerbungsgespräche sind nicht meine Stärke. Den Termin hatte ich mit einem Freund, Timo, am Tag zuvor geprobt. Zum Glück wusste ich ungefähr, welche trans*-Biographie von mir erwartet wurde. Inzwischen hatte ich genug dieser »Lebensläufe« in der trans*-Community gesehen: Ich kam im Jahr X als Mädchen auf die Welt. Dass ich im falschen Körper geboren wurde, bemerkte ich sehr früh. Bereits im Alter von drei Jahren habe ich mich wie ein Junge gefühlt. Als Kind wollte ich nicht mit Puppen spielen, sondern lieber Fußball. Als meine Brüste anfingen zu wachsen, brach meine Welt zusammen. Und so weiter.

Bei mir stimmte das allerdings nicht so ganz. Als Kind spielte ich gern mit Puppen. Ich wollte lieber lesen statt Fußball spielen. In der Pubertät war ich auch kein Tomboy, eigentlich war ich sogar ziemlich feminin. Baggy Pants, weite T-Shirts und Baseball-Caps habe ich an dem Tag beiseitegelegt, als mein Vater mir sein Büro zeigte. Lange wusste ich nicht, was mein Papa beruflich machte. Ich wusste, dass er für ein Familienunternehmen arbeitete, das Lampen verkaufte. Ich wusste, dass mein Vater jeden Tag mit Anzug und Krawatte zur Arbeit ging, um zwölf Uhr meine drei Geschwister und mich von der Schule abholte, nach dem Mittagessen vor dem Fernseher einnickte, um dann völlig hektisch loszufahren, weil er um 13:30 Uhr wieder im Büro sein musste. Ich glaube, er kam jeden Tag zu spät. Kein Wunder, dass Pünktlichkeit für mich heute bedeutet, mich zum verabredeten Zeitpunkt auf den Weg zu machen.

Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie das Büro meines Vaters aussah. Ich erinnere mich, dass ich gehofft hatte, der Chef wäre nicht da. Ich kannte ihn, weil ich ab und zu abends als Babysitter bei ihm arbeitete und er mich danach zurück nach Hause fuhr, meistens angetrunken. Einmal hat er versucht, mich auf den Mund zu küssen, als er vor unserem Haus hielt. Er sagte mir, ich solle ihm vertrauen und die Augen schließen. Seine Lippen berührten meine, er roch nach Whisky und nach der dicken Zigarre, die er immer am Steuer paffte. Unser Haus stand zwischen der Schnellstraße D75 und der Autobahn E19. Die vorbeirasenden Autos klangen wie das Rauschen des Meeres.

Als Papa mich ins Büro mitnahm, war der Chef nicht da. Da war nur ein Kollege, auch mit Anzug und Krawatte, der nach einem kurzen Gespräch fragte: »Willst du mir deinen Sohn nicht vorstellen?« Mein Vater senkte den Blick und antwortete, ich sei nicht sein Sohn, sondern seine Tochter. Ich merkte, dass er sich schämte. Auch dem Kollegen war es peinlich, er lachte kurz und entschuldigte sich. Im Stillen freute ich mich, dass ich für einen Jungen gehalten wurde. Aber ich spürte, dass ich mich eigentlich nicht freuen durfte. Es tat mir weh, dass mein Papa sich wegen mir schämen musste. Von da an lernte ich, enge Tops und Röcke und Nylonstrümpfe zu tragen.

Doch es gab noch einen weiteren Grund für Make-up und High Heels: Ich stehe auf Männer. »Sie stehen auf Männer?« Als ich im Wartezimmer saß, stellte ich mir vor, dass ich das gefragt würde. »Warum bleiben Sie denn nicht eine Frau?«

Nun ja, in welchem Geschlecht ich mich durch die Welt bewegen will, hat nichts damit zu tun, zu welchem Geschlecht ich mich hingezogen fühle. Genauso gut könnte man fragen: »Fährst du lieber mit dem Zug oder nach Barcelona?« Antwort: »Egal, Hauptsache Italien!«

Dann wurde ich aufgerufen. Hinter dem Schreibtisch der Psychiaterin hing ein riesiger Stadtplan von Berlin an der Wand. Auf ihrem Schreibtisch stapelten sich Ordner, daneben stand ein Telefon aus den 1980er Jahren, der Hörer wie eine Kurzhantel. Ich musste an Derrick denken, der ungefähr zur gleichen Zeit im französischen Fernsehen lief. Die Ärztin trug eine ähnliche Brille wie er. Ob sie gleich eine Schreibmaschine hervorzaubern würde, klack klack, um meine Aussage aufzunehmen? Nein. Sie blätterte in meinem trans*-Lebenslauf und stellte hier und da Fragen.

»Sie haben in der Pubertät Drogen genommen?« Es klang wie eine Feststellung. Ihr Blick blieb auf das Papier gerichtet.

»Ja.« Mit siebzehn habe ich alles Mögliche probiert. LSD, Ecstasy, Kokain, Speed und natürlich Gras. Ich wollte aufhören, nachzudenken. Es fehlte mir an Leichtigkeit. Außerdem war ich schüchtern und wusste nicht, wie ich mit anderen in Kontakt kommen sollte. Dabei glaubten mir das viele gar nicht — den meisten galt ich als fröhlich und klug und stark. Die Drogen sollten meine heimliche Verklemmtheit heilen. Doch leider machten sie es nur noch schlimmer. Im Rausch wurde mein Hirn zu einem Schaf, das sich selbst schert und dann mit der eigenen Wolle einen löchrigen Pulli strickt. Als ich 1994 zum Studium nach Belgien zog, habe ich mich von meiner Clique distanziert und mit dem Stricken aufgehört.

»Und seitdem nehme ich gar keine Drogen mehr, ich trinke auch keinen Alkohol, nur ab und zu ein Bier auf Partys, und rauche weder Tabak noch Marihuana«, sagte ich.

Derrick kritzelte etwas in meinen Lebenslauf. »Ich sehe, dass Sie mit siebzehn einen Suizidversuch hatten?«

Korrekt. Eigentlich zwei. Mit siebzehn tat mir das Menschsein weh. Eines Abends schrieb ich unter Tränen einen Abschiedsbrief und schluckte zwei Packungen Tabletten. Da man in meiner Familie jedoch nur selten zum Arzt ging — mein Vater sagte immer: »Wenn du Grippe hast und zum Arzt gehst, dauert’s eine Woche. Wenn du nicht zum Arzt gehst, dauert’s sieben Tage.« —, hatte ich keine Ahnung von Medikamenten. Meine Schlaftabletten waren Baldrian, und am nächsten Morgen erstand ich auf, frisch und erstaunt. Eine Woche später spritzte ich Luft in eine Ader am Ellbogen. Ich hatte gehört, dass das tödlich ist, weil die Bläschen in Richtung Herz und Lunge wandern und den Kreislauf sofort stoppen. Ich persönlich bekam nur blaue Flecken. Ich wusste nicht, wie ich leben sollte. Aber sterben konnte ich anscheinend auch nicht.

Die Psychiaterin drückte das Kinn auf die Brust, um mich über ihre Brille hinweg zu mustern. »Sind Sie in einer Partnerschaft?«

Diese Frage war wichtig, das wusste ich. Es gab eine Zeit, in der eine Geschlechtsangleichung vor allem dann bewilligt wurde, wenn die Person dadurch heterosexuell wurde. Was sollte ich sagen? Durfte ich antworten, dass ich bis vor Kurzem eine Beziehung mit einem Mann gehabt hatte, die immerhin zwei Jahre hielt? Eine Testosterontherapie würde mich — und ihn auch! — offiziell schwul machen. Sven und ich hatten uns getrennt, weil wir im Alltag nicht kompatibel waren. Seitdem war ich Single.

»Stehen Sie auch auf Frauen?« Diesmal sah mir die Psychiaterin direkt in die Augen. In ihrem Blick flimmerte Spiellust, als würde sie einen Trixie-Federstab vor einer Katze hin- und herwedeln.

»Ja, ich fühle mich zu Frauen hingezogen, aber nicht als Lesbe, und ich fühle mich auch zu Männern hingezogen, aber nicht als heterosexuelle Frau.« Tatsächlich hatte ich mit neunzehn mein lesbisches Coming-out gehabt. Es war schön gewesen, und doch hatte ich den Eindruck gehabt, dass ich dabei lügen würde. Kurz danach verliebte ich mich in einen Kommilitonen. Ich war verwirrt. Hieß das, dass ich bisexuell war? Ich wusste nicht, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt und dass mein Thema nicht meine sexuelle Orientierung, sondern meine geschlechtliche Identität war.

Es war still im Zimmer, während Derrick weiter in meinen Unterlagen las. Timo hatte mir den Rat gegeben, Flyer beizulegen, auf denen ich für Spoken-Word-Events als Jayrôme angekündigt wurde oder als Drag King zu sehen war — als Beleg dafür, dass ich bereits seit einer Weile mein Leben in männlicher Identität erprobte.

Der Psychiaterin meine Geschichte zu erzählen war wie Autofahren bei Glatteis. Größte Vorsicht war geboten. Laut der Internationalen Klassifikation der Krankheiten ICD-10 geht »Transsexualismus« — »der Wunsch, als Angehöriger des anderen Geschlechts zu leben« — mit persönlichem Leiden und gestörter sozialer Funktionsfähigkeit einher. Sehr gern hätte ich davon berichtet, wie glücklich ich gerade war. Ich war nicht mehr jung, ich war nicht mehr hilflos. Als ich klein war und meine Filzstifte verschlissen waren, malte ich tapfer weiter und drückte einfach stärker auf. Es wäre mir nicht in den Sinn gekommen, nach neuen Stiften zu fragen, nicht nur, weil meine Eltern wenig Geld hatten. Doch mittlerweile hatte ich gelernt, zu fragen, für mich und für andere zu sorgen. Würde man mir die Hormontherapie wegen fehlendem Leidensdruck verweigern? Ich blickte zu Boden und versuchte, möglichst unglücklich auszusehen, während ich innerlich schon zu einer Entgegnung ansetzte.

Frau Doktor, Geschlecht ist keine Diagnose. Keine standardisierte Praxis. Keine medizinische Notwendigkeit. Kein gängiges Problem. Keine bahnbrechende Uneindeutigkeit.

Verstehen Sie?

Frau Doktor, ja, ich bin glücklich, die Menschen, die mir nahestehen, unterstützen mich, meine Katze auch, mein Arzt hat sich Zeit genommen, um mir die Wirkung von Testosteron gründlich zu erklären. Ich habe es mir lange überlegt, und nun bin ich mir sicher.

In mir wurde es still. Die Psychiaterin schloss meine Mappe. Sie musterte mich mit einem wohlwollenden und müden Blick. »Gut. Meine Assistentin wird Ihnen das Attest für die Hormontherapie drucken.«

»Echt?!«, quiekte ich. Scheiße. Klang nicht wie ein Prinz. Würde Derrick seine Meinung revidieren? Doch er lächelte.

»Alles Gute weiterhin, Herr Robinet.«

Was mir in der Männerumkleide zuerst auffällt, sind die Haargel-Spender. An der Stelle, wo bei den Frauen die Föhne hängen, gibt es hier Gratis-Haargel. Doch eigentlich bleibt mein Blick nur daran hängen, um den ganzen Rest auszublenden. Ich wünschte, meine Augen würden beschlagen wie Brillengläser im Winter beim Betreten einer Kneipe. Wo auch immer ich hingucke, sehe ich Pobacken, Geschlechtsteile, angespannte Muskeln, behaarte Brüste. Schweißgeruch hängt in der Luft. Mir wird schummrig. Zwischen all den nackten Männern steht eine Frau. Sie ist sportlich gekleidet und schiebt einen Reinigungswagen.

Ich schaue zu der Frau und suche ihren Blick. Eimer, Putzmittel, Besen. Mit einem Klick löst sie den Wischmopp vom Halter. Heißer Dampf kriecht aus ihrem Eimer herauf. Ich finde einen Platz auf der Holzbank. Hier ist definitiv mehr Platz als bei den Frauen, aber dafür gibt es dort eine extra Sauna. Dass Männer keine »eigene« Sauna haben, sondern die gemischte Sauna nutzen müssen, hat damit zu tun, dass das Fitness-Studio schwulem Cruising vorbeugen möchte, erklärt mir später ein Mitarbeiter. Bei Frauen wird nicht davon ausgegangen, dass sie einen geschlossenen Raum, in dem sie gemeinsam mit anderen Frauen nackt sitzen und schwitzen, sofort für schnellen Sex umnutzen. Eine solche promiske weibliche Sexualität ist undenkbar. Hinzu kommt, dass Frauen den öffentlichen Raum ohnehin seltener für sich beanspruchen als Männer — da wird auch beim Thema Sex von nichts anderem ausgegangen.

Die Frau wischt den Boden zwischen Sneakers und Sporttaschen. Ich kenne sie. Ich habe sie damals drüben gesehen. In die Frauenumkleide dürfen keine Männer: Gym-Mitgliederinnen und Ein-Tag-Gästinnen, Mitarbeiterinnen, Kursleiterinnen und Springerinnen und auch die Menschen, die putzen … ausschließlich Frauen.

Ich verstaue meinen Rucksack im Schrank. Sportklamotten habe ich schon an. Über der Bank hängen Handtücher, die scharf nach Schweiß und Duschgel riechen. Warum darf nicht einmal eine männliche Reinigungskraft die Frauenumkleide betreten, obwohl eine Frau bei den Männern putzt?

Der Schrank und ich starren uns an. Auf der gegenüberliegenden Bank beugen sich zwei Typen über ein Smartphone und kichern. Frauen werden gebeten, ihre Kontakte sowie die Orte, an denen sie sich in Gegenwart von Männern aufhalten, mit Vorsicht auszuwählen. An den Orten, wo sie wenig oder gar keine Kleidung tragen, muss ein Schutzraum für sie geschaffen werden. Ein Putzmann würde für Frauen, die sich gerade umziehen — und sei es ein einziger Mann in einer 20-köpfigen Frauengruppe —, eine Gefahr darstellen. Ein Wolf im Schafstall. Und selbst wenn er nichts unternimmt, was ist mit seinen lüsternen Blicken? Dem Kopfkino?

Aber warum wird dann die Frau, die hier gerade putzt, ganz allein in die Höhle des Löwen geschickt? Ist sie keine Frau, die Schutz benötigt?

»Wegen ihrer sozialen Herkunft«, interveniert meine innere Kris.

Eine Putzfrau. Keine Frau, die putzt. Eine Putze. Damit hat sie in diesem Moment vor allem einen sozialen und keinen geschlechtlichen Status.

Wolf im Schafstall. Höhle des Löwen. Männer fühlen sich in ihrer Intimsphäre von Frauen auch deshalb nicht gefährdet, weil Frauen eben keine lüsternen Blicke werfen. Angeblich. Frauen sind überhaupt nicht lüstern. Frauen erobern nicht. Sie haben keine Libido, kein Kopfkino, keinen Trieb.

Die Frau drückt den Mopp aus, Wasser tröpfelt in den Eimer. Ich möchte ihr zulächeln. Ihr zeigen, dass ich sie als Menschen wahrnehme. Aber vielleicht würde sie sich durch meine Aufmerksamkeit als Sexualobjekt markiert fühlen?

Vor mir: Überall Handtücher, acht, neun, elf Stück, hängend, liegend, zusammengeknüllt auf den Bänken. Direkt darüber ein Schild: Liebe Mitglieder & Gäste! Wir bitten Sie, den Rückgabe-Einwurf im Eingangsbereich zu nutzen und die Handtücher nicht in den Umkleiden liegen zu lassen. Vielen Dank für Ihre Unterstützung.

Ich schaue vorsichtig zur Frau, die putzt. Der Duft von Citrus-Reiniger mischt sich mit dem Schweißgeruch. Ich spüre eine Nähe zwischen ihr und mir, die mich überrascht und irgendwie seltsam wirkt. Sie hebt die Handtücher auf und wirft sie in einen großen Abfallsack. Sie rollt ihren Reinigungswagen weiter. Weg ist sie. Zurück bleibt die Sauberkeit in der Umkleide.

»Haste gesehen?«

Ich zucke zusammen. Einer der beiden Typen, die sich vorhin etwas auf ihren Smartphones zeigten, hält eine riesige Trainingshose vor mir hoch. Neben ihm steht sein Kumpel, breitbeinig, ohne T-Shirt, Fäuste in die Hüften gestemmt. Ob Schlägertypen mit freiem Oberkörper rumlaufen? Der Boden ist nass, wenn ich weglaufen muss, rutsche ich bestimmt aus.

»Schau mal!«, fährt der Typ fort.

Am liebsten möchte ich mich auf Zehenspitzen davonschleichen, nicht so sehr, weil ich nicht ausrutschen will, sondern um die Arbeit der Frau nicht zu zerstören. Meine Erfahrung aus der Frauenumkleide ist, dass sich dort eigentlich nur Freundinnen miteinander unterhalten, also Menschen, die sich kennen.

Eine XXL-Adidas-Hose … und?

»Das ist nicht meine«, sage ich.

»Ist seine.« Der Breitbeinige deutet mit einer leichten Kopfbewegung auf seinen Kumpel.

»War meine«, korrigiert dieser. Und dann wieder in meine Richtung: »Kannst dir das vorstellen? Ich war mal 40 Kilos schwerer! Hab alles wegtrainiert! In … wie lange?«

Er dreht sich hilfesuchend zu seinem persönlichen Orakel.

»6 Monaten«, hilft ihm sein Freund auf die Sprünge.

Als Beweis des Gewichtsverlusts wird mir ein Smartphone entgegengestreckt: Auf dem Bild trägt der Kleine die XXL-Hose.

»Das bin ich! So hab ich mal ausgesehen! Krass, oder?« Seine Augen funkeln.

Soll ich auch mein Handy zücken? Den beiden ein Foto von mir mit Glitzer-Kleid und langen Haaren zeigen? »Das bin ich! So hab ich früher ausgesehen! Krass, oder?«

Natürlich nicht. Sicher sind trans* Menschen selten, Umkleiden sind nicht unser einziges Problem. Am Arbeitsplatz, in der Ausbildung, auf dem Wohnungsmarkt, beim Dating, auf der Straße, in der Familie — im öffentlichen wie privaten Raum sind trans* Personen häufig Opfer von Mobbing, Diskriminierung und Gewalt, ja sogar Mord.

»Krass!«, sage ich.

Ich frage mich, ob ich zum Gewichtsverlust gratulieren soll. Aber die beiden haben sich bereits in Richtung Duschbereich verzogen. Erst jetzt merke ich, dass der Kleine irgendwie größere Brüste hat als ich.

Tap-tap-tap, Sneakerssohlen trommeln auf Gummimatten. Laufbänder summen. Der Binder schnürt mir die Brust zusammen, das Atmen fällt schwer, als würde ich mit Zigarette im Mund joggen. Neben mir nuckelt jemand an seiner Trinkflasche. Vor mir ein riesiges Panoramafenster, dahinter breitet sich der Park aus. Dünn und grün hebt sich das Blattwerk der Buchen vom Blau des Himmels ab.

»Na, alles überstanden?«

Ich brauche immer ein paar Sekunden, um Kris ohne Lederjacke und in Sportklamotten einzuordnen — wie bei jemandem, den man nur in Uniform kennt und plötzlich in Zivil trifft. Ich drücke auf Stopp, und mein Laufband summt sich langsam zum Stillstand.

»Die haben Haargel-Spender!« Mit dem Handtuch wische ich mir den Schweiß vom Hals.

Kris grinst unter ihrer Elvis-Tolle. »Hätt’ ich auch gern bei den Frauen, wenn ich meins zu Hause vergesse.« Aber auch Haar-Politik ist gegendert. Manchmal stelle ich mir zwei komplett unbehaarte Aufziehpuppen vor. Wenn man am Rädchen dreht, wächst das Haar. Bei der einen Puppe muss es am besten lang sein. Halt! Nur an zwei Stellen: eine Haarpracht auf dem Kopf, bitte, und lange Wimpern. Den Rest gefälligst epilieren, rasieren oder bleichen! Bei der anderen Puppe ist es genau umgekehrt: kein Haar auf dem Kopf, sonst aber überall behaart.

»Woll’n wir?« Kris zeigt auf die Krafttrainingsfläche. Obwohl sie Sneakers trägt, läuft sie wie mit ihren Cowboystiefeln.

Vor der Spiegelwand sitzt ein Typ in der Hocke und bereitet sich darauf vor, eine Langhantel anzuheben. Rotes, verzerrtes Gesicht. Stöhnen und Grumpfen. Mir fällt auf, dass die Frauen im Fitness-Studio keinen Laut von sich geben, nicht mal beim Gewichtheben. Allerhöchstens mal ein geräuschvolles Ausatmen.

Klong, Gewichte knallen auf den Boden. Ich spüre die Blicke der Typen um mich herum. Man ignoriert sich nach Kräften, aber belauert einander aus dem Augenwinkel. Bizeps, Trizeps, Brustmuskel, Sixpack — im Spiegel kann man die Konkurrenten unauffällig mustern. Hier gibt es keinen direkten Wettkampf, keine Goldmedaille, kein jubelndes Publikum. Der eigentliche Wettbewerb, der Vergleich, beginnt nach dem Spiel, nachdem wir das Gym verlassen haben, im realen Leben.

Wünsch mir was!

Ich ließ mir Blut abnehmen. Vor der ersten Testosteron-Spritze mussten eventuelle Erkrankungen ausgeschlossen oder entsprechend bei der Behandlung berücksichtigt werden. Die Werte meiner Leber, Niere, Schilddrüse und meine Sexualhormone wurden untersucht. Es kommt zwar selten vor, aber in bestimmten Fällen ist eine Hormontherapie nicht durchführbar, wie etwa bei einigen Lebererkrankungen oder zu vielen roten Blutkörperchen.

Nervös wartete ich auf die Ergebnisse. Aber immerhin: Mit Derricks Gutachten war der erste Schritt getan, und das wollte ich unbedingt mit den Menschen, die mir wichtig sind, feiern. Ich lud zu einem Brunch bei mir ein. Sven, mein Exfreund, der mir noch immer sehr nahesteht, half mir bei den Vorbereitungen. Mit einer leeren Plastikflasche, ein wenig braunem, selbsthärtendem Ton und grünem Kabeldraht bastelten wir einen kleinen Bonsaibaum. Meine Freund!nnen sollten ihre Gedanken, Sorgen oder Wünsche, die sie bezüglich meiner Transition hatten, an den Baum hängen und sich so von Céline verabschieden und Jayrôme willkommen heißen. Bereits als Kind machte ich das meiste mit mir selbst aus. Für viele in meinem Umfeld kam meine Entscheidung unerwartet. »Aber du bist so weiblich!« war die häufigste Reaktion.