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Nr. 3009

 

Clan der Saboteure

 

Atlan und Gucky auf der Welt aus Eisen – ein Raumschiff könnte verloren gehen

 

Leo Lukas

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Prolog: Bye bye, Kapitán

1. Bericht Atlan: Schichten im Schacht

2. Das gealterte Kind

3. Eine formvollendete Erpressung

4. Bericht Atlan: Erstes Abtasten

5. Große Probleme und kleine Freuden

6. Spiele und andere Hobbys

7. Bericht Atlan: Künste, Kulturen und Kriege

8. Einrichtungen und Ausrichtungen

9. Schutz und Blendung

10. Bericht Atlan: Das Para-Gitter

11. Noch mehr geheime Räume

12. Der Ort, den es nicht geben darf

Epilog: Rück- und Ausblicke

Leserkontaktseite

Fanszene

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner, die ihre Erde und das Sonnensystem hinter sich gelassen haben. In der Unendlichkeit des Alls treffen sie auf Außerirdische aller Art. Ihre Nachkommen haben Tausende von Welten besiedelt, zahlreiche Raumschiffe fliegen bis zu den entlegensten Sternen.

Perry Rhodan ist der Mensch, der von Anfang an mit den Erdbewohnern ins All vorgestoßen ist. Nun steht er vor seiner vielleicht größten Herausforderung: Die Rückkehr von seiner letzten Mission hat ihn rund 500 Jahre weiter in der Zeit katapultiert. Eine Datensintflut hat fast alle historischen Dokumente entwertet, sodass nur noch die Speicher der RAS TSCHUBAI gesichertes Wissen enthalten.

Während Perry Rhodan sich auf die Suche nach Informationen und Verbündeten macht, übernimmt der Arkonide Atlan das Kommando über die RAS TSCHUBAI und sucht Hilfe und Beistand bei alten Verbündeten, den Posbis. Auf der Dunkelwelt Culsu trifft er auf den CLAN DER SABOTEURE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan da Gonozal – Der Arkonide lässt sich erpressen, um sein Schiff zu retten.

Gucky – Der Mausbiber gerät in eine Falle, die es nicht geben dürfte.

Sichu Dorksteiger und Lerva Onteren – Die Wissenschaftlerinnen bemühen sich um Verständnis für die Posbis von Culsu.

Skedio-2 und Einserkolonne – Die Vertreter der Majorität sind nicht gegen Wissenslücken gefeit.

Kyr Hemaldh, Treffgamma und Montagne – Die Renegaten konkurrieren um eine zweifelhafte Vorherrschaft.

»Wäre ich Chaotarch und hätte das Ziel, eine ganze Galaxis unter Kontrolle zu bringen, und zwar eine Galaxis, die sogar dem Ansturm der Terminalen Kolonne widerstanden hat ...

Dann würde ich Misstrauen und Zwietracht säen, wo ich kann, und das ganze Gebilde in immer kleinere, untereinander zerstrittene Parzellen zerlegen. Dann würde ich dafür sorgen, dass es in dieser Galaxis genau so aussieht, wie es unseren momentanen Eindrücken zufolge in der Milchstraße aussieht.

Misstrauen und Zwietracht, Perry!«

(Atlan zu Perry Rhodan, 9. September 2045 NGZ)

 

 

Prolog

Bye bye, Kapitán

 

»Das Läuterwasser schmeckt grauenvoll«, sagte Kyr Hemaldh.

Angewidert spuckte er aus mehreren Öffnungen. Wo die Flüssigkeit auf den brennheißen Boden fiel, bildeten sich zischend kleine Lachen, die schnell verdampften.

»Erzähl mir etwas Neues«, gab Treffgamma zurück. Er knickte die Antennenfühler ein, zum Zeichen der Resignation.

»Wenn du mich fragst, liegt es an den Zuleitungen. Sie wurden schon ewig nicht mehr gereinigt. Wie oft habe ich dringend angeregt ... Aber auf mich hört ja keiner.«

»Bin ich denn niemand?«

»Ach. Wer hat sich erst kürzlich wieder gegen eine Generalrenovierung unserer Versorgungsanlagen ausgesprochen?«

»Zum zehntausendsten Mal: weil wir dadurch Gefahr laufen würden, die Aufmerksamkeit der Majorität zu erregen. Das darf auf keinen Fall passieren. Geheimhaltung geht vor.«

»Die Geheimhaltung, die heilige Geheimhaltung«, äffte Hemaldh die Abfolge der Funksymbole nach, satirisch überzeichnet.

Treffgamma ignorierte den Spott durch markantes Schweigen.

»Habe ich schon darauf hingewiesen«, stieß Hemaldh nach, »dass es mir relativ unlogisch erscheint, alle Anstrengungen einer sehr fraglichen Zukunft unterzuordnen und dabei die gegenwärtigen Lebensumstände zu vernachlässigen?«

»Ja.« Treffgamma sendete das Äquivalent eines Seufzens. »Exakt 21.947-mal. Allmählich solltest du akzeptiert haben, dass deine kleinliche Nörgelei keine hinreichende Zahl an Adressaten findet.«

»Jedes große Ganze setzt sich aus winzigen Details zusammen! Wovon sollte eine Veränderung der prekären Gesamtsituation ausgehen, wenn nicht vom Ansetzen am Nächstliegenden?«

»Als dein Freund«, übermittelte Treffgamma, »um nicht zu sagen, als dein letzter verbliebener Freund, rate ich dir, deinen Fokus zu erweitern.«

»Ha! Worauf denn? Diese Welt hat keinen Horizont, seit Jahrhunderten nicht mehr!«

»Nebenbei solltest du auch die Verbalmodule nachjustieren. Ich fühle mich verpflichtet darauf hinzuweisen, dass Ausdrücke wie ›ewig‹, ›relativ unlogisch‹ und dergleichen nicht gerade geeignet sind, deinen Status innerhalb unserer Gemeinschaft zu erhöhen.«

»Ich stehe zur indifferenten Emotionalität meiner Plasmaanteile. Mir ist das wichtig. Wichtiger, als mich mit endlosen«, Kyr Hemaldh verwendete bewusst den bösen, weil strikt-rational ungerechtfertigten Begriff, »Kalkulationen zu betäuben.«

»Tu mir einen, nein: zwei Gefallen. Erstens, schlürf das Läuterwasser, ohne dabei zu jammern. Auch wenn einige wenige, unbedeutende Inhaltsstoffe deine Geschmackssensoren beleidigen. Aber es ist in Ordnung und erfüllt seinen Zweck.«

Hemaldh wollte Einspruch erheben und auf sein Leib- und Magenthema zurückkommen. Hastig verschob er interne Rechenkapazitäten, jedoch ...

Treffgamma war um den Bruchteil einer Millisekunde schneller. »Sonstige negative Nebenwirkungen sind nicht dokumentiert und können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. – Zweitens, erzähl mir etwas Neues«, wiederholte er. »Oder ich beende auf der Stelle diese von dir angeregte Exklusiv-Konferenz!«

Kyr Hemaldh schluckte.

 

*

 

Die beiden positronisch-biologischen Roboter schwebten auf Prallfeldern, sechzig Zentimeter über dem Boden, in Hemaldhs persönlicher Enklave.

Er hatte sein bescheidenes Reich absichtlich unwirtlich eingerichtet: Unten war es heiß, hart an der Grenze der Schmelztemperatur mancher Schwermetalle. Oben war es so kalt, dass sich die aufsteigende Luftfeuchtigkeit dort als Eiszapfen ablagerte. Von den Spitzen der Stalaktiten perlten unaufhörlich Wassertropfen herab, nur um sogleich wieder in den gasförmigen Aggregatzustand versetzt zu werden.

Kyr Hemaldh liebte und hasste dieses Arrangement – weil es ihn an den Kreislauf einer Natur erinnerte, die ihm seit fast einem halben Jahrtausend verwehrt wurde.

»Neuigkeiten willst du wissen?«, fragte er.

»Ich bitte darum.« Treffgamma war ein Selbstkonstrukt, dessen äußere Erscheinung an Insektoide der Gattung Fangschrecken erinnerte.

Rudimentären Aufzeichnungen des Kollektivs zufolge hatten solche Gottesanbeterinnen den mythischen Planeten Terra bewohnt. Hemaldh zweifelte diese Überlieferung an.

Welches vernunftbegabte Wesen würde eine Tierart als Mantis religiosa bezeichnen? Und wem konnte daran gelegen sein, dass das Weibchen das Männchen vor, während oder nach dem Zeugungsakt auffraß?

Andererseits schien bereits das grundlegende Konzept zweier verschiedener Geschlechter Hemaldh absurd. Und erst recht die Annahme, eine Weitergabe lebenswichtiger genetischer Informationen an Nachfolger müsste mittels eines dermaßen perversen Austausches von Körpersäften und nach dem Zufallsprinzip erfolgen!

Mutmaßlich handelte es sich um Fehlinformationen, die ihnen früher, in der dunklen Epoche, von außen aufgezwungen worden waren. Damals, als ... Er konnte und wollte nicht daran denken.

Gleichwohl: Treffgamma durfte selbstverständlich, wie jeder andere Posbi, sein Erscheinungsbild wählen und gestalten, wie es ihm beliebte. Auch mit einem derartigen Übermaß an dürren, spitzen, skurril unpraktischen Bestandteilen.

 

*

 

»Rattenberg schrumpft wieder«, sagte Kyr Hemaldh. »Was, wie wir beide wissen, besser für ihn ist, gell?«

Treffgamma bejahte. »Schön, dass er sich seiner strukturell zyklischen Leistungsfähigkeit besonnen hat. Ausuferung führt zu nichts außer zum Selbstverlust.«

»Meine Rede. – Und Montagne hat den Kapitán getötet.«

»Ah! Wurde auch Zeit. Auf welche Weise, wenn ich fragen darf?«

»Nicht sehr originell. Sie hat ihn in die Datenmangel genommen.«

»Ich dachte, er hätte sich gegen virtuelle Würgegriffe geschützt?«

»Ja, aber zu mangel-haft.« Hemaldh hängte ein akustisches, hämisches Glucksen an.

Treffgamma duplizierte die humoristische Beifügung. »Exitus per Wortspiel, sozusagen?«

»Ja. Insofern doch auch wieder elegant, wenn man die zugrunde liegenden Zahlen hochrechnet.«

Aus der mitgeschickten Dokumentation der verwendeten Impulse ergab sich nebenbei eine, wie Hemaldh fand, recht hübsche und vermutlich sogar neue Variante der Zeckendorf-Sequenz.

»Geschieht ihm recht«, sagte Treffgamma. »Friede seiner Signatur!«

»Und mögen seine Werte«, vollendete Hemaldh die Floskel, »im nicht löschbaren Speicher gewahrt bleiben. – Unter uns, der Kapitán hinterlässt nicht gerade eine klaffende Lücke, was?«

Treffgamma funkte eine bestätigende Zeichenfolge. »Aus meiner Sicht wird es unser Clan nach seinem Abgang leichter haben.«

»Ja.«

»Ein lästiger Quertreiber weniger.«

»Die guten, übrig gebliebenen Kräfte sind allemal noch zahlreich und potent gen... Moment! Willst du damit ausdrücken, ich wäre gleichermaßen obsolet?«

Das darauffolgende, millisekundenkurze Zögern war Hemaldh Antwort genug.

Mühsam rang er die Gefühlsaufwallung seiner Plasmakomponente nieder. »Meinst du, Montagne wird nun den Führungsanspruch stellen?«

»Das glaube ich nicht. Ich halte sie für klug genug, sich nicht jetzt schon in den Vordergrund zu drängen.«

Kyr Hemaldh spie die Restbestände der Nährlösung aus. »Nicht, ehe weitere potenzielle Abweichler ausgemerzt worden sind. Eigensinnige, Schrägdenker. Idioten wie ich!«

Wieder zauderte Treffgamma merklich. »Nun übertreib mal nicht! Ich lese und errechne keine akute Bedrohung für dich, mich oder sonst jemand aus dem, was du mir mitgeteilt hast. Gewisse Gerüchte blieben mir ebenfalls nicht verborgen, aber ...«

»Aber?«

»Wir sollten ganz einfach vorsichtig sein, noch vorsichtiger und aufmerksamer als bisher.«

»Wegen Montagne?«

»Nein. Nichts für ungut, Hemaldh, aber sie, der Kapitán und du – ihr seid und wart, solange ich denken kann, Vertreter einer Minderheit innerhalb unserer Minorität.«

»Zumindest der Kapitán hat sich schon viele Jahrzehnte so übel benommen, dass es nur eine Frage der Geduld war, bis er ...«

»Desaktiviert, zerlegt und einer besseren, letztlich würdigeren Verwendung zugeführt wurde, ja.«

»Völlig richtig.«

»Trotzdem. Was ist los? Was passiert mit uns? Winzige Parameter verschieben sich minimal in bedenkliche Richtungen. Wieso wenden wir uns gegeneinander, anstatt die höhere Berufung voranzutreiben?«

»Meiner Meinung nach«, sagte Kyr Hemaldh, »liegt die eigentliche Ursache ja darin, dass das Läuterwasser grauenvoll schmeckt. Die Leitungen ...«

»Halt! Es reicht! – Ich hatte gehofft, du wärst eine Hilfe«, funkte Treffgamma scharf, überintensiv, mit ärgerlichem Unterton. »Aber leider, mein armer, verbohrter Freund: Das bist du nicht.«

1.

Bericht Atlan: Schichten im Schacht

18. September 2045 NGZ

 

Die RAS TSCHUBAI senkte sich hinab in tiefste Dunkelheit.

Nicht einmal die mächtigen, lasergestützten Scheinwerferbatterien des gigantischen, drei Kilometer durchmessenden Raumschiffs vermochten die volle Ausdehnung der Schlucht zu erfassen.

Selbstverständlich wäre es möglich, meldete sich ungefragt mein Logiksektor, die Intensität und Streubreite noch um einiges zu steigern. Die Bordmaschinisten könnten zusätzliche Energien bereitstellen. Aber ob wir uns damit beliebt machen würden?

Da ich die Skepsis des Extrasinns teilte, verzichtete ich auf eine entsprechende Anweisung. Unsere Situation war kritisch genug.

Die Bewohner der »Eisernen Welt« durch übermäßige Neugier zu provozieren, wäre töricht gewesen. Schließlich wussten wir nach wie vor nicht, wie die Posbis von Culsu zu uns standen und wie sie letztlich auf unsere Anwesenheit reagieren würden. Erst nach vielen Mühen hatten sie den Einflug gestattet.

Eines der Großholos beim COMMAND-Podest flammte auf. Es zeigte, wie sich über der RAS TSCHUBAI die Polschale wieder schloss.

»Klappe zu«, piepste Gucky leise. »Affe tot?«

Der Ilt stand neben mir, nervös auf den Zehenspitzen wippend. Auch ihn hielt es längst nicht mehr im schweren, variablen Kontursessel der Expeditionsleitung.

Uns allen war klar, dass wir, sofern wir gerade sehenden Auges in eine Falle geflogen waren. gröbste Schwierigkeiten haben würden, wieder heil herauszukommen.

Sichu Dorksteiger hatte die Auffassung vertreten, es müsste sich, wenn überhaupt, um eine extrem aufwendig gestaltete Falle handeln. Meinem Gegenargument, dass ich, stünde ich auf der anderen Seite, ohne zu zögern einigen Aufwand betreiben würde, um die RAS TSCHUBAI festzusetzen, hatte sie freilich nicht widersprochen.

So oder so, uns blieb keine andere Wahl.

Um Sichu, Gucky, diverse andere Mitglieder der Führungscrew und nicht zuletzt meinen Logiksektor zu beruhigen, hatte ich drei MARS-Kreuzer mit voller Besatzung bestücken und als Notfallreserve ausschleusen lassen, ehe wir den Sinkflug ins Ungewisse antraten. Somit verblieben die restlichen beiden Fünfhundert-Meter-Großbeiboote bis auf Weiteres unbemannt in ihren Dockbuchten. Das war einer der vielen Vorteile, den ein Trägerraumschiff bot – die jederzeitige Verfügbarkeit einer kleinen, schlagkräftigen Flotte, sofern die Besatzungsstärke es hergab.

Damit mussten wir leben. Perry Rhodan hatte allen damaligen Mannschaftsmitgliedern freigestellt, von Bord zu gehen, bevor sich die RAS TSCHUBAI in einen Flug mit zweifelhaftem Ausgang stürzte.

Ob diejenigen, die das Angebot angenommen haben, glücklicher geworden sind, versetzte mein Lästersinn, wird sich noch zeigen. Momentan spricht nicht sonderlich viel dafür.

Abgesehen davon, entgegnete ich nun doch in Gedanken, dass sie das, was später über sie hereingebrochen ist, wenigstens im Kreise ihrer Familienangehörigen und Freunde erlebten und erduldeten.

Ausnahmsweise enthielt sich der Logiksektor eines weiteren Kommentars. Meine innere Zweitstimme war nicht schlauer als ich oder sonst jemand an Bord. Wir alle wussten, dass wir noch viel zu wenige Informationen gesammelt hatten, um die galaktische Gesamtsituation auch nur in den Grundzügen einschätzen zu können.

Als etwa achtzehntausend Stammbesatzungsmitglieder der RAS TSCHUBAI sowie die allermeisten der ursprünglich fünfzigtausend Posbis von Bord gegangen waren, schrieb man den 25. August 1552 NGZ. Für uns war seither subjektiv ziemlich genau ein Monat verstrichen – für die Bewohner der Milchstraße hingegen fast ein halbes Jahrtausend!

Exakt sind es vierhundertdreiundneunzig Jahre, korrigierte unweigerlich der Extrasinn. Die wir übersprungen, weil wir sie während oder nach dem Durchgang durch das Chaotemporale Gezeitenfeld in Suspension verbracht haben.

Von den achtzehntausend Kameraden, mit denen wir gefühlt noch vor wenigen Wochen zusammen die Mannschaftssektionen bewohnt und zum Teil Seite an Seite gearbeitet hatten, lebte wohl längst niemand mehr. Und wir, die Hinterbliebenen und mit großer Verspätung Heimgekehrten, waren nun Fremde in der eigenen Galaxis.

 

*

 

Tiefer und tiefer schwebte die RAS TSCHUBAI, getragen von den Gravotron-Feldtriebwerken, die zum Glück klaglos funktionierten.

An den Wänden der ungeheuren, viele Hundert Kilometer langen Schneise veränderten sich Schicht um Schicht die metallisch-mechanischen Strukturen. Schlaglichtartig entrissen die Scheinwerferkegel riesenhafte Maschinenanlagen der Dunkelheit. Vielleicht zum ersten Mal seit langer Zeit, oder überhaupt ...

Narr, vergiss nicht, tadelte mein Logiksektor, dass auch subplanetare Bereiche von Posbi-Planeten erhellt sein können!

Er hatte recht. Andererseits schienen zumindest jene mächtigen Aggregate, die während unseres langsamen Absinkens zum Vorschein kamen, gewöhnlich in völliger Finsternis zu arbeiten.

Ich blickte auf die Holoanzeigen. Mittlerweile befanden wir uns bereits mehr als zwölf Kilometer unter der Oberfläche.

Erste Hochrechnungen der Ortungsabteilung wurden ebenfalls eingeblendet, als schematische Darstellungen. Sie füllten größtenteils die Lücken in der normaloptischen Erfassung, erbrachten jedoch nichts wesentlich Neues.

Wie wir wussten, beherbergten die zahlreichen, bis zu dreißig Kilometer tiefen Schluchten, die den gesamten Dunkelplaneten netzwerkartig überzogen, immens leistungsfähige Werftanlagen. In ihnen konnten einzelne Bestandteile für Fragmentraumer geschmiedet werden, oder quasi auf einmal ganze Posbischiffe mit der typischen Kantenlänge von zwei bis drei Kilometern entstehen.

Seit einer Zeitspanne, die niemand an Bord der RAS TSCHUBAI abzuschätzen vermochte ... Denn Culsu war uralt. Wie lange die Eiserne Welt schon positronisch-biologische Roboter und deren schlagkräftige Raumschiffe produzierte, entzog sich unserer Kenntnis.

Selbst vor den Verbündeten des Galaktikums waren Culsus Existenz und Position lange geheim gehalten worden, obwohl dort mehrere Bauteile für die RAS TSCHUBAI gefertigt worden waren. Und selbst unser schiffseigener Hauptrechner, die Semitronik ANANSI, die von dort stammte, durfte die Koordinaten mit nichts und niemandem teilen.

Als eine der Werftwelten der RAS war Culsu unser logischer Anlaufpunkt, um die erheblichen Schäden an unserem Schiff – vor allem an den Offensiv- und Defensivsystemen – beheben zu lassen. Allerdings hatten die in ANANSI verankerten Koordinaten nicht mehr gestimmt.

Wie wir nach einigem Hin und Her herausfanden, war Culsu um zwei Lichtjahre versetzt worden. Warum, von wem und auf welche Weise, zählte zu den Rätseln, die wir an diesem Ort zu ergründen hofften.

Der sonnenlos in der südlichen Westside der Milchstraße treibende Werftplanet der Posbis durchmaß 13.304 Kilometer. Sein Eisenkern nahm 82 Prozent des Radius ein. Den Aufzeichnungen zufolge, betrug die Schwerkraft 1,3 Gravos.

Aber was ist sicher? Worauf können wir uns verlassen, nach allem, was in fast fünf Jahrhunderten geschehen ist?, mahnte mein Logiksektor.

Ich konzentrierte mich auf die Gegenwart, auf das unmittelbar Naheliegende.

Die rechnerisch extrapolierten, unaufhörlich aktualisierten Holos zeigten immer deutlicher, dass der Schacht, in den die RAS TSCHUBAI mit stark gedrosselten Unterlichttriebwerken tauchte, zwar vor energetischen Emissionen nur so rauschte. Aber er war weitgehend leer und daher gut geeignet, unser Schiff aufzunehmen.

 

*

 

»Fremdeinwirkung!«, meldete Major Briony Legh, die Erste Pilotin, mit unaufgeregter Stimme.

»Nichts Ernstes, hoffe ich.«

»Nein, Missionsleiter. Traktorstrahlen tasten nach der RAS. Die Prognose ergibt, dass sie uns zu einem Ankerplatz ziehen wollen, um uns dort mittels eines Antigravfelds zu fixieren.«

»Trotzdem fragen wir sicherheitshalber nach«, ordnete ich an. »Funkabteilung, könnt ihr Kontakt herstellen?«

»Nicht mehr nötig«, sagte Oberstleutnant Lit Olwar, der Ortungschef. »Soeben geht ein unverschlüsselter Normalfunkanruf ein.«

»Aufs Hauptholo!«

Der Globus im halbelliptisch angelegten, je vierzig Meter langen und breiten sowie fünfzehn Meter hohen Nervenzentrum der RAS TSCHUBAI zeigte das Brustbild einer humanoiden Gestalt. Ihr kantiger Schädel bestand aus glatten Verbundstoffen, die in verschiedenen Abstufungen von Anthrazitgrau glänzten.

»Seid gegrüßt! Nennt mich Skedio-zwei«, sagte der Posbi mit einer Baritonstimme, zu wohlmoduliert, um natürlichen Ursprungs zu sein.

Seinen Kopf dominierte ein einzelnes, handtellergroßes, diamantförmiges, intensiv marineblau leuchtendes Auge. Der Oberkörper wirkte leicht asymmetrisch. Er war in eine Art Poncho gehüllt, der aus einem Gespinst feiner und feinster Ärmchen und Fingerchen zu bestehen schien.

»Mein Name ist Atlan da Gonozal«, stellte ich mich ebenfalls vor. »Ich befehlige dieses Schiff, das in euren Archiven verzeichnet sein sollte. Etliche Bestandteile der RAS TSCHUBAI sind auf Culsu gefertigt worden.«

»Das ist mir bekannt. Auch deswegen haben wir euer Hilfegesuch positiv beantwortet.«

Vor allem der Zentralcomputer ANANSI war zu Beginn des 16. Jahrhunderts NGZ auf der Eisernen Welt konstruiert, zusammengebaut und mit lebendem Bioplasma ausgestattet worden.

Die eigentliche Rechnertechnik befand sich, wie einst die Syntroniken, außerhalb des Standarduniversums – in einer unter Nutzung des Conchal-Prinzips ursprünglich von einem HAWK-V-Generator erzeugten, selbststabilisierenden Halbraumblase. Für deren Aufrechterhaltung war keine weitere Energiezufuhr erforderlich. Aufgrund dieser einzigartigen Architektur wurde ANANSI als Semitronik – eigentlich: »Syntronik auf Halbraumbasis« – bezeichnet.

Als Ganzes war die RAS TSCHUBAI nie zuvor auf Culsu gewesen. Die Endfertigung – welch ungenügend schwaches Wort für die komplexe Zusammenfügung dermaßen vieler, derart hochgezüchteter Komponenten! – war im Inneren des Jupitermonds Neo-Ganymed erfolgt.