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Georg Schwedt

Chemie der Arzneimittel

Einfache Experimente mit Medikamenten aus der Apotheke

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Vorwort

Die pharmazeutische Chemie ist die Chemie der Arzneimittel.

Auch dieses Experimentierbuch wird nach der Zuordnung zu chemischen Substanzgruppen gegliedert.

Im ersten Teil werden Arzneimittel vorgestellt, die als Hauptwirkstoffe anorganische Substanzen enthalten. Bei der Auswahl an Experimenten wird auch auf die Galenik früherer Zeiten zurückgegriffen, um die Prinzipien der Herstellung deutlich werden zu lassen.

Im zweiten Teil werden Arzneimittel mit organischen Wirkstoffen für die Experimente verwendet – mit dem Schwerpunkt auf Arzneimitteln unserer Zeit, die zum Teil zugleich eine interessante Vorgeschichte aufweisen und in der Regel auch in einer Hausapotheke zu finden sind. Die Analytik von Wirk- und Hilfsstoffen steht hier im Vordergrund.

Im dritten Teil werden einige wenige Synthesen beispielhaft beschrieben. Daran schließt sich die Zubereitung von Arzneimitteln nach einfachen Rezepturen – vom Mazerat bis zum Placebo – mit Beispielen aus der Galenik an.

Dieses Buch ist die 11. Publikation in der Reihe der von mir im Verlag Wiley-VCH seit 2001 veröffentlichten Experimentierbücher – von

  1. Experimente mit Supermarktprodukten. Eine chemische Warenkunde (1. Aufl. 2001, 3. Aufl. 2009),
  2. Chemische Experimente in Schlössern, Klöstern und Museen. Aus Hexenküche und Zauberlabor (1. Aufl. 2002, 2. Aufl. 2009),
  3. Noch mehr Experimente mit Supermarktprodukten. Das Periodensystem als Wegweiser (1. Aufl. 2003, 2. Aufl. 2009),
  4. Chemische Experimente in naturwissenschaftlich-technischen Museen. Farbige Feuer und feurige Farben (2003),
  5. Experimente rund ums Kochen, Braten, Backen (1. Auf. 2004, 2. Aufl. 2010, 3. Auf. 2015),
  6. Chemie für alle Jahreszeiten. Einfache Experimente mit pflanzlichen Naturstoffen (2007),
  7. Zuckersüße Chemie – Kohlenhydrate & Co (1. Aufl. 2010, 2. Aufl. 2015),
  8. Chemie querbeet und reaktiv. Basisreaktionen mit Alltagsprodukten (2011),
  9. Experimente rund um die Kunststoffe des Alltags (2013) bis
  10. Dynamische Chemie. Schnelle Analysen mit Teststäbchen (2015).

Die überwiegende Zahl der beschriebenen und für die Experimente verwendeten Arzneimittel ist apothekenpflichtig, jedoch nicht verschreibungs(rezept)pflichtig. Im Internet sind für diese Produkte in der Regel auch die Texte der Beipackzettel veröffentlicht. Diese enthalten Angaben zu den jeweiligen aktiven Wirkstoffen und zu sonstigen Bestandteilen. Auf der Grundlage dieser Angaben wurden auch die einzelnen Experimente mithilfe von Originalpräparaten aus der Apotheke entwickelt.

Die Experimente zur Galenik im dritten Kapitel wurden überwiegend im Labor der Buschdorfer Apotheke in Bonn-Buschdorf vom Autor unter Anleitung des Apothekers Cornelius Schwandt durchgeführt, dem hiermit für seine Beratung und Unterstützung vielmals gedankt sei. Die Apotheke wurde von der Mutter des jetzigen Apothekers, Apothekerin Lore Schwandt, 1976 gegründet, vom Sohn seit 2005 geführt, und versorgt den nördlichen Stadtteil von Bonn an der Bundesstraße 9 nach Köln mit seinen etwa 4500 Einwohnern mit Arzneimitteln.

Einführung – aus der Geschichte von Galenik und pharmazeutischer Chemie

Als liber medicinalis bezeichnete man schon im Mittelalter Sammlungen von Rezepten – oder auch Pharmakopöe (aus dem griechischen Wort pharmakopoiein für „Arzneien zubereiten“) bzw. allgemein Arzneibuch genannt. Diese Sammlungen beinhalteten pharmazeutische Regeln zur Qualität, Prüfung, Lagerung und Bezeichnung von Arzneimitteln sowie die bei ihrer Herstellung verwendeten Stoffe (Substanzen) und Verfahren.

Als Galenik wird die Lehre von der Zusammensetzung und Zubereitung bzw. Herstellung von Arzneimitteln bezeichnet – nach dem griechischen Arzt Galenos (Pergamon 129 n. Chr. bis um 200 Rom), dessen Schriften bis in das 16. Jahrhundert einen hohen Stellenwert hatten. Im 19. Jahrhundert unterschied man sogar zwischen galenischen (wie Tinkturen, Essenzen, Pillen) und chemischen Arzneipräparaten (z. B. Tabletten, Zäpfchen). Die Wissenschaften von den Arzneiformen wandelten sich im 20. Jahrhundert zur pharmazeutischen Technologie, wobei der Begriff Galenik jedoch noch weiterhin gebräuchlich ist. Aufgabe der Galenik ist es, einen medizinischen Wirkstoff (Arzneistoff) zusammen mit Hilfsstoffen in eine bestimmte Arzneiform (Darreichungsform) zu bringen – z. B. als flüssiges Arzneimittel, Creme oder Tablette, um es dem Patienten verabreichen zu können. Die Zusätze haben nicht nur den Zweck, einen Wirkstoff zu „verpacken“, um ihn in einer bestimmten Konzentration verabreichen zu können. Sie beeinflussen auch die Verfügbarkeit, die Verweildauer im Blut. Diese Funktionen werden in der Biopharmazie erforscht.

Bereits aus dem alten Ägypten kennen wir durch den Papyrus Ebers (1872/73 von Georg Ebers, 1837 bis 1898, Ägyptologe und Schriftsteller, Professor in Leipzig, in Theben mit Geldern des Königs von Sachsen und aus dem Universitätsrei-sestipendienfonds der Universität Leipzig erworben) eine der ältesten Sammlungen medizinischer Texte – mit etwa 800 Rezepten.

Zur Arzneibuchliteratur gehören auch die Schriften des Arztes Galenos und des persischen Arztes Avicenna (arab. Ibn Sina; Afsana/Buhara 980 bis 1037; Abb. 1), der die Kenntnisse der arabischen Medizin verfasste. Sein Werk wurde bis in das 19. Jahrhundert verwendet. Im 11. Jahrhundert entstand auch in Mitteleuropa eine frühmittelalterliche Rezeptliteratur.

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Abb. 1 Avicenna.

Der Arzt Valerius Cordus (Erfurt 1515 bis 1544 Rom, Abb. 2) hielt um 1540 Vorlesungen über Materia medica an der Universität zu Wittenberg und veröffentlichte 1546 ein Dispensatorium, das von der Stadt Nürnberg als Pharmakopöe herausgebracht wurde. Seine Sammlung an Rezepturen von Arzneimitteln wird auch als Vorläuferin des deutschen Arzneibuches bezeichnet. Das Werk erlebte zahlreiche Nachdrucke sowie offizielle Neubearbeitungen über 100 Jahre hinaus – so 1598, 1612 und 1666.

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Abb. 2 Valerius Cordus, 1515 bis 1554.

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Abb. 3 Pharmacopoea Germanicae.

Im 18. Jahrhundert wurden an verschiedenen Orten verbindliche, jedoch regional begrenzte Arzneibücher bzw. Pharmakopöen geschaffen. 1872 wurde das erste deutsche Arzneibuch, DAB 1 als Pharmacopöe Germanica, ab 1890 Deutsches Arzneibuch in Verbindung mit einer Arzneibuch-Kommission veröffentlicht (Abb. 3). Es entstand eine bis heute (zurzeit gültig DAB 2015 als Loseblattsammlung) immer wieder ergänzte und überarbeitete Sammlung von Arzneimitteln mit detaillierten Angaben zur Herstellung und Prüfung der verwendeten Stoffe, Materialien und Methoden. In der Pharmaziegeschichte wird zwischen den amtlichen Arzneibüchern, den Pharmakopöen, die für den Apothekenbetrieb und die industrielle Herstellung von Arzneimitteln als Standardwerke bzw. Vorschriftenbücher als amtlich (d. h. vom Gesetzgeber vorgegeben) verbindlich gelten, und den Rezeptarien, deren Regeln auf einer Übereinkunft zwischen Heilberufsgruppen entstanden sind, unterschieden. Das Europäische Arzneibuch (Pharmacopoea Europaea Ph. Eur.) entstand 1965 mit Sitz der Kommission im Europarat zu Straßburg.

Darüber hinaus gibt es als Arzneimittelverzeichnis in Deutschland die sogenannte Rote Liste. Ab 1926 wurde von der damaligen Drogengroßhandlung J.D. Riedel AG (Gründer Johann Daniel Riedel 1786 bis 1843; Abb. 4 – später Riedel-de Haen) in Berlin eine Liste mit etwa 18 000 in der Pharmazie gebräuchlichen Präparaten herausgegeben, die als Vorbild für die ab 1933 als „Preisverzeichnis deutscher pharmazeutischer Spezialpräparate“ von der Reichsfachschaft der Pharmazeutischen Industrie veröffentlichten Roten Liste (als Titel auf dem Buchdeckel) diente. Ab 1949 wurde sie von der Arbeitsgemeinschaft Pharmazeutische Industrie, später Bundesverband der Pharmazeutischen Chemie (BPI) herausgegeben.

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Abb. 4 Johann Daniel Riedel (1786 bis 1843).

Die in drei Kapitel aufgeteilte Rote Liste enthält ein alphabetisches Verzeichnis der Präparatenamen (mit einer fünfstelligen Kennziffer, über die das Medikament im Hauptteil zu finden ist – rosafarbene Seiten der Buchausgabe), ein Stichwortverzeichnis (mit Verweisen von Wirkstoff- und Indikationsgruppen auf die 88 Hauptgruppen des Präparateteils – in der Buchausgabe gelbe Seiten) und das Stoffverzeichnis (blaue Seiten), in dem unter dem jeweiligen Wirkstoff alle entsprechenden Monopräparate aufgeführt sind. Seit 1998 wird die Rote Liste auch im Internet veröffentlicht.