Cover

Der Bergpfarrer (ab 375)
– 464–

Ich kämpfe um unser Glück

Doch der Anschein spricht gegen sie …

Toni Waidacher

Impressum:

Epub-Version © 2018 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: https://ebooks.kelter.de/

E-mail: info@keltermedia.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74094-021-8

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Claudia war wie betäubt. Ihre Hand umklammerte mit aller Kraft das Smart­phone, aus dessen Lautsprecher eben Fabians Stimme geklungen hatte. Die Worte hallten in ihr nach: ›Es ist aus, Claudia. Schick’ mir meinen Verlobungsring zurück und werd’ von mir aus mit dem Lauterbach glücklich. Wir beide sind geschiedene Leut’.‹ Sie konnte es nicht begreifen. Gestern Abend hatten sie noch miteinander telefoniert und er hatte betont, wie sehr er sie liebt und dass er es kaum erwarten könne, sie wieder in die Arme zu nehmen und küssen zu können.

Aus! Vorbei!

Dabei war sie sich keiner Schuld bewusst.

Wie von Schnüren gezogen ging sie zum Fenster und starrte mit brennenden Augen durch die Scheibe auf einen imaginären Punkt irgendwo in der Ferne. Weinen konnte sie nicht mehr. Zu viel hatte sie geweint, seit sich ihr Vater und Fabians Vater wegen eines defekten Traktors erbittert stritten und nur noch darauf aus waren, sich gegenseitig Schaden zuzufügen. Ihre Tränen waren versiegt.

Ohne es bewusst wahrzunehmen sah sie ihre Mutter aus dem Hühnerstall kommen und in Richtung Haustür gehen. Schon nach wenigen Schritten verschwand sie im toten Winkel aus ihrem Blickfeld .

Claudia stand immer noch am Fenster, als jemand gegen ihre Zimmertür klopfte. Sie erschrak regelrecht und zuckte zusammen. »Die Tür ist nicht abgeschlossen.« Langsam – fast zeitlupenhaft langsam drehte sie sich um.

Ihre Mutter betrat das Zimmer. »Was ist denn los mit dir?«, fragte Gudrun Faderl etwas ungehalten. »Geht’s dir heut schon wieder net gut? Ich hab’ schon die Hühner gefüttert, was eigentlich deine Aufgabe wär’. Hängt’s vielleicht damit zusammen, weil du den ganzen Samstagnachmittag und die halbe Nacht mit dem Lauterbach zusammen warst? Der Birner hat vor etwa zwanzig Minuten den Papa angerufen und hat’s ihm unter die Nase gerieben …«

»Und danach hat er gleich den Fabian informiert.« Claudia ging zum Bett und sank, wie eine Marionette, deren Schnüre man loslässt, auf die Kante nieder. Ihre Beine wollten sie kaum noch tragen. In ihr schien alles abgestorben zu sein. »Jetzt habt ihr ja alle erreicht, was ihr erreichen wolltet«, murmelte sie klanglos. »Der Fabian hat soeben mit mir Schluss gemacht.«

Sekundenlang starrte Gudrun ihre Tochter geradezu fassungslos an, doch dann überwand sie ihre Bestürzung und stieß hervor: »Das ist das Beste, was dir passierten konnt’, Madel. Auf die Dauer hätt’ eure Verbindung eh keine Chance gehabt. Du siehst es ja selbst: Dem Fabian war seine Ruhe wichtiger als du. Wär’s net so, wär’ er net von einer Stund’ auf die andere nach München abgehauen, als er der Meinung war, der ganze Hickhack würd’ ihm über den Kopf hinauswachsen.«

»Ich liebe ihn, Mama!«, rief Claudia aus. »Ich liebe ihn, wie ich nie einen Menschen vor ihm geliebt habe und wie ich wohl niemals mehr wieder einen lieben werd’. Und …« Claudia brach ab und schlug die Hände vor das Gesicht. Es war eine Geste der Verzweifelung, doch auch jetzt weinte sie nicht.

»Was wolltest noch sagen?«, fragte Gudrun ihre Tochter sanft, doch insgeheim war sie froh, dass Fabian einen Schlussstrich gezogen hatte. So richtig einverstanden war sie mit dieser Verbindung nie gewesen, denn sie war auf Fabians Vater nicht gut zu sprechen. Und diese Abneigung hatte sie nun unbewusst auf den Sohn übertragen.

Claudia nahm die Hände vom Gesicht, ließ sie sinken und schaute ihre Mutter mit einem Blick an, der nur unumstößliche Entschlossenheit zum Ausdruck brachte. »Ich werde um unser Glück kämpfen, Mama. Dass der Fabian Schluss gemacht hat, beruht auf einem Missverständnis. Er ist davon überzeugt, dass ich mit dem Wolfgang was angefangen hab’.«

»Aber du warst doch mit ihm …«

Claudia unterbrach sie: »Ich war mit ihm auf der Zugspitze, dann haben wir irgendwo zwischen Garmisch und St. Johann in einem Lokal zu Abend gegessen, und dann haben wir noch etwa eine halbe Stunde vor dem Hof im Auto gesessen und über frühere Zeiten, über unsere Kinder- und Jugendzeit, gesprochen.

Alles war rein freundschaftlich. Der Wolferl hat net mal versucht, mich anzubaggern. Er hat von meinen Problemen gehört und wollt’ mich nur aus alter Freundschaft heraus auf ganz andere Gedanken bringen.«

»Und das soll ich glauben? Der Birner hat dem Papa gesteckt, dass ihr euch eine ganze Weile im Auto vergnügt haben sollt. Ihr müsst beobachtet worden sein. Aus der Luft wird’s der Birner ja wohl net gegriffen haben.«

»Wenn das jemand behauptet, dann lügt er«, erwiderte Claudia empört. »Zwischen dem Wolfgang und mir war nix – aber auch gar nix.«

»Aber der Lauterbachbub ist doch ein sauberes Mannsbild. Sein Auskommen hat er auch, und er ist längst nimmer der Leichtsinnsbruder, der er bis vor einigen Jahren war. Meinst net, dass er ein Mann für dich wär’? Ich hätt’ nix gegen ihn.«

Claudia lachte bitter auf. »Glaubst du wirklich, dass der Papa damit einverstanden wär’, dass ich mir einen Burschen anlach’, dessen Vater ein Arbeiter bei der Forstverwaltung ist und dessen Mutter putzen geht – einen LKW-Fahrer, der von der Landwirtschaft keine Ahnung hat.«

»Der Lauterbachbub wär’ ihm sicher zehnmal willkommener als der Fabian.«

»So denkt ihr doch auch erst, seit sich der Papa mit dem Vater vom Fabian in den Haaren liegt. Vorher habt ihr nie gesagt, dass euch der Fabian net recht wär’. Ihr werft zwar seinem Vater Raffgier vor und lasst auch sonst kein gutes Haar an ihm, aber im Grunde eurer Herzen seid ihr net besser als er. Auch bei euch dreht sich alles nur um Geld und wie man es vermehren kann.«

Gudruns Gesichtszüge entgleisten regelrecht. »So solltest du net mit mir reden!«, rief sie. »Du bist unverschämt. Aber ich rechne es deinem Frust zu, weil der Fabian mit dir Schluss gemacht hat. Wenn ich’s dem Papa sag’, was du mir eben auf den Kopf zugesagt hast, dann kannst du dich auf was gefasst machen.«

»Sag’s ihm doch. Es ist mir egal. Er, du, der Birnerbauer – ihr alle seid net unschuldig daran, dass die Sach’ zwischen dem Fabian und mir so enden hat müssen.«

»Wir?« Gudrun tippte sich mit dem Daumen gegen die Brust. »Ich denk’, der Fabian hat dir den Laufpass gegeben, weil du mit dem Lauterbach …«

»Daran ist kein einziges Wort wahr!«, schnitt Claudia ihrer Mutter aufgebracht das Wort ab. »Und ich werd’ die Angelegenheit klären. Lass’ mich jetzt bitte allein, Mama. Ich muss noch einmal mit dem Fabian sprechen. Dann komm’ ich hinunter und mach’ den Stall sauber.«

»Aber …«

»Bitte.«

Widerwillig ging Gudrun zur Tür. »Ich an deiner Stelle würd’s lassen, wie’s ist«, murrte sie, ehe sie den Raum verließ.

Claudia ignorierte diesen mahnenden Kommentar. Nachdem ihre Mutter die Tür hinter sich zugezogen hatte, wählte sie Fabians Nummer.

Er war nicht erreichbar, denn sein Smartphone war ausgeschaltet. Einen Moment lang dachte sie daran, Xaver Birner, Fabians Vater, anzurufen und die Sache mit Wolfgang Lauterbach aufzuklären. Diesen Gedanken verwarf sie jedoch sogleich wieder, denn Fabians Vater würde ihr nur mit Häme und Spott begegnen. Das war sicher.

Sie war nicht bereit, einfach aufzugeben. »Ich kämpfe um unser Glück«, murmelte sie für sich. »Das darf einfach noch net alles gewesen sein.«

*

Sebastian Trenker hatte sich, nachdem er gefrühstückt hatte, auf sein Fahrrad geschwungen. Nun war er auf dem Weg zum Faderlhof. In St. Johann kursierten Gerüchte, Claudia Faderl und Wolfgang Lauterbach betreffend, die er einfach nicht glauben wollte und die ihn zutiefst beunruhigten. Die Liebe zwischen Fabian Birner und Claudia war in den vergangenen Tagen einer harten Belastungsprobe ausgesetzt gewesen, da sich ihre Väter einen unversöhnlichen Streit lieferten. Das Gerücht, das scheinbar wie ein Lauffeuer durch den Ort gegangen war und zu allen möglichen Spekulationen einlud, drohte nun endgültig der ­Verbindung der beiden jungen Leute den Todesstoß zu versetzen.

War es tatsächlich nur ein Gerücht?

Wolfgang Lauterbach und Claudia sollen beobachtet worden sein.

Zweifel quälten den Bergpfarrer. Wo Rauch ist, ist auch Feuer!, sagte er sich. Er hatte versucht, in dem Streit der Väter zu schlichten. Claudia war bei ihm gewesen und hatte ihm ihr Leid geklagt, ihm ihre Ängste verraten und ihn gebeten, auf ihren Vater einzuwirken und ihn zu veranlassen, auf den Birnerbauern zuzugehen, ihn um Verzeihung zu bitten und den hässlichen Streit zu beenden.

Sebastian hatte mit beiden Streithähnen gesprochen. Doch keiner war bereit gewesen, nachzugeben. Jeder fühlte sich im Recht und beharrte auch darauf.

Nun, da das Gerücht an ihn herangetragen worden war, fühlte er sich noch einmal gefordert. Er mochte sowohl die Claudia als auch den Fabian und wollte nicht, dass ihr Glück einer unseligen Unversöhnlichkeit geopfert wurde.

Der Weg stieg an und der Bergpfarrer musste kräftig in die Pedale treten, bis er den Hof erreichte. Vor einigen Tagen hatte es noch geregnet, in der Zwischenzeit aber war wieder Sonnenschein pur angesagt und das Wachnertal lag unter einem gleißenden Hitzeschleier. Er lehnte sein Rad gegen einen Schuppen und ging zur Haustür.

Gudrun Faderl, die ihn durch das Küchenfenster kommen hatte sehen, empfing ihn, ehe er das Haus betreten konnte. »Grüß Sie, Hochwürden. Wenn S’ zum Christoph möchten, muss ich Ihnen sagen, dass er schon das Haus verlassen hat. Außerdem wär’ jedes weitere Wort in der Sach’ mit dem Birnerbauern sinnlos. Der Christoph hat sich festgelegt und ist net bereit, nachzugeben. Hätt’ sich der Birner net so stur gestellt, hätt’ man sich vielleicht einigen können. Dieser Zug ist allerdings abgefahren. Christoph zieht die Angelegenheit durch, wenn es sein muss, bis zum bitteren Ende.«

»Grüß Gott, Gudrun.« Sebastian war einen Schritt vor der Bäuerin stehengeblieben und hatte ihren Wortschwall geduldig über sich ergehen lassen. »Ich will net zum Christoph. Dass weder er noch der Birner Xaver vernünftigen Worten zugänglich sind, hab’ ich längst festgestellt und wohl oder übel akzeptiert. Sollen s’ ihren Krieg austragen. Hoffentlich tut ihnen irgendwann net alles leid.«

»Wenn S’ net zum Christoph möchten, Hochwürden, zu wem dann? Bleiben ja nur noch die Claudia oder ich.«

»So ist es. Ich würd’ gern mit der Claudia sprechen. Da kursiert so ein Gerücht in St. Johann …«

»Ja, ja, ich weiß. Der Birner hat’s heut’ in aller Früh schon dem Christoph unter die Nase gerieben. Es wird behauptet, dass die Claudia was mit dem Lauterbach angefangen hat. Das Gerücht ist sogar schon bis München durchgedrungen. Der Fabian hat daraufhin mit der Claudia Schluss gemacht. Jetzt hockt das Madel in seinem Zimmer und heult.«

Sebastian schluckte. »Der Fabian hat Schluss gemacht?«, ächzte er bestürzt. »Ist denn was dran an dem Gerücht?«

»Die Claudia war mit dem Wolfgang den ganzen Samstagnachmittag und bis in die Nacht hinein unterwegs. Ich hab’ vorhin mit ihr gesprochen. Sie behauptet, dass der Wolfgang und sie nur auf kameradschaftlicher Ebene verkehren und sie hätt’ net mit einem einzigen Gedanken den Fabian betrogen. Wer weiß, was der alte Birner seinem Sohn erzählt hat! Der wollt’ doch ebenso wie der Christoph, dass sich die Claudia und der Fabian trennen. Da hat er sicher aus der Mücke einen Elefanten gemacht.«

»Dass es so weit gekommen ist, ist eine Schande«, stieß Sebastian erzürnt hervor. »Deine Tochter und der Fabian haben sich geliebt und wären miteinander glücklich geworden. Dümmliche Ignoranz und Sturheit haben das verhindert.«

»Net Arroganz und Sturheit, Hochwürden«, wollte Gudrun den Pfarrer korrigieren. »Es war der alte Birner, der windige Betrüger. Und der Apfel fällt net weit vom Stamm. Ich bin froh, dass die Sach’ ein Ende gefunden hat. Die Claudi ist ein hübsches Dirndl und findet sicher einen anderen, einen, der net die schlechten Gene vom Xaver im Blut hat.«

»Ich glaub’, Gudrun, du bist net besser als dein Mann«, polterte Sebastian los. Solche gehässigen Worte ärgerten ihn und er war nicht bereit, aus seinem Herzen eine Mördergrube zu machen. »Himmel, nimm’ doch wenigstens du Vernunft an! Dein Madel leidet und du redest von den schlechten Genen des Burschen, um den es weint.«

»Entschuldigen S’ bitte, Hochwürden«, stammelte Gudrun, die die zornige Reaktion des Pfarrers regelrecht erschreckt hatte. »Ich – sollt’ so net reden, ich weiß. Aber die Nennung des Namens Birner bringt mich auf hundertachtzig.«