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Tom Thore Thorsteinsson

Banhohf Delüx

Von Pizza nach Saddam bis Borderline





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Impressum

Banhohf Delüx

Teil 1: Von Pizza nach Saddam bis Borderline

von Tom Thore Thorsteinsson

Version 1.0

 

Impressum 

Banhohf Delüx

Copyright © 2018, Tom Thore Thorsteinsson 

Covergestaltung: Germancreative, T.T.Thorsteinsson, J.Uhlemann

Alle Rechte vorbehalten.

 

/// Die in diesem Buch geschilderten Begebenheiten entsprechen den Tatsachen. Allerdings sind viele der Ereignisse aus dem Gedächtnis des Autors und/oder Dritter wiedergegeben und beanspruchen keine präzise Genauigkeit im Ablauf oder ihren Einzelheiten, manche Details beruhen auch auf der persönlichen Einschätzung des Autors oder Hörensagen, jedoch wurden alle Angaben so wirklichkeitsnah wie möglich gemacht. Die Namen aller Personen und Örtlichkeiten wurden anonymisiert. Etwaige Übereinstimmungen oder Ähnlichkeiten wären rein zufällig. Alle Dialoge und Äußerungen sind nicht zitiert, sondern ihrem Sinn und Inhalt nach wiedergegeben.

 

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Einführung

EINFÜHRUNG

POSITIONSBESTIMMUNG

 

 

/// Alles Banhohf und voll delüx

 

Wie nennt man eigentlich eine verrufene Gegend, die einen hohen Ausländeranteil besitzt, von Integrations-, Bildungs- und Sozialschwächen geprägt ist, aber eigentlich kein eigenständiges reines Wohnviertel darstellt? Die Antwort lautet: Bahnhofstraße. Zumindest in einer ganz bestimmten kleinen süddeutschen Stadt...

 

Es handelt sich um einen bunten Schmelztiegel verschiedenster Menschen mit verschiedensten Hintergründen. Man findet dort so gut wie jede Ethnie und Nationalität: Albaner, Türken, Russen, Serben, Kroaten, Polen, Iraker, Inder, Ungarn, Rumänen, Bulgaren, Tschechen, Slowaken, Griechen, Italiener, Syrer, Marokkaner, Algerier, Tunesier, Pakistanis, Vietnamesen, Thailänder, diverse Schwarzafrikaner und noch viele mehr. Sogar Deutsche.

Offizielle Amtssprache: grammatikfreies akzentverschliffenes Deutsch, dem ein großer Anteil fremdsprachlichen Wortschatzes beigemengt wird.

Es finden sich auch nahezu alle Religionen in jeglicher Ausrichtung wieder. Eigentlich fehlt einzig und allein das Judentum. Sonst wären alle großen und kleinen Glaubensrichtungen, von denen man je gehört hat, anwesend.

Diese chaotische Gemengelage wird durchzogen von einem wirren Geflecht verschiedener kulturell bedingter Wertesysteme, sozialen Konflikten, erhöhter Gewaltbereitschaft, Kriminalität und Drogen. Zudem besitzen die meisten dort auch nur eine ziemlich kümmerliche Bildung. Wenn überhaupt.

Für viele stellt die Straße so etwas wie das letzte Auffangnetz vor dem freien Fall dar. Man sieht dort echt jedes Elend. Gewalttätige Typen. Drogensüchtige. Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen. Religiöse Spinner. Skrupellose Ausbeuter. Spielsüchtige Alkoholiker. Menschen mit psychischen Auffälligkeiten. Gescheiterte Existenzen aller Art. Analphabeten. Und auch blutjunge Mädchen, die sich illegal prostituieren.

Gleichzeitig ist die Bahnhofstraße, oder nach der dort üblichen Schreibweise ‚das Banhohfstrahse’, aber auch Durchgangsstation für viele, die eben erst in Deutschland angekommen sind. Für Flüchtlinge, für Asylanten, für Illegale und speziell auch für Arbeitssuchende aus ärmeren EU-Ländern.

Dazwischen kreuzen dann noch Leute herum, die halbwegs integriert sind. Es gibt sogar einige, die über Bildung verfügen und, ich sage jetzt mal, gesellschaftsfähig sind. Interessant an diesen Leuten ist übrigens der Umstand, dass sie eines teilen: Ihre Gesichtszüge und ihre Äußerungen lassen direkte Rückschlüsse darauf zu, wie lange sich jemand schon in diesem Umfeld bewegt. Umso deprimierter man wirkt und umso zynischer die Ansprachen klingen, umso länger genießt man schon den bahnhofsträßlichen Alltag. Wie das wohl kommt? Vermutlich kommt das daher, weil es sich nur um eine winzig kleine Minderheit handelt, die auf völlig verlorenem Posten dem täglichen sozialen Chaos entgegensieht.

 

Hmmm? Ob mein Schreibstil vielleicht auch durchschimmern lässt, wie viele Jahre ich mich schon durch die Bahnhofswelt bewege? Kann gut sein! Vieles dort ist aber auch verdammt unterirdisch. Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Dieses Umfeld besitzt durchaus auch einen putzigen süßen eigenen Charme, den man anderswo vergeblich sucht.

Also tauchen sie mit mir ein in eine Welt, die sie nie zuvor gesehen haben. Lassen Sie sich verzaubern von der geheimnisvollen Aura eines besonderen Ortes. Exotische Frauen. Fremdländische Gesichter. Feurige Düfte. Ungeahnte Farbenpracht. Der Klang tausender Sprachen, der die Luft mit mystischem Flair erfüllt. Lassen Sie sich verführen; und die Weisheit von fernen Kulturen wird sich wie eine Fata Morgana vor Ihren erstaunten Augen offenbaren.

Wobei Fata Morgana nicht so ganz das richtige Wort ist. Eine Fata Morgana gibt sich immerhin noch die Mühe, wenigstens den Anschein zu erwecken, als ob da was wäre, wo nichts ist. Das kann man von der Bahnhofsweisheit nicht behaupten. Die erweckt nicht nur den Anschein, dass da nichts ist, wo nichts ist. Da ist tatsächlich nichts. Denn die allgemeine Gemütslage steht nun mal auf nur drei Säulen: Wo ist mein Glas? Wo ist die nächste Muschi? Wo ist der nächste Spielautomat? Alles darüber hinaus ist nur Beiwerk, das kein Mensch braucht. Charisma? Ja, ich glaub’ das hab’ ich schon mal gehört. Das ist doch ‘n russischer Schnaps, oder? Ja genau! Und Bildung ist die süße junge Thai, die für ‘n Fuffi echt alles macht!

Doch genau das macht den Bahnhof erst so richtig deluxe. Oder wie man dort schreiben würde: ‚delüx’. Es erschafft erst das wirklich Zauberhafte dieses Ortes: Situationskomik vom zweifellos Allerfeinsten. Nirgendwo sonst wird einem eine so breite Palette an luxuriös hirnrissigen Aktionen und Begebenheiten geboten, wie dort. Nirgendwo sonst haben es so viele Menschen so gut drauf, sich selbst oder ihr Gesicht mit fast schon unfassbarer Präzision in die Wand zu lassen und im Nachhinein ganz ungläubig dazu zu vermerken: „Ich hab’ die Wand schon auf mich zukommen sehen! Aber ich verstehe einfach nicht, warum sie für mich nicht zur Seite gegangen ist!“

 

Ich arbeite nun schon seit so vielen Jahren in dieser Straße. Die meisten davon nur nebenbei, doch die letzten, die meine ganz persönliche Haltung maßgeblich und nachhaltig prägen sollten, in Vollzeit. Ich wirke dort als hoch qualifizierte Fachkraft spezialisiert auf die Lösung komplexer Logistik- und Zeitmanagementfragen in einem örtlichen Fast Food Betrieb. Das ist manchmal ganz schön stressig und bringt mich gelegentlich auch an meine Grenzen.

Komischerweise stellen sich die Leute meine Tätigkeit oft viel einfacher vor, als sie es tatsächlich ist. Ich muss so vieles gleichzeitig im Auge haben: Wareneinkauf organisieren, Bestellungen entgegennehmen, Rechnungen schreiben, Lieferungen zusammenstellen, Fahrtrouten austüfteln sowie (meist interne) Störquellen erkennen und nach Möglichkeit eliminieren. Als immer wichtiger und zeitaufwendiger erweist sich auch die telefonische Kundenbetreuung. Besonders die Beschwerdebearbeitung. Dieser Bereich verbucht in letzter Zeit einen enormen prozentualen Zuwachs (den er aber wohl auch nur hat, weil die Produktionsüberwachung im Aufgabenbereich meines Chefs liegt).

Alle diese höchst komplizierten und in sich greifenden Abläufe erfordern höchste Konzentration, Wissen und jahrelange Erfahrung. Pizzafahrer ist ein echt anspruchsvoller Job! ........... Ja, ganz genau! So hart und schwierig sogar, dass ihn auch locker ein dressierter Pavian machen könnte. Und das gilt nicht nur für meinen Job, sondern für so ziemlich jeden in der Pizzeria und ihrer Umgebung. Allerdings sind dressierte Paviane offenbar nur sehr schwer zu kriegen, weswegen in der Bahnhofswelt unglücklicherweise viel zu oft auf ganz geringfügig unbegabteres Personal zurückgegriffen werden muss...

 

 

/// Streifzug durch einen Ort prickelnder Exotik

 

Wir befinden uns in einem süddeutschen Provinznest mit deutlich zu wenigen Einwohnern. Ich erwägte übrigens kurzzeitig, an dieser Stelle einen kleinen versteckten Hinweis einzufügen, der Begriffe wie Autokennzeichen, römische Ziffern und Ähnliches miteinander verbindet. Doch ich habe mich dann doch dagegen entschieden, denn sonst wird es vielleicht doch zu offensichtlich. Auch wenn in der Bahnhofstraße sicher niemand ein solches Rätsel je lösen könnte. Nicht einmal, wenn er dafür zwei Jahrtausende Zeit hätte.

Was mich an dieser Stelle übrigens so ganz nebenbei beschäftigt: Die Gegend um einen Bahnhof herum sollte doch eigentlich nett herausgeputzt sein, um bei Bahnreisenden, die erstmals eine Stadt besuchen, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. So von wegen Imagepflege und Selbstpräsentation. Warum trifft es eigentlich auf so viele Städte zu, dass dort stattdessen immer die allererste Anlaufstelle ist, wenn man unbedingt fragwürdige Gestalten und schäbige Klitschen sehen will?

Wie dem auch sei, zurück zum kleinen süddeutschen Städtchen. Sobald man dort den Bahnhof verlässt, wird man vom Hauptverkehrsweg der Innenstadt geradewegs in den Altstadtkern geführt. Unmittelbar vor dem Bahnhof kreuzt er natürlich die gleichnamige Straße und teilt sie in zwei Bereiche. Der linke ist vergleichsweise noch eine normale Gegend. Doch der rechte, indem dieses Buch spielt, unterscheidet sich vom linken schon allein dadurch ganz erheblich, dass die Stadtsanierung bis jetzt einen sehr großen Bogen darum gemacht hat. Schön sieht’s da aus. Wirklich vorzeigbar. Der gesamte Straßenabschnitt besteht im Grunde aus einer einzigen Gebäudefront. Ein riesiger hässlicher klobiger Pott, der das unerreichte Schönheitsempfinden der Sechziger widerspiegelt. Und seit den Sechzigern hat sich die Stadtverwaltung auch nicht mehr um diesen Bunker geschert. Alles böse abgeranzt. Putzbrocken platzen überall von der Hauswand. Die Fassadenfarbe ist unter Ruß und Dreck kaum noch zu erkennen. Das Ding hätte schon vor dreißig Jahren dringendst eine Renovierung vonnöten gehabt. Kurz gesagt: eine schäbige marode Ruine.

Dort zentral gelegen: die Pizzeria. Sie besitzt im Übrigen auch kein halbwegs schönes Schild oder einen Schriftzug auf der Hauswand. Vielmehr wurde eine bedruckte Plane quer über den Eingang gespannt. Äußerst professionell! Von dort prangt auf die Passanten das Firmenlogo in Form eines fliegenden pinkfarbenen Drachen herab. Sollte sich jetzt jemand wundern, wo der Zusammenhang zwischen italienischen Pizzas und chinesischen Drachen zu finden ist: Ich weiß es nicht! Niemand weiß es, fürchte ich.

Dieser blöde Drache hat mich übrigens sowieso schon lange vorher beschäftigt. Ich habe mir immer gedacht: ‚Irgendwas stimmt mit dem nicht, irgendwie passt was mit seinem Auge nicht!’ Es hat eine völlig unnatürliche tropfenähnliche Form. Das sieht doch komisch aus!

Irgendwann fiel es mir dann wie Schuppen von den Augen. Das ist nicht das Auge, das ist eine Träne, die gerade das Auge verlässt. Das hätte mir aber auch schon früher klar werden können. Logisch! Ein pinker Drache. Den haben die coolen Drachen wahrscheinlich schon in seiner Jugend gemobbt, verprügelt und regelmäßig als Schwuchtel beschimpft. Da muss am Ende doch ein immer heulendes Drächelchen rauskommen. Mit dieser Erkenntnis aber finde ich ihn als Logo schon gar nicht mehr so unpassend, denn er steht draußen sinnbildlich für das, was es drinnen auch ist. Und zwar: alles zum Heulen. Jetzt müsste man den Laden nur noch von ‚Flying Dragon’ in ‚Crying Dragon’ umtaufen...

 

Direkt rechts neben uns befindet sich das Bistro ‚Venezia’, dessen Außenbestuhlung bis vor die Pizzeria reicht. Diese Tränke ist praktisch die lokale Drehscheibe für genau die Sorte Thaifrauen, die ganz locker in der Lage sind auch noch die unvorteilhaftesten Klischees und Vorurteile zu bedienen, die man von Thais haben kann. Mit denen hat man besser nicht mal als typischer Thai-Besitzer zu tun, und schon gar nicht als untypischer.

Sollte sich jetzt jemand wundern, wieso eine thailändische Kneipe Venezia heißt: Ich weiß es nicht! Niemand weiß es, fürchte ich. Hey! ..... Moment mal! Diesen Satz hab’ ich doch schon mal irgendwo gehört! Huch, ich erkenne ein Muster! Aber vielleicht gibt’s in diesem Fall ja doch eine ganz plausible Erklärung: Die haben sich nur in der Schreibung vertan. Es hätte eigentlich Venerea heißen sollen. Das wäre zumindest sinnbildlich ein Bulls Eye.

Mein persönliches Highlight dort stellen übrigens die Thaifrauen dar, die in dieser Kaschemme noch spätabends in Begleitung ihrer vierjährigen Kinder aufschlagen. Und das nicht nur auf einen kurzen Schluck. Warum nur bilde ich mir ein, jetzt schon wissen zu können, dass diese Kinder später nicht die Gesellschaft tragen, sondern nur von ihr ertragen werden?

Diese Spelunke ist allerdings noch nicht lange in thailändischer Hand. Zuvor wechselten ihre Wirte und ihr Namen fast jährlich. Was aber egal war, denn die zweifelhaften Gestalten, die dort abhingen, blieben immer dieselben.

 

Etwas weiter die Straße hinunter hat es noch eine türkisch besetzte Kneipe. Die wechselte zwar auch ständig den Namen, blieb im Volksmund aber ihrem ursprünglichen Namen nach immer die ‚Neue Bastei’.

 

Noch ein Stückchen weiter befindet sich die Table Dance Bar ‚Hell’s Kitchen’. Die kenne ich eigentlich nur daher, weil gelegentlich eine der dort engagierten Grazien Hunger hat und ich sie dann mit Futter versorgen darf. Coolerweise geben die Ladies immer vernünftig Trinkgeld. Von denen dürfte sich manch anderer unserer Kunden gern etwas in dieser Hinsicht abschauen.

Erstaunlich ist allerdings: Es sind immer deutlich mehr Bedienstete als Gäste anwesend, wenn ich dort erscheine. Hell’s Kitchen, was? So sieht es also aus, wenn die Hölle nicht los ist. Wie kann dieses Etablissement eigentlich überleben? Ob die vielleicht so ganz nebenbei auch noch im Finanzreinigungssektor tätig sind? Besser nicht darüber nachdenken! Und wo bleiben die Gäste eigentlich? Na ja, wahrscheinlich ist sich der typische Stangenbarbesucher mit mir durchaus nicht uneinig hinsichtlich der hocherotischen Kapazitäten der dort beschäftigten Damen aus osteuropäischer Produktion.

 

Bevor sie zur Table Dance Bar wurde, war diese Örtlichkeit eine Art Mikro-Disco, die sozusagen als Auffangbecken für die diente, die man sonst nirgendwo reinlassen wollte. Die einzige Ausnahme waren natürlich die Gäste, die nur deswegen erschienen, um sich über das Stammpublikum lustig zu machen. Solche hat so ein Loch irgendwie auch immer. Im Volksmund wurde diese Klitsche im Übrigen sehr respektvoll als ‚Verzweifelten-Verlies’ bezeichnet.

 

Nachdem sich die Disco ins ‚Hell’s Kitchen’ verwandelte, eröffnete nebenan im Keller die ‚Black Hole Bar’. Diese Namensgebung war mehr als gelungen. Wirklich ein schwarzes Loch, in jeglicher Hinsicht. Es handelt sich dabei um nichts anderes, als um eine noch zwergigere Ausführung des ‚Verzweifelten-Verlieses’. Sie hat auch die gesamte Hauptklientel geerbt. Man stellt sich das am besten wie eine schwarz gestrichene Tiefgarage vor, die etwa 12m x 12m misst. Etwas Platz zum Tanzen, ein paar Tische und eine Theke. Dazu alte schepperige Boxen, aus denen durchgehend extrem jammeriger südländischer Sound dröhnt. Voila! Entertainment für höchste Ansprüche.

 

Direkt links neben der Pizzeria erstrahlt noch die Spielothek ‚Lucky Stiff’ in leuchtenden Neonfarben. Auch so eine Brutstätte für Zombies. Man begegnet dort aber auch einigen zivilisierten und gebildeten Menschen, vorwiegend in Gestalt der Hallenaufsichten. Besonders cool und witzig: Carrie und Sina. In meinem Arbeitsalltag sind gelegentliche Kaffee- und Raucherpausen, die ich dort verbringe, schon echte Highlights. Menschen, mit denen man ein normales Gespräch führen kann! Yippie!

 

In den Stockwerken über der ‚Ladenzeile’ befinden sich Mietwohnungen. Na ja, eigentlich sind es eher Mietschuhkartons, die auch völlig fertig sind. So wie die meisten ihrer Bewohner, von denen übrigens kaum einer richtiges Deutsch spricht. Die meisten davon treiben sich natürlich andauernd in den erwähnten Lokalitäten herum. An warmen Sommerabenden kommt das besonders schön zur Geltung. Dann bevölkert die multikulturelle Gemeinde natürlich auch die Außenbereiche der Kneipen und vermischt sich mit dem Durchgangsverkehr. Das hat dann was von einer Mischung aus türkischem Basar und asiatischem Ballermann. Die Aura eines besonderen Ortes, eben. Sie wissen ja: exotische Frauen, fremdländische Gesichter, feurige Düfte, ungeahnte Farbenpracht. Der Klang tausender Sprachen, der die Luft mit mystischem Flair erfüllt...

 

 

DER BAHNHOF-CODE 

 

/// Verstehe du mir?

 

Bevor wir nun tiefer in diese Welt eintauchen, sollten wir uns noch ein wenig mit Vokabeln und Wortschatz beschäftigen. Keine Angst, Sie sollen das nicht alles auswendig lernen. Doch ein kurzer Überflug darüber eignet sich hervorragend, um einen guten Eindruck von den vorherrschenden Umgangsformen zu erlangen und um noch ein wenig mehr von der allgemeinen Atmosphäre in sich aufzusaugen. Besonders für die Leser, die mit einer solchen aufregenden Umgebung noch nie zu tun hatten.

 

Lektion 1: Einfache allgemeine Wendungen und Begriffe

 

(Hey) Arschloch

Allgemeingültige Anredeformel, die dem Adressaten signalisiert, seine ungeteilte Aufmerksamkeit dem Sprecher zuzuwenden, da die folgenden Ausführungen eine Problemstellung erörtern.

planieren

Es ist denen nicht beizubringen, dass es planen heißt, wenn man was ausheckt.

Baustellenfirma

Bauunternehmen scheint auch zu schwierig, um es sich merken zu können.

Hat schneiden?

Bist du beschnitten?

Küchenschabe

Allgemein übliche Bezeichnung für Küchenangestellte

Kakerlake

Ironische (kollektive) Selbstklassifizierung typischer Bahnhofsträßler.

Die kosten billiger

Konsumgüter im Erschwinglichkeitsbereich von Kakerlaken.

 

 

Lektion 2: Einfaches fremdsprachliches Grundvokabular

 

Sprache

Wortlaut

Deutsche Bedeutung

Anmerkungen

 

Türkisch

hayvan

Tier

 

Türkisch

haydi (çabuk)

Los jetzt, zack zack

 

Türkisch

amına koyayım

 

Ich fick deine Muschi

Wird normalerweise wie ‚fick dich’ verwendet oder als Unmutsäußerung im Sinn von ‚verfickte Scheiße’.

Türkisch

yarak

Schwanz

Wird auch oft als ‚du kannst mich’ verwendet.

Türkisch

manyak

Verrückter

 

Türkisch

bülbül

Nachtigall

Synonymisch für Muschi

Albanisch

kurac

Schwanz

Wird auch wie Idiot und Hurensohn verwendet.

Albanisch

jebote kurac

Verfluchter Schwanz

Wird meist wie ‚leck mich doch’ verwendet.

Albanisch

ta qi(fsha nonen)

Ich fick deine Mutter

Wird auch wie ‚Heiland Sack’ verwendet

Albanisch

kurwa

Nutte

Wird auch wie Vollidiot oder Arschloch verwendet.

Russisch

(suka) bljad

Hure, Schlampe

Wird als Universalwort verwendet, wie engl. ‚fuck’.

Russisch

sajebis bljad

Gewinn mal ganz zügig soviel Land wie du kannst

 

Russisch

zacroy rot

Halt die Fresse

 

Arabisch

shaytan

Teufel

 

Arabisch

yallāh

Mach schnell

 

Arabisch

allāh hallāh

Meine Güte/ mein Gott

Wird verwendet, um genervt sein auszudrücken.

Arabisch

halāl

Zulässig (religiös)

Faktisch: kein Schweinfleisch

Arabisch

harām

Unzulässig (religiös)

Faktisch: Das, was aus religiös-moralischer Sicht keiner darf, aber in der Bahnhofstraße trotzdem jeder tut.

Arabisch

tamām

Okay

 

Arabisch

kāfir

Ungläubiger

 

Arabisch

dshahannam

Hölle

 

Arabisch

dshanna

Paradies

 

Thai

mau mau

Völlig besoffen

 

Thai

na hi

Muschigesicht

Schlimme Beleidigung für Frauen.

Thai

pai reu

Mach hin jetzt

 

Thai

phom mai ru

Ich weiß nicht

Männlicher Sprecher

Thai

chan mai ru

Ich weiß nicht

Weibliche Sprecherin

Thai

bababobo

Balla Balla

 

Thai

hup pak ngo

Halt’s Maul du Depp

 

Thai

kho khuai

Schwanz eines Rindes

Schlimme Beleidigung für Männer.

 

 

Lektion 3: Spezifische anderssprachige Bahnhofstraßenwendungen und ihre Bedeutung

 

Sprache

Wortlaut

Wörtliche Bedeutung

Gemeinte Bedeutung

 

Arabisch

vallāh

a) Ich schwöre, echt wahr!

b) Im Ernst!

c) Im Ernst?

Ich schwöre, ich lüge!

 

Ich schwöre, ich lüge!

Ich könnte schwören, du lügst!

Arabisch

vallāh (i) billāh(i)

a) Ich schwöre bei Allāh, wirklich wahr!

b) Wirklich, im Ernst!

 

c) Wirklich, im Ernst?

Ich schwöre, du kannst dir sicher sein, ich lüge!

Ich schwöre, du kannst dir sicher sein, ich lüge!

Ich weiß, du lügst!

Arabisch

in schā'allāh

Wenn Allāh so will

Ich lehne jegliches selbstverantwortliche Denken und Handeln für mich ab.

Arabisch

allāh karīm

Allāh ist gnädig

Selbst wenn ich selbstverantwortlich Denken und Handeln wollen würde, ich bin einfach zu blöd dazu und verlass mich deswegen lieber gleich auf Gottes Wohlwollen.

Arabisch

allāhu akbar

Allāh ist groß

Jemandem, den ich nicht leiden kann, ist was ganz Schlimmes zugestoßen und das freut mich ungemein.

Kurdisch

alhamdulillāh sükût

Allāh sei Dank für die Ruhe

Chef ist nicht im Laden und hoffentlich bleibt das noch ein Weilchen so.

Thai

chan rak thö

Ich liebe dich

Ich versuche es hinzukriegen, dass du nicht mitkriegst, wer außer dir sonst noch so alles zwischen meinen Beinen verkehrt.

 

 

Lektion 4: Spezifische migrationshintergrunddeutsche Wendungen und ihre Bedeutung

 

Sprecher

Wendung

Bedeutung

 

Araber

Meine Freund, wie geht’s?

Ich brauch’ irgendwas von dir!

Araber

Lass mir mei’ Ruhe du Arschloch

Heute brauch’ ich glaube ich nichts mehr von dir!

Araber

So Schweinerei mach ma’ nicht

Auch wenn sonst keiner so ‘ne Scheiße bauen würde, ich schon, bin aber hinterher zu feige es zuzugeben.

Araber

Weiß du Kalashnikov?

Wenn ich jetzt ein Gewehr hätte, dann…

Araber

Bist du gleiche wie Hund!

Du bist genauso schlimm wie Chef!

Albaner

Ich auch bin nich dumm

Ich schaff’s immerhin allein aufs Töpfchen.

Thai

Ik bin nik dumm

Ich habe kein Wissen, keinen Charakter und nur wenig Intelligenz, bin dafür aber verschlagen und hinterhältig.

Thai

Wie kann wissen?

Ich weiß nicht (woher auch).

Thai

Ik auk weiße nik!

Ich verlass mich drauf, dass du auf meinen unschuldigen Mandelaugenaufschlag reinfällst!

Thai

Ik bin eigentlik ganz lieb

Ja, eigentlich...

Thai

Nik alle Thai sin gleik

Ich bin genau so ‘ne Thai, für die du mich auch hältst.

Allg.

Ich bin nicht so!

Ich bin ganz genau so!

Allg.

Jede Leute weiß

Sogar ich hab’s schon kapiert.

Allg.

Chef hat gesagt…

Sie können mit sofortiger Wirkung bedenkenlos die Aufmerksamkeit vom Sprecher abwenden.