image

Reinhard Pietsch
Manfred Weber-Lamberdière

EINE DEUTSCH-FRANZÖSISCHE AFFÄRE

image

image

INHALT

image

EINE WELTMARKE UND IHRE GEBURTSHELFER

VON DOM PÉRIGNON BIS ZUR FRANZÖSISCHEN REVOLUTION

Der angebliche Erfinder des Champagners und sein Regent

Der Aufstieg Frankreichs zur Luxusmarke

Wein in Frankreich im 17. Jahrhundert

Die Engländer als Geburtshelfer

England wird Mode in Frankreich – das Ancien Régime zeigt Risse

Das Ende des Ancien Régime – die Französische Revolution

Champagner im 18. Jahrhundert

DIE ERSTEN CHAMPAGNER-HÄUSER UND DIE ERSTEN DEUTSCHEN GRÜNDUNGEN

Ruinart – das älteste Champagnerhaus

Das Champagnerhaus Moët und Napoléon

Die Witwe – und ihre deutschen Helfer

Heidsieck und die ersten deutschen Gründungen

Roederer – der Lieblingschampagner des Zaren

Die Blütezeit nach dem Wiener Kongress

Mit Mumm zur Formel 1 und zurück

Bollinger – und wieder eine Witwe

Krug – betont exklusiv – ein Perfektionist bei der Arbeit

Deutz, Geldermann und die Witwen

Die unglaubliche Karriere von »Champagner Charlie«

Champagner im 19. Jahrhundert

Der Marketing-Coup des George Kessler

image

VON DEN WELTAUSSTELLUNGEN BIS ZUM »GROSSEN KRIEG«

Bedrohung klein und groß: Reblaus und Eisenbahn

Der »Große Krieg«

DIE WILDEN ZWANZIGER BIS ZUM ZWEITEN WELTKRIEG

Die Prohibition in Amerika

Das Dritte Reich und der Zweite Weltkrieg

EIN TOTER MÖNCH ALS RETTER

VON DER TRAUBE ZUM EDLEN SCHAUMWEIN

Mythen um Gesundheit und langes Leben

Das bewegte Leben eines Champagner-Bläschens – wissenschaftliche Erkenntnisse

Das richtige Glas, die richtige Trinktemperatur, die richtige Lagerung

Die Champagner-Polizei

Edel-Cuvées – Wer bietet mehr?

Champagner goes Hollywood

DIE WUNDERSAME SCHAMPUS-VERMEHRUNG

ANHANG

Bibliographie

image

image

EINE WELTMARKE UND IHRE GEBURTSHELFER

»Wie lieb und luftig perlt die Blase
Der Witwe Klicko in dem Glase.«

Wilhelm Busch (1832 – 1908) | Die fromme Helene

In der Champagne liegt das Geld unter der Erde: mehr als 20 Milliarden Euro in Form von gefüllten Champagner-Flaschen, in hunderten von Kilometer langen Kreidehöhlen. Um die unterirdischen Lager etwa der Marke Mercier abzulaufen, bräuchte man mindestens einen ganzen Tag. Bei Moët & Chandon haben die Lager eine Länge von 28 Kilometern. Die Lager sind randvoll, jedoch nicht, weil sich der Wein der Könige schlecht verkaufen würde. Ganz im Gegenteil! Doch dieser weltweite Erfolg ist so alt noch nicht. Noch 1974 brachte das Anbaugebiet nur rund 100 Millionen Flaschen auf den Markt – heute mehr als das Dreifache.

Es waren meist Frauen, die die beste Promotion für den »Pailletten-Wein« machten, wie Franzosen-König Ludwig XV. sein Lieblingsgetränk nannte. Seiner Mätresse, Madame Pompadour, wird die Aussage zugeschrieben: »Nur Champagner macht Damen immer schöner.« Marilyn Monroe räkelte sich mit nichts als Laken und Champagner bekleidet vor der Kamera. Und das Top-Model Claudia Schiffer ließ im Mai 2002 für ihre Hochzeitfeier 300 Flaschen 1995er Dom Pérignon entkorken (der allerdings etwas zu jung war).

Die großen Dichter der Nation huldigten dem Edel-Schaumwein. »Er ist der Wein aller Weine«, schrieb Charles Baudelaire in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Alexandre Dumas (»Der Graf von Monte Christo«) konnte nur schreiben, wenn eine gekühlte Flasche neben dem Schreibtisch stand. Ähnlich ging es Marcel Proust. Voltaire hatte bereits 150 Jahre zuvor im Champagner die »Inkarnation des französischen Esprits« gesehen. Doch wenn Champagner so sehr für das typisch Französische steht, wie konnte es dann sein, dass einige der größten Champagner-Häuser in Reims und Épernay ausgerechnet von Deutschen gegründet wurden? Viele der Namen der bis heute renommiertesten Firmen sind unverkennbar deutschen Ursprungs – von »Bollinger« über »Deutz« und »Heidsieck« und »Krug« bis »Mumm«. Doch kaum jemand hat sich (außerhalb der wissenschaftlichen Welt) für dieses gemeinsame deutsch-französische Erbe interessiert.

Gewiss, aus den Deutschen wurden ja auch gute Franzosen, viele von ihnen heirateten Französinnen und sie nahmen rasch die französische Staatsangehörigkeit an. Sie änderten ihre für Franzosenohren so sperrigen deutschen Vornamen wie Anton zu Antoine, Friedrich zu Frédéric, Ludwig zu Louis und ihre Kinder und Kindeskinder fühlten sich zuerst als Franzosen.

Dieses gemeinsame Erbe wurde überschattet von der deutschen-französischen Vergangenheit. Dazu gehören die beiden Weltkriege und der Deutsch-Französische Krieg von 1870. Dass die Champagne eine Art Scharnier zwischen Ost und West, zwischen Frankreich und Deutschland ist und war, spürten die Champenois schmerzlich vor allem im Ersten Weltkrieg, den die Franzosen bis heute als den »Großen Krieg« bezeichnen. Die Region war damals Schauplatz mehrerer großer und verlustreicher Schlachten.

Es geht in diesem Buch um diesen Landstrich, der weltweit zum Synonym für überschäumende Lebensfreude geworden ist und in dem viele deutsch-französische Geschichten geschrieben wurden. Voller Tragik, wie die der Soldaten, die auf beiden Seiten jahrelang im Schützengraben ausharrten und um ihr Überleben kämpften. Voller Wagemut, wie die der deutschen Champagner-Pioniere, die rund um den Erdball nach neuen Kunden jagten und immer wieder Gefahren trotzen mussten.

Natürlich sollte nicht vergessen werden, dass der König des Weins auch etwas Leichtes, etwas Beschwingtes und Sorgloses hat. Wie konnte der »Champ« seine Ausnahmestellung über die Jahrhunderte halten? Mit einer Konkurrenz – Sekt, Prosecco, Crémant, Cava –, die im Allgemeinen weniger als ein Drittel des günstigsten Edelschaumweins kostet?

Die Qualität ist sicherlich ein Faktor, doch möglicherweise nicht der entscheidende. Champagner ist heute eine Weltmarke, die vermutlich so bekannt ist wie Coca Cola. Zum Markenimage zählen Attribute wie »edel«, »hohe Qualität« und »teuer«, er ist das Getränk für die »ganz besonderen Anlässe«, die Hochzeiten, Geburtstage, Siegesfeiern und Silvesterabende. Der Markenkern ist die Exklusivität, die heute auch rechtlich abgesichert ist (wenn auch nicht in allen Teilen der Welt): Nur Schaumwein aus der genau umrissenen Region der Champagne darf sich Champagner nennen. Das Markenversprechen lautet: Wer Champagner trinkt, der dokumentiert, dass er sich das Besondere leisten kann. Champagner symbolisiert den Reichtum, sei es nun altes oder neues Geld. Auch wer nicht zu dieser Einkommensgruppe gehört, gönnt sich ab und zu den Wein der Könige, um zumindest gelegentlich einen Zipfel dieses Glanzes zu erhaschen. Es ist der Wein der festlichen Ausnahmesituation.

Wie konnte der Schaumwein dieser kleinen Region im Norden Frankreichs zu dieser Weltmarke aufsteigen? So unromantisch es klingen mag, Werbung und »public relations« haben hier wesentlichen Anteil. Die Öffentlichkeitsarbeit begann bei der Krönung des ersten französischen Königs: Die bei diesen Feiern anwesenden Vertreter anderer Königshäuser nahmen damals den Wein aus der Champagne – der damals noch ein stiller Wein war – mit zurück in die Heimat. Ebenso war es danach bei allen Feierlichkeiten des französischen Hofes. Die Werbung ging weiter mit den größtenteils deutschen Handlungsreisenden, die die internationalen Märkte erschlossen. Und endet vorerst bei modernem Sponsoring, wie bei den James-Bond-Filmen. Auch ein Mythos will beworben werden.

Es gibt heute viele kleine und große Produzenten, Richard Juhlin verweist in seinem »Champagner Guide« auf fast 2500 – auch er musste in seinem 460-Seiten-Buch eine Auswahl treffen. Wir konzentrieren uns auf die Marken, bei denen deutsche Auswanderer eine besondere Rolle spielten, sei es als Handelsvertreter, Kellermeister oder als Gründer. Das ist keine besondere Einschränkung, denn die damit verbundenen Marken gehören bis heute zu den renommiertesten ihrer Art.

In diesem Buch zeichnen wir die Erfolgsgeschichte der Marke »Champagner« nach, beleuchten die historischen Zufälle und die Rahmenbedingungen, die diesen Aufstieg über einen Zeitraum von 350 Jahren ermöglichten. Wir werden wichtige Akteure porträtieren und deren oft abenteuerliches Leben schildern. Wir Menschen lieben Geschichten und manche davon verselbständigen sich und werden zu Mythen. Wir werden die historische Forschung berücksichtigen, die nachweisen konnte, dass sich manche dieser Geschichten nur als werbewirksame Legenden herausstellten – was der Wirkung dieser Legenden bis heute oft wenig anhaben konnte.

Champagner repräsentiert Luxus – dieser Begriff musste jedoch erst noch geboren werden, dafür steht das Frankreich des 17. Jahrhunderts, das hier den Boden bereitete. Dass Frankreich bis heute mit Luxusmarken in Verbindung gebracht wird, dafür legte der »Sonnenkönig« die Grundlagen.

image

image

VON DOM PÉRIGNON BIS ZUR FRANZÖSISCHEN REVOLUTION

image

Es waren die Römer, die den Wein nach West- und Mitteleuropa gebracht haben. Die ersten Weinberge wurden in Frankreich wohl um 100 v.Chr. angelegt. Und mit dem Christentum waren Brot und Wein feste Bestandteile der Eucharistiefeier. Da wundert es kaum, dass die Reben in Frankreich und so auch in der Champagne lange komplett in der Hand von Klöstern waren. Um 496 n.Chr. wurde der Messwein aus der Champagne die Eintrittskarte der Region in die Geschichte. Zu Weihnachten ließ sich der heidnische Frankenkönig Chlodwig I. in der Kathedrale von Reims taufen – ein entscheidender Schritt für den weiteren Aufbau des Frankenreichs. Seit dem Mittelalter wurden in der Kathedrale von Reims nahezu alle französischen Könige und Kaiser gekrönt. Und große Feiern begleiteten diese Ereignisse, Feiern, bei denen der Wein nicht fehlen durfte.

Heutige Maßstäbe sind hier allerdings fehl am Platz. Wein war ein verderbliches Gut und mangels Infrastruktur waren kurze Wege vom Erzeuger zum Verbraucher unabdingbar. Der Wein, der getrunken wurde, war der Wein aus der jeweiligen Region – sehr zum Vorteil für den Champagner-Wein aus der Umgebung von Reims. Dort wurde schon seit vielen Jahrhunderten Weinbau betrieben und der Wein aus der Region genoss einen exzellenten Ruf. Dazu kamen die guten Transportmöglichkeiten über die Marne nach Paris.

DER ANGEBLICHE ERFINDER DES CHAMPAGNER UND SEIN REGENT

Im 17. Jahrhundert sollten zwei Persönlichkeiten, die einander nie begegnet sind, für den Champagner eine wichtige Rolle spielen. Auf je ihre Art bereiteten sie das Feld, auf dem sich später der spritzige Schaumwein, wie wir ihn heute kennen, durchsetzen würde. Der eine war ein Mönch, der andere ein König, der Mönch nur wenige Monate jünger als der König. Beide starben im selben Jahr. Doch gleich vorab: Der Champagner-Wein hatte mit dem Champagner, wie wir ihn heute verstehen, nichts zu tun: Es war ein stiller, leichter Rotwein, so mochten es die Kunden, der König und der Mönch. Das hat aber die spätere Legendenbildung um das schäumende Edelgetränk nicht verhindert.

Dom Pérignon kam im Januar 1639 in Sainte-Menehould zur Welt, vermutlich kurz vor dem 5. Januar 1639, dem Tag, an dem er getauft wurde. Andere Quellen geben 1638 an, wohl um seine Geburt noch näher an die des im September 1638 geborenen Sonnenkönigs zu rücken. Auch die Statue, die heute zu seinen Ehren in Épernay im Hof des Champagnerhauses Moët & Chandon zu sehen ist, vermerkt 1638. In den Zeiten hoher Kindersterblichkeit waren bei den Katholiken Taufe und Geburt sehr kurz hintereinander, deshalb ist 1639 wahrscheinlicher. Dom Pérignon war eines von sieben Kindern, die Familie war wohlhabend und besaß Weinberge. So kam er wohl früh mit den Gepflogenheiten des Weinbaus in Berührung.

Nach dem Jesuitenkolleg trat er 1656 dem Benediktinerorden in Verdun bei und legte 1658 das Mönchsgelübde ab. Der Ordensalltag bestand aus »ora et labora«, aus Arbeiten, Beten und Studieren und so erwarb er neben praktischen Erfahrungen in der Landwirtschaft auch umfassende Kenntnisse in Philosophie und Theologie. 1666 oder 1667 – genauer weiß man es nicht – wurde er zum Priester geweiht und trat 1668 der Benediktiner-Abtei Saint-Pierre d’Hautvillers bei, in der er bis zu seinem Tod wirkte. Die Abtei war damals eher unbedeutend.

Die Klöster verfügten über umfangreiche Ländereien, die landwirtschaftlich genutzt wurden und deren Produkte für den Verkauf bestimmt waren. Dom Pérignon hatte in der Abtei die wichtige Aufgabe eines »procureurs«, eines Generalbevollmächtigten. Damit unterstand ihm auch die Aufsicht über die Weinberge und die Keltereien. Und hier setzt nun die Legende ein, die in ihm den Vater des Champagner, des edlen Schaumweins, sehen möchte und als der er bis heute gerne gefeiert wird.

Ausgangspunkt sei eine Pilgerreise nach Spanien gewesen, während der er die Schaumweine von Limoux kennengelernt habe – der Ort im Süden Frankreichs liegt nahe an der Grenze zu Spanien. Diese schäumenden Limoux-Weine wurden bereits 1544 erstmals erwähnt. Sie wurden und werden bis heute nach der »méthode rurale« erzeugt. Dabei wird der noch nicht durchgegorene Traubensaft oder Most sehr früh in luftdichte Behälter abgefüllt – ob es schon Glasflaschen waren, lässt sich nicht feststellen –, um darin weiter zu gären. Dabei entsteht die Kohlensäure, die das Schäumen bewirkt. Dom Perignon habe dieses Wissen dann in Hautvillers genutzt.

Die meisten neueren Forscher sind sich einig, dass Dom Pérignon den Champagner, wie wir ihn heute kennen, nicht erfunden hat – diese Legendenbildung geht auf das 19. Jahrhundert zurück. Zudem durften Messweine sicherlich nicht moussieren und die zusätzliche, anscheinend zufällig produzierte Kohlensäure, nachdem man Wein in Flaschen abgefüllt hatte, wurde eher als ein Mangel angesehen. Die Fässer, in denen der Wein gelagert und üblicherweise gehandelt wurde, waren nie so dicht, dass sich die Kohlensäure hätte stauen können; die Abfüllung in Flaschen war teuer und zu Anfang eher die Ausnahme.

Doch welche Rolle spielte Dom Pérignon wirklich auf dem Weg zu dem, was wir heute unter Champagner verstehen? Er beeinflusste und verbesserte sicherlich den Weinbau. Er erkannte die Bedeutung des Rebschnitts und damit den Zusammenhang zwischen der reduzierteren Ertragsmenge und der besseren Qualität der Trauben. Er soll die Trauben sorgfältig ausgewählt und selbst verkostet haben, ehe er sie für die Kelter zuließ. Und er mischte den Traubenmost verschiedener Lagen und Jahrgänge miteinander, um ein optimales Cuvée zu erreichen. Er galt als ein Künstler in der Komposition feiner Weine, der »assemblage«, und erhöhte so die Qualität entscheidend.

Die Trauben zu bekommen war für das Kloster allerdings kein Problem. Die Regelung des Zehnten, wonach die Bauern diesen Anteil an ihrer Ernte dem Kloster abzuliefern hatten, sorgte für reichlich kostenlosen Nachschub. Die Klöster waren außerdem von der Steuer befreit. »Niemals war ein Mensch geschickter in der Herstellung von Wein. Er war es, dem der Wein jener Abtei solch großen Ruf verdankt«, vermerkte Jean Gobineau, ein Geistlicher aus Reims, 1722 in seinem Werk über den Weinbau in der Champagne. Mit »jener Abtei« ist natürlich Hautvillers gemeint.

Vielleicht war es ein Zufall, dass Dom Pérignon die Flaschengärung und seine Folgen entdeckt hat, doch der Schaum war unwillkommen und der Mönch hat zeitlebens dagegen gekämpft. Schaum hielt er für einen Fehler in der Weinherstellung. Er hat sicherlich nie ein Glas Champagner, gut gekühlt (wie sollte damals Kühlung möglich gewesen sein?), erhoben und seinen Ordensbrüdern zugerufen: »Kommt meine Brüder, ich trinke Sterne« (»Venez mes frères, je bois des étoiles«). Der Ausspruch des Entzückens, der Dom Pérignon zugeschrieben wird, ist eine Erfindung des Champagner-Marketings (wie die Werbung damals gewiss noch nicht hieß) gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

Dom Pérignon starb am 24. September 1715, wenige Wochen nach seinem König Ludwig XIV., der am 2. September desselben Jahres zu Grabe getragen wurde. Und über diesen König und dessen tonangebende Rolle für ganz Europa muss nun etwas genauer berichtet werden.

DER AUFSTIEG FRANKREICHS ZUR LUXUSMARKE

Ludwig XIV. wird gerne neben dem Benediktiner genannt, weil sie beide nahezu zeitgleich gelebt hatten. Doch der »Sonnenkönig« gehört nicht nur aus dieser eher zufälligen Parallelität in die Vorgeschichte des Champagners. Dem absolutistischen Herrscher gelang es, Frankreich und die französische Lebensart zu einer Marke zu machen, die bis heute für Luxus und Raffinesse steht – die Grundlage, auf der nach ihm der schäumende Champagner gedeihen sollte.

Ludwig XIV. kam am 5. September 1638 zur Welt. Bereits 1643 mit dem Tod seines Vaters Ludwig XIII. wurde er als Vierjähriger König von Frankreich. Die Regierungsgeschäfte lagen allerdings in den Händen seiner Mutter Anna von Österreich und des Kardinals Jules Mazarin (1602 – 1661), den sie zum Premierminister ernannt hatte. 1648 wurde mit der Unterzeichnung des Friedensvertrags von Münster und Osnabrück der Dreißigjährige Krieg beendet, der wie kein Krieg zuvor ganze Landstriche in Mitteleuropa entvölkert hatte und auf dem Gebiet des deutschen Reichs einen Flickenteppich von über 300 Kleinstaaten hinterließ. Aus diesem Konflikt ging Frankreich als Sieger hervor.

1651 wurde Ludwig – gerade mal 13 Jahre alt – für volljährig erklärt und drei Jahre später, am 7. Juni 1654, erfolgte die eigentliche Krönung und Salbung in der Kathedrale von Reims. Serviert wurde bei den Feierlichkeiten Wein aus der Champagne. Mazarin begleitete die Staatsgeschäfte des Königs, sodass dieser bestens vorbereitet war, als er sie mit dem Tod des Kardinals im Jahr 1661 als 22-Jähriger ganz übernahm.

Zu Beginn der Regierungszeit des Sonnenkönigs Ludwig XIV. verband das Ausland Frankreich nicht gerade mit feinerer Lebensart. Der kometenhafte Aufstieg zur Luxus-Supermacht war eine Staatsaffäre, gelenkt aus dem Palast in Versailles. Ganz Europa wusste unter dem Sonnenkönig in Windeseile, was man in Paris trug und was man in ganz Europa zu tragen hatte. Er setzte Maßstäbe in Architektur, Gartengestaltung, Kleidung und Geschmack, denen die Fürstenhäuser ganz Europas nacheiferten. Ludwig hielt sich nie zurück, er kostete seine Macht aus und wollte ganz Europa beeindrucken. Er legte den Grundstein dafür, dass »der Adel des Reiches, die europäischen Höfe und die französische Bevölkerung« bis 1789 davon überzeugt waren, dass sich der »Schlüssel zur Macht in Versailles befand.«

Besonders nachhaltigen Eindruck machten seine rauschenden Feste – das erste 1664. Auch die fanden ihre Nachahmer in ganz Europa. Und Essen und Trinken wurde unter dem Sonnenkönig zum Zeichen der Macht, zum täglichen Kult. Der Hofstaat wartete oft stundenlang, bis der Türsteher an den Gardensaal klopfte und ausrief: »Mesdames et messieurs, à la viande du Roi«, womit zu Tisch gebeten wurde. »La viande« – Fleisch spielte dabei eine große Rolle, doch der Ausdruck stand stellvertretend für alle Speisen. Die Speisen wurden dann nicht einzeln von Dienern aufgetragen, dieser sogenannte »russische Service« kam erst Mitte des 19. Jahrhunderts auf. Die französische Art der Präsentation erinnert an die abgezirkelten Gärten der Zeit: die Speisen wurden je Gang alle gleichzeitig auf dem Tisch präsentiert, dekorativ und symmetrisch angeordnet. Der Tisch durfte nie vollständig leer sein, sobald ein Gang abgeschlossen war, musste der nächste aufgetragen werden. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Speisen bereits kalt waren, wenn man sie zu sich nahm. Immer mal wieder mussten Soßen dafür sorgen, dass man nicht bemerkte, wenn etwas nicht mehr ganz frisch war.

Bei Hofe musste besonders bei einem »grand couvert«, einem Großen Gedeck, eine phantastische Völlerei geherrscht haben. Ludwig XIV. selbst konnte bei diesen öffentlichen Essgelagen offenbar Unmengen scheinbar mühelos verzehren. Solche Mahlzeiten konnten bis zu 40 Gänge umfassen. Doch dieser Reichtum hatte seine Schattenseiten. Aus heutiger Sicht waren es nämlich katastrophale hygienische Verhältnisse.

Toiletten in unserem heutigen Sinne mit Wasserspülung und Kanalisation gab es nicht. Der König und sein engster Kreis nutzten sogenannte »Leibstühle«, das waren thronartige Sitze mit eingebautem Nachttopf. Im Schloss gab es 274 solcher Stühle. Die Räume, in denen sie untergebracht waren, nannte man »cabinets des affaires«, von daher vermutlich die Eindeutschung »(s)ein Geschäft erledigen«. Auch dieses »Geschäft« konnte öffentlich sein. Während der König oder die Königin auf ihrem »Thron« dem Ruf der Natur folgten, waren Mitglieder des Hofstaats anwesend, mit denen man plauderte oder auch ganz andere »Geschäfte« erledigte. Im Übrigen: Die erfinderischen Engländer kannten in der Mitte des 17. Jahrhunderts schon so etwas wie eine Wasserspülung, die in Frankreich noch sehr selten war. Man nannte sie »cabinets à l’anglaise« – wir werden in diesem Buch erfahren, dass die Engländer nicht nur in Sachen Hygiene, sondern auch beim Champagner eine wesentliche Rolle spielen werden.

Die zahllosen Gäste der oft mehrtägigen Festgelage konnten diese Stühle nicht nutzen. Ihnen blieb nichts anderes übrig, als ihre Notdurft in den Ecken zu verrichten, die Exkremente wurden dann von Dienern beseitigt – es musste daher unglaublich gestunken haben. Läuse und Flöhe waren ständige Begleiter, die auch vor dem Hochadel keinen Respekt hatten.

Die Menschen wuschen sich damals nicht mit Wasser, benetzten damit allerhöchstens die Hände und das Gesicht. Und das Trinkwasser war knapp und oft kontaminiert, um es genießbar zu machen, musste es immer abgekocht werden. Wasser möglichst zu vermeiden war deshalb durchaus berechtigt, beruhte es doch auf der Beobachtung, dass es tatsächlich Krankheiten verbreitete. Zu den Mahlzeiten, auch tagsüber, trank man lieber Wein und war auf der sicheren Seite. Alkohol tötet Keime.

Gleichwohl wurde viel Wasser verbraucht, allerdings für die Springbrunnen und Wasserspiele, nicht für die eigene Hygiene. Es gab zwar Bäder, die aber eher für Liebesspiele als für die Reinigung gedacht waren. Ärzte im 17. Jahrhundert bewerteten Baden ohnehin als »überflüssig und äußerst schädlich«, weil es den Körper »erschöpfe und aufschwemme«.

EIN NACHGESTELLTES FESTMAHL IM STILE LUDWIGS XIV.

2010 wurde ein üppiges Festessen im Stil Ludwigs XIV. veranstaltet. Den Anlass bot eine Ausstellung in Versailles über den Sonnenkönig. Dabei konnten sich 40 handverlesene Gäste davon

Zum Festmahl gereicht wurde »Dom Pérignon«, der Premiumchampagner aus dem Hause Moët & Chandon, dessen Chef Richard Geoffrey Mitorganisator des Events war. Es war ein gelungener Event, auch wenn mit der Geschichte ein wenig großzügig umgegangen wurde. Ob damals überhaupt schon Schaumwein getrunken wurde – geschweige denn, in solchen Mengen –, wissen wir nicht. Und auch was Dom Pérignon, den Mönch, angeht – trotz besserer Einsicht der Historiker hält sich die Legende vom »Vater des Champagners« bis heute hartnäckig.