Cover

Westend Verlag

Ebook Edition

Katrin Wilkens

Mutter schafft!

Es ist nicht das Kind, das nervt, es ist der Job, der fehlt

Westend Verlag

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www.westendverlag.de

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig.

Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

ISBN 978-3-86489-737-5

© Westend Verlag GmbH, Frankfurt/Main 2018

Umschlaggestaltung: Jasmin Zitter, ZitterCraft, Mannheim

Satz und Datenkonvertierung: Publikations Atelier, Dreieich

Inhalt

Titel
Warum mache ich das bloß?
Das böse F-Wort
Von der Befreiung der Frau
Synthese aus Job, Familie und Identität
Fünf Frauen auf der Suche
Jutta von Bode: Alles hat seine Zeit
Annika Prenzelberg: Vielleicht ein Müttercafé?
Lisa Müller: Wo ist mein Platz?
Susanne: Es muss im Leben mehr als alles geben
Sheryl: Man wird zu einer Frau gemacht
Milieus, Lebensstile, Frauentypen
Job-Profiling für ein besseres Leben
Kira Singer: Jede hat das Recht auf ihren Traum
Nic Lange: Etwas, wofür ich brenne
Doro: Einfach nur raus!
Warum manche Moden modern, aber nicht hilfreich sind
Den eigenen Traum leben
Die perfekte Instagram-Welt
Coaching für alle
Hygge und Jomo machen glücklich
Entreligiosität oder: Adieu Fatalismus
Ein Ehrenamt kann vieles auffangen
Kann man wirklich alles erreichen, was man sich vornimmt?
Rentenvorsorge ist nicht Kukident – sondern notwendig!
Brave new Arbeitsworld!
Mütter, wehrt euch!
Literatur und Filme
Bücher
Filme
Danksagung
Anmerkungen

Anmerkungen

Warum mache ich das bloß?

1 Im Rhetorikstudium haben wir diese Argumentation Rabulistik genannt. Schon in der Antike haben Philosophen die falsche Schlussfolgerung eindrucksvoll mit einem Beispiel beschrieben: »Eine Katze hat immer einen Schwanz mehr als keine Katze. Keine Katze hat zwei Schwänze. Deshalb hat eine Katze immer drei Schwänze.«

2 Ich zitiere hier aus den Forschungsergebnissen, die Sheryl Sandberg in ihrem Buch Lean In zusammengetragen hat.

3 Siehe Sheryl Sandberg, Lean In, S. 190 ff.

4 Siehe »Was ist bloß mit den Vätern los?«, Zeit, 26/2018, S. 60.

Das böse F-Wort

1 Wörtlich: eigentümlich scharfer Geruch, den das Fleisch vom Wild nach dem Abhängen annimmt.

2 Siehe »7 Klischees über Feministinnen«, Emma, 1.11.2001, https://www.emma.de/artikel/sieben-klischees-ueber-feministinnen-was-sie-immer-schon-mal-wissen-wollten-265176.

3 Es gibt Wissenschaftlerinnen wie Barbara Vinken, die sprechen Frauen in dieser Epoche übermäßigen Emanzipationsgeist eher ab: »Die Frauenbewegung zu Anfang des 20. Jahrhunderts zeichnete sich in Deutschland nicht wie in anderen europäischen Ländern hauptsächlich durch den Kampf um gleiche Bürgerrechte aus«, schrieb sie in dem Buch Die deutsche Mutter. Die Beziehung zwischen Mutter und Kind rücke zur »wahren Beziehung des Herzens, zur innigsten Liebes­beziehung« auf.

4 Nein, das schreibt man vornehmer: Sie war die Ehefrau des Komponisten Gustav Mahler, des Architekten Walter Gropius und des Dichters Franz Werfel sowie die Geliebte des Malers Oskar Kokoschka.

5 Wolf Lotter, »Wie gerecht ist eigentlich Gleichheit?«, Brand eins 11/2017.

6 Betty Friedan: Der Weiblichkeitswahn oder die Selbstbefreiung der Frau. Dieses Buch ist ein Klassiker, ein lesbarer dazu.

7 1974 trat das Gesetz zur Fristenlösung, 1976 das Gesetz zur Indikationsregelung beim Schwangerschaftsabbruch, 1979 das Gesetz zur Einführung des Mutterschutzes und 1986 das Gesetz zum Bundeserziehungsgeld in Kraft.

8 Hannah Ahrendt: Vita activa.

9 Siehe zum Beispiel http://www.spiegel.de/auto/aktuell/gm-elektroauto-entwickler-das-ist-keine-evolution-sondern-eine-revolution-a-557457.html.

10 Laurie Penny: Unsagbare Dinge.

11 »In der #MeToo-Debatte herrscht Vergeltungslogik«, Spiegel 27/2018.

12 Wohl aber gibt es Frauen, die langweilig sind. Es gibt ganz und gar faszinierende Formen von Langeweile: Konformität, Feigheit, Introvertiertheit. Man muss die Langeweile entbeinen, erst dann dringt man zum Kern vor. Und das kann eine ganz und gar aufregende Sache sein.

Fünf Frauen auf der Suche

1 Unter anderem Ann Bettencourt, »Evaluations of Ingroup and Outgroup Members: The Role of Category-Based Expectancy Violation«, Journal of Experimental Social Psychology 3/1997, S. 244–275.

2 Melissa Clearfield und Nelson Naree haben unter anderem herausgefunden, dass Eltern mit ihren Töchtern dialogischer, unterstützender und komplexer reden als mit den Söhnen. Die Folge: Männliche Krabbelkinder dürfen früher auf eigene Faust ihren Radius erweitern, Töchtern drückt man früher ein Spielzeug zur Ablenkung ihres Eroberungsdrangs in die Hand.

3 Bert Hellinger ist ein nicht unumstrittener Familienaufsteller, der in den achtziger Jahren durch seine großen Bühnenauftritte eine gewisse Bekanntheit in esoterisch-psychologischen Kreisen gewann. Umstritten ist er wegen seiner radikalen Ansichten. So fordert er Klientinnen schon mal auf, sich bei ihrem Vergewaltiger zu bedanken oder der misshandelnden Stiefmutter die »Ehre zu erweisen«. Was er aber zweifellos geschärft hat, ist das Bewusstsein für Familiengeschichten, die älter und verwobener als wir selbst sind. Auch diese Erkenntnis kann entlastend sein. Dass bei Familienaufstellungen sektenartig im Kollektiv geheult wird, muss man aushalten lernen. Ich kann das nicht.

4 Thorstein Veblen: Theorie der feinen Leute, S. 62.

5 Das haben allerdings meine Oma und meine Mutter auch noch getan. Das Brot wurde vom Körper weg geschnitten, was meinen Vater stets einigermaßen nervös machte.

6 Illich, Ivan: Genus. Zu einer historischen Kritik der Gleichheit.

7 Lassen Sie sich diese Frage einmal 20 Minuten hintereinander von einer Freundin stellen, und protokollieren Sie die Antworten mit. 20 Minuten, immer dieselbe Frage: Was ist für Sie Arbeit, was ist für Sie Arbeit? Diese Übung macht aggressiv, ungeduldig, sie provoziert. Aber sie bringt auch mitunter Überraschendes zutage: Antwortet man nur in Worthülsen? Nur mit negativen Begriffen? Nur mit romantischen Vorstellungen? Wir machen diese Übung oft – und noch nie hatte diese Übung keine Bedeutung für das, was wir hinterher gefunden haben.

8 Und sie empfiehlt auch gleich einen guten Text dazu: https://de.euronews.com/2018/02/23/islands-rezept-fuer-mehr-gleichberechtigung.

9 Dieser schöne Begriff stammt leider nicht von mir, sondern von Peter Sloterdijk. Ich habe mich aber jetzt schon drei Jahre darauf gefreut, diesen Ausdruck irgendwo unterzubringen – hierhin passt er perfekt.

10 »Im Gesetz steht von Liebe kein Wort«, Süddeutsche Zeitung Magazin 6/2016.

11 Im Jahr 2015 gab es in deutschen Haushalten 2,8 Millionen nichteheliche Lebensgemeinschaften, siehe https://www.welt.de/newsticker/news1/article165487615/Immer-mehr-unverheiratete-Paare-in-Deutschland.html.

12 Spiegel, 41a/2018.

13 Name geändert

14 DINK steht für »Double Income, no Kids«.

15 Ich zitiere Schumacher aus dem Buch von Roman Krznaric: Wie man die richtige Arbeit für sich findet.

16 Nur der Vollständigkeit halber: Die beiden letzten Milieus sind bei Schulze das sogenannte Integrationsmilieu, das sind ältere, mittelgebildete Anpassungsprofis, sowie das Harmoniemilieu: also Tony-Marshall-Liebhaber, die kranichbestickte Halbgardinen in der Küche hängen haben.

17 Es gibt sogar Stimmen, die behaupten, in dreißig Jahren würde die Themenauswahl einer Zeitschrift ein Algorithmus treffen, weil er zielgruppengenauer die Bedürfnisse der Leserschaft kennt.

18 Volker Kitz: Feierabend!: Warum man für seinen Job nicht brennen muss.

19 Die Zahlen schwanken stark. Wikipedia nennt 300 000 als verbindliche Zahl, das Deutschlandradio will 50 000 ermittelt haben.

20 Siehe https://de.statista.com/statistik/daten/studie/411055/umfrage/anzahl-der-aktiven-verkaeufer-von-etsy.

21 Fritz Riemann, Grundformen der Angst, S. 239 f.

22 Siehe »Auslaufmodell Superfrau«, Zeit, 27.7.2018

23 »Eigentlich müsste ich von Dominanz und Unterwerfung sprechen, doch dann würde Widerstand aufkommen«, schreibt er in seinem Buch Improvisation.

24 Barbara Vinken: Die deutsche Mutter, S. 30.

25 Mein Mann würde an dieser Stelle grinsen und sagen: »Gesundheit ist ein Mangel an Diagnostik.«

26 Das ist so, als würde man über Helikoptermütter lästern, und übersieht dabei, dass jede von uns selber eine ist, nur immer auf unterschiedlichen Gebieten. Und was, bitte, ist das Gegenteil: Vernachlässigung!

27 Das hat Jürgen Fliege seinerzeit eingeführt. »Passen Sie gut auf sich auf«, das ist medial oft kopiert und variiert worden. Nina Ruge sagte beispielsweise immer: »Alles wird gut.« Heute gehören solche Abschiedsformeln zum Stundenabschluss wie die Klangschale und der Stuhlkreis.

28 Siehe https://www.zukunftsinstitut.de/artikel/achtsamkeit.

29 Sibylle Berg: »Das Zeitalter des Bullshits«, Spiegel online, 30.8.2014.

30 Laurie Penny: Unsagbare Dinge, S. 57.

31 Miriam Meckel: Briefe an mein Leben.

32 Janice Jakait: Freut euch nicht zu spät.

33 Siehe www.mama-arbeitet.de.

34 Siehe: »Umgang mit Depressionen. Arbeit kann helfen«, Hilfe! 3, 2014, https://www.brandeins.de/corporate-publishing/hilfe/hilfe-ein-leben-lang/arbeit-kann-helfen.

35 Siehe https://www.zeit.de/2017/39/alexandra-von-rehlingen-geld.

36 Weitere Inspirationen gibt es unter www.50things.org.uk oder www.hausbartleby.org.

37 MINT steht für »Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik«.

38 (Solo)-Selbstständigkeit als gleichstellungspolitische Herausforderung. Expertise für den Zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, S. 8.

39 Sheryl Sandberg: Lean In.

40 Die Philosophin Rebekka Reinhard schreibt auf ihrer Webseite dazu: »Die non-verbale Botschaft ihres sexy Outfits und ihrer Mörder-Stilettos ist auf verwirrende Weise ambivalent. Sie lautet einerseits: ›Hey Mädels, ihr alle könnt sein wie ich – eine stylishe Top-Managerin mit warmen Mutterinstinkten!‹ und andererseits: ›Hey Girls, ich bin ganz klar besser, schneller, heißer als ihr – also legt gefälligst noch einen Zahn zu!‹«

41 Wer wissen möchte, ob sie auch als Super-Prognostikerin geeignet ist, kann sich hier registrieren lassen und testen: www.gjopen.com.

42 »Super-Prognostiker«, www.zukunftsinstitut.de/artikel/gibt-es-menschen-die-zukunft-besser-voraussagen-koennen.

Job-Profiling für ein besseres Leben

1 Immanuel Kant: Schriften zur Anthropologie, Geschichtsphilosophie, Politik und Pädagogik, 1964. Hier zitiert aus Thomas Vasek: Work-Life-Bullshit, 2013.

2 Siehe https://www.schulz-von-thun.de/die-modelle/das-kommunikationsquadrat.

3 Für alle Nicht-Fußball-Fans: Diesen legendären Satz ließ der damalige Trainer des 1. FC Bayern, Trapattoni auf einer ebenfalls legendären Pressekonferenz fallen, neben Bonmots wie »Flasche leer« und »Ich habe fertig«.

4 Alle gedoppelten Antworten fehlen.

5 Ja, und ich weiß, das hier ist das x-te Buch zu dieser Frage – und hoffentlich eines, das weniger Druck macht.

6 https://www.youtube.com/watch?v=mCfVGIfMq4k.

7 Siehe https://www.ichkoche.at/radieschen-maeuse-rezept-224588.

8 Siehe https://www.zeit.de/2017/05/lebensberatung-ausbildung-unternehmensberatung-personalberatung-coach.

9 Gehen wir davon aus, dass eine solide Coaching-Ausbildung 10 000 Euro kostet und eine Teilzeit arbeitende Mutter ein Monatseinkommen von 1 500 Euro brutto hat. Das sind im Jahr 18 000 – laut der Auskunft gehen davon 1 800 Euro auf Coaching-Kompetenzen zurück. Also braucht sie fünf Jahre, um die Ausbildung abzuzahlen.

10 Täter-Opfer-Ausgleich (TOA): eine Art Mediationsverfahren, in denen die Opfer lernen sollen, dass Täter nicht eine diffuse Bedrohung sind, sondern singuläre Personen, und Täter lernen sollen, welche Konsequenz ihre Straftat noch lange nach der Straftat hat.

11 https://www.zeit.de/2018/52/lebenssinn-erklaerung-kinder-erwachsenwerden.

12 Siehe: https://www.zeit.de/2019/01/sinn-leben-suche-sinnkrise-depression-psychologie-zufriedenheit.

13 Hier eine kleine Auswahl, ohne Sinn und Verstand: https://www.heimwegtelefon.de, http://www.arbeiterkind.de, https://www.wheelmap.org, https://www.tatendrang.de, https://www.gefangene-helfen-jugendlichen.de/lust-auf-ehrenamtliches-engagement, www.ehrenamt-deutschland.org, http://www.ehrenamtssuche.de.

14 Siehe https://www.brigitte.de/aktuell/job/heidi-klum--diesen-job-wuerden-wir-ihr-als-naechstes-empfehlen--10938870.html.

15 Siehe http://www.ioeb.de/sites/default/files/img/Aktuelles/120814_Arbeitspapier_Finanzielle_Allgemeinbildung_Downloadversion.pdf.

16 Frederic Laloux: Reinventing Organizations.

17 Siehe https://blog.tagesanzeiger.ch/berufung/index.php/34999/34999.

18 Siehe https://zrm.ch.

Mütter, wehrt euch!

1 Siehe https://sz-magazin.sueddeutsche.de/charlotte-roche-jetzt-koennte-es-kurz-wehtun/lasst-euch-nicht-zu-hausfrauen-machen-85833.

2 Das entspricht Pi mal Daumen dem deutschen Durchschnittseinkommen plus 200 Euro. Aber Achtung: Es entspricht nicht dem Median-Einkommen, das heißt dem gemittelten Einkommen.

3 185 000 Euro + 156 000 Euro + 180 000 Euro = 521 000 Euro.

4 Bei Frauen waren es dreißig.

5 Siehe https://www.sueddeutsche.de/politik/finanzministerium-experten-fuer-abschaffung-des-ehegattensplittings-1.4148754.

6 Männer sterben statistisch gesehen acht Jahre früher als Frauen.

letzter Zugriff auf Internetquellen am 24. Januar 2019

Warum mache ich das bloß?

Es ist diese Scheißsache mit dem Genügen.

Genau 24 Stunden, bevor ich dieses Buch zu schreiben beginne, sitze ich mit netten Nachbarn beim Grillabend. Sieben Erwachsene, acht Kinder, zwei Hunde. Rama-Idyll. Mir geht der Arsch auf Grundeis. Morgen werde ich für vier Wochen meine Familie verlassen, um mich einzuigeln. Ich weiß nicht, ob ich es schaffe, ich weiß nicht, ob irgendjemanden interessiert, was ich schreibe, ich weiß nicht, ob in der Zwischenzeit meine Tochter vor Mutterheimweh wimmert.

»Was würde euch an einem Buch über beruflichen Wiedereinstieg bei Frauen gar nicht interessieren?«, frage ich, in der falschen Hoffnung, schnell noch die kapitalsten Autorenfehler zu erfragen, zu vermeiden. Zu genügen. Die Frauen der Runde antworten prompt.

Line, Elternsprecherin, freiberuflich, vegetarisch, Typ Netzwerkerin, die man nachts um drei anrufen könnte, um die eigenen Kinder vorbeizubringen, sagt: »Wenn ich lesen würde, dass ich zu wenig arbeite.«

Katharina, sozial, politisch, tolerant und unaufdringlich edel: »Wenn ich mich in den Beispielen nicht wiederfinden würde.«

Die Männer trinken Bier und schnappen sich den politisch korrekten Grillkäse. »Reichst du mir mal den Salat, bitte?«

»Hey, sagt mal, was euch an dem Buch überhaupt nicht interessieren würde?!« Ausrufe-Rhetorik. Die, die man als Mutter tausendmal am Tag einsetzt: »Räum bitte den Tisch mit ab! Einer muss noch mit dem Hund raus! Geh verdammt noch mal ohne Socken ins Bett!« Wenn man diesen Tonfall einmal hat, switcht man bisweilen zu schnell – Riesenfehler am Freitagabend: Die Männer wollen chillen, nicht denken.

»Weißt du, Katrin, was mich an deinem Buch interessiert?«, setzt schließlich Seth, Typ Prenzlauer-Berg-Kreativer, von Beruf Neurosenbändiger und Budgetverwalter. Seth ist ein Amalgam aus Kreativität und Pragmatismus. Wenn einer was zur Machbarkeit von Ideen sagen kann, dann er. Er nimmt noch ein Stück Grillkäse. »Nichts. Mich interessiert an dem Buch nichts.«

Mirko ergänzt: »Mich würde abturnen, wenn du vom Feminismus redest und das Ganze zu streng aufschreibst. Mach es mehr locker, verstehste?«

Und so sieht die Bestandsaufnahme aus: Wenn man über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf schreibt, dann muss man ein veganes Schwein grillen: Man darf auf keinen Fall feministisch schreiben, das wirkt dann so baschamikaesk, aliceschwarzerhaft, lauriepennymäßig. Es soll witzig sein, obwohl eigentlich in der Tatsache, dass Frauen immer noch nur halb so viel Rente bekommen wie Männer, nicht viel Witz steckt, jedenfalls nicht für uns Frauen. Es soll fundiert sein, mit viel wissenschaftlichem Bezug, sonst sind es nur Behauptungen, aber es darf nicht zu fußnotenlastig sein, sonst ist es Hirnfick. Es muss Zahlen bringen, sonst kann man darüber nicht diskutieren, es darf aber nicht zahlenlastig sein, sonst will niemand darüber diskutieren. Es soll viele Beispiele bringen, sonst ist es zu trocken, aber es dürfen keine Einzelfälle sein, sonst sind das nur Ausnahmen. Es soll eine Debatte anstoßen, aber es darf nicht aggressiv formuliert sein. Es muss journalistisch und wissenschaftlich zugleich sein, obwohl das kaum geht. Facebook-kompatibel und Hardcover, schnell- und langlebig. Unterhaltung und Politik. Ein Anliegen, das niemanden verprellt, aber etwas bewirkt. Es muss direkt in der Ansprache sein, sonst ist es zu verkopft, aber es darf nicht vulgär formuliert sein, denn das verschreckt oder biedert an. Es muss aus der Position einer glücklichen, zufriedenen Autorin geschrieben sein, denn Larmoyanz will keiner kaufen, es muss aber auch biografisch anrührend formuliert sein, denn ohne Ich-bin-eine-von-euch-Empathie wirkt es arrogant, will das niemand lesen. Es muss für Frauen geschrieben sein, bloß nicht verbittert, sondern eher so lustig, wie Barbara Schöneberger es schreiben würde, also humorvolle Selbstgeißelung, und es muss für Männer geschrieben sein, denn schließlich ist das doch kein reines Frauenthema, sondern betrifft die ganze Familie. Es muss also mit den Männern flirten und mit den Frauen solidarisch sein. Es muss wahrhaftig sein und geschmeidig. Es muss auf die Kinder Rücksicht nehmen, denn die sind schließlich das Wichtigste, oder auf die Frauen, auf die Männer, auf Gott und die Welt und den Fisch und die Gräte. Es muss ein hundertprozentig perfektes Buch für weibliches Nichtgenügen werden.

Die Gartentür geht auf, und Familie Wiedemann schaut vorbei, im Gepäck Vollkornpizzaschnecken und ein verwöhntes Kind. Die Mutter tuppert aus, und der Vater setzt sich mit einem tiefen Seufzer neben mich. Ich kenne ihn, er spielt mit seinem Siebenjährigen immer Fußball, übernachtet im selbstgebauten Baumhaus und ist ein Vorzeigepapa. Bekäme er für seine Vaterschaft Fleißkärtchen – er hätte die Sammlung komplett. Dazu ist er noch ein Hobbysammler: Er spielt Cello, Skat und Schultheater, er liest, kocht, malt und singt. Ginge ein obdachloses Hobby an ihm vorbei, er läse es auf und nähme es mit. Ich konnte früher über meinen Vater nur »Patience legen und kegeln« sagen, wenn man mich fragte, was er gern tat. Dass er feste Verabredungen jede Woche gehabt hätte – das war damals nicht üblich.

»Warum schreibst du denn das Buch?«, fragt der Hobby-Hob­byist, wirklich freundlich, ohne Häme und interessiert, zumindest strategisch interessiert. Er weiß, dass seine Frau auf die Nachbarschaftshilfe angewiesen ist, da will er es sich nicht grundlos verscherzen. »Weil ich es ungerecht finde, dass Frauen immer noch weniger Geld verdienen als Männer«, setze ich an. Bei meinem Mann löst das den sofortigen Ich-geh-mal-eine-rauchen-Reflex aus. Er weiß, dass es jetzt länger dauert, und er weiß vor allem, dass es noch länger dauert, wenn man mir widerspricht.

»Aber es ist doch ganz logisch, dass Männer mehr Geld verdienen müssen.« Ehrliche Ratlosigkeit im Gesicht meines Gegenübers: »Männer müssen doch auch die ganze Familie ernähren.« Den letzten Satz hört mein Mann und setzt sich schnell wieder hin. Jetzt wird es gleich krachen, und er ist nicht schuld. Er wartet auf Ein Kessel Buntes und die Replik seiner Frau.

Ich bin noch beim Sortieren. Ist das die Post-Harald-Schmidt-Ironie, das Gegenteil dessen zu behaupten, was politisch korrekt ist und dabei subversiv lachen? Sprenge ich die Freitagabendstimmung, wenn ich jetzt inhaltlich werde? Fliegen wir aus dem netten Grillzirkel, werden meine Kinder nicht mehr zum Übernachten eingeladen, wird mein Mann still bemitleidet, nur weil ich relevant werde? 100 Prozent perfekte Fragen für weibliches Nichtgenügen.

»Findest du es gerecht, dass wir Frauen nur die Hälfte der Rente bekommen, die ihr Männer bekommt?« Die Antwort kommt prompt und jovial-gönnerhaft. »Du kennst dich ja nicht so mit Statistik aus wie ich, Frauen werden ja auch viel älter als Männer, da ist es doch logisch, dass sie von der Altersarmut mehr betroffen sind.«1

Neun Erwachsene hören dieses Argument – neun Abiturienten, Akademiker, zum Teil Promovierte. Und schlagartig weiß ich, warum ich dieses Buch schreiben muss. Es liegt nicht an der kruden Anno-dunnemals-Argumentation des Cellisten. Es gibt auch Leute, die die Vernunftehe befürworten, und mitunter sind es ganz und gar reizende Zeitgenossen.

Es geht um die neun Erwachsenen, vier Männer, fünf Frauen, davon vier Mütter. Alle hatten mit dem beruflichen Wiedereinstieg nach der Babypause zu kämpfen. Alle wollten es besser machen als damals ihre Mütter, zumindest anders – obwohl ich gestehen muss, dass meine Mutter schon eine ziemlich geniale Mischung aus Beruf und Mutterschaft hingelegt hat: Sie war Architektin und hatte ihr »Studio« einfach in unser Haus integriert.

Die Elternsprecherin, die ihre Mutter aus lauter Selbstständigkeit kaum zu Gesicht bekam und heute für ihre Kinder auch einfach nur mal zwei Stunden Mutter sein will.

Die Politischgeprägte, die ihren Mann entlastet, soweit es geht, damit er auch eine Beziehung zu seinen Kindern aufbauen kann.

Die Tuppermutter mit ihrem Einzelkind, die es anders als ihre strenge Mutter machen will und deshalb ihr Kind lobt und unterstützt und »sieht« – und dabei gar nicht mehr bemerkt, dass sie sich selbst immer mehr auflöst, bis sie irgendwann nur noch Kindeswunsch ist.

Und ich, die ich meiner Tochter und meinen zwei Söhnen auch ein immaterielles Erbe mitgeben will: dass Arbeit Identität bedeutet, Sinn, Antidepressivum, Struktur, Spaß, Gemeinschaft, Geld, ja, auch Geld, Lernen, Abwechslung, Leidenschaft und Vernunft.

Wir alle wollen Familie und Beruf bestmöglich vereinen, denn darin sind wir uns einig: Der Sinn unserer Tage besteht nicht im Thermomixen, auch nicht im Detoxen oder im Twittern. Denn Frauen sind emanzipiert, wir Mütter sind es leider (noch) nicht immer.

»Findest du nicht, dass die wirklichen Verlierer die Kinder sind?«, unterbricht mich der Vorzeigepapa mit den hundert Hob­bys, wahrscheinlich tritt er nächste Woche in einen Debattierklub ein.

»Nein, es ist längst wissenschaftlich erwiesen, dass sich Kinder, um die sich ausschließlich die Mutter gekümmert hat, nicht anders entwickeln als diejenigen, um die sich andere Personen gekümmert haben.2 Es ist längst erwiesen, dass sich heute berufstätige Mütter mit ihren Kindern so lange beschäftigen wie nichtberufstätige Mütter in den siebziger Jahren. Es ist längst erwiesen, dass sich zwei berufstätige Elternteile sogar vorteilhaft auf die Entwicklung von Mädchen auswirken.«3

»Noch Grillkäse?«

Ja, ich weiß, die Stimmung kippt. Aber mich ärgert diese Argumentation ungemein, die keine ist, aber von allen so hingenommen wird. Warum sagt niemand, dass sich Väter am glücklichsten fühlen, wenn sie 50 Stunden pro Woche arbeiten? Warum sagt niemand, dass es sie nachweislich unzufrieden macht, wenn sie sich um die Kinder kümmern?4 Warum lobt man Väter, wenn sie mit ihren Kindern angeln gehen, aber nicht die Mütter, wenn sie Pfannkuchenrezepte ausprobieren? Warum darf man auf diese Missstände nicht hinweisen, ohne dass es mit einem Sympathieverlust einhergehen muss? Das finde ich in #MeToo-Zeiten den viel stärker zu geißelnden Sexismus und nicht die Frage, ob in Hollywood, weitab von unserer Lebensrealität, die Frauen solidarisch schwarze Kleidung zur Oscarverleihung tragen.

Der Mann sieht mich lange an. Ich habe, wenn ich mich anstrenge, Mitleid. Er begibt sich in ein Feld, das er nicht beackern kann – vielleicht aus Gründen der sportiven Kräfterangelei oder aus der kulturellen Verpflichtung heraus, für Unterhaltung sorgen zu müssen. Ich habe aber auch Mitleid mit mir: weil meine Argumente nicht zählen, weil ich überhaupt, um diese Diskussion gewinnen zu können, lässig, ironisch, selbstmarternd smalltalken müsste, was ich nicht kann.

»Sag mal, mag dein Mann dich überhaupt noch so?«

Am nächsten Tag bringt mich meine Tochter zur Bahn. »Mama, warum musst du das Buch schreiben?«, fragt sie. »Weil Grillkäse eigentlich eklig ist«, antworte ich, »weil ich etwas sagen will, von dem ich glaube, dass es wichtig ist. Weil du genügst, so wie du bist. Und weil Papa mich immer noch mag.«

Danksagung

Ich danke:

M., meinem Mann. Für viel mehr als du dir vorstellen kannst. Und für deine Unerschütterlichkeit. Alles darfst du vergessen, nur das nicht!

Markus Karsten, Verleger, und Michael Schickerling, Lektor. Beide haben sich mit ganzer Kraft in ein für sie fachfremdes Terrain – Dinkelkeksbackwettbewerbe – begeben. Und sie haben mir das Vorschussvertrauen geschenkt, Dinkelkeksbacken soziologisch betrachten zu können. Merci bien. An alle künftigen Autoren: Diese kleinen, feinen Verlage sind die besten!

Miriam Collée, die vor sieben Jahren verrückt genug war, mit mir i.do zu gründen,

Sebastian Schlösser, Frauke Meyer, Annick Eimer und Line Hansen, die noch verrückter sind, weiterzumachen. Ohne euch stünde nicht eine Zeile hier.

Ich danke meiner Mutter, die mir als Kind die Regel beigebracht hat: »Im Sitzen verliert die Arbeit ihren Charakter.« Das Buch ist trotzdem überwiegend im Sitzen entstanden, und auch sonst ignoriere ich manches, was sie predigte. Zum Beispiel: »Romane lesen nur Dienstmädchen.« Und »Milch macht die schlimmsten Flecken.«

Ich danke Elisabeth Hüllstrung, Familie Pape, Familie Menge, Zoe, Samuel, Merabi und Samson, die mir den Rücken freigehalten haben, so viel, dass der Platz dahinter eine eigene Postleitzahl verdiente.

Ich danke Manja und Barbara. Beide neigen nicht dazu, öffentlich über sich lesen zu wollen. So sieht Rache aus.

Es gibt viele Journalisten, Kollegen, Freunde, bei denen ich in der Schuld stehe. Es nimmt stündlich zu, fürchte ich, und ich weiß mir nicht hilfloser zu helfen, als sie hier zu nennen. Es ist das Mindeste!

Ich danke: Sabine Laerum und Christoph Eisenring, Dorthe Hansen, Siegrid Neudecker, Thomas Vasek und Rebekka Reinhard, Michaela Streimelweger, Jens Bergmann, Andrea Huss, Andrea Hacke, Sandra Schultz, Josef Seitz, Detlef Hacke, Stefan Niggemeier, Irmi Nille, Marianne Moosherr, Katharina von Salm, Claudia Greiner-Zwarg, Anke Willers, Anne Otto, Christoph Fasel, Peer Schader, Werner Brandl, Katharina Middendorf, Susanne Eckes, Franziska von Papen, Geraldine Friedrich, Familie Schneider und Thomas Busch. Und Ingrid Scheithauer: Mit ihr hat alles angefangen.

Ich widme dieses Buch meinen drei Kindern Oskar, Anton und Lulu, denen ich versprochen habe, dass sie irgendwo in diesem Buch vorkommen, und denen ich wünsche, dass sie eines Tages so gern arbeiten wie ich. Und: Mit Arbeit meine ich nicht Zimmeraufräumen, Tischabdecken, Hund ausführen.

Und Matthias? Bevor du es vergisst: Wir! Jeden Tag mehr …

Mütter, wehrt euch!

Die Schriftstellerin, Schauspielerin und Frauenrechtlerin Charlotte Roche hat in der Süddeutschen Zeitung die Kolumne »Jetzt könnte es kurz wehtun«. Darin schildert sie jede Woche gesellschaftliche Absurditäten und Ungerechtigkeiten unserer Zeit. Im Sommer 2018 schrieb sie: »Es gibt drei Wahrheiten. Die Erde ist rund. Wir werden alle sterben. Und die Gleichberechtigung ist vorbei, wenn das erste Kind geboren wird.«1

Für Roche ist der Untergang des Abendlands oder zumindest Deutschlands besiegelt: »Das ist wirklich eine Schande. Wir leben im Jahr 2018 in Deutschland. Und bei den allermeisten heterosexuellen Paaren, die ein Kind bekommen, bleibt die Frau für Jahre zuhause.« Dass es Frauen gern tun, weil sie sich auf ihre Kinder gefreut haben, weil sie gern Zeit mit ihren Kindern verbringen, weil sie den Sinn, Kinder zu erziehen oder zumindest zu prägen, einsehen und ihn wichtiger finden, als zum Beispiel Sauggranulate in Damenbinden zu optimieren oder veganes Hundefutter zu vertreiben, versteht Roche nicht. Die Zeit mit Kindern ist in ihren Augen kein Glück: »Arbeit im Haus und mit Kind hat einfach auch sehr viel mit Fäkalien zu tun.«

Tja, das stand im Kleingedruckten, Frau Roche: Kleine Babys können scheißen. Was aber viel schlimmer ist als diese Berlin-Mitte-Naivität (»Ups, ich verliere ja meine Autonomie!«), ist die Grund­annahme, alle Frauen würden sich aufopfern, wenn sie sich um die Kinder kümmern. Frau Roche, ich spiele mal die Retro-Hete: Es gibt Frauen, die gern Mütter sind. Doch, wirklich! Und es gibt Mütter, die glauben an den Satz: »Ein Baby braucht seine Mutter.« Das sind für Roche aber die schlimmsten: »Wie oft ich höre, dass arbeitenden Müttern heute noch allen Ernstes folgender Satz gesagt wird: ›Ein Baby braucht seine Mutter.‹ Kindeswohl. Mimimimimimi. Dieses unsägliche Totschlagargument. Damit wird alles, was die Frau bis dahin geleistet hat, weggewischt.«

Nö, wird’s natürlich nicht – es wird nur um eine neue Dimension erweitert. Das, was die Meinung von Roche so manipulativ macht, ist ihre dreihunderttausendfache Verbreitung in den Medien. Es ist also nicht eine einzelne Meinung, sondern eine dreihunderttausendfache. Und es ist die beste Methode, damit sich Mütter von vielem vertreten fühlen, nur nicht vom Feminismus. Feminismus, das ist diese moderne Einstellung, bei der ich mein Neugeborenes gleich in eine Krippe geben muss, damit ich mich dem Mimimimimimi-Vorwurf nicht aussetzen muss. Feminismus ist die Einstellung, die mir empfiehlt, mich bei der Suche nach einem Partner nach »unten« zu orientieren, weil ich dann Hoffnung haben darf, dass er seinen Job aufgibt, sobald das erste Kind da ist. Feminismus erklärt mich zur Pussy, wenn ich die ersten Jahre mit meinen Kindern verbringen will.

Schneller und effektiver kann man die Mitglieder einer Vereinigung, für die man kämpft, nicht vertreiben. Frei nach Groucho Marx: »Ich will in keinem Verein Mitglied sein, der mich aufnehmen würde«, heißt es jetzt: Ich will nicht für die Rechte der Frau kämpfen, wenn mich die Vorbilder dieser Vereinigung daran hindern, eine Frau zu sein.

Feministinnen sind heute – analog zu den weißen heterosexuellen Männern, die als Synonym für »ignorant« im deutschen Sprachgebrauch verwendet werden – akademisch, urban, wohlhabend. Und sie sind sehr weit weg von der Zielgruppe, von der sie vorgeben, für sie zu kämpfen. Welche Gemeinschaftskundelehrerin aus Wattenscheid kann sich mit solchen Sätzen, wie Roche sie niederschreibt, identifizieren?

Damit ist der Feminismus aber nicht allein. In allen großen Institutionen, in der Kirche, in der Politik, kämpft man mit sinkenden Mitgliederzahlen. Ich nehme zurzeit an einer kirchlich organisierten Fortbildung teil. Einmal ging es um das Thema »Glaube« – von den zwölf Teilnehmern leiteten zehn ihr Bekenntnis zu Gott mit den Worten ein: »Also, ich glaube schon an Gott, aber nicht so mit Kirche und so.« In einer kirchlich organisierten und finanzierten Veranstaltung, mit einer zweifellos toleranten Pastorin, mitten unter uns. »Kirche und so« ist super, wenn man heiratet und sicherheitshalber auch bei der Taufe, aber ansonsten wirkt es für uns Westeuropäer fast bedrohlich, sich dermaßen einer Institution hinzugeben.

Der Soziologe Didier Eribon beschrieb in seinen soziologischen Erinnerungen Rückkehr nach Reims ein ähnliches Phänomen: die Abkehr der Arbeiter vom Sozialismus, weil ihn die Intellektuellen für sich okkupiert hatten. Eribon wuchs in den fünfziger Jahren im Arbeiterstädtchen Reims auf, zusammen mit seinen Brüdern und seinen Eltern, und merkte bald, dass er sich einen anderen Habitus zulegte als seine Geschwister: »Mein Bruder pflegte weiterhin das Ethos der Arbeiter, seine Umgangsformen und seine Körperhaltung unterstrichen die Zugehörigkeit zu der sozialen Welt, aus der wir stammten«, schrieb Eribon. »Ich dagegen machte mir ein Gymnasiasten-Ethos zu eigen, das genauso klischeemäßig war und mit dem ich mich von meiner Familie abgrenzen wollte.«

Der unterschiedliche intellektuelle Habitus brachte eine unterschiedliche politische Gesinnung: »Er interessierte sich überhaupt nicht dafür, während ich vom ›Klassenkampf‹, ›permanenter Revolution‹ und ›proletarischem Internationalismus‹ zu schwadronieren begann.« Aus den Brüdern wurden zwei verschiedene Individuen, die nur noch das Elternhaus als Gemeinsamkeit hatten. Ihre jeweilige Identität bemaß sich an der Distanz, die sie zu den Einstellungen des jeweils anderen hatten. Eribon ging nach Paris, wurde ein linker Intellektueller, jung und schwul, sein Bruder ging zur Armee, arbeitete in einer Schlachterei, heiratete, bekam zwei Kinder, wählte Front Na­tional. Er, der traditionell eigentlich hätte links wählen müssen, dessen Herkunftsfamilie stets stolz war zu sagen: »Wir sind Kommunisten«, schwenkte in seinem Politikverständnis von ganz links zu ganz rechts, weil er sich von Politikern wie Le Pen emotional besser vertreten fühlte.

Und Eribon zeigte, dass das kein Einzelfall war, sondern der Zustand aller europäischen Sozialisten: Die reichen, klugen Städter haben die Politik für sich entdeckt und sie damit für die gemeinen Arbeiter unbrauchbar gemacht, weil diese sich mit diesen Repräsentanten nicht mehr identifizieren können. Eine ganze Kampfbewegung des Volks, der Arbeiterschicht verbürgerlicht. Der nächste kapitalistisch konsequente Verspießerungsschritt wäre, wenn die Tchibo-Themenwoche Marx-T-Shirts anböte oder Che-Guevara-Parfum …

Gleiches passiert leider mit dem Feminismus unserer Tage. (Gucken Sie mal, wie die arme Frida Kahlo zweckentfremdet wurde: Lippenstifte, Rucksäcke, Tequila – es fehlt nur noch, dass sie auch für Always Ultra herhalten muss, weil sie so eine Vorliebe für die Farbe rot entwickelte.)

Extrempositionen wie die von Mimimimimimi-Roche führen nur dazu, dass die moderate Mittelstandsfrau sich mit diesen Positionen nicht einverstanden fühlt. Damit behindert und verhindert der Feminismus das, wofür er kämpft: mehr Unabhängigkeit der Frau. Eine kinderlose, arbeitende Metropolin in gehobener Position hat es leicht, Roche und Penny gut zu finden – für die ist aber dieser Feminismus gar nicht gedacht!

Dazu kommt eine Versingularisierung der Gesellschaft, die es geradezu obszön macht, sich für die Gemeinschaft oder gesellschaftliche Belange einzusetzen. Narzissmus scheint gesellschaftsfähig: Immer weniger Menschen leben in festen familiären Strukturen. »Einen Trend, der Immobilien, Nahrung, Kommunikation und die Medizin und damit unsere Gesundheit betrifft, kann und darf man Megatrend bezeichnen«, schreibt Professor Manfred Spitzer in seinem Buch Einsamkeit und führt unzählige Untersuchungen auf, die diesen Megatrend weltweit bestätigen. In Untersuchungen, die in 78 Ländern während der vergangenen fünfzig Jahre durchgeführt wurden, zeigt sich eine klare Tendenz: »Je besser es den Menschen wirtschaftlich geht, desto eigenständiger und damit auch individualistischer sind sie.« Für Spitzer sind »eigenständig« und »individualistisch« nur andere Wörter für »einsam« – und damit stark krankheitsgefährdet. Einsamkeit hat nachgewiesenermaßen die höchste Mortalitätsrate, noch vor Rauchen, Alkohol, Bewegungsmangel und Übergewicht. Wer in einer versingularisierten Gesellschaft lebt, ist es nicht gewohnt, für politische Rechte zu kämpfen, unabhängig davon, ob man selbst davon einen Vorteil hätte oder nicht.

Die frühen Feministinnen haben für Teilhabe gekämpft: für die Teilhabe an Bildung, für die Teilhabe am Beruf und später um das Recht auf den eigenen Körper. Immer ging es um Grundwerte des Lebens. Heute kämpfen wir um #MeToo, das ist geradezu lächerlich angesichts der wirklich relevanten Forderungen, für die wir kämpfen könnten. Ob ein Filmproduzent in Hollywood Frauen eine Rolle nur gegen Beischlaf anbietet, interessiert hierzulande höchstens diejenigen, die auf Klatsch und Tratsch programmiert sind. Und auch Dieter-Wedel-Fälle sind trotz allem Einzelfälle, fürchterliche selbstredend, und jeder Einzelfall einer zu viel.