Cover

Alexander Demandt

MARC
AUREL

Der Kaiser
und seine Welt

C.H.Beck 2019

ZUM BUCH

«Es ist gleichgültig, ob du das Leben vierzig oder zehntausend Jahre durchforschst – denn was wirst du mehr sehen?» Kaiser Marc Aurel (121–180) hat erlebt, wie sein Reich gemartert wurde von der Pest und bedroht von Barbarenvölkern. Er hat vierzehn Jahre im Krieg zugebracht und um Frieden gerungen, hat in einer Zeit heftiger philosophischer Debatten und religiöser Erregung Intrigen und Verschwörungen erlebt, ständig an Krankheiten laboriert und Menschen verloren, die er liebte. Die Stütze seines Lebens war die Philosophie, die ihm half, all das zu ertragen, von dem diese neue Biographie erzählt.

Keinen römischen Kaiser kennen wir so genau wie Marc Aurel – und nur wenige Historiker sind so vertraut mit den reichen Quellen zu seinem Leben wie Alexander Demandt. In seinem jüngsten Werk stellt er uns den Philosophenkaiser und dessen krisengeschüttelte Epoche vor Augen. Er erhellt Marc Aurels Studienjahre, die Vorbereitung auf sein kaiserliches Amt, das er dann mit seinem Adoptivbruder teilte. Der Autor erklärt die Grundlagen des römischen Staatswesens, beschreibt die Kämpfe mit den Parthern und den Donaugermanen, den Vorboten der Völkerwanderung, sowie die Christenprozesse – trotz der Humanisierung des Rechts. Sodann führt er uns ein in die Gedankenwelt des Kaisers, die uns nicht zuletzt dank dessen weltberühmten Selbstbetrachtungen, den «Wegen zu sich selbst», bekannt ist, und zeigt uns die verschiedenen Nöte des Reiches. So entsteht das Porträt eines Mannes, der sich wie kein anderer um Weisheit, Gerechtigkeit und Menschlichkeit mühte und mit stoischer Standhaftigkeit seine Herrscherpflichten erfüllte. Mit- und Nachwelt haben ihn bewundert. Seine Tragik bestand darin, daß er in seinem Sohn Commodus einen unwürdigen Nachfolger fand.

ÜBER DEN AUTOR

Alexander Demandt lehrte bis zu seiner Emeritierung Alte Geschichte an der Freien Universität Berlin. Im Verlag C. H.Beck sind von demselben Autor u.a. lieferbar: Der Fall Roms (32015); Die Kelten (82015); Das Privatleben der römischen Kaiser (22012); Pontius Pilatus (2012); Alexander der Große (2009); Geschichte der Spätantike (32018); Theodor Mommsen. Römische Kaisergeschichte (22005, hg. gemeinsam mit B. Demandt).

INHALT

VORWORT

Vorwort zur zweiten Auflage

Griechische Zitate

I: DAS IMPERIUM
ROMANUM

a. Von der Republik zum Kaiserreich

b. Die Befugnisse des Kaisers

c. Absolutismus?

d. Repräsentation und Titel

e. Der Kaiserkult

f. Zentralverwaltung und Hofpersonal

g. Kaiserin, Familie und Nachfolge

h. Der Senat

i. Das Heer

j. Rekrutierung

k. Außenpolitik

l. Senatorische Laufbahn

m. Ritterliche Laufbahn

n. Rom und Italien

o. Provinzialverwaltung

p. Die Städte

q. Sonderfall Ägypten

r. Die Domänen

s. Sprachen und Völker

t. Religionen

u. Sieben Stände

v. Sklaven und Freigelassene

w. Die Frauen

x. Die Wirtschaft

y. Pax Romana

z. Die Kaiser vor Marcus

II: SCHRIFTQUELLEN
UND DENKMÄLER

a. Das Tagebuch

b. Die Überlieferung

c. Der Briefwechsel mit Fronto

d. Die Zweite Sophistik

e. Cassius Dio

f. Die Marcusvita der Historia Augusta

g. Die Nachbarviten

h. Spätantike lateinische Texte

i. Griechische Nebenquellen

j. Rechtsquellen

k. Lateinische Inschriften

l. Militärdiplome

m. Griechische Inschriften

n. Münzen und Medaillen

o. Kaiserporträts

p. Kaiserstatuen

q. Denkmäler für andere

r. Der Caballus auf dem Kapitol

s. Der Caballus im Mittelalter

t. Vorbild seit der Renaissance

u. Die Marcussäule

v. Der Säulenwächter

w. Die Wirkungsgeschichte

x. Reliefs

y. Kleinkunst

z. Bauwerke

III: JUGEND UND
FAMILIE

a. Herkunft und Vorfahren

b. Das Geburtshaus

c. Der Geburtstag

d. Erste Ehren: Springpriester 128

e. Zwei Adoptionen 130 und 136

f. Pius adoptiert Marcus und Lucius 138

g. Verlöbnis mit Faustina 138

h. Die Quästur 138/139

i. Caesar, princeps iuventutis, Priesterschaften 139

j. Konsulat und Kaiservillen

k. Hochzeit mit Faustina 145

l. Konsul III 161

m. Kinderstube im Kaiserhaus

n. Wachtelkämpfe und Jagdvergnügen

o. Zirkus und Arena

p. Askese

q. Familie und Freunde

r. Fachlehrer

s. Philosophielehrer der Stoa

t. Platoniker und Peripatetiker

u. Herodes Atticus in Rom

v. Cornelius Fronto

w. Weinlese

x. Von der Rhetorik zur Philosophie

y. Der Tod des Pius 161

z. Der Herrschaftsantritt der Brüder

IV: DIE PARTHER UND
DIE PEST

a. Der Ost-West-Gegensatz

b. Die Parther

c. Severianus unterliegt bei Elegeia 161

d. Edessa verloren, Cornelianus geschlagen 162

e. Hochwasser in Rom 161/162

f. Lucius gegen die Parther 162

g. Herodes Atticus in Athen

h. Lucius in Eleusis

i. Priscus erobert Artaxata 163

j. Die schöne Pantheia

k. Lucius heiratet Lucilla 164

l. Friedensangebot an Vologaeses

m. Avidius Cassius über den Euphrat 164

n. Die Pest aus Seleukeia 165

o. Martius Verus in Medien

p. Lucius Verus an und bei Fronto

q. Der Redner Aelius Aristides

r. Der erste Triumph 166

s. Die Victoria von Calvatone

t. Das Parthermonument von Ephesos

u. Kriegsberichte

v. Der Pestarzt Galen

w. Galens Schriften

x. Militärärzte

y. Die Seuche in Rom

z. Entvölkerung?

V: DER ERSTE
GERMANENKRIEG

a. Nord-Süd-Konflikte

b. Zwanzig Stämme an der Donau

c. Chatten in Raetien 162

d. Langobarden in Pannonien 166

e. Markomannenfriede mit Ballomar 166

f. Zwei neue Legionen

g. Das Löwenopfer 167

h. Germanen vor Aquileia und Opitergium 167

i. Markomannenpanik in Rom 167/168

j. Die Kaiser zur Donau. Der erste Quadenfriede 168

k. Der Tod des Lucius Verus 169

l. Versteigerung der Kronjuwelen 169

m. Rekrutierung von Gladiatoren und Germanen

n. Jazygen und Vandalen in Dakien 170

o. Kaledonier in Britannien, Bastarnen in Kleinasien

p. Kostoboken in Eleusis, Mauren in Spanien 171

q. Räuberhirten in Ägypten 172

r. Sohaemus wieder in Armenien

s. Marcus in Carnuntum 170

t. Der zweite Markomannenkrieg 171

u. Das Regenwunder im Quadenland 172

v. Chatten in Italien, Chauken in Belgien,
Naristen in Raetien

w. Der zweite Quadenfriede 172

x. Der dritte Markomannenfriede 173

y. Der Eiskampf mit den Jazygen

z. Verhandlungen in Sirmium 174

VI: CASSIUS UND DER ZWEITE GERMANENKRIEG

a. Herkunft und Aufstieg des Cassius

b. Die Krankheit des Kaisers

c. Todesnachricht und Proklamation 175

d. Die Kaiserrede zum Aufbruch

e. Der erste Jazygenfriede 175

f. Cassius ermordet 175

g. Strafaktionen

h. Durch Judaea nach Alexandria

i. Der Tod Faustinas 176

j. Marc Aurels Konkubinat

k. Aelius Aristides in Smyrna 176

l. Marcus in Athen 176

m. Die Mysterien von Eleusis

n. Berber in Spanien, Räuber in Griechenland

o. Triumph in Rom am 23. XII. 176

p. Die Tafeln des Ehrenbogens

q. Die Quintilier an der Donau 177

r. Commodus wird Augustus 177

s. Commodus heiratet Crispina 178

t. Der zweite Germanenkrieg 178

u. Der zweite Jazygenfriede in Sirmium 178

v. Der Kaiser in Wien 179/180

w. Der Griff über die Donau

x. Das Lager Trentschin 179/180

y. Ammian zum Germanenkrieg

z. Wo sind die Völker geblieben?

VII: RECHT UND
VERWALTUNG

a. Senat und Konsulat

b. Die Gardepräfekten

c. Rechtsprechung und Prozeßordnung

d. Kronrat und Gerichtsorte

e. Der Herodes-Atticus-Prozeß 174

f. Gesetzgebung

g. Die Kanzlei

h. Sklaven im Recht

i. Freilassung

j. Sklavenflucht und Sklavenfolter

k. Das Militär

l. Religion und Kaiserkult

m. Rom und Athen

n. Städte und Straßen

o. Bürgerstiftungen und Bürgerpflichten

p. Familienpolitik: Alimentarstiftungen

q. Die Stiftung von Sicca

r. Erbrecht und Vormundschaft

s. Provinzialverwaltung

t. Das Gladiatoren-Edikt

u. Finanzpolitik

v. Aufwandsgesetz und Bankenkontrolle

w. Bürgerrecht für Banasa

x. Die Ideologie des Adoptivkaisertums

y. Commodus oder Pompeianus?

z. Die Vorstufen zur Herrschaft

VIII: DIE CHRISTENPROZESSE

a. Jesus – König oder Erlöser?

b. Römische Religionspolitik

c. Mysterienkulte und Wundermänner

d. Gnostische Sekten

e. Christliche Subkultur

f. Nero und der Brand Roms

g. Johannes-Apokalypse

h. Romfeindliche Sibyllinen

i. Montanistische Endzeitlehre

j. Christengegner

k. Sakralkannibalismus?

l. Plinius an Trajan

m. Trajans Antwort

n. Hadrians Toleranzedikt?

o. Marc Aurel zum Christentum

p. Martyriumsbereitschaft

q. Christliche Jenseitshoffnung

r. Ist der Tod das Ende?

s. Antiker Unsterblichkeitsglaube

t. Justins Apologien

u. Crescens gegen Justin 167

v. Polykarp und die «neuen Verordnungen»

w. Der große Prozeß in Lyon 177

x. Der kleine Prozeß in Scilli 180

y. Die Aberkios-Legende

z. Melitons Romtheologie

IX: LEBENSPHILOSOPHIE

a. Republik: keine Philosophen!

b. Kaiserzeit: Philosophie in Maßen!

c. Opponierende Philosophen

d. Philosophen am Kaiserhof

e. Lukians zehn Schulen

f. Die Stoa

g. Die ‹Selbstbetrachtungen›: Gott und Natur

h. Der Gott in dir

i. Kultische Kaiserpflichten

j. Schicksal und Vorsehung

k. Die Welt aus Stoff und Kraft

l. Weltenbrand in Äonen

m. Nichts Neues unter der Sonne

n. Kosmische Metaphern

o. Pessimismus?

p. Die Seele und das Leitvermögen

q. Individualethik: Selbstbeherrschung

r. Meinungen sind machbar

s. Adiaphora – Scheingüter

t. Tod und Vergänglichkeit

u. Ruhm?

v. Gefühle beherrschen!

w. Sozialethik: Pflichterfüllung und Menschenliebe

x. Feindesliebe

y. Theorie und Praxis

z. Zehn Leitsätze

X: TOD UND
NACHLEBEN

a. Todesdatum und Todesort

b. Todesart

c. Selbstmord?

d. Beisetzung und Consecratio

e. Gedenktage

f. Herrschaftsantritt des Commodus

g. Neue Donauprovinzen?

h. Friede mit den Germanen 180

i. Verzicht und Triumph 22. Oktober 180

j. Die Verschwörung der Lucilla 182

k. Epoche 180?

l. Falsche Antonine

m. Die heidnischen Historiker

n. Diocletian und Constantin

o. Julian und Valentinian

p. Christliche Autoren

q. Byzanz und lateinisches Mittelalter

r. Renaissance und Humanismus

s. Aufklärung: Montesquieu

t. Friedrich der Große

u. Historiographie im 18. Jahrhundert

v. Historiker im 19. Jahrhundert

w. Philosophen zu Marc Aurel

x. Literatur und Kunst, Film und Wirtschaft

y. Marc Aurel global

z. Lebenshilfe

DANKSAGUNG

ANMERKUNGEN

I. Das Imperium Romanum

II. Schriftquellen und Denkmäler

III. Jugend und Familie

IV. Die Parther und die Pest

V. Der erste Germanenkrieg

VI. Cassius und der zweite Germanenkrieg

VII. Recht und Verwaltung

VIII. Die Christenprozesse

IX. Lebensphilosophie

X. Tod und Nachleben

ANHANG

A. CHRONIK

B. KARTEN

C. STAMMTAFEL

D. BILDNACHWEIS

Innenteil

Tafelteil

Karten

E. ABKÜRZUNGEN

F. LITERATUR

Fundhilfe für die wichtigsten Personen zu Marc Aurel in der RE

G. REGISTER

Zum Gedenken an Helmut Schmidt

TAFEL I

Büste Marc Aurels aus griechischem Marmor, Typ 3.
Unter dem Feldherrnmantel mit der Scheibenfibel erscheint der Panzer
mit der Gürtelbinde, am Hals ist die Tunika, das Hemd,
zu erkennen (zu Kap. II o).

TAFEL II

Marc Aurel auf dem Kapitol en face (zu Kap. II r).

TAFEL III

Marc Aurel auf dem Kapitol im Halbprofil (zu Kap. II r).

TAFEL IV

Der Reiter auf dem Kapitol (zu Kap. II r).

TAFEL V

Der Caballus bei der Restauration 1985 (zu Kap. II t).

TAFEL VI

Commodus als Herkules
mit Löwenhelm und Keule,
den Äpfeln der Hesperiden über einem Amazonenschild,
flankiert von Füllhörnern, begleitet von Amazonen,
auf einer Weltkugel mit dem Zodiakus
(zu Kap. X j).

TAFEL VII

Sesterzen (Bronze) und Aurei (Gold, vergrößert):
a. Hadrian, b. Antoninus Pius, c. Faustina maior,
d. Marc Aurel nach 138, e. ders. nach 145, f. ders. nach 161,
g. ders. nach 169, h. Faustina minor, i. Commodus,
j. Lucius Verus, k. Lucilla, l. Eintracht zwischen Marcus und Lucius
(zu Kap. II n).

TAFEL VIII

TAFEL IX

Parthermonument von Ephesos in Wien:
VIII
(oben) Artemis-Selene auf einem von vier Hinden gezogenen
Wagen über einer Meeresgöttin (zu Kap. IV t).
IX a. (Mitte) Kampf der Römer gegen Barbaren, (zu Kap. IV t)
IX
b. (unten) Der Kaiser auf einer Quadriga, geleitet von Victoria
über der Personifikation der Fruchtbarkeit, (zu Kap. IV t).

TAFEL X

Sardonyx-Kameo einer Kaiserin als Victoria mit Siegeskranz
und Siegespalme, ursprünglich Faustina II, Haartracht umgearbeitet
in Julia Domna, die Frau von Septimius Severus
(zu Kap. II y und III g).

TAFEL XI

Achat-Gemme aus Biesheim,
Fassung 4. Jahrhundert n. Chr.:
Commodus zu Pferde tötet Ariogaisos
(zu Kap. VI v).

TAFEL XII

Die Victoria von Calvatone bei Mantua aus vergoldeter Bronze,
seit 1841 im Antikenmuseum Berlin, seit 1945 in St. Petersburg
(zu Kap. IV s).

TAFEL XIII

a.Mithras aus Marino in den Albanerbergen, entdeckt 1963.
Der Stiertöter mit phrygischer Mütze in der Höhle, begleitet
von Schlange und Hund, flankiert von den Fackelträgern Cautes und
Cautopates. In den oberen Ecken Sonne und Mond,
seitwärts die acht Weihegrade (zu Kap. VIII c).

b.Der Lateranspalast mit dem Caballus, Zeichnung von
Maarten van Heemskerck, um 1535 (zu Kap. II s).

TAFEL XIV

Der Caballus vor dem Lateran. Fresko von Filippino Lippi in
Santa Maria sopra Minerva, Rom, in der Cappella Carafa
(San Tommaso d’Aquino), um 1490 (zu Kap. II s).

TAFEL XV

Reiterstatue Ludwigs XIV von François Girardon auf dem Transport
zur Place Vendôme 1699, in der Französischen Revolution zerstört.
Zeitgenössisches
Gemälde von M. A. Houasse (zu Kap. II t).

TAFEL XVI

Die letzten Worte Marc Aurels, Gemälde von Eugène Delacroix, 1844.
Lyon, Musée des Beaux-Arts (zu Kap. X x).

VORWORT

Als der Evangelist Lukas daranging, das Leben Jesu darzustellen, glaubte er, sich rechtfertigen zu müssen, «sintemal sich’s Viele unterwunden hätten zu stellen die Rede von den Geschichten». Wer sich anschickt, das Leben Marc Aurels zu beschreiben, befindet sich in einer ähnlichen Lage. Auch er hat zahlreiche Vorgänger. Allerdings kann er nicht so wie Lukas erwarten, mit seinem Opus deren Bücher zu verdrängen oder zu überleben. Er muß sich mit einer bescheideneren Hoffnung begnügen und will nur dazu beitragen, daß ein wissenswerter Ausschnitt der Geschichte lebendig bleibt, daß eine bemerkenswerte Persönlichkeit nicht so schnell vergessen werde.

Freilich gehört Marc Aurel nicht zu jenen antiken Herrschern, die Weltgeschichte gemacht haben. Er war kein Alexander, der eine Epoche eröffnete, kein Augustus, der eine Staatsform schuf, kein Constantin, der einer Weltreligion zum Siege verhalf. Marc Aurel hat auch keine Legendenbildung ausgelöst wie jene Männer und ist auch nicht umstritten so wie sie. Sein Charakterbild schwankt nicht in der Geschichte wie das des Herzogs von Friedland. Vielmehr ist es gerade der Konsens über seinen Charakter, was ihn heraushebt, als Gegenbild zu Typen wie Caligula, Nero oder zu seinem Sohn Commodus, die durch ihre Untaten das Interesse der Nachwelt genießen.

Zu allen Zeiten haben Marc Aurels menschliche Haltung und die Grundsätze seiner Regierung verdiente Zustimmung erfahren und die Nachwelt beeindruckt. Seine von der stoischen Philosophie geprägten, ganz persönlichen ‹Selbstbetrachtungen›, eigentlich Selbstermahnungen, sind ein Katechismus der Humanität und eine Perle der Weltliteratur. Gewiß war Marc Aurel kein tiefer Denker, der wie Platon mit Sokrates oder Paulus mit Jesus neue Wege des Geistes eröffnet hat. Seine Gedanken lesen wir ähnlich bei früheren Philosophen, aber nirgend sind sie so eng mit dem Leben verbunden wie hier. Sie fanden stets ungeteilte Bewunderung, auch wenn die politische Praxis ihre Forderungen geltend gemacht, Härte erfordert hat. Denn die Zeit des gesicherten Friedens hatte ein Ende gefunden. Zwar hatte es stets Kriege gegeben, doch sie wurden außerhalb des Reiches geführt, nicht wie nun, ganz überwiegend innerhalb. Unter Marc Aurel waren außer Nordafrika alle Grenzen umkämpft, namentlich am Euphrat und an der Donau, wo sich mit massivem Druck die germanische Völkerwanderung ankündigte. Das war gemäß Mommsen die Wende zum Ende.

Indem ich diese Vorgänge nachzeichne, denke ich weniger an Fachkollegen, von denen ich ohnedies mehr gelernt habe, als sie von mir lernen können. Mein Beitrag zur Wissenschaft beschränkt sich auf einen erneuten Versuch, die literarischen und epigraphischen, die numismatischen und archäologischen Zeugnisse vom Kriegsgeschehen so in eine Chronik einzuordnen, daß sie einander nicht im Wege stehen und die geostrategische Ereignisfolge nachvollziehbar machen. Die meisten hier vertretenen Annahmen finden sich allerdings schon irgendwo in der älteren Literatur. Unsere wissenswürdige Kenntnis der Antike ist überhaupt kaum noch zu vermehren. Möglich und sinnvoll ist und bleibt es, aus diesem ungeheuren Schatz die Zimelien immer wieder herauszugreifen und in einer Form darzubieten, die ihren Glanz zur Geltung bringt.

Möchte es gelingen, der historisch interessierten Leserschaft den Reiter auf dem Kapitol in seiner vielgestaltigen Welt lebendig zu machen, das Geschehen in einen weiteren Rahmen zu stellen und die Grundkonflikte der Zeit aufzuzeigen: die Spannung zwischen hoher, aber müder Zivilisation und armen, aber vitalen Nachbarvölkern, zwischen altbewährten Rechtsgrundsätzen und immer neuen Herausforderungen, zwischen Vertretern staatlicher Ordnung und religiösen Menschen, die für ihre Idee in den Tod gehen. Marc Aurel hat sich mit diesen Fragen in einer Form befaßt, die ein Beispiel dafür darstellen, wie Politik und Philosophie einander ergänzen, wie sich Machtfragen zwar nicht lösen, aber vielleicht ungelöst ertragen lassen.

Am 30. März 1870 schrieb Jacob Burckhardt aus Basel an Bernhard, den Sohn seines Freundes Franz Kugler in Berlin, daß «ein großer historischer Gegenstand, dessen Darstellung ein Hauptmoment des ganzen Forscherlebens werden soll, sympathisch und geheim mit dem Innersten des Autors zusammenhängen muß». Etwas derartiges empfinde ich bei der Beschäftigung mit Marc Aurel durchaus und weiß mich darin einig mit anderen, bedeutenderen Zeitgenossen. Ich denke hier zuerst an unseren Altkanzler Helmut Schmidt. Für ihn haben sich die ‹Selbstbetrachtungen› als Lebenshilfe ein Leben lang bewährt. Er trug seinen Marc Aurel an der Front im Tornister und hat ausgesprochen, was er ihm verdankt. Darum sei mein Buch dem Andenken an Helmut Schmidt gewidmet.

Lindheim, Jubilate 2018 Alexander Demandt

Vorwort zur zweiten Auflage

Eher als gedacht kann die neue Auflage erscheinen. Sie bietet Gelegenheit, eine Reihe von sprachlichen Korrekturen vorzunehmen, die ich meinem alten Münchener Studienfreund Gernot Eschrich in Breitbrunn verdanke. Sehr erfreut hat mich, dass meine stilistisch begründete Datierung der Porta Nigra in die Zeit Marc Aurels seit Anfang dieses Jahres dendrochronologisch bestätigt wurde. Man hat sie bisher zumeist mit dem Ausbau Triers in der Zeit der Tetrarchen verbunden. Ich erfuhr es im August von Marcus Reuter, zu spät für die erste Auflage (s.u. S. 91). Nun kann ich das Buch dem Gedenken an den 100. Geburtstag von Helmut Schmidt am 23. Dezember 2018 widmen.

Lindheim, 27. November 2018 Alexander Demandt

Griechische Zitate

Griechische Buchstaben werden folgendermaßen latinisiert:

Alpha mit a, Beta mit b, Gamma mit g, vor Gutturalen mit n (z.B. synklētos, phalanx), Delta mit d, Epsilon mit e, Zeta mit z, Eta mit ē, Theta mit th, Iota mit i, Iota subscriptum erscheint als Iota adscriptum (z.B. tēi gēi), Kappa mit k, Lambda mit l, My mit m, Ny mit n, Xi mit x, Omikron mit o, Pi mit p, Rho mit rh, Sigma mit s, Tau mit t, Ypsilon mit y, Ypsilon nach Alpha, Epsilon oder Omikron mit u (z.B. autonomia, eunomia, boulē), Phi mit ph, Chi mit ch, Psi mit ps, Omega mit ō; Spiritus asper, auch innerhalb des Wortes, erscheint als h (z.B. synhodos); griechische Akzente und Spiritus lenis werden ignoriert.

Tu regere imperio populos, Romane, memento!

VERGIL

I

DAS IMPERIUM
ROMANUM

a. Von der Republik zum Kaiserreich – b. Die Befugnisse des Kaisers – c. Absolutismus? – d. Repräsentation und Titel – e. Der Kaiserkult – f. Zentralverwaltung und Hofpersonal – g. Kaiserin, Familie und Nachfolge – h. Der Senat – i. Das Heer – j. Rekrutierung – k. Außenpolitik – l. Senatorische Laufbahn – m. Ritterliche Laufbahn – n. Rom und Italien – o. Provinzialverwaltung – p. Die Städte – q. Sonderfall Ägypten – r. Die Domänen – s. Sprachen und Völker – t. Religionen – u. Sieben Stände – v. Sklaven und Freigelassene – w. Die Frauen – x. Die Wirtschaft – y. Pax Romana – z. Die Kaiser vor Marcus

a. Von der Republik zum Kaiserreich

Das Römische Reich, dessen Herrschaft Marc Aurel am 7. März 161 n. Chr. übernahm, war das größte und dauerhafteste Staatswesen, das Europa bis dahin gesehen hatte. Es umfaßte Territorien – ganz oder teilweise – von dreißig modernen Staaten. In Jahrhunderten durch Kriege und Verträge gewachsen, erstreckte es sich nach den Siegen über die punische Seemacht Karthago im 3. Jahrhundert v. Chr. und über die hellenistischen Landmächte im 2. Jahrhundert vom Atlantik bis zum Roten und zum Schwarzen Meer. Die republikanische, von dem Historiker Polybios um 150 v. Chr. in seinem sechsten Buch beschriebene und bewunderte Verfassung des Stadtstaates Rom reichte dafür nicht mehr aus. Die Kontrolle der Provinzen erforderte und ermöglichte eine Militärmacht, deren Führer sich dem Senat, aus dem sie hervorgegangen waren, nicht mehr unterwarfen. Auch die Legionen fühlten sich nicht mehr dieser hohen Körperschaft, sondern ihrem Feldherrn verpflichtet. Es kam zu Bürgerkriegen zwischen ihnen, zwischen Marius und Sulla, Caesar und Pompeius, Brutus und Octavian, bis letzterer durch seinen Seesieg über Marc Anton und Kleopatra am 2. September 31 v. Chr. bei Actium seine Alleinherrschaft begründete.

Octavian hatte als neunzehnjähriger Großneffe und Adoptivsohn Caesars nach dessen Ermordung an den Iden des März 44 v. Chr. das Erbe übernommen und zielbewußt auf eine Monarchie hingearbeitet, wie sie alle Flächenstaaten der Antike besaßen. Augustus – so seit 27 v. Chr. – hat eine Staatsform begründet, die zwar die republikanischen Institutionen weitgehend beibehielt, aber den Vorrang des neuen princeps senatus – des Ersten der Senatoren – behauptete. Er sicherte das von Caesar gewonnene Gallien durch die Rheingrenze, die Ostgebiete durch eine Demonstration am Euphrat. Er annektierte Ägypten, eroberte die Gebiete südlich der Donau und überwand die Widerstände in Spanien.[1]

b. Die Befugnisse des Kaisers

In seinem testamentarischen Tatenbericht, dem inschriftlich erhaltenen Monumentum Ancyranum, behauptet Augustus, die Freiheit der Republik wiederhergestellt zu haben. Tatsächlich lautet der Staatsname bis über Justinian hinaus res publica Romana, nie imperium Romanum.[2] Gleichwohl sind die monarchischen Intentionen des Augustus unverkennbar. Sie spiegeln sich in der Ämterkumulation, in der Nachfolgepolitik und in der Repräsentation. Augustus hat nie versucht, als altrömischer Dictator oder als hellenistischer König zu regieren, sondern hat sich mit einem Flickenteppich von Amtsvollmachten begnügt, deren jede verfassungsgemäß war, die aber verfassungswidrig erweitert, gebündelt und auf Dauer gestellt wurden und so in der Summe eine Monarchie ergaben.[3] Die republikanischen Magistrate außer dem Censor wurden daneben weiterhin bestellt, aber sie alle überragte der Kaiser an auctoritas.[4]

Sehen wir ab von vorübergehend ausgeübten Vollmachten, so bleiben als dauernde Machtgrundlagen übrig: imperium consulare (Amtsmacht des Konsuls) und tribunicia potestas (Amtsmacht des Volkstribunen). Konsulat oder imperium proconsulare maius (größere konsulare Amtsmacht) bedeuteten Verfügungsgewalt über das Heer und die Provinzen, in denen Legionen standen. Hier übte Augustus eine Militärmonarchie aus, hier war er höchster Richter und oberste Appellationsinstanz. Die von ihm seit 23 v. Chr. jährlich fortgeschriebene tribunicia potestas[5] war wichtig für die Unverletzlichkeit (sacrosanctitas) und für die Macht in der Stadt Rom. Als Patrizier mußte der Kaiser die Funktion vom Amte des Tribunen lösen, denn dieser hatte stets Plebejer zu sein.[6] Bei der Übertragung der Kaisergewalt wurden bis ins 3. Jahrhundert imperium proconsulare und tribunicia potestas getrennt aufgeführt.[7] Ein drittes Kaiserrecht war die Bestimmung der ersten fünf Tagesordnungspunkte des Senats (ius quintae relationis).[8] Übertragen wurden die Amtsbefugnisse formal von Senat und Volk, doch fanden seit Tiberius keine Volksversammlungen mehr statt, der Senat vertrat sie. Die Truppen riefen den neuen Herrscher zum imperator aus (acclamatio), der Senat ernannte den neuen Kaiser zum Patrizier, damit zum Senator[9] und legitimierte ihn so. Gegenkaiser galten als Usurpatoren, bis sie sich durchgesetzt hatten, so Vespasian, Septimius Severus, Diocletian und Julian. Mit dem Kaiseramt verbunden blieb das schon von Caesar bekleidete Amt des Pontifex Maximus, das Augustus nach dem Tode des Lepidus 12 v. Chr. übernahm.[10]

Augustus hat sich alle staatlichen Befugnisse einzeln durch Senat und Volk übertragen lassen. Seinen Nachfolgern wurden durch Senatsbeschluß – nolens volens – jeweils dieselben Rechte zugebilligt. Das ergibt sich aus der ‹Lex de imperio Vespasiani›.[11] Sie enthält zugleich die «Dispositionsklausel», die dem Kaiser alles zu tun gestattete, was ihm im Sinne des Staates (ex usu rei publicae) notwendig schien. Daß der Kaiser durch seine Autorität regierte, zeigt sich darin, daß bei seinen Amtshandlungen nie dazugesagt wird, aufgrund welcher speziellen magistratischen Kompetenz sie erfolgten. Er verkörperte die maiestas populi Romani[12], darum wurde die Herabsetzung seiner Würde als crimen laesae maiestatis (Majestätsbeleidigung) geahndet.[13]

c. Absolutismus?

Als Inhaber der delegierten Souveränität und Gesetzgeber[14] war der Kaiser nicht an die Gesetze gebunden: princeps legibus solutus.[15] Von einem guten Kaiser wie Trajan sagte sein Lobredner Plinius[16] allerdings: non est princeps super leges, sed leges super principem (nicht steht der Princeps über dem Gesetz, sondern das Gesetz über dem Princeps). Streit zwischen dem Fiskus und den Bürgern wurde nicht auf dem Verwaltungswege, sondern vor Gericht entschieden,[17] dabei sei der Fiskus bisweilen unterlegen.[18] So stand der Kaiser unter dem Recht, aber es gab keinen Richter über ihm. Wenn er gegen Recht und Sitte verstieß, mußte er mit Verschwörungen rechnen. Tyrannenmord wird in der politischen Ethik der Antike nicht nur geduldet, sondern gefordert. Die reale Machtbasis des Kaisers war der Oberbefehl über das Heer, das er bezahlte. Er war stets der reichste Mann im Staat. Seine Einnahmen flossen aus seiner «Privatprovinz» Ägypten und aus den Steuern der kaiserlichen Provinzen. Aus dem fiscus Caesaris zahlten die Kaiser den Sold und die Veteranenabfindungen.

d. Repräsentation und Titel

Monarchisch war die Repräsentation.[19] In der Öffentlichkeit erschien der Kaiser als Triumphator[20] mit Purpurmantel und Lorbeerkranz, so schon Caesar.[21] Die Strahlenkrone gibt es nur auf bestimmten Münzen, so auch bei Marcus, sie wurde nicht getragen. Auf dem «palatinischen» Hügel, lateinisch Palatium, in Rom,[22] wo Romulus gewohnt haben soll,[23] residierte Augustus.[24] Hier erbaute Domitian (81 bis 96) den «Palast».[25] Augustus (27 v. Chr. bis 14 n. Chr.) imitierte mit seinem Mausoleum das Grab Alexanders des Großen (336 bis 323) und wählte als Ort den campus Martius (das Marsfeld), wo auch die römischen Könige bestattet worden waren.[26] Später wurde den Kaisern ein Feuer vorangetragen.[27] Krone und Thron sind altpersische Herrschaftssymbole.[28]

Das Bildnis des Kaisers erschien auf allen Münzen, seine Statue stand im sacellum (Kultraum) eines jeden Kastells, auf jedem Forum[29] und bot dem Flüchtling Asyl.[30] Amtliche Dokumente beglaubigte Augustus – so wie die orientalisch-hellenistischen Könige und die republikanischen Prokonsuln[31] einschließlich Caesars[32] – mit seinem Siegelring.[33] Er galt als Herrschaftssymbol.[34] Zunächst siegelte er mit dem Ring Caesars,[35] der die Ahnfrau der Julier – der Familie, der er entstammte –, die «siegreiche» Venus Victrix, in Waffen zeigte. Später siegelte Augustus mit einer Sphinx, anschließend mit dem Porträt Alexanders und zuletzt mit seinem eigenen.[36] Dieses letzte Petschaft übernahmen die folgenden Kaiser. Reichssiegelbewahrer war ein Freigelassener.[37]

Name und Titel des Kaisers standen nicht von Anfang an fest.[38] Augustus nannte sich ab 27 v. Chr. Imperator Caesar Divi filius Augustus.[39] «Imperator» war der schon von Caesar als Vorname geführte Feldherrntitel,[40] der durch Ausrufung vom Heer verliehen wurde.[41] Er unterstreicht den militärischen Führungsanspruch und enthält die Blutgewalt außerhalb Roms. «Caesar» war das mit der Adoption übernommene cognomen (Beiname). Damit betonte Augustus seine dynastische Legitimation. «Divi filius» verwies auf die Vergöttlichung Caesars. «Augustus» ist der nach orientalisch-hellenistischer Sitte[42] angenommene charismatische Herrschername. Er ist abgeleitet von augere – «vergrößern» und klingt nach augurium – «Zeichendeutung». Zwischen Titel und Name ist hier nicht zu unterscheiden. Bei Vespasian sind sodann die dem Namen vorgestellten Wörter Imperator Caesar und das nachgestellte Augustus reine Titel, und diese Form blieb kanonisch. Die seit Augustus für den Kaiser übliche Bezeichnung princeps[43] knüpft an seine Stellung als princeps senatus[44] an. Danach nannte Mommsen die Verfassung seit Augustus «Prinzipat».[45]

Auf Inschriften[46] und Münzen erscheinen oft noch Amtstitel: Consul (abgekürzt COS mit Wiederholungszahl), Pontifex Maximus (abgekürzt PM), tribunicia potestas (mit Iteration, der Anzahl, wie oft jemand ein Amt bekleidet hatte), pater patriae (Vater des Vaterlands, abgekürzt PP)[47] und Siegerbeinamen wie Germanicus, Britannicus, Parthicus usw. Als Titel des Thronfolgers bürgerte sich seit Titus und Hadrian Caesar ein. Die Griechen nannten den Kaiser kaisar oder sebastos (Augustus), basileus (König), hēgēmōn (princeps) oder autokratōr (imperator). Aus dem Divi filius wurde ein Theou hyios, aus dem «Sohn des Vergöttlichten» ein «Sohn Gottes».

e. Der Kaiserkult

Die Stellung des Kaisers im Reich kommt nirgendwo so deutlich zum Ausdruck wie im Kaiserkult.[48] Seit Alexander dem Großen wurden die Herrscher regelmäßig mit göttlichen Attributen ausgestattet. In der römischen Republik trug der Triumphator das Kostüm Juppiters. Göttliche Verehrung genoß Romulus, er galt als aufgefahren gen Himmel,[49] ebenso Caesar nach Meinung der Menge, persuasione volgi.[50] Bei Augustus ging die kultische Erhöhung von Städten Kleinasiens aus, wo das Gottkönigtum Tradition besaß.[51] Er gestattete Tempel für sich nur gemeinsam mit der Dea Roma, indem er bevorzugten griechischen Städten die neōkoria (das Recht zu einem Kaiserheiligtum) verlieh.[52] Vereinzelt wurde er als Gott bezeichnet.[53] Bürgerliche Kaiser haben diese Verehrung abgelehnt[54] oder auf ihren Genius, ihren Schutzengel, bezogen; andere haben sich mit diesem identifiziert, so Domitian. Er nannte sich dominus et deus.[55] Die charismatische Qualität der Kaiser zeigte sich in den Wunderheilungen, da sie durch Berührung Lahme und Blinde kuriert haben sollen.[56] Nach der Gleichung «Volkes Stimme – Gottes Stimme» sah man in der Erhebung des Kaisers die Hand des Himmels am Werk.[57] An jedem 3. Januar leisteten Heer und Senat durch öffentliche Gelübde, vota publica, den Eid auf den Kaiser, nachdem sich Augustus vor der Schlacht bei Actium von Italien die Treue hatte schwören lassen.[58] Nach dem Sieg schwur auch der Osten. Die Zahl der Kaiserfeste wuchs, im 4. Jahrhundert waren 27 von 41 Feiertagen dem Kaiserkult gewidmet.[59]

Nach dem Tode eines Kaisers hielt der Senat das Totengericht über ihn. Fiel es gegen ihn aus,[60] wurde sein Name von allen Inschriften getilgt, seine Bilder wurden zerschlagen, seine Erlasse kassiert: das ist die damnatio memoriae.[61] Ging es zu seinen Gunsten aus, so wurde er durch consecratio wie Caesar unter die Götter versetzt, bekam den Beinamen Divus – «vergöttlicht» – und eine Priesterschaft, sodales. Wie andere Götter erhielt er Feste mit unblutigen Opfern. Der Begriff consecratio bezeichnet ursprünglich die Weihung einer Gabe an die Götter, so auch die Einweihung eines Tempels. Daneben bedeutet er auch die staatliche Anerkennung einer fremden Gottheit und in der Kaiserzeit die Apotheose des verstorbenen Herrschers.

Diese consecratio folgte der Bestattung, die zweimal durchgeführt wurde: wirklich und bildlich. Die Leiche wurde verbrannt und dann im Augustusmausoleum, später in der heutigen Engelsburg, der moles Hadriani beigesetzt. Hier standen die Urnen der Kaiser und ihrer Angehörigen von Hadrian bis zu Julia Domna, der Witwe (†217) von Septimius Severus (193 bis 211). Auf dem Marsfeld errichtete man einen prächtigen Scheiterhaufen (rogus), auf dem eine Wachspuppe des Kaisers verbrannt wurde. Aus einem Käfig auf der Spitze wurde ein Adler freigelassen, der den Kaiser auf dem Weg zum Olymp symbolisierte[62] und die Apotheose darstellte.[63]

f. Zentralverwaltung und Hofpersonal

Der Kaiser regierte durch Erlasse (edictum), die auf einem gesiegelten codicillus als Brief den Betroffenen zugestellt wurden.[64] Vielfach handelt es sich um Antworten (rescripta) an Rechtsuchende, auch an Privatleute.[65] In der Regel wurden diese Entscheidungen zuvor beraten. Augustus besaß einen Kronrat,[66] dessen 15 Mitglieder je 6 Monate amtierten.[67] Tiberius[68] (14 bis 37) hatte ein dauerhaftes consilium, ebenso Hadrian (117 bis 138) und Marc Aurel (161 bis 180).[69] Ständige Begleiter nannten sich comites.[70] Auf Reisen gingen Kaiser, wenn Krieg zu führen war – so Augustus, Trajan (98 bis 117) und Marc Aurel –, sonst selten: Nero (54 bis 68) bereiste Griechenland, um sich feiern zu lassen, Hadrian besuchte die Provinzen, um nach dem Rechten zu schauen. Antoninus Pius (138 bis 161) blieb in Italien.[71] Kaiserliche Entscheidungen waren nicht nur aus Rom gültig, denn «Rom ist, wo der Kaiser ist».[72]

Die Hofverwaltung hat sich aus der Privatverwaltung der reichen Römer entwickelt und wurde dabei von hellenistischem Vorbild geprägt. Die entscheidende Gestaltung geht auf den Kaiser Claudius (41 bis 54) zurück.[73] Seit seiner Regierungszeit gibt es die Staatssekretäre: einen (procurator) a libellis, der Eingaben bearbeitete, einen ab epistulis,[74] der die Kanzlei führte, einen a rationibus, der die kaiserlichen Finanzen leitete, einen a studiis, der für die Bildung zuständig war, einen a cognitionibus, der Rechtsfragen klärte,[75] einen a memoria, der das Archiv verwaltete[76] usw. Claudius ernannte dazu Freigelassene, Hadrian equites, Angehörige des Ritterstands.[77]

Das Gesinde am Hof bestand aus Freien,[78] Sklaven und Freigelassenen; unter den etwa 4000 aus Inschriften namentlich bekannten Angehörigen der familia Caesaris befinden sich ungefähr 2500 Freigelassene, die den Gentilnamen des Kaisers trugen, Claudius unter Tiberius, Aelius unter Hadrian, Aurelius unter Antoninus Pius. Die meisten kennen wir von den Inschriften vor dem loculus, der Nische mit ihrer Urne in den für sie angelegten, mit Mosaiken und Wandmalereien ausgeschmückten «taubenhausähnlichen» Columbarien. Ein Finanzangestellter des Tiberius hatte als servus ordinarius sechzehn namentlich genannte Untersklaven, darunter einen Arzt, einen Kämmerer, einen Kleiderwärter, Köche und Silberdiener.[79] Das war kein Einzelfall. Ein Sklave des Claudius besaß eine Silberschüssel von 500 römischen Pfund, 160 Kilo, hergestellt in einer eigens dafür errichteten Werkstatt; acht Mitsklaven besaßen halb so schwere Schüsseln.[80] Die servi Caesaris standen in einem öffentlich-rechtlichen Verhältnis und waren in elf Gehaltsklassen eingestuft. Sie konnten Ehen mit freien Frauen schließen und wurden in der Regel im Alter zwischen 30 und 35 Jahren freigelassen. Zuweilen haben sie sich freigekauft, so ein Verwalter unter Nero, der 13 Millionen Sesterzen zusammengespart hatte.[81] Die Sklaven und Freigelassenen am Hof trugen meist griechische Namen, das verweist auf ihre Herkunft.

So wie die Tyrannen und Könige der Griechen umgab die Kaiser ein repräsentativer Hofstaat.[82] Augustus schätzte alle Dichter, die ihm sein Freund und Berater Maecenas zuführte. Vergil, Horaz, Properz und Ovid haben sein Lob gesungen.[83] Am Hofe finden wir Philosophen, Rhetoren und Pädagogen, Leibärzte,[84] eine Pagenschule,[85] Kammereunuchen,[86] Lakaien und Zofen[87]. Wir kennen Vorkoster,[88] Gold- und Silberverwalter, Masseure,[89] Köche und Oberköche,[90] Kleiderwächter, Bibliothekare und Inhaber ähnlicher Posten.[91] Nero ernannte Petron, den Schöpfer des köstlichen «Trimalchio», zum arbiter elegantiae,[92] zum Bevollmächtigten für den feineren Geschmack.

g. Kaiserin, Familie und Nachfolge

Alle bedeutenden römischen Kaiser waren verheiratet. Die Kaiserinnen[93] stammten gewöhnlich aus senatorischen Familien, nie aus außerrömischen Herrscherhäusern.[94] Augustus verlieh seiner Gemahlin Livia[95] testamentarisch den Beinamen Augusta,[96] den in der Folgezeit viele Frauen und Schwestern von Kaisern auf Senatsbeschluß erhielten. Die Kaiserin hatte jeweils eigene Besitzungen,[97] einen eigenen Siegelring[98] und eigenes Personal.[99] Sie genoß Ehren ähnlich denen der Kaiser, erhielt Statuen und Münzen mit ihrem Bilde. Unter den Ehrenbeinamen finden sich dea (Göttin) und genetrix orbis (Stammutter des Erdkreises) für Livia,[100] mater castrorum (Mutter der Militärlager) für Faustina Junior, die Ehefrau Marc Aurels.[101] Politische Rechte besaß die Kaiserin ebensowenig wie Frauen sonst.[102] Anders als der Kaiser stand die Kaiserin nicht über den Gesetzen, doch verliehen ihr die Kaiser Privilegien.[103]

Familiär motiviert war die Nachfolge- und Personalpolitik. Die Vererbung des Prinzipats war staatsrechtlich nicht festgelegt, aber galt als selbstverständlich.[104] Das entsprach dem dynastischen Empfinden der Legionen. Der Anspruch auf die Nachfolge beruhte auf dem Grade der Nähe zum Kaiser.[105] Durch Adoptionen aus der Verwandtschaft haben schon Caesar und Augustus dafür gesorgt, daß Nachfolger aus der Familie zur Verfügung standen.[106] Wichtige militärische Aufgaben wurden nach Möglichkeit Angehörigen des Kaisers übertragen. Quinctilius Varus, der Heerführer im Teutoburger Wald, war mit einer Nichte des Augustus verheiratet.

h. Der Senat

Die einzige Instanz eigenen Rechtes im Prinzipat neben dem Princeps war der Senat. Mommsen[107] sprach von einer «Dyarchie» (Zweierherrschaft). Praktisch aber hat der Senat seit 42 v. Chr. jede politische Eigenständigkeit verloren. Dennoch blieben Träger der Souveränität Senatus Populusque Romanus, SPQR. Nach der Ausweitung unter Caesar wurde die Zahl der Senatoren 18 v. Chr. wieder auf 600 Mitglieder herabgesetzt[108] und ein förmlicher Senatorenstand geschaffen. Er bestand aus einer traditionsstolzen, kulturbewußten Grundbesitzerklasse. Augustus setzte fest, daß Senator nur sein könne, wer 1.200.000 Sesterzen besaß[109] und einen senatorischen Vater oder Großvater hatte. Der Eintritt in den Senat erfolgte normalerweise durch die Wahl zum Quaestor, worauf die zum Aedil, Praetor und Konsul folgen konnte. Vorgenommen wurde das nicht mehr wie in der Republik durch die Volksversammlung, sondern durch den Senat gemäß den Empfehlungen des Kaisers. Praetur und Konsulat befähigten «Prokonsuln» zur Statthalterschaft in den senatorischen Provinzen und kaiserliche Legaten zum Kommando von Legionen sowie zur Verwaltung von Kaiserprovinzen im Grenzbereich. Gewesene Konsuln bildeten die Führungselite im Reich. Sie stammten so wie die Senatoren ursprünglich aus Rom und Italien, im 1. Jahrhundert auch aus den Westprovinzen und im 2. Jahrhundert vielfach aus dem Osten, aus Syrien zumal, jedoch nicht aus Griechenland oder Ägypten.

Um die Ritter- und Senatorenschicht zu erhalten, erließ Augustus 18 v. Chr. die lex de maritandis ordinibus[110] und 9 n. Chr. die lex Papia Poppaea.[111] Diese Ehegesetze benachteiligten den Unverheirateten und bevorzugten den Verheirateten je nach Kinderzahl.[112] Nach ihr wurde beispielsweise entschieden, wer Praetor wurde.[113] Erfolg war dieser Familienpolitik nicht beschieden.[114] Unter Caesar gab es in Rom noch 45 alte Patrizierfamilien, unter Trajan noch eine einzige.[115] So geschah doch, was bereits Caesar erstrebt hatte: Der Senat ergänzte sich aus romanisierten Provinzialen. Im 1. Jahrhundert wurden Angehörige der Westprovinzen Senatoren, im 2. Jahrhundert Orientalen, im 3. Jahrhundert Afrikaner und Illyrer.[116] Gegen Ende des 2. Jahrhunderts war der Anteil der Italiker auf knapp die Hälfte gesunken. Gleichzeitig löste sich die Senatorenwürde von der regelmäßigen Teilnahme an den Senatssitzungen. Da alle Beamten der senatorischen Laufbahn die Senatorenwürde erhielten, gab es derartige Ehrensenatoren schließlich in allen Provinzen. Ihre Güter unterstanden nicht der munizipalen Verwaltung, sondern den Statthaltern.

Der Senat tagte zweimal im Monat[117] in der Curia Iulia oder einem Tempelareal.[118] Seine politische Bedeutung schien zunächst dadurch zu steigen, daß ihm Rechte der Volksversammlung übertragen wurden. Seit Tiberius wurden die Magistrate nicht mehr von den comitia, sondern auf Wunsch des Kaisers vom Senat bestimmt.[119] Auch die Gesetzgebung kam vom Volk an den Senat, der dieses Recht der Form nach neben dem Kaiser ausübte.[120] Dem Senat oblag die Rechtsprechung über Personen senatorischen Standes.[121] Nur tyrannische Kaiser beanspruchten sie.[122] Die letzte Appellationsinstanz wurden die praefecti praetorio bzw. der Kaiser, doch gab es stets auch Immediateingaben.[123] Senatsbeschlüsse und andere Neuigkeiten wurden durch die von Caesar eingeführten Acta diurna oder Acta Urbis, eine staatliche Wandzeitung, verkündet. Auszüge bietet die Vita des Commodus.[124]

In der Finanzverwaltung zeigte sich Augustus als der Enkel eines Bankiers.[125] Er beließ dem Senat nominell die Bronzeprägung der Sesterzen, während aurei aus Gold und Denare aus Silber vom Kaiser gemünzt wurden. Der Senat kontrollierte das aerarium Saturni. Es befand sich sinnigerweise im Gewölbe unter dem Tempel für Saturn-Kronos, den Herrscher des «goldenen» Zeitalters.[126] Die Einnahmen flossen aus den Senatsprovinzen.[127] Es verlor an Bedeutung gegenüber dem fiscus Caesaris, der aus den Kaiserprovinzen gespeist wurde.[128] Eine gewisse Selbständigkeit verblieb dem Senat während der Interregna. Seine Zustimmung[129] legalisierte den von den Truppen ausgerufenen neuen Imperator.

i. Das Heer

130sacramentumnatalis Augustidies imperiifidespatronuscliensexercitus meus131exercitus populi Romaniauspicia