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Roman Nies

Im Vertrauen auf den Vollender

Der Philipperbrief

Im Vertrauen auf den Vollender

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Der Philipperbrief

Eine heilsgeschichtliche Auslegung

von

Roman Nies

Inhalt

Einführung

1. Die Aufgabe im Heilsplan

2. Die Aktivierung des Evangeliums

3. Zuversicht und Widerstand

4. In Christus leben und sterben

5. Standhaft kämpfen

6. Die Christusgesinnung

7. Alle Knie und alle Zungen

8. Vom Ernst des Wollens

9. Zweifellos tadellos

10. Freude der Hingabe

11. Die Christushaber und die Bedrohung

12. Warnung vor dem Gesetz

13. Die Zielsetzung

14. Die Feinde

15. Das Bürgerrecht zur Herrlichkeit

16. Freude

17. Dem Frieden nahe sein

18. Rechtes Bedenken

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Einführung

Wie man aus dem historischen Bericht des Lukas, eines Reisebegleiters des Apostels Paulus, entnehmen kann, war Philippi, die erste Stadt auf dem europäischen Festland, die Paulus betrat und missionierte. Er traf dort als erstes Lydia an und brachte sie zum Glauben (Ap 16,11ff). Sie war somit vielleicht die erste Christin Europas, auch wenn sie aus Thyatira in Kleinasien stammte. *1 Hier in Philippi gründete Paulus also die erste Gemeinde in Europa. *2 Philippi war um 356 v.Chr. durch Philipp II. von Mazedonien gegründet worden. Die Römer siedelten dort viele Veteranen an.

Weder über die Abfassungszeit des Briefes, noch über den Abfassungsort herrscht Klarheit. Paulus hat den Brief während einer Haft geschrieben (Phi 1,7.13.16f). Da er mehrfach in Haft war, ist unsicher um welche es sich handelt. Vieles spricht für Rom. *3 Aber Paulus war im Lauf der Jahre mehrfach mit Bewohnern der Städte, ihren religiösen Gruppierungen und Interessengruppen zusammengestoßen. Jedenfalls war er nach Ap 16,23 in Philippi daselbst in Haft und in Caesarea Maritim nach Ap 25,4ff. Nach 2 Kor 11,24-25 hat er acht Mal Prügel bezogen und einmal ist er sogar gesteinigt worden. Und auch die Apostelgeschichte, die nicht den Anspruch hat, eine Biographie von Paulus zu sein, belegt, dass Paulus oftmals in Gefahr war, weggesperrt zu werden. Aus 2 Kor 1,8-9 ist zu folgern, dass Paulus auch in Ephesus in Haft war, auch wenn diese vielleicht nur kurz war. *4

Die Historiker setzen den Brief nicht später als im Jahre 60 an und vermuten, dass er nicht vor dem Jahr 50 geschrieben worden ist. Die Gründung der Gemeinde dort begann an einem Sabbat, weil sich nämlich die Juden am Sabbat versammelten und an anderen Tagen arbeiteten. *5 Das galt anscheinend auch für Lydia, obwohl sie keine Jüdin war, sonst hätte sie Lukas nicht als „Gottesfürchtige“ bezeichnet, die spezifische Bezeichnung eines am Judenglauben interessierten Nichtjuden (Ap 16,13). Sie wird „mit ihrem Haus“ *6 getauft und „glaubt“ nun „an den Herrn“ (Ap 16,15).

Der Bericht in der Apostelgeschichte zeigt außerdem, dass es in der Stadt Wahrsager gab, deren Geschäfte reichlich Gewinn abwarfen. Und weil Paulus diese Geschäfte gefährdete, warf man ihn ins Gefängnis. Das mehrheitlich nichtjüdische Volk „wandte sich gegen sie“. Man liest aus dem Bericht auch, dass man die Christen als Juden betrachtete (Ap 16,20) und dass das schon an sich nicht begrüßenswert war. Die Juden waren im Römischen Reich privilegiert, weil sie den Kaiser nicht als Gottmensch verehren mussten und ihre Religion ungestört ausüben durften. *7 Das schürte bei nichtjüdischen Minderheiten Neid und Eifersucht. Der eigentliche Grund für die Abneigung gegenüber den Juden, wenn sie nicht einer tieferen geistlichen Ursache hatte, dürfte aber ihr religiöser Separatismus gewesen sein. Im Unterschied zu den anderen Völkern im Römischen Reich, verehrten sie nur einen Gott und erklärten alle anderen Götter für Nichtse. Das wurde als dreiste Ignoranz und Intoleranz betrachtet. Ähnlich geht es heutigen Christen, die an die Bibel glauben und die zahlreichen Götzen und Ersatzgötter in der Gesellschaft, in der sie leben, ablehnen. Vertrauen in den Gott, der Himmel und Erde erschaffen hat, war schon immer ein Grund für die Ausgrenzung.

Paulus und sein Begleiter Silas wurden, nachdem sie mit Stöcken geschlagen worden waren, in Philippi ins Gefängnis geworfen (Ap 16,22-23). Der Kerkermeister, der anscheinend ein Römer war, *8 bekehrte sich ebenfalls, nachdem er etwas erlebt hatte, was vernünftigerweise nur mit der Erklärung von Paulus als ein übernatürliches Geschehen in Übereinstimmung zu bringen war (Ap 16,25-33).

Paulus und Silas werden ganz offiziell wieder frei gelassen, gehen daraufhin nochmals zu Lydia und zu den Brüdern und Schwestern (Ap 16,40), ehe sie die Stadt auf Anraten der Behörden verließen. Dennoch verkündeten die beiden auch in der nächsten Stadt, in die sie kamen, das Evangelium. Das war dann in Thessalonich (1 Thes 2,2).

Die Reise des Apostels Paulus war gekennzeichnet von einem ständigen Wechsel zwischen Schock und Begeisterung. Schock, weil zunächst vieles gehörig schief zu laufen schief. Begeisterung, weil Gott nachhaltig und spektakulär eingriff. So verläuft ein stressiges, aber auch gesegnetes Leben! Ein Auf und Ab an Niederlagen und Katastrophen, Erfolgen und Glücksmomenten. Wer dem „Geh` mit Gott, aber geh`!“ ernsthaft Folge leistet, wird nicht selten eine ähnliche bewegte Biographie haben. Mit Philippi verbindet Paulus angenehme mit weniger angenehmen Erinnerungen. Lebensfreude und Lebensgefahr lagen eng beieinander. Da lebt der Mensch am intensivsten. Und wenn er es überlebt, neigt er dazu, das Gute in den höchsten Tönen zu loben und das weniger Gute zu verharmlosen oder zu beschönigen, wobei die dramatische Übertreibung im Nachhinein auch der „Beschönigung“ dient. Mit den Schriften der Bibel hat man es diesbezüglich mit einfachen Texten zu tun, denn man hat eine unbezahlbare Sicherheit: sie sind wahr. Bei allen anderen Texten muss man sich zuerst einmal fragen, ob sie wahr sind.

In den eigenen Worten von Paulus erlitt er auf seiner Reise durch Makedonien, die Provinz, in der auch Philippi lag, „von außen Kämpfe, von innen Ängste“ (2 Kor 7,5). Die Gemeinde in Philippi bekam einiges von diesen Kämpfen und Ängsten ab. *9 Mit Lydia und den anderen gläubigen Philippern, die das alles miterlebt hatten, verband Paulus selbstverständlich ein besonderes Band der Zusammengehörigkeit.

Es ist verschiedentlich darauf hingewiesen worden, dass der Brief an die Philipper der siebte und letzte Brief von Paulus an eine Gemeinde war. Das ist keinesfalls erwiesen. Sieben ist eine Zahl, die im biblischen Kontext oft einen Zusammenhang mit der Vollkommenheit herzustellen scheint. Tatsache ist, dass der Philipperbrief wichtige Ergänzungen zu den anderen Briefen hinsichtlich seiner Lehren liefert. Und gerade der Philipperbrief enthält ausdrücklich einen Hinweis auf die schöpferische Vervollkommnung des Menschen durch die Heilswirksamkeit des Heilandes Jesus Christus. Wüsste man von keinem anderen biblischen Buch, so würde schon der Philipperbrief allein das Beste der Menschheitsphilosophien vom Kopf auf die Füße stellen und das Meiste was Menschen dazu als Beiwerk ersonnen haben als unbedeutend zurückstufen. Der Philipperbrief ist ein Dokument der Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Er braucht aber die Ergänzung durch weitere Dokumente mit himmlischem Siegel und diese weiteren Dokumente werden bereichert durch den Philipperbrief. Da er aber ein authentisches historisches Dokument in Briefform ist, enthält er auch die Merkmale und Inhalte eines Briefes, und zwar eines seelsorgerischen Briefes.

Der Grund, diesen Brief zu schreiben, müsste zunächst einmal Paulus selber angeben. Und er macht den Grund, bzw. die Gründe recht klar. Er hat nämlich vor denen zu warnen, die nach ihm nach Philippi gekommen sind und ihre Version von Wahrheit und Evangelium anstelle dessen setzen wollten, was Paulus dort groß und standfest gemacht zu haben glaubte. Man bedenke, Paulus war nur eine begrenzte Zeit in einer römischen Stadt, Philippi, geblieben, wo ihn die Bevölkerung nicht mochte. Nur bei einem kleinen Bruchteil der Bewohner war er mit seiner Botschaft auf Gegenliebe gestoßen. In dieser begrenzten Zeit konnte er keine ausformulierte Auslegung der biblischen Bücher hinterlassen und dazu noch die Bedeutung des gekommenen Messias Jesus Christus hieb und stichfest ausbreiten und im Gedächtnis der Gemeinde hinterlegen. Paulus konnte nicht mal geschwind zum Telefon greifen oder sich ins Flugzeug setzen. Und jetzt war er auch noch in Gefangenschaft!

Und so war es nötig einen Lehr- und Ermahnbrief zu schreiben, ebenso wie er auch schon an andere Gemeinden Lehr- und Ermahnbriefe zu schreiben hatte. Man muss also von solchen Briefen, da sie authentisch sind, erwarten, dass sich in ihnen neben Lehrsätzen auch solche Worte der Ermahnung, der Warnung und der persönlichen Aufmunterung oder auch des Tadels finden lassen. Dahingehend spielt es auch keine große Rolle, ob sich der Brief vielleicht aus ursprünglich zwei Briefen zusammensetzt, oder ob es nur eine Spekulation mancher Theologen ist.

Vor was mussten die Philipper gewarnt werden? Vor den gleichen geistlichen Gefahren wie auch die übrigen Briefempfänger in anderen Gemeinden. Die Gefahren kamen von zwei Seiten, der jüdischen und der heidnischen. Von der Heidenseite kam der Götzendienst als Gefahr für die „christliche“ Bewegung, aus der Quelle der widerbiblischen Religion und der widerbiblischen Philosophie. Das „Wider“ umfasst zwei Möglichkeitsformen. Eine objektive und eine subjektive. Das ist zu vergleichen mit kirchlichen Lehren. Manche sind widerbiblisch, weil sie von Menschen ersonnen wurden, die zwar Gott dienen wollen, denen es aber nicht gegeben ist. Andere stammen aus einer anderen Quelle als dem guten Wollen des Menschen. Paulus hätte die Feindseligkeiten gegenüber seiner Verkündigung nicht unbedingt „widerbiblisch“ genannt. Zu seiner Zeit setzten die Gläubigen die Aussagen der heiligen Schrift noch mit den Aussagen Gottes gleich. Von der Judenseite kam die ablehnende Einstellung gegenüber der neuen Erscheinung des „Christentums“, die alle zunächst noch als jüdische Sekte verstanden. Verschiedene Autoren nennen diese Einstellung Judaismus, wohl auch, um es nicht gleichsetzen zu müssen mit dem Judentum. Paulus wurde nicht nur verfolgt von Juden, sondern auch gefolgt. Folgsam sein, sollte eigentlich eine freundliche Nachfolge sein. Paulus erlebte öfter die unfreundliche Variante des Nachfolgens. Man reiste Paulus hinterher, genauer gesagt, man lehrte Paulus hinterher, um das „richtig“ zu stellen, was er nach Meinung der jüdischen Rabbis völlig falsch darstellte. Was Paulus aufbauen wollte, wollten sie wieder niederreißen. Und zum Teil ist es ihnen, jedenfalls, was die förmliche Religion anbelangt, gelungen. Und sie glaubten dabei natürlich, einen Gottesdienst zu tun. Wenn man einer Denkweise aus tiefer Überzeugung folgt, sitzt sie unlösbar fest und kann nicht mehr, außer durch eine andere, tiefere Überzeugung abgelöst werden. Der christliche Glauben, sofern er biblisch ist, ist die tiefste Überzeugung, die man haben kann, weil sie auf Wahrheit gegründet ist. Man steht immer fester auf festem Untergrund, als auf schwankendem.

Von einer Wahrheit kann man grundsätzlich tiefer überzeugt sein als von einer Unwahrheit. Die Wahrheit ist, wenn sie Wahrheit ist, an sich absolut. Die Unwahrheit kann nur eine relative Beziehung zur Wahrheit haben. Dann muss aber die größte Wahrheit, d.h. die Zusage Gottes, denn jedes Reden Gottes stellt die größte Gewissheit dar, immer auch zu einem größten Vertrauen und der größten Zuversicht führen können, während jegliche Form von Unwahrheit immer nur eine relative Gewissheit, die den Irrtum mit einschließt und nicht ausschließt, auslösen und unterhalten kann, bis sich herausgestellt hat, dass sie unwahr ist.

Paulus geht es darum, dass die Philipper an Liebe und Erkennen Jesu Christi noch mehr zunehmen. Daher will er ihnen verdeutlichen, dass sie dazu auch, wie er es gerade eben eindringlich erlebt, bereit sein müssen, einen Weg des Leidens und Kampfes zu gehen. Da gibt es äußere Feinde, aber auch innere Widerstände. Es entsteht also ein zweifacher Glaubenskampf. Christus anzustreben als Vorbild, Mitte und Ziel des Lebens, verlangt Opferbereitschaft, aber auch die Stärkung der geistlichen Tugenden, die Paulus daher auch anmahnt.

Christuswachstum ohne Tugendwachstum gibt es nicht.

Am Anfang jedes geistlichen Wachstums steht aber immer die Gnadenzuweisung Gottes als erster Schritt der Christuswerdung. Die Christuswerdung betrifft jedes einzelne Glied am Leibe Christi, aber deshalb eben auch den ganzen Leib. In den Briefen von Paulus steht neben der Christuszentrierung des Glaubenslebens auch die Ethik der Lebensführung, weil beide organisch zusammengehören. *10 Erkenntniswachstum über die Wege Gottes mit Seiner Schöpfung ist nicht losgelöst von der praktischen Konsequenz wie man nun selber die Erkenntnis an sich wahr werden lässt und dadurch auch ein Zeugnis für Christus in der Welt, die Christus ablehnt, wird. Sie führt daher auch zur Christus eigenen Tugendhaftigkeit, die man sich als Lebensweise zulegt. *11 Zu den äußeren Feinden gehören in Philippi die heidnischen Römer, die wie die fest eingesessenen übrigen Bewohner keine Gefährdung ihrer öffentlichen Ordnung und wirtschaftlichen Interessen dulden können. Wie sich aber sehr bald herausstellte, gehörten zu den äußeren Gegnern auch Juden, sofern ihnen die unerwünschte Sekte ein Dorn im Auge war. Daher kommt Paulus auch in diesem Brief auf die Notwendigkeit der Abweisung der jüdischen Lehren zu sprechen. Man erfährt nicht, ob es in Philippi überhaupt eine Synagoge gab, denn die „Gottesfürchtigen“ versammelten sich im Freien oder in Privathäusern (Ap 16,13). *12 Wen Paulus in seinem Brief als „böse Arbeiter“ bezeichnet, ist ungewiss, außer dass es Juden sein müssen, die noch dem orthodoxen Glauben, den von den Vätern hergebrachten Glauben, zumindest im Wesentlichen, anhingen. Und auch in Philippi dürfte sich gezeigt haben, dass jene Juden ein viel stärkeres Interesse haben mussten, die „Gottesfürchtigen“, also jene Nichtjuden, die den Gott Israels anbeteten, für sich zu gewinnen, die selber nicht nur an den Gott Israels glaubten, sondern auch an Seinen Messias Jesus Christus. Sie sagten sich, wenn es schon Heiden gab, die auf den Gott Israels hören wollten und wie wir in Jesus den Messias verstehen, dann sollen sie aber auch recht unterwiesen werden. Und „Torah“ bedeutet so viel wie „Unterweisung“. Die „Torah-Christen“, die man auch „Beschneidungs-Christen“ nennen kann und sicherlich in der Anfangszeit die große Majorität der zu Jesus bekehrten Christen stellten, waren natürlich Juden und ihren Ursprung hatten sie in Jerusalem. Sie nahmen für sich, nicht ganz zu Unrecht, in Anspruch, dass sie das lehrten, was auch die anderen Apostel, mithin die ersten Christusgläubigen gelehrt hatten und noch lehrten. Wichtige feine Unterschiede nahmen sie wohl eher nicht zur Kenntnis. Daher kann man davon ausgehen, dass sie nicht von den anderen Aposteln, die das Evangelium der Beschneidung verkündeten, beauftragt waren, den Gemeindegründungen von Paulus einen Besuch abzustatten. Sie handelten im eigenen Auftrag und im eigenen Interesse. Aber auch in der eigenen Irrtümlichkeit.

Das sind die Themen bei Paulus: Ermahnung zur Rechtgläubigkeit und zur christlichen Tugendhaftigkeit. Festhalten an seiner Lehre. Zentrierung des Lebens auf Christus. Zeugnis für die Welt und schließlich auch Ablehnung des Halbfertigen aus dem Judentum, da man doch die Fülle in Christus hatte. Paulus verlangte konsequente Konsequenzen. Paulus war der Verkündiger des Evangeliums der Unbeschnittenheit. Und damit stand er weitgehend allein auf weiter Flur! *13

Beinahe gelangt man zu dem Eindruck, der kurze Philipperbrief sei ein letztes geistliches Vermächtnis, das in aller Eile und mit letzter Kraft geschrieben worden ist, von einem Häftling, der damit rechnen muss, dass sein Lauf sehr schnell beendet sein kann. Dass der Brief überhaupt entstanden ist, verdanken die Philipper dem Umstand, dass sie Epaphroditus zur Unterstützung von Paulus nach Rom geschickt haben. Das lässt vermuten, dass sie nichts davon wussten, dass Paulus in Rom Freunde hatte, die das viel einfacher und schneller leisten konnten. Paulus erstattet hier seinen Dank.

Man hat den Philippern nachgesagt, was man aus dem Brief herauszulesen glaubte, dass sie ein besonders inniges Verhältnis zu Paulus hatten. Man erfährt aus der Apostelgeschichte und aus den Briefen von Paulus nichts darüber, dass zu den Bekehrten in Philippi auch Juden gehörten. Wenn es nicht einmal eine Synagoge gab, kann eine jüdische Gemeinde auch nicht zahlreich gewesen sein. Wenn es aber weit überwiegend oder ausschließlich Nichtjuden waren, die sich der Gemeinde anschlossen, dürfte es ihnen weniger schwer gefallen haben, paulusfeindlichen Lehren entgegengetreten zu haben. Sie dürften als Nichtjuden kaum die relative Bedeutung von Torah und Beschneidung, die Paulus vertrat, zurückgewiesen haben. Dafür dürfte es für ankommende Torahlehrer aus dem Kern des jüdischen Glaubensgebietes schwer gewesen sein, in Philippi Fuß zu fassen. Das wiederum hat Paulus die Philipper besonders ins – menschliche – Herz schließen lassen.

Paulus fängt seinen Brief mit der Selbstvorstellung als „Knecht Christi Jesu“ an. Dass er auch Apostel ist, steht nicht im Blickpunkt. Wenn man den persönlichen Stil des Briefes an seine geliebten Philipper, die ihm so viel Freude bereitet haben, berücksichtigt, scheint er um die Festigkeit der Philipper, in dem zu bleiben, was er ihnen beigebracht hat, zu wissen. Und so legt er auf einen anderen Aspekt seines Dienstes Wert. Es ist ein Dienst an den Philippern, aber es ist auch ein Dienst von und für Christus Jesus. Daher nennt er sich „Knecht“. Ein treuer Knecht steht seinem Herrn oft näher und ist mit ihm mehr verbunden als so manches Familienmitglied, jedenfalls aber mehr als so mancher bloß erklärter Freund.

Manche Ausleger wollen in den Bezeichnungen für den Messias einmal als Jesus Christus und dann als Christus Jesus einen Hinweis erkennen. Da Jesus für „JHWH rettet“ steht und Christus für „Maschiach“, was so viel wie „Gesalbter“ bedeutet, würde eine Voranstellung des einen gegenüber dem anderen auf eine Hervorhebung in der Reihenfolge hindeuten können. „Christi Jesu“ zeigt demnach an, dass Paulus und Timotheus als Knechte Gottes zuerst im Dienst des Christus, also des Messias Israels stehen, dann auch im Dienst des Jesus, der der persönliche Erlöser und Heiler aller Menschen ist. Diese Bedeutung würde gerade für den Philipperbrief überraschen, da die Gemeinde zu Philippi anscheinend mehr Nichtjuden hatte als Juden und der Brief auch keine Anhaltspunkte gibt für eine Auseinandersetzung mit der Lehre vom bald kommenden messianischen Reich und der Erfüllung der Verheißungen Israels. Jesus war in erster Linie der Christus für Israel.

Nach der Identifizierung der Botschafter folgt der Adressat. Hier zeigt schon die Aufzählung „allen Heiligen in Christus Jesus, die in Philippi sind, samt den Aufsehern und Dienern“, dass für Paulus alle Gläubigen Heilige sind. Wenn man, wie die katholische Kirche, lehrt, dass nur die von der Kirche geheiligten Katholiken Heilige sind, *14 müsste man hier Paulus unterstellen, dass er nur mit den Großen des Glaubens redet und die Kleinen nicht für Wert hält, mit angesprochen zu werden. Das ist offenkundig Unsinn. Die „Heiligen“ sind alle Gläubigen und ihnen allen wird auch der Brief in der Gemeinde vorgelesen. Ob es auch „katholische“ Heilige gibt, ist eine ganz andere Frage. *15

„Heiliger“ bedeutet biblisch, von Gott zu einem besonderen Dienst herausgenommen aus der Masse derer, die nicht oder noch nicht dienen sollen. Was unter Dienst zu verstehen ist, ist auch das Thema des Briefes, denn die Philipper werden dazu aufgerufen, treue Nachfolger Jesu zu sein und sich gegen weltliche und antichristliche Anläufe zu verwahren. Sie legen damit auch ein Zeugnis ab, das später wie ein Keim aufgehen soll. In diesem Dienst für Gott ein Zeuge für das Evangelium zu sein, ist man immer ein heiliger Diener, weil man für diesen Dienst auserwählt ist. Und manche dieser „Diener“ dienen dann dem Dienst und den Dienern in einer besonderen Weise, die man nicht Tugendhüter nennt, sondern „Aufseher“. Die Aufseher geben Rückmeldung über die Dienste und ergeben ein Korrektiv, vorausgesetzt sie sind dabei vom Geist Gottes geleitet.

„Aufseher“ und „Diener“ sind also diejenigen, die in der Gemeinde eine dienende Funktion haben. Das zeigt sich auch bei Ansprachen von Paulus andernorts (1 Tim 3,1-2; Tit 1,7). Sie haben gewissermaßen einen doppelten Dienst. Das griechische Wort „episkopos“ bedeutet „Aufseher“, „Hüter“, „Schützer“ und damit auch im übertragenen Sinn „Hirte“. Der erste unserer Hüter und Hirten ist natürlich Jesus Christus selbst. Das Wort wird auch mit „Bischof“ übersetzt. *16 Eine formelle Hierarchie gab es weder bei Paulus noch bei Jakobus, der die Jerusalemer Gemeinde behirtete oder Petrus, der vermutlich der Wander-Hirte der Jerusalemer Gemeinde war. Eine formelle Hierarchie herzustellen, muss nicht per se eine unbiblische Ordnung aufbauen. Vielmehr muss man die geistliche Substanz von Hierarchien und kirchlichen Strukturen immer nach der Lehre beurteilen. Die Frage, ob eine Kirche berechtigt ist, Bischöfe mit umfassender Vollmacht auszustatten, unbiblisch ist, sollte zu allererst daran Interesse haben, aufzuklären, ob diese Kirche überhaupt biblische Lehren vertritt. *17

Wegen der geistlichen Nähe der Philipper zu Paulus, die durch seine mehrfach ausgedrückte Sympathie für sie, anzunehmen ist, ist es unwahrscheinlich, dass die Philipper jemals einen anderen Apostel zu sehen bekommen haben. Sie waren keine Synagogen-Christen und sie waren keine Petrus-Christen. Weder Jakobus noch Petrus haben Gemeinden gegründet, im Unterschied zu Paulus, muss man annehmen. Der Grund dafür ist schnell zu finden. Paulus predigte das Evangelium der Unbeschnittenheit. *18 Dass dieses Evangelium ausgerechnet mit dem Körperteil in namentlichem Zusammenhang gebracht wird, auf den der Mann am ehesten verzichten kann, könnte Zufall sein, zumal ersichtlich ist, dass es bei der Namensgebung darauf ankam, den Gegensatz zum „Konkurrenz-Evangelium“ aufzuzeigen. Wenn es den jüdischen Gläubigen so wichtig war, ihrem Evangelium immer die Frage voranzustellen, ob jemand beschnitten war und geglaubt wurde, dass man ohne Beschneidung kein Mitglied des Heilsvolkes Israel sein konnte, dann konnte einer wie Paulus noch einmal mit der Namensgebung für die eigene Verkündigung verdeutlichen, wie banal und randläufig die Beschneidung für einen nichtjüdischen Messiasgläubigen sein sollte. Weitere Überlegungen dazu müssen sich mit der Frage beschäftigen, warum Gott überhaupt die Beschneidungspraxis einführen ließ. Er schloss einen Beschneidungsbund mit Seinem Volk als Zeichen dafür, wer dazu gehörte. *19 Wer Angehöriger seines Volkes war, sollte nicht an äußerlichen Dingen erkannt werden. Erst wenn ein Mann entblößt war, wusste man, wer er war. Kleidung sagt nichts dazu aus, ob man zum physischen Volk Gottes dazugehört, weil sie leicht zu wechseln ist. Ein körperliches Merkmal ist unverwechselbarer. Wenn es nicht offensichtlich ist, dann kann es doch im Zweifelsfall nachgewiesen werden. Außerhalb Israels konnte ein Mann in substantielle Bedrängnis kommen und dabei doch noch ein Zeugnis seiner Herkunft ablegen. Die von Paulus eingeführte Nichtbeschneidung für Nichtjuden, die vorher noch als Proselyten beschnitten worden wären, war für traditionelle Juden eine Unmöglichkeit, heute würde man sagen „unbiblisch“. Was Paulus hier einführte, war für orthodoxe Juden ein Unding. Das kann man verstehen.

Die Nichtbeschneidung jener, die den Gott Israels anbeten, zeigt dann konsequenterweise nämlich, dass es ein neues Volk gibt. Wo steht dieses Volk in Bezug auf Gott? Und wo steht es in Bezug auf Israel? Paulus hätte auf diese Fragen geantwortet, dass dieses neue Volk nicht Adressat der israel-spezifischen Verheißungen sein würde, weil es andere Segnungen hat, so wie es auch andere Dienste zu bewältigen hat. Wann immer sich Juden und Nichtjuden der paulinischen Glaubensrichtung anschlossen, mussten sie sich von der örtlichen Synagoge getrennt einen Ort und eine Art des Zusammenseins suchen. Dazu blieben nur Versammlungen im Freien oder in den Häusern.

Im Unterschied dazu predigten die anderen Apostel das Evangelium der Beschneidung. Dazu suchten sie die jüdischen Diasporagemeinden des Römischen Reiches auf. Sie brachten also ihre Botschaft den bereits bestehenden Diasporagemeinden. Sie hatten weit weniger Provokantes in ihrer Verkündigung als Paulus und hatten dementsprechend keine „Nacheiler“, die sich mächtig gegen sie stellen mussten.

Während nun die Gemeinden von Paulus, wenn sie von den jüdischen Synagogen ausgeschlossen wurden, einen Halt außerhalb des Judentums finden konnten, weil unter ihnen Nichtjuden waren, deren Leben nicht jüdisch-exklusiv geordnet war, war das für einzelne Gläubige innerhalb des Synagogen-Judentums schwierig. Die Apostel kamen, verkündeten ihre Botschaft und zogen dann weiter, um die nächste Synagoge aufzusuchen. Wenn sich dann vor Ort keine ausreichende Zahl von Gläubigen fand, konnte sich dann auch keine Gemeinde bilden. Oder sie knüpften individuell Verbindungen zu den Gemeinden, die das paulinische Evangelium gehört hatten. Das bedeutet, dass die Jünger Jesu nur da überhaupt Gemeinden ins Leben rufen konnten, wo sich genügend Juden und „Gottesfürchtige“ bekehrten.

Wie schwierig das ist, sieht man auch heute. Wenn ein Jude, der bisher einer Synagogengemeinde angehörte, plötzlich dort etwas von Jesus als dem Messias Israels erzählt, wird er in aller Regel schneller ausgeschlossen, als er zur Tür hinausgehen kann. Sollte sich in den nächsten Jahren etwas ändern, liegt das wiederum daran, dass Gott Seine Heilsgeschichte ins nächste Kapitel führt. Tatsächlich berichten Evangelisten und Mitarbeiter der Kirchen, dass es immer häufiger zur Bekehrung einzelner orthodoxer Juden kommt. Hinzu kommt der Zuwachs bei messianischen Gemeinden. Dort bekennen sich viele zum Messias Jesus Christus, die vorher den jüdischen Glauben nicht praktizierten. Aber auch dort gibt es Juden, die einmal eifrige Vertreter des orthodoxen Judentums waren.

Zur Zeit von Paulus war die Situation aber anders, weil es sich spätestens in den sechziger Jahren des ersten Jahrhunderts immer deutlicher herauskristallisierte, dass die „Judenmission“ nicht sehr erfolgreich sein würde. Es hatte verheißungsvoll in Jerusalem Anfang der dreißiger Jahre angefangen (Ap 2,41). *20 Doch der Zustand der Gemeinde dreißig Jahre später war keineswegs mehr so verheißungsvoll. Lukas berichtet davon, dass schon nach der ersten Predigt von Petrus an Pfingsten in Jerusalem dreitausend Menschen der Gemeinschaft hinzugefügt wurden. Er sagt nicht, dass oder wie sehr diese Menschen gläubig geworden waren. Das wäre aber wichtig, wenn man bewerten möchte, wie nachhaltig diese Bekehrung war. *21

Vielleicht war Petrus ein guter Prediger und die Zuhörer hatten keine Sympathie für die religiösen Oberen und ihre Gruppierungen. Sie hatten vielleicht auch schon mit Jesus sympathisiert und dieser Petrus stieß nun ins gleiche Horn. Was auffällig ist an dieser Geschichte ist aber noch etwas anderes als der Nachweis des vordergründigen Erfolgs von Petrus. Da steht die Zahl dreitausend. In der Bibel steht sie wiederholt in einem Zusammenhang, der keine große Glaubensstärke herausstreicht. Dreitausend Hebräer erlitten das Strafgericht Gottes, weil das Volk ohne Moses sich gegen Gott gestellt hatte (2 Mos 32,28). Dreitausend Israeliten flohen vor den Männern von Ai (Jos 7,4). Dreitausend Männer aus Juda bekannten ihre Angst vor den Philistern (Ri 15,11). Dreitausend Männer und Frauen der Philister fielen bei einem Gottesgericht (Ri 16,27ff). Dreitausend Männer des Saul konnten nichts gegen die Philister ausrichten (1 Sam 13,2-7). Dreitausend Männer nahm Saul, um David zur Strecke zu bringen (1 Sam 24,3; 26,2). Salomo verfasste dreitausend Sprichwörter (1 Kö 5,12) – wäre er doch lieber Gott treu geblieben! Dreitausend Männer von Juda wurden erschlagen, weil der König von Juda Efraim nicht an einem Kriegszug teilnehmen gelassen hatte (2 Chr 25,13). Gutes liest man hingegen nichts über die Zahl dreitausend.

Waren die dreitausend Gläubigen zu Pfingsten verheißungsvoll? In welchem Sinne? Wusste Gott nicht schon längst, wie sich die Dinge entwickelten? Dass die Gemeinde in Jerusalem nur als eine geduldete Sekte Geltung erlangen würde und die nationale Katastrophe der späten sechziger Jahre nicht abzuwenden war, wusste das Gott nicht schon? Und das war voraussehbar, denn wenn das Herz verhärtet ist, kann keine Botschaft zu Gott durchdringen. Es hätte einer nationalen Umkehr Israels bedurft, um die erneute Versklavung des Volkes unter das römische Joch zu vermeiden. Es kam, was kommen musste. Im Jahr 70 wurde Jerusalem mitsamt Tempel von römischen Truppen zerstört, nachdem sich die Stadt unter der Führung von Aufständischen lange einer Belagerung widersetzt hatte. Hunderttausende Juden wurden getötet oder wurden als Sklaven weggeführt. Hätte das Volk dem Evangelium geglaubt, wäre Jesus, so wie Er es angekündigt hatte, zurückgekehrt. Deutet die Zahl 3000 also eher auf eine zweifelhafte Verheißungsfülle der Ereignisse an Pfingsten?

Paulus, Jakobus und Petrus lebten nicht mehr, als Mitte der sechziger Jahre der Aufstand gegen Rom begann und sich dann zu einem verheerenden Krieg auswuchs. Aber Paulus hatte noch verstanden, dass die Schonfrist von Israel ablaufen würde. Die Apostelgeschichte endet mit dieser Vorausschau prophetisch: „Das Herz dieses Volkes ist hart geworden und mit ihren Ohren hören sie nur schwer und ihre Augen halten sie geschlossen, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und mit ihren Ohren nicht hören, damit sie mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht kommen, sich bekehren und ich sie heile.“ (Ap 28,27). Die Zeit der Nationen brach an, die Zeit Israels war ausgesetzt (Röm 11,25).

Die Geschichte der Gemeinde zu Jerusalem ist also eher keine Erfolgsgeschichte. Das Evangelium nahm dort seinen Anfang. Aber die Bewegung des Christentums wurde erst mit den Gemeindegründungen von Paulus und seiner Mitarbeiter nachhaltig. Damit verschob sich aber der Schwerpunkt der Verkündigung deutlich von der Verkündigung des Evangeliums jerusalemer Prägung zur Verkündigung dessen, was im Bereich der Diaspora, nicht notwendigerweise inmitten der jüdischen Diasporagemeinden stattfand. Das war nicht gleichzusetzen mit der Verkündigung des paulinischen Evangeliums der Unbeschnittenheit, denn Paulus konnte nicht garantieren, dass nach seiner Abreise – sei es nun in eine andere Weltgegend oder in den Himmel – seine Lehren unvermischt und rein weitergeben und weiterverwendet wurden.

Es gehört aus heilsgeschichtlicher Sicht zu den Phänomenen des göttlichen Handelns und Wirkenlassens, dass tatsächlich mit dem Verschwinden der ersten Evangeliumsverkünder, ihre Lehren in ihrer Urform nicht mehr nachhaltig vorkamen. Dass das so sein würde, kann man schon aus den Briefen von Paulus herauslesen. Paulus hatte gute Gründe, die Gemeinden immer wieder zu warnen oder sogar zu tadeln. „Ich fürchte um euch, ob ich nicht etwa vergeblich an euch gearbeitet habe.“ schreibt er den Galatern (Gal 4,11). Bei den Thessalonichern lässt er nachforschen, ob er nicht vergeblich unter ihnen gearbeitet hat (1 Thes 3,5). Die Korinther ermahnt er (1 Kor 15,2). Und auch den Philippern hält er es vor Augen (Phi 2,16), denn ein Abfallen vom Glauben, hat auch immer etwas mit dem Nicht-Glauben von Lehren zu tun. Paulus behauptet sogar, dass der heilige Geist ausdrücklich sagt, „dass in späteren Zeiten manche vom Glauben abfallen werden, indem sie auf betrügerische Geister und Lehren von Dämonen achten“ (1 Tim 4,1) Timotheus weist er an: „Bis ich komme, achte auf das Vorlesen, auf das Ermahnen, auf das Lehren!“ (1 Tim 4,13) Er war sich sehr wohl bewusst, was geschehen konnte, und was ganz sicher geschehen würde in naher Zukunft, schon bald nach seiner Abreise: „Denn es wird eine Zeit sein, da sie die gesunde Lehre nicht ertragen, sondern nach ihren eigenen Begierden sich selbst Lehrer aufhäufen werden, weil es ihnen in den Ohren kitzelt; und sie werden die Ohren von der Wahrheit abkehren und sich zu den Fabeln hinwenden.“ (2 Tim 4,3-4)

Genau das geschah. Es begann bereits im ersten Jahrhundert, setzte sich fort im zweiten Jahrhundert, wurde mitbestimmend im dritten Jahrhundert und maßgeblich im vierten Jahrhundert. Im vierten Jahrhundert wurde die Kirche, die sich selber als die katholische Kirche bezeichnete, zur Staatskirche. Bis dahin hatte sie sich weit von der Basis des christlichen Glaubens entfernt. Umso wichtiger ist es, Kirchengeschichte und Heilsgeschichte auseinanderzuhalten. Ebenso darf man Kirchengeschichte nicht mit der Geschichte des Christentums gleichsetzen. Wer den Geist Christi nicht hat, hat vielleicht einen Kirchengeist, der dafür sorgt, dass notwendige Differenzierungen gar nicht vorgenommen werden.

Aber warum ließ es Gott so geschehen, dass Seine Wahrheit korrumpiert und verdreht und schließlich unkenntlich gemacht wurde, so dass sich ein anderes Evangelium in der Welt ausbreiten würde? Es ist das Evangelium des bedingten Christusses. Jesus ist der Retter aller Menschen, aber die Rettung wirkt sich nur aus, wenn man in der Kirche ist, die angeblich das Heil verwaltet. *22 In Europas Westen und bald in der halben Welt breitete sich diese Kirche als katholische Kirche aus.

Das ist die Bedingung für die Erlangung des Heils, der Gehorsam gegenüber der Kirche. An die Stelle des Glaubens an das Evangelium über Christus, wie es in der Bibel niedergeschrieben ist, tritt das Evangelium Roms, wonach Christus allein nicht zum Heil reicht und das Heil längst nicht für alle da ist, denn alle Nichtkatholiken müssen in der Hölle die Ewigkeit fristen. Dabei hat man übersehen, dass es nur bei Gott Ewigkeit gibt und dass es bei Gott nichts Böses gibt. Ewigkeit und Böses vereint ist also eine Unmöglichkeit. Also ist beides nicht möglich: Gutes in Abwesenheit Gottes und Böses in Gemeinschaft Gottes.

Die Antwort auf die Frage nach dem Zulassen des Bösen und der Irreführung ist die gleiche wie auf die Frage nach der Erfolglosigkeit der Evangelisierung des Volkes Israel oder dem Ausbleiben der Rückkunft des Messias. Jesus gibt die Antwort Seinen Jüngern: „Meine Zeit ist noch nicht da!“ und „Ich gehe nicht hinauf zu diesem Fest; denn meine Zeit ist noch nicht erfüllt.“ (Joh 7,6.8) Er ist der Herr der Geschichte und Geschichten, der Kirchengeschichte und der Weltgeschichte und der Heilsgeschichte. Die Umstände, die die Unterordnung und Eingliederung aller Dinge unter den Christus anbahnen, müssen heranreifen. Gott hat nicht nur das vieltausendjährige Wirken Satans nicht unterbunden. Satan ist der Widerwirker Gottes. Die Wahrheit entfaltet sich gegen die Lüge, das Heil setzt sich gegen das Unheil durch und die Gemeinde Christi ist die heile Alternative neben und nach der unheiligen anti-christlichen Weltkirche. Und Israel überlebt alle ihre Feinde, die lügenhaft, unheilig und anti-christlich gegen Israels Existenz und Wohlfahrt angekämpft haben werden. Das Widergöttliche muss also Ausreifen (Mt 13,30), damit das Göttliche umso strahlender zur Geltung kommt. Und das tut es, wenn es überall strahlt und nicht nur bei ein paar kleinen, auserwählten Feuerzeugen!

In diesem Kommentar zum Philipperbrief wird es auch darum gehen, die Aussagen des Paulus im Kontext der gesamten Heilsgeschichte Gottes für das Volk Israel und die ganze Menschheit zu verstehen.

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