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Werner Renz, bis 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter und Leiter des Archivs des Fritz Bauer Instituts, arbeitet in diesem Band die NS-Prozesse vom Ersten Auschwitz-Prozess unter Generalstaatsanwalt Fritz Bauer in Frankfurt am Main auf, ebenso die Frankfurter Nachfolgeprozesse bis hin zu den jüngsten Verfahren gegen Demjanjuk, Hanning und Gröning. Er analysiert die jeweilige Rechtsauffassung und die Rechtspraxis dieser Prozesse und deren Resonanz in der Öffentlichkeit.

Insgesamt kann ein Versagen der bundesdeutschen Justiz bei der Aufarbeitung der NS-Verbrechen festgestellt werden. Eine uneinheitliche Rechtsprechung in den vergangenen Jahrzehnten hatte eine inkonsequente Justizpraxis zur Folge. Freisprüche und Verfahrenseinstellungen liefen für manche Kritiker auf Strafvereitelung hinaus. Zahllose Holocaust-Täter blieben unbehelligt.

Das Buch gibt einen Überblick über die Geschichte der Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963 – 1981) und zeichnet das Versagen nicht nur der Justiz, sondern auch der Politik, der Strafrechtswissenschaft, der Zeitgeschichtsforschung und der deutschen Öffentlichkeit nach.

Werner Renz, Autor von Fritz Bauer und das Versagen der Justiz. Nazi-Prozesse und ihre „Tragödie“ (Europäische Verlagsanstalt, 2015), Herausgeber von Interessen um Eichmann (Campus-Verlag, 2012) und Mitherausgeber von Der Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 – 1965). Kommentierte Quellenedition (Campus-Verlag, 2013) und Henry Ormond – Anwalt der Opfer (Campus-Verlag, 2015).

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© ebook-Ausgabe 2019 CEP Europäische Verlagsanstalt GmbH, Hamburg

Signet: Dorothee Wallner nach Caspar Neher »Europa« (1945)

Umschlagabbildung: © Fritz Bauer Institut (Auschwitz-Prozess,

Haus Gallus)

Umschlag: Susanne Schmidt, Leipzig

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Übersetzung, Vervielfältigung

(auch fotomechanisch), der elektronischen Speicherung auf

einem Datenträger oder in einer Datenbank, der körperlichen und

unkörperlichen Wiedergabe (auch am Bildschirm, auch auf dem Weg

der Datenübertragung) vorbehalten.

ISBN 978-3-86393-550-4

Auch als gedrucktes Buch erhältlich, ISBN 978-3-86393-089-9

Informationen zu unserem Verlagsprogramm finden Sie im Internet unter

www.europaeische-verlagsanstalt.de

Inhalt

Einleitung

I. Aufklärung über Auschwitz
Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 – 1965)

1. Der Sträfling und der Mörder

2. Intermezzo in Ludwigsburg

3. Fritz Bauer tritt auf den Plan

4. Ein engagierter Untersuchungsrichter

5. Anklage gegen 24 NS-Verbrecher

5.1. Hauptverfahren

5.2. Kein Jude kann den Vorsitz führen

6. Auschwitz vor Gericht: Der Prozess

6.1. Beweisaufnahme

6.2. Zeithistorische Gutachten

6.3. Zeugen

6.4. Stimme der Opfer

6.5. Ortsbesichtigung hinter dem Eisernen Vorhang

6.6. Kommissarische Vernehmungen in Polen

6.7. Schließung der Beweisaufnahme

6.8. Plädoyers der Anklagevertreter

6.9. Plädoyers der Opferanwälte

6.10. Plädoyers der Verteidiger

6.11. »Nichts getan«: Schlussworte der Angeklagten

6.12. Urteil

6.12.1. Täter, Mittäter und Gehilfen

6.12.2. Unrechtsbewusstsein

6.12.3. Auch Untergebene machen sich schuldig

6.12.4. Keine Entschuldigungsgründe

6.12.5. Strafmaß

7. Revisionsverfahren und Neuverhandlung gegen Lucas

8. Strafverbüßung

9. Subsumtion von Auschwitz unter den Mordparagrafen

II. Die Frankfurter Nachfolgeprozesse

1. Der gescheiterte Großprozess
Der 2. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1965 – 1966)

2. Im Sande verlaufende Ermittlungsverfahren

3. Erfolgversprechende Ermittlungsverfahren

4. Handlanger vor Gericht
Der 3. Frankfurter Auschwitz-Prozess gegen Funktionshäftlinge (1967 – 1968)

5. Skelette für die Reichsuniversität Straßburg
Der 4. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1970 – 1971)

6. Erster Abgesang: Verfahren wegen Einzeltaten und Freisprüche
Der 5. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1973 – 1976)

7. Zweiter Abgesang: Verfahren gegen Exzesstäter
Der 6. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1977 – 1981)

III. Rechtsauffassung und Rechtspraxis in Prozessen gegen Lager-Personal

1. »Die Kleinen« und »die Großen«

2. Konkreter Tatbeitrag oder funktionelle Mitwirkung

3. Prozesse gegen greise »Sündenböcke«?

3.1. Demjanjuk-Prozess (2009 – 2011)

3.2. Gröning-Prozess (2015)

3.3. Hanning-Prozess (2016)

4. Fritz Bauers Vermächtnis

IV. NS-Prozesse und die deutsche Öffentlichkeit

Anmerkungen

Anhang
Prozesse in der Bundesrepublik Deutschland gegen
SS-Personal und Funktionshäftlinge von Auschwitz

Personenregister

Abkürzungsverzeichnis

Einleitung

Steht in der Bundesrepublik Deutschland die Verfolgung und Ahndung der NS-Verbrechen zur Diskussion, ist immer auch vom Versagen der Justiz die Rede. Doch nicht nur die Justiz hat versagt, sondern auch der Gesetzgeber, die Strafrechtswissenschaft, die Zeitgeschichtsforschung und die bundesdeutsche Gesellschaft. Insofern ist es geboten, die Unterlassungen und Versäumnisse zu erforschen. Ein guter Anlass ist der 50. Todestag des Juristen, dessen Name wie kein anderer mit der Aufarbeitung der NS-Verbrechen verbunden ist: Fritz Bauer (1903 – 1968). Die Untersuchung der sechs Frankfurter Auschwitz-Prozesse (1963 – 1981) und von ausgewählten Ermittlungsverfahren zeigt, welch weitreichende Folgen das im August 1965 verkündete Urteil in der »Strafsache gegen Mulka u.a.« für die späteren Verfahren gegen Auschwitz-Personal hatte. Die Frankfurter Bilanz sieht nicht gut aus. Hinsichtlich der geleisteten Sachverhaltsaufklärung kann auch der erste Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 – 1965) nicht als gelungen gelten. So stellte das Schwurgericht in seinem Urteil das Vernichtungsgeschehen in Auschwitz unzureichend dar und kam deshalb auch zu falschen rechtlichen Wertungen.

Das Vorhaben des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer, durch die Aufklärung von Verbrechenskomplexen die Deutschen mit der NS-Vergangenheit zu konfrontieren, kann nicht als erfolgreich bezeichnet werden. Die Mehrheit der Bundesdeutschen nahm den 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess und auch andere vergleichbare Strafverfahren gegen Personal der Todeslager kaum zur Kenntnis. Bauer war ebenso wie viele kritische Juristen und Zeitgenossen über die Rechtsprechung in NS-Prozessen wenig glücklich. So sprach er im Frühjahr 1966 von der »Tragödie«1 der Verfahren.

Die Gründe für diese negative Einschätzung sollen hier am Beispiel der Frankfurter Auschwitz-Prozesse und auch der letzten Verfahren gegen greise Angeklagte, die in den vergangenen Jahren sich vor Gericht verantworten mussten, aufgezeigt werden.

Die deutsche Gerichtsbarkeit hatte nach 1945 aufgrund der alliierten Gesetzgebung zunächst nur begrenzte Möglichkeiten, die nationalsozialistischen Verbrechen aufzuklären und zu ahnden. Sie erstreckte sich auf Verbrechen von Deutschen an Deutschen und an Staatenlosen. Die Besatzungsbehörden konnten jedoch deutsche Gerichte in einzelnen Fällen, in denen Deutsche Verbrechen an Bürgern der überfallenen Staaten begangen hatten, für zuständig erklären.2 Erst nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland war es der bundesdeutschen Justiz gemäß Gesetz Nr. 13 des Alliierten Hohen Kontrollrats (1.1.1950) ohne Einschränkung möglich, auch die NS-Untaten zu verfolgen, deren Opfer Angehörige der im Zweiten Weltkrieg von Nazi-Deutschland unterworfenen Länder waren. Anzuwenden war das zur Tatzeit geltende deutsche Strafrecht.

Von 1950 an bis zur Gründung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Gewaltverbrechen (ZSt) im Oktober 1958 haben deutsche Staatsanwaltschaften von Amts wegen jedoch bloß in wenigen Fällen gegen NS-Täter ermittelt. Lagen keine Anzeigen von Geschädigten und Verfolgten vor, blieben die Strafverfolger weitgehend untätig.3 Die hier aus den Gerichtsakten detailliert rekonstruierte Vorgeschichte des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses ist ein Beleg für diesen Befund. Die bundesdeutschen Verhältnisse Anfang der fünfziger Jahre4 waren für eine von Einzelnen durchaus geforderte justizielle Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit nicht günstig. Die Entnazifizierung war abgeschlossen, aus ihren Ämtern entfernte Angehörige des öffentlichen Dienstes wurden gemäß dem »Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Artikel 131 des Grundgesetzes fallenden Personen«5 reintegriert. Die in Nürnberg verurteilten sogenannten Kriegsverbrecher waren infolge des ausgebrochenen »Gnadenfiebers«6 und auf deutschen Druck hin von den Alliierten vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Nach Ansicht vieler Deutscher war endlich die Zeit gekommen, einen »Schlussstrich« unter die jüngste Vergangenheit zu ziehen, zumal sich die Bundesrepublik Deutschland als willkommenes Mitglied der »freien Welt« ganz anderen Aufgaben zu stellen hatte.

Der Prozess gegen Martin Sommer vor dem Landgericht Bayreuth (11.6.1958 – 3.7.1958)7, die Flucht des ehemaligen KZ-Arztes Hans Eisele sowie das Verfahren vor dem Schwurgericht Ulm/Donau gegen zehn ehemalige Angehörige der Geheimen Staatspolizei und des Sicherheitsdienstes (SD) Tilsit (28.4.1958 – 29.8.1958)8 verdeutlichten den Verantwortlichen in Bonn, der westdeutschen Justiz und der Öffentlichkeit, dass die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nicht länger zu verdrängen waren9, und die Ahndung durch die Prozesse der Alliierten und die wenigen Verfahren vor deutschen Gerichten10 noch längst nicht abgeschlossen war.

Anfang Oktober 1958 berieten auf einer Konferenz in Bad Harzburg die Justizminister und -senatoren der deutschen Bundesländer11 über notwendige rechtspolitische Schritte, die NS-Verbrechen umfassend aufzuklären. Der vorherrschenden Meinung in der Bevölkerung zuwider, die die Verfolgung und Bestrafung der Täter, die größtenteils unter ihr als unauffällige, anerkannte und geschätzte Bürger lebten, ablehnte, von »Nestbeschmutzung« sprach und die Vergangenheit für erledigt hielt, schlossen die zuständigen Minister und Senatoren eine Verwaltungsvereinbarung über die Errichtung der Zentralen Stelle, die 1958 in Ludwigsburg eingerichtet wurde. Von den Ländern abgeordnete Richter und Staatsanwälte sollten von Amts wegen die von den nationalsozialistischen Gewaltherrschern im Ausland in den Jahren 1939 bis 1945 begangenen Verbrechen restlos erfassen.12 Sobald die Vorermittlungen hinreichende Ergebnisse erbracht hatten, waren die Verfahren an die jeweils zuständigen Staatsanwaltschaften zur weiteren Durchführung der Strafverfolgung und zur Anklageerhebung abzugeben. Die Zentrale Stelle begann ihre Arbeit am 1. Dezember 1958 und stellte nach den Worten ihres ersten Leiters, Oberstaatsanwalt (fortan: OStA) Erwin Schüle (1913 – 1993), »ein absolutes Novum in der deutschen Rechtsgeschichte«13 dar.

Die bereits im Frühjahr 1958 beginnende Vorgeschichte des 1. Frankfurter Auschwitz-Prozesses belegt eindringlich, dass ohne die unermüdliche Initiative von überlebenden Opfern und ohne das Engagement streitbarer Juristen die strafrechtliche Sühne der NS-Verbrechen durch die bundesdeutsche Justiz nicht in Gang gekommen wäre. Überlebende meldeten sich, forschten nach dem Verbleib von Tätern, trugen Namen und Anschriften zusammen, tauschten Informationen aus und sammelten Belastungsmaterial. Beherzte Juristen, dem Recht und der Gerechtigkeit verpflichtet, schufen in Zusammenarbeit mit Politikern, die sich ihrer historischen Verantwortung bewusst waren, die rechtspolitischen Voraussetzungen und leiteten umfassende Ermittlungen ein, um bislang unerforschte Tatkomplexe aufzuklären und die strafrechtliche Schuld der an Massenverbrechen Beteiligten zu beweisen. Den Initiatoren der Verfahren war es ein wichtiges Anliegen, im Rahmen von Strafprozessen gegen NS-Täter Aufklärung über die Vergangenheit zu betreiben und damit auch einen Beitrag zur politischen Bildung und zum Geschichtsverständnis zu erbringen. Durch die NS-Verfahren in den 1960er Jahren klärte die deutsche Strafjustiz über den Mord an den europäischen Juden auf. Das geschah in Form der Anklageschriften und der Schwurgerichtsurteile, die allesamt ausführliche, quellengestützte allgemeine, historische Darstellungen enthielten, und durch in Auftrag gegebene historische Gutachten.14 So leistete sie aufgrund der in der Beweisaufnahme erbrachten Erkenntnisse eine umfassende Aufklärung, die die Zeitgeschichtsforschung in Deutschland versäumt hatte.

Bei der Darstellung der sechs Frankfurter Auschwitz-Prozesse sowie weiterer wichtiger Ermittlungsverfahren bleibt die umfangreiche Ermittlungssache gegen den Auschwitz-Arzt Josef Mengele, die erst mit der amtlichen Feststellung seines Todes (1979) in den 1980er Jahren eingestellt worden war, unberücksichtigt.

Die Ermittlungen der Frankfurter Justiz gegen Auschwitz-Täter begannen Ende der fünfziger Jahre.15 Der große Frankfurter Auschwitz-Prozess gegen 20 Angeklagte und die fünf kleinen Nachfolgeprozesse gegen insgesamt zehn Angeklagte zeigen deutlich, dass trotz aller Anstrengungen der Staatsanwaltschaft die Überführung der Angeklagten nicht immer möglich war. Die Gründe für das partielle Scheitern der Justiz, die NS-Verbrechen viele Jahre nach dem Tatgeschehen angemessen zu sühnen, werden in diesem Buch aufgezeigt.

Von den Tausenden von Auschwitz-Tätern16 wurde etwa ein Zehntel strafrechtlich belangt. Hervorzuheben sind der Prozess gegen den Kommandanten Rudolf Höß vor dem Obersten Gerichtshof der Volksrepublik Polen in Warschau (11.3. – 2.4.1947) und das Verfahren gegen 40 SS-Männer und Frauen in Krakau (24.11. – 16.12.1947). Höß und 21 Angeklagte des Krakauer Prozesses wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet17. Weitere rund 600 Auschwitz-Täter verurteilten polnische Gerichte zu Freiheitsstrafen unter zehn Jahren.

Auch vor amerikanischen, britischen, französischen und sowjetischen Militärtribunalen standen vormalige Angehörige des SS-Personals von Auschwitz. Angeklagt waren sie aber meist wegen Verbrechen, die sie in anderen Lagern begangen hatten. Zu nennen ist der 1. Bergen-Belsen-Prozess vor einem britischen Militärgericht in Lüneburg (17.9. – 17.11.1945).18 Unter anderen wurden der ehemalige Auschwitz-Kommandant Josef Kramer, der Schutzhaftlagerführer Franz Hössler, der SS-Arzt Fritz Klein, die SS-Oberaufseherin Elisabeth Volkenrath und die SS-Aufseherin Irma Grese zum Tode verurteilt und hingerichtet.19 Weiter der 2. Bergen-Belsen-Prozess (16.5. – 22.5.1946), in dem gegen den vormaligen Krematoriumsleiter Walter Quakernack die Todesstrafe verhängt wurde. Im Hamburger Ravensbrück-Prozess verurteilte ein britisches Militärgericht den Kommandanten Johann Schwarzhuber zum Tode. Der Schutzhaftlagerführer von Buna/Monowitz Vinzenz Schöttl, der zeitweilige Chef der Krematorien in Auschwitz-Birkenau Otto Moll und der Lagerarzt Hellmuth Vetter wurden im 1. Dachauer-Prozess (15.11. – 13.12.1945) von einem amerikanischen Militärgericht20 zum Tode verurteilt und in Landsberg Ende Mai 1946 gehängt. Im Neuengamme-Prozess in Hamburg (18.3. – 3.5.1946) verhängte ein britisches Militärgericht gegen den vormaligen SS-Arzt Bruno Kitt die Todesstrafe. Der SS-Arzt Friedrich Entress wurde von einem amerikanischen Militärgericht im Mauthausen-Prozess im Mai 1946 zum Tode verurteilt und hingerichtet.

Vor bundesdeutschen Gerichten21 standen bis zum Jahr 1963 zum Beispiel der ehemalige Rapportführer des Lagers Buna/Monowitz, SS-Hauptscharführer Bernhard Rakers (LG Osnabrück, 1952 – 1953, 1958, 1959)22, SS-Oberscharführer Johann Mirbeth (zusammen mit den ehemaligen Auschwitz-Häftlingen Helmrich Heilmann und Joseph Kierspel, LG Bremen, 1953)23, die vormaligen Auschwitz-Häftlinge Erich Tabbert (LG Osnabrück, 1953)24 und Otto Locke (LG Berlin, 1957)25 sowie Gerhard Herdel (LG Göttingen, 1953)26, SS-Obersturmführer Wilhelm Reischenbeck (LG München I, 1958)27 und der ehemalige SS-Arzt Johann Paul Kremer (LG Münster, 1960).28 Rakers wurde wegen in Sachsenhausen und Auschwitz verübten Straftaten zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt, Mirbeth und Heilmann zu sechs Jahren sowie Kierspel zu lebenslangem Zuchthaus. Ihre Straftaten hatten die Angeklagten im Nebenlager Golleschau begangen. Tabbert, seit 1942 Häftling in Auschwitz, wurde vom Vorwurf des Mordes und des Mordversuchs freigesprochen. Herdel, Ende 1944 unter anderem Kommando- und Rapportführer im Lager Buna/Monowitz, erhielt wegen Totschlagversuchs in zwei Fällen ein Jahr Gefängnis. Locke, von August 1940 bis zu seiner Meldung zur SS-Einheit Dirlewanger im Juli 1944 Funktionshäftling in Auschwitz, Häftlings-Nr. 3227, wurde wegen Mordes in sieben Fällen zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Reischenbeck, seit Herbst 1944 Führer von Wachkompanien, wurde für schuldig befunden, auf Todesmärschen Beihilfe zum Totschlag geleistet zu haben. Sein Strafmaß betrug zehn Jahre Zuchthaus. Der ehemalige SS-Arzt Kremer, von Ende August 1942 bis Mitte November 1942 in Auschwitz als Lagerarzt29 tätig, wurde wegen Beihilfe zum Mord in zwei Fällen zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Die erkannte Strafe galt durch die in Polen bis 1958 abgesessene Strafe als verbüßt. Kremer war im Krakauer Prozess gegen Liebehenschel u.a. zum Tode verurteilt, später aber begnadigt und 1958 entlassen worden.

I. Aufklärung über Auschwitz

Der 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963 – 1965)

1. Der Sträfling und der Mörder

Gegen einen gewissen Wilhelm Boger, vormals SS-Oberscharführer und Angehöriger der Politischen Abteilung des Lagers Auschwitz, erstattete der in der Landesstrafanstalt Bruchsal wegen Betrugs einsitzende ehemalige Auschwitz-Häftling Adolf Rögner mit Schreiben vom 1. März 19581 an die Staatsanwaltschaft (fortan: StA) Stuttgart Strafanzeige wegen Mordes. Rögner, von Mai 1941 bis Januar 1945 »als krimineller Vorbeugungshäftling« (H.-Nr. 15.465)2 in Auschwitz inhaftiert, machte in seinem Brief Angaben über angebliche strafbare Handlungen Bogers, über seine Inhaftierung im amerikanischen War Crimes Camp 29 in Dachau, seine Flucht aus einem Überstellungstransport nach Polen, nannte Wohnsitz und Arbeitsplatz Bogers und erbat eine Vernehmung zur Sache. Darüber hinaus stellte Rögner »Beweise u. Zeugen« in Aussicht und verwies die Ermittlungsbehörde darauf, das Internationale Auschwitz-Komitee (IAK) (mit genauer Adressenangabe) und der Zentralrat der Juden (Düsseldorf-Benrath) könnten Beweismaterial gegen den Auschwitz-Täter zur Verfügung stellen.

Die Persönlichkeit des Anzeigeerstatters, der sich zum Zeitpunkt der Anzeige einer Anklage wegen Meineids und uneidlicher Falschaussage ausgesetzt sah und in der Vergangenheit wiederholt Anzeigen nicht nur gegen ehemalige SS-Angehörige, sondern auch gegen Vollzugs- und Polizeibeamte erstattet hatte, ließ es der Stuttgarter Strafverfolgungsbehörde geboten erscheinen, die Strafanzeige mit Vorsicht3 zu behandeln. Die StA Stuttgart wandte sich mit Schreiben vom 17. März 19584 bezüglich der »Anzeigensache gegen einen gewissen Boger« (16 Js 1273/58) an die Stuttgarter Kriminalpolizei mit der Bitte, »unauffällige Vorermittlungen hinsichtlich der Person und der Vergangenheit des [...] Boger durchzuführen«.5 Mit Brief vom 10. April 19586 teilte die Kripo der Ermittlungsbehörde mit, bei dem Beschuldigten handele es sich um den »verh. kaufm. Angestellten Wilhelm Boger [...] wohnh. Hemmingen Krs. Leonberg«. Boger sei, wie Rögner in seinem Schreiben zutreffend angegeben hatte, »Angestellter bei der Fa. Heinkel, Motorenwerke, Stgt.-Zuffenhausen« und sei »SS-Oberscharführer in Auschwitz« gewesen.7 Den Hinweisen Rögners auf zu erbringende Beweise und zu stellende Zeugen durch das IAK und den Zentralrat der Juden ging der sachbearbeitende Staatsanwalt Horst Weber zunächst nicht nach. Erst am 18. August 19588 wandte er sich an den Zentralrat. Das IAK, als Vereinigung von nationalen Auschwitzer Lagergemeinschaften (Überlebendenorganisationen) fraglos eine wichtige Quelle, ersuchte die StA nicht um Mitarbeit bei den eingeleiteten Ermittlungen. Offenbar erschien der Strafverfolgungsbehörde eine Zusammenarbeit mit einer Organisation, die nicht ohne Grund als kommunistisch dominiert galt und ihren Hauptsitz in der Volksrepublik Polen hatte, inopportun.9

In einem acht Seiten umfassenden Schreiben Rögners vom 30. März 195810 an die Stuttgarter Ermittler lieferte der Anzeigeerstatter weitere wichtige Hinweise. Rögner zählte über ein Dutzend SS-Angehörige auf, die sich Verbrechen schuldig gemacht hätten. Er nannte u.a. die späteren Angeklagten im 1. Frankfurter Auschwitz-Prozess Josef Klehr und Hans Stark und erstattete Strafanzeige gegen die benannten SS-Leute.

Doch Staatsanwalt Weber sah sich nicht gehalten, Fahndungsmaßnahmen gegen die von Rögner benannten, des vielfachen Mordes verdächtigten Personen einzuleiten. Eine Ausdehnung des Verfahrens auf weitere SS-Angehörige von Auschwitz, ein Sammelverfahren, war zunächst nicht beabsichtigt. Hinweise auf Anstrengungen der StA Stuttgart, Zeugen für strafbare Handlungen Bogers zu ermitteln, finden sich in den Akten nicht. Weber hielt einem Vermerk vom 13. Mai 1958 zufolge Anfang Mai 1958, zwei Monate nach Eingang der Strafanzeige Rögners, Vortrag bei seinem Behördenleiter. Selbst suchte er den Anzeigeerstatter zur Vernehmung nicht auf, er ordnete vielmehr mit Billigung seines Vorgesetzten eine Dienstreise eines Gerichtsreferendars zur Landesstrafanstalt Hohenasperg an, in die Rögner krankheitshalber überstellt worden war. Die Vernehmung, so hielt Weber in dem Vermerk fest, »war erforderlich, weil einerseits der Anzeigeerstatter nach sicherer Erkenntnis aus vorangegangenen Anzeigen ein geltungssüchtiger Psychopath ist und aber andererseits seine Anzeige gegen Boger nach der Bedeutung der Anschuldigung nicht von der Hand gewiesen werden kann, sondern sorgfältige Ermittlungen erfordert«.11

Rögner wurde am 6. Mai 195812 endlich vernommen. Aus dem der Vernehmungsniederschrift vorangestellten Bericht des Gerichtsreferendars geht hervor, wie schwierig sich die Vernehmung gestaltete. Das sieben Seiten umfassende Protokoll mit fünf Anlagen enthielt wiederum zahlreiche Namen von Auschwitz-Personal. Neben dem bereits benannten Hans Stark u.a. mit zutreffenden Angaben die Namen »Rottenf. Pery Broad, Brasilianer, lebt vermutlich in Braunschweig« und »Unterscharf. Dylewski – lebt in Krefeld«.

Von der Ermittlungsbehörde nicht um Hilfe gebeten, wandte sich der Generalsekretär des Internationalen Auschwitz-Komitees, Hermann Langbein (1912 – 1995) (Wien), von Rögner13 über die Anzeige informiert, mit Schreiben vom 9. Mai 195814 an die StA Stuttgart, bekräftigte die gegen Boger vorgebrachten Tatvorwürfe und bot die Mitarbeit seiner Organisation an. Die StA bat daraufhin, elf Wochen nach dem Eingang von Rögners Anzeige, am 21. Mai 195815 das IAK um Mitteilung von Erkenntnissen über den Beschuldigten Boger. Langbein bestätigte in seinem Antwortschreiben,16 der Beschuldigte Boger sei seinem Komitee wohl bekannt, übersandte in der Anlage eine persönliche Aussage im Fall Boger17 und fragte an, ob sich der Beschuldigte bereits in Untersuchungshaft befinde. Mit Hinweis auf drohende Fluchtgefahr machte Langbein die Verhaftung Bogers zur Bedingung für die in Aussicht gestellte Kooperation des IAK. Langbeins Forderung, erst Boger in Untersuchungshaft zu nehmen und dann Zeugen zu benennen, die beweiskräftige Aussagen über den Beschuldigten machen könnten, erschwerte die Arbeit der Verfolgungsbehörde erheblich. Die ausbleibende Antwort der Ermittlungsbehörde, die noch keine rechtsstaatliche Handhabe sah, Boger in Haft zu nehmen, veranlasste Langbein, sich abermals an die StA mit dem Hinweis zu wenden, dass Boger in Auschwitz »eine Vielzahl von Morden begangen« habe und erbat Mitteilung, ob sich der Beschuldigte »in Haft« befinde.18 Die StA, die trotz der Aussage Langbeins und seiner Bestätigung der von Rögner vorgebrachten Tatvorwürfe keinen dringenden Tatverdacht der strafbaren Beteiligung Bogers an Tötungsdelikten erblickte und deshalb von einem Antrag auf Erlass eines Haftbefehls absah, ersuchte das IAK ungeachtet der von Langbein aufgestellten Bedingung mit Schreiben vom 15. Juli 1958 »um Übersendung« von »Unterlagen (Anschriften u. Aussagen von Zeugen über die Straftaten des Boger [...]), um nach Prüfung des Beweismaterials, erforderlichen Falls Haftbefehl gegen Boger erlassen zu können«.19

Über die Zögerlichkeit der Stuttgarter Staatsanwälte äußerst befremdet, betonte Langbein in seiner Antwort20 abermals, das IAK wolle erst dann einen Zeugenaufruf an ehemalige Auschwitz-Häftlinge veröffentlichen, wenn Boger in Haft sei. Zur Unterstützung der Ermittlungsmaßnahmen legte er seinem Schreiben ein Foto Bogers bei. Langbeins große Sorge war, der Fall Boger könne zu einem Fall Eisele21 werden. Der KZ-Arzt hatte sich durch Flucht ins Ausland dem Zugriff entzogen In einem weiteren Schreiben an das Justizministerium22 trug Langbein seine Besorgnis vor. Nicht ohne Grund befürchtete er, »dass Boger von einer Seite, die ihn als ehemaligen SS-ler decken will, gewarnt werden könnte«.23

Langbeins Weigerung, Zeugen zu benennen und Beweismaterial zur Verfügung zu stellen, zeigte die Hilflosigkeit der Strafverfolgungsbehörde auf, die ihrerseits keine Anstalten machte, Beweismittel herbeizubringen.24

Auf Ersuchen der Stuttgarter StA vom 2. August 195825 vernahm das Landeskriminalamt Baden-Württemberg Rögner zwei Wochen später in der Landesstrafanstalt Bruchsal.26 Rögner bezeugte in seiner zweiten Vernehmung abermals die angebliche Täterschaft von Stark, Dylewski, Klehr und anderen SS-Angehörigen. Er benannte darüber hinaus als Zeugen (mit Angabe der Anschrift) die Auschwitz-Überlebenden Emil Behr27, Arthur Balke28, Hugo Breiden29 und Hermann Distel.30 Rund drei Wochen vergingen, bis Staatsanwalt Weber die polizeiliche Vernehmung der benannten Zeugen in Auftrag gab.

Angesichts der schleppenden Ermittlungstätigkeit der Stuttgarter StA erkannte Langbein die Notwendigkeit einer teilweisen Kooperation, übersandte schließlich mit Schreiben vom 30. August 195831 an die StA Stuttgart die Übersetzung eines auf Herbst 1944 datierten Kassibers der Internationalen Widerstandsbewegung32 in Auschwitz, in dem der Beschuldigte Boger genannt sei. Weiter Kopien des Bunkerbuchs, veröffentlicht in Hefte von Auschwitz, H. 1, 1958 (poln. Ausg.; die dt. Ausg. erschien erstmals 1959), sowie die Namen und Anschriften von ehemaligen Auschwitz-Häftlingen, die aus eigenem Wissen über Boger aussagen könnten. Es handelte sich um: Arthur Hartmann33, Ludwig Wörl34, Henryk Bartoszewicz35, Eryk Stanisław Pawliczek36 und Stanisław Kamiński.37 Darüber hinaus ergänzte Langbein seine Aussage vom 29. Mai 195838 und kündigte an, am 9. September 1958 in Stuttgart zu sein und bei der Staatsanwaltschaft »in der Angelegenheit Boger« vorsprechen zu wollen.

Am 5. September 1958 bemühte sich Staatsanwalt Weber erstmals um die Herbeischaffung von Beweismitteln durch Vernehmung der genannten Zeugen. Er erteilte den Kriminalpolizeien von Kiel und München den Auftrag, die von Langbein benannten Zeugen Hartmann und Wörl zu vernehmen. Den Hinweisen von Rögner auf die Zeugen Behr, Balke, Breiden und Distel ging der Staatsanwalt erst am 11. September 1958 nach. Tage vor seinem Besuch in Stuttgart, am 3. September 1958, stellte Langbein eine eidesstattliche Erklärung des in Österreich wohnhaften Josef Rittner39 zur Verfügung und nannte als weiteren Zeugen die Auschwitz-Überlebende Orli Wald. Ihre Vernehmung gab der Stuttgarter Staatsanwalt gleichfalls am 11. September 1958 in Auftrag.40 Langbein, über das aus seiner Sicht sehr zögerliche Vorgehen der Ermittlungsbehörde nicht wenig verwundert, wurde – wie angekündigt – bei der StA und im Justizministerium vorstellig. Während seiner Vorsprache benannte er als weiteren Zeugen Paul Leo Scheidel.41 In einem Vermerk vom 11. September 195842 hielt Staatsanwalt Weber betreffs Vorsprache Langbeins fest, der Generalsekretär des IAK habe sich »in unsachlicher Kritik an den Ermittlungsmaßnahmen« ergangen, die er aber »in gebührender Weise« zurückgewiesen habe. Langbeins Intervention zeigte gleichwohl Wirkung. Am Tag der Abfassung des Vermerks, in dem Weber gleichfalls festhielt, Langbein habe sich »offenbar [...] anschließend beschwerdeführend an das Ministerium gewandt«,43 beauftragte er die Kriminalpolizeien in Karlsruhe, Esslingen, Frankfurt am Main, Hannover und München, die von Rögner in seiner Vernehmung benannten Zeugen (Behr, Balke, Distel und Breiden) und die von Langbein genannten Zeugen (Wald und Scheidel) zu vernehmen und fuhr selbst endlich nach Bruchsal, um den Anzeigeerstatter zu befragen und ihn um die Herausgabe von Belastungsmaterial zu bitten. Da Rögner die Unterlagen nicht zur Verfügung stellen wollte, ließ sie Weber kurzer Hand beschlagnahmen.44 Die Vernehmungen der von Rögner benannten Zeugen Balke45, Distel46 und Behr47 erbrachten allerdings keine den Beschuldigten Boger belastenden Aussagen. Keiner der ehemaligen Auschwitz-Häftlinge kannte Boger. Erst die Vernehmung von Scheidel48 begründete den für den Antrag auf Haftbefehl erforderlichen dringenden Tatverdacht. Mit Schreiben vom 21. September 195849, das Langbein an OStA Robert Schabel persönlich richtete und das nicht zu den Hauptakten genommen wurde, rekapituliert Langbein seine Korrespondenz mit der StA und bemängelt eingehend die aus seiner Sicht unzureichenden Ermittlungsmaßnahmen.

Das Amtsgericht Stuttgart erließ auf Antrag der StA vom 1. Oktober 195850 am Tag darauf Haftbefehl51 gegen Boger. Den zeugenschaftlichen Angaben von Scheidel zufolge war Boger dringend verdächtig, in Auschwitz aus Mordlust einen Menschen getötet zu haben. Der Haftbefehl wurde am 8. Oktober 1958 an Bogers Arbeitsplatz (Ernst Heinkel AG, Zuffenhausen) vollstreckt.

In einem an Langbein persönlich gerichteten Schreiben52 informierte Schabel den Generalsekretär des IAK über die Verhaftung Bogers und bat darum, »die StA bei der Beschaffung von geeigneten Beweismitteln weiter zu unterstützen«. Insbesondere die »Benennung von weiteren Zeugen strafbarer Handlungen Bogers« erschien der Strafverfolgungsbehörde »zunächst [...] nützlich«. Der Behördenleiter schloss seinen Brief mit der Versicherung, »dass die Maßnahmen getroffen werden, die der Bedeutung des Verfahrens entsprechen«. Die »Genugtuung« des IAK über die Verhaftung Bogers brachte Langbein53 umgehend zum Ausdruck und teilte Schabel mit, am 4. November 1958 abermals in der Behörde vorsprechen zu wollen.

Die Unterredung zwischen Schabel, dem Ersten Staatsanwalt Johannes Ferber (Leiter der Abteilung 1 der StA b. LG Stuttgart) und Langbein fand an dem genannten Tag statt. Der von Ferber am Tag darauf angefertigte Vermerk über die eineinhalbstündige Besprechung gibt Auskunft über die Schwierigkeiten, vor die sich die bundesdeutsche Justiz bei der Ahndung der NS-Verbrechen gestellt sah. Um ausreichende Beweise gegen Boger erbringen zu können, erwies sich die Vernehmung von »im Auslande wohnhafter Zeugen« als notwendig. Die erforderliche »Inanspruchnahme des Rechtshilfeweges« erschien den Ermittlern jedoch sehr zeitaufwändig und schwierig, sofern Rechtshilfeersuchen in den Augen der Justiz mit Blick auf osteuropäische Staaten politisch »überhaupt gangbar«54 waren. Bemerkenswert ist die von der StA gegenüber Langbein aufgestellte Behauptung, der Fall Boger sei »seit der ersten Anzeigeerstattung [...] zügig« bearbeitet worden. Hervorzuheben ist die nunmehr ausdrücklich bekundete Absicht der Ermittler, das nunmehr eingeleitete »Verfahren nach Möglichkeit auch auf alle anderen Angehörigen des SS-Wachpersonals des Lagers Auschwitz auszudehnen«.55 Die Erfahrungen, die die Stuttgarter Strafverfolgungsbehörde im Rahmen des Ulmer Einsatzkommando-Prozesses gemacht hatte, kamen hier zum Tragen.

Zur Überraschung der Ermittlungsbehörde hielt Langbein am Tag nach dem ausführlichen Gespräch, in dem er u.a. darum gebeten worden war, »mit Bekanntgaben an die Presse in diesem Verfahren äußerst zurückhaltend zu sein«, in Stuttgart eine Pressekonferenz56 ab, auf der er Vorwürfe gegen die StA erhob. Die Strafverfolgungsbehörde, sekundiert von Generalstaatsanwalt Erich Nellmann, sah sich veranlasst, ihrerseits auf einer Pressekonferenz (6. November 1958) auf die von Langbein vorgebrachte Kritik zu reagieren. In der Pressemitteilung57 bleibt freilich unerwähnt, dass Adolf Rögner in seinem Schreiben vom 1. März 1958 die Ermittler auf das IAK und den Zentralrat der Juden verwiesen hatte und dass mit ihm erst zwei Monate nach Eingang seiner Anzeige eine Vernehmung durchgeführt worden war.

Boger wurde am 13. und 14. Oktober 195858 durch die StA Stuttgart vernommen. Aus der nur sechsseitigen Vernehmungsniederschrift ist nicht ersichtlich, inwieweit die Strafverfolgungsbehörde die bislang vorliegenden Ermittlungsergebnisse zum Gegenstand der Vernehmung gemacht hatte.

2. Intermezzo in Ludwigsburg

Das bei der StA Stuttgart anhängige Ermittlungsverfahren gegen Boger führte die gerade eingerichtete Zentrale Stelle ab Dezember 1958 parallel zu den Ermittlungen der Stuttgarter Strafverfolgungsbehörde weiter. Außer gegen Boger und die von Rögner genannten Stark, Broad und Dylewski wurde das Ludwigsburger Vorermittlungsverfahren (2 AR-Z 37/58) auf weitere 15 Angehörige der Politischen Abteilung von Auschwitz59 ausgedehnt. Ende April 1959 wurden Hans Stark, Pery Broad und Klaus Dylewski in Untersuchungshaft genommen. Das Amtsgericht Stuttgart hatte auf Antrag der Stuttgarter StA die Haftbefehle erlassen.

3. Fritz Bauer tritt auf den Plan

Thomas Gnielka (1928 – 1965), Korrespondent der Frankfurter Rundschau in Wiesbaden, übersandte mit Schreiben vom 15. Januar 195960 an den Leiter der StA bei dem Oberlandesgericht (fortan: OLG) Frankfurt am Main (fortan: FFM), Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, Dokumente, die für Hessens obersten Strafverfolger61 willkommener Anlass waren, beim BGH gemäß § 13a StPO die Frage der Zuständigkeit hinsichtlich des Komplexes Auschwitz entscheiden zu lassen. Gnielka hatte von dem Holocaust-Überlebenden Emil Wulkan (1900 – 1961) Unterlagen erhalten, die dieser nach eigenen Angaben62 im Mai 1945 in Breslau bekommen hatte. In den sieben Blatt umfassenden Dokumenten aus dem Jahre 194263 kamen die Namen von angeblich auf der Flucht erschossenen Häftlingen sowie 37 Namen von SS-Männern vor, die an den Erschießungen beteiligt waren. Unter anderem fand sich im Schreiben der Kommandantur vom 15. August 1942 der Name des späteren Angeklagten Stefan Baretzki. Gegen die SS-Leute waren pro forma Ermittlungsverfahren eingeleitet worden, die sodann formularmäßig vom Breslauer SS- und Polizeigericht eingestellt wurden. In den Schreiben bat die Kommandantur von Auschwitz um die »Einstellung der Ermittlungsverfahren« gegen die SS-Schützen, »da die Posten gemäß ihren Dienstanweisungen und nicht rechtswidrig«64 gehandelt hätten sowie um die Freigabe der Leichen zur »Feuerbestattung«. Die Tötung der Häftlinge wurde mit dem Schein der Legalität versehen.

Bauers Mitarbeiter, Erster Staatsanwalt Wilhelm Metzner (*1909), reiste am 20. Januar 1959 nach Ludwigsburg und überbrachte der Zentralen Stelle Kopien des Schreibens Gnielkas und der »Breslauer Dokumente«. Mit Schreiben vom 29. Januar 1959 an Bauer bestätigte der Leiter der Ludwigsburger Einrichtung, OStA Erwin Schüle, die Übernahme des »Verfahrens wegen Erschießungen von Häftlingen ›auf der Flucht‹«65. Kopien der genannten Schriftstücke sowie ein »Verzeichnis vom 4.9.1958 betr. SS-Leute, die in Auschwitz Dienst gemacht hatten«66, leitete Bauer67 mit Schreiben vom 15. Februar 1959 auch dem Generalbundesanwalt »mit der Anregung« zu, »eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nach § 13a StPO herbeizuführen«.

Der Umstand, dass Bauer die bereits laufenden Ermittlungen in Sachen Auschwitz der Zentralen Stelle nicht überließ, vielmehr ein Verfahren durch die StA beim Landgericht (fortan: LG) FFM anstrebte, ist bemerkenswert. Bauer wollte offensichtlich nicht abwarten, bis durch die Vorermittlungen in Ludwigsburg die Sache reif für die Abgabe an eine zuständige StA ist. Er strebte an, das Verfahren von Beginn an in Frankfurt am Main durchführen zu lassen. In einem Schreiben vom 27. August 1959 an Hermann Langbein führte er aus: »Ich kann Ihnen und dem Internationalen Auschwitz-Komitee nur nachdrücklich versichern, dass es der durch keinerlei Vorbehalte irgendwelcher Art eingeschränkte Wunsch der Frankfurter Staatsanwaltschaft ist, endlich den Komplex Auschwitz ohne Ansehen der von ihm betroffenen Personen aufzuklären und anzuklagen.«68

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (fortan: BGH) in Karlsruhe beschloss nach Anhörung des Generalbundesanwalts in der Sitzung vom 17. April 1959 die Untersuchung und Entscheidung in der Strafsache gegen Beyer69 u.a. wegen Mordes u.a. gemäß § 13a StPO (Gerichtsstandsbestimmung)70 dem LG FFM zu übertragen (2 ARs 60/59). Aufgeführt sind in dem Beschluss 94 »frühere Angehörige der Kommandantur des Konzentrationslagers Auschwitz«, darunter die späteren Angeklagten Richard Baer, Franz Hofmann, Klaus Dylewski, Pery Broad, Willy Frank, Victor Capesius, Josef Klehr, Emil Hantl, Gerhard Neubert, Herbert Scherpe, Hans Nierzwicki, Oswald Kaduk, Hans Stark und Stefan Baretzki. Neben den 37 in den »Breslauer Dokumenten« aufgeführten »SS-Schützen« werden in dem BGH-Beschluss weitere 57 SS-Angehörige genannt, die in dem Verzeichnis vom 4. September 1958 aufgezählt worden waren.71 Durch den Beschluss des BGH war der Gerichtsstand beim LG FFM begründet, das Verfahren somit bei der StA des Frankfurter Landgerichts anhängig.

Bei der ihm unterstellten Behörde stieß Bauers Vorhaben auf Ablehnung. Sowohl der Leiter der StA FFM, OStA Heinz Wolf (1908 – 1984), als auch der Leiter der Abt. Politische Strafsachen, Hanns Großmann (1912 – 1999), waren der Auffassung, dass das in Stuttgart anhängige Verfahren auf die hinzugekommenen Beschuldigten ausgedehnt und trotz des BGH-Beschlusses das Verfahren weiterhin in Stuttgart durchgeführt werden sollte.72

Die StA Stuttgart gab nach dem BGH-Beschluss ihr Verfahren gegen Boger u.a. mit Verfügung vom 26. Mai 195973 sowie die Zentrale Stelle ihre Vorermittlungsverfahren gegen Angehörige der Politischen Abteilung von Auschwitz und wegen Erschießungen von Häftlingen »auf der Flucht« mit Schreiben vom 30. Juni 195974 nach Frankfurt am Main ab. »Im Sommer«75 1959 rief Bauer Staatsanwalt Georg Friedrich (Fritz) Vogel (1926 – 2007) und Gerichtsassessor Joachim Kügler (1926 – 2012) zu sich und übertrug den jungen Juristen die Sachbearbeitung des Auschwitz-Komplexes. Das Ermittlungsverfahren gegen Beyer u.a. (4 Js 444/59) der StA b. LG FFM war somit eingeleitet. Kügler zufolge lag Bauer viel daran, Juristen mit der Aufgabe zu betrauen, die nicht in die Verbrechen des NS-Staates verstrickt waren. Obwohl für das nunmehr in Frankfurt am Main anhängige Ermittlungsverfahren gegen 94 Beschuldigte laut Generalakten76 drei Staatsanwälte und fünf Schreibkräfte hätten abgestellt werden sollen, mussten zwei Staatsanwälte und nur eine Schreibkraft das Ermittlungsverfahren durchführen.

Vogel und Kügler reisten Ende Juni 1959 nach Ludwigsburg und studierten in der Zentralen Stelle die ihnen vorgelegten Akten der von Ludwigsburg eingeleiteten Auschwitz-Verfahren. Bereits am 23. Juni 1959 hatte bei den Frankfurter Staatsanwälten Langbein vorgesprochen und seine Mitarbeit angeboten. Auch in Ludwigsburg traf er mit Vogel und Kügler zusammen. Obgleich sich die Ermittlungen äußerst schwierig gestalteten und Kügler zufolge auf die Polizei »kein Verlass«77 war, gelang es den beiden Staatsanwälten noch im Jahr 1959 Heinrich Bischoff (21.7.1959)78, Oswald Kaduk (21.7.1959) und Victor Capesius (4.12.1959) verhaften zu lassen. 1960 erfolgten die Verhaftungen von Stefan Baretzki (12.4.1960), Alois Staller (13.4.1960), Hans Nierzwicki (16.9.1960), Josef Klehr (17.9.1960), Robert Mulka (8.11.1960), Kurt Uhlenbroock (14.11.1960), Emil Bednarek (25.11.1960) und Richard Baer (20.12.1960), 1961 die Inhaftnahme von Emil Hantl (26.5.1961), Arthur Breitwieser (9.6.1961), Jakob Fries (12.6.1961) und Herbert Scherpe (15.8.1961).79

Eine von Kriminalbeamten des Landeskriminalamtes Hessen gebildete Sonderkommission, der Kriminalobermeister Heinrich Sauerwein und Kriminalmeister Ihring angehörten, unterstützten als »Hilfsbeamte der Staatsanwaltschaft«80 die Tätigkeit der Ermittler. Die Strafverfolgungsbehörde erstellte im Januar 1960 eine Beschuldigtenliste81, die im Februar 1960 von Langbein82 ergänzt wurde. Schwierig war nicht nur die Ermittlung des Aufenthalts der Beschuldigten, äußerst mühsam gestaltete sich auch die Herbeischaffung von Beweismitteln. Neben Langbein83 waren das Institute of Documentation in Israel for the Investigation of Nazi War Crimes/Haifa, Yad Vashem/Jerusalem, der World Jewish Congress/New York sowie Rechtsanwalt (fortan: RA) Henry Ormond (1901 – 1973)84 hilfreich bei der Suche nach Zeugen. Die StA erstellte einen Fragebogen85, den sie in der Erwartung an Überlebende von Auschwitz versandte, die zu Beginn des Verfahrens nicht eben einfache Beweissituation durch die Herbeischaffung von verwertbaren Zeugenaussagen zu verbessern.

Ungeachtet aller regierungsamtlichen Berührungsängste und aller ungeschriebenen Gesetze des Kalten Krieges knüpften die Frankfurter Staatsanwälte Kontakte nach Polen. Im August 1960 (12. – 29.8.1960) reisten sie nach Warschau und an den Tatort Auschwitz.86 Eine Dienstreise in die Volksrepublik Polen, mit der die Bundesrepublik Deutschland keine diplomatischen Beziehungen hatte, war ein ungewöhnliches Unterfangen. Allein die Unterstützung durch die hessische Landesregierung machten die Reise möglich. Als überaus wichtig und hilfsbereit erwies sich das Mitglied der Hauptkommission zur Untersuchung der Nazi-Verbrechen, Jan Sehn (1909 – 1965). Mit Hilfe von Sehn (Direktor des Instytutu Ekspertyz Sądowych w Krakowie)87 gelang es den Staatsanwälten, wichtige Urkunden aus den Archiven der Hauptkommission und des Staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau zu erhalten, die sowohl für die Bewertung der den Beschuldigten zur Last gelegten Tatbeiträge als auch für die Sachkenntnis der Ermittler grundlegend waren.

Wie schwierig es war, polnische Auschwitz-Überlebende zum Zweck der zeugenschaftlichen Einvernahme nach Frankfurt am Main einzuladen, veranschaulicht der bürokratische Weg, den die Ermittler zu gehen hatten. Das Bundesministerium des Innern bat das Auswärtige Amt, beim in Warschau ansässigen Travel Permit Office for Germany der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika einen Einreisesichtvermerk für einen Zeugen zu beantragen.

4. Ein engagierter Untersuchungsrichter

Nach zwei Jahren Ermittlungsarbeit stellte die Strafverfolgungsbehörde am 12. Juli 1961 beim LG FFM Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung.88 Der 168 Seiten umfassende Antrag enthält einen historischen Teil, in dem auf der Grundlage des damaligen Forschungsstands89 unter anderem die »Entwicklung der Judenverfolgung«, die »Organisation und Aufgabe der SS«, die »Konzentrationslager«, die »Durchführung des Vernichtungsprogramms« und die Geschichte des »Konzentrationslagers Auschwitz« dargelegt werden. In Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtsprechung betrachtete die StA Hitler, Göring, Himmler und Heydrich als Haupttäter, die Beschuldigten als Mittäter oder Gehilfen, insofern sie sich »an der Vollstreckung eines einheitlichen Vernichtungsprogramms beteiligt« hätten, »Teil der Vernichtungsmaschinerie von Auschwitz«90 gewesen seien.

Angeschuldigt wurden: 1. Richard Baer, 2. Robert Mulka, 3. Victor Capesius, 4. Kurt Uhlenbroock, 5. Willy Frank, 6. Willi Schatz, 7. Franz Hofmann, 8. Oswald Kaduk, 9. Stefan Baretzki, 10. Johann Schoberth, 11. Bernhard Rakers, 12. Heinrich Bischoff, 13. Jakob Fries, 14. Wilhelm Boger, 15. Hans Stark, 16. Pery Broad, 17. Klaus Dylewski, 18. Max Lustig, 19. Josef Klehr, 20. Hans Nierzwicki, 21. Emil Hantl, 22. Arthur Breitwieser, 23. Emil Bednarek, 24. Alois Staller, »durch mehrere selbständige Handlungen, teils allein, teils gemeinschaftlich mit anderen, aus Mordlust und sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch und grausam sowie teilweise mit gemeingefährlichen Mitteln – für die Zeit vor dem 4.9.1941 auch vorsätzlich und mit Überlegung – Menschen getötet zu haben oder dies versucht zu haben oder hierzu durch Rat und Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben«91, mithin Verbrechen nach §§ 211 aF u. nF92, 43 aF (Versuch), 47 aF (Mittäterschaft), 49 aF (Beihilfe), 74 aF (Realkonkurrenz, Tatmehrheit) StGB begangen zu haben.93 Der Antrag auf Eröffnung der gerichtlichen Voruntersuchung führt dann die konkreten Tatvorwürfe gegen die Angeschuldigten im Einzelnen auf. Wichtig ist hervorzuheben, dass die Anklagebehörde sowohl von der Mitwirkung der Angeschuldigten an einem »einheitlichen Vernichtungsprogramm« und ihrer Beteiligung bzw. Mitwirkung an der in Auschwitz errichteten »Vernichtungsmaschinerie« spricht, als auch von dem Erfordernis ausgeht, den Angeschuldigten konkrete Einzeltaten zuzurechnen.

1. Richard Baer (*1911), SS-Sturmbannführer, Kommandant von Auschwitz I (Stammlager) in der Zeit von Mitte Mai 1944 bis zur Evakuierung des Lagers im Januar 1945, hat Befehle zur Tötung einer Vielzahl von Menschen, insbesondere von Juden aus Ungarn, erteilt;

2. Robert Mulka (*1895), SS-Hauptsturmführer, Adjutant des Lagerkommandanten Rudolf Höß von Anfang 1942 bis März 1943, hat den Befehl zum Transport des Gases Zyklon B nach Auschwitz und zur Verbringung von Deportierten zu den Gaskammern gegeben, hat sich weiterhin bei der »Verwirklichung des nationalsozialistischen Vernichtungsprogramms [...] an den auf die Tötung von Häftlingen gerichteten Maßnahmen beteiligt«94;

3. Victor Capesius (*1907), SS-Sturmbannführer, Leiter der SS-Apotheke in der Zeit von Ende 1943 bis Ende 1944, hat Selektionen auf der Rampe durchgeführt und überwacht, zusammen mit dem SS-Arzt Josef Mengele Selektionen im Lager vorgenommen, die Tötungsmittel Zyklon B und Phenol angefordert, verwaltet und ausgefolgt;

4. Kurt Uhlenbroock (*1908), SS-Hauptsturmführer, Lager- und Standortarzt in der Zeit vom 17. August 1942 bis zum 2. Oktober 1942, hat SS-Ärzte zum Rampendienst eingeteilt und Selektionen angeordnet;

5. Willy Frank (*1903), SS-Hauptsturmführer, Leiter der SS-Zahnstation in der Zeit von März 1943 bis August 1944, hat sich während der Vernichtung der ungarischen Juden im Sommer 1944 gemäß Dienstplan auf der Rampe in Birkenau an Selektionen beteiligt;

6. Willi Schatz (*1905), SS-Untersturmführer, SS-Zahnarzt in der Zeit von Frühjahr bis Herbst 1944, hat ebenso wie Frank »Dienst auf der Rampe« verrichtet;

7. Franz Hofmann (*1906), SS-Hauptsturmführer, Schutzhaftlagerführer in Auschwitz I (Stammlager) in der Zeit von Dezember 1942 bis Mai 1944, hat Selektionen auf der Rampe überwacht, Lagerselektionen angeordnet, bei sog. Bunkerentleerungen im Block 11 des Stammlagers inhaftierte Häftlinge zur Erschießung an der »Schwarzen Wand« bestimmt, Einzeltötungen durchgeführt;

8. Oswald Kaduk (*1906), SS-Hauptscharführer, Block- und Rapportführer in der Zeit von 1942 bis Januar 1945, hat Selektionen im Lager durchgeführt und eine Vielzahl von Erhängungen, Erschießungen, Einzeltötungen begangen;

9. Stefan Baretzki (*1919), SS-Rottenführer, Blockführer in Birkenau, hat sich an Selektionen auf der Rampe, an Hinrichtungen und an der Liquidierung des Theresienstädter Familienlagers (BII b, März 1944) beteiligt sowie Einzeltötungen vollzogen;

10. Johann Schoberth (*1922), SS-Unterscharführer, Mitglied der Politischen Abteilung in der Zeit von Mitte 1943 bis Mitte 1944, hat mindestens einmal im Sommer 1944 an einer Selektion mitgewirkt, mindestens einmal sich an einer Vergasungsaktion beteiligt und gemeinschaftlich mit einem Angehörigen der Politischen Abteilung Erschießungen von Häftlingen im Krematorium I (Stammlager) durchgeführt;

11. Bernard Rakers95 (*1905), SS-Hauptscharführer, Kommando- und Rapportführer im Stammlager und in Buna/ Monowitz in der Zeit von Oktober 1942 bis Dezember 1944, hat zwei Häftlinge getötet;

12. Heinrich Bischoff (*1904), SS-Unterscharführer, Blockführer in der Zeit von 1942 bis 1945, hat eine Vielzahl von Einzeltötungen begangen;

13. Jakob Fries (*1913), SS-Oberscharführer, 1. Arbeitsdienstführer in der Zeit von Sommer 1942 bis Anfang 1943, hat sich an Selektionen auf der Rampe beteiligt und Er-schießungen an der »Schwarzen Wand« durchgeführt;

14. Wilhelm Boger (*1906), SS-Oberscharführer, Angehöriger der Politischen Abteilung in der Zeit von 1943 bis 1945, hat sich an Selektionen auf der Rampe und im Zigeunerlager (BIIe) beteiligt, an Aussonderungen von Häftlingen aus Block 11 (Stammlager) mitgewirkt, eine Vielzahl von Erschießungen an der sogenannten Schwarzen Wand durchgeführt, bei Verhören (»verschärfte Vernehmungen«) Häftlinge zu Tode gefoltert;

15. Hans Stark (*1921), SS-Oberscharführer, Mitglied der Politischen Abteilung in der Zeit von Juni bis Dezember 1941 und März bis November 1942, hat an Erschießungen von Häftlingen, an Selektionen auf der »Alten Rampe« und an einer Vergasung im Alten Krematorium (Stammlager) mitgewirkt;

16. Pery Broad (*1921), SS-Rottenführer, Angehöriger der Politischen Abteilung in der Zeit von 1942 bis Januar 1945, hat sich an Selektionen auf der Rampe beteiligt, Häftlinge bei Verhören getötet, Insassen von Block 11 (Stammlager) zur Erschießung an der »Schwarzen Wand« mit ausgewählt;