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Bertelsmann Stiftung (Hrsg.)

Gute Ganztagsschulen entwickeln

Zwischenbilanz und Perspektiven

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.dnb.de abrufbar.

Für eine bessere Lesbarkeit verwenden wir meistens entweder die weibliche oder die männliche Form personenbezogener Substantive. Wenn nicht anders erwähnt, sind damit alle Geschlechter gemeint.

© 2019 Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh

www.bertelsmann-stiftung.de/verlag

Inhalt

Einleitung

Was sagt die Wissenschaft zum Lernen im Ganztag?

Ganztag: Eine Chance für gutes Lernen

Schulporträt Grundschule Pfälzer Weg: »Wir sind auch Lernende.«

Zwischen Hoffnung und Realität: Die Wirkung von Ganztagsschule auf die Schülerkompetenzen in Lesen und Mathematik

Schulporträt Geschwister-Scholl-Gymnasium Pulheim: »Es gibt keine allgemeingültigen Ratschläge.«

Positive Erfahrungen und ganz konkrete Wünsche: Die Elternsicht auf Ganztagsschule

Schulporträt Grundschule Gau-Odernheim: »Vielfalt ist ein Motor für Veränderung.«

Einordnung und Kommentar

Schulporträt Grundschule Berg am Laim: »Alles, was unsere Kinder brauchen, wird gemacht.«

Wie sind die Rahmenbedingungen für ganztägiges Lernen?

Flickenteppich Ganztag

Schulporträt Grundschule Auf den Heuen: »Ganztagsschule ist für alle da.«

Gute Ganztagsschule für alle: Kosten für den Ausbau eines qualitätsvollen Ganztagsschulsystems in Deutschland bis 2030

Schulporträt Hochwald-Gymnasium Wadern: »Ein guter Ganztag birgt Ansteckungsgefahr.«

Ganztagsschule als Verwaltung – Plädoyer für mehr Inspiration aus der Organisationstheorie

Schulporträt Gymnasium Alsdorf: »Eine andere Arbeitsplatzqualität«

Einordnung und Kommentar

Schulporträt Schlossgymnasium Gützkow: »Wir waren Exoten.«

Wie wird eine Schule eine gute Ganztagsschule?

Gelingensfaktoren guter Ganztagsschulen: Eine qualitative Studie bewährter Schulpraxis

Schulporträt Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Rösrath: »Wir sind zu den Eltern gegangen.«

Von Basislagern, Meilensteinen und Gipfelfahnen: Schulen auf dem Weg zum gebundenen Ganztag

Schulporträt Stadtteilschule Niendorf: »Lieber ein Gespräch zu viel als eins zu wenig.«

Das 3-B-Prinzip: Was Schulleitungen tun können, damit Lehrkräfte die Ganztagsschule akzeptieren

Schulporträt Alexander-Hegius-Gymnasium Ahaus: »Ich muss einen klaren Weg vor Augen haben.«

Einordnung und Kommentar

Schulporträt Schulcampus Rostock-Evershagen: »Wir probieren ständig etwas Neues aus.«

Ganztags-Rechtsanspruch für Grundschulkinder: Was jetzt passieren muss

Die Autorinnen und Autoren

Abstract

Einleitung

In den vergangenen Jahren ist der Ganztagsausbau in Deutschland – rein quantitativ – rasant vorangeschritten: Der Anteil ganztägig lernender Schülerinnen und Schüler kletterte von rund zehn Prozent zu Beginn des Jahrtausends auf über 40 Prozent im Jahr 2016 – Tendenz weiter steigend. Dabei ist die Entwicklung guter Ganztagsschulen ein komplexes Vorhaben, bei dem viele Faktoren ineinandergreifen müssen. Das pädagogische Engagement der Beteiligten, eingebunden in ein örtlich passendes Arbeitskonzept, ist die allererste Voraussetzung für einen gelungenen Ganztag. Zugleich sind auch politische Entscheidungen erforderlich, um die notwendigen Rahmenbedingungen für diese Arbeit zu schaffen: Dazu gehört die Bereitstellung der notwendigen finanziellen Mittel und damit auch der personellen Ausstattung der Schulen; dazu gehört aber auch ein Rechtsrahmen, der den Schulen ein eigenständiges Agieren ermöglicht.

Den Fragen, ob und in welchem Maße diese Faktoren im Rahmen des Ausbaus ebenfalls erfüllt wurden und inwiefern der quantitative Ausbau auch qualitätsvoll erfolgt, geht diese Publikation in drei Themenblöcken nach. Jeder Block enthält drei Beiträge unterschiedlicher Autorinnen und Autoren sowie eine abschließende Kommentierung. Zwischen den einzelnen Beiträgen finden sich kurze Transformationsgeschichten aus der Praxis von Schulen, die sich in den vergangenen Jahren zu pädagogisch qualitätsvoll ausgestalteten Ganztagsschulen weiterentwickelt haben.

Themenblock I liefert mit drei Beiträgen einen Überblick über die Diskussion rund um die Erfahrungen mit dem Ganztag aus Sicht der Forschung: Christine Steiner fasst den Stand der Ganztagsschulforschung zusammen, Nicole Hollenbach-Biele, Anja Simon und Dirk Zorn beleuchten auf Basis einer repräsentativen Umfrage die Erfahrungen von Eltern und Tobias Linberg, Olaf Struck und Thomas Bäumer untersuchen, ob die fachliche Kompetenzentwicklung in der Ganztagsschule besser als im Halbtag gelingt. Klaus-Jürgen Tillmann fügt in seinem Kommentar die Ergebnisse der drei Beiträge zu einer ersten Skizze der pädagogischen Qualität an den real existierenden Ganztagsschulen zusammen und zeichnet sie als ein Bild voller Licht und Schatten: Quantitativer Ausbau und pädagogische Qualitätsverbesserung müssten künftig – deutlich stärker als bisher – Hand in Hand gehen. Den direkten Einblick in die Praxis der Ganztagsschulentwicklung ergänzen im Themenblock I Schulgeschichten aus Bremen (Grundschule Pfälzer Weg), Nordrhein-Westfalen (Geschwister-Scholl-Gymnasium Pulheim), Rheinland-Pfalz (Grundschule Gau-Odernheim) und Bayern (Grundschule Berg am Laim, München).

Themenblock II widmet sich – am Beispiel der Regelwerke für gebundene Ganztagsschulen – der Frage, wie es um die Ausstattung von Ganztagsschulen mit personellen Ressourcen in den Bundesländern bestellt ist, wie die Kosten für einen weiteren, qualitätsvollen Ausbau zu beziffern sind (beide Beiträge von Klaus Klemm und Dirk Zorn) und welche Impulse die Organisationssoziologie und die Verwaltungswissenschaft für die Qualitätsentwicklung von Schulen im Allgemeinen und Ganztagsschulen im Besonderen geben können (Werner Jann und Markus Seyfried). In seinem einordnenden Kommentar schlussfolgert Klaus-Jürgen Tillmann, dass der in den nächsten Jahren weiterzuführende Ganztagsausbau unter erschwerten Bedingungen stattfinden und unter institutionellen Reformwidersprüchen erfolgen muss. Das Augenmerk, so Tillmann, müsse daher vor allem auf kompetentes Steuerungshandeln gerichtet werden, um eine qualitätsvolle pädagogische Entwicklungsdynamik in Gang setzen zu können. Ergänzt wird dieser Themenblock durch Schulporträts aus Bremen (Grundschule Auf den Heuen), dem Saarland (Hochwald-Gymnasium Wadern), Nordrhein-Westfalen (Gymnasium Alsdorf) und Mecklenburg-Vorpommern (Schlossgymnasium Gützkow).

In Themenblock III geht es um die konkreten Schulentwicklungsprozesse hin zum gebundenen Ganztag. Im Rahmen einer Interviewstudie mit zehn Schulleitungen erfolgreicher Ganztagsschulen haben Falk Radisch, Klaus Klemm und Klaus-Jürgen Tillmann im Auftrag der Bertelsmann Stiftung, Robert Bosch Stiftung, Stiftung Mercator und Vodafone Stiftung Qualitätsmerkmale guten ganztägigen Lernens erarbeitet und fünf zentrale Handlungsfelder abgeleitet. Nicole Hollenbach-Biele analysiert insgesamt 21 Interviews mit Schulleitungen guter Ganztagsschulen mit Blick auf deren konkreten Transferprozess und leitet daraus die wesentlichen Aufgaben, Meilensteine und Risiken für solche Schulen ab, die sich ebenfalls auf den Weg zu einem anspruchsvoll strukturierten Ganztag machen wollen. Dirk Zorn schließlich knüpft an aktuelle Erkenntnisse aus der US-amerikanischen Organisationsforschung an: Er identifiziert mit dem sogenannten 3-B-Prinzip die Faktoren Beteiligung, Begegnung und Bedeutsamkeit als drei zentrale Gestaltungselemente einer Schulentwicklung, die Lehrkräfte für eine aktive Mitwirkung bei der pädagogischen Gestaltung des Ganztags gewinnt.

Klaus-Jürgen Tillmann folgert aus den drei Beiträgen, dass sich aus den konkreten Beispielen der untersuchten und ausführlich beschriebenen Modellschulen sowohl kritische Problemreflexionen als auch konkrete Hinweise für Strategien auf politischer, administrativer und schulpraktischer Steuerungsebene ableiten lassen, die – im deutschen Schulwesen in die Fläche getragen – zu mehr und besseren Ganztagsschulen führen können. Praxiseinblicke ermöglichen in diesem Themenblock Schulporträts aus Mecklenburg-Vorpommern (Schulcampus Rostock-Evershagen), Nordrhein-Westfalen (Alexander-Hegius-Gymnasium Ahaus), Hamburg (Stadtteilschule Niendorf) und noch einmal Nordrhein-Westfalen (Freiherr-vom-Stein-Gymnasium Rösrath).

Zum Download finden interessierte Leserinnen und Leser weitere Schulporträts auf unserer Website unter www.bertelsmann-stiftung.de/guter-ganztag-schulpor traits.

Was sagt die Wissenschaft zum Lernen im Ganztag?

Ganztag: Eine Chance für gutes Lernen

15 Jahre Ausbau von Ganztagsschulen in Deutschland

Christine Steiner

Seit den 1990er-Jahren, spätestens jedoch mit dem 2003 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gestarteten Investitionsprogramm »Zukunft Bildung und Betreuung« (IZBB), avancierte die Ganztagsschule vom reformpädagogischen Schulkonzept zu einem mit weitreichenden Erwartungen verbundenen bildungs- und sozialpolitischen Reformprogramm. Zu den Kernzielen des Ganztagsausbaus zählt neben der Unterstützung einer besseren Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienleben für erwerbstätige Eltern insbesondere eine verbesserte individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler.

Unter dem Eindruck der ernüchternden Ergebnisse der PISA-Studie des Jahres 2000 versprach man sich von mehr (außer-)schulischen Ganztagsangeboten eine bessere Unterstützung vor allem für Schülerinnen und Schüler mit Bildungsdefiziten, aber auch für Kinder und Jugendliche mit besonderen Begabungen (Kuhlmann und Tillmann 2009: 23). Anders als in den USA, wo es eine lange Forschungstradition zu außerunterrichtlichen/-schulischen Angeboten gibt, wurden diese hierzulande kaum im Hinblick auf ihr Bildungspotenzial untersucht (Grunert 2006). Die wenigen zum damaligen Zeitpunkt vorliegenden Studien im deutschsprachigen Raum lieferten kaum Belege dafür, dass der Besuch einer Ganztagsschule dies zu leisten vermag. Ganztagsschulen eilte zwar der Ruf innovativer Schulen voraus, doch zu besseren Fachleistungen führte ein ganztägiger Schulalltag nicht (zusammenfassend Holtappels et al. 2007: 42 f.). Allenfalls gab es Hinweise auf eine bessere soziale Integration in die Schulgemeinschaft und eine Verbesserung des Sozialverhaltens der Schülerinnen und Schüler (ebd.). Ähnliches gilt für die in Deutschland bis zum Ganztagsausbau vor allem außerschulisch organisierten Unterstützungsformen schulischen Lernens. Dazu gehören beispielsweise die elterliche Begleitung der Hausaufgaben oder die private Nachhilfe, die die Leistungsentwicklung von Schülerinnen und Schülern nur unter bestimmten Bedingungen fördern (Luplow und Schneider 2018).

Pädagogisches Großexperiment

Sowohl der Mangel an empirischer Evidenz und die bestehenden Forschungslücken in Deutschland als auch das eher vage gehaltene bundesweite Rahmenkonzept mit wenigen, auf die Organisationsformen bezogenen Kriterien machten den Ganztagsausbau zu einer Art pädagogischem Großexperiment.

Nach nunmehr 15 Jahren gibt es einiges, was für einen beachtlichen Erfolg dieses Experiments spricht. Vor allem ist dabei der zwischenzeitlich erreichte Ausbaustand von fast zwei Drittel aller allgemeinbildenden Schulen zu nennen (KMK 2016: 1). Zudem ist die Akzeptanz ganztägig organisierter Bildung und Betreuung stetig gewachsen. Ganztagsschulen finden inzwischen selbst bei den anfänglichen Kritikerinnen und Kritikern unter den sozial- und bildungspolitischen Akteuren Unterstützung (Rauschenbach 2015: 28). Mit rund 70 Prozent wünscht sich heute die Mehrheit der Eltern für ihr Kind den Besuch einer Ganztagsschule (Tillmann 2014: 76 ff.). Nicht zuletzt schätzen die Kinder und Jugendlichen selbst dieses schulische Angebot – und sie profitieren auch von der Inanspruchnahme (StEG-Konsortium 2010).

Zugleich wurde jedoch im Zuge des Ausbaus immer wieder die Forderung erhoben, sich generell über pädagogische Qualitätskriterien zu verständigen; schließlich solle es nicht nur viele, sondern viele gute Ganztagsschulen geben. Die Kritik: Es mangele an einem einheitlichen Verständnis darüber, was einen guten Ganztag ausmacht und welche Bedingungen dafür nötig sind (zuletzt Bertelsmann Stiftung et al. 2017). Grund genug zu fragen, was bisher über die Bedingungen und die pädagogische Praxis an Ganztagsschulen bekannt ist und welche neuen Chancen für das Lernen von Kindern und Jugendlichen damit verbunden sind.

Schulische Ganztagsorganisation: Rahmenbedingungen und pädagogische Gestaltungslinien

Die Kritik, es fehle ein einheitliches Verständnis über die Ganztagsqualität, überrascht. Sowohl in programmatischen Ausführungen als auch in den Rahmenkonzepten zur Ganztagsqualität, die es mittlerweile in vielen Bundesländern gibt, werden eine Reihe wiederkehrender Momente zur Förderung der Ganztagsqualität und damit auch zur besseren Unterstützung der Schülerinnen und Schüler genannt. Dazu zählt der Verweis auf den erweiterten zeitlichen Rahmen und die dadurch mögliche größere Vielfalt an außerunterrichtlichen Angeboten ebenso wie der auf die Chancen, die sich aus dem erweiterten Kreis an Mitarbeitenden ergeben. So erhofft man von multiprofessionellen Ganztagsteams eine nachhaltige Veränderung der schulischen Lernkultur durch mehr partizipative und prozessuale Gestaltungselemente, aber auch durch die verstärkte Nutzung adaptiver Lehr- und Lernstrategien.

All dies ist nicht neu. Vieles davon wird in der Schul- und Unterrichtsqualitätsforschung seit Längerem als förderlicher Faktor für die individuelle Entwicklung von Schülerinnen und Schülern diskutiert (exemplarisch Ditton 2000). In diesem Sinn ist der Ganztagsschulausbau auch ein Projekt für mehr Schulqualität, für mehr gute Schulen und guten Unterricht. Allerdings ist der Fokus der Aufmerksamkeit, auch in der Forschung, vor allem auf die außerunterrichtlichen Angebote und ihre Verbindung mit dem Unterricht gerichtet. Anstelle einer effektiven Zeitgestaltung, die sich in der Unterrichtsqualitätsforschung als förderlich erwiesen hat, werden im Zusammenhang mit Ganztagsschulen vor allem die Möglichkeiten einer an den psycho- und physiologischen Leistungskurven der Schülerinnen und Schüler orientierten zeitlichen Rhythmisierung des gesamten Schultages thematisiert.

Andere Form von Bildung, erweitertes Förderverständnis

Dieser Fokus ist darauf zurückzuführen, dass Ganztagsschulen vor allem auch zu einer anderen Form von Bildung führen sollen. Im Rückgriff besonders auch auf reformpädagogische Ideen geht es darum, die lehrplangestützte, fächerbasierte Organisation des Lernens grundständig zu verändern: durch eine an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientierte Zeitgestaltung und die lebensweltliche Öffnung der Schule mit dem Einbezug nonformaler Lerngelegenheiten und von Freizeitangeboten. Damit einher geht ein Verständnis individueller Förderung, das nicht nur auf die Verbesserung von Fachleistungen setzt, sondern auf die Unterstützung der biografischen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler (Maykus et al. 2011: 127).

Das ist angesichts des »Ausbauanlasses PISA« nicht selbstverständlich. Die jüngste Schulleitungsbefragung des StEG-Projekts lässt erkennen, wie stark dieses erweiterte Förderverständnis an Ganztagsschulen inzwischen vertreten wird. Während schulformübergreifend deutlich über 80 Prozent aller Schulleitungen angaben, das Ziel »Förderung der Gemeinschaft, des sozialen Lernens und der Persönlichkeitsentwicklung« sei in ihrem Ganztagskonzept verankert, lag die entsprechende Quote beim Ziel »Kompetenzorientierung und Begabungsförderung« lediglich zwischen 50 und 65 Prozent (StEG-Konsortium 2015: 56). Diese erweiterte Lern- und Fördervorstellung korrespondiert durchaus mit den Vorstellungen und Wünschen der Eltern von Ganztagsschülerinnen und -schülern, für die die Unterstützung der Leistungsentwicklung vor allem als Vor- bzw. Nachbereitung von Passagen im Bildungssystem von Bedeutung ist (Arnoldt und Steiner 2015: 219). Dies spiegelt sich auch in der Nutzung von Ganztagsangeboten durch die Schülerinnen und Schüler wider.

Rhythmisierte Zeitkonzepte sind selten

Für die Verwirklichung ihrer Ziele haben die meisten Ganztagsschulen einen deutlich weiteren zeitlichen Rahmen als den in der KMK-Definition vorgesehenen Mindestumfang. Die Regel ist ein viertägiges Ganztagsangebot von mindestens acht Zeitstunden; Primarschulen bieten häufiger und zunehmend darüber hinausgehende Öffnungszeiten an. Allerdings sind rhythmisierte Zeitkonzepte eher selten, vor allem auch, weil in der Praxis eine erhebliche Unsicherheit darüber besteht, welche konkreten zeitorganisatorischen Veränderungen damit im Einzelnen verbunden sind (Bertelsmann Stiftung 2012: 66). Änderungen des zeitlichen Ablaufs eines Schultages lassen sich besser an einzelnen Gestaltungselementen ablesen. So wird in der großen Mehrheit der weiterführenden Schulen der Unterricht inzwischen über den ganzen Schultag verteilt; in überraschend vielen Primarschulen können Schülerinnen und Schüler sich ihre Zeit zumindest teilweise selbst einteilen.

Außerunterrichtliche Angebote werden dagegen nur selten über den ganzen Tag verteilt. Dabei sind gerade sie mit Aufnahme des Ganztagsbetriebes erheblich ausgebaut worden. Neben dem obligatorischen Mittagessenangebot und den im Grunde an allen Schulen vorhandenen Sportkursen und Angeboten zur musisch-kulturellen Bildung bieten Ganztagsschulen in der Regel auch eine Hausaufgabenbetreuung sowie diverse fachbezogene Förder- und Zusatzkurse.

Insgesamt betrachtet fällt jedoch auf, dass ein ausgewogenes Angebotsspektrum vielfältiger freizeitbezogener Aktivitäten sowie förder- und fachbezogener Angebote eher an Gymnasien und Gesamtschulen zu finden ist. In den übrigen Schulformen, besonders in den Hauptschulen, überwiegen die überfachlichen und freizeitbezogenen Angebote (Arnoldt und Steiner 2016). Insofern ist das Spektrum schulformspezifisch geprägt, was mit Blick auf den intendierten Abbau herkunftsbedingter Bildungsdisparitäten durchaus problematisch ist. Deutlich wird aber auch, dass die Vielfalt der Angebote an solchen Schulen größer ist, die über mehr pädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verfügen und sich die Kompetenzentwicklung ihrer Schülerinnen und Schüler zum Ziel gesetzt haben (ebd.).

Multiprofessionelle Teams und schulische Lernkultur

Viele Bildungsexpertinnen und -experten empfehlen ein möglichst vielfältiges Angebot – nicht nur, um den unterschiedlichen Voraussetzungen der Schülerschaft Rechnung tragen zu können, sondern auch, um ihre Wünsche berücksichtigen bzw. ihr Interesse wecken zu können. Dass sich ein vielfältiges Angebot nicht an allen Schulen findet, ist zum einen den knappen finanziellen Mitteln geschuldet und zum anderen den Schwierigkeiten, geeignete Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie weitere Mitwirkende zu finden. In ländlichen Regionen und in sozial benachteiligten städtischen Quartieren werden die Gestaltungsmöglichkeiten von Schulen durch mangelnde regionale Kooperationsgelegenheiten zusätzlich eingeschränkt (BMBF 2012: 42 ff.).

Erschwerend hinzu kommt ein hohes Maß an zeitlicher Flexibilität der Beschäftigungsverhältnisse von Lehrpersonen und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. So arbeitet nur ein Teil der Lehrkräfte regelmäßig im schulischen Ganztagsbereich mit; die pädagogisch Mitarbeitenden sind oft in Teilzeit und/oder auf der Basis befristeter Verträge beschäftigt. Die Mitwirkung von Honorarkräften und ehrenamtlich Tätigen ist generell zeitlich begrenzt. Auch das hat Konsequenzen für die Angebotsgestaltung. Vor allem aber ist die Etablierung multiprofessioneller Ganztagsteams eine organisatorische Herausforderung für die Schulleitungen.

Wenige konzeptionelle Brücken

Zur Ganztagsgestaltung zählt weiterhin die Forderung, dass das möglichst vielfältige Ganztagsangebot konzeptionell mit dem Fachunterricht verknüpft sein soll. Wie beim zeitlich rhythmisierten Schulalltag ist auch hier unklar, was das in der pädagogischen Praxis bedeutet und wie diese Forderung umgesetzt werden kann; vor allem auch, weil der Rückbezug auf den Fachunterricht dem umfassenden Verständnis individueller Förderung der Schülerinnen und Schüler zuwiderzulaufen scheint (Gaiser, Kielblock und Stecher 2016: 798). Ein ähnliches Spannungsverhältnis zeigt sich in der besonders zu Beginn des Ganztagsausbaus geführten Debatte über eine mangelnde Anerkennung der institutionellen und pädagogischen Eigenständigkeit von schulischer und außerschulischer Bildung sowie einer drohenden De-Professionalisierung durch einen multiprofessionell gestalteten Ganztag.

Diese Befürchtungen haben sich zwischenzeitlich etwas abgeschwächt. Zum einen wohl deshalb, weil Lehrkräfte die Zusammenarbeit mit den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Gewinn und auch als Entlastung zu schätzen gelernt haben; zum anderen aber auch, weil ihre Zusammenarbeit eher einem arbeitsteiligen Muster folgt: Lehrpersonen übernehmen häufig die unterrichtsbezogenen Angebote, während die pädagogisch Mitarbeitenden vor allem über den Unterricht hinausgehende Angebote bestreiten (Steiner 2018).

Es überrascht daher wenig, dass nach Auskunft von Ganztagsschulleitungen an rund der Hälfte der Schulen kaum konzeptionelle Brücken zwischen den Angeboten und dem Fachunterricht gebaut wurden. Am häufigsten findet sich das Nach- und Vorbereiten von Unterrichtsinhalten (StEG-Konsortium 2015: 58). Für die Hausaufgabenhilfe oder den Förderunterricht, wo dies in der Regel stattfindet, steht an Ganztagsschulen mehr Zeit zur Verfügung, die durchaus zu einer innovativen pädagogischen Praxis führen kann, aber nicht muss (Gaiser, Kielblock und Stecher 2016).

Die individuelle Zuwendung zur einzelnen Schülerin bzw. zum einzelnen Schüler ist in der Hausaufgabenhilfe durchaus häufig zu finden, aber auch in Fördergruppen und zusätzlichen Lernzeiten – dabei steht die Gruppengröße jedoch einer fokussierten fachlichen Förderung entgegen. Zudem kann eine verstärkte individuelle Zuwendung auch mit einer diffusen, ambivalenten sozialen und körperlichen Nähe zu den Schülerinnen und Schülern einhergehen (Rabenstein und Podubrin 2015: 255 f.). Doch scheint auch für die Hausaufgabenhilfe und den Förderunterricht in der Schule das zu gelten, was für das jeweilige außerschulische Pendant gilt: Eine entsprechende Unterstützung der Schülerinnen und Schüler ist nur bei einer hohen Angebotsqualität zu verzeichnen, also bei effektiver Zeitnutzung und einer strukturierten Lernumgebung (StEG-Konsortium 2010: 18 f.).

Autonomie stärkt Motivation

Impulse für eine neue pädagogische Praxis an Ganztagsschulen werden auch von mehr Partizipationsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler erwartet. Die zur Schülerpartizipation vorliegenden Untersuchungen zeigen jedoch zunächst einmal, dass sich Ganztagsschulen nicht durch eine ausgeprägte Partizipationskultur auszeichnen. Das gilt für den Unterricht ebenso wie für den außerunterrichtlichen Bereich (Bertelsmann Stiftung 2012: 57 f.). Allerdings sollte die an allen Schulen bestehende Möglichkeit, dass Kinder und Jugendliche zwischen den Angeboten auswählen können, in ihrer Bedeutung für die Schülerinnen und Schüler nicht unterschätzt werden.

Die noch immer wenigen Untersuchungen, die sich mit den Einschätzungen und Erfahrungen von Schülerinnen und Schülern befassen, zeigen, dass die Wahlmöglichkeit und Freiwilligkeit genau das ist, was das außerunterrichtliche Angebot in den Augen der Kinder und Jugendlichen im positiven Sinn vom Unterricht unterscheidet (StEG-Konsortium 2016: 31; Dzengel und Stein 2015: 294). Sie beziehen ihre Einschätzung nicht nur auf die populären überfachlichen und freizeitbezogenen Angebote, sondern auch auf unterrichtsnahe Formate. Die Freiwilligkeit der Teilnahme stärkt das Autonomieempfinden und damit auch die Motivation von Kindern und Jugendlichen, was sich letztlich bei unterrichtsnahen Angeboten als wichtiger Faktor für die Wirksamkeit von Ganztagsangeboten erwiesen hat (StEG-Konsortium 2016: 4).

Aber nicht nur das: Kinder und Jugendliche nehmen Ganztagsangebote nicht zuletzt deshalb auch als einen Ort wahr, an dem man in anderer Weise als im Unterricht miteinander zusammen sein kann, wo man aber auch Gelegenheit hat, etwas lernen zu können (Arnoldt, Furthmüller und Steiner 2013: 20 und 29 f.). Sie formulieren dabei Ansprüche an die Gestaltung der Angebote, etwa an ihre Organisation, ihre Strukturiertheit und ihren Anregungsgehalt, mithin also typische Merkmale der Angebotsqualität, die zugleich Merkmale guten Unterrichts sind. Dabei zeigt sich auch, wie Schülerinnen und Schüler ihre zusätzliche Zeit an der Schule verbringen möchten: nicht mit mehr Unterricht, aber auch nicht mit mehr freier Zeit, die sie mehr oder minder zur eigenen Verfügung haben, sondern als zusätzliche, ihren Interessen folgende Lernzeit (Dzengel und Stein 2015: 294).

Inanspruchnahme und individuelle Wirkungen von Ganztagsangeboten

Die Freiwilligkeit und die Wählbarkeit von Angeboten, die an den offenen Ganztagsschulen auch hinsichtlich der generellen Teilnahme bestehen, werfen die Frage auf, ob alle Kinder und Jugendlichen in gleicher Weise am Ganztag teilnehmen, vor allem auch die Schülerinnen und Schüler, die eine besondere individuelle Unterstützung benötigen. Untersuchungen an offenen Ganztagsschulen zeigen, dass besonders im Primarbereich Kinder aus sozial weniger privilegierten Elternhäusern seltener am Ganztagsangebot teilnehmen. Für die Schülerinnen und Schüler der Sekundarstufen I wurde vor allem ein deutlicher Einfluss des Alters sichtbar: Mit zunehmendem Alter wird die Teilnahme am Ganztagsangebot der Schule unwahrscheinlicher (Steiner und Fischer 2011: 198 f.).

Hinsichtlich der Wahl konkreter Angebote wird deutlich, dass Kinder und Jugendliche dann, wenn sie selbst über die Teilnahme entscheiden können, eher überfachliche und Freizeitangebote nutzen (ebd.). Diese Präferenz wird auch sichtbar, wenn längere Abschnitte der Schullaufbahn in den Blick genommen werden. So hatten fast 70 Prozent aller Schülerinnen und Schüler aus Haupt- und Realschulbildungsgängen im Verlauf der Sekundarstufe I allenfalls vereinzelt unterrichtsbezogene Angebote besucht. Auf eine vergleichsweise regelmäßige Inanspruchnahme überfachlicher und freizeitbezogener Angebote verzichtete dagegen nur rund ein Drittel der Schülerinnen und Schüler (StEG-Konsortium 2016: 37 f.). Besonders beliebt sind hier bei den Jungen Sportangebote; Schülerinnen konzentrieren sich hingegen stärker auf musisch-kulturelle Angebote.

Eltern sehen lernförderliches Potenzial

Das ergibt nun in zeitlicher wie auch in thematischer Hinsicht das Bild einer typischen mittelschichtsgeprägten Kindheit und frühen Jugend, in der der Besuch organisierter Freizeitangebote, vorzugsweise im Sport oder im Bereich der musisch-kulturellen Bildung, selbstverständlich ist, wenngleich nicht an jedem Wochentag. Ein genaueres Hinsehen lohnt sich dennoch. So fällt beispielsweise beim Wechsel von der Primar- in die Sekundarstufe I auf, dass neben der Ganztagserfahrung und dem Betreuungsbedarf vor allem erkennbare Lernschwierigkeiten für den Wechsel an eine weiterführende Ganztagsschule sprachen. Ganztagsschulen zeichnen sich aus Perspektive der Eltern also offenbar durch ein lernförderliches Potenzial aus.

Entsprechend besuchen – wie von den Eltern gewünscht – zumindest manche Schülerinnen und Schüler verstärkt unterrichtsbezogene Angebote zu Beginn, aber auch zum Ende der Sekundarstufe I. Vor allem Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund zeichnen sich durch ein ausgesprochen leistungsbezogenes Profil lernbezogener Ganztagsangebote aus. Bei den fachübergreifenden und freizeitbezogenen Aktivitäten ist in den Teilnahmeprofilen eine allmähliche Reduzierung und Fokussierung der Inanspruchnahme erkennbar: Während jüngere Kinder nicht nur vom Umfang her, sondern auch hinsichtlich der thematischen Vielfalt eine breite Palette außerunterrichtlicher Angebote nutzen, konzentrieren sich ältere Schülerinnen und Schüler auf Lernangebote und soziale Formate wie die Mitwirkung in der Seniorenbetreuung, eine Erste-Hilfe-Ausbildung oder eine Mentorentätigkeit.

Hohe Angebotsqualität stützt positive Entwicklung der Kinder

Resultieren aus dieser unterschiedlichen Teilnahmepraxis unterschiedliche individuelle Wirkungen? Die Wirkungen des Ganztagsbesuchs werden oft anhand der zeitbezogenen Aspekte der Teilnahmedauer und -intensität sowie anhand verschiedener Dimensionen der Angebotsqualität untersucht. Beides spielt bei der Entwicklung verschiedener Aspekte des Sozialverhaltens von Kindern und Jugendlichen sowie bei der Entwicklung schulischer Leistungen eine Rolle. Insgesamt gesehen scheinen jedoch eher Effekte von der Angebotsqualität als von der Dauer der Inanspruchnahme auszugehen. Der Einfluss der Teilnahmedauer zeigt sich vor allem bei der Reduzierung problematischen Sozialverhaltens und dem Schutz vor Klassenwiederholungen. Demgegenüber unterstützt eine hohe Angebotsqualität vor allem die positive Entwicklung von Lernvoraussetzungen wie der Lernmotivation oder der Schulfreude, aber auch eine positive Entwicklung der Schulnoten.

In der Gesamtschau der bisher vorliegenden Forschungsbefunde zu den individuellen Wirkungen des Ganztagsbesuchs zeichnet sich eine hohe Übereinstimmung dahingehend ab, dass der Besuch von Ganztagsangeboten die psychosoziale Entwicklung der Schülerinnen und Schüler unterstützt und damit Wichtiges für die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen leistet. Im Hinblick auf die Förderung der Fachleistungen ist die Befundlage disparater: In einigen Untersuchungen zeigten sich förderliche Wirkungen auf die Entwicklung fachbezogener Kompetenzen und/oder der Noten, in anderen konnten keine Unterschiede zwischen Ganz- und Halbtagsschülern bzw. in der Entwicklung fachbezogener Kompetenzen festgestellt werden. Vielleicht lässt sich am ehesten festhalten, dass Ganztagsschulen durchaus das Potenzial haben, die individuelle Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler besser zu unterstützen. Sie könnten es aber gerade im Hinblick auf die fachbezogene Kompetenzentwicklung sicher intensiver ausschöpfen.

Schlussbemerkung: Anders lernen an der Ganztagsschule

Ganztagsschulen sind heute eher die Regel denn die Ausnahme in der deutschen Schullandschaft. Die inzwischen große Akzeptanz, insbesondere seitens der Familien, wird gelegentlich auf die Unterstützung der Eltern bei der Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienleben und die Offenheit der Gestaltung zurückgeführt. Zweifelsohne leisten Ganztagsschulen einen wichtigen sozial- und arbeitsmarktpolitischen Beitrag.

Im Verlauf dieser Ausführungen ist aber auch deutlich geworden, dass Schulen und Eltern das erweiterte Verständnis individueller Förderung von Kindern und Jugendlichen weitgehend teilen. Eltern wollen ebenso wie die Ganztagsschulen keine erweiterte Unterrichtsschule, sondern wünschen eine an den Bedürfnissen von Kindern und Jugendlichen orientierte Schule. Damit scheint eine solche Schule auch die Interessen von Kindern und Jugendlichen zu treffen, die die freie Zeit in der Schule durchaus als Lernzeit für sich entdecken und damit die Konturen eines anderen Lernens in der Schule aufscheinen lassen. Insofern traf beim Ganztagsaufbau eine originär reformpädagogische Idee auf moderne, die Entwicklung von Individualität betonende Lebensverhältnisse. Ganztagsschulen können in diesem Sinn durchaus auch als modernisierte Schulen angesehen werden.

Dass sie diesem erweiterten Förderverständnis gerecht werden, zeigen insbesondere die vorliegenden Befunde zur Unterstützung der sozialen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler, mithin auch eine Voraussetzung für das fachbezogene Lernen. Die Schulen haben aber auch Erfolge bei der direkten Unterstützung schulischen Erfolgs, allerdings vor allem unter der Bedingung einer hohen Angebotsqualität.

Was brauchen gute Ganztagsschulen?

Soll am Ziel eines substanziellen Abbaus herkunftsbedingter Bildungsdisparitäten festgehalten werden, ist eine stärkere Etablierung von Strategien fachbezogener individueller Förderung erforderlich – sowohl im Unterricht als auch bei den Angeboten. Allerdings falle es Ganztagsschulen mitunter schwer, so Sabine Reh (BMBF 2012: 17), sich selbst als Weiterentwicklung der Unterrichtsschule zu verstehen und nicht als Ausschmückung mit Freizeitangeboten. Im Fokus ständen vielmehr – durchaus in einem reformpädagogischen Verständnis – die Kompensation von Defiziten des Sozialraumes und der außerschulischen Sozialisation der Schülerinnen und Schüler.

Was braucht es, damit Ganztagsschulen sich ein zeitgemäßes Verständnis einer modernen Unterrichtsschule erarbeiten können? Zunächst einmal solidere finanzielle und personelle Rahmenbedingungen, als sie an vielen Ganztagsschulen heutzutage anzutreffen sind. Notwendig ist aber auch eine breite fachliche Unterstützung. So wurde an verschiedenen Stellen gerade in der praktischen Auseinandersetzung mit Gestaltungsideen (Rhythmisierung oder Verbindung von Angebot und Unterricht) von Unsicherheiten der Lehrkräfte und pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter berichtet. Solche Unsicherheiten können als Ausdruck konfligierender Anforderungen – etwa rechtlicher Bestimmungen, professioneller Interessen oder der Wünsche von Schülerinnen und Schülern sowie Eltern – angesehen werden. Deren produktive Bearbeitung kann, schon allein aufgrund der eigenen Beteiligung, nur bedingt vor Ort geleistet werden.

Im Sinne einer schülerorientierten Schule ist zudem das Investieren in die konkrete Gestaltung des Unterrichts und der Angebote immer eine gute Idee, weil es Kindern und Jugendlichen unmittelbar zugutekommt. Die bisherigen Befunde zeigen, dass Ganztagsschulen dies leisten können. Und sie zeigen auch, dass eine andere Schule möglich ist.

Literatur

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Arnoldt, Bettina, und Christine Steiner (2015). »Perspektiven der Eltern auf die Ganztagsschule«. Zeitschrift für Familienforschung (27) 2. 208–227.

Arnoldt, Bettina, Peter Furthmüller und Christine Steiner (2013). Ganztagsangebote für Jugendliche. Eine Expertise zum Stellenwert von Ganztagsangeboten für Schüler/innen ab der 9. Klasse. Expertise im Auftrag des Zentrums Eigenständige Jugendpolitik. Wissenschaftliche Texte des Deutschen Jugendinstituts (DJI). München. Bertelsmann Stiftung (Hrsg.) (2012). Ganztagsschule als Hoffnungsträger für die Zukunft. Ein Reformprojekt auf dem Prüfstand. Gütersloh.

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Grunert, Cathleen (2006). »Bildung und Lernen – ein Thema der Kindheits- und Jugendforschung?« Informelles Lernen im Jugendalter. Vernachlässigte Dimensionen der Bildungsdebatte. Hrsg. Thomas Rauschenbach, Wiebken Düx und Erich Sass. Weinheim. 15–34.

Holtappels, Heinz G., Eckhard Klieme, Falk Radisch, Thomas Rauschenbach und Ludwig Stecher (2007). »Forschungsstand zum ganztägigen Lernen und Fragestellungen von StEG«. Ganztagsschule in Deutschland. Ergebnisse der Ausgangserhebung der »Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen« (StEG). Hrsg. Heinz G. Holtappels, Eckhard Klieme, Thomas Rauschenbach und Ludwig Stecher. Weinheim. 37–50.

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Kuhlmann, Christian, und Klaus-Jürgen Tillmann (2009). »Mehr Ganztagsschulen als Konsequenz aus PISA? Bildungspolitische Diskurse und Entwicklungen in den Jahren 2000 bis 2003«. Ganztagsschule als symbolische Konstruktion. Hrsg. Fritz-Ulrich Kolbe, Sabine Reh, Bettina Fritzsche, Till-Sebastian Idel und Kerstin Rabenstein. Wiesbaden. 23–45.

Luplow, Nicole, und Thorsten Schneider (2018). »Unterstützung durch die Familie: Hausaufgaben und Nachhilfe«. Handbuch der Kindheits- und Jugendsoziologie. Hrsg. Andreas Lange, Herwig Reiter, Sabina Schutter und Christine Steiner. Wiesbaden. 179–189.

Maykus, Stephan, Wolfgang Böttcher, Tim Liesegang und André Altermann (2011). »Individuelle Förderung in der Ganztagsschule«. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 15. 125–142.

Rabenstein, Kerstin, und Evelyn Podubrin (2015). »Praktiken individueller Zuwendung in Hausaufgaben- und Förderangeboten. Empirische Rekonstruktionen pädagogischer Ordnungen«. Lernkulturen. Rekonstruktion pädagogischer Praktiken an Ganztagsschulen. Hrsg. Sabine Reh, Bettina Fritzsche, Till-Sebastian Idel und Kerstin Rabenstein. Wiesbaden. 219–263.

Rauschenbach, Thomas (2015). »Ganztagsschule – ein Projekt ohne Konzept«. Bildung über den ganzen Tag. Forschungs- und Theorieperspektiven der Erziehungswissenschaft. Hrsg. Tina Hascher, Till-Sebastian Idel, Sabine Reh, Werner Thole und Klaus-Jürgen Tillmann. Opladen u.a. 23–38.

StEG-Konsortium (Hrsg.) (2016). Ganztagsschule: Bildungsqualität und Wirkungen außerunterrichtlicher Angebote. Ergebnisse der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen 2012–2015. Frankfurt am Main. www.projekt-steg.de/sites/default/files/StEG_Brosch_FINAL.pdf (Download 30.7.2018).

StEG-Konsortium (Hrsg.) (2015). Ganztagsschule 2014/2015. Deskriptive Befunde einer bundesweiten Befragung. Frankfurt am Main u.a. www.projekt-steg.de/sites/default/files/StEG_Bundesbericht%202015_final_0.pdf (Download 30.7.2018).

StEG-Konsortium (Hrsg.) (2010). Ganztagsschule: Entwicklungen und Wirkungen. Ergebnisse der Studie zur Entwicklung von Ganztagsschulen 2005–2010. http://alt.projekt-steg.de/files/pk101111/Ergebnisbroschuere_StEG_2010-11-11.pdf (Download 30.7.2018).

Steiner, Christine (2018). »Grenzfall Ganztagsschule: Zum Verhältnis von Organisation und Profession am Beispiel multiprofessioneller Teams an Ganztagsschulen«. Grenzanalysen – Erziehungswissenschaftliche Analysen zu einer aktuellen Denkfigur. Hrsg. Birgit Bütow, Jean-Luc Patry und Hermann Astleitner. Weinheim und Basel. 156–181.

Steiner, Christine, und Natalie Fischer (2011). »Wer nutzt Ganztagsangebote und warum?« Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Sonderheft 15. 185–204.

Tillmann, Klaus-Jürgen (2014). »Die Ganztagsschule und die Wünsche der Eltern«. Eltern zwischen Erwartungen, Kritik und Engagement. Ein Trendbericht zu Schule und Bildungspolitik in Deutschland. 3. JAKO-O-Bildungsstudie. Hrsg. Dagmar Killus und Klaus-Jürgen Tillmann (in Kooperation mit TNS Emnid). Münster und New York. 71–87.

Grundschule Pfälzer Weg: »Wir sind auch Lernende.«

Wer weiß, wozu es gut ist? Besieht man sich die Geschichte der Grundschule am Pfälzer Weg in Bremen auf ihrem Weg zur Ganztagsschule, kommt einem unweigerlich dieser Spruch in den Sinn. Denn es waren gerade äußere, nicht unbedingt angenehme Ereignisse und Umstände, die letzten Endes die Schulentwicklung angeschoben und im Schuljahr 2014/2015 auf das erfolgreiche Gleis Richtung gebundene Ganztagsschule gesetzt haben.

Die Grundschule liegt im Stadtteil Tenever, der mit dem Etikett »sozialer Brennpunkt« versehen ist. In den 1970er-Jahren wurden hier Hochhäuser mit bis zu 21 Etagen und über 2.500 Wohnungen gebaut. Doch in dem als »beispielhafter Siedlungsbau« intendierten Komplex ließen sich die Wohnungen nur schwer vermieten. Zeitweise standen über 50 Prozent leer; in die anderen zogen hauptsächlich Migranten und Aussiedler. Inzwischen leben Menschen aus bis zu 90 Kulturen in Tenever. 2004 bis 2009 wurde ein Drittel der Wohnblocks im Rahmen des Förderprogramms »Stadtumbau West« abgerissen. In diesem sozial schwierigen Stadtteil wurde der Wunsch des Quartiersmanagements an die Schule herangetragen, Ganztagsschule zu werden, da die Versorgung mit Ganztagsplätzen durch die Nachbargrundschule bei Weitem nicht mehr ausreichte. Nun musste sich die 1991 gegründete Grundschule an der Pfälzer Straße positionieren: Konnte man sich vorstellen, Ganztagsschule zu werden?

Die Diskussionen begannen 2010. Laut der damaligen Schulleiterin Maresi Lassek war sie sich mit dem Kollegium einig, diesen Schritt gehen zu wollen. Denn dass etwas passieren musste, war Schulleitung und Kollegium klar. »Wir hatten schon zuvor bei so vielen Kindern gemerkt, dass sie eine Nachmittagsbetreuung benötigten, einen Ort, wo sie ihre Hausaufgaben erledigen und an Freizeitaktivitäten teilnehmen konnten. Wir kannten die Familien und wussten, dass dort eine weniger günstige Ausgangsbasis für die Kinder herrschte. Aber gerade die, die es am nötigsten hatten, fanden keinen Platz in den Horten oder konnten es sich finanziell nicht leisten«, erinnert sich die Rektorin. Auf dem Weg Richtung Ganztag gab es jedoch einen emotionalen Bremsklotz. Nachdem im Stadtteil eine Kita abgebrannt war und die Einrichtung als Ersatzgebäude das damalige Horthaus zugesprochen bekam, war der Hort – nun heimatlos – in die untere Etage des Schulgebäudes eingezogen. Schon immer hatte sich die Grundschule mit dem Hort, der etwa 60 ihrer Schülerinnen und Schüler am Nachmittag betreute, pädagogisch abgestimmt und auch gemeinsame Fortbildungen organisiert. Nun arbeitete man durch die räumliche Nähe noch enger und koordinierter zusammen, begegnete sich täglich buchstäblich auf dem Flur. Man begann schon zum damaligen Zeitpunkt, Fragen zu diskutieren, die sich sonst erst bei einer Ganztagsschule mit außerschulischen pädagogischen Partnern stellen, etwa nach der Art und Durchführung der Hausaufgaben. Auch die Nutzung von Funktionsräumen (Musik, Sport, Leseclub, Werkraum) galt es abzustimmen.

Nun aber war klar: Wenn die Grundschule am Pfälzer Weg gebundene Ganztagsschule werden sollte – und nur dies stand laut Maresi Lassek zur Debatte –, dann würde der Hort überflüssig und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wären arbeitslos. Das wollte das Kollegium keinesfalls. Die Alternative war, auf die Trägerin des Horts, die St. Petri Kinder- und Jugendstiftung, zuzugehen und anzufragen, ob sich die Hortmitarbeiterinnen und -mitarbeiter eine Weiterarbeit unter dem Dach der Ganztagsschule vorstellen könnten. Maresi Lassek und ihre Konrektorin wurden in eine Dienstbesprechung des Horts eingeladen und konnten dort die Ausgangslage und erste konzeptionelle Überlegungen darstellen. Diese trafen »nicht auf Widerstand, sondern auf Mitüberlegungen und Zustimmung«, so Lassek.

Jetzt galt es zu überlegen: Wie konnten die Erzieherinnen und Erzieher, die bis dahin eigenverantwortlich freizeit- und gruppenpädagogisch im Hort arbeiteten, im System Ganztagsschule ihren Platz finden? Wie konnte man ihren großen Ängsten vor mangelnder Akzeptanz durch die Lehrkräfte und den Sorgen wegen unscharfer Arbeits- und Kompetenzzuschreibungen entgegenwirken? Dazu kam die Sorge um die Sicherheit der Arbeitsplätze, denn die Zustimmung der Bildungsbehörde zur Zusammenarbeit mit einem Träger und nicht mit über die Behörde eingestelltem Personal ließ lange auf sich warten und die Hortmitarbeiter blieben entsprechend im Ungewissen.

Doch die Schulleitung strahlte Optimismus aus und entschied, trotz fehlender Senatszusage bereits 2011 die ersten Fragen zum Ganztag auf einer Impulsfortbildung zu klären, die ein Mitarbeiter des Landesinstituts für Schule moderierte. Eineinhalb Tage tauschten sich dabei alle Beteiligten – einschließlich Eltern – aus: über organisatorische Fragen zu den Räumen, zur Rhythmisierung des Tagesablaufs, zu zusätzlichen Angeboten für die Kinder, zur Kooperation und zum Mittagessen. Die Impulsfortbildung war eine wichtige Wegmarke, denn die Gespräche fanden in gutem Einvernehmen statt. Die außerschulischen Pädagoginnen und Pädagogen erkannten, dass die Lehrkräfte sie anerkennen, sodass eine gute Basis für die weitere Zusammenarbeit gelegt wurde.