Roman Nies

Das Dokument
der Befreiung

Der Römerbrief

Eine heilsgeschichtliche Auslegung

Von

Roman Nies

Vorbemerkungen

1. Kapitel

Eine Botschaft für Juden und Nichtjuden

2. Kapitel

Der Atheismus der Religionen

3. Kapitel

Das göttliche Gericht

4. Kapitel

Die Torah - Verständnis und Missverständnisse

5. Kapitel

Frieden und Versöhnung

6. Kapitel

Freiheit vom Gesetz, Freiheit in Christus

7. Kapitel

Wandeln im Geist

8. Kapitel

Wollen und Laufen

9. Kapitel

Gottes Gerechtigkeit und Erbarmen

10. Kapitel

Das Nicht-mein-Volk

11. Kapitel

Kein Ersatz für Israel und Christus

12. Kapitel

Das Ziel der Torah

13. Kapitel

Der Heilsplan Gottes

14. Kapitel

Ganz Israel, aber nicht nur

15. Kapitel

Von Ihm, durch Ihn und zu Ihm

16. Kapitel

Wahrer Gottesdienst

17. Kapitel

Das andere Evangelium

Liste der Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Vorbemerkungen

Es gibt unzählige Auslegungen der Schriften des Neuen Testaments. Zumeist stammen sie von Vertretern ihrer Kirchen und Theologen, die mehr oder weniger bei ihrer Erkenntnisgewinnung auf die Traditionen eben dieser Kirchen und ihrer akademischen Lehranstalten zurückgegriffen haben. Auch für die Kommentarreihe zum Neuen Testament wurde eine kaum überschaubare Zahl von Schriften anderer Autoren gesichtet und ausgewertet. Zudem wird hier ausführlich auf Abgrenzungsfragen zur Verkündigung des Evangeliums wie es das messianische Judentum seiner Zeit hörte, eingegangen. Im Ergebnis wurden die Briefe von Paulus in ihrer Gesamtheit anders ausgelegt, als es bisher geschehen ist.

Das zeichnete bisher alle Auslegungen aus, dass sie widersprüchlich waren, gerade auch deshalb, weil die Bibelausleger versuchten, entweder alles in Frage zu stellen, oder ganz im Gegenteil alles, was sie an Aussagen im Neuen Testament vorfanden, in ein Gesamtkonzept zu zwängen, das ihnen vorgegeben schien. Dabei sind sie zwar bemüht, den Text für sich sprechen zu lassen, doch dabei werfen sie alles in einen Topf. Und dieser Eintopf soll dann das Evangelium sein.

Paulus sagt, wer den Geist Gottes nicht hat, beurteilt alles nach dem menschlichen Geist (1 Kor 2,11). Es dürfte allein mit der Hilfe menschlicher Überlegung und Textkunde kaum möglich sein, die Tiefen der Gottheit, Gottes Ratschluss und Seinen Willen auszumachen. Die Kirchen und ihre Vertreter, bei denen sie zu Brot und Ehren gekommen sind, halten sich an ihre menschlichen Traditionen. Das kann dazu führen, das die Tradition gleichwertig neben das geschrieben Wort Gottes gestellt wird. Je weniger Geist Gottes, desto mehr muss man auf Tradition und das Menschenmögliche setzen. Doch das führt unweigerlich dazu, dass das Rufen Gottes allmählich verdrängt oder nach der eigenen Denkweise uminterpretiert wird.

Das menschlich Errungene ist aber vergänglich und fließt mit der Zeit dahin. Es drängt sich vor den Suchenden und verstellt ihm den Blick auf die höhere Ordnung, die allein die rechte Orientierung gibt. Es ist nicht überraschend, dass sich die Auslegungen der sogenannten Exegeten an den Kirchentraditionen und Kirchenlehren orientieren. Umso mehr als gilt, was der Volksmund weiß, „wess` Brot ich ess`, dess` Lied ich pfeif`“. Und wer es einmal nicht tut, weil er tatsächlich selbständig denkt und handelt, weil er originell, statt traditionell und kreativ, statt untief ist, der muss mit einer ernsten Gegnerschaft rechnen, vielleicht sogar mit seinem Ausschluss aus dem Kreis der geachteten Kirchenschar und der Gilde, der noch geehrteren Akademiker. Jesus warnte vor der Macht der Traditionen, die sich entweder verselbständigt und von ihrer ursprünglichen Bescheidenheit entfernt, ja sogar dem rechten Gottesdienst zuwiderlaufen oder zu einer verfestigten Gewohnheit werden kann, die man nicht mehr hinterfragt.

„Vergeblich aber verehren sie mich, indem sie als Lehren Menschengebote lehren. Ihr gebt das Gebot Gottes preis und haltet die Überlieferung der Menschen fest.“ (Mk 7,7-8) Jesus hat hier Jesaja zitiert und präzisiert (Jes 29,13). Und heute kann man sich dabei an die Adresse der Kirchen richten, denn ihre Vertreter müssen nicht auf die jüdische Obrigkeit verweisen, die wegen Röm 11 in dieser Zeit kein Adressat von Kritik und Vorwurf sein kann. In dem, was die Menschen Gott schuldig bleiben, sind sich alle Menschen gleich. In dem, was Gott ihnen an Erkenntnis gibt, sind sie unterschieden, denn da entscheidet allein Gott. So jedenfalls lehrt es Paulus.

Da sich die Kirchen in vielen Lehraussagen und Dogmen widersprechen, ist klar, dass die Bibel auslegungsbedürftig ist, oder, besser gesagt, der Mensch ist bedürftig, sie richtig auszulegen. Hierzu sollte man in der Lage sein, die Widersprüche der Kirchenlehren und die vermeintlichen Widersprüche und „Ungereimtheiten“ der Bibel zu klären. In der hier vorgelegten Kommentarweise ist auch immer im Blickfeld, diese Widersprüche aufzulösen. Dabei werden die Briefe von Paulus einer gesamtheitlichen Schau unterzogen. Ihr liegt der Glaube zugrunde, dass das Wort Gottes keine Irrtümer enthält, sondern Aussagen, die sich sinnreich zusammenführen lassen. Dabei zeigt sich, man muss das Neue Testament als Dokument der heilsgeschichtlichen Absichten und Ziele Gottes verstehen. Es muss auch immer der Versuch unternommen werden, die Lehren der Bibel und die geschichtlichen Ereignisse in Übereinstimmung zu bringen. Auch dies wurde hier berücksichtigt. *1

Bei Paulus steht die Erringung der absoluten Freiheit von den Gebundenheiten an den alten Adam und an alle heilsverhindernen und gottfeindliche Mächte im Vordergrund. Dementsprechend geht es bei Paulus um die völlige Befreiung durch Jesus Christus. Befreiung von der Sünde und der fatalen Gottesferne, Befreiung auch vom Irrtum und von Unwahrheit. Und das ist für Paulus gleichbedeutend mit dem Hin zu Christus und der Vervollkommnung in Ihm.

Die Ergebnisse dieser Auslegung müssen für jeden, der die Bibel als Botschaft Gottes an die Menschen versteht, von größtem Interesse sein, da sich das bekannte Wahre harmonisch mit dem wenig Bekannten zu einer bedeutungsvollen Einheit verbinden lässt. Jedem, der das Neue Testament hört oder studiert, stellen sich Grundsatzfragen. Doch bisher wurden sie uneinheitlich beantwortet und manch interessierter Wahrheitssuchende resignierte, gab die Suche auf und überließ wieder den kirchlichen Amtsinhabern das Diskussionsfeld mit ihrer fragwürdigen Deutungshoheit.

Der heilsgeschichtliche Modus operandi kann auch hier weiterhelfen. Die traditionelle Kirchentheologie ist längst in einer Sackgasse angelangt und ist in ihrer Halsstarrigkeit unfähig, sich selbstkritisch zu hinterfragen und aus der verfahrenen Situation heraus zu kommen. Das Ergebnis davon ist, dass sie wenig oder nichts Genaues sagen kann und inzwischen, in der Postmoderne angekommen, nichts mehr sagen will. Sie ist eine Relativitätstheologie. Die Kirchentheologie ist eine sinaitische, weil sie noch nicht im gelobten Land des Theos-Logos, einer Gottes-Kunde, die vom Ziel, dem Christus herkommt, angekommen ist. Und so wie sich Israel in der Wüste uneinsichtig zeigte und sich wund lief, geht es auch den meisten Vertretern der Kirchen, die ja immer Fürsprecher ihrer Kirche sein müssen, obwohl sie doch eigentlich Fürsprecher Jesu Christi sein sollten. In ihrer geschäftigen Heiligkeit und ihrem emsigen Wichtigtun übersehen sie die Bedeutung der Gründungsurkunde des christlichen Glaubens, Gottes Wort, und das Anliegen Gottes, wie es in der Bibel zum Ausdruck kommt. Das macht sie unfähig, Gottes authentisches Rufen zu hören. Nicht weniges der traditionellen Kirchentheologie muss man in der Wüste begraben, damit es dort in Frieden ruhen kann und niemand mehr am Fortkommen von den menschlichen Gebundenheiten und dem Hinkommen zu Jesus, dem Theos-Logos, hindert. Wo nicht, bleibt Vorbelastung und Überfrachtung. Man muss daher möglichst unbelastet, unvoreingenommen und frei an eine Auslegung des Wortes Gottes gehen, und vor allem Gott glauben, was Er sagt, sonst kann der Geist Gottes nicht wirken.

Im ersten Teil des Neuen Testaments *2 geht es noch hauptsächlich um das historische Wirken Jesu und Seiner Jünger, wie es in den vier Evangelien und der Apostelgeschichte des Lukas dargelegt ist. Es ist die Fortführung der Geschichte Gottes mit Seinem Volk Israel, bis zum damals grundsätzlich möglichen Anbruch des messianischen Reiches bei der Wiederkehr Christi. Bei Paulus geht es um dieses auch und um mehr. Bereits der Römerbrief enthüllt reihenweise neue Erkenntnisse über das Wesen und das Handeln Gottes, die man so nicht aus den Evangeliumsberichten oder dem Alten Testament entnehmen konnte. *3

In den christlichen Glaubensgemeinschaften wird ganz selbstverständlich davon ausgegangen, dass das Neue Testament ein Evangelium lehrt, das von allen Christen in seinen zentralen Aussagen verstanden worden ist. Das entspricht dem Stand des Wissens bei den kirchlichen und staatlichen Lehrstätten. Die Tatsache, dass es unzählige christliche Kirchen und Denominationen gibt, zeigt jedoch mit aller Deutlichkeit, dass es vieles gibt, was entweder unverstanden geblieben ist oder zumindest keinen Konsens gefunden hat. Und auch viele Gelehrten haben bemerkt, dass Paulus, jedenfalls zum Teil, etwas anderes lehrte als das, was zum Beispiel Jesus lehrte. Theologen, die an keine Kirche gebunden sind, haben im Allgemeinen hier weniger ein Problem damit, einander vordergründig widersprechende Aussagen von Paulus und anderen neutestamentlichen Autoren einer gewaltsamen Harmonisierungskur zu unterziehen.

Erstaunlicherweise herrscht bei den meisten Christen, die sich zu ihrem Glauben bekennen, die Ansicht, man könne unter Evangelium all das verstehen, was in den vier Evangelien des Neuen Testaments steht. Im bibelunkundigen Kirchenvolk spielen die Briefe des Neuen Testaments kaum eine Rolle. In den katholischen Messen kommen sie selten zur Sprache. Man kann auch schlecht über Dinge reden, die man nicht kennt oder die man gar nicht verstanden hat. In protestantischen Kirchen, die in der Nachfolge der Reformatoren stehen, sind vor allem die Paulusbriefe von tragender Bedeutung. Für Protestanten war es früher klar, *4 dass die katholischen Theologen Paulus in seinen Kernaussagen gar nicht verstanden haben, was bei einer über tausendjährigen Beschäftigung mit den Bibeltexten verwunderlich wäre, wenn man nicht wüsste, dass es auch eine tausendjährige Betriebsblindheit geben kann. Falls die protestantischen Kirchen sich irren, währt ihr Irrweg auch schon einige Jahrhunderte. Zeit ist also kein verlässlicher Wahrheits- oder Korrekturfaktor.

Paulus bekennt sich auch im Brief an die Römer zu den Hauptaussagen der Reformation, die so keinesfalls von allen Kirchen, insbesondere nicht von den mächtigsten dieser Welt, vertreten werden: Solus Christus, sola gratia, sola fide, sola scriptura, soli Deo gloria. All das hat die Kirche Roms nicht in ihrem Glaubensrepertoire, nach eigenem Bekunden hätte man früher sagen können. Heute ist es nicht mehr für alle so klar, denn auch die Kirche Roms bekennt sich dazu, versteht aber etwas ganz anderes, meist etwas dem völlig Entgegengesetzes. Das macht sie so geschickt, dass manche es nicht bemerken. Es ist auch schwer zu bemerken, wenn man selber seine eigenen „soli" vertritt. Die biblischen sind über Paulus auf uns gekommen.

Solus Christus - allein Christus bedeutet das Heil für die Menschen (nicht die Kirche, nicht die Sakramente, nicht die eigenen Werke). „Und es ist in keinem anderen das Heil; denn auch kein anderer Name unter dem Himmel ist den Menschen gegeben, in dem wir gerettet werden müssen.“ (Ap 4,12) So bezeugt es ausgerechnet Petrus, auf den sich die Päpste, meist zu Unrecht, berufen. Dass nur Jesus der Weg der Wahrheit und zum erlösten Leben ist, bezeugte Jesus über sich selber (Joh 14,6). Und Paulus bekam es von Ihm (1 Tim 2,5-6). Für Luther war es auch eine neue Erkenntnis, denn er kam vom Katholizismus. Er musste sich erst frei machen, vom Gehorsamsdenken zum Durchdenken, von Paranoia zu Metanoia.

Solus gratia - allein die Gnade Gottes hat uns dieses Heil in Christus zugänglich gemacht. Nicht Gottes Zorn rettet uns, sondern Seine Gnade. Sein Zorn ist ein Hilfsmittel der Gnade. Gott hat beschlossen, dass Sein Wesen direkt auf die Schöpfung einwirken und sie so zum Ziel bringen soll. „Denn aus Gnade seid ihr gerettet durch Glauben, und das nicht aus euch, Gottes Gabe ist es; nicht aus Werken, damit niemand sich rühme.“ (Eph 2,8-9) Die Zornliebhaber rühmen sich auch noch ihres Zorns, der meist ein Ausguss ihres Unverstandes und ihrer Maßlosigkeit ist. Gott soll man wegen Seiner Gnade rühmen. Das hat Paulus erkannt. Er hat noch mehr verstehen dürfen als die anderen Apostel, die ganz in der jüdischen Tradition stehend, in der Werkgerechtigkeit des Torahwesens feststeckten und die Gnade Gottes in Christus zwar erkannt und, wie die Gelehrten Israels zu allen Zeiten, verstanden hatten, dass Gottes Wesen der Gnädigkeit und Barmherzigkeit Antrieb und Ziel des göttlichen Handelns mit den Menschen ist. Aber dass der Anteil des Menschen am Sich-erfassen-lassen von der Gnade und Güte Gottes so gering sei, das war ihnen nicht klar.

Für Paulus war es deutlich geworden. Er hatte die Christen in seinem Eifer für die Torah und nach seinem Verständnis gejagt und ausgeliefert. Und dann reichte die Begegnung mit Christus, um ihn umzudrehen. Von Paranoia zu Metanoia! Gott schafft Fakten, der Mensch darf nur hoffen, dass ihn Gott auch einmal so klug macht, nicht anders wollen zu wollen wie Gott will.

Der Fall ist klar. Paulus gibt der Gnade Gottes den hundertprozentigen Anteil an unserem Weg zu Ihm und dem Menschen bleibt nichts. Erst nachdem er gerettet ist, darf er sich dazu bekennen, in Wort und Tat und Ansinnen. Doch es scheint, als ob die Kirche Roms diese Klarheit über eintausend Jahre unter Verschluss gehalten hätte. Doch der Schein trügt, denn bekehrte Herzen halten keine Wahrheiten unter Verschluss, sondern unbekehrte Herzen lassen Wahrheiten nicht an sich dringen, weil sie sich sonst ändern müssten. Wer einmal Macht ausgeübt hat, gibt sie nicht gerne einem anderen. Im Falle des Menschen will er immer über sich und andere Menschen bestimmen. Das steckt in seinem Adamswesen. Er hat die Herrschernatur seit dem Sündenfall in sich. Christus sein Leben zu übergeben, bedeutet, dies alles loszulassen und allein Ihn herrschen zu lassen. Der alte Adam und der alte Widerwirker haben einen Bund geschlossen! Und der ist gegen Christus gerichtet. Es ist ein anti-christlicher Bund!

Was für den einzelnen Menschen gilt, gilt ebenso für Kirchengebilde. Wenn sie erst einmal groß und mächtig geworden sind und das auch noch Gottes Gnade zuschreiben, ist der Weg zur Niedrigkeit und Selbstverleugnung vorgezeichnet, aber anders als der Mensch denkt. Nicht mit Schmuckkronen und Thronen, Herrscherstäben, Hausbanken, Ornaten, Prachtgewändern, goldenen Reliquien und juwelenumkränzten Sakristeien, sondern mit Seelenkämpfen, dornengekrönt, unterm Kreuz durchs Jammertal, damit allein Christus herrschen und allein der Gnadenstrom zufließen kann, der erst bewusst werden lässt, dass man wahrlich ein Glied am Leibe Christi ist und nun auch ein wahrer Diener Gottes sein kann.

Aber indirekt hat die Kirche Roms das biblische Wort doch unter Verschluss gehalten, denn das Kirchenvolk hatte die Bibel nicht, oder nur in einer unverständlichen Sprache, oder sie durfte sie nicht lesen. Vorsichtsmaßnahmen, angeblich, damit das ungebildete Volk nicht auf dumme Ideen kam. In Wahrheit, weil so die vielen Widersprüche zwischen Kirchenlehren und Kirchenpraxis auf der einen Seite und biblischem Wort auf der anderen Seite keine nennenswerte Aufmerksamkeit erregen konnten. Eine überzogene Vorsorge, denn heutzutage kann jeder die Bibel lesen, aber das katholische Kirchenvolk ist weiter angewachsen. Bibellesen hat keine große Tradition im Kirchenvolk.

Die weltliche Wissenschaft hat dieses Rätsel nicht lösen können, weil sie vor geistlichen Phänomenen machtlos dasteht. Ihr ist die Ebene des Geistlichen verschlossen. Sie ist daher weitgehend inkompetent, wenn es um die Beurteilung von Religionen und deren Wahrheits- und Wirklichkeitsgehaltes geht. Sie kann auch impotent sein, wenn sie geistlich zur Fruchtlosigkeit verdammt ist. Die Lösung für das Rätsel ähnelt der Erklärung für die zweitausendjährige Verstockung der Juden, die sich darin äußert, dass das orthodoxe Judentum nicht in der Lage ist, Yeschua von Nazareth als Messias Israels anzuerkennen. Wo geistliche Kräfte wirksam sind, wächst kein ungeistliches Kraut dagegen an! Das macht gerade Paulus deutlich!

Die weltliche Wissenschaft will und kann nicht mit Gott rechnen, ihrem gottlosen Selbstverständnis entsprechend. Und daher befasst sie sich auch nicht mit der Erklärung, dass die Verstockung der Juden mit der Verstockung des Pharaos des Exodus Israels aus Ägypten in einem wichtigen Punkt eine Übereinstimmung hat. Nach anfänglichem Versagen durch das Befolgen des eigenen Willens, indem man nicht auf Gott, bzw. nicht auf Gottes Boten hören wollte, schickte Gott eine Verstockung, die vom Menschen eigenmächtig nicht mehr zu beheben war. Von Gott jedoch schon. Und Gott behebt sie, weil er Gnade erweist. Anders konnten die paulinischen Soli nicht Bestand haben, denn jeder fängt mit seinem persönlichen Unglauben, seinem eigenen Zusammenbruch an! Ohne Zusammenbruch kein Aufbruch!

Hier sieht man, die Gnade Gottes bedient sich des Gerichts, hier bei Israel des Verstockungsgerichts, das weitere Gerichte nach sich ziehen kann. Doch macht Gott sie zugleich zielführend. Und wenn es die Gnade Gottes allein ist, die den Menschen zurechtfinden lässt, dankt sie der Freiheit Gottes, dem Gnadenhandeln durch Gerichte auch wieder das Gnadenhandeln der Rückbesinnung und Hinwendung zu Gott folgen zu lassen. So hat es Gott mit Paulus durchexerziert. Er ließ ihn auf der Straße nach Damaskus die wahren Fakten schauen. So hat Gott auch angekündigt, dass Er es mit Israel macht, das Er verstockt hat, um es zu einem späteren Zeitraum doch noch ganz Ihm und dem Heil zuzuführen (Röm 11,26). So ist es immer. Am Anfang steht die Gnade und am Ende hat sie sich durchgesetzt, nicht durch Zwang, sondern durch Überzeugung. Die Gnade Gottes ist konkurrenzlos.

Sola fide - allein der Glauben, der ein Vertrauen in Gott ist, rechtfertigt den Menschen vor Gott, so dass er vom Gericht herauskommt und immer mehr sich dem Platz nähert, der ihm von Gott zugedacht ist. So wirken Vertrauensbildung und Gnade zusammen. Wenn Gott nicht gnädig wäre, könnte der Mensch von sich aus auch nicht Gott vertrauen. Als Paulus auf der Straße nach Damaskus Christus begegnete, begann Er den vertrauensvollen Weg mit ihm. Aus dem Vertrauen wird schließlich Treue. Glauben-Vertrauen-Treue werden wachstumsmäßig von Gott zugeteilt. Das ereignet sich im Innenverhältnis zwischen dem Menschen und Gott auf der Ebene des Geistes Gottes. Keiner kirchlichen Institution, keines Hohepriesters bedarf es, zu vermitteln. Der Vater redet selber mit Seinem Kind. Paulus bringt das oft und vielfältig zum Ausdruck. „Denn wir urteilen, dass der Mensch durch Glauben gerechtfertigt wird, ohne Gesetzeswerke!“ (Röm 3,28) Oder: „Wenn ihr aber durch den Geist geleitet werdet, seid ihr nicht unter dem Gesetz.“ (Gal 5,18)

Sola scriptura - allein das geschriebene Wort Gottes ist die Grundlage des Glaubens (nicht die Kirche, nicht der Wortausleger, nicht der Theologe, nicht der Papst). „Alle Schrift ist von Gott eingegeben.“ (2 Tim 3,16). Und ganz wichtig ist auch das, was leider auch protestantische Verkünder des Evangeliums nicht genügend würdigen: Allein Gott gebührt die Ehre.

Soli Deo gloria – allein Gott die Ehre! Und Ehre ist auch Sieg. Warum? Und welche Ehre? Darum der Sieg und mit der folgenden Ehre: Das Heil den Menschen gebracht zu haben und es auch vollumfänglich in Vollendung zu Gottes Verherrlichung zu verwirklichen, das ist der Sieg der Gnade Gottes, der Sieg Christi und die Folge des von Gott selbst gesetzten Vertrauens, das der Mensch in Gott getreulich setzen durfte. Das ist aber auch die Ehre, die dem zusteht, der sie erzeugt hat. Gott allein! Er hat es geplant, Er hat es begonnen, Er wird es vollenden: „Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm sei Ehre in Ewigkeit! Amen.“ (Römer 11,36) Alle Dinge, oder, wie man das griechische „ta panta“ noch übersetzen kann „das Alles“ oder „das All“ im Sinne von „das Weltall“, oder anders gesagt, die gesamte Schöpfung, also Himmel, Erde und Hölle, das alles ist von Gott, ist durch Gott, ist zu Gott. Warum wird dadurch Gott geehrt? Will man das noch fragen? Jeder Mensch weiß die Antwort. Niemand steht mehr Ehrung zu, als dem, der alles zu einem herrlichen Ziel führt. Und siehe da: Gott wird nur durch das geehrt, was Ihm selber zu eigen ist.

Gott hat ein vollkommenes Wesen.
Niemand kann Ihn ehren,
der nicht in diesem Wesenhaften Gottes lebt und webt
.

Und daher kann das Böse, Verderbliche, Ungute, Leidvolle, Schmerzhafte weder bleibend sein, noch jemand ehren und Gott schon gar nicht. Was nicht Gottes ist, ist nicht ewig! Wer Gott ehren will, kann es nur so tun, wie Gott es haben möchte. Man ehrt Gott nicht, wenn man so tut, als habe man selber etwas zu seinem Heil getan, was man nicht von Gott zuvor erhalten habe. Man ehrt Gott nicht, wenn man Andersgläubige verfolgt. Man ehrt Gott nicht, wenn man Ihn anders darstellt als Er ist. Man ehrt Gott nicht, wenn man Seine Wesenszüge entstellt wiedergibt. Man ehrt Gott daher auch nicht, wenn man Seine Zusagen abschwächt. Wenn Gott sagt, dass Er alles, was Er geschaffen hat, das ganze All, zu Ihm hinführt, dann hat man das nicht in Abrede zu stellen, indem man sagt, das gelte nur für einen Teil des Alls, weil bis in die Hölle die Gnade Gottes nicht reiche. Ein Vater kann über seinen Sohn, den er in den Keller gesperrt hat, nicht sagen, dass das für ihn, den Vater oder den Sohn ehrenvoll wäre. Diese Denkweise haben sich die meisten Verkündiger der Kirchen noch nicht angeeignet. Ihre Gedanken kreisen noch um die Verdammung aller Störungen, anstatt sie zu heilen. Sie haben noch Angst vor dem Bösen. Dabei hat es Christus längst überwunden!

Den Bibelexegeten ist es nicht entgangen, dass sich die Predigten von Jesus und Paulus unterscheiden. Dass ihre Botschaften voneinander abweichen, ist offenkundig. Die Erklärungen dafür fallen ebenfalls unterschiedlich aus. Kirchentheologen, sofern sie sich zum kirchenchristlichen Glauben bekennen, geben nicht gerne zu, dass Paulus nicht einfach nur ergänzt haben könnte, was vor ihm bereits verkündet worden ist, sondern dass er grundlegend Neues einführte. Dabei ragt die Botschaft heraus, dass das Heil nicht nur für Israel und die Angehörigen aus den Nationen, die sich Israel anschlossen, zugänglich ist, sondern auch, dass die Nationen weder die Torah, noch die Beschneidung zu beachten hätten und nun für sie das Evangelium der Gnade galt. Dieses sagte ihnen allen einen direkten Zugang zum Heil zu.

Jesus war noch auf dem Boden des Alten Testaments und dem, was schon die Propheten verkündigt hatten, geblieben. Die Botschaften von Jesus, seinen Jüngern und von Paulus unterschieden sich deshalb. Die Texte des Neuen Testaments lassen erschließen, dass sich der Inhalt der Verkündigung fortwährend änderte, weil er Schritt zu halten hatte mit programmatischen, heilsgeschichtlichen Abläufen.

Gott handelt einem Plan zufolge, der ein Abweichen vom Kurs der absichtlichen Hinwendung von Gottes Volk zu Gott, und damit eine vorläufige Zurückstellung vorsah. Mit dieser Zurückstellung endet die Apostelgeschichte (Ap 28). Und im Römerbrief (Röm 11,25ff), dem ersten Brief im Neuen Testament, wird sie erklärt und gezeigt, wie sie aufgelöst werden wird, wenn Israel von Gott wieder angenommen wird. Jesus redete in Gleichnissen, damit Ihn niemand vom Volk verstand. Und heute redet Er durch die Schrift genauso und das „Reichsvolk" versteht es nicht. Es weiß nur, dass es in eine Art „Reich Gottes", jedenfalls eines nach ihrem Geschmack, kommen möchte und nennt es einmal Himmel, einmal „beim Herrn sein". Kaum jemand bemerkt, dass es etwas anderes bedeuten könnte. Das Kirchenvolk wird zu erfahren haben, dass das Reich Gottes erst mit der Rückkehr Jesu für alle sichtbar beginnen wird und dass es in jenem messianischen Reich nur für jene einen Dienst mit dem Volk Israel geben wird, die äonisches Leben bekommen haben.

Die Bibel zu erforschen, gleicht einer spannenden Entdeckungsreise. Nur wenn man weiß, was die Apostel Gottes wirklich verkündet haben, kann man darauf hoffen, dass sich ein in sich stimmiges, weitgehend widerspruchsfreies Gesamtbild der tatsächlichen Ereignisse und von Gottes Botschaft an die Menschen ergibt.

Es werden also immer Fragen offen bleiben, solange sie noch nicht endgültig beantwortet sind. Zu klären wäre, warum die Jünger Jesu nicht zu den Nationen gingen, sondern Paulus als Sonderbeauftragter für die Verkündigung einer Botschaft geschickt wurde, die Paulus das „Evangelium der Nationen“ nannte. Wie die Ereignisse in der Apostelgeschichte zeigen, insbesondere bis zur Konferenz in Jerusalem, unterschied sich die Verkündigung der Jünger Jesu wesentlich von der des Paulus. Sie hatten auch noch viele Jahre nach der Himmelfahrt Jesu keine Heiden missioniert. Die traditionellen Sichtweisen der Kirchen haben darauf wenige Antworten. Sie sind mit den neutestamentlichen Texten kaum in Übereinstimmung zu bringen. Nur einzelne Schriftforscher schreiben darüber kaum gelesene Abhandlungen.

Die Indizien, die man aus der Anfangsgeschichte der Christenheit und aus dem Neuen Testament gewinnt, weisen mehr als deutlich darauf hin, dass die ursprünglichen Jünger Jesu aller Wahrscheinlichkeit nach zu keiner Zeit damit angefangen haben, das zu verkündigen, was typisch für die Verkündigung des Paulus war. Die Jünger Jesu predigten den Juden, was sie erwarteten: das baldige Kommen des Messias und der Anbruch des messianischen Reiches. Und das präzisierten sie. Der Messias war Jesus und Sein baldiges Kommen wäre das zweite Kommen. Doch erst Paulus erkannte, dass für die Juden eine Frist ablief und eine Gnadenzeit für die Nationen anbrach.

Die Jünger Jesu hielten entsprechend der jüdischen Tradition an den Bundeszeichen, der Torah und der Beschneidung fest. Paulus erklärte diese Dinge hingegen für teilweise hinfällig und beschrieb die neue Heilskörperschaft der Gemeinde des Leibes Christi, die sich aus Juden und Nichtjuden zusammensetzte. Während die Jünger weiter in den Tempel gingen, die biblischen Festtage feierten und den Sabbat hielten und sogar die Speisegebote beachteten und die Beschneidungspraxis weiter beobachteten, wurde Paulus von Juden, aber auch von Judenchristen kritisiert und bekämpft, weil er lehrte, dass diese Dinge zum Heil nicht notwendig seien. Diese unterschiedlichen Bewertungen werden in der vorliegenden heilsgeschichtlichen Auslegung mit einer genauen Exegese der neutestamentlichen Texte nachvollziehbar belegt.

Paulus hatte überall, wo er hinkam, größte Schwierigkeiten, sich gegen Juden und Judenchristen zu behaupten, weil diese darauf bestanden, die Torah halten zu müssen. Sie betrachteten Paulus als Häretiker. Paulus überredete die jüdischen Messiasgläubigen nicht, dass sie die Torah nicht mehr beachten müssten, aber er lehrte die Nichtjuden, dass sie in Christus der Torah enthoben waren. Seine Lehren über die innige Lebensgemeinschaft mit Christus und dem Sieg von Gottes Gnade, durch die allein das Heil erworben werden konnte, ging in der Bedeutung weit über die messianischen Verhältnisse im kommenden Reich hinaus. Die unbestimmbaren Äonen, in denen Gott handelt, * 5 deren Dauer nur Gott weiß (Mk 13,32), die für Menschen in einem unzugänglichen Dunkel verborgen waren, wurden plötzlich lichter und unterscheidbarer. Paulus setzte viele Ereignisse in ihrer Reihenfolge fest und betonte immer wieder die Zielrichtung des göttlichen Handelns.

Auf Grundlage der feststellbaren Tatsachen ist der auffällige Unterschied in den Aussagen der nichtpaulinischen Schriften, insbesondere des Jakobusbriefes, und der Briefe des Paulus verständlich. In den Lehraussagen der Kirchen wurde seit jeher versucht, die fundamentalen Unterschiede in den Schriftaussagen wegzuerklären. Damit einhergehend werden auch weiterhin in der Schriftauslegung des „Evangeliums" durch die Kirchen und in der Lehre der Kirchentheologen die Inhalte, für welche die Begriffe „Reich Gottes", „Gemeinde des Leibes Christi", „Braut", „Bräutigam", „Israel" stehen, missverstanden und meist „heillos“ durcheinandergebracht. In der vorliegenden Arbeit wird versucht, mehr Klarheit und Durchblick zu verschaffen. Sie soll zum Teil auch aufklären helfen, warum es diese frappierenden Abweichungen zwischen Kirchenglauben und biblischem Befund gibt.

Ein Schlüssel zum Verständnis des Neuen Testaments ist das klare Auseinanderhalten der Wege, die Gott mit den Juden als Nation und der Gemeinde Christi geht. An der Gültigkeit der gesamten Torah gab es bei den ersten Christusjüngern keinen Zweifel. Paulus musste sich mehrfach erklären.

In der heilsgeschichtlichen Auslegung werden die Gründe ausgeführt, warum die Geschichte Gottes mit dem Volk Israel und den Nationen weiter geht und was das alles mit der Ekklesia Gottes zu tun hat, der Gemeinde des Leibes Christi, wie Paulus die Auswahl an Christusgläubigen aus Israel und den Nationen nennt. Es wird sich dabei zeigen, dass sich alles sinnvoll in die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen einfügt. Die Irrtümer der Menschen, und ihrer Religionsgemeinschaften können den Ausgang dieser Heilsgeschichte ebenso wenig beeinträchtigen. Gottes Ratschluss bleibt unangreifbar. Das Alpha und Omega ist Christus und der steht fest.

Wer sich auf die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen, wie sie sich aus der Bibel ergibt, einlässt, erfährt das Ziel und den Sinn seines Daseins. Das Neue Testament enthält alles Wesentliche, was der Mensch wissen muss, wenn er nach seinem Herkommen und seiner Bestimmung, dem Hinkommen zu seinem Schöpfer und Vollender, fragt.

Es ist Aufgabe eines Auslegers, die Gedanken Gottes, soweit Gott sie uns in der Bibel offenbart hat, kund zu tun. Wenn das Heil keine abstrakte Größe sein soll, sondern für jeden einzelnen bereitgestellt ist, muss sich auch jeder einzelne von den Worten der Bibel angesprochen und in ihnen wiederfinden können. Gelingt das nicht, kann man seine Einstellung gegenüber Gott hinterfragen. Sie soll immer eine lernbereite und hörwillige sein. Dazu darf es nicht am Verständnis der Worte Gottes fehlen und eine Auslegung soll dazu die Gedanken Gottes aufschließen.

Fehlt es daran, muss das Kirchenvolk im Dunkeln tappen, sowohl was den persönlichen Stand jedes Einzelnen vor Gott betrifft, als auch hinsichtlich des Verständnisses, wo die Menschheit insgesamt steht. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich die Erwartungshaltung verbreitet, dass man das Gottesreich auf Erden ohne den König des Reiches, also durch eigene Anstrengungen, hervorbringen könnte. Doch ist auch diese auf Selbstehrung hinauslaufende Konzeption schon ein Ausfluss der im Neuen Testament angekündigten Irrgeisterlastigkeit der Menschen des letzten messiaslosen Äons. Sie ist untauglich dafür, das Reich Gottes zu errichten. Stattdessen leistet sie ihren Beitrag zu einem antichristlichen Reich. Jedes Reich ohne Christus ist antichristlich, daher ist ein Reich, welches die Kirche Kraft eigener Autorität als Kirchenreich erklärt, stark gefährdet, ein antichristliches Reich zu werden. Wenn eine Kirche sich mit dem Reich Gottes auf Erden gleichsetzt, tut sie das zwar in Anlehnung an bestimmte Bibelverse, die sie „mit Gewalt" an sich reißen und auf sich beziehen (Mt 11,12), *6, aber sie zeigt dabei auch einen eklatanten Mangel an Verständnis für Gottes Heilsgeschichte.

Jeder, der unvoreingenommen die Schriftstellen im Alten und Neuen Testament liest, in denen das Reich Gottes beschrieben wird, kann feststellen, dass die positive Beschreibung nicht im Entferntesten auf irgendeine der Massenkirchen passt, während die negative Beschreibung des antichristlichen „Gegenreiches", sehr gut auf sie anwendbar ist, weil es Merkmale dieser Kirchen hat. Das kann man den in der Bibel gemachten Beschreibungen des Anstatt-Christentums entnehmen. Dieses antichristliche Reich lässt sich ebenfalls Reich Gottes nennen, ohne es zu sein. Es wird nur für alle die dem Original täuschend ähnlich erscheinen, die vorher das Original nicht genug studiert haben. Aber das Anstatt-Christentum, so ähnlich es auch mit alledem ist, was man als ansehnlich und annehmbar akzeptieren möchte, kann die Maske nicht lange aufrechthalten, weil andere als göttliche Kräfte in ihm zum Durchbruch kommen. Und daher sagt Paulus über das Gegenreich, dass es auch folgenden Personenkreis umfassen wird: „Hurer, Götzendiener, Ehebrecher, Knabenschänder, Diebe, Habsüchtige, Trunkenbolde, Lästerer…". *7 Der Unterschied zwischen Reich Gottes und dem Reich des Antichristen ist der: Im erstgenannten waren die Menschen auch diesen Kategorien des Bösen zuzuschreiben, sind es aber nicht mehr. Im zuletzt genannten ist es eher umgekehrt, was nicht war, ist bald geworden. Manch einer ging mit guten Vorsätzen ins Priesterseminar und endete dann in einem oder mehreren der oben genannten Laster. Da nützt ihm dann nicht einmal eine Heiligsprechung von Rom, denn:

Nicht die Rede der Menschen ist entscheidend,
sondern das Wort Gottes
.

Und das ist gerade in den weltlich großen und mächtigen Kirchen über Jahrhunderte missachtet worden.

Jesus hat Seine Jünger tatsächlich nicht bis ans Ende der Welt geschickt, denn sie sind nicht einmal mit den Städten Israels fertig geworden. Ihre erste Aufgabe war, den Juden das Evangelium zu verkünden. Wäre ihre Aufgabe gewesen, das Volk zu bekehren, müsste man sagen, dass sie kläglich gescheitert sind.

Im Jahr 70 war mit der Zerstörung des Tempels auch die letzte Hoffnung der Jünger Jesu, sofern sie noch lebten, begraben, dass das messianische Reich bald anbrechen würde. Paulus, der selber den Untergang Jerusalems nicht mehr erlebt hat, wirkte auf einem anderen Aufgabengebiet als Jesu Jünger. Jesus hat Paulus zu einem Sonderbeauftragten für die Verkündigung einer Botschaft gemacht, die von der bisherigen Verkündigung abwich.

Diese Botschaft hat nicht im Pfingstfest in Jerusalem seinen Ausgang genommen, wo an einem Tag mehrere tausend Juden auf die Predigt von Petrus hörten, sondern in Damaskus. Petrus adressierte seine Botschaft von der Umkehr Israels und der Hinwendung zum Messias Jesus Christus an Juden. Paulus baute an einer anderen Gemeinde als der „Pfingstgemeinde". Er baute an einer Gemeinde, die von Jesus gegründet wurde, in der anstelle der Torah das Ziel selbst, der Christus, die Richtung des Glaubens und des Handelns vorgab. Und das wurde dort noch konsequenter gelehrt als in den von Juden dominierten Gemeinden.

Man kann sich vorstellen, wie sehr die edelsten und gutwilligsten Geister sich darin ergehen, möglichst nahe an das Ideal der Bergpredigt zu kommen und dabei ganz Christus vergessen, den sie auch nur bei sich erwarten, wenn sie bergpredigtkompatibel konditioniert sind. Das ist im besten Fall das Martha-Symbol. Martha war die Dienerin Jesu, die vor lauter Diensteifrigkeit die innige Vertrautheit in der Liebe zu Christus verpasste. Das war zu tadeln (Lk 10,41). Ebenso laufen Bergpredigteiferer Gefahr, am Wesentlichen vorbei zu leben und nie eine Vertrauens- und Liebesbeziehung mit dem einzugehen, den sie sich zwar als Bräutigam wünschen, der sich aber längst für Israel als seine Braut entschieden hat.

Paulus war der erste, der verstanden hatte, dass Gott mit Israel und den Nationen im Gefolge Israels einen anderen Weg beschritt, den Braut-Weg, als mit einer Auswahl, die eine so unmittelbare Verbundenheit mit dem Haupt der Gemeinde haben konnte wie es nur in einer leiblichen Gemeinschaft vorstellbar ist. Das ist der Bräutigam-Weg oder Leib-Christi-Weg.

Die Bibel zeigt, dass es Christusnachfolger gibt, die am Herzen Jesu liegen, wenn man hier an den „Lieblingsjünger“ Johannes denken will, und solche, die von Ihm noch entfernt sind. Man schaut auf das Gemälde von Da Vinci, wo die Jünger beim Abendmahl sitzen. Und einer ist sogar dabei, der auch zu Tisch sitzt, aber sein Herz ist ganz bei dem Geld, das er zuerst bemüht hütet und dann für gottesreichfremde Zwecke einsetzt. Judas kommt ins Gericht, nicht ins messianische Reich Gottes. Und ebenso kann es vielen „Christen“ ergehen, die mit an der Tafel saßen, an dem Brot und Wein gereicht wurden, die aber ein Geldwesen hatten. Geld ist immer die Währung der Macht und des Machtmissbrauchs.

Das lang ersehnte messianische Reich Gottes würde mit der Rückkehr des Messias beginnen. Das war nichts Neues in Israel! Das glaubten die Jünger, und die Kunde davon verbreiteten sie. Jesus würde als König Israels Seine Regentschaft antreten und Sich mit Israel zu einem messianischen Ehebund zusammenschließen. Vorher noch, und das war das Neue und noch Ungehörte, würde Er sich aber eine Körperschaft bilden, mit dem Er dann vor Israel erscheinen würde. Und dieser Leib Christi gehört, jedenfalls zum Teil, zum Adressatenkreis der Briefe von Paulus. Das ist ihr Besonderes. Doch damit nicht genug, denn Paulus wendete sich in seiner Verkündigung an alle, die auf die Botschaft vom gekommenen und wiederkommenden Messias Israels und Sündenerlösers hören wollten und sollten. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet dies, seine Briefe waren an alle gerichtet, die bereit waren, etwas über Jesus Christus zu erfahren. In einer Gemeinde damals gab es ja, ebenso wie in den heutigen Gemeinden, wo immer sich an Christus Interessierte versammeln, mehr oder weniger gläubige Menschen. Will man alle ansprechen und erreichen, muss man es auch tun.

Paulus wurde schon damals nicht von allen verstanden, obwohl er eine klare Vorstellung davon hatte, was er den Juden über ihr Messiasreich und den Nichtjuden über Jesus Christus zu sagen hatte. Aber da es ohnehin immer nur der Geist Gottes ist, der das Wort Gottes hörbar macht und aufschließt, kann er auch überall und in den widrigsten Umgebungsverhältnissen wirken, wo und wie er will. Unter Umständen auch gar nicht! Er kann einen Papstjünger während einer Messe ansprechen und ihn herausholen aus der babylonischen Gefangenschaft, ebenso wie er einem Muslim bei der ekstatischen Umrundung des finsteren Meteors in Mekka ein noch fremdes Licht leuchten lassen kann, das ihn aus der Vergötzung des Wüsten-Allahs führen wird.

Aber man merkt schon an diesen extremen Beispielen, zuerst einmal beginnt Gott nicht mit Massen, sondern mit Maß. Der Geist Gottes kann Steine zum Leben erwecken und das Maul von Eseln zum Sprechen bringen. Und manch ein religiöser Eiferer, der eselhaft herummaulte, wurde zu einem verständigen Feingeist.

Wie viel anders sind da die Lehren der Kirchen, die alles durcheinanderwerfen, und dabei verbinden, was nicht zusammengehört, und lösen, was Gott zusammengetan hat! Da werden Gegensatzpaare gebildet, die eigentlich keine sind und Zuschreibungen und Einverleibungen betrieben, die es nur in der Vorstellung gibt, aber nicht bei Gott. „Die einen werden verdammt, die anderen sind für die Errettung bestimmt."„Nicht allein der Glaube rettet, sondern auch die Werke und die Kirchenzugehörigkeit." „Gott will alle Menschen retten, kann es aber nicht, denn der Mensch will nicht."„Israel ist das alte Volk Gottes, die Kirche das neue."„Man kann in Christus nicht verloren gehen, außer man lästert den heiligen Geist." Alle diese Aussagen sind unrichtig oder zumindest unvollständig und führen in eine heillose Irre. Der menschlichen Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, scheint es. Und nicht selten werden Warner Satan als großen Initiator und Inspirator zu vermuten haben, denn er ist der Widersacher Gottes. Wer für ihn ist, ist wider die Sache Gottes.

Hinzu kommen Glaubenssätze, die nicht auf Aussagen der Bibel beruhen, sondern ihnen entgegengesetzt sind: Gott hat die Himmel und die Erde erschaffen - in Wirklichkeit waren es Materie und Zufall. Die Verirrung reicht bis zur „Erkenntnis", dass Jesus gar nicht auferstanden ist und sich über Seine Gottessohnschaft geirrt habe.

Es gibt etliche, die sich „Theologe“ nennen ließen oder lassen, die sich zwar als Christen bezeichnen, aber nachdem, was die Bibel über die Nachfolge Christi sagt, keine sein können, weil sie Christus nicht vertrauen. Theologe ist eine Berufsbezeichnung, aber keine Berufungsbezeichnung. * 8

Es ist längst an der Zeit, wieder mehr Klarheit und Durchblick herzustellen und die Zeit lehrmäßig zurückzudrehen, bis zurück zu Paulus. Gott sagte für die Zeit des Endes ein Zuwachs an augenöffnenden Erkenntnissen voraus (Dan 12,4.9). Dann wird vieles, was vorher „verborgen" und „versiegelt" war durch „Verstand" erschlossen.

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