Karl Heinz Bohrer

Mit Dolchen sprechen

Der literarische Hass-Effekt

Suhrkamp

Inhalt

Vorwort

I

Kyds und Marlowes Hass-Effekte. Anstatt einer Einleitung

»I will speak daggers to her«. Hass-Reden in Shakespeares Dramen

Erhabener Hass. Satans Tragödie in Miltons Verlorenem Paradies

Satire oder Subversion? Swift auf Gullivers Reisen

II

Hass bis in die Hölle. Kleists grausame Helden

»La Haine«. Ein poetologisches Schlüsselwort Baudelaires

Metaphysik des Hasses und der Liebe. Wagners Ring des Nibelungen

Strindbergs Totentänze. Oder: Hass im Wohnzimmer

III

Der Exzess ist unvermeidlich. Célines Reise ans Ende der Nacht

Hass – ein existentialistischer Code. Sartres Der Ekel und Die Fliegen

Hassen nur Österreicher auf deutsch? Bernhard, Handke und Jelinek versus Goetz und Brinkmann

Hassen, um gehasst zu werden. Houellebecqs Version des Phantastischen

Vorwort

»The tigers of wrath are wiser than the horses of instruction.« So der große englische Dichter William Blake, Advokat der Französischen Revolution. Aber der Satz kündigt nicht bloß einen aggressiven aufständischen Willen an. Er ist in seiner Aggressivität auch schön. Und so geht es im folgenden nicht um den Hass als politisch-weltanschauliches Gebräu, sondern um seinen literarischen Ausdruck als ein Mittel intensiver Poesie.

Seit dem ersten Satz der europäischen Literatur, seit Homer seine Göttin anrief, den Zorn des Achill zu beschwören, der zum Hass wird, seit diesem Anruf, »mēnin aeíde theá«, ist das Wort zu einer zentralen Ausdrucksform der Literatur geworden. Und seit Archilochos' Hass-Lyrik wusste die griechisch-römische Klassik, warum sie diesem Gefühl den Vorrang vor allen anderen Emotionen gab. Und so Blake. Und so die Großen der europäischen Literatur in ihren Epochen: Christopher Marlowe, William Shakespeare, John Milton, Jonathan Swift, Heinrich von Kleist, Charles Baudelaire, Richard Wagner, August Strindberg, Louis-Ferdinand Céline, Jean-Paul Sartre. Schließlich: Thomas Bernhard, Peter Handke, Elfriede Jelinek, Michel Houellebecq.

Das Wort »Hass« hat kürzlich eine Karriere an öffentlicher Bedeutung hinter sich gebracht. In der publizistischen und sozialhistorischen Kritik an der in Deutschland und Europa verbreiteten Reaktion auf die Flüchtlingskrise rückte es in die Reihe von Begriffen wie »Identität«, »Rassismus«, »Nationalismus«. Um dieses ideologiekritische Verständnis des Wortes oder des Begriffs »Hass« geht es im folgenden also nachdrücklich nicht. Auch nicht um eine psychologische Identifikation. Vielmehr wird die poetologische Signifikanz des Hasses im Werk bedeutender europäischer Dichter zwischen Renaissance, klassischer Moderne und Postmoderne dargestellt, wobei seine imaginativ-poetische Aura zu entdecken sein wird, nämlich wie der Affekt der Person zum Effekt der Sprache transzendiert.

Insofern ähnelt die Frage nach dem Hass in der Literatur der Frage nach dem Interesse für die Gewaltdarstellung seit dem 16. Jahrhundert in Literatur und Malerei.[1] Nicht nur die privilegierte Rolle von Charakteren des Hasses, ihr Ausdrucksvermögen, ist zu befragen, sondern das mit ihrer Hilfe gewonnene Ausdrucksvermögen der literarischen Sprache selbst. Daraus folgt, dass literarische Werke, die dem politisch-kulturellen Hass nur anlässlich eines kriegerischen Konflikts dienen, nicht zum Thema gehören.

Der poetische Hass-Ausdruck, so wird sich zeigen, bedarf eines doppelten Grundes: des Antriebs zum Pathos des Ungewöhnlichen und der existentiellen Hass-Empfindung im Dichter selbst. Letztere deutet sich im 16. und 17. Jahrhundert an (Marlowe/Milton), gewinnt im 19. Jahrhundert an Stärke (Kleist/Baudelaire) und wird im 20. Jahrhundert zu einem radikal-subjektiven Code (Céline/Sartre).

Émile Zola, der dem Hass in seinem Werk ebenso wie Maupassant keine poetische, sondern eine politische Stimme gegeben hat, fand gleichwohl für den existentiellen Hass des Schriftstellers und Künstlers auf das Banale die diagnostisch schärfste Charakterisierung. Er war es, der den imaginativen Hass als existentiellen Selbstausdruck zwar nicht literarisch dargestellt, sich wohl aber in einer Adresse an die Zeitgenossen provokativ zu ihm bekannt hat: Sein Prosastück Mes Haines beginnt mit diesen Sätzen: »Der Haß ist heilig. Er ist die Indignation der starken und mächtigen Herzen, die militante Verachtung derer, die die Mittelmäßigkeit und Dummheit nicht ertragen. Hassen heißt lieben, seine heiße und großmütige Seele spüren, mit Verachtung gegenüber den schändlichen und dummen Dingen leben.«[2] Eine solche erst im 19. Jahrhundert in dieser Form ausgedrückte Identifikation lässt sich allerdings auf alle literarischen Hass-Reden seit dem 16. Jahrhundert beziehen: Shakespeares Richard, Miltons Satan und Baudelaires poète maudit ragen aus dieser Tradition heraus.

Nicht zufällig ist Zolas Stimme eine französische. Seit der Großen Revolution war im öffentlichen Pariser Diskurs das Hass-Wort geläufig. Aber es nahm neben dem politischen bald einen existentiellen Klang an, dem Baudelaire den bedeutendsten literarischen Ausdruck verliehen hat.

Auch in der theologisch-religiösen Tradition spielt die Hass-Rede eine hervorragende Rolle: so in den Psalmen und vor allem in Dantes Darstellung des Infernos und darin der entsetzlichen Strafen für berühmte Sünder. Diese Darstellung ist zwar ausgesucht poetisch, aber das Motiv ist kein ästhetisches, sondern ein moralisches und gehört daher nicht im spezifischen Sinn zur Thematik dieses Buches.

Schließlich die Frage danach, was aus dem literarischen Hass nach dem Zweiten Weltkrieg wurde. Die Antwort darauf ist geeignet, unser Gegenwartsbewusstsein zu perspektivieren.

Der Hass-Imagination eignete seit jeher eine fast sakrale Abgrenzung der eigenen Existenz gegenüber der Welt. So – mit national bedingten Unterschieden – bei Marlowe, Milton, Swift und gewagter noch bei Baudelaire. Hier sind die Vorzeichen von Célines und Sartres Hass-Metaphorik zu erkennen: Deren deutschsprachige Versionen, einerseits bei Bernhard, Handke und Jelinek, andererseits bei Brinkmann und Goetz, werden durch kulturkritische und ideologiekritische Motive der Nachkriegsmentalität noch verschärft. Und Houellebecq? Existentieller Hass verschmilzt hier mit bösartiger Affirmation des Hassenswerten. Er ist unser Zeitgenosse.

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