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1. Auflage – März 2019

© 2019 Math. Lempertz GmbH

Text: Gereon A. Thelen

Umschlaggestaltung, Satz: Ralph Handmann

Lektorat: Philipp Gierenstein, Eva Weigelt

Titelbild: fotolia

Printed and bound in Germany

ISBN: 978-3-96058-203-8

eISBN: 978-3-96058-317-2

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Gereon A. Thelen wurde 1978 in Köln geboren. Nach dem Abitur absolvierte er eine Ausbildung beim Zolldienst, sein Studium an der Fachhochschule schloss er als Diplom-Finanzwirt ab. Er arbeitet seit 2005 als Ermittlungsbeamter im Zollfahndungsdienst, zunächst beim Zollkriminalamt in Köln, seit 2009 beim Zollfahndungsamt Essen – Dienstsitz Köln. Sein Spezialgebiet ist das Verbrauchssteuerrecht. Gereon A. Thelens erster Peter-Merzenich-Krimi, „Ehrlos“, erschien 2009.

Südstadt-
Komplott

VII. Band der Peter-Merzenich-Reihe

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Ein Kriminalroman von Gereon A. Thelen

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Inhalt

Prolog – Teil I (Das schwarze Schaf)

Prolog – Teil II (Pressestimmen)

Prolog – Teil III (Auszeit)

Prolog – Teil IV (Der nie endende Albtraum)

1. Kapitel: Die Hochzeit

2. Kapitel: Erste Ermittlungen

3. Kapitel: Der Vernehmungsmarathon

4. Kapitel: Mordkommission „Kongo“

5. Kapitel: Schuldig im Sinne des Ermittlers

6. Kapitel: Die Turnschuh-Spur

7. Kapitel: Der Konsul und der Detektiv

8. Kapitel: Ermittler unter sich

9. Kapitel: Zweiter Besuch bei den „Eulen“

10. Kapitel: Eine (böse) Überraschung

11. Kapitel: Der Spediteur

12. Kapitel: „IHS“ und die Observation

13. Kapitel: Zu spät

14. Kapitel: Jagd aufs Chamäleon – dem Drahtzieher auf der Spur

15. Kapitel: Ein Mann packt aus

16. Kapitel: Die Flucht

Epilog – Teil I (Das Geständnis)

Epilog – Teil II (Der Abschied)

Epilog – Teil III (Erwischt)

Danksagung

Prolog – Teil I (Das schwarze Schaf)

Köln-Innenstadt, Donnerstag, 29. Juli 1999, 14:25 Uhr

Sie hatten bereits einen harten Tag hinter sich. Die Kollegen der Ermittlungsgruppe „Tasna“ hatten sie um Hilfe ersucht. Diese Spezialeinheit des für Diebstahl zuständigen innerstädtischen KK 3 war vor zwei Jahren aufgestellt worden, um die ausufernde Zunahme an Taschendiebstählen durch rumänische Jugendliche einzudämmen.

So waren sie den ganzen Vormittag rund um Domplatte, Roncalliplatz und Hohe Straße unterwegs, um verdächtige rumänische Sinti- und Romakinder zu observieren. Und wieder einmal war ihnen Florin, ein rotzfrecher Dreizehnjähriger, ins Netz gegangen. Diesem Typen hätten sie am liebsten die Ohren langgezogen, als er sich losschüttelte und fast akzentfrei sagte: „Du kannst mir gar nix, Mann. Ich bin erst dreizehn! Jetzt zieh ab, Alter!“

Tja, damit hatte dieser Lümmel leider recht. Viermal erwischten sie ihn noch im Laufe des Vormittags.

Was hatte diese ganze Aktion gebracht? Nichts. Reine Zeitverschwendung, die einigen unaufmerksamen Passanten immerhin ihre prallgefüllten Portemonnaies zurückgebracht und damit ihre Shoppingtour gerettet hatte.

Und jetzt saßen sie in der brütenden Hitze in ihrem alten Kombi, einem dunkelroten VW Passat Variant von 1990, der vor seiner Zeit beim innerstädtischen ET bereits Jahre als ZKB1-Fahrzeug im Einsatz gewesen war und schon zig Beulen und Schrammen hatte. Zu allem Überfluss hatte die Wolfsburger Karre auch noch ein Bergheimer Tarnkennzeichen.

„Arnold 31/82“, wie das Zivilfahrzeug laut Kodierstecker im Funkverkehr hieß, passte nun wirklich wie die Faust aufs Auge zu ihm und seinem jungen, nervigen Kollegen. Ihm, dem abgebrühten Polizeihauptmeister, der sich vor einigen Jahren von seinem neuen Job beim ET, dem Einsatztrupp der Polizeiinspektion 1, noch einen Sprung auf der Karriereleiter zum Kommissar versprochen hatte, konnte nun keiner mehr etwas vormachen. Alles die gleichen Wichser, die da hochtrabend von Recht und Ordnung lamentieren, um uns zu motivieren, und sich mit ihren goldenen Sternen auf der Schulter vor die Kamera stellen und über irgendwelche Kriminalstatistiken fachsimpeln, dachte er bei sich.

Ihm war eines bewusst: Jeder war auf sich allein gestellt – auch bei der Truppe. Er wusste, dass er von seinem Dienstherrn nichts mehr zu erwarten hatte. Darum nahm er den ganzen Scheiß auch nicht mehr ernst. Sich in ein Auto ohne Klimaanlage setzen und den ganzen Tag ’nen saublöden Kleindealer observieren? Aber gerne doch! Besser, als auf der Couch rumlungern und in die Glotze gucken. Es war ein nettes Zubrot zu seinen eigentlichen Haupteinnahmequellen …

Aber das war doch wirklich der größte Witz, dass er jetzt mit diesem Hirnamputierten in einem Auto sitzen musste. Er blickte den Mann am Lenkrad verstohlen an. Kurze, dunkelblonde Haare, Plauze, wulstige Lippen – der Typ sah doch aus wie’n Riesenbaby, stellte er lächelnd fest. Tatsächlich wirkte sein Kollege mit seiner Entenjägerweste, der Hose mit Tarnmuster, der Ray-Ban-Sonnenbrille und der Yankees-Baseballkappe wie ein texanischer Hinterwäldler.

Sein ET-Leiter Uwe hatte ihn vor vier Wochen als Polizeimeister Jan Wickrath vorgestellt. Zweiundzwanzig, nach der Zeit bei der Brühler Hundertschaft im Streifendienst bei der PI 5 in Nippes tätig – hochmotiviert, wenn auch so was von einfältig, wie sich sein erfahrener Kollege auf dem Beifahrersitz dachte.

Wickrath stammte aus dem kleinen Kaff Rommerskirchen im Kreis Neuss. ’n Landei, das davon besessen ist, in der größten Stadt von NRW für Ordnung sorgen zu müssen und einen auf Wyatt Earp machen zu können, glaubte Dümbgen zu wissen.

Müde lächelnd stellte Christian Dümbgen die Rückenlehne des Beifahrersitzes weiter zurück, so dass er fast lag.

Sein Nebenmann hingegen hatte sich die Einsatzanforderung der sachbearbeitenden Dienststelle, das für die Allgemeine Rauschgiftkriminalität zuständige KK 33, in allen Einzelheiten gemerkt:

Zielperson (ZP): STAAKOW, Roy

Personenbeschreibung: 170 cm, kurzrasierte rotblonde Haare, durchtrainiert

Geburtstag und -ort: 18. April 1967 in Berlin-Kreuzberg

Beruf: Kfz-Schlosser (derzeit arbeitslos)

Adresse (Zielobjekt [ZO]): Im Ferkulum 7,

50678 Köln-Altstadt/Süd

Zielfahrzeug (ZF): orangeroter Oldsmobile Toronado,

Erstzulassung 06/1980, amtl. Kennzeichen K-A 148

Kurzsachverhalt:

ZP wird verdächtigt, trotz einschlägiger Vorstrafen weiterhin im Bereich der Innenstadt Heroin an Betäubungsmittelkonsumenten (BTMK) abzugeben.

Auftrag:

Erstellung Bewegungsbild. Dokumentation (schriftlich sowie fotografisch) der Anfahrtspunkte und Treffen der ZP mit Kontaktpersonen.

Bei möglicher Feststellung BTM-Übergabe ist Zugriff erst nach Rücksprache mit Sachbearbeitung, KHK Reuter, Durchwahl -83 34, freigegeben.

Besonderheiten/Hinweise:

Vonseiten ZP ist laut gesicherten Erkenntnissen auf Grund regelmäßiger Aushilfstätigkeit als Türsteher in der Studentendisco „Das Ding“ erst ab Nachmittag mit auswärtigen Aktivitäten zu rechnen.

Wie lange hatte Wickrath doch darauf gewartet, endlich zum ET einer der neun Kölner Polizeiinspektionen zu kommen. Schließlich genossen die in Zivil agierenden Schutzpolizisten, die für die Bekämpfung der Straßen, Drogen- und Beschaffungskriminalität verantwortlich waren, innerhalb der Truppe einen guten Ruf. Er war dankbar, ausgerechnet zum arbeitsintensiven Innenstadt-ET gekommen zu sein und würde sich über alle Maßen in die Arbeit knien. Das hier war seine Chance, sich für die Spezialeinheiten zu qualifizieren. Er war der festen Überzeugung, diese Chance auch zu nutzen. Auch wenn er seinen Teamkollegen, diesen prol- ligen und leicht abgehalfterten PHM Dümbgen, alles andere als vorbildlich empfand.

Der untersetzte Siebenunddreißigjährige mit graumelierten Haaren, Stirnglatze und Knollennase sah mit seinem weit aufgeknöpften, bunt bedruckten Hemd, das zu Beginn des Jahrzehnts sicherlich mal als modisch-schick galt, der goldenen Halskette, dem Pilotenblouson aus Glanzseide sowie der schwarzen Lederhose und den Westernstiefeln eher wie ein Angehöriger der Gegenseite aus, die er eigentlich im Auge behalten sollte.

Während Dümbgen die ohnehin stickige Luft in dem geräumigen VW-Kombi mit einem lautstarken Furz verpestete, blickte Wickrath gebannt auf das Zielobjekt, die Hausnummer 7 – ein schmales, dunkelgraues Gebäude, dessen Fassadenbereich nur aus der Eingangstür und einem Garagentor sowie den drei erkerartigen, übereinanderliegenden Fensterfronten bestand.

Am Ende der kleinen Einbahnstraße Im Ferkulum erblickte er das sandsteinfarbene Severinstor, das den Abschluss der parallel zu ihrem momentanen Aufenthaltsort verlaufenden Severinstraße bildete.

Seitdem sie vor anderthalb Stunden, um 12:55 Uhr, eingetroffen waren, war rein gar nichts passiert – außer vielleicht, dass Dümbgen ziemlich intensiv nach billigem Fusel stank. Wickrath sah darüber hinweg. Wahrscheinlich war es in der Truppe üblich, mit Restalkohol zum Dienst zu erscheinen. Die sind wohl immer ziemlich gestresst, brauchen das, um runterzukommen. Und selbst, wenn nicht – mir steht darüber kein Urteil zu. Ich habe einen Auftrag zu erledigen, dachte er und griff entschlossen nach dem Peiker-Handmikro. Es wurde wieder mal Zeit für eine Sachstandsmeldung.

„31/81 von 31/82! Zurzeit keine besonderen Vorkommnisse! Lage weiterhin statisch!“

Es rauschte im Funkgerät. „Verstanden, 31/82! – Hey, Chrissy, dein neuer Kumpel hat aber ’nen ganz schön dicken Stock im Arsch! Mach den mal ’n bisschen locker, Mann! Der hört sich ja an wie so ’ne Leitstellen-Tunte!“, sagte Polizeikommissar Ralf Knübig am anderen Ende der Leitung.

Während Wickrath leicht verlegen rot anlief, riss ihm Dümbgen das Mikro aus der Hand. „Wem sagste das, Alter?! Dem Typen geht bei so ’ner Obs wahrscheinlich einer ab! Ich glaub, der ist schon ganz feucht im Höschen! Aber ich bemüh mich! Ende!“

Dümbgen griff in die Innentasche seines Blousons. „Hier, Jung, komm mal runter!“, sagte er und reichte ihm die kleine Flasche Korn, die nur noch halbvoll war.

„A-aber wir sind doch im Dienst?!“

„Laber nicht und sauf!“, sagte Dümbgen und presste ihm die Flasche auf die Brust.

Zögernd nahm Wickrath einen glucksenden Schluck. Er konnte sich eigentlich nicht vorstellen, dass dieses Verhalten den Vorschriften entsprach. Aber dem erfahrenen Kollegen zu widersprechen, traute er sich nicht.

Chrissy Dümbgen steckte die Flasche wieder ein und griff nach seinem Handy.

So langsam machte ihn das lange Warten richtig geil. Ich glaub, ich muss mal wieder dringend zu Angélique, es ihrer heißen Möse besorgen, dachte er und stellte sich seine Freundin in ihrer ganzen prallen Nacktheit vor. Ein Gedanke, der ihn von Sekunde zu Sekunde immer mehr stimulierte. So griff er nach seinem Handy und wählte ihre Nummer.

Angélique, die eigentlich Angelika Findeisen hieß, war sein bestes „Pferd im Stall“. Schwarze Haare, braun gebrannt – sie sah aus wie eine Südländerin und ging im Bett auch dementsprechend temperamentvoll ab. Die Freier zahlten überdurchschnittlich gut für eine Stunde mit ihr – besser als für seine anderen Mädchen. Dümbgen fühlte sich irgendwie zu ihr hingezogen. Bei guten Bekannten nannte er sie auch liebevoll seine „Freundin“. Gemessen daran, dass er sie nicht so häufig grün und blau prügelte wie seine übrigen „Damen“, stimmte das ja auch irgendwie.

„Hey, Baby, ich brauch mal wieder ’nen Stoß! Komm sofort in den Bonner Hof, klar?! Beeil dich! Ich hab’s nötig!“, blökte Dümbgen in das Handy und legte auf.

Wickrath traute seinen Ohren kaum. Er hatte bislang keinen erfahrenen Kollegen kennengelernt, der sich derart seltsam verhielt.

Dümbgen langte nach dem Peiker. „31/81 von 82! Wir machen mal eben ’ne Versorgungsfahrt!“

„Ja, verstanden! Bis gleich!“, antwortete am anderen Ende der Leitung Polizeihauptkommissar Uwe Schmahlacker, der Leiter des Innenstadt-ET.

Er wusste, was Dümbgen vorhatte, aber er war machtlos. Schließlich hatte ihn der Polizeihauptmeister vor einem Jahr bei der Weihnachtsfeier derart mit Wodka und Tequila abgefüllt, dass er sich an nichts erinnerte. Am nächsten Morgen war er neben der nackten Angélique im Hotel garni „Bonner Hof“ in der Elsaßstraße wach geworden, das Dümbgens Tante gehörte.

„Ich möchte, dass du dich in Zukunft nicht mehr in meine Angelegenheiten einmischst!“, hatte Dümbgen ein paar Stunden später im Büro gesagt und ihm die Polaroidbilder von Angélique beim Oralverkehr auf den Schreibtisch geschmissen. Seitdem war er vollends in Dümbgens Hand. Seine Frau hätte sofort die Scheidung eingereicht, wenn sie Wind von dem Abend im Bonner Hof bekommen hätte. Also spielte er mit.

Jetzt saß der untersetzte Schmahlacker mit seinen kurzrasierten grauen Haaren, der Brille und dem fliehenden Kinn auf dem Beifahrersitz von „Arnold 31/81“, einem weißen Golf III mit Siegburger Kennzeichen, im benachbarten Severinswall und wartete auf den Einsatz.

Sein braun gebrannter, dunkelhaariger Kollege in den Dreißigern auf dem Fahrersitz lächelte über beide Ohren und gab den Blick auf seine strahlend weißen Zähne preis. Polizeikommissar Ralf Knübig hatte erst im Vorjahr seine Aufstiegsausbildung beendet und allen Grund zum Lachen. Kurz nachdem er zum innerstädtischen ET gekommen war, hatte er herausgefunden, welche dreckigen Geschäfte sein Kollege Dümbgen abzog – Grund genug, ihn mit seinem Wissen zu erpressen und als „stiller Teilhaber“ abzukassieren. Die Geschäftsbeziehung zu Chrissy funktionierte einwandfrei. Er spielte mit, muckte nicht auf. Besser hätte es nicht laufen können. Die zwanzig Prozent der Einnahmen von Dümbgens „Nebenaktivitäten“ hatten gereicht, einen Teil seiner schönen Eigentumswohnung im Colonia-Haus in Riehl zu finanzieren.

Aber jetzt hatte er einen neuen Plan ins Auge gefasst, der den „Deal“ mit Chrissy völlig bedeutungslos erscheinen ließ:

Das kinderlose Ehepaar Henriette und Karl-Ludwig von Hohenfels, Hauptaktionär der namhaften Kölner Privatbank „Hohenfels’sche Credit-Anstalt AG“, hatte per Zeitungsannonce in einer bislang beispiellosen Aktion geeignete Adoptionsbewerber gesucht, die ihr Erbe antreten sollten.

Ralf Knübig hatte umgehend alle erforderlichen Unterlagen eingereicht und war laut handgeschriebenem Brief Karl-Ludwig von Hohenfels’, der sich neben der Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender seiner eigenen Bank nebenberuflich als Honorarkonsul des kleinen mittelamerikanischen Staates Belize verdingte, in die nähere Auswahl gekommen.

Knübig hatte die mit Federhalter auf feinstem Briefpapier verfasste Nachricht sorgsam gefaltet und in seiner Schreibtischschublade eingeschlossen. Ihren Inhalt hatte er sich genauestens gemerkt. Wort für Wort.

Sehr geehrter Herr Knübig,

lieber Ralf,

mit großer Freude haben wir Ihre Nachricht zur Kenntnis

genommen, die uns vor wenigen Tagen ereilte.

Ohne unserer endgültigen diesbezüglichen Entscheidung vorwegzugreifen, möchte ich mir erlauben, Ihnen mitzuteilen, dass Sie sich aufgrund des von Ihnen vermittelten sog. „ersten Eindrucks“ und Ihres integren Charismas zu dem erlesenen Personenkreis zählen dürfen, den meine Ehefrau und ich für eine etwaige Adoption favorisieren.

Ich bitte um Nachsicht, dass das Auswahlverfahren noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir werden uns mit unserem Notar beraten und uns alsbald bei Ihnen melden.

Bis dahin verbleibe ich mit vorzüglicher Hochachtung

Ihr Karl-Ludwig von Hohenfels

Jetzt hieß es, abzuwarten und zu hoffen. Wenn das klappte, konnten ihn diese ganzen Arschgeigen mal kreuzweise. Er würde den Dienst quittieren und sich ein sorgenfreies Leben machen, im eigenen Privatjet zwischen Köln-Hahnwald, Monaco und der Karibik pendelnd – immer ein Glas Champagner in der Hand und eine traumhaft schöne Frau im Arm. Der Gedanke an das bevorstehende Leben als James-Bond-Verschnitt gefiel ihm von Tag zu Tag besser.

Aber jetzt war ihm in der kleinen Karre einfach nur warm. Da sie auf Grund des Funkverkehrs die Fenster nicht öffnen konnten, hatte er kurzzeitig überlegt, die olivgrüne Feldjacke auszuziehen und auf den Rücksitz zu werfen – keine allzu gute Idee, da er darunter das Gürtelholster mit der klobigen SIG Sauer P6 trug. Und da sie sich so unauffällig wie möglich verhalten mussten, kam es leider nicht in Frage, sich Kühlung zu verschaffen. Also musste er schwitzenderweise der Dinge harren.

Der Gedanke an den Wodka Martini, den er sich an der Hotelbar auf Mauritius gönnen würde, sobald er von dem Ehepaar von Hohenfels adoptiert worden war, sorgte zumindest kurzzeitig für Linderung.

„Ich bin gleich wieder da!“, hatte Dümbgen zu Wickrath gesagt und das Handfunkgerät mitgenommen, kurz bevor er aussteigen wollte. Sie hatten unmittelbar vor dem Bonner Hof in der Elsaßstraße geparkt, einem langweiligen beigefarbenen Nachkriegsbau mit vier Etagen und einem Dachgeschoss, dessen Eingangsbereich in altmodischem Rotbraun verklinkert war.

Leicht fassungslos schaute Wickrath seinen Kollegen an. „A-a-aber was soll ich denn jetzt machen?“

„Mensch, Jung, hol dir einen runter oder geh zu den Kollegen nach gegenüber und trink dir ’nen Kaffee! Aber nerv mich nicht!“, sagte Dümbgen und schlug lauthals die Beifahrertür zu.

Wickrath schaute auf den nüchtern-modernen Backsteinbau auf der anderen Straßenseite, der die Polizeiwache Severinsviertel der PI 1 beherbergte.

Zwei uniformierte Kollegen hatten dort vor der Eingangstür gerade ihren grün-weißen Mondeo geparkt und waren ins Gebäude gegangen.

Sollte er wirklich die Kollegen auf der Wache um einen Kaffee bitten? Nein, er würde sich vorbildlich verhalten und seinen Posten nicht aufgeben – auch wenn er mehrere hundert Meter vom Zielobjekt, der Wohnung Staakows, entfernt war.

In der Zwischenzeit hatte Dümbgen den stickigen Rezeptionsbereich des kleinen Familienhotels betreten, das seiner betagten Tante Irmgard gehörte. Es müffelte nach Mottenkugeln und altem Teppich. Hinter der hölzernen Theke erblickte er Heinz, den schlaftrunkenen Portier, der so lange er denken konnte für seine Tante gearbeitet hatte und in einem Jahr in Rente ging.

Der schmächtige kleine Mann war eingeschlafen und lag mit dem Kopf auf dem Schreibtisch, so dass sein Toupet verrutscht war. Dümbgen musste lächeln. Als Kind hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, die Tischklingel ohne Unterbrechung zu betätigen, sobald Heinz eingenickt war. Der Typ ist echt ’ne wandelnde Schlaftablette, dachte er und schüttelte belustigt den Kopf.

In dem flackernden Fernseher auf dem Schreibtisch lief irgendeine Dokumentation. Dümbgen trat hinter den Tresen und schnappte sich den Schlüssel für Zimmer 1, sein Stammzimmer, das er immer für seine Schäferstündchen mit Angélique nutzte. Kaum, dass er den Schlüssel – vom schlummernden Heinz unbemerkt – geholt hatte, wurde die Haustür geöffnet. Angélique betrat in viel zu knappem Ledermini und Leopardenoberteil das Hotel.

„Na endlich!“, raunzte Dümbgen die eingeschüchterte Frau Anfang dreißig an und fuhr ihr mit der Hand unter den kurzen Rock, den er hochschob.

„Ich hab extra nix drunter!“, flüsterte sie zaghaft.

„Hältst du mich vielleicht für blöd? Das hab ich doch schon selbst gemerkt! So, komm, ich hab nicht ewig Zeit!“, fuhr er sie an und zerrte sie an der Hand ins erste Obergeschoss, wo er, kaum, dass er das Zimmer betreten hatte, ihren Rock weiter hochschob und von hinten mit einem heftigen Stoß in sie eindrang.

Nach gut zwei Minuten war die Sache vorbei. „Das war so schön“, sagte Angélique und streichelte Dümbgen über die Wange.

„Mensch, Alte, spar dir dein Liebesgesülze für die Freier!“, antwortet er ungehalten, fegte ihre Hand von seiner Wange und rülpste laut, nachdem er einen kräftigen Schluck Korn getrunken hatte.

„Was macht die Tageskasse?“, fragte er, während Angélique ihn immer noch schmachtend ansah. Ich würde alles für ihn tun. Er ist so stark und männlich.

„Ja, also, mehr als 150 hab ich heute noch nicht einnehmen können. Du hast mich ja schließlich angerufen und da musste ich ja vom Strich weg und …“

Dümbgen zog an ihren langen schwarzen Haaren. „Halt die Klappe! Seh ich aus wie die Heilsarmee, oder was? Willst du mir jetzt etwa die Schuld geben, wenn du keine Typen an Land ziehst? Ich glaub’s ja nicht!“, sagte er und holte kräftig aus.

Durch den Schlag war Angéliques Lippe aufgeplatzt. Sie taumelte zurück und fiel auf das Bett.

„Heute Abend treffen wir uns wieder hier! Und wenn du dann nicht mindestens 500 Mark mitbringst, wirst du dir wünschen, mir nie begegnet zu sein, Miststück!“, schrie er sie an.

Angélique heulte auf, als sie sah, dass Blut von ihrer Lippe auf ihr Oberteil tropfte.

Dümbgen deutete auf das blutige Top und die aufgeplatzte Lippe. „Mach dich mal frisch, Mensch! Siehst ja schrecklich aus! So verdienste heute keinen Pfennig mehr!“, schrie er, mehr auf sich selbst als auf Angélique wütend. Schließlich könnte sich seine Unbeherrschtheit noch „geschäftsschädigend“ auswirken: Welcher Freier wollte es schon mit einer Nutte treiben, deren Gesicht wie nach einer üblen Kneipenschlägerei aussah?

Grußlos verließ er das Zimmer und hinterlegte den Schlüssel an der Rezeption. Er drückte mehrmals auf die Tischklingel, so dass Heinz unweigerlich wach werden musste. Aber bevor der überhaupt zu sich gekommen war, hatte Dümbgen das Hotel verlassen und saß wieder in dem bordeauxroten Zivilwagen.

„So, es geht doch nix über so ’nen richtig geilen Nachmittagsfick, was, Wickrath?!“

Aber Jan Wickrath antwortete darauf nicht. Er hatte nur Angst, dass sie Staakow durch ihren „Ausflug“ unter Umständen verpasst haben könnten. Also gab er jetzt Gas. Seltsamerweise war ihr Parkplatz noch frei, als sie in der kleinen Einbahnstraße Im Ferkulum wieder Position bezogen.

Wickrath beeilte sich, nach dem Mikro zu greifen. „31/81 von 31/82! Haben wieder Standort bezogen!“

„Verstanden, 31/82! – Und, war’s gut, Chrissy?“, fragte Ralf, unüberhörbar amüsiert.

Dümbgen riss dem jungen Kollegen das Peiker aus der Hand. „Danke der Nachfrage! Kann nicht klagen!“, antwortete er überdurchschnittlich freundlich. Auch wenn er diesen Emporkömmling Knübig auf den Tod nicht ausstehen konnte – er musste gezwungenermaßen nett zu ihm sein. Der Typ war der Einzige, der seinen Geschäften ernsthaft in die Quere kommen konnte. Also musste er gute Miene zum bösen Spiel machen.

Die Zeit verging. Inzwischen war es halb fünf. Dümbgen hatte seine Flasche Korn fast geleert. Staakow, die Zielperson, rührte sich nicht. Das würde sich dieser laufende Meter aus Berlin auch nicht trauen, dachte Dümbgen selbstsicher und nahm einen Schluck Korn. Schließlich hatte er mit Dümbgen eine Vereinbarung. An jedem Deal, den er abschloss, verdiente Dümbgen gut 60 Prozent.

Er hatte Staakow vor etwas mehr als zwei Jahren auf frischer Tat erwischt, als er einem Junkie am Dionysos-Brunnen unter der Domplatte ein paar Gramm Heroin verkaufte. Seitdem war er in Dümbgens Hand, unterrichtete ihn über jeden geplanten Verkauf.

Aber an jenem Tag sollte Dümbgen sich irren und eines Besseren belehrt werden.

Es war bereits 17:24 Uhr, als das Garagentor der Hausnummer 7 aufging und ein ungepflegtes orangerotes US-Coupé aus den frühen Achtzigern, dessen hinterer Dachbereich mit orangefarbenem Vinyl bezogen war, auf die Straße fuhr. Der Motor machte sich mit dem satten Blubbern eines amerikanischen V8-Motors lautstark bemerkbar. Ein kleiner Mann mit kurzen rotblonden Haaren, auf den die Personenbeschreibung der Zielperson Roy Staakow passte, stieg aus und schloss das Tor, wobei der Fransenbesatz seiner Westernjacke sichtbar wurde.

Staakow setzte sich ins Auto und fuhr los. Wickrath startete den Motor des großen VW, während Dümbgen, immer noch fassungslos vor Wut, nach dem Mikro griff. Das würde er diesem Wichser heimzahlen! Niemand hatte ihn zu hintergehen. Niemand.

„31/81 von 82! ZP hat sich mit ZF in Bewegung gesetzt. Wir sind dran!“

„Ja, verstanden!“, antwortete Schmahlacker.

„Passieren Einmündung Severinstraße und Kölner Bank, ZF blinkt links und biegt links ab in Severinswall. Sind weiterhin in A. Passieren Früh em Veedel, Weiterfahrt geradeaus.“

„In Ordnung, 31/82!“, antwortete Schmahlacker, während Dümbgen und Wickrath den im Severinswall abgestellten weißen Golf mit den beiden Kollegen passierten, der sich jetzt auch in Bewegung setzte.

„31/82! Wir sind hinter euch in B!“

„Ja, ich seh euch! ZF blinkt rechts und biegt ab auf Alteburger Straße. Passieren Tagesklinik mit 35 km/h … ZF bremst ab und hält am rechten Fahrbahnrand … ZP steigt aus und betritt Colonia-Apotheke.“

Nach fünf Minuten ging die Fahrt weiter. „ZP kommt mit Plastiktüte aus Apotheke, steigt in ZF … Biegt rechts ab auf Ubierring, Weiterfahrt geradeaus …“

So ging das Spiel weiter, bis sie letztendlich in den Rheinufertunnel fuhren, an dessen Ende sie sich links einordneten.

„Kommen an roter LZA zum Stehen, linke Hand Musical Dome. Hinweisschild Nord-Süd-Fahrt … LZA wird grün, ZF fährt an, biegt links ab in Goldgasse, rechte Hand alte Bundesbahndirektion. Könnt ihr wieder in A gehen?“, fragte Uwe Schmahlacker.

„Aber sicher doch!“, antwortete Dümbgen, während Wickrath den Passat Variant konzentriert durch den Stadtverkehr lenkte.

„Weiterfahrt mit 55 km/h, rechte Hand DEVK-Versicherungen passiert. Hauptbahnhof voraus … ZF blinkt links und biegt Höhe Kommerz-Hotel links ab. ZF blinkt direkt wieder links und fährt auf Busbahnhof, wir ziehen nach!“

„Ja, verstanden! Wir bleiben am Taxistand am Breslauer Platz stehen!“

Der alte Toronado fuhr auf die hässliche Betonplatte im Schatten des Hauptbahnhofes, der den zentralen Busbahnhof beherbergte. Im Hintergrund war das riesige blaue Zelt des Musical Dome sichtbar, deren bisherige Betreiber im Vorjahr Konkurs anmelden mussten.

Dümbgen deutete Wickrath, am Rande des großen Parkplatzes neben einem Reisebus anzuhalten. Am anderen Ende des Platzes stieg Staakow aus, guckte sich verschwörerisch um und öffnete den Kofferraumdeckel. Wickrath griff nach dem Fotoapparat auf dem Rücksitz.

„Lass die Scheiße!“, fuhr ihn Dümbgen an und nahm ihm die Kamera ab. Er hatte schließlich ganz andere Pläne.

Während Wickrath jetzt per Funk einen Lagebericht durchgab, beobachtete Dümbgen, wie ein ausgemergelter, hohlwangiger Mann mit langen Haaren und aschfahler Haut Richtung Staakow und seinem Oldsmobile schlurfte. Sie begrüßten sich per Handschlag. Staakow reichte ihm ein kleines Tütchen aus dem Kofferraum, der andere, offensichtlich ein Junkie, reichte ihm ein paar Geldscheine.

Die beiden Männer verabschiedeten sich, Staakow setzte sich in seinen alten Amischlitten und fuhr los.

„Sollen wir jetzt nicht lieber diesen Hauptkommissar Reuter vom KK 33 benachrichtigen?“, wollte Wickrath wissen.

„Halt ja die Klappe, du Arschloch!“, wurde er von dem immer wütender werdenden Dümbgen angeschrien, der nach dem Mikro griff. „31/81! Wir hängen uns ans ZF! Ihr könnt jetzt abbrechen!“

„Ja, verstanden! Viel Erfolg!“, antwortete Schmahlacker. Er wusste, was Dümbgen vorhatte – und es gefiel ihm überhaupt nicht … Aber er konnte es nicht verhindern.

Der Toronado bog links ab, fuhr weiter auf der Rheinuferstraße Richtung Zoobrücke.

„Los, überhol den Arsch!“, schrie Dümbgen.

„A-aber …“

„Schnauze! Mach gefälligst, was ich sage, Mann!“

Wickrath holte alles aus dem spießigen Automatik-VW raus und setzte sich auf ein Zeichen Dümbgens neben das Zielfahrzeug, das auf der rechten Spur fuhr.

„Na warte, du Sau!“, sagte Dümbgen erzürnt und langte unter den Beifahrersitz, wo die Anhaltekelle lag. Er kurbelte das Fenster herunter und schwenkte die Kelle.

Mit Panik in den Augen sah Staakow, dass sich in dem Zivilwagen, der auf gleicher Höhe mit ihm fuhr, der menschgewordene Albtraum Dümbgen befand. Wenn der herausfand, dass er ihn hinterging und trotz anderslautender Warnungen weiterhin Deals auf eigene Rechnung abzog, konnte er sich verdammt warm anziehen.

Der Bergheimer Passat setzte sich jetzt vor seinen Wagen und geleitete ihn auf einen bei Campern und Ausflüglern äußerst beliebten Parkplatz in unmittelbarer Nähe des Rheinufers, unterhalb der Bastei.

Nach ein paar Metern auf der holprigen Kopfsteinpflasterpiste hielt der Zivilwagen in einer Parktasche an, Dümbgen stieg aus und beugte sich in den Innenraum.

„Du bleibst im Wagen, klar?!“, sagte er bestimmt in Polizeimeister Wickraths Richtung.

„Geht klar“, antwortete der eingeschüchtert.

Mit entschlossenem, wenn auch dank des Alkoholkonsums leicht schwankendem Schritt ging Dümbgen auf den Amischlitten zu. Staakow verkrampfte sich am Steuer zusehends und wurde immer panischer.

Dümbgen pochte gegen die Seitenscheibe und deutete Staakow mit einem Kopfnicken an, auszusteigen.

Der tat gezwungenermaßen, wie ihm befohlen. „Hallo Chrissy, allet in Butta?“, bemühte sich Staakow zu schauspielern, doch sein nervös zuckendes linkes Auge verriet das schlechte Gewissen. Er hoffte inständig, die Sache mit halbwegs heiler Haut zu überstehen.

Aber Dümbgen hatte sich längst entschieden. Als er sah, dass das ältere Pärchen mit den beiden Retrieverhunden außer Sicht- und Hörweite und die Luft somit rein war, griff er in seine Hosentasche und holte den Schlagring raus, den er sich über die rechte Hand streifte. Bevor Staakow wusste, was los war, hatte er ihm einen heftigen Hieb in die Magengrube verpasst. Staakow ging vor Schmerz schreiend zu Boden. Als sich der Kleindealer auf dem Kopfsteinpflaster krümmte, verpasste er ihm mit seinen schweren Cowboystiefeln ein paar saftige Tritte in seine Rippen.

„Hör uff, Mann, mach keen Scheiß! Bitte hör uff! Nimm die Penunse, aba lass ma am Le’m! Ick wollte janz bestimmt keene Zicken machen!“, winselte Staakow.

Zwischenzeitlich war Wickrath mit entsetztem Blick ausgestiegen. „Hey, Chrissy, also …“

Dümbgen preschte wie ein wilder Stier auf seinen jungen Kollegen los und packte ihn am Kragen. „Ein Ton von dir und du kannst mit meinem Schlagring auch mal Freundschaft schließen, klar?! Die Sache hier ist für dich Trottel ’ne Nummer zu groß! Zisch ab, setz dich in die Karre und hör ’n bisschen Polizeifunk! Da stehste doch drauf, du verblödetes Riesenbaby!“

Mit schlotternden Knien folgte Wickrath den Anweisungen seines Vorgesetzten, setzte sich mit Tränen in den Augen und zitternder Unterlippe wieder ins Auto. Auch wenn er merkte, dass er in einen Sumpf aus Korruption und Verbrechen geraten war, war die Erkenntnis, dem hilflos ausgeliefert gegenüberzustehen, zu viel für den jungen Beamten.

Währenddessen prügelte Dümbgen immer weiter auf Staakow ein – der sich gar nicht wehren konnte, da sich der Polizeihauptmeister mit voller Wucht auf seinen Brustkorb gekniet hatte und er somit kaum Luft bekam.

Dümbgen blickte in das zerschundene, blutbesudelte Gesicht des Dealers.

„Ich hoffe, das war dir ’ne Lehre, Arschloch!“, sagte er, durchsuchte Staakows Jackentaschen und nahm sein Portemonnaie und das Bündel Geldscheine an sich, bevor er den blutüberströmten Mann ohne jegliche Gefühlsregung am Boden liegend seinem Schicksal überließ.

Mit einem Gefühl tiefer Genugtuung stieg er wieder zu Wickrath ins Auto und klopfte dem ängstlichen Kollegen gönnerhaft auf die Schulter. „Tut mir leid, Jung, aber das war eben rein geschäftlich. Nimm’s mir nicht übel.“

„Schon okay“, antwortete Wickrath mit viel zu heftigem Kopfnicken.

„Was jetzt?“, fragte Wickrath mit einem Blick auf Staakow, der sich taumelnd aufrappelte und schluchzend Richtung Wagen schwankte.

„Ich muss noch was an der Riehler Straße erledigen. Gib Gas, Mann!“

So fuhren sie zur ARAL-Tankstelle an der Riehler Straße, in unmittelbarer Nähe des Oberlandesgerichts und der Oberfinanzdirektion. Dass sich ausgerechnet hier der Kölner Straßenstrich befand, war den Stadtoberen seit Langem ein Dorn im Auge.

Wickrath, dem der Schreck immer noch ins Gesicht geschrieben stand, lenkte den Passat auf das Tankstellengelände. Er blickte auf das halbe Dutzend leicht bekleideter Damen, die hier herumlungerten.

Dümbgen klopfte ihm auf die Schulter. „Meine Mädels! Alle absolut erstklassig und ganz schön versaut. Die gehen voll ab, Jung! Wie wär’s: Ich geb an Silvester ’ne ganz persönliche Milleniumsparty, im kleinsten privaten Kreis. Alles ganz ungezwungen. Du bist herzlich eingeladen. Die Häschen sind auch da. Siehste die Rothaarige da hinten an der Waschstraße? Zuzana aus Tschechien. Mann, wenn die dir einen bläst, saugt die dir dein Gehirn gleich mit raus, ich schwör’s dir!“

„Und – und die arbeiten alle für dich?!“

„Na, sagen wir mal so: Deren Zuhälter haben sie mir als so ’ne Art Schweigegeld kostenlos überlassen. Alles kleine Fische, die ihre eigentlich unbedeutenden Leichen im Keller haben. Aber ich hätte genug gegen sie in der Hand gehabt, um sie einzubuchten. Also haben wir uns so geeinigt. Halt mal an!“

Die rothaarige Zuzana Pavlásková hatte Angst. Pure Angst. Sie hasste es, Dümbgen zu sehen. Gegen ihn war ihr alter Zuhälter ein Waisenknabe. Aber dieser Bullenarsch – der setzt doch nur auf rohe Gewalt, dachte sie und zitterte vor Angst. Sie konnte gar nicht mehr zählen, wie oft er sie und die anderen schon windelweich geprügelt hatte. Und jetzt kam er auch noch auf sie zu. Aber wenn alles glattlief, war sie ihn bald los – wenn alles glattlief …

Dümbgen trat vor sie und gab ihr einen Klaps auf den Po. Sein Schnapsatem ließ sie kurz würgen. „Zuzana, alles klar, meine Schöne? Wie sieht’s aus? Ist doch heute schönes Sommerwetter – idealer Ficktag, oder?!“

„G-geht s-so“, stammelte sie.

Dümbgens Miene verdüsterte sich. „Was heißt das? Wie viel hast du denn schon eingenommen?“

„Zwei-zweihundertdreißig.“

„Was? Sag mal, hast du einen an der Waffel?“, fragte er, während er die Prostituierte unsanft am Oberarm packte. „Ich sag’s dir nur noch einmal: Ich lass mich von euch Schlampen nicht verarschen! Sieh zu, dass du bis heute Abend mindestens das Doppelte ervögelst! Sonst kriegen die Jungs vom Ausländeramt ’nen Tipp von mir und dann kannste deine Klamotten packen und Richtung Heimat abdampfen! Ist das klar?! Ich bin doch hier nicht die Wohlfahrt! Ich will Kohle sehen!“

Zuzana nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Chrissy, so geht das nicht weiter! Du behandelst uns alle wie den letzten Dreck!“

„Was war das?“, schrie der Polizist. „Willst du aufmucken, Püppchen? Weißt du was? Du steigst jetzt mit mir in den Wagen und dann fahren wir dahin, wo’s schön einsam ist. Und dann werd ich dir mal zeigen, dich gegen mich aufzulehnen! Ich bin dein Boss, klar?!“

In diesem Moment öffnete sich die seitliche Schiebetür eines VW-Busses mit abgedunkelten Scheiben. Ein großer Mann mit dunklen, ordentlich gekämmten Haaren, kleiner ovaler Brille und roten Wangen, der ein kariertes Sommerhemd trug, stieg in Begleitung von zwei anderen Männern, die nach Verwaltungsbeamten aussahen, aus dem zivilen Transporter.

„Polizeihauptmeister Dümbgen?!“, fragte der Rotwangige.

„J-j-ja“, stammelte der nur.

„Johannes Wiesmann, KK 24“, antwortete der Kriminalbeamte des für die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität und der Korruption zuständigen Kriminalkommissariats und zückte seine Dienstmarke. „Meine Kollegen Bürvenich und Poetes“, sagte er mit einem Blick auf die beiden anderen Beamten. „Herr Dümbgen, Sie sind wegen dringenden Tatverdachts der Zuhälterei und der Bestechlichkeit vorläufig festgenommen. Machen Sie uns keinen Ärger!“

„Aber wieso? Ich hab hier doch nur Infogewinnung betrieben! Die Mädchen sind meine Informanten! Ich wollte Informationen zu ihrem Zuhälter! Mein Kollege Wickrath kann das bezeugen! Fragen Sie ihn doch!“

„Sparen Sie sich das Geschwätz, Mann! Sie sind eine Schande für die gesamte Polizei! Wir haben alles mitbekommen!“, sagte Wiesmann mit Blick auf das Fahrzeuginnere, in dem sich ein Richtmikrofon befand.

Nachdem Poetes die Dienstwaffe Dümbgens und dessen Schlagring sichergestellt hatte, wurde er von Bürvenich durchsucht und gefesselt.

„Vielen Dank, Zuzana! Ohne Ihre Hilfe hätten wir das nicht geschafft!“, sagte Kriminalhauptkommissar Wiesmann und schüttelte der erleichterten Frau, die es nicht mehr ausgehalten und sich der Polizei anvertraut hatte, die Hand.

1Abk. f. „(Unterabteilung) Zentrale Kriminalitätsbekämpfung“ (ehem. Organisationseinheit des Polizeipräsidiums, in der die Kriminalkommissariate für die Bekämpfung der mittleren und schweren Kriminalität zusammengefasst waren)

Prolog – Teil II (Pressestimmen)

a) Kölner Stadt-Anzeiger, Mittwoch, 3. Mai 2000

Haftstrafen im Kölner Polizei-Skandal

Steffenhagen: „Aufatmen bei Kölns Polizei“

Köln - Vor dem Landgericht Köln ging gestern nach 24 Verhandlungstagen der spektakuläre Prozess um den ehemaligen Polizeibeamten Christian D. (38) mit einer Verurteilung des Haupt-angeklagten zu 6 Jahren Haft zu Ende. D., dem unter anderem zur Last gelegt wurde, im Rahmen seiner Tätigkeit als Angehöriger der innerstädtischen Zivilstreife über Jahre hinweg Zuhälter und Prostituierte des Straßenstrichs an der Riehler Straße erpresst und sich letztendlich selbst als Zuhälter verdingt zu haben, beteuerte bis zuletzt seine Unschuld. Er habe nur „milieubedingte, durchaus gewöhnungsbedürftige Methoden der Informationsgewinnung“ angewandt, so Dr. Ulrike Engelhardt, seine Strafverteidigerin. Dies sei eine „ungeheuerliche Schutzbehauptung“, entgegnete Staatsanwalt Hans-Ulrich Krienen, der Anklagevertreter.

D.s Aussage stand von Anfang an im Widerspruch zu den Angaben der Hauptzeugin der Anklage, der tschechischen Prostituierten Zuzana P. (26), die mit ihrer Anzeige bei der Polizei das Verfahren gegen D. erst ins Rollen gebracht hatte. P. sprach in ihrer richterlichen Vernehmung von unvorstellbaren Gewaltexzessen des Angeklagten. Nachdem er das Geschäft von ihrem Zuhälter übernommen habe, seien Prügel und Drohungen „an der Tagesordnung“ gewesen. Zu den anfänglichen Verdachtspunkten Zuhälterei und Bestechlichkeit war aufgrund der Aussage des Polizeimeisters Jan W. (23), Teamkollege des Angeklagten, der Vorwurf des mehrfachen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz gekommen. Die Ermittlungen der Polizei hatten letztendlich ergeben, dass D. mehrere Kleindealer mit seinem Wissen um ihre Taten erpresste und sich an ihren Gewinnen beteiligen ließ.

Mit der Verurteilung zu 6 Jahren Haft folgte die 4. Große Strafkammer des Landgerichts dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Der mitangeklagte Polizeihauptkommissar Uwe S. (43), D.s ehemaliger Vorgesetzter, wurde wegen Strafvereitelung im Amt zu anderthalb Jahren Haft auf Bewährung verurteilt.

Die Führung der Kölner Polizei zeigte sich angesichts der Verurteilungen erleichtert. Polizeipräsident Klaus Steffenhagen sprach von einem „Aufatmen bei Kölns Polizei“. Kölns Leitender Polizeidirektor Winrich Granitzka sagte, dass Beamte wie D. und S. in den Reihen der Polizei „nichts zu suchen haben“, da sie die gesamte Behörde, die „auf qualititativ hohem Niveau arbeitet und in ihrer Unbestechlichkeit und ihrem bürgernahen Auftreten eine Vorbildfunktion für die gesamte Gesellschaft einnimmt, in Misskredit bringen“.

Für überraschung unter den anwesenden Zuschauern sorgte Dr. Engelhardt, als sie im Namen ihres Mandanten auf Rechtsmittel verzichtete, obwohl D. bei der Verlesung des Urteils nur fassungslos mit dem Kopf schüttelte und spontan lautstark äußerte, dieses Urteil „niemals zu akzeptieren“. Das Urteil wurde somit rechtswirksam. (mk)

b) Kölner Stadt-Anzeiger, Freitag, 15. August 2003

Ehepaar in Belize tödlich verunglückt

Kölner Honorarkonsul von Hohenfels und Frau in Autowrack gefunden

Kingston/Jamaika - Wie Heinrich Kortmann, der auch in Belize akkreditierte deutsche Botschafter auf Jamaika, und Ralf Hohenfels auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Kingston mitteilen, wurde vergangenen Dienstag das Kölner Bankiersehepaar Henriette und Karl-Ludwig von Hohenfels in einem Autowrack am Rande des Western Highway bei San Ignacio im mittelamerikanischen Belize gefunden. Für den 62-Jährigen und seine 62-jährige Ehefrau kam jede Hilfe zu spät.