Umschlag

Doris Fürk-Hochradl wurde 1981 in Braunau am Inn geboren und lebt heute mit ihrer Familie im beschaulichen Feldkirchen. Neben ihrer Haupttätigkeit als Lehrerin schreibt sie Krimis mit dem besonderen Schmunzelfaktor.

Dieses Buch ist ein Roman. Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

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© 2019 Emons Verlag GmbH
Alle Rechte vorbehalten
Umschlagmotiv: age fotostock/Lookphotos
Umschlaggestaltung: Nina Schäfer, nach einem Konzept von Leonardo Magrelli und Nina Schäfer
Lektorat: Christine Derrer
eBook-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
ISBN 978-3-96041-518-3
Originalausgabe

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Für meine Eltern Erni und Walter. Danke für alles.
Hab euch lieb.

Prolog

Himmelherrgott. Das wollte ich nie sehen. Der Wimmer liegt keuchend und schwitzend wie ein rosarotes Mastferkel vor mir. Aber diesmal ist er nicht wegen irgendwelcher abstrusen Sexpraktiken so außer Atem, sondern aus purer Verzweiflung. Er breitet sich auf der Couch aus und jammert dabei, als wär ich sein Seelenklempner.

»Hubert, was soll ich machen? Wie kann ich dir schon helfen?«

Vor Seelenschmerz beginnt er wieder zu weinen. Ach, hätt ich doch meinen Mund gehalten. Schon schluchzt und heult er wieder, dass ihm die Puste ausgeht. »Ich war’s aber nicht, Rosi. Ich war’s nicht! Du kennst mich doch!«

Ich trau mich nicht, eine Antwort zu geben, denn ich weiß nicht, wie sie ausfallen würde.

Hubert setzt sich auf. Schweiß und Tränen glänzen in seinem Gesicht. »Ich könnte doch niemals so etwas Abscheuliches tun. Rosi!« Er fleht.

Ich schüttle den Kopf. Unser Wimmer ein Verbrecher? Ein Perversling? Meine Nase juckt. Ich muss die Wahrheit herausfinden, die ganze Wahrheit.

Wasser und Liebe

Rosis Wassertipps, Teil 1

Bei verstopfter Nase, Schnupfen und Atemproblemen helfen Inhalationen mit Salzwasser. Einfach 2 l Wasser, gemischt mit 2  3 EL Salz, in einem Topf zum Kochen bringen, Handtuch über den Topf, Kopf darunter, einatmen. Achtung, dass es nicht zu heiß wird!

Ich schwebe. Beinahe zumindest. Angenehm warm umschmeichelt mich das Salzwasser. Leise erklingt Entspannungsmusik unter der Wasseroberfläche. Ich tauche meinen Nacken und die Ohren etwas tiefer hinab. Gitarren- und Klavierklänge vermischen sich mit den dumpfen Stimmen der Badenden und den leichten Wellen. Seltsam, wie ungewohnt eine Melodie sich anhört, wenn der Schall nicht von Luft, sondern von Wasser übertragen wird. Es ist beinahe so, als würde der Klang intensiver sein und durch die Zellen dringen wie eine sanfte Massage.

Ich halte die Augen geschlossen, obwohl ich weiß, dass Sepp mich begierig mustert. Nicht nur das wohltuende Nass prickelt auf meiner Haut, auch Sepps neu erweckte Leidenschaft. Wir haben zu unserer Höchstform zurückgefunden. Es liegt wohl mehr als nur ein Funken Wahrheit in der Redewendung, dass nach einem ordentlichen Gewitter neue, frische Klarheit herrscht. Sepp und ich lieben uns. Intensiv. Wild. Beinahe unbeherrscht. Für die Außenwelt hat sich freilich nichts zwischen Sepp und mir verändert. Wir sind noch immer das unorthodoxe ältere Pärchen, das sich im Herbst des Lebens kennen- und lieben gelernt hat.

Wenn ich daran zurückdenke, wie Sepp vor gut zwei Jahren in meine Stube geschlurft ist und verschämt nach Rat gefragt hat, wie er seinem kleinen Seppel wieder zu altem Standvermögen verhelfen kann, muss ich schmunzeln. Dass ich, die Kräuterrosi, Ortsheilkundige und alteingesessene Beindlrichterin, die wirksamste Medizin für sein müdes Stehaufmännchen sein würde, hatte ich zum damaligen Zeitpunkt nicht geahnt. Seither sind Monate vergangen. Sepp hat sein florierendes Bordell »Das Herzkastl« meinem Sohn Raphael und meiner Schwiegertochter vermacht. Dann hat er sich nicht nur in meinem kleinen Bauernhäuschen eingenistet, sondern auch in meinem Herz. Gemeinsam leben wir im beschaulichen Dorf Ibm. Das Ibmer Moor umgibt uns und formt Land und Leute. Sepp hat zu mir gefunden. Er ist nicht mehr länger der Bumshütten-Sepp, sondern mein Sepp, Kräuterrosis Sepp.

Ich seufze leise in mich hinein, froh darüber, dass Sepp und ich uns näher sind als je zuvor. Die letzten Monate waren eine Herausforderung für unsere junge Beziehung und unsere alten Köpfe. Wer schon viel mehr als ein halbes Jahrhundert auf dem Buckel hat, der kämpft gegen und mit seinen eigenen Wertvorstellungen. Ein langes Leben bedeutet auch, dass man viel Erfahrung gesammelt und in einigen Dingen festgefahrene Glaubenssätze entwickelt hat.

Sepp war davon überzeugt, dass ich mich unnötig in Gefahr begebe, nur weil ich anderen Menschen helfen will. Ich kann aber nicht anders und muss meine Schnüffelnase einfach in fremde Angelegenheiten stecken, wenn ich dieses Kribbeln spüre. Sobald ich fühle, dass ich auf der richtigen Fährte bin, halten mich weder Sepp noch Kurt, mein Schwiegersohn in spe und Inspektor bei der Mordkommission, auf. Nur so konnte ich der Familie des Mordopfers vom Kopfinger Baumkronenweg helfen. Sepp ist durch meinen Einsatz tausend kleine Tode gestorben – vor Sorge um mich. Dadurch haben sich die Gewitterwolken über uns verdichtet, bis wir ordentlichen Streit hatten. Ja, der Mordfall rund um den Baumkronenweg-Mörder hätte unserer Liebe beinahe das Genick gebrochen. Aber nun sind wir hier. In der Therme Geinberg. Nur Sepp und ich. All die Sorgen und Ängste gehören der Vergangenheit an. Ich lausche noch einen Moment der sanften Unterwassermusik in der Salzlagune. Dann setze ich mich langsam wieder gerade hin und öffne die Augen. Stimmengewirr statt lieblicher Musik. Sofort läuft mir ein kühler Schauer den Rücken hinab. Die winterliche Luft auf meinen nassen Haaren lässt mich zittern.

Sepp mustert mich und streicht sanft über meine feuchte Haut. »Ich glaube, wir gehen besser hinein. Nicht dass du dich im Außenbecken erkältest.«

Ich lege meinen Kopf schief und lächle. »Du bist ziemlich überfürsorglich, mein lieber Sepp«, antworte ich.

Er zieht die Stirn kraus. »Ich denke nur an die möglichen unangenehmen Nachwirkungen, wenn du dir die Schulter verkühlst und heute Abend nicht für das bereit bist, was ich mit dir vorhabe.«

Seine Stimme klingt fast wie ein Schnurren, und ich kann von seinem Gesicht ablesen, in welche Richtung seine Pläne gehen. »Typisch Mann«, scherze ich, »denkt immer nur an das Eine.«

»Stimmt nicht, mir geistert da das eine oder andere im Kopf herum«, erwidert Sepp lachend.

Wie könnte ich ihm da böse sein?

»Na dann, nichts wie rein ins Warme, du Tiger!«, gebe ich mich geschlagen.

Sepp nickt zufrieden. Gemächlich und darum bemüht, fast bis zu den Ohren im Wasser zu bleiben, schleichen wir zum Beckenausgang, der bereits im Inneren des Gebäudes liegt.

Das Salzwasserbecken ist meiner Meinung nach das schönste der Therme. In der wärmeren Jahreszeit kann man es sich auf einer der Liegen oder einer Sonneninsel bequem machen, den aufgeschütteten Sandstrand genießen und sich bräunen lassen. Oder man schlürft umgeben von Palmen einen süßen Cocktail von der Poolbar. Im Winter ist es dafür leider zu kalt. Dennoch mag ich das Prickeln auf der Haut von der warmen Sole.

Ich steige aus dem Wasser. Am Ständer hängen unsere Hotelbademäntel, und auch die Badeschlappen stehen bereit. Schnell wickle ich das weiche Frottee um meinen Körper, bevor mir wirklich kalt wird. Sepp tut es mir gleich. Dann hake ich mich bei ihm unter, und wir schlendern los in Richtung der Ruheliegen für die Hotelgäste.

»Wie geht’s deinem Bein?«, will ich wissen.

Sepp zuckt die Schultern. Im Frühjahr hat er sich das Knie und den Fuß bei einem Sturz verletzt, und bis heute sind seine Bewegungen nicht mehr richtig geschmeidig. »Mal sehen, ob es nach der Massage am Nachmittag besser wird«, sagt er.

Ich verziehe den Mund. Warum nur hat Sepp das Romantikpaket inklusive Ganzkörpermassage, Aroma-Liebesbad und Partner-Hamam gebucht? Er hat wohl gedacht, lieber mehr als weniger. Mir hätten drei Nächte im Hotel mit kulinarischen Genüssen und vielleicht noch dem Aroma-Bad vollends gereicht. Der Gedanke, dass irgendein junges Mädchen meine Falten hin- und herknetet, als wäre ich ein reifer Brotteig, missfällt mir. Wenn hier jemand knetet, ruckt oder zieht, dann bin ich es. Ich richte die Menschen gerade, nicht umgekehrt.

Sepp löst sich aus meinem Griff und klappt die Liege für mich hoch. »Bitte, Madame«, sagt er, und ich muss grinsen. Wir lassen uns auf den gemütlichen Liegen nieder. Sepp lächelt mich an. Wahrscheinlich hat er es nur gut gemeint mit dem Total-Verwöhn-Package. Er wollte alles richtig machen und konnte nicht ahnen, dass es mir unangenehm ist, wenn mich jemand anderer berührt als er.

Schon bei unserem Rückflug von Georgien hat er mir versprochen, mich mit ein paar netten Ideen zu verwöhnen, um wieder Schwung in unsere Liebe hineinzubekommen. Und ja, ich muss gestehen, mein Sepp ist ein ausgekochter Romantiker. Nachdem sich meine Tochter Daniela von der Eizellenentnahme erholt hatte und klar war, dass es mit einer Leihmutterschaft in Georgien klappt, war auch diese Sorge von meinen Schultern gefallen. Das Leben ordnete sich nach all den Turbulenzen langsam wieder.

Ich hatte zwar Todesängste ausgestanden, als mich meine Dani per Flugzeug nach Georgien verschleppt hat, aber der Erfolg war jede Schweißperle wert. Fliegen und ich, das geht in etwa so zusammen wie eine Flasche Schnaps und danach eine große Tasse Kakao mit Marshmallows – man kann es machen, besonders klug ist es aber nicht. Doch die Liebe zu meiner Daniela hat mich sogar meine immense Flugangst beiseiteschieben lassen, und ich musste mich nur zwei- oder dreimal übergeben.

Dass Daniela auf diese wahnwitzige Idee gekommen ist, durch eine bei uns illegale Art und Weise ein Kind zu bekommen, war eine ziemliche Herausforderung für mich. Die Ärzte hatten ihr nach der Fehlgeburt und der Schwangerschaftsvergiftung alle Hoffnung auf ein eigenes Baby zunichtegemacht. Doch Daniela wollte ihren Traum nicht aufgeben. Sie hat eine Lösung gefunden. Eine risikoreiche Lösung, der ich niemals zugestimmt hätte. Doch ich wurde nicht gefragt, sondern ins Flugzeug und vor vollendete Tatsachen gesetzt. Wie die Mutter, so die Tochter, hat Sepp nur lapidar gemeint und damit direkt ins Schwarze getroffen.

Auf jeden Fall hat die Zeit in Georgien Sepp und mich zusammengeschweißt. Unsere Beziehung ist auf einer neuen Ebene gelandet. Wir haben uns herrlich wild zusammengestritten, und während meine Tochter Daniela ihren unkonventionellen Babyplänen nachgegangen ist, haben Sepp und ich uns die Wartezeit ganz konventionell in den Hotelbetten verkürzt.

Danach war alles anders. Sepp ist mit meinem Hang zu Mord und Totschlag versöhnt, und ich nehme es ihm nicht mehr übel, wenn er zur männlichen Überglucke mutiert und mich vor der bösen Welt oder eben einer erkälteten Schulter beschützen will.

Sepp hat auch sein Versprechen gehalten und für wunderbare verlängerte Wochenenden gesorgt. Zuerst hat er mich in eine einsame Almhütte entführt. Wir haben die Kühe beobachtet, während das Alpenglühen sich langsam in den neuen Tag verwandelt hat, und die frische Bergluft genossen. Danach waren wir in Venedig, wo wir in der Gondel die Kanäle entlanggefahren sind und mir Sepp die Frage aller Fragen gestellt hat. Bis heute bin ich ihm eine Antwort schuldig geblieben, habe um Bedenkzeit gebeten, da das zweite Mal wohlüberlegt sein will. Als mir damals Horst den Heiratsantrag gemacht hat, habe ich noch in derselben Sekunde »Ja« geschrien. Und das, obwohl es auch da schon Gründe gab, Nein zu sagen.

Doch heute bin ich überlegter, nachdenklicher und bestimmt auch schon zu sehr an meine Lebenssituation gewöhnt. Eine so große Veränderung hatte ich nicht mehr geplant. Sepp hingegen schon. Ich bin, so versichert er mir immer, seine erste richtige Liebe und die erste Frau, mit der er sich eine Ehe überhaupt vorstellen kann. Ich habe mich dennoch nicht drängen lassen. Seither ist das kleine Schmuckschächtelchen Sepps steter Begleiter. Ich sehe es, wie es sich in seiner Jacken- oder Hosentasche abzeichnet. Sogar seine Badehose hat ein kleines Geldfach eingenäht, in dem er den Ring spazieren trägt. Auch jetzt drücken sich die verräterischen Kanten der Schachtel durchs weiße Frottee des Bademantels. Sepp will bereit sein, egal, wann, egal, wo. Es ist herzerwärmend, wie zuverlässig er den Ring mitschleppt. Schon allein deswegen sollte ich mir einen Ruck geben, aber ich kann es noch nicht.

Ich luge zu Sepp hinüber. Er döst. Selbst im Halbschlaf schnarcht er leise. Wie lange kann ich ihn noch warten lassen? Oder ist es gerade die Ungewissheit, die ihn dazu treibt, mich zu umschmeicheln und zu umwerben? Wenn ja, warum sollte ich mich vorschnell entscheiden? Wahrscheinlich ist es die letzte Gelegenheit in meinem Leben, mich begehrenswert und von der Männerwelt umschwirrt zu fühlen. Ich lasse mir wohl besser noch etwas Zeit. Zufrieden lehne ich mich zurück und will gerade ebenfalls die Augen schließen, als mich eine nur zu gut bekannte Stimme aus meiner verdienten Ruhe reißt.

Auch Sepp fährt wie von einer Hornisse gestochen hoch. »Ich hör jetzt aber nicht echt das liebestolle Geplänkel vom …«

»Wimmer«, sagen wir aus einem Munde und drehen uns gleichzeitig um. Und tatsächlich, da steht er in voller Pracht und Größe, einen Arm um seine Ehefrau Herta geschlungen und den anderen um eine unscheinbare, vielleicht fünfundzwanzigjährige Frau mit schulterlangen, dünnen aschblonden Haaren. Alle drei tragen den gleichen purpurroten Bademantel mit einem mir unbekannten Schriftzeichen darauf.

»Komm, wir tun so, als hätten wir sie nicht gesehen«, zische ich.

Der alte Schuldirektor und ehemalige Vorgesetzte meiner Tochter Daniela hat sie erst auf den Gedanken mit der Leihmutterschaft gebracht. Seit Wimmer in Pension ist, gehen die Pferde endgültig mit ihm durch. Schon vorher war er ein liebestoller Gockel, der jedem Mädel nachgestiegen ist, das einen Rock anhatte. Durch die viele Freizeit und seine offene Ehe mit Herta ist es nur noch schlimmer geworden. Am meisten stört mich aber das Wissen, dass er mit meiner Daniela ebenfalls eine Affäre pflegte, zu einer Zeit, als er und Herta noch nicht die Vorteile einer offenen Liebesbeziehung erarbeitet hatten. Außerdem ist Wimmer so alt wie ich, und als junges Mädchen kam auch ich in den Genuss seiner feuchten Küsse.

»Ich befürchte, es ist zu spät, dass wir uns ducken und blind stellen«, reißt mich Sepp aus meinem Gedankenstrudel.

Ich spähe nur aus den Augenwinkeln in Richtung Wimmer. Er winkt und legt mit einem breiten Lächeln seine neu gemachten Zähne frei. Die Reise nach Ungarn war offensichtlich ein voller Erfolg.

»Rosi«, plärrt nun auch Herta sichtlich erfreut.

Nur die junge Frau guckt wenig begeistert in unsere Richtung. Ich winke in Richtung der drei. Ein Fehler. Anscheinend ist meine Handzuckung Einladung genug. Das Geschwader macht sich auf den Weg.

»Wir haben doch eine Hotelstorno-Versicherung, oder?«, wispere ich Sepp zu. Er verschluckt sich bei dem Versuch, ein Lachen zu verhindern, und hustet, bis er lila im Gesicht ist. Es dauert keine dreißig Sekunden, schon stehen Herta, Hubert und Fräulein Blass-im-Gesicht vor mir. Hubert Wimmer lässt sich mit einem zufriedenen Grunzen auf den freien Liegestuhl vor uns nieder. Beim Sitzen drückt es ihm den Bauch noch stärker nach vorn als sonst. Anscheinend erleichtern ihm die neuen Balkanbeißer die Kalorienaufnahme beträchtlich.

»So ein Zufall aber auch«, meint er sichtlich entspannt.

»Ja, wirklich«, antworte ich und versuche mir meine wahren Gefühle nicht anmerken zu lassen. Da flieht unsereiner ins Karibikparadies des Innviertels, und schlussendlich holen einen die Ibmer-Moor-Gestalten doch wieder ein.

»Was macht ihr hier? Auch ein verlängertes Wochenende genießen?«, fragt Sepp.

Herta schüttelt den Kopf. »Aber nein, nein. So ein Vier-Sterne-Hotel-Urlaub wär nicht das Richtige für uns. Wir kommen nur in den Seminarpausen her, um unsere heißen Körper abzukühlen und für die nächsten Übungen in Schuss zu bringen.«

»Im warmen Thermalwasser?«, entfährt es mir.

Nun nickt Herta. Ihre Augen leuchten vor Begeisterung. »Ja, Krishna Mike entfacht unser inneres Feuer. Da ist selbst das Geinbergerwasser nur lauwarm, wenn erst der Ofen der Leidenschaft angeheizt ist.« Sie wiegt während der Erklärung ihr Becken hin und her und streichelt sich den Unterbauch.

Vielleicht glaubt Herta tatsächlich, dass ihr seltsamer Tanz betörend wirkt. Auf jeden Fall redet sie sich vor Enthusiasmus in Rage und plappert irgendetwas über Tantra, Yoga und die vermeintliche Glut im Inneren ihres Lendenbereiches. Sepp nimmt meine Hand und drückt sie vielsagend. Er ringt genauso um Fassung, wie ich es tue. Herta und Hubert haben anscheinend auch die nächste Ebene ihrer Liebesbeziehung erreicht.

Während ich mich amüsiere, errötet die junge Frau neben Herta zunehmend. Sie räuspert sich verlegen.

»Das ist übrigens die Beate. Sie ist auch mit uns im Tantraseminar und schon eine Meisterin«, unterbricht Hubert Herta und gibt dem armen Geschöpf neben ihnen endlich einen Namen.

»Sehr erfreut«, presst Sepp hervor.

Beate nickt nur. »Ich geh einen Tee trinken«, sagt sie leise.

»Schon gut, wir kommen gleich nach«, verspricht Hubert. Als Beate um die Ecke gebogen ist, nimmt er das Gespräch wieder auf. »Beate ist etwas schüchtern, aber nur unter Fremden. Im Seminar ist sie nach Krishna Mike die am weitesten erleuchtete Person. Dass sie mit mir und Herta übt, ist ein echter Glücksfall.«

»Aha«, sage ich nur und warte, was Hubert noch gern erzählen möchte. Aber er schweigt und guckt verträumt ins Leere.

Sepp hält die Stille nicht länger aus. »Sag mal, Hubert, mich interessiert schon seit Langem, was bei solchen Seminaren so gelernt wird. Ist das für jedermann geeignet?«, fragt er.

Ich boxe ihn in die Seite. Möchte Sepp etwa auch bei solchen Praktiken mitmachen? Ohne mich! Ich bin froh, dass wir beide uns wieder nahe sind. Da habe ich keine Lust auf Übungsstunden mit einer Möchtegern-Beate-Uhse oder einem dahergelaufenen Sex-Guru, der glaubt, mit ein wenig Beckenboden-Gymnastik und leisem OHM-Gesang das Sexualleben der Normalbevölkerung erleuchten zu müssen.

Sepp hebt unschuldig die Hände. »Rein berufliches Interesse, versteht sich«, sagt er spitzbübisch.

»Du bist Rentner«, antworte ich streng.

Hubert lacht. »Ihr zwei seid mir schon ein kauziges Paar. Aber im Ernst jetzt, es geht nicht nur um Sex. Da müssten wir schon das Kamasutra rauf und runter üben. Wir meditieren viel, machen Yoga, massieren uns, sammeln Energie und leben diese dann eben schlussendlich beim Akt aus. Ganz unspektakulär. Eigentlich.«

»Na ja, so unspektakulär, wie du jetzt sagst, kann es auch wieder nicht sein. Die Menschen hier in der Gegend sind doch recht prüde. Krishna Mike hatte einige Probleme, einen geeigneten Seminarraum und eine Unterkunft für uns zu finden«, bemerkt Herta trocken.

»Dann wäre ein Vier-Sterne-Wochenende schon dein Fall gewesen?«, hake ich nach.

»Anders ist es besser, sagt Krishna Mike. Wir haben uns in dem kleinen Apartment-Hof am Ende des Orts eingemietet. Da können wir tun und lassen, was wir wollen, sind an keine Zeiten für Seminarräume gebunden, und günstiger als hier ist es auch. Außerdem können wir ayurvedisch kochen und damit zusätzlich unsere Liebeszentren aktivieren.« Obwohl Herta während ihrer Antwort die Schultern zuckt, vernehme ich ganz deutlich in ihrer Stimme, dass sie die Selbstversorger-Einöde gern gegen etwas Hotel-Luxus eingetauscht hätte.

»Außerdem kommt man sich persönlich näher, wenn die ganze Gruppe gemeinsam in einem Haus wohnt. Und ein wenig in die Therme und in die Sauna können wir dennoch«, fügt Hubert hinzu und tätschelt dabei Hertas Po, als ob er damit seinen Worten mehr Glaubwürdigkeit verleihen könnte. Herta brummt ihm genervt zu. Ganz so harmonisch, wie die beiden ihre Beziehung gern darstellen, läuft es wohl doch nicht. Hubert seufzt. Dann steht er auf und fordert seine Frau mit einer Handbewegung dazu auf, sich ihm anzuschließen. »Komm, Herta, wir wollen Beate nicht zu lange allein warten lassen. Wir sollen uns doch noch für die nächste Übung vorbereiten.«

Mit einem Mal hat sich Hertas Stimmung verbessert. »Aber diesmal bin ich es, die sich vierhändig massieren lässt«, sagt sie und klingt wie ein verliebter Teenager.

»Alles, was du willst, Liebling«, verspricht Hubert. Und so schnell, wie sie aufgetaucht sind, so schnell sind sie auch wieder weg.

Goldkehlchen

Rosis Wassertipps, Teil 2

Wenn Husten und Schnupfen sehr schlimm sind, kann man dem Salzwasser 1 EL gehacktes Basilikum beigeben. Diese Inhalation befreit die Atemwege besonders intensiv.

Sepp und ich tauchen erneut ab. Diesmal im Innenbecken. Über uns leuchten die zig kleinen Lämpchen in der Decke. Ich gucke auf die Uhr. Mein Massagetermin rückt unaufhörlich näher, und im Gegensatz zu Herta und Hubert freue ich mich kein bisschen darauf. »Muss ich mich wirklich heut durchkneten lassen?«, frage ich Sepp.

Er hört die Verzweiflung in meiner Stimme. »Deine Freundin Gitti schwört auf die Masseurin hier in der Therme. Ich habe einen Termin bei Tatjana für dich gebucht. Ich wollte dir wirklich nur etwas Gutes tun. Wenn du aber so eine Abneigung dagegen verspürst, dann sag ich den Termin ab. Oder ich lass mich länger massieren.«

»Es ist nur –«, setze ich zu einer Erklärung an, werde aber harsch unterbrochen.

Hubert, nun ganz und gar nicht mehr entspannt, sondern mit hochrotem Kopf und Schweißperlen auf der Stirn, plärrt vom Beckenrand: »Habts ihr die Beate gesehen?« Sepp und ich heben gleichzeitig die Schultern. »Sie ist weg. Verschwunden«, schreit er hysterisch.

Ich schüttle ahnungslos den Kopf. »Beruhig dich erst einmal. Ich komm zu dir raus. Wahrscheinlich ist sie nur auf der Toilette oder unter der Dusche«, sage ich beschwichtigend und mache mich gleichzeitig auf den Weg zum Beckenausgang. Sepp folgt mir. Hubert hetzt auch zur Treppe und rutscht in seiner Hektik beinahe aus. In letzter Sekunde berappelt er sich wieder und knallt doch nicht der Länge nach auf den feuchten Fliesenboden. Schwer atmend hält er sich am Beckengeländer fest.

Obwohl Hubert nicht zu meinen Lieblingsmenschen auf diesem Planeten gehört, tut er mir nun doch leid. Genau in dem Moment, als ich aus dem Becken steige, tauchen auch Herta und ein langhaariger, hagerer Kerl auf. Auch er trägt einen dunkelroten Bademantel. Doch ein kleiner Unterschied sticht mir sofort ins Auge. Über dem gestickten Schriftzeichen, das bei genauerer Betrachtung aussieht wie ein schräg liegendes Herz mit einer Welle, aus dem ein Männchen springt, prangt in großen goldenen Lettern »KRISHNA MIKE«. Das ist also der ominöse Liebes-Guru. Eigentlich wirkt er auf mich eher wie ein ausgemergelter Rockstar mit einem Hang zu Räucherstäbchen. Selbst auf eineinhalb Meter Entfernung dringt der süßliche Duft von Rosenholz und Moschus in meine Nase. Ich muss glatt niesen.

»Habt ihr sie gefunden?«, fragt Hubert besorgt.

»Keine Spur von ihr. Auch nicht am Klo«, keucht Herta atemlos. Auch ihr steht der Schweiß auf der Stirn. Entweder sind die Wimmers zigmal quer durch die ganze Therme gehetzt, oder sie sind von ihren Übungen derart ausgelaugt, dass es ihnen an Kondition mangelt.

»Ich erreiche sie auch nicht auf dem Handy«, klagt Krishna Mike und zieht zum Beweis ein Mobiltelefon aus der Bademanteltasche. Auf der Schutzhülle des Geräts prangen bunte Mandalas und Glitzersteinchen. In Gedanken korrigiere ich meine erste Einschätzung: schwuler Rockstar mit Räucherstäbchen-Faible. Mike drückt die Wahlwiederholung. Nur ein lautes Keine-Verbindung-Pfeifen tönt aus dem Lautsprecher.

»Eure Bekannte ist doch eine erwachsene Frau. Vielleicht musste sie unverhofft weg?«, wirft Sepp ein und trifft meiner Meinung nach damit ins Schwarze.

»Beate geht nicht gern allein unter Menschen«, antwortet Mike und fügt nuschelnd »aus gutem Grund« hinzu.

Ich werde hellhörig und mustere den Guru mit strengem Blick. »Weshalb, wenn ich fragen darf?«, hake ich nach.

»Wieso wollen Sie das wissen? Wer sind Sie überhaupt?«

Bevor ich mich selbst vorstellen kann, plappert Herta los. »Aber Mike, das ist die Rosi. Du weißt schon, die mit den Kräutern, dem Polizisten-Schwiegersohn und den Mordsgeschichten.«

Krishna Mike hebt wissend den Blick. »Ach so. Und das ist wohl der Bumshütten-Sepp«, sagt er und zuckt dabei mit dem Kinn leicht in Sepps Richtung.

Sepp murrt wenig begeistert. Es ist ihm ebenso unangenehm wie mir, dass offensichtlich die ganze Seminartruppe über uns Bescheid weiß. Zu einem besseren Zeitpunkt werde ich mir den Wimmer zur Brust nehmen und fragen, ob er gern ohne sein Beisein Gesprächsthema wäre. Immerhin sind die Weibergeschichten aus seiner Vergangenheit derart delikat, dass sie einem Kabarett gleichkommen. Wenn ich nur an die Geschichte mit der Putzfrau im Putzkämmerlein denke, dann muss ich grinsen. Boris Becker ist ein Heiliger im Gegensatz zu Hubert.

»Entschuldigen Sie, liebe Rosi, dass ich so unhöflich war. Wie Sie bestimmt schon erkannt haben, bin ich der Seminarleiter. Michael Bogenhofer mein Name, aber alle nennen mich nur Mike«, sagt er und zieht dabei grunzend Luft durch seine zu groß geratene Nase. Wegen der langen Haare und der solariumgebräunten Haut fällt mir jetzt erst auf, dass ein ziemlicher Zinken inmitten seines Gesichts prangt.

»Schon gut«, sage ich versöhnt und reiche ihm die Hand.

Er drückt sie fest und sieht mir direkt in die Augen. Wie ein Blitz trifft mich sein Blick. Eisblau und stechend ist er, als würde er auf den Grund meiner Seele schauen. Doch ich fasse mich schnell und nicke nur. Im Laufe meines Lebens sind mir etliche Menschen begegnet, die diese Ausstrahlung anhaften hatten. Einige davon haben ihr gottgegebenes Geschenk, die Menschen mit nur einem Wimpernschlag in Bann zu ziehen, für wirklich gute Dinge genutzt, sind herausragende Lehrer, Ärzte oder auch Priester geworden, andere haben die Gabe jedoch für ihren eigenen Profit missbraucht. Es ist leichter, den Menschen das Geld aus den Taschen zu ziehen, wenn man sie mit seinem Charisma für sich gewinnt. In welche Kategorie Mike fällt, kann ich noch nicht sagen. Auf jeden Fall werde ich ihm mit Vorsicht begegnen. Im Moment sieht er aber eher verzweifelt als gefährlich aus.

Mit einem tiefen Seufzen lässt er meine Hand los. »Vielleicht«, sagt er mit leiser Stimme, »könnten Sie ja Ihren Schwiegersohn bitten, herzukommen. Er ist doch Polizist und könnte sie suchen lassen. Ich bin wirklich in Sorge wegen Beate.«

»Meinen Sie nicht, dass es etwas voreilig ist, die Polizei einzuschalten?«, mischt sich Sepp ein.

Mike wendet das Gesicht ab. Ich sehe, dass er innerlich mit sich ringt. Er ballt die Hände zu Fäusten und entspannt sich dann wieder. Mit festem Tonfall antwortet er: »Unter den gegebenen Umständen ist es notwendig. Beate hat ein Geheimnis. Und irgendjemand hat es aufgedeckt und bedroht sie seit geraumer Zeit.«

»Unsre Bea?«, fragt Hubert ungläubig. »Sie war doch wie ein offenes Buch. Schüchtern zwar, aber im Seminar eine Granate.«

»Hubert!«, zischt Herta streng.

»Nun gut. Ich ruf den Kurt mal an. Aber versprechen kann ich nichts«, sage ich.

»Danke«, antwortet Mike, und er klingt ehrlich dabei.

»Ich hol schnell mein Telefon«, sage ich und will mich auf den Weg zu den Garderobenkästchen machen.

Doch wie aus einem Mund rufen alle vier: »Wir kommen mit!«

Ich drehe mich verwundert um. »Wenn ihr meint.« Und so führe ich einen Zug von Menschen an. Ich ganz vorn, hinter mir Sepp, und dann die rotbemantelte Tantra-Gefolgschaft.

Beim Hinausgehen werfe ich noch einen Blick auf die Uhr und stelle erleichtert fest, dass die unverhoffte Unterbrechung meines Wellness-Wochenendes dafür sorgt, dass die Masseurin vergeblich auf mich wartet. Und auf mich wartet ein Geheimnis, das gelüftet werden will. Schon als Krishna Mike angedeutet hat, dass mehr hinter Beates Verschwinden stecken könnte und dass die junge Frau ein Geheimnis für sich behält, das niemand aufdecken soll, hatte er mein Interesse geweckt. Und nun will ich mehr wissen, am besten alles.

In der Garderobe angekommen suche ich das richtige Spindkästchen. Sepp steht direkt hinter mir. Ich kann seinen Atem in meinem Nacken spüren. Zu allem Überfluss legt er auch noch sanft seine Hand auf meine Schulter. Er streichelt mich. Ich entwinde mich seinem Handgriff und drehe mich noch einmal kurz um. Ein wissendes Lächeln huscht über sein Gesicht. Ich stoße ein leises Zischen aus, das besagen soll, wie hilflos ich doch meinem Schnüffeldrang ausgeliefert bin. Sepp grinst und nickt. Ich habe die Lunte gerochen und bin nur allzu begierig darauf, Kurt mit ins Spiel zu bringen. Schnell öffne ich den Spind mit meinem Thermenarmband und hole das Handy heraus. Dann setze ich mich auf die schmale Bank davor und wähle Kurts Nummer.

Es läutet.

Kurt nimmt ab. »Rosi«, sagt er im immer gleichen, leicht angespannten Tonfall. Ich stelle mir vor, wie er gerade an seinem Schreibtisch hockt und zusammenzuckt, weil er meinen Namen auf seinem Handydisplay liest. Immer wenn ich anrufe, hat es einen Grund, und meistens ist es kein schöner. »Was gibt’s?«, fragt Kurt ohne Umschweife. In knappen Worten erkläre ich ihm, was vorgefallen ist. Er brummt. »Na, wenigstens keine Leiche. Aber ohne genauere Infos werde ich nicht den Polizeiapparat in Gang setzen.«

Ich halte den Hörer zu und schüttle den Kopf. »Er kommt nicht, zu wenig Gründe dafür«, flüstere ich Mike zu.

Dieser streckt bittend die Hand aus. »Darf ich kurz allein mit Ihrem Schwiegersohn sprechen, bitte?«

Ich nehme die Hand vom Mikro. »Mike, der Trainer, will etwas sagen«, erklär ich Kurt und gebe mein Telefon weiter.

Mike nimmt es an sich und bittet um einen Moment, während er sich nach einem Rückzugsort umsieht. Schnellen Schrittes geht er ans andere Ende des Gangs und huscht in eine Umkleidekabine. Ich möchte ihm folgen, doch Sepp hält mich am Ärmel zurück. Ich lasse mich wieder auf die kleine Bank sinken. Nun setzen sich auch die anderen zu mir.

Obwohl reger Betrieb in der Therme herrscht, ist es unwirklich still in meinen Ohren. Die Neugierde betäubt wohl meinen Gehörsinn. Ich lehne mich an Sepps Schulter und begutachte Hubert, der mit gespreizten Beinen und mit dem Oberkörper nach vorn gebeugt dahockt. Den Kopf hat er schwer in die Hände gestützt.

»Hubert«, sage ich. Er richtet sich müde auf. »Hast du eine Idee, welches Geheimnis Beate verbirgt? Wusstest du etwas von Drohungen?«

Er schüttelt den Kopf und will gerade etwas sagen, als Mike wieder zu uns stößt. »Ihr Schwiegersohn ist in einer halben Stunde hier, samt Mannschaft.« Mit diesen Worten reicht er mir mein Telefon wieder. Ich stecke es in die Bademanteltasche.

»Und?«, frage ich.

Mike verschränkt die Arme vor der Brust. »Ich darf nichts sagen, bis die Polizei da ist. Sonst verfälsche ich nur die Reaktionen. Wir sollen uns alle unauffällig verhalten.«

»Aha«, antworte ich.

Da heizt dieser Mike meine Neugierde an und lässt mich nun einfach so im Ungewissen sitzen. Wenn er beim Tantraseminar ähnlich vorgeht, ist dieser Kurs wohl eher etwas für Masochisten als für leidenschaftliche Liebhaber.

»Was machen wir in der Zwischenzeit? Einfach so abwarten ertrage ich nicht«, meint Herta und spricht mir damit aus der Seele.

»Drehen wir doch eine Runde und suchen weiter nach Beate. Vielleicht ist die ganze Aufregung umsonst«, schlägt Sepp vor. Er bewahrt einen kühlen Kopf. Sepp ist bei den richtigen Belangen das pure Gegenteil von mir, und das liebe ich.

In mir wühlt leider die Unruhe. Am liebsten würde ich diesem Krishna Mike die Antworten auf meine Fragen herauspressen. Doch das würde wahrscheinlich nichts bringen. Menschen wie er können sich gedanklich so in die Leere katapultieren, dass ich ohne einen Anhaltspunkt auf seine schwache Stelle keine Chance habe. Auch jetzt wirkt er vollkommen entspannt. Anscheinend beruhigt ihn der Gedanke, dass Kurt mit seinen Leuten gleich auftauchen wird. Auf jeden Fall stimmt er Sepps Vorschlag zu und fordert die Wimmers auf, mitzuhelfen. Ich muss mich fürs Erste geschlagen geben und abwarten. Wir teilen uns bei der Suchaktion auf. Krishna Mike und Herta gehen nach rechts. Hubert inspiziert den Außenbereich, und Sepp und ich marschieren nach links zu den Kaskaden-Becken.

»Was es wohl mit dieser Beate auf sich hat?«, will ich von Sepp wissen.

Doch dieser zuckt nur die Schultern und meint gelassen: »Wir werden es noch früh genug erfahren.«

Kurt taucht keine Sekunde zu früh auf. Weder Sepp und ich noch die anderen haben eine Spur von Beate ausmachen können. Es ist, als wäre die Frau vom Erdboden verschluckt. Und so stehen wir alle vor Beates verschlossenem Garderobenkästchen, als Kurt und seine Kollegin Andrea lässig hereinschlendern. Kurt schiebt sich im Gehen die Sonnenbrille hoch. In seiner Uniform sieht er unerhört attraktiv aus. Seit letztem Frühjahr hat er sich erholt und strahlt eine neue Selbstsicherheit aus, die gewiss auch mit seinem wachsenden Familienglück zusammenhängt.

Ich kenne Kurt ja schon, seit er – noch Windeln tragend – mit meinem Sohn Raphael in der Sandkiste gespielt hat. Schon damals war er ein kräftiges Kerlchen, das gern seinen Argumenten mit purem Muskelschmalz Nachdruck verliehen hat. So musste mein Raphael regelmäßig und mehr oder weniger freiwillig seine Sandspielsachen mit Kurt teilen. Dennoch waren die beiden stets beste Freunde. In Anbetracht der Situation, dass Kurt in Kindertagen Dauergast bei uns zu Hause war, ist es verwunderlich, dass sich Daniela Jahre später in ihn verliebt hat. Nicht dass Kurt kein fescher und auch ehrlicher Kerl wäre … Aber wenn man wie Geschwister miteinander aufwächst, sehnt man sich oft nach dem Unbekannten. Ich bin auf jeden Fall sehr froh, dass meine Tochter und Kurt ein Paar geworden sind. Er und seine teils abstrusen Ideen haben Dani über den Verlust ihrer Zwillinge hinweggeholfen.

Kurt bleibt vor uns stehen und nickt uns zu. Auch Andrea begrüßt uns freundlich. Im Moment trägt Kurts langjährige Polizeipartnerin ihre Haare raspelkurz mit langen türkisen Strähnen. Der Aufstieg ins Morddezernat ermöglichte es Andrea, ihrer wilden Seite freien Lauf zu lassen. Als sie noch Landpolizistin im Ortsposten war, konnte sie sich weder zu ihrer Homosexualität noch zu ihrem Faible für ausgefallene Frisuren offen bekennen.

»So schnell sehen wir uns wieder, Rosi«, sagt sie und zwinkert mir zu. Ich antworte nicht, sondern spitze lieber die Ohren. Vielleicht bringe ich ja ein paar Informationen in Erfahrung.

Doch Kurt lässt sich nicht in die Karten schauen. »Ich vernehme Herrn Bogenhofer. Andrea, hol du doch bitte den Chef dieses Ladens und sorg dafür, dass Cindys Spind geöffnet wird. Auch die anderen Tantraseminar-Teilnehmer sollen kommen. Ich möchte auch einen Blick in deren Kästchen werfen. Sie werden ihre Spinde bestimmt freiwillig öffnen, zumindest die Wimmersleute.«

Andrea nickt. Ich schrecke hoch. »Cindy?«, wiederhole ich flüsternd.

Keiner sonst scheint Kurts vermeintlichen Versprecher bemerkt zu haben. Es ist gerade so, als wäre dieser Hinweis nur an mich adressiert. Ich klappe den Mund auf und zu. Kurt presst die Lippen aufeinander. Aber seine Augen verraten mir, dass ich meine Frage Andrea stellen soll. »Rosi, du hältst dich zurück und beobachtest nur. Und das so lange, bis feststeht, ob wir deine Hilfe als Beraterin benötigen.«

Ich nicke. Seit dem letzten Fall darf ich gelegentlich Kurt mit Rat und Tat zur Seite stehen. Manchmal kann die Sichtweise einer alten Frau neues Licht ins Dunkel bringen. Und nicht so selten benötigt Kurt mich als vertrauenserweckende Omafigur. Einem Polizisten verheimlicht man gern etwas, doch eine nette, fürsorgliche Großmutter zu belügen ist selbst für ausgekochte Kriminelle eine Herausforderung.

Kurt nimmt Mike am Ellenbogen, und die beiden verschwinden nach hinten. Andrea spricht ins Funkgerät. »Ja, riegelt vorsorglich die ganze Anlage ab. Keiner darf rein oder raus. Und schafft mir diesen Herrn Pfeiffer samt Spindschlüssel her.« Zufrieden steckt sie das Funkgerät zurück in ihren Gürtel.

»Welcher Spind gehörte der Vermissten?«, fragt sie dann Hubert. Dieser zeigt auf das Kästchen mit der Nummer achtundsechzig.

»In Ordnung. Ihr könnt dann ruhig wieder zu den Becken gehen. Rosi darf bleiben.« Andreas Worte sind weder eine Bitte, noch lassen sie einen Widerspruch zu.

»Aber wir bekommen Bescheid, wenn Beate auftaucht oder ihr etwas in Erfahrung bringt, ja?«, fragt Hubert aufgelöst.

»Natürlich«, antworte ich an Andreas Stelle. Hubert tut mir leid. Augenscheinlich macht er sich wirklich große Sorgen um seine Seminarpartnerin.

Sepp nimmt die Zügel in die Hand und schnappt die beiden Wimmersleute, um mit ihnen in Richtung Becken abzurauschen. Als Andrea und ich allein sind, stelle ich endlich die Frage, die mir seit Kurts Tipp auf der Zunge brennt. »Was hat es mit Beate auf sich?«

»Guckst du hin und wieder Schlagersendungen?« Andrea zieht die Augenbrauen hoch, als wäre ihr zusammenhangloses Geplapper eine Antwort.

»Nein. Wie kommst du jetzt darauf?«, blaffe ich zurück.

Andrea grinst. »Schade. Dann sagt dir der Name Cindy Glimmer wohl nichts, oder?«

Ich stemme empört die Hände in die Hüften. »Also bitte. Man müsste schon taub, blind und blöd gleichzeitig sein, um nicht zu wissen, wer das ist. Cindy Glimmer ist der Musikstar überhaupt. Die österreichische Helene Fischer. Auf jedem zweiten Magazinblatt grinst mir dieses aufgedonnerte Schlagersternchen entgegen. Und das Radio braucht man erst gar nicht anzuschalten. ›Tausend Frösche hab ich geküsst, doch mein Prinz bleibt vermisst …‹«, äffe ich die säuselnde Stimme der Sängerin nach.

Andrea lacht. »Und trotzdem hast du sie nicht erkannt, als sie direkt vor dir stand«, reimt sie in der gleichen Stimmlage.

Wie Schuppen fällt es mir von den Augen. Ich möchte etwas sagen, doch es verschlägt mir die Stimme, und ich bekomme nur ein schwaches »Du willst, du willst …« heraus.

»Ich will damit sagen, dass Wimmers Liebessumsi Beate Sommerfeld niemand anderer ist als die Chartstürmerin Cindy Glimmer. Aber pst!« Andrea drückt den Zeigefinger an die Lippen.

Gerade noch rechtzeitig unterbinde ich den Drang, noch weitere Fragen zu stellen. Schon biegen zwei Beamte mit einem sichtlich nervösen und ungewöhnlich kurz geratenen Anzugträger ums Eck. »Herr Pfeiffer, Stefan, nehme ich an«, begrüßt Andrea ihn.

»Was soll das! So eine Unverschämtheit. Sie können doch nicht einfach so meine Therme abriegeln. Was sollen die Leute denken? Das ist ein Ort der Entspannung und keine Schauspielbühne für ein James-Bond-Stück. Ich will Ihren Vorgesetzten sprechen, aber dalli!«, wettert Pfeiffer los. Sein Gesicht verfärbt sich dabei bis zur Unkenntlichkeit.

Rot und lila werden Menschen schnell, wenn sie erregt und zornig sind. Doch Herr Pfeiffer wird richtig schwarz rund um die Nase. So also sieht jemand aus, der Gift und Galle spuckt. Na, hoffentlich hat der gute Mann im Normalbetrieb ein stärkeres Nervengerüst. Nach Luft schnappend greift er sich plötzlich ans Herz. Seine Augen quellen hervor. Noch bevor den anderen klar wird, was gleich geschieht, rufe ich Andrea zu: »Einen Krankenwagen! Wir brauchen einen Notarzt!« Andrea sieht mich verständnislos an. Dann verdreht Pfeiffer auch schon die Augen, und nur noch das rotgeäderte Weiß blinkt uns entgegen. Keuchend bricht er zusammen. »Ruf die Rettung. Er hat einen Herzanfall«, wiederhole ich nur.

Endlich wird auch Andrea der Ernst der Lage klar. Sie alarmiert das Rote Kreuz. Die beiden Polizisten beginnen mit den Erste-Hilfe-Maßnahmen. Blut rauscht in meinen Ohren. Ich spüre, wie auch mein Blutdruck in die Höhe schnellt. Ich balle die Hände zu Fäusten, um sie gleich darauf mit den inneren Worten »Ruhig bleiben, Rosi, ruhig bleiben!« wieder zu entspannen. Wenn ich unter Druck stehe, klingt meine innere Stimme immer wie die meines verstorbenen Mannes Horst. Horsts tiefer Klang ist mein steter Begleiter, mein Fels in der Brandung. Auch jetzt hilft er mir. In mir kehrt Ruhe ein. Das Gewühl um uns wird im Gegenzug immer lauter und hysterischer. Das Schauspiel bleibt nicht länger vor den Badegästen verborgen. Mehr Leute strömen herbei und umringen uns, während die Beamten um das Leben des Thermendirektors kämpfen.

»So ein Mist«, beschwert sich Andrea genervt. »Dieser Notfall hält uns alle von den Ermittlungen ab. Die ersten Stunden nach dem Verschwinden einer Person sind die wichtigsten.« Sie hält nach Kurt Ausschau.

»Es wird alles gut«, verspreche ich und bin mir nicht sicher, ob ich diese Worte an mich oder an Andrea gerichtet habe.

Rosi darf schnüffeln

Rosis Wassertipps, Teil 3

Schnell nachfettendem Haaransatz wirkt man am besten entgegen, wenn man nach der Haarwäsche die Kopfhaut mit leicht kühlem Wasser (28  30°C) nachspült.

Es gibt Momente im Leben, da verfliegt die Zeit rasend schnell. Genau so einer spielt sich gerade vor meinen Augen ab. Während Sanitäter sich durch die Menschenmenge drängen und die Wiederbelebungsmaßnahmen fortsetzen, kommen endlich Kurt und Krishna Mike wieder zu uns. Kurt erfasst mit einem Blick, was vorgefallen ist. Er flucht. Andrea legt ihm die Hand auf die Schulter. »Herr Pfeiffer«, sagt sie. Kurt nickt.

Dann unterhalten sie sich abgehackt im Flüsterton. Ich schnappe nur Bruchstücke auf. Es geht um den Fall, nicht um Pfeiffers Herzinfarkt. Die Wörter »Erpressung«, »Sex« und »Karriere« fallen mehrmals. Trotz der spärlichen Informationen reimt sich mein kriminalistisch aktives Gehirn eine Story zusammen. Ich schlucke. Rau und trocken fühlt sich meine Kehle an, obwohl die Luftfeuchtigkeit auch in den Garderobenräumlichkeiten schier unerträglich hoch ist. Ich spüre, wie meine Schleimhäute im Nasen-Rachen-Raum anschwellen. Schwer atme ich ein. Dann konzentriere ich mich wieder auf die Rettungsleute.

»Noch einen!«, schreit einer der Sanitäter. »Alle zurück!«, plärrt er dann. Herr Pfeiffer zuckt unter den Stromstößen des Defibrillators. Schweiß steht den Rettungskräften auf der Stirn. Auch mir fließt ein dünnes Rinnsal den Rücken hinab. Ich schlucke wieder. Als Kurt vorhin meinte, ich solle nur zusehen und nicht handeln, war mir nicht bewusst, auf welch grausame Art und Weise ich das gegebene Versprechen nun einhalten muss. Ich möchte gern helfen, doch ich kann nicht.

»Mein Bruder!«, schreit plötzlich jemand, und schon stürzt ein etwas dünneres Exemplar von Herrn Pfeiffer in die Mitte des Geschehens.

Ich sehe doppelt. Doch nicht nur ich. Auch Andrea verengt eine Sekunde lang die Augen zu Schlitzen.

»Zurückbleiben!«, ruft der Sanitäter wieder.

Gleichzeitig reißen Andrea und ich Pfeiffers Doppelgänger nach hinten.

»Mein Bruder. Sein schwaches Herz. Er soll sich nicht aufregen«, keucht dieser verstört.

»Schon gut. Wir tun alles für ihn«, sage ich und tätschle seine Schulter.

»Wir haben einen Rhythmus!«, schreit der erste Sani.

»Stabilisieren und dann nichts wie ab nach draußen. Der Hubschrauber wartet!«, antwortet der zweite.

Auf der Anzeige des Defibrillators schwingt eine regelmäßige Sinuskurve auf und ab – ein gutes Zeichen. Erleichterung ist greifbar und doch in der feuchtschweren Luft der Therme nicht wirklich zu fassen. »Ihr Bruder wird wieder gesund«, sage ich bestimmt zu dem schlankeren Direktor-Doppelgänger.

»Hoffentlich«, erwidert dieser heiser. Noch immer lehnt er seinen Körper nach vorn, als würde er absprungbereit darauf warten, seinem Bruder zu Hilfe zu eilen.

»Sind Sie Herr Phillip Pfeiffer, der stellvertretende Direktor?«, fragt Andrea.

»Ja. Er ist mein älterer Zwilling.« Phillip Pfeiffer zeigt aufgelöst auf seinen Bruder, der gerade auf eine Trage gehievt wird. »Ich war auf einem Geschäftstreffen, bin vor wenigen Minuten zurückgekehrt und dann … dann …« Er schluchzt. Die Worte sind ihm verloren gegangen. Stattdessen sammeln sich Tränen in seinen Augenwinkeln.

»… und dann purzeln Sie in ein schreckliches Chaos«, beende ich den Satz für ihn. Er brummt zustimmend.

»Wir brauchen dennoch Ihre Hilfe und Mitarbeit, Herr Pfeiffer. Eine junge Frau wird vermisst. Vermutlich wurde sie entführt«, ergreift Andrea das Wort.

»Hier aus der Therme?«, fragt Pfeiffer ungläubig nach. Andrea nickt. Dann schweigen wir alle und beobachten, wie der Thermendirektor abtransportiert wird.

»Mein Bruder«, stöhnt Pfeiffer abermals. Ich merke, wie er mit sich kämpft. Am liebsten möchte er die Sanitäter begleiten, aber wir sind ihm im Weg.

»Ich verspreche Ihnen, dass Sie ihm gleich ins Krankenhaus folgen können. Sie müssen uns nur Beates Spind öffnen und Zutritt zur Videoüberwachung verschaffen«, sagt Andrea.

Verdattert blickt er sie an. »Ich verstehe nicht.«

»Dann kommen Sie mal mit. Gehen wir in Ihr Büro, da können wir in Ruhe sprechen«, mischt sich Kurt ein.

»In Ordnung.« Pfeiffer gibt sich geschlagen, bleibt aber wie ein nasser Sack Kartoffeln am Boden hocken. Ich greife ihm unter die Arme und helfe ihm hoch. Dann gehen Kurt, Andrea, ich und Pfeiffer in Richtung Glasaufzug, während die Beamten alle Hände voll zu tun haben, die Badegäste von den Thermenspinden zurückzuhalten. So ein Chaos hatte wohl niemand der hier Anwesenden im Sinn, als er heute Morgen in Richtung Therme und Entspannung aufgebrochen ist. Ich für meinen Teil säße nun lieber am warmen Kachelofen, als hier inmitten eines verworrenen Kriminalfalles zu stecken.

Im Büro angekommen lässt sich der Vizedirektor schwer in seinen großen Lederdrehsessel fallen. Müde streift er sich die wenigen Haare aus der Stirn. Ich schätze ihn auf Mitte fünfzig. Aber sowohl die Kilos zu viel auf den Rippen als auch die beginnende Glatze lassen ihn wesentlich älter aussehen. Ich blicke mich um. Es gibt außer einem einzigen Stuhl auf der anderen Seite des breiten Schreibtisches keine anderen Sitzmöbel im Raum. Das Büro ist generell sehr spärlich eingerichtet. Ich würde es sogar als karg beschreiben. Eine Topfpalme steht in der Ecke, und natürlich ist der Schreibtisch mit den üblichen Geräten wie Bildschirm, Computer, Drucker und Telefon bestückt. Von persönlichen Gegenständen fehlt jede Spur. Normalerweise schmücken sich die Menschen ihren Arbeitsplatz mit Familienfotos, Souvenirs oder zumindest irgendwelchen Diplomen oder Urkunden. Doch außer einer Fotoaufnahme der gesamten Thermenanlage suche ich vergeblich nach einem Bild an der Wand.

Andrea nimmt auf dem freien Stuhl Platz und beugt sich nach vorn. Kurt steht hinter ihr und hält die Lehne fest. In ruhigen Worten erklärt er, was vorgefallen ist. »Wir wissen nicht viel, Herr Pfeiffer. Nur, dass Cindy Glimmer im Rahmen ihres Seminars Gast in der Therme war. Leider wurde die junge Frau von einem Unbekannten erpresst. Es liegen schon diverse Anzeigen vor. Wir hegen nun die Befürchtung, dass der Erpresser Ernst gemacht hat und Cindy aus der Anlage entführt wurde. Um genauere Ermittlungen anstellen zu können, brauchen wir Zugang zu ihrem Spind, den Überwachungsbändern und ihren Aufzeichnungen. Der Gerichtsbeschluss für die Durchsuchung ist unterwegs. Wir verlieren nur Zeit!«

Pfeiffer starrt ins Leere wie ein Kind, das ins Narrenkasterl schaut. Nur seine Hände streichen wie in Trance über die Schreibtischschublade. Es sieht für mich so aus, als würde er sich unablässig versichern wollen, dass die Schublade geschlossen ist. Ich schlucke nervös. Meine Nackenhaare stellen sich auf. Anscheinend fällt Pfeiffers Streichelwahn sonst niemandem auf. Am liebsten würde ich auf die andere Seite des Schreibtischs hechten und nachsehen, aber ich darf nicht. Geduld, mahne ich mich selbst und atme tief durch.

Kurt beugt sich über Andrea und haut mit der Hand auf den Tisch. Vor Schreck fällt Pfeiffer fast von Sessel. »Haben Sie mich verstanden?«

»Ja, ja … ist gut. Machen Sie ruhig. Es ist nur, dass …« Wieder gleitet sein Blick in die Ferne ab.

»Was?«, frage ich nach.

»Die Videoüberwachung. Sie ist in einigen Bereichen defekt. Bei den Becken und im Ausgangsbereich funktioniert sie, aber das Restaurant und der Eingangsbereich sind im Moment nicht überwacht. Es gab gestern einen Kurzschluss.«

Kurts Gesicht verfinstert sich. »Mist!«, flucht er. »Geben Sie uns einfach, was Sie haben.«

Pfeiffer nickt eifrig. Er ist das glatte Gegenteil seines um nur wenige Minuten älteren Bruders. Ohne langes Reden erteilt er jede Erlaubnis. Mit seinen Gedanken scheint er ohnehin ganz woanders zu sein. Kurz zweifle ich sogar daran, ob er weiß, worum es überhaupt geht, oder ob er nur seinen Bruder im Kopf hat.

Dann aber sagt er unverhofft: »Ich finde diese Cindy wunderbar. So eine tolle Stimme. Hoffentlich ist ihr nichts zugestoßen.« Nervös pult er an seinen Fingernägeln herum. Blut sammelt sich bereits rund um seinen Daumennagel. Er wischt es in die dunkle Hose. »Ich lasse das Garderobenkästchen gleich öffnen.« Endlich ruft er einen seiner Mitarbeiter an. »Erledigt«, sagt er dann und berührt abermals die Schublade. Dann sieht er auf die Uhr.