Claus von Kroenitz

Königliche Hoheit und Ich

Band 1

Tyrannenland

1712 - 1731

Historischer Roman frei nach dem Leben

Ihrer Königlichen Hoheit

Friederike Sophie Wilhelmine

Markgräfin von Bayreuth

Band 1 Tyrannenland

Band 2 Machtspiele (vsl. Frühjahr 2020)

Band 3 Zwischen allen Fronten (vsl. Winter 2020)

Band 4 Gegen den Rest der Welt (vsl. Frühjahr 2021)

Der geduldigsten Ehefrau von allen!

„Liebe Schwester,

…was die neue Philosophie betrifft, so glaube ich, dass der von Ihnen Genannte betreffs der Frauen sehr recht hat. Verzeiht meine Offenheit! Ihr, Wilhelmine, gehört nicht zu diesem Geschlecht. (…) Der Himmel, der Sie Ihrem Land bescherte, hat Euch uns allen als Muster hingestellt, und Europa zählt Euch zu den größten Männern! (…)”

Friedrich der Große

Prolog

Erlangen, 14. Oktober 1768

Eine Zeitungsschmiererei anlässlich des zehnten Todestags meiner geliebten Freundin war heute Morgen der Anlass für das was nun folgen wird. Wiederholt entehrt jemand das Andenken meiner Wilhelmine, ihre Würde in den Schmutz tretend. Gott hat mir ein langes und auch ein gesundes Leben geschenkt. Gebe er mir nun auch noch die Zeit und die Kraft für die Vollendung dieses Werks!

Ich sitze in dem mir so vertrauten Lesesessel vor dem Kachelofen, während der erste Graupel an die Fensterscheiben meiner dunklen Stadtwohnung klopft, den nahenden Winter viel zu früh ankündigend. Mein Leben paradiert als bunter Zug an meinen Augen vorbei, ein Reigen von Personen und Ereignissen, die längst vergangen sind. Doch ich muss erkennen, mein Lebenszweck ist noch nicht erfüllt. Seit fast zehn Jahren habe ich nun dem öffentlichen Leben, mehr oder minder, entsagt und warte auf meinen Tod. Ich bin das Kind einer Zeit die es nicht mehr gibt, einer Zeit, die untergegangen oder zumindest im Untergehen begriffen ist. Meine Epoche versinkt wie die strahlende Sonne am Horizont. Die goldene Pracht bröckelt, die höfische Musik verklingt, die Kleider verblassen und auch die Zeit der antiken Helden auf den Opernbühnen gehört bald der Vergangenheit an. Ein neuer Zeitgeist geht über Europa auf, wie der fahle Mond, der manchmal zusammen mit der untergehenden Sonne am Firmament sichtbar ist, weniger pathetisch, weniger glänzend und mit anderen Idealen. So scheint es mir. Mein Leben war das Abbild jener alten Zeit, eine Existenz voller Glanz und voller Elend. Ich habe keinen Grund, mich über mein Sein zu beklagen, ganz im Gegenteil. Gott hat mich geliebt. Verglichen mit der Existenz, die der Großteil meiner Mitmenschen erdulden musste, darf ich dem Herrn mehr als nur dankbar sein. Trotzdem habe ich in den vergangenen Jahren mit dem Schicksal gehadert. Ich fühlte mich bis zum heutigen Tag wie altes wertloses Treibgut, das durch die Wellen der Zeit an den Strand des Lebens gespült wird, ignoriert von den Lebenden, ein Relikt, für welches niemand mehr Verwendung hat. Nur die königlich-preußische Staatskasse kündet regelmäßig von meiner Existenz, weist sie mir doch seit zehn Jahren Geld an. Der König in Preußen Höchstselbst hat für die lebenslange Leibrente gesorgt, von der ich die wenigen Bedürfnisse einer alten Frau befriedigen kann. „Als Dank und Anerkennung für die treuen und aufopferungsvollen Dienste an des Königs Schwester!“, wie es in der Begründung dieser Leibrente heißt.

Natürlich stand in dem offiziellen Schreiben nicht „Schwester“, sondern alle hohen Titel, die seine Schwester innehatte. Aber gemeint hat er „Schwester“, „Lieblingsschwester“! Das war sie. Trotz vieler Brüche fanden sie immer wieder zueinander. Ihr Siechtum und Tod mitten im Siebenjährigen Krieg haben Friedrich, den man den Großen nennt, mehr erschüttert, als seine zeitgleiche Niederlage bei Hochkirch gegen die österreichische Armee. Vor wenigen Wochen hat Majestät ihr im Park von Sanssouci einen Freundschaftstempel errichten lassen, in dem die Fürstin als Marmorstatue in Lebensgröße und als Philosophin auf einem Sessel sitzend dargestellt wird. So sah sie sich selbst am liebsten, als Philosophin. Der König sei von seinen Gefühlen übermannt worden, als er des steinernen Werkes ansichtig wurde, sagt man. Zu sehr gleiche es der geliebten Schwester. Es war mein Glück, da Friedrich sich meiner erinnerte, vor allem aber sein Wort hielt, die Leibrente betreffend. Nicht selten war ich seinen Wünschen und Machenschaften im Wege, vereitelte diese sogar. Doch ich tat es für sie und diese unbedingte Treue war es, die der König mir nun zugutehält.

Ich habe mich häufig gefragt, ob ich der Markgräfin wirklich im eigentlichen Sinne gedient habe, wie es in der Pensionsbegründung geschrieben steht, oder aber mich ihr hingab. Sie war mein Leben, um ehrlich zu sein auch meine Liebe. Sie war meine Familie, mein Kind, meine Freundin, meine Schwester und meine Geliebte. Aber eines ist sicher: Ich war treu und aufopferungsvoll. Ich habe alles für sie getan und noch mehr. Bisher dachte ich, Gott würde mich als Strafe für mein Fehlen so lange im Elend meiner Gedanken auf Erden siechen lassen, bis ich durch das Grübeln über die Vergangenheit, meine Schuld und meine Taten dem Wahnsinn anheimfalle. Die Prinzessin hat er durch ihren fürchterlichen Tod gestraft, da bin ich mir sicher. Aber sie hat ihre Schuld damit beglichen und ist nun unzweifelhaft im Paradies. Jeder Mensch muss für die schwarzen Seiten seines Lebens früher oder später bezahlen, bevor er die hellen vergolten bekommt.

Ich wusste Gottes Willen bisher nicht so recht einzuordnen. War die lange Zeit, die er mich ohne meine Prinzessin im Elend der Erinnerung zurückließ, schon seine Strafe für mich? Seit heute weiß ich die Antwort! Es war nur eine Vorbereitung für meine letzte Aufgabe auf Erden, eine Zeit, in der ich unser gemeinsames Leben wieder und wieder überdacht habe. Nun stehe ich bereit, diesen letzten Akt, den letzten Dienst an meiner Friederike Sophie Wilhelmine zu tun. Ich werde ihr und somit auch mein Leben aufschreiben, meine Erinnerungen der Öffentlichkeit zur Verfügung stellen, ein für alle Mal die Gerüchte und Halbwahrheiten entkräften und der Wahrheit, meiner Wahrheit, zum Recht verhelfen.

Der Schmierfink von der Erlangener Zeitung mag recht haben. Meine Herrin war nicht beliebt beim Volk. Aber sie war kein schlechter Mensch. Wer so etwas behauptet, der versündigt sich an ihrem Andenken. Die meiste Zeit ihres Lebens gab meine Freundin die Königliche Hoheit, sich ihrer stolzen Herkunft stets bewusst. Immerhin brachte es ihre Familie insgesamt auf vier Könige und einen Kaiser. Nur wenige Sippen im Reich nennen einen solchen Stammbaum ihr Eigen. Lediglich die Habsburger mochten hier überlegen sein. Väterlicherseits erhoben sich die Hohenzollern noch vor Wilhelmines Geburt zu Königen in Preußen, Kurfürsten von Brandenburg waren sie bereits viele Jahrhunderte. Die mütterlich Welfische Linie hatte sich in London die Englische Königswürde aufs Haupt setzen lassen und war zu Hannover ebenfalls Kurfürst im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, einem alten unübersichtlichen Staatenverbund aus mehr als 300 souveränen Fürstentümern mit einem hilf- und fast machtlosen Kaiser an der Spitze. Es verwundert also nicht, wenn die Bürde dieser Abstammung ihre Spuren in den Charakter eines Menschen schmirgelt. Mit ihrer überlegenen Bildung, die sie bei jeder Gelegenheit zur Schau trug, einem manchmal arroganten, schnippischen Gehabe und natürlich mit der Portion Sarkasmus, der auch ihrem Bruder so eigen ist, machte sich die Fürstin wenig Freunde. Ihre wahren Gefühle verbarg der hochadlige Spross hinter einem Gesichtsharnisch aus Puder und Rouge.

Das war die eine Wilhelmine, die preußische Prinzessin, die sie die meiste Zeit auf der Bühne ihres Lebens „gab“. Unnahbar, streng, überheblich, hochfahrend, eben wie man es von einem solchen Blaublüter erwarten wollte. Die andere Wilhelmine, meine Wilhelmine, war eine humorvolle Frau, der der Schalk aus den Augen sprach, die, wenn sie lachte, andere damit ansteckte, mit ihrem Lachen bezauberte und Menschen für sich gewann. Die Markgräfin war gegenüber ihren Freunden stets aufmerksam und für diese da. In ihren Privatgemächern wurde aus der unantastbaren Marmorstatue eine Frau mit Krähenfüßen um die Augen, Sommersprossen und Pockennarben im Gesicht, eine Frau, die sich nach Nähe und Zuneigung sehnte, ohne diese selber geben zu können. Bei nicht offiziellen Vergnügungen zeigte sie sich temperamentvoll und immer launig. Man konnte im engen privaten Kreis mit ihr fast verkehren wie mit seinesgleichen. Trotzdem durfte man nie vergessen wer sie war. Auch unter Freunden bestand sie auf die Achtung ihrer Herkunft. So durfte herzhaft gelacht werden, wenn sie sich über sich selber lustig machte, hingegen war es nicht angeraten, sie selber zum Ziel eines Spaßes zu machen. Passierte ihr ein Missgeschick, warteten die Zeugen besser erst wie Königliche Hoheit darauf reagierte. Nahm sie es mit Humor, durfte getrost gelacht werden, machte es sie ärgerlich, übersah man das Missgeschick besser geflissentlich.

Es gab nur einen Menschen, der offen und ungezwungen mit ihr umgehen konnte, sich fast gleich mit der Hohenzollern fühlen durfte, jedenfalls dann, wenn sie alleine miteinander waren. Das war Sophie Luise Freifrau von Krönitz, die Tochter eines Freiherrn aus Preußen. Ihrem Vater gehörten einige kleine Dörfer auf dem Land mit den dazugehörigen leibeigenen Bauern sowie deren Familien. Die Verwaltung dieser Gehöfte hatte seine Frau übernommen, da der Herr des Hauses die Zeit lieber auf den Schlachtfeldern Europas totschlug. Er gehörte im Spanischen Erbfolgekrieg als Leutnant einem preußischen Regiment an, das in der Nähe von Höchstädt und Blindheim an der Donau lag. Alle Reichsfürsten (mit Ausnahme des Bayern) hatten sich gegen die französischen Invasoren gestellt und versammelten sich unter den Feldherren Prinz Eugen von Savoyen und John Churchill, Herzog von Marlborough, eben an diesem Ort. Als die entscheidende Schlacht im Gange war, durften die Feldherren und auch der anwesende, damals sechzehnjährige Kronprinz Friedrich Wilhelm (Wilhelmines Vater) beobachten, wie ein französisches Grenadierbataillon sich in nahezu aufgelöster Schlachtordnung, fast panisch, zurückzog. Hinter dem flüchtenden Bataillon tauchte eine rennende Einheit abgerissener und zerlumpter preußischer Musketiere auf und es wirkte so, als würden die französischen Soldaten vor der kleinen Schar die Flucht ergreifen. An der Spitze dieser kleinen Schar rannte jener Leutnant Freiherr von Krönitz. Just in dem Moment, als der Kronprinz sich bewundernd über den Mut seiner Soldaten äußern wollte, traf Krönitz eine umherirrende Kugel und er fiel vor den Augen des künftigen preußischen Königs, hauchte unter dessen gerührten Blicken sein Leben im Schlamm des Schlachtfeldes aus. Das war der Moment, in dem mein noch nicht begonnenes Leben eine entscheidende Wendung nahm.

Friedrich Wilhelm war von dem Mut des Offiziers beeindruckt und spontan diktierte er seinem Adjutanten einen Brief an des Leutnants Witwe, in dem er für die Kinder des tapferen Soldaten ein Leben am Berliner Hof befahl, um ihnen alle erdenkliche Erziehung angedeihen zu lassen. In einem Lebensalter von acht Jahren sollte sich die freiherrliche Brut am Hofe mit eben diesem Schriftstück melden.

Das war im Jahre 1704. Kurz darauf wurde ich, als erstes und einziges Kind meines Vaters, Leutnant Freiherr von Krönitz, geboren und auf den Namen Sophie Luise getauft. Verfügungsgemäß erschien ich nach meinem achten Geburtstag in Berlin und wurde mit eben diesem Schreiben in das Schloss eingelassen. Das war im Spätsommer 1712.

Es gehört zwar nicht hierher, sollte aber der Vollständigkeit halber Erwähnung finden. Meine Mutter war lange unsicher, ob sich der Brief des Kronprinzen wirklich auf ihren Mann bezog. Ihr war mein Vater nie als besonders tapfer erschienen, eher als jemand, der, wenn es darauf ankam, gerade im entscheidenden Augenblick, nicht zur Stelle war. Als das Regiment aus dem Felde zurückkehrte wurden ihre Ahnungen bestätigt. Ein Kamerad erzählte peinlich berührt, mein alter Herr hätte sich mit seinen Soldaten in ein kleines Wäldchen geflüchtet, den Ausgang der Bataille abwartend, war dort aber von französischer Kavallerie aufgespürt und aufgerieben worden. Der kleine Haufen, den die hohen Herren vom Feldherrenhügel mit Wohlwollen und Pathetik beobachtet hatten, war also nichts anderes gewesen als ein paar verwirrte Musketiere, die auf ihrer Flucht auf das sich zurückziehende französische Bataillon gestoßen waren. Meine Mutter war eine pragmatische Frau und ließ die Geschichte auf sich beruhen. So bin ich also, aufgrund der Feigheit meines Vaters und der Borniertheit der Feldherren, die nur das sahen, was sie sehen wollten, nämlich tapfere Soldaten, ein Mitglied des Berliner Hofes geworden.