Roland Tappeiner

36 Tage

Eine Strategie den Krebs zu besiegen

„Leben ist im Grunde nichts anderes als Überlebenskunst“

Henning Mankell

Inhaltsverzeichnis

Über den Autor

Warum 36 Tage?

Prostatakrebs

Jakobsweg

Pamplona

Saint Juan Pied de Port

Die Pyrenäen

Verlängerung

Die größte Paella des Camino

La Casa del Aubela

Noch eine Runde auf dem Karussell?

Vorbereitung auf den Camino

36 Tage Camino

Ein Schlag auf den Hinerkopf

Der Schädel von Innen

Beim Psychiater

Bei der Heilpraktikerin

Urlaub

Vom Urlaub zurück

Bei der Hausärztin

CT des Schädels und des Halses

Keine gute Nachricht

Nasopharinxcarzinom

Neck-Disektion

Nagelstein

36 Tage Strahlentherapie

Die Maske

Tag 1

Tag 2

Tag 3

Tag 4

Tag 5

Tag 6

Tag 7

Tag 8

Tag 9

Tag 10

Tag 11

Tag 12

Tag 13

Tag 14

Tag 15

Tag 16

Tag 17

Tag 18

Tag 19

Tag 20

Tag 21

Tag 22

Tag 23

Tag 24

Tag 25

Tag 26

Tag 27

Tag 28

Tag 29

Tag 30

Tag 31

Tag 32

Tag 33

Tag 34

Tag 35

Tag 36

Reha

Das Leben danach

Salcantay Trecking Tour

Machu Picchu

Titicaca See

Arequipa

Wieder zurück

Danksagung

Über den Autor

Roland Tappeiner ist in Schlanders, (Südtirol) geboren und dort aufgewachsen. Er machte eine Ausbildung als Radio- und Fernsehmechaniker und später das Abitur um in Wien Elektrotechnik zu studieren. Nach dem Abschluss des Studiums arbeitete er beim Europäischen Patentamt in Den Haag und in München als Patentprüfer. Eine schwere Krebserkrankung veränderte sein Leben. Er besiegte den Krebs, reist viel und gründete die Firma SEPS (Solar Electric Power Solutions). Er wohnt abwechselnd in Wien, der Toskana und München.

Warum 36 Tage?

Ich bekam die Diagnose Krebs und die Strahlenbehandlung sollte 36 Tage dauern. Zuvor bin ich den Camino de Santiago gegangen, das waren auch 36 Tage. Das war nicht einfach.

Das Wichtigste war NICHT AUFGEBEN!

War das Zufall? Wer weiß? War der Camino eine Probe für das, was nachher kam?

Jedenfalls wusste ich, was es bedeutet, 36 Tage durchzuhalten.

Ich schaffte es und das Leben ging weiter.

Acht Jahre später bekam ich wieder die Diagnose Krebs. Dieses Mal hatte ich schon die Erfahrung, wenn es auch ein anderer Krebs war. Es war Prostatakrebs und eine Operation genügte.

Kaum konnte ich wieder gehen, fuhr ich nach Spanien, um wieder den Camino zu gehen. Diesmal nicht bis zum Ende der Welt. Ich hörte nach etwa 200 km auf, und begann dieses Buch zu schreiben. Das war nicht einfach für mich, da ich vom Schreiben keine Ahnung hatte. Jedenfalls habe ich es bis zum Ende geschrieben und Sie halten jetzt das Buch in Ihren Händen.

Informationen über das Buch finden Sie auf www.36tage.eu.

Prostatakrebs

Es klopfte. Herein kam eine Frau. Sie trug Krankenhauskleidung. Mir fiel jedoch nicht gleich ein, woher ich sie kannte. Sie merkte, dass ich sie nicht gleich erkannte, und sagte: „Ich bin die Vertretung der Physiotherapeutin“. Sie war am Freitag schon da und ich erinnerte mich, dass wir Beinkreisen gemacht hatten. Auch vom Bett aufstehen hat sie mir gelernt. Inzwischen kann ich selbstständig aufstehen. Es tut zwar noch immer weh, wenn ich es aber so machte, wie sie es mir gezeigt hatte, dann ging es einigermaßen. Diesmal versuchte ich es ohne fremde Hilfe. Zuerst zur Seite drehen, dann das linke Bein vom Bett herunterbaumeln lassen, dann das Rechte. Sie verstellte mir noch die Betthöhe, so dass die Beine den Boden berührten. Ich zog die Pantoffeln an, stützte mich ab, gab mir einen Ruck und schon stand ich auf beiden Beinen.

Sie nahm mich unterm Arm und wir gingen ein paar Schritte im Gang auf und ab. Das letzte Mal verwendeten wir einen Sessel mit Rädern. Es war so ein Sessel mit eingebautem Nachttopf. Zum Glück musste ich den Sessel nicht zu diesem Zweck gebrauchen. Ich schaffte es bis zur Toilette, die am Gang war. Nachdem wir den Gang hinunter und zurückgegangen sind, sagte ich ihr, dass ich im dritten Stock wohne und Stiegensteigen ein Problem für mich sein wird, wenn ich nach Hause komme. Sie meinte, dass wir einen Halbstock probieren könnten. Heute fand der Vienna City Marathon statt. Ich habe ihn mir vom Krankenhausbett im Fernsehen angeschaut. Deshalb fragte ich sie, ob sie auch Marathon laufen würde. „Nein, das mache ich nicht, ich mach aber gerne Trekking-Touren“, war ihre Antwort.

„Das würde ich auch gerne machen, sobald ich wieder gehen kann“, gab ich ihr zu verstehen. Sie: „Machen Sie öfters Trekking Touren?“. „So oft auch nicht, nur wenn ich mal wieder den Krebs los sein wollte“ war meine Antwort. Wir hatten den Halbstock erreicht. „Wenn ich das geschafft habe, könnte ich doch den ganzen Stock schaffen“, sagte ich mutig. So leicht ging es nicht. Dafür erzählte ich: „Als ich das letzte Mal Krebs hatte, wollte ich, dass sich meine roten Blutkörperchen vermehren. Um das zu erreichen, bin ich nach Cuzco in den Anden geflogen. Von dort aus habe ich dann eine Trekkingtour zum Salcantaypass gemacht. Drei Tage lang ist es nur bergauf gegangen, bis auf 4600 Höhenmeter.“ Beim Hinuntergehen erzählte ich weiter: „Der Salcantay hat mich vom Krebs befreit. Der Krebs hat es nicht geschafft so lange bergauf zu gehen. Ich habe den Pass überschritten und war ihn los“. Mir kamen die Tränen. Sie muss an meiner Stimme erkannt haben, wie sehr mich diese Geschichte berührte. Sie stellte jedenfalls keine Frage. Wir waren wieder am Gang. Die Gehübung war beendet. Das Nächste wäre die Beckenbodengymnastik. Dafür müsste aber erst der Katheter entfernt werden. Wenn alles gut ging, wäre das in 3 Tagen.

Ich lag wieder im Krankenbett und überlegte, warum die Erinnerung an den Salcantaypass mich emotional so durcheinandergebracht hat.

Am Salcantay Pass hatte ich die unglaublich starke Erfahrung, dass ich den Krebs hinter mir gelassen habe. Es ist ein mystischer Ort, die Einheimischen bringen hier Opfergaben dar. Auch unser Guide machte eine Zeremonie, um den Göttern zu danken. Während der Zeremonie kam mir der starke Gedanken, dass ich den Göttern zu Dank verpflichtet bin. Ich hatte ein neues Leben bekommen. Mit drei Coca Blättern in der Hand, ich fühlte eine Kraft, die mich stark bewegte, bedankte ich mich aufrichtig und hinterließ dann die Opfergabe, die drei Coca Blätter in der Felsspalte unter dem riesigen Salcantay. So nahe war ich dem Himmel noch nie. Während des Abstiegs war ich mir dann sicher, dass der Krebs nie wieder zurückkommen wird.

Der Krebs im Kopf kam zwar nicht wieder.

Dafür ein anderer. Er hatte sich die Prostata ausgesucht. Allzu erfolgreich war er nicht. Er hat es zwar noch geschafft, in den Lymphknoten Metastasen zu bilden, doch diese wurden mit der Prostata entfernt. Wenn alles gut gegangen ist, müsste ich jetzt wieder krebsfrei sein. Auch diesmal musste ich Verluste in Kauf nehmen. Ich weiß noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Dass ich keine Erektion und keinen Samenerguss mehr haben werde, das hat mir der Urologe vorausgesagt, dass ich eine vorübergehende Inkontinenz haben werde, das war nicht sicher. Momentan war am Penis ein Schlauch mit einem Sack angeschlossen. Den Sack konnte ich immerhin selbst entleeren. Eine neue Art auf die Toilette zu gehen. Es wird mir wohl wie einem dreijährigen Jungen gehen, der noch in die Hosen macht und noch nie, was von Erektion und Samenerguss gehört hat.

Jakobsweg

Es waren inzwischen fast 3 Monate vergangen. An die Einlagen in der Unterhose hatte ich mich langsam gewöhnt. Mit dem Gehen hatte ich kaum noch Probleme.

Ich hatte was in Nordspanien zu tun und war dabei, einen Flug zu buchen. Ich hätte den Retourflug einen Tag später ansetzen können, doch da kam mir der Jakobsweg in den Sinn. 2008 bin ich den Jakobsweg gegangen von Saint Juan Pied de Port bis Finisterre.

Ich hatte dazu 36 Tage gebraucht. Der Weg hat es mir angetan. Ich konnte doch nicht wieder nach Spanien fahren, ohne ein Stück Jakobsweg zu gehen?

Also mindestens eine Woche lang wollte ich das machen. Ich buchte also den Rückflug eine Woche nach dem Hinflug

Pamplona

Ich hatte einen Flug nach Bilbao gebucht und nahm nun einen Bus nach Pamplona. Dort hatte ich mir in der Pension Hemingway ein Zimmer reserviert. Ich hatte nun die Möglichkeit morgen in Pamplona den Jakobsweg zu beginnen oder mit dem Bus nach Roncesvalles zu fahren und dort den Weg zu beginnen.

Am Nachmittag hatte ich noch genug Zeit die Stadt zu erkunden. Ich kam bei einem Pilgerladen vorbei, wo ich mir Socken kaufte, in denen die Zehen eingearbeitet waren. Dadurch reiben sich die Zehen nicht aneinander und das Risiko Blasen zu bekommen ist verringert. Einen Pilgerführer habe ich auch gekauft. Ich dachte, es wäre praktisch, etwas über die Herbergen zu erfahren. Den Weg selbst kannte ich ja. Der war ja nicht zu verfehlen. In der Stadt waren metallene Jakobsmuscheln in das Pflaster eingearbeitet und außerhalb gab es alle fünfzig Meter einen gelben Pfeil. Ich bin den Jakobsmuscheln gefolgt und kam bis zur Stadtmauer. Von dort ging es zu einem Park, durch den eine sehr befahrene Straße verlief. Um weiter zu gehen musste ich die Straße überqueren. Es gab eine Ampel. Mit Ampeln hatte ich in letzter Zeit Probleme gehabt. Nach der Prostataoperation hatte ich Schmerzen gehabt. Ich habe auf die Schmerzmittel verzichtet und dafür Achtsamkeit geübt. Beim Gehen hatte ich wenige Probleme, da konnte ich die Aufmerksamkeit auf die Füße lenken und jeden Schritt spüren. Dadurch war die Aufmerksamkeit von den Schmerzen abgelenkt.

Kam ich jedoch an eine rote Ampel, so funktionierte das nicht mehr, da ich ja stehen bleiben musste. Ich wurde nervös und habe nur die Schmerzen gespürt. Noch dazu war ich so langsam beim Gehen, dass ich die Straße erst beim Beginn der Grünphase überqueren konnte. Wenn die Ampel schon Grün war, dann musste ich warten, bis sie rot wurde und dann gleich beim Beginn losgehen, um am Ende der Grünphase die andere Straßenseite zu erreichen. Später, als ich keine Schmerzen mehr hatte, wunderte ich mich, warum ich bei roten Ampeln immer nervös wurde.

Kein Wunder, mein Gehirn assoziierte rote Ampeln mit Schmerzen. Die Ampeln in Pamplona aber waren genial. Bei Rot gab es einen Countdown, sodass man wusste, wie lange man noch warten musste, bis die Ampel grün wurde. Bei Grün begann sich ein Männchen zu bewegen und es wurde die Zeit angegeben, bis die Ampel wieder rot wurde. So eine Ampel hätte mir in Wien geholfen, als ich aus dem Krankenhaus kam. Es wäre jedenfalls angenehmer gewesen beim Warten, weil sich das Gehirn ja mit den Zahlen beschäftigen konnte und nicht mit den Schmerzen.

Es war wohl die letzte Nacht, in der ich ein Zimmer für mich allein haben würde.

Am Morgen war ich nicht gerade gut aufgelegt. Ich hatte ja noch keinen Kaffee gehabt. Erst nach dem Kaffee war ich ansprechbar. Dennoch hat mich eine blonde oder schon weißhaarige Frau angesprochen. Sie hat sich sogar vorgestellt. Ihr Name war Lin, sie kam aus Kalifornien. Zu meinem Erstaunen hatte sie auch vor, den Jakobsweg zu gehen.

Saint Juan Pied de Port

Am Busbahnhof begegnete ich Lin wieder. Ich hatte mich entschlossen nach Roncesvalles zu fahren. Da sagte mir Lin, dass sie nach Saint Juan Pied de Port fahre. Da kam mir in den Sinn, wie schön es wäre die Pyrenäen zu überqueren. Ich hatte noch kein Ticket, Lin zeigte mir den Schalter, an dem es Tickets nach Saint Juan Pied de Port gibt. Damit hatte ich nicht gerechnet, dass es einen Bus nach Frankreich gibt.

Kurzentschlossen kaufte ich das Ticket.

Es war noch genug Zeit, bis der Bus abfuhr. Lin stellte mir ihre Freundin vor. Ihr Name war Simin. Ursprünglich kam sie aus Persien, lebte aber schon lange in Kalifornien.

In Saint Juan Pied de Port konnte ich mich als Pilgerführer nützlich machen. Ich war ja schon mal dort und kannte den Weg zum Pilgerbüro. Wir waren rechtzeitig vor der Mittagspause dort und Lin und Simin konnten sich einen Pilgerpass ausstellen lassen. Ich konnte noch meinen alten Pilgerpass verwenden. Obwohl ich mindestens 40 Stempel drinnen hatte, von den Herbergen von Saint Juan Pied de Port bis Finisterre, war noch Platz genug für ein dutzend Stempel.

Jetzt musste ich nur noch eine Herberge finden. Es gab deren genug. Vor den Herbergen standen Schilder auf denen stand, wie viele Plätze noch frei waren. Es war also keine Eile geboten. Ich fragte Lin, in welche Herberge sie gehen möchten. Lin und Simin hatten schon von den USA aus reserviert. Sie mussten nur noch ihre Herberge finden. Wir standen vor dem Pilgerbüro und Simin suchte nach der Adresse.

Der Name war Belari, die Straße war die Straße, in der wir standen. Was für ein Zufall, wir standen genau vor der Herberge, welche sie reserviert hatten. Sie war gegenüber vom Pilgerbüro. Da ich schon mal hier war, entschloss ich mich, zu fragen, ob für mich noch ein Bett frei wäre. Wir wurden sehr freundlich empfangen. Für mich war noch Platz. Es wurde uns ein gemeinsames vegetarisches Abendessen angeboten, das wir gerne annahmen. Wir hatten noch kein Mittag gegessen. Simin machte den Vorschlag etwas einzukaufen und dann irgendwo in der Natur zu picknicken. Es gab einen Gemüse- und Obsthändler in der Straße und auch einen Bäcker. Das sollte reichen. Wir kauften Avocados, Tomaten, einen Aufstrich und Brot beim Bäcker. Dann gingen wir den Fluss entlang, bis wir eine angenehme Stelle fanden. Lin packte ihre Flöte aus und begann eine Melodie zu spielen, die zum Rauschen des Wassers passte. Ich breitete meine neue Decke aus. Es war richtig schön, das Essen zu teilen und in der Natur zu sitzen.

Lins Flöte war aus einem Abflussrohr und einem Korken gemacht. Erstaunlich, wie mit so einfachen Mitteln eine so zauberhafte Melodie entstehen kann.

Wir machten noch einen ausgedehnten Spaziergang am Fluss entlang. Auf dem Weg in die Herberge, beim Torbogen, spielte eine Musikerin auf einem Musikinstrument, das aussah wie eine Pfanne mit Deckel. Lin sagte mir, dass das Instrument Hang heißt und sehr teuer ist. Es war wunderschön der Musik zuzuhören. In der Herberge wurde schon das Abendessen gekocht. Es gab einen großen Tisch, an dem Platz für alle Pilger war. Der Herbergsvater hielt eine Ansprache auf Englisch. Er sprach vom Spirit des Camino und von der Bedeutung einer Pilgerfamilie. Mittels eines Ballspiels sollten wir uns vorstellen. Den Ball gab es nicht. Wir sollten ihn uns nur vorstellen. Wir sollten einen unserer Mitpilger anschauen und ihm den Ball zuwerfen. Er soll ihn fangen und dabei seinen Namen sagen. Nachdem wir das Spiel für längere Zeit gespielt hatten und jeder den Ball schon ein paar Mal gefangen hatte, wussten wir die Vornamen unserer Mitpilger, die wir noch nicht kannten.

Erika blieb mir im Gedächtnis. Sie sagte, sie käme aus Kanada.

Ich habe den Jakobsweg, vor etwa zehn Jahren, schon einmal gemacht und am ersten Tag eine Kanadierin kennengelernt. Deswegen fragte ich Erika, von wo, aus Kanada sie käme. „Die Stadt wirst du nicht kennen“, sagte sie. Ich beharrte jedoch darauf, den Namen der Stadt, zu erfahren. Als sie „Winnipeg“ sagte, glaubte, ich nicht richtig zu hören. Erika war echt erstaunt, als ich ihr erzählte, dass ich vor zehn Jahren, den Jakobsweg, schon einmal gegangen bin. Das Unglaubliche war, dass ich vor zehn Jahren, am ersten Tag, eine Kanadierin aus Winnipeg kennengelernt habe. Damals sind wir den ganzen Weg gemeinsam gegangen. Es waren 36 Tage bis nach Finisterre. Erika hatte jedoch nur eine Woche Zeit und wollte nur bis Pamplona gehen. Das war auch meine Absicht.

Wir gingen früh zu Bett, denn morgen begann der große Tag. Der erste Tag am Camino.