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Ursula Isbel

Reiterhof Dreililien 9 – Unter dem Frühlingsmond

 

Saga

1

In einer Herbstnacht träumte ich, es wäre wieder Frühling. Die Veilchen blühten unter den knorrigen Apfelbäumen im Obstgarten, und ich lag in der Hängematte, geschaukelt von einem linden Windhauch, der den Geruch von Blüten mit sich trug.

Doch noch während ich schlief, wußte ich unvermittelt, daß das alles nur ein Traum war, die Erfüllung eines heimlichen Wunsches; ich wußte, daß sich draußen die Bäume färbten und ihr Laub abwarfen, daß die Felder abgeerntet und die Nester der Schwalben im Stall verlassen waren.

Als ich erwachte, lag Nebel über unserem Tal – Haferschleimsuppe, wie Matty das nannte. Er war so grau und undurchdringlich, daß ich von meinem Fenster aus nicht einmal die Dächer von Dreililien sah.

Erst Stunden später begannen sich die Nebelschwaden zu lichten und aufzulösen. Die Sonne strahlte wieder, und die Bäume standen rot und golden unter dem hellblauen, unglaublich weiten Himmel. Die Berge sahen aus wie auf einer Kitschpostkarte und schienen zum Greifen nahe wie sonst nur an Föhntagen.

Im Garten des Kavaliershäusls erntete Kirsty pralle Kürbisse und Feuerbohnen, Tomaten und sogar ein paar schrumpelige Paprikaschoten. Rotbackige Äpfel plumpsten von den Bäumen, und von morgens bis abends hörte man aus den Wäldern das Singen der Säge. Schon schwelten Kartoffelfeuer auf den Feldern. Die Dorfkinder von Mariabrunn ließen ihre Drachen steigen.

In Dreililien bereiteten wir uns auf die Herbstferien vor. Wir bekamen in Bayern zwar nur das Allerheiligen-Wochenende frei, aber aus anderen Bundesländern sollten elf Reitschüler kommen. Noch bis Mitte Oktober hatte es so ausgesehen, als würden wir diesmal mit den Reiterferien eine ziemliche Pleite erleben. Dann aber waren an einem einzigen Tag unversehens sechs Anmeldungen eingegangen, worüber wir uns alle unheimlich freuten, denn in diesem Jahr stand es mit den Finanzen des Reiterhofs düsterer als je zuvor. Schuld daran war vor allem der Supergau von Tschernobyl. Abgesehen von allen anderen dramatischen Folgen, die dieser Reaktorunfall mit sich gebracht hatte und noch mit sich bringen mochte, waren wir durch ihn im vergangenen Frühjahr mit vergleichsweise kleinen, für uns aber schwerwiegenden Problemen konfrontiert worden. Da das Gras radioaktiv verseucht war, hatten wir Futter vom Vorjahr zukaufen müssen; und im Frühsommer war ein Teil der Ferienreiter ausgeblieben.

Ein zweites Jahr wie dieses konnten wir uns nicht leisten, das war jedem von uns klar, auch wenn mit Ausnahme von Herrn Moberg keiner darüber redete. Doch jetzt, mit einem knappen Dutzend Ferienreitern im Herbst und der Aussicht auf eine kleine Behindertengruppe im Winter, sah die Zukunft schon etwas freundlicher aus. Sogar für die Weihnachtsferien lagen bereits drei Anmeldungen vor.

Ende Oktober wurde der Hufschmied bestellt, um die Reitschulpferde neu zu beschlagen. Da auch bei meiner Stute Hazel wieder einmal ein Spezialbeschlag fällig war, schwänzte ich an diesem Tag den Französischunterricht und fuhr früher nach Hause. Im Bus traf ich Carmen, die am Fenster saß und an einer Breze kaute.

„Hab heute die letzte Stunde geschwänzt“, verkündete sie undeutlich, „Kunsterziehung.“

Ich ließ mich neben ihr auf den Sitz fallen. „Ich auch. Französisch.“

Sie brach ein Stück von ihrer Breze ab und reichte es mir. „Zur Zeit hab ich meine Freßphase“, erklärte sie bekümmert. „Das ist echt tragisch, denn ich lege zu wie verrückt. Meine besten Jeans passen mir schon nicht mehr. Wahrscheinlich ist das mein Schicksal, daß ich mich mein ganzes Leben lang nicht sattessen darf, ohne ein schlechtes Gewissen wegen meiner Figur zu haben.“ Sie warf mir einen Seitenblick zu. „Damit hast du natürlich keine Probleme, du Glückspilz.“

Ich lachte. „Na ja, eine Kalorienbombe wird die dürre Breze da auch nicht gerade sein!“

„Bei mir schon“, behauptete Carmen und seufzte. „Mich macht alles dick, sogar so was Harmloses wie ein Radieschen.“ Trotz ihres düsteren Tonfalls stand ein Lächeln in ihren Augen. „Ich bin und bleibe ein pausbäckiger Blasengel!“

„Bist du nicht!“ sagte ich und drückte ihren Arm. „Ich finde, du schaust nett aus mit deinen runden Backen. Und wer sagt eigentlich, daß nur dünne Leute hübsch sind?“

Carmen schnitt eine Grimasse. „Wahrscheinlich bin ich ein paar hundert Jahre zu spät auf die Welt gekommen. Wenn man sich diese Rubens-Schinken anschaut – die müssen damals ganz wild auf dicke Frauen gewesen sein! Leider kenne ich persönlich keinen Menschen, dem diese rosaroten Fleischberge gefallen. Du vielleicht?“

„Nein“, sagte ich. „Aber so bist du nicht. Du bist . . .“

„. . . körndlgefüttert“, vervollständigte sie kichernd. „So sagt man bei uns, wenn eine Gans oder eine Ente vor Kirchweih recht fett und rund ist, weil sie viel Körnerfutter gekriegt hat.“ Sie seufzte wieder. „Allmächtige Tante, das erinnert mich an Kirchweih und Martini! Jedes Jahr im Herbst würde ich mich am liebsten in einem Erdloch verkriechen. Irgendwie schaffe ich’s immer, mich mit so einer Gans anzufreunden, und sie wackelt hinter mir her und schnattert wie verrückt, wenn ich heimkomme. Und dann hackt ihr meine Mutter eines Tages den Kopf ab. Früher wollten mich meine Eltern dann auch noch zwingen, den Gansbraten zu essen. Heute bleibt mir wenigstens das erspart.“

Ich sagte: „Wenn’s bloß Vegetarier gäbe, würde es auf der Welt bestimmt friedlicher zugehen. Ich hab mal einen Spruch von Tolstoi gelesen, daß es Schlachtfelder geben wird, solange es Schlachthöfe gibt. Weißt du, manchmal hab ich Alpträume, daß ich Pferde zum Abdecker bringen muß. Ich will’s nicht tun, aber irgend jemand zwingt mich dazu. Es ist jedesmal so scheußlich, daß ich total verheult aus dem Schlaf hochschrecke.“

„Pfui Teufel!“ sagte Carmen mitfühlend. „Das kenne ich. Was meinst du, was ich wegen unserer Kühe und Kälber schon mitgemacht hab . . .“

Eine Weile schwiegen wir; dann fragte ich: „Du, was wird jetzt eigentlich mit Niobe? Hast du dich schon entschieden? Ich glaube, mit dem Reiten macht sie sich ganz gut. Sie ist gelehrig und willig, und das ist schließlich die Hauptsache. Fürs Spazierrenreiten und ein bißchen Trab und Galopp reicht’s jedenfalls bestimmt noch.“

Niobe war unsere älteste Zuchtstute, ein unglaublich liebes, sanftes Pferd. Zum Reiten war sie nie eingesetzt worden; aber sie hatte im Lauf der Jahre viele starke, gesunde Fohlen geboren. Jetzt war sie zu alt für die Zucht, und Herr Moberg wollte sie nicht länger behalten. Um ihr das Schicksal des Abdeckers zu ersparen, waren wir auf die Idee gekommen, Carmen könnte Niobe zu sich nehmen. Auf dem Bergerhof gab es nur ein Pferd, einen Haflinger; da war Platz genug für die alte Stute, und Futter gab es in Hülle und Fülle. Matty hatte vor einigen Wochen angefangen, Niobe zuzureiten. Und obwohl Herr Moberg immer behauptete, ein altes Pferd lerne keine neuen Kunststükke, ließ sich die Sache gar nicht schlecht an.

„Ich wollte am Wochenende sowieso zu euch kommen und noch mal mit dem alten Moberg reden“, erwiderte Carmen. „Falls er wirklich nicht zu viel für Niobe verlangt, nehme ich sie. Mir genügt es ja eigentlich, wenn ich ein bißchen herumreiten kann. Und unsere Haflingerstute ist ja alles andere als ein Reitpferd. Sie ist nie richtig zugeritten worden. Mein Vater braucht sie noch ab und zu für die Waldarbeit, und du weißt ja, daß er das alte Fuhrwerk hat und gern beim Leonhardiritt mitfährt. Also ist die Liesel eigentlich sein Pferd.“

Mir wurde warm ums Herz. Es tat gut, zu wissen, daß wenigstens unsere alte Niobe ein schönes, geruhsames Alter auf dem Bergerhof vor sich hatte. Dort gab es saftige, sonnige Hangwiesen, und bei Carmen war sie gut aufgehoben. Derart glückliche Lösungen fanden sich leider nur selten.

„Herr Moberg wird bestimmt nicht mehr von dir verlangen als den Preis, den er von der Tierkörperverwertungsanstalt auch kriegen würde“, sagte ich. „Da bin ich ganz sicher. Hazel hat er mir damals ja auch total billig überlassen.“

„Glaubst du eigentlich, daß es ihn völlig kalt läßt, wenn so ein Pferd, das dreiundzwanzig Jahre lang auf seinem Gestüt war, einfach zum Schlachten abgeholt wird?“ fragte Carmen.

Nachdenklich sah ich aus dem Busfenster. Die Hänge waren noch immer grün. Dahlien, Astern und späte Rosen blühten in den Bauerngärten – wie lange noch? Schon die kommenden Nächte konnten die ersten Fröste bringen und das bunte Bild in ödes Land verwandeln.

„Früher dachte ich immer, daß er ein altes Ekel ist, ein Egoist, den’s nicht kratzt, wenn es Menschen oder Tieren um ihn herum schlechtgeht“, sagte ich nach einer Weile. „Inzwischen glaube ich das nicht mehr. Er ist bloß einfach im Laufe seines Lebens hart geworden. Schließlich ist es sein Job, Pferde zu züchten und wegzugeben. Er hat es sich wohl einfach abgewöhnt, sein Herz an sie zu hängen. Vielleicht ist das bei ihm ähnlich wie bei deinem Vater, wenn er seine Kühe zum Metzger bringt. Und jetzt ist erkrank und kann sich nicht mehr richtig um das Gestüt kümmern. Natürlich erledigt er den Papierkram, aber mit den Pferden selbst hat er kaum noch was zu tun. Also berührt es ihn wohl auch nicht besonders, was aus ihnen wird; Hauptsache, sie sind kein Verlustgeschäft. Er trifft seine Entscheidungen sozusagen vom Schreibtisch aus, und das ist bestimmt einfacher, als wenn man wie wir die Tiere jeden Tag versorgt und jedes einzelne kennt und lieb hat.“

Carmen nickte langsam. Dann sagte sie: „Du, Nell, meinst du, daß wir eines Tages auch so werden – so hart und abgebrüht?“

Ich sah sie an und schüttelte heftig den Kopf. Die Vorstellung erschreckte mich. „Nein, du, ich glaube nicht, daß so etwas einfach mit einem passiert. So braucht man nicht zu werden, wenn man nicht will. Schau dir doch mal den Pauli an. Der hat bestimmt ein hartes Leben gehabt. Und trotzdem ist er nicht verbittert oder gleichgültig geworden. Und Mikesch und Kirsty und Gesine – die sind auch nicht mehr so jung wie wir, aber sie leben trotzdem anders als viele andere Erwachsene, bei denen es oft nur noch ums Geldverdienen geht, um ein dickes Auto, teure Klamotten und darum, was man ist und was man hat. Ich glaube schon, daß man innerlich jung bleiben kann, auch wenn man älter wird.“

Carmen lächelte und summte ein Lied von Georg Danzer und André Heller vor sich hin: „Wann du wuist, wann’st wirklich wuist, bleibst immer jung . . .“

„Genau“, sagte ich. „So hab ich’s gemeint.“

Als ich nach Dreililien kam, war nicht nur der Hufschmid da, sondern auch ein unerwünschter Gast: Horkheimer, der Pferdehändler. Ich erkannte seinen Wagen schon von weitem, einen schwarzen Mercedes mit Düsseldorfer Kennzeichen. Einer seiner Angestellten war gleich mit dem Pferdetransporter mitgekommen.

Mir sank das Herz. An solchen Tagen, zu solchen Gelegenheiten, wünschte ich mich in unsere Großstadtwohnung zurück, wünschte, ich hätte nie etwas mit Pferden zu tun gehabt. Für gewöhnlich verkroch ich mich im Kavaliershäusl, wenn Horkheimer kam, bis alles vorbei war. Das war eine von meinen Schwächen, die ich an mir verstehen und akzeptieren gelernt hatte.

Doch an diesem Tag konnte ich nicht ausweichen. Der Hufschmied hatte seine Arbeit fast schon beendet; nur Katama und Hazel blieben noch übrig. Katama wurde immer kalt beschlagen, weil sie sonst total durchdrehte; und selbst dabei mußte sie von zwei Leuten festgehalten werden. Anschließend sollte Hazel ihren Spezialbeschlag bekommen, und sie war es gewöhnt, daß ich mit dabei war, sie streichelte und ihr gut zuredete.

Maja war froh, daß ich kam, denn Matty war noch in der Schule, Helge hatte seinen freien Nachmittag, Sepp war zu Hause auf seinem Hof, und Mikesch stand bei Herrn Moberg im Büro, um mit dem Pferdehändler zu verhandeln.

„Ausgerechnet heute muß der daherkommen!“ murmelte Maja mit einem Seitenblick auf den Mercedes, der vor der Toreinfahrt parkte. Und wir nickten uns zu und wußten beide, daß uns für Horkheimers Besuch kein Tag im Jahr gepaßt hätte; wir hätten jedesmal am liebsten Straßensperren aufgebaut oder das Tor verbarrikadiert, um zu verhindern, daß er kam.

Katama führte sich schrecklich auf, genau wie immer. Sie versuchte sich loszureißen, sperrte die Augen auf, als wären wir Frankensteins Töchter, versuchte auszuschlagen und wieherte, daß es einem durch Mark und Bein ging.

Wir schwitzten alle drei, Maja, der Hufschmied und ich; und noch während wir schufteten und die Schimmelstute festhielten, öffnete sich die Tür des Wohnhauses, und Mikesch kam mit Herrn Moberg und Herrn Horkheimer heraus.

Aus den Augenwinkeln schielte ich zu ihnen hinüber. Der Pferdehändler liebte es, sich wie ein Dandy herauszustaffieren. Er trug mit Vorliebe weite Kutschermäntel aus Tuch mit mehreren Pelerinenkragen aus Samt oder mit Pelzbesatz und dazu abenteuerlich geschwungene Hüte. Heute war er in einen schottisch karierten Kutschermantel gehüllt, unter dem sich sein Bauch vorwölbte; er trug glänzend polierte Reitstiefel und einen schwarzen Hut mit breiter Krempe. Seine dunklen, tiefliegenden Augen und der graue Schnurrbart ließen ihn wie Graf Dracula persönlich aussehen.

Für Katama war er in dieser Lage der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt. Als der Pferdehändler auf uns zukam, fing sich der Herbstwind in seinen drei Mantelkragen und ließ sie hochflattern. Womöglich dachte die Stute, er würde jetzt gleich abheben, auf sie zufliegen und sie in den Hals beißen, um ihr das Blut auszusaugen. Leider waren auch Maja und ich damit beschäftigt, Horkheimer anzustarren, und so nützte Katama die Gelegenheit, um sich loszureißen. Sie erhob sich auf die Hinterbeine, ruderte mit den Vorderhufen wild in der Luft herum und stürmte dann wie ein Mustang durch den Hof, während der verdutzte Hufschmied den Halt verlor und mit dem Hintern aufs Pflaster plumpste.

Mikesch rannte los, doch der dicke Pferdehändler war schneller. Mit einer Behendigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, war er beim Tor, versperrte Katama den Weg, packte ihr Halfter und zwang sie, stehenzubleiben.

„Sattel die Hühner!“ murmelte Maja neben mir.

Herr Moberg beugte sich über den Hufschmied und fragte ihn, ob er einen Schlag abbekommen hätte, aber der versicherte, daß nichts passiert sei. „Die Madln hätten besser aufpassen müssen!“ sagte er mit einem anklagenden Blick in unsere Richtung.

Mikesch und der Pferdehändler brachten Katama wieder in die Mitte des Innenhofs zurück. Sie zitterte heftig, und Mikesch gab sich alle Mühe, sie zu beruhigen, während Horkheimer seine Hand sachkundig über ihre Kruppe gleiten ließ und sagte: „Ein schönes Tier. Englisches Vollblut. Könntest du dich nicht doch entschließen, sie zu verkaufen, Moberg?“

Ich erschrak. Katama war Jörns Pferd. Natürlich gehörte sie ihm nicht wirklich, doch irgendwie war klar, daß sie „sein“ Pferd war. Er war der einzige, der wirklich mit ihr umgehen konnte, dem sie voll vertraute. Jörn und Katama gehörten zusammen, so wie Hazel und ich. Leute, die sie nicht kannten – ihre Schreckhaftigkeit, ihr empfindsames Wesen –, würden sie verderben, sie vielleicht schlagen oder weiterverkaufen, wenn sie ihre Reiter abwarf; und so würde es wohl nicht lange dauern, bis sie total verstört war und vor Kummer krank wurde und starb oder beim Abdecker landete.

Hastig und ohne zu überlegen, sagte ich: „Katama ist nicht zu verkaufen. Sie ist Jörns Pferd.“ Und noch ehe es ganz heraus war, begann mein Herz wild zu klopfen, denn ich wußte, daß ich kein Recht hatte, mich einzumischen.

Ein kurzes Schweigen entstand. Der Pferdehändler sah mich an – verwundert, aber nicht unfreundlich. Ich haßte ihn. Und doch meinte ich im Grunde nicht ihn persönlich, dieses fleischige, wohlwollende Gesicht mit dem sorgfältig gestutzten Schnurrbart, sondern das, wofür er stand: seinen Beruf, all die Leute, die wie er Geschäfte mit Tieren machen, bedenkenlos, als wären sie eine Ware, Gegenstände ohne jedes Gefühl, die man beliebig von einem Ort zum anderen verfrachten und vermarkten kann, ohne auch nur einen Gedanken an ihr Schicksal zu verschwenden.

Herr Moberg tat, als hätte er meine Bemerkung nicht gehört. Er sagte: „Ich glaube nicht, daß ich sie verkaufen werde; jedenfalls vorerst nicht. Sie ist eine recht gute Zuchtstute.“

Maja drückte verstohlen meine Hand. Ich atmete auf. Der Hufschmied murmelte: „Auf den Gaul möchte ich mich jedenfalls nicht setzen!“

Mikesch lächelte mir zu. „Könnt ihr sie jetzt wieder übernehmen?“ fragte er.

Wir nickten und griffen gleichzeitig nach dem Halfter. Meine Hände zitterten.

„Gehen wir zur Koppel“, sagte Herr Moberg. „Wie viele Pferde brauchst du? Mehr als ein halbes Dutzend kann ich dir nicht geben.“

Im Weggehen erzählte der Pferdehändler etwas von einem Engpaß wegen einer Pferdeseuche in Spanien. Der Hufschmied forderte uns streng auf, Katama jetzt wirklich festzuhalten, weil er seine Zeit nicht gestohlen hätte, und setzte seine Arbeit fort. Maja und ich sahen uns über Katamas Nase hinweg an und dachten an die schönen, geliebten Jungpferde, die jetzt ausgesucht und verschachert wurden und von denen sicher zwei oder drei schon im Laufe der kommenden Stunde in den Wagen geladen und abtransportiert wurden. Sie würden sich wehren, denn keines von unseren Pferden verließ freiwillig die vertraute Umgebung, die Gefährten, mit denen es aufgewachsen war, um in ein fremdes, furchterregendes Ungetüm zu steigen, einer ungewissen Zukunft entgegen. Doch ihr Widerstand würde nichts nützen; die Menschen waren stärker, und was sie beschlossen hatten, mußte geschehen. Damit war ihre unbeschwerte Pferdejugend in unserem Tal vorüber, mit diesen widerstrebenden Schritten über die Rampe ins Innere des Lastwagens, der nach Dung und Angst und Pferdeschweiß roch.

Diesmal konnte ich nicht entkommen. Als Katamas Hufe beschlagen waren, holte ich Hazel von der Weide und sah, wie Mikesch mit Horkheimers Fahrer drei von unseren schönsten Jungpferden den Hang herauftrieb. Und Mikesch kam mir wie ein Verräter vor, obwohl ich wußte, daß er gezwungen war, mitzuhelfen, und wie ungern er es tat.

Während ich auf dem Innenhof stand und Hazels Hinterbein hielt, während die klingenden Schläge des Hammers auf das Hufeisen von den Mauern widerhallten, hörte ich sie draußen wiehern, zornig und hilfeflehend, als man sie einlud, hörte, wie sie auf der Rampe polterten und sich sträubten, hörte Mikeschs beruhigende Stimme und das Fluchen des Fahrers.

Hazel war ängstlicher und unruhiger als sonst. Das Gewieher erschreckte sie; sie verstand wohl, was es bedeutete, spürte auch, daß es mir schlechtging, daß ich am liebsten weggelaufen wäre. Auch der Hufschmied war ungeduldig und schimpfte auf die „launischen Biester mit ihren Mucken“, während ihm der Schweiß über die Stirn lief.

Als wir endlich fertig waren, kamen Herr Moberg und der Pferdehändler wieder durch den Torbogen. Sie machten beide zufriedene Gesichter; offenbar hatten sie ein gutes Geschäft abgeschlossen. Herzlich verabschiedeten sie sich voneinander, während ich Hazel über den Hofplatz führte, um sie auf die Koppel zurückzubringen. Da kam Horkheimer mir entgegen, nickte mir zu und sagte scherzhaft: „Ist das deine Stute? Die verkaufst du wohl nicht, was?“ Und er lachte.

Ich brachte es einfach nicht über mich, seine Freundlichkeit zu erwidern. „Nein“, sagte ich, ohne zu lächeln. „Zum Glück gibt’s auch noch ein paar Pferde auf der Welt, mit denen kein Geschäft zu machen ist.“