Das Wichtigste über die Olchis

Olchis sind merkwürdige Wesen. Sie sind so grün wie Blattsalat und haben drei Hörner oben auf dem Kopf. Das sind ihre Hörhörner. Mit dem mittleren Hörhorn können sie alle Sprachen der Welt verstehen. Und mit den beiden äußeren hören sie die Ameisen husten und die Gänseblümchen wachsen.

Sieben Olchis leben glücklich und zufrieden auf dem Müllberg von Schmuddelfing. Olchi-Mama und Olchi-Papa, Olchi-Oma und Olchi-Opa, die beiden größeren Olchi-Kinder und das Olchi-Baby.

Die Olchis werden uralt. Olchi-Opa ist schon 985, die Olchi-Kinder sind beide 45, und das Olchi-Baby ist 12.

Inzwischen sind die Olchis weit über Schmuddelfing hinaus bekannt, und manchmal kommen Touristen, um die lustigen Grünlinge auf ihrem Müllberg zu beobachten und Fotos zu schießen. Die stehen dann draußen vor der Müllkippe an einem Zaun. Der Bürgermeister von Schmuddelfing hat den Zaun extra bauen lassen, um die Olchi-Familie vor allzu neugierigen Besuchern zu schützen. Am liebsten haben die Olchis nämlich ihre Ruhe. Dann liegen sie entspannt in ihren Hängematten, lauschen dem Quaken ihrer Kröten, pupsen ein bisschen oder gähnen so kräftig, dass die Fliegen abstürzen und tot auf den Boden fallen. Das liegt am Mundgeruch der Olchis, denn vom Zähneputzen haben sie noch nie was gehört. Überhaupt müffeln sie alle ganz schrecklich, denn naturgemäß waschen sie sich nie. Warum auch? Alles, was müffelt und stinkt, finden sie sehr angenehm.

Wenn es regnet, freuen sich die Olchis. Dann gibt es überall auf dem Müllberg herrliche Matschpfützen, in denen die Olchi-Kinder lustig herumhüpfen können.

Gern schleudern sie auch Matschknödel durch die Gegend. Und wenn ihnen die Touristen irgendetwas Dummes zurufen, kommt schon mal ein fetter Knödel an den Zaun geflogen, und alle kreischen erschrocken auf.

Lustig ist es, wenn man die Olchis beim Essen beobachten kann. Dann legen sie ihre Füße auf den wackeligen Tisch, und oft werfen sie sich die Leckereien direkt in den Mund, ohne etwa Messer und Gabel zu benutzen. Sie ernähren sich von den Sachen, die die Menschen wegwerfen. Deshalb ist der Müllberg für sie das reinste Paradies. So viele tolle Sachen liegen hier herum, nach denen sie sich nur zu bücken brauchen.

Ihre olchigen Zähne knacken alles, sogar Holz, Plastik, Stein und Eisen. Besonders gern futtern sie rostige Blechdosen, faulige Fischgräten, zähe Schuhsohlen, klapprige Regenschirmgestelle und zerfledderte Plastiktüten. Und am liebsten trinken sie dazu Schmuddelbrühe und feines Fahrradöl. Das Fahrradöl hält Olchi-Opa für eine wertvolle Delikatesse, weil es so selten zu finden ist.

Alles, was schön stinkig und vergammelt ist, mögen die Olchis also gern. Von frischem Zeug bekommen sie sowieso nur Bauchweh und bunte Flecken. Aber gegen die hilft dann ein Stück Stinkerkuchen. Und niemand, noch nicht einmal Olchi-Oma, kriegt den so schön verbrannt hin wie die Olchi-Mama.

Die Olchis sind zwar alle ziemlich klein, aber trotzdem erstaunlich stark. Jedes Mal applaudieren die Touristen, wenn ein Olchi einen schweren Autoreifen über den Müllberg schleudert oder wenn er eine Eisenstange verbiegt, als wäre sie aus Gummi.

Die Besucher freuen sich auch, wenn Olchi-Mama alten Krempel in die Olchi-Höhle wirft, um das Wohnzimmer zu verschmutzen. Oder wenn Olchi-Opa zum Spaß 300 Liegestütze macht, auf einer Hand.

Manchmal sieht man die Olchi-Kinder mit Feuerstuhl eine Runde um den Müllberg drehen. Ihr Olchi-Drache hat sechs Beine und einen Auspuff hinten am Bauch. Er kann Sturzflug und Loopings wie kein Zweiter, und wenn die Olchis mal verreisen wollen, hüpfen sie auf seinen Rücken, und Feuerstuhl knattert los und bringt sie überallhin, egal wie weit es ist.

Ich glaube, das ist das Wichtigste, was du über Olchis wissen musst.

Natürlich gibt es nicht nur diese sieben Olchis auf dem Schmuddelfinger Müllberg. Man findet Olchis auch in anderen Ländern, zum Beispiel in Schottland und in England. In London wohnen sogar zwei ganz besondere Olchis. Das sind Mister Paddock, der Olchi-Detektiv, und sein treuer Gehilfe Dumpy. Von den beiden wirst du gleich mehr hören.

Jetzt machen wir erst mal einen Sprung hinauf ins grüne Schottland. Dort oben beginnt nämlich unser Abenteuer.

Ach, eins noch: In der Geschichte kommen einige englische Wörter vor, vielleicht verstehst du sie ja alle. Aber wenn nicht, dann kannst du hinten im Buch die Übersetzung nachlesen.

Die Flucht

Mister Oliver Gun hockte zusammengekauert in einer Abfalltonne und gab keinen Mucks von sich. Der Gestank in der Tonne war so entsetzlich, dass er kaum Luft bekam. Trotzdem versuchte Mister Gun ruhig und gleichmäßig zu atmen. Jetzt musste er ganz ruhig bleiben. Jetzt durfte er um Himmels willen keine Panik bekommen.

Auf seinem Kopf lagen zusammengeklebte Brotreste und glitschige Küchenabfälle. Auch das war nicht angenehm, aber ein gutes Versteck. Falls jemand den Tonnendeckel öffnete, war er perfekt getarnt.

Mister Gun war auf der Flucht aus dem Gefängnis. Schon lange hatte er diesen Ausbruch geplant. Da er in der Gefängnisküche arbeitete, wusste er, dass jede Woche ein Bauer Küchenabfälle für seine Schweine abholte. Die Abfalltonnen lud er dann auf seinen Transporter, fuhr damit aus dem Gefängnis und brachte sie zu seinem Bauernhof.

Und so war Mister Gun auf die geniale Idee gekommen, sich in einer dieser Abfalltonnen aus dem Gefängnis schmuggeln zu lassen.

 

Jetzt könnte man vielleicht denken, Mister Gun sei ein ganz ausgebuffter Verbrecher. Na ja, das war er nicht wirklich. Er selber hielt sich sogar für einen sehr ehrlichen Menschen. Jahrelang hatte er als Koch in einer Hotelküche geschuftet. In einem Fünf-Sterne-Hotel, wo nur die allerreichsten Leute verkehrten. Dieser Küchenjob war nicht leicht gewesen. Oft hatte er die Hotelgäste beneidet, die mit ihren schicken Klamotten in den weichen Sesseln herumsaßen. Die Wein tranken, der mehr kostete, als Mister Gun im Monat verdiente. Die sich die sündhaft teuren Speisen bestellten, bei deren Zubereitung er in der Küche half.

Ja, die Arbeit in der Hotelküche war hart gewesen. Aber Mister Gun war zäh, und mit guter, harter Arbeit hatte er es zu etwas bringen wollen.

Doch dann gab es eines Tages diese Schmuck- und Juwelen-Ausstellung. Goldene Armreifen, schwere Ringe, wertvolles Geschmeide, funkelnde Juwelen und herrliche Diamanten lagen da in den Vitrinen des Hotels. Mister Gun hatte so etwas noch nie gesehen.

Besonders die Edelsteine hatten es ihm angetan. Das wundervolle Feuer der reinen Diamanten und die geschliffenen Brillanten mit ihrem Funken sprühenden Licht.

Die Versuchung war einfach zu groß gewesen. Sie war über ihn gekommen wie ein Blitz aus heiterem Himmel. In der Nacht hatte Mister Gun zwei Vitrinen aufgebrochen und eine Handvoll Diamanten herausgenommen.

Doch das Ganze war dumm gelaufen. Schon am nächsten Tag war er gefasst worden. Er wurde angeklagt und ins Gefängnis gesteckt.

Wo er die Diamanten versteckt hatte, das hatte er der Polizei nach seiner Verhaftung jedoch nicht verraten. Das war bis heute sein Geheimnis.

Ein paar Monate lebte Mister Gun jetzt schon im Gefängnis. Zwar hatte er einen Job als Aushilfskoch in der Gefängnisküche bekommen. Trotzdem hatte es ihm dort überhaupt nicht gefallen. Vom ersten Tag an hatte er überlegt, wie er das Gefängnis möglichst schnell wieder verlassen konnte. Er hatte an nichts anderes gedacht als an seine Flucht.

Und dann war ihm die Idee mit der Mülltonne gekommen.

 

In ihr kauerte er jetzt zusammengekrümmt mit schmerzenden Gliedern, und irgendetwas Ekliges rann ihm langsam in den Nacken.

Der Transporter des Bauern hatte das Gefängnis inzwischen verlassen und war nun auf die Landstraße eingebogen. Mister Gun konnte in seiner Tonne deutlich spüren, wie das Fahrzeug durch Schlaglöcher fuhr, wie es beschleunigte und eine enge Kurve nahm.

Als es irgendwann bremste und anhielt, öffnete Mister Gun vorsichtig den Deckel seiner Tonne. Er blickte um sich und sah, dass die Luft rein war. Mit einer schnellen Handbewegung wischte er sich den Abfall vom Kopf und von den Schultern. Mit steifen Gliedern kletterte er aus seinem Versteck und sprang mit einem Satz vom Wagen. Der Aufprall war hart, und ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Rücken. Leise fluchend rappelte er sich auf, dann rutschte er so schnell er konnte in den Graben neben der Straße und versteckte sich. Der Bauer am Steuer des Wagens hatte ihn zum Glück nicht entdeckt und fuhr weiter. Als die Luft rein war, kletterte Mister Gun aus dem Graben.

Er lief einen langen Feldweg entlang bis zu einer Hauptstraße. Die Straße ging in Richtung Süden und war zum Glück wenig befahren. Wenn doch mal ein Auto vorbeifuhr, versteckte er sich am Straßenrand in den Büschen.

Er wollte heim nach Drumnadrochit.

Wenn er zu Hause so unerwartet auftauchte, würde Maisie garantiert aus allen Wolken fallen. Mister Gun hatte Maisie schon wochenlang nicht mehr gesehen. Nur drei Mal hatte ihn seine Frau nämlich bis jetzt im Gefängnis besuchen können. Er freute sich sehr auf sie.

Und auf seine Diamanten freute er sich auch. Die hatte er zu Hause gut versteckt. Die Polizei hatte sie nicht finden können, damals bei der Hausdurchsuchung.

Nach etwa einer halben Stunde Fußmarsch kam er an eine Kreuzung. Dort stand ein Schild: Drumnadrochit 29 Miles.

»Goddamned!«, stieß er aus.

29 Meilen waren ganz schön weit. Kurz überlegte er, ob er nicht doch per Anhalter fahren sollte. Aber das war zu gefährlich, denn er trug ja noch immer die Gefängniskleidung.

Und so blieb ihm nichts anderes übrig, als sich auf einen längeren Fußmarsch einzurichten.

Auch dass es plötzlich zu nieseln anfing, war höchst unerfreulich. Jetzt würde er stundenlang durch den Regen laufen müssen und am Ende vielleicht eine Erkältung bekommen.

Ja, Mister Gun hatte es wirklich nicht leicht.

Im Kanal-Büro

Vom schönen Schottland weit entfernt, regnete es zur selben Zeit auch in Schmuddelfing. Die Olchis saßen vor ihrer Höhle und waren bester Laune. Gerade hatten sie ein wunderbares Frühstück verdrückt. Rostige Nägel in grauer Soße mit pappigen Gips-Klümpchen und gehackte Lappen auf Rostblech-Scheibchen.

»Kinderchen, ich leg mich ein bisschen in den Regen«, meinte Olchi-Oma. »Muss meinen müden Knochen dringend ein bisschen Ruhe gönnen. Die dauernde Esserei macht mich immer so schlapp.«

»Gute Idee, mein Stinkerchen«, meinte Olchi-Opa. »Ich bin dabei! Füße in der Pfütze baden, das tut gut und kann nicht schaden! Wenn ihr wollt, erzähl ich euch dabei eine kleine Geschichte. Hab ich euch schon mal erzählt, wie ich vor 300 Jahren …«

»Nein, Opa!«, riefen die anderen Olchis im Chor. »Bitte nicht schon wieder!« Olchi-Opas Geschichten kannten sie längst auswendig, und keiner wollte sie mehr hören.

»Ich brauche Ruhe, beim Hühnerich«, sagte Olchi-Mama und pupste ein bisschen. »So ein Nickerchen ist gut für die Verdauung!«

»Und was ist mit dir?«, rief sie Olchi-Papa zu. »Willst du dich nicht auch mit uns in den Regen legen?«

»Nein«, sagte Olchi-Papa. »Ich will lieber in meine Werkstatt und am neuen Kinderwagen für Olchi-Baby herumbasteln!« Das Olchi-Baby lag auf einem Müllsack, nuckelte an einer grauen Socke und sah sehr zufrieden aus.

Auch die beiden Olchi-Kinder hatten keine Lust auf ein Nickerchen.

»Beim Hühnerich, immer nur ausruhen ist doch furzlangweilig«, erklärte das eine Olchi-Kind. »Wir fliegen lieber mit Feuerstuhl herum!«

Olchi-Mama war einverstanden. »Ja, macht das. Der Drache braucht sowieso mehr Bewegung. Er liegt nur faul herum und schläft jetzt schon seit drei Tagen.«

 

Kurz darauf düsten die Olchi-Kinder auf Feuerstuhl durch den Schmuddelfinger Regen. Hoch zu den grauen Wolken ging es und zweimal um Schmuddelfing herum. Der Olchi-Drache stieß seine gelben Schwefelwolken aus und gab so kräftig Gas, dass die Drahthaare der Olchi-Kindern klapperten.

Als er einen doppelten Looping machte, kreischten sie vor Freude auf. Und weil das so viel Spaß machte, wollten sie noch ein bisschen weiter fliegen als nur bis nach Schmuddelfing.

»London wäre krötig!«, meinte das eine Olchi-Kind. »Da waren wir schon so lange nicht mehr!«

»Gute Idee, beim Hühnerich«, rief das andere Olchi-Kind. »Wir besuchen Paddock in seinem Gully-Büro! Mal sehen, was der gerade so treibt.«

Mister Paddock war ein englischer Olchi-Detektiv. Er war Spezialist für unlösbare Fälle und kannte in London viele wichtige Leute. Wenn etwas besonders Kniffliges zu lösen war, wandte man sich gern an ihn. Die Olchi-Kinder hatten ihn schon einmal besucht und ihm damals bei der Aufklärung eines interessanten Kriminalfalls geholfen.

Bis nach London war es ziemlich weit. Aber Feuerstuhl war frisch und ausgeruht und hatte nichts dagegen.

Stundenlang düsten sie hoch am Himmel dahin, und als sie endlich über dem Ärmelkanal waren, fingen sie doch an, sich ein bisschen Sorgen zu machen. Sie hatten ja ganz vergessen, wie schrecklich weit es bis nach London war! Kurz überlegten sie, ob sie nicht wieder umkehren sollten. Doch sie wollten nicht aufgeben und beschlossen, auch noch das letzte Stück zu fliegen.

Für Feuerstuhl war das kein Problem. Er war schon einmal in England gewesen und erinnerte sich genau. Sogar die Hazy Lane fand er sofort, die kleine Gasse, in der Mister Paddock sein Detektiv-Büro hatte.

Als sie gelandet waren, versteckten die Olchi-Kinder ihren Drachen hinter den Altglas-Containern an der Ecke.

»Warte hier auf uns, Feuerstühlchen«, sagten sie. »Wir kommen bald wieder!«

Das Detektiv-Büro von Paddock lag unterirdisch in einem Kanal. Um es zu erreichen, mussten sie erst mal in einen Gully klettern.

Kaum waren sie im Kanal, stieg ihnen wieder der herrlich moderige Geruch in die Knubbelnasen. »Wie schön hat er es hier!«, dachten sie und liefen durch die feuchten Gänge bis zu Mister Paddocks Büro.

Ohne anzuklopfen, traten sie ein.