Zwitschlilipüh!

Durch den hellgrauen Himmel eines frostigen Novembermorgens purzelte eine einzelne, verirrte, sehr kleine Schneeflocke kichernd Richtung Erde. Der kühle Nordwind blies sie ungeduldig vor sich her, wirbelte sie empor und sauste eilig weiter gen Süden, während das glitzerweiße Flöckchen nun lautlos hinabschwebte, geradewegs auf die Nase eines kleinen Litteljungen, der sich behutsam über ein verletztes Vögelchen beugte.

»Hatschi!«, nieste Flohling und rieb sich verwundert die Nasenspitze. Hatte da gerade eine Schneeflocke seine Haut gekitzelt? Er schob die blonde Haarsträhne, die einfach nicht zu bändigen war, unter seine Mütze und sah in den Himmel hinauf. Nein, das konnte nicht sein. Es schneite nicht in Litteldorf. Nur sehr selten lag eine dünne Schneedecke auf den Dächern des kleinen Waldortes. Weiter oben, in den anderen Litteldörfern, gab es durchaus weiße Winter, doch der Tannenwald und das Moor im Norden des Litteldorfes bildeten eine klare Wettergrenze, hinter die sich nur ausnahmsweise ausgewachsene Schneeflocken verirrten.

»Zwitschlilipüh!«, piepste das Vögelchen leise.

»Ach, du glaubst, dass es eine Schneeflocke war?«, wiederholte Flohling interessiert, was die Meise ihm gezwitschert hatte. »Da muss ich mal unseren Meteolittel Ferdinand fragen, ob in Winterdorf tatsächlich schon Schnee liegt. Als Wetterexperte müsste er das wissen. Vielleicht ist den Winterdörflern ein Flöckchen abhandengekommen.«

Die Meise zwitscherte erneut, diesmal klang es jedoch recht kläglich. Kein Wunder, schließlich hatte sie sich den Flügel verstaucht. Zum Glück war sie an Flohling geraten, den fröhlichen kleinen Litteljungen, der die Sprache der Tiere verstand. Mit geschickten Fingern verband er die zarten Federn und brachte die Meise zu ihrem Nest, in dem sie die nächsten Tage ruhen konnte, bis sie wieder flugbereit war.

Das Nest befand sich in der Krankenstube, einer großen Eiche, die vor Jahren von einem Blitz gespalten worden war. Um den ausgehöhlten Stamm herum hatte das fleißige Littelvolk eine wunderschöne Krankenstation gebaut, in der Flohling gemeinsam mit der Medilit versuchte, Wunden zu heilen und Schmerzen zu stillen. Flohling kümmerte sich um die Tiere, und die Medilit Liliana war die Ärztin der Littel. Wie alle Littel besaß auch sie ein einzigartiges Talent: Sie hatte die Gabe, Krankheiten zu erkennen und die richtigen Heilmittel zu erahnen. Dazu hatte sie als erfahrene Medilit inzwischen so viel Wissen über Medizin und Heilkräuter gesammelt, dass Flohling sehr froh war, bei ihr in die Lehre gehen zu dürfen. Denn sein Talent, Tiere zu verstehen, war wundervoll – doch er musste natürlich noch eine Menge lernen, um ihnen helfen zu können, wenn sie krank oder verletzt waren.

Flohling trat ein und legte die Meise in ihr Nest. Sogleich steckte sie ihren müden Kopf unter den gesunden Flügel und schlief ein. Flohling strich ihr noch einmal sanft über die Federn, dann wandte er sich zu Liliana, die gerade dabei war, einen dunkelgrünen Kräutersud in eine schmale Glaskaraffe zu gießen. Flohling schnupperte – es roch nach Rosmarin. »Wofür ist das gut?«, fragte er neugierig und sah Liliana staunend über die Schulter.

»Rosmarin ist eine altbekannte Heilpflanze«, erklärte die Medilit geduldig. Sie rieb ihre schmalen Hände an einem Handtuch trocken und hielt die Karaffe gegen das Licht. Die Flüssigkeit darin schimmerte goldgrün. »Sie wirkt beruhigend und schmerzstillend. Zudem löst sie Krämpfe und entspannt. Du kannst die Kräuter in Öl einlegen und bei Gelenkschmerzen die Haut damit einreiben. Aber auch Bäder mit Rosmarin, Salben oder Tinkturen können angerührt und vielfältig angewendet werden.«

Flohling lauschte aufmerksam. Er wollte alles lernen, um seinen Schützlingen helfen zu können. Seit er im Sommer endlich sein Talent erkannt hatte, konnte er nicht genug davon bekommen. Er lächelte, als er daran denken musste, wie schwierig es gewesen war, der einzige Littel im Dorf zu sein, der kein Talent hatte. Alle hatten ihn aufgemuntert und wollten ihm helfen, doch das Talent der Tiersprache war neu, kein Littel hatte es vor ihm jemals gehabt. Deshalb konnte es auch niemand erkennen. Flohling hatte sich mit seiner besten Freundin Lisbet auf eine lange Reise durch das große Littelland gemacht, um es zu entdecken. Wie hatten sich seine Eltern, Lisbet und die anderen Dorfbewohner mit ihm gefreut, als er endlich wusste, was seine Aufgabe war. Und welch ein Glück, dass sie ihm so viel Spaß machte!

Eine fellige, feuchte Schnauze schob sich in seine Hand. Flohling beugte sich lachend zu dem kleinen Mäuschen hinunter, das auf einer Kiste stand und mit den Pfoten gegen seine Hosenbeine drückte. »Fiep, fiep-fiep!«, piepste es heiser.

»Entschuldige bitte«, sagte Flohling und streichelte das Mäuschen kurz hinter den runden Ohren. »Natürlich bekommst du jetzt deinen Hustensaft. Danach musst du dich in deinem Nest am Waldrand einkuscheln und ausruhen, solange es geht. Versprochen?« Das Mäuschen fiepte zustimmend.

Flohling griff nach einer Pipette. Er drückte den kleinen Gummiballon am Ende des winzigen Glasröhrchens ein und hielt es in das Glas mit Hustensaft. Als er den Ballon losließ, strömte der Saft in das Röhrchen. »Mund auf«, sagte Flohling und hielt die Pipette über das Maul der kleinen Maus. Sie öffnete brav ihr Schnäuzchen, und Flohling tröpfelte eine klitzekleine Menge Saft auf die schmale rosa Mäusezunge – gerade so viel, wie eine Mäusemama brauchte, damit ihr Husten besser wurde. Die Maus nickte dankend und huschte zur Tür hinaus. »Und ausruhen!«, rief Flohling ihr nach. Dann seufzte er. Die Maus hatte in ihrem Nest fünf zappelige und hungrige Mäusebabys. Sicherlich würde es ihr schwerfallen, dort zur Ruhe zu kommen. Flohling nahm sich vor, am Abend noch einmal nach ihr zu sehen.

»Flohling, es ist sehr schön, dass du dich schon so früh am Morgen um die Meise gekümmert hast. Aber solltest du dich nicht besser auf den Weg zur Littelschmiede machen?«, fragte die Medilit. Flohling sah auf die Uhr.

»Ach, du liebes Mäuschen, ja!«, rief er erschrocken und griff hektisch nach seiner geringelten Mütze. Wo war nur die Ledertasche … ach, dort unterm Tisch. »Bis später!«, rief er und rannte los.

Dass du auch lernst, Flohling!

Die Schule, zu der Flohling mit eiligen Schritten hastete, lag ein kleines Stück außerhalb des Dorfes. Flohling hatte nur noch wenige Augenblicke, bis der Unterricht anfing. Schnaufend rannte er den schmalen Weg entlang bis zu der Lichtung, auf der das lange Schulhaus stand. Kleine weiße Wölkchen stoben aus seinem Mund, es war kalt in diesem November.

Die Schulglocke ertönte drei Mal – der letzte Ruf für die Spätkommer. Pünktlich war Flohling noch nie gewesen, doch er bemühte sich inzwischen sehr, rechtzeitig in der Schule zu sein, denn er wollte nichts verpassen. Die Littelkinder besuchten nach der Grundschule die Talentschmiede. Sie war in mehrere Klassen unterteilt: Es gab eine Handwerkerklasse, eine Kreativklasse, eine Pflanzenklasse, eine Wissenschaftsklasse und andere. Dort lernten die Littel, was sie für ihre Arbeit wissen mussten: Littel mit Schreinertalent erfuhren alles über Holz, Wäschereitalente über Wasser und Stoffe, Schmiedetalente über Feuer und Metall. Flohling und Lisbet besuchten gemeinsam die Pflanzenklasse. Dort studierten sie Pflanzen und ihre Wirkungen. Sie erfuhren, wie man sie im Feld anbaute und erntete, und natürlich auch, welche Pflanzen gefährlich und welche nützlich waren. Flohling bekam außerdem hin und wieder Einzelunterricht bei Liliana. Da es nur selten Medilits gab, wurde das Wissen um den Aufbau und das Zusammenspiel von Knochen und Muskeln und um den gesamten Körper von einem Littel zum nächsten weitergegeben.

Flohling schlüpfte kurz vor dem Lehrer durch die Tür und setzte sich rasch auf seinen Platz. Der gutmütige Gärtnerlittel Franz war ein älterer Bauer, der sich aufs Genaueste mit Kartoffeln auskannte. Flohling kräuselte unzufrieden seine Nase. Auf Kartoffeln hatte er gar keine Lust. Er hätte viel lieber mehr über Rosmarin gehört. Was konnten Kartoffeln schon bei verletzten Tieren bewirken? Während Franz ausführlich erzählte, dachte Flohling an die arme Meise. Vielleicht könnte man ihr noch besser helfen? Vielleicht gab es ja ein Kraut, das eine Verstauchung schneller heilen ließ …

»Flohling?«, rief Franz ihn auf.

Flohling hob den Kopf. Oje, er hatte nicht zugehört! »Ja?«, fragte er zögernd.

»Was bedeutet es, wenn eine Kartoffel an einer Stelle grün ist, und was sollte ein vernünftiger Littel damit machen?«

Flohling überlegte kurz und antwortete: »Eine grüne Kartoffel ist noch nicht reif. Sie sollte wieder eingepflanzt werden, damit sie weiterwachsen kann.«

Einige Littel kicherten. Der Lehrer runzelte die Stirn. »Leider nicht, Flohling. Grüne Stellen an Kartoffeln sind giftig. Sie haben beim Wachsen Sonnenlicht abbekommen, deshalb hat sich Gift in ihnen gebildet. Ein vernünftiger Littel würde sie wegwerfen.«

»Oh«, machte Flohling und wurde rot. »Das ist für mich nicht so wichtig, ich werde ja niemals Kartoffeln ernten.«

Franz lächelte. »Nein, ein Gärtnerlittel bist du nicht. Aber Kartoffeln sind auch für Medilits wichtig: Sie können gegen Mückenstiche helfen. Bei Magenschmerzen tun sie gut, ebenso wie Kartoffelsaft. Und sollte sich ein Littel etwas verstaucht haben …«

Flohling spitzte die Ohren.

»… dann hilft geriebene Kartoffel mit etwas Milch vermischt, die man als Brei auf die Stelle streicht.«

Flohling strahlte. »Das ist ja unglaublich. Hast du zufällig eine dabei?«

»Was, bitte?«, fragte Franz verdutzt.

»Eine Kartoffel«, rief Flohling begeistert. »Ich habe da gerade eine Verstauchung, und wenn ich jetzt rasch hingehe und …«

Franz schmunzelte. »Nein, Flo, ich habe keine Kartoffel dabei, wir untersuchen sie erst morgen. Du musst außerdem heute Vormittag hierbleiben, denn du hast ja soeben bemerkt, dass du noch eine Menge lernen kannst, nicht wahr?«

Flohling lachte. »Ja, tut mir leid, ich bin wohl zu eifrig«, sagte er und bemühte sich, von nun an gut zuzuhören.

 

Der Vormittag ging rasch vorüber, und als die Schulglocke läutete, liefen Flohling und Lisbet gemeinsam zum Dorf zurück.

»Hast du das mit den Kartoffeln gewusst?«, fragte Flohling neugierig.

Lisbet nickte und zog ihre Mütze tiefer über die langen blonden Haare. »Natürlich. Ich habe es auch schon gerochen, wenn ich eine grüne Kartoffel in der Hand hielt.«

»Das kann man riechen?«, rief Flohling erstaunt aus.

Da brach Lisbet in Lachen aus. »Du nicht, Flohling, leider. Kräutertalente können es, ebenso wie Gärtnertalente und andere Pflanzenlittel. Aber du kannst die grüne Schale sehen, Flo!«

»Ach ja«, sagte Flohling. »Ich probiere den Brei nachher gleich an der armen Meise aus. Ich frage mich, ob die Medilit das weiß …«

Lisbet hängte sich bei Flohling ein. Sie zitterte und blies ihren warmen Atem in den Schal, um die eiskalte Nasenspitze zu wärmen. »Ich finde es toll, dass wir in einer Klasse sind und dieselben Dinge lernen«, sagte sie.

Flohling lächelte. »Ich auch.«

»Kommst du nachher zum blauen See?«, fragte Lisbet. »Einige Littel wollen nachsehen, ob er schon zugefroren ist.«

»Klar«, versicherte Flohling. »Vielleicht können wir bald Schlittschuh laufen, das wäre toll!«

Sie verabschiedeten sich und gingen zu ihren Elternhäusern, aus denen es bereits köstlich duftete.

 

Flohling knurrte der Magen, als er die schwere Holztür aufschob. Sofort schoss der kleine Hausvogel Pilfink auf ihn zu, landete auf seiner Schulter und schmiegte sich glücklich an Flohlings Hals. Der Littel streichelte ihm sanft über das weiße Gefieder.

»Hallo!«, rief er danach fröhlich und warf seine Tasche unter die Garderobe. Stiefelchen und Jacke flogen hinterher.

»Na, na, das geht auch ordentlich«, mahnte eine dunkle Stimme.

Flohling sah überrascht auf. Am Esstisch saß neben seinen Eltern heute noch ein anderer Littel: Grantel. Er war einer der Schutzlittel des Dorfes. Und leider immer schlecht gelaunt. Flohling kannte ihn gar nicht anders.

»Guten Tag, Grantel«, sagte er nun höflich und setzte sich möglichst ruhig an den Tisch.

»Und seine Mütze setzt man heutzutage auch nicht mehr ab, wie?«, brummte Grantel mürrisch.

Sofort zog Flohling die Mütze vom Kopf und hängte sie über die Stuhllehne. »Das habe ich ganz vergessen. Vielen Dank, dass du mich darauf hingewiesen hast, Grantel«, sagte er wieder höflich. Dabei schlich sich ein kleines Grinsen in seinen Mundwinkel, denn so viel schlechte Laune war wirklich zu komisch. Seine Mama Sara warf ihm einen dankbaren Blick zu. Sie hatte Flohling schon oft gebeten, nett zu Grantel zu sein. Der alte Littel lebte allein, seit seine Frau vor einigen Jahren gestorben war, und er hatte wenig Freunde. »Auch die Griesgrame dieser Welt brauchen Hilfe und Freundschaft«, hatte sie stets gesagt. Flohling hatte zwar das Gefühl, dass Grantel seine Freundschaft gar nicht wollte, aber er erfüllte seiner Mama gern ihren Wunsch. Er selbst hatte immer so viel Glück und Freude im Bauch, davon konnte er ruhig etwas abgeben. Darum fragte er auch: »Was gibt es zu schützen, Grantel?« Sicher würde der mürrische Littel sich freuen, von seiner Arbeit zu erzählen.

Und es stimmte. Grantel hielt einen langen Vortrag darüber, wie er die Vorräte schützte, was er gegen gefährliche Tiere tat und welche Brücke er ausbesserte.

Das war ja sicher alles sehr wichtig, doch Flohlings Gedanken waren schon längst wieder bei der kleinen Meise. Er musste unbedingt eine Kartoffel mitnehmen, wenn er gleich zur Krankenstube ging.

»Flo, mein Schatz, hast du viele Hausaufgaben auf?«, fragte seine Mama plötzlich.

Oje, das hatte er vergessen!

»Hm, ein paar«, überlegte Flohling. »Ich mache sie am besten bei Liliana, sie kann mir weiterhelfen, wenn es nötig ist.«

Sein Papa Arve zog die dunklen Augenbrauen zusammen. »Dass du mir auch lernst und nicht nur mit den Tieren sprichst, ja?«

Flohling lächelte brav. »Versprochen. Darf ich jetzt aufstehen?«

Seine Mama nickte, und Flohling erhob sich. »Auf Wiedersehen, Grantel«, sagte er freundlich, der Littel murmelte jedoch nur »Jaja« in seinen Bart.

Flohling hielt schnell seine Hand über Pilfink, denn er hörte, dass der kleine Vogel sich zwitschernd über den unhöflichen alten Littel aufregte und ihm zu gern in die Nase picken würde. Leise flüsterte er Pilfink beim Hinausgehen zu: »Lass das lieber, sonst schimpft er noch auf dich, und dann muss ich ihm die Littelohren langziehen!« Da kicherte sein Vogel vergnügt und schüttelte Grantels schlechte Laune rasch aus seinem Federkleid.

Flohling muss sich um so viel kümmern!

Pfeifend hüpfte Flohling zur großen Eiche hinüber und jonglierte dabei mit der Kartoffel, die er eingesteckt hatte. Er versuchte, das Zwitschern der Meise nachzuahmen, merkte jedoch, dass es ihm nicht gelang, und lachte leise über sich selbst, während er die Tür zur Krankenstube öffnete.

»Gut, dass du kommst«, begrüßte Liliana ihn hektisch. »Der kranke Marder hinterm Haus versteht nicht, warum er hierbleiben soll, und die Meise flattert viel zu viel herum. Sprichst du bitte mit ihnen?« Sie drehte sich sogleich wieder zu dem kleinen Littelkind, das mit ängstlichem Gesicht zusah, wie Liliana die Kratzer auf seinem Arm abtupfte. »Ich muss jetzt etwas Salbe auf deinen Arm streichen«, erklärte Liliana dem schniefenden Jungen. Der schluchzte erschrocken auf.

Flohling zwinkerte ihm zu. »Hallo, Henri. Wenn du gleich fertig bist, könntest du mir dann helfen, die Meise zu versorgen? Ich brauche jemanden, der den Verband festhält.«

Der kleine Litteljunge hörte sofort auf zu weinen und riss die Augen auf. »Ehrlich?« Er nickte Liliana tapfer zu und sagte: »Mach nur, ich halte das schon aus. Aber schnell, bitte.«

Liliana schmunzelte und beeilte sich, Henri zu verarzten.

Flohling rieb derweil die Kartoffel, die er mitgenommen hatte, und vermischte sie mit etwas Milch.

»Das war’s. Nun flitz hinüber zu unserem Tierdoktor«, sagte Liliana schließlich.

Henri sauste los. Alle Littelkinder waren nur zu gern dabei, wenn Flohling seine Schützlinge versorgte.

»Da bist du ja«, sagte Flohling, der gerade mit der Meise geredet hatte.

Henri sah ihn staunend an. »Ich dachte, du sprichst die Vogelsprache«, sagte er.

Flohling schüttelte den Kopf. »Nein. Ich kann sie verstehen. Aber wenn ich zu den Tieren spreche, rede ich wie ein Littel. Das verstehen sie gut.«

»Und wenn ich etwas sage?«, wollte Henri wissen.

»Die Tiere ahnen meistens, was ihr von ihnen wollt«, erklärte Flohling. »Doch meine Worte hören sie klarer. Sie sagen, es ist für sie, als würden andere Littel fürchterlich nuscheln.«

Henri lachte. Er hielt den Verband, den Flohling nun vom Flügel der Meise abwickelte, sehr gewissenhaft fest und reichte ihn Flohling wieder, nachdem dieser den Brei auf die verstauchte Stelle gestrichen hatte.

Dann sagte Henri mit sehr langsamer und lauter Stimme: »Ab jetzt musst du dich schön ausruhen!«

Die Meise blickte ihn verdutzt an, schüttelte ihren Kopf und steckte ihn unter den heilen Flügel.

Flohling lachte auf. »Das war lieb, Henri, aber taub ist sie nicht.«

Henri grinste und verabschiedete sich, als Flohling hinters Haus ging, um mit dem Marder zu sprechen. Das war ihm dann doch zu unheimlich.

Flohling hatte keine Angst. Tiere, die merkten, dass er sie verstand, waren stets nett zu ihm. Auch vor den Tieren, die größer waren als er, fürchtete er sich nicht. Er wusste, dass sie ihm niemals etwas antun würden. Flohling beruhigte den aufgeregten Marder und brachte ihn dazu, sich wieder in das mit Heu ausgepolsterte Fass zu verkriechen.

»Du musst noch ein oder zwei Tage ruhig liegen, damit dein Magen sich wirklich erholen kann«, sagte Flohling. »Dann kannst du wieder herumtollen und alles fressen. Gut?« Der Marder nickte erschöpft und schloss die Augen.

Danach half Flo einer Taube und einem Hamster. Außerdem rührte er mit Liliana Medizin an, bereitete Verbände und Pflaster vor und schrieb auf, was heute geschehen war. Als es erneut an die Tür klopfte, war es draußen bereits dunkel.

»Herein!«, rief Flohling.

Es war Lisbet. »Hallo, Flo«, sagte sie. »Wo warst du denn? Wir wollten uns doch am blauen See treffen.«

Flohling schlug sich gegen die Stirn. »Ach je, das habe ich ganz vergessen. Ich musste mich hier um so viel kümmern!«

Lisbet stemmte die Hände in die Hüften. »Ja, Flohling Littel, aber vergiss lieber nicht, dich auch um deine Freundin zu kümmern. Die könnte sonst ganz schön wütend werden.«

Flohling grinste. »Na, dann mache ich jetzt besser eine heiße Nussmilch, um sie zu versöhnen, wie?«

»Das ist eine ganz hervorragende Idee«, erwiderte Lisbet.

 

Die Nussmilch rührte Flohling bei Lisbet zu Hause an, weil sie Weihnachtsvorbereitungen erledigen wollte.

»Weihnachten?«, fragte Flohling überrascht. »Das ist doch noch ewig weit weg.«

Lisbet schüttelte den Kopf. »Ich habe Kräuter getrocknet, das musste ich im Sommer machen, als sie schön gewachsen waren. Und jetzt müssen sie zerkleinert werden, denn ich möchte Tee verschenken.«

Das fand Flohling spannend. »Ich helfe dir gleich«, versprach er. Zuerst ging er jedoch in die Küche, um die Nussmilch zu kochen.

»Hallo«, sagte er zu Lisbets Papa, der am Küchentisch saß und seine Zeichnungen studierte. Er war ein Baulittel und schien etwas Interessantes zu planen. Neugierig spitzte Flohling über seine Schulter. »Was ist das, Lungo?«

Lisbets Papa erschrak, so vertieft war er in seine Zeichnungen. Dann erkannte er Flohling und lächelte. »Ach, du bist es, Flo. Kannst du ein Geheimnis bewahren?«

»Bis hin zu den Bergen und wieder zurück«, versicherte Flohling und legte zwei Finger quer über die Stirn. Das war das Zeichen für den Littelschwur.

Lungo nickte zufrieden. »Ich bin als Baulittel dieses Jahr für die große Weihnachtsüberraschung zuständig. Ich plane den größten Baum seit Littelgedenken. Er wird alle Häuser überragen, wir werden seine Spitze kaum sehen können, so hoch soll sie sein.« Er sah Flohling erwartungsvoll an. »Ist das nicht grandios?«

Flo legte den Kopf schief. »Schon …«, sagte er zögerlich. Ihm war noch gar nicht weihnachtlich zumute. »Aber wenn er umfällt …«

Lungo klatschte begeistert in die Hände. »Exakt! Genau dafür bin ich zuständig. Wer könnte einen Baum sicherer aufstellen als ein Baulittel?« Er strich sich pflichtbewusst die Ohren glatt.

Flohling zuckte mit den Schultern und fragte: »Ich mache eine Nussmilch für Lisbet und mich, möchtest du auch eine?«

Lungo seufzte. »Ein Lupinenkaffee wäre mir lieber, der ist nicht so süß. Würdest du den für mich kochen? Die Samen liegen in der braunen Dose, du musst sie nur noch mahlen.«

Flohling nickte eifrig. Er liebte es, Kaffeemühlen zu drehen! Rasch hatte er die Dose entdeckt und griff hinein. Drei Handvoll Bohnen würden sicher genügen, beschloss er, schüttete sie in die Kaffeemühle und kurbelte, was das Zeug hielt. Dann gab er das Pulver in eine Tasse und goss heißes Wasser darüber. Während der Kaffee zog, erwärmte er die Nussmilch für Lisbet und sich und stellte zwei Becher bereit. Als er die Milch hineingefüllt hatte, goss Flohling noch rasch den Kaffee durch ein Sieb in eine kleine Tasse und stellte sie Lisbets Papa auf den Tisch neben die Zeichnungen.

»Danke«, murmelte Lungo gedankenversunken.

Flohling ging mit den Bechern in Lisbets Zimmer und reichte seiner Freundin die dampfende Nussmilch.

»Danke schön«, sagte sie, setzte sich auf ihr Bett und nahm genüsslich einen ersten Schluck. »Lecker«, fand sie.

Plötzlich hörten sie ein kräftiges Husten.

»Ist dein Papa erkältet?«, fragte Flohling erstaunt.

Da ging auch schon die Tür auf, und Lungo steckte seinen hustenden Kopf hinein. »Flo, bitte nächstes Mal etwas weniger Pulver in die Tasse«, sagte er röchelnd.

»Oh«, sagte Flohling, »gern. Aber er ist nicht süß, oder?«

Lisbets Papa hielt kurz inne und lachte dann vergnügt. »Nein, in der Tat, das ist er nicht. So einen unsüßen Kaffee hatte ich noch nie. Du schaffst es doch immer, die guten Seiten an allem zu sehen, Flohling!« Er räusperte sich erneut und schloss die Tür.

Lisbet kicherte. »Wie viel Kaffee hast du denn genommen?«

»Drei Handvoll«, sagte Flohling.

Da kullerte Lisbet vor Lachen von ihrem Bett.

Flohling zuckte nur mit den Schultern. Es passierte ihm öfter, dass die Littel über seine Missgeschicke lachten, aber das machte ihm nichts. Er wusste, dass sie es nicht böse meinten, er fand es meist selbst sehr lustig.

Nun zeigte Lisbet ihm, was mit den getrockneten Kräutern zu tun war. »Du zupfst oder streichst die Pfefferminze von den Stängeln in diese Schüssel. Danach reibst du sie zwischen den Fingern noch etwas kleiner.«

Flohling machte sich ans Werk. Und bestaunte dabei, wie geschickt seine Freundin die Kräuter auf einem kleinen Stück Stoff anrichtete, das sie anschließend mit einem Band zu einem Teebeutel zusammenband.

»Das sieht toll aus«, lobte er.

»Danke«, freute sich Lisbet. »Ich werde kleine Papierboxen basteln, in die ich sie hineinlege.« Sie strich sich über die Stirn. »Meine Güte, es ist echt warm hier drin.«