image

image

Ren Hurst

Die heilende Kraft
der Pferde

Mein Weg zu Vertrauen,
Hingabe und bedingungsloser Liebe

Aus dem Amerikanischen von
Astrid Ogbeiwi

image

Brandheiße Infos finden Sie regelmäßig auf:
www.facebook.com/AMRAVerlag

Besuchen Sie uns im Internet:
www.AmraVerlag.de

Amerikanische Originalausgabe:
Riding on the Power of Others.
A Horseman’s Path to Unconditional Love

Deutsche Erstausgabe im AMRA Verlag

Auf der Reitbahn 8, D-63452 Hanau

Hotline: + 49 (0) 61 81 – 18 93 92

Service: Info@AmraVerlag.de

Herausgeber & Lektor

Michael Nagula

Einbandgestaltung

Guter Punkt

Layout & Satz

Birgit Letsch

Fotos im Innenteil

Brandy Setzer & Ren Hurst

Druck

CPI books GmbH

ISBN Printausgabe 978-3-95447-277-2

ISBN eBook 978-3-95447-278-9

Copyright © 2015 by Ren Hurst. All rights reserved.

Copyright © 2019 der deutschen Lizenzausgabe by AMRA

Zum Schutz der Privatsphäre der beteiligten Personen wurden einige Namen in diesem Buch geändert.

Alle Rechte der Verbreitung vorbehalten, auch durch Funk, Fernsehen und sonstige Kommunikationsmittel, fotomechanische, digitale oder vertonte Wiedergabe sowie des auszugsweisen Nachdrucks.

Im Text enthaltene externe Links konnten vom Verlag nur bis zum Zeitpunkt der Buchveröffentlichung eingesehen werden.

Auf spätere Veränderungen hat der Verlag keinerlei Einfluss.

Eine Haftung des Verlags ist daher ausgeschlossen.

Inhalt

Vorwort

In Dankbarkeit

1Ein Traum in Schwarzweiß

2Fancy – So ein Schmerz

3Tritt, bis du gewinnst

4Die Ranch Lerneviel

5Reiten ist nicht pferdegerecht

6Pferde-»Wissenschaften«

7Die Lektion des Buddha

8Seine Seele kann man nicht verkaufen

9Kein Gebiss, keine Sporen, keine Hufeisen

10Große Hoffnungen

11Der Weg offenbart sich

12Die Befreiung

13Die Todes-Karte

14Hellwach

15Bedingungslos

16Gute Schokolade

17Macht & Verantwortung

18Ernährungs-Evolution

19Pferdegestützte Seelenhilfe

20Sanctuary

Die Autorin

Für Annie

Und in liebevoller Erinnerung an

Philippe Bertaud,

der meine Seele auf ewig berührt

und mir vergegenwärtigt hat,

dass ein Leben ohne Leidenschaft

und Freude kein Leben ist.

Vorwort

Es ist etwas Wunderbares, ein gutes Buch zu lesen. Ich mag es einfach, wenn eine Geschichte mich mitreißt, wenn ich sie erlebe, als wäre ich eine ihrer Figuren, und wenn ich sie nachempfinden kann, als wäre der Weg dieser Figur mein eigener. Genau dies ist geschehen, als ich Die heilende Kraft der Pferde gelesen habe. Ich konnte es nicht aus der Hand legen.

Außerdem hatte ich zufälligerweise das Glück, zum großen Teil mitverfolgen zu können, welch wunderbare Wandlung im Leben der Verfasserin eingetreten ist, während sie dieses Buch geschrieben hat. Ich kann Ihnen sagen, dass sich während des gesamten Prozesses ihr Wille, für andere etwas zu bewirken, nur noch verstärkt hat, weil sie ihre Absicht nun noch klarer und zielsicherer verfolgt. Obwohl Ren und ich uns erst vor wenigen Monaten kennengelernt haben, spürte ich gleich, dass diese Bekanntschaft sich positiv auf mein Leben auswirken würde. Bei der Lektüre ihres Manuskripts hat sich dieses Gefühl noch vertieft. Ich bin überzeugt, Sie werden feststellen, dass es auch auf Ihr Leben eine ganz ähnliche Auswirkung hat.

Einige meiner Lieblingsbücher sind genauso geschrieben wie dieses hier. Es sind Geschichten über persönliches Wachstum, erzählt von Menschen, die die Bereitschaft und den Mut besitzen, ihr Leben vor aller Augen zu ändern, selbst wenn dies unangenehme Aufmerksamkeit mit sich bringt. Ich lese sehr gerne Schriftsteller, die sich danach sehnen, innerlich zu wachsen, ungeachtet aller »Stock und Stein«-Momente, die sie dabei überstehen müssen. Das kurze Unbehagen, das durch die negativen Meinungen anderer möglicherweise ausgelöst wird, auszuhalten ist allemal besser, als die Chance zu verpassen, die echte Veränderung mit sich bringt. Dennoch müssen wir alle selbst entscheiden, ob wir dieses Risiko eingehen wollen, und entweder wir vollziehen die Veränderung oder nicht. Beide Möglichkeiten haben vorhersehbare Folgen – wählen Sie weise.

Ren erkannte ihre erlernten Überzeugungen und ging sie mit Mitgefühl sowie der Bereitschaft an, auch andere Meinungen gelten zu lassen. Wie allen großen Denkern war auch ihr klar, dass es nicht darum geht, ob andere »recht« oder »unrecht« haben, sondern darum, die eigene Wahrheit zu finden. Gerade so wie es Mut erfordert, etwas im Leben zu verändern, braucht es auch Mumm, ein solches Buch zu lesen. Es ist gut möglich, dass dieses Buch einige Ihrer solidesten Überzeugungen in ihren Grundfesten erschüttert.

Ren überprüfte nicht nur ihr Denken, sondern sie fing auch an, ihrer Intuition und ihren Einsichten in neue Möglichkeiten für ihren Lebensweg zu vertrauen und zu folgen, selbst wenn dadurch alles in Frage gestellt wurde, was ihr bisher heilig gewesen war. Damit will ich nicht sagen, dass dies ein einfacher Prozess war oder ist (für Ren war es eindeutig nicht so, wie Sie noch entdecken werden). Doch gerade diese Erkenntnisse und diese Bereitschaft, alles zu hinterfragen, was wir für gesichertes Wissen halten, stoßen die Tür zu einem größeren Leben auf. Wenn unsere Weltanschauung sich ändert, funktionieren viele gewohnte Denkmuster einfach nicht mehr. Ganz gleich, wie lange die Menschheit an einer bestimmten Überzeugung festgehalten haben mag, wenn die Zeit zur Veränderung gekommen ist, ist jeder Widerstand zwecklos. Den Mut zu haben, bis zum Äußersten zu gehen und seine Überzeugungen zu erweitern – oder sie endgültig loszulassen –, darum geht es in Rens Geschichte.

Vielleicht finden Sie auf diesen Seiten Gelegenheit zur Veränderung. Sie sind eingeladen, nicht nur Ihre erlernten Überzeugungen zu erkennen, sondern auch festzustellen, ob das, was Sie gelernt haben, Ihnen heute noch entspricht. Wenn nicht, dann fangen Sie gleich an, Neues zu lernen.

Es ist nicht die Absicht der Verfasserin, jemandem das Gefühl zu vermitteln, er habe etwas »falsch« gemacht, weil er sein Leben so lebt wie bisher. Vielmehr will sie uns ermutigen herauszufinden, wie das Leben sein könnte, wenn wir Veränderungen begrüßten und Antworten auf immer größere Fragen sowie Möglichkeiten suchten, größer zu sein und zu werden – nicht nur im Verhältnis zu uns selbst, sondern zu allen Lebewesen, mit denen wir hier auf Erden verbunden sind.

Bitte denken Sie bei der Lektüre dieses Buches oder überhaupt bei jedem Prozess, den Sie im Leben durchlaufen, daran, mit den Augen der Liebe und des Mitgefühls zu sehen. Seien Sie bereit, das Urteilen, das zu Verachtung führt und niemandem dient, loszulassen. Die Folgen des Urteilens sind vorhersehbar, schmerzlich und zwecklos. Entscheiden Sie sich einfach immer wieder für die Liebe. Dies ist die höchste Wahl, die ein Wesen treffen kann. Wenn ich dieses Buch mit einem Zitat zusammenfassen müsste, dann vielleicht mit dem folgenden, das Jimi Hendrix zugeschrieben wird: »Wenn die Macht der Liebe die Liebe zur Macht übersteigt, erst dann wird die Welt endlich wissen, was Frieden heißt.« Ren lädt uns ein, die Macht der Liebe statt die Liebe zur Macht anzunehmen. Ihre Beziehung zu Pferden hat ihr die heilende Kraft und das wahre Potenzial bedingungsloser Liebe gezeigt. Viele dieser Pferde helfen ihr heute bei ihrer Heilarbeit nicht nur für andere Pferde, sondern auch für Menschen.

Es ist inzwischen eine meiner liebsten Tätigkeiten, den Tag auf Rens Gnadenhof zu verbringen. Die bedingungslose Liebe, die ich dort finde, heitert mich auf. Jetzt, da ich ihr Buch gelesen habe und verstehe, welchen Weg sie auf sich genommen hat, um die Liebe zu finden, die schon immer in ihr war, weiß ich sie nur umso mehr zu schätzen.

Nun sind Sie an der Reihe. Ich hoffe, dass ihr Buch Sie genauso tief berührt, wie es mich berührt hat.

In Liebe

J. R. Westen

zertifizierter Suchtberater

J. R. Westen ist geschäftsführender Direktor der Conversations with God-Stiftung in Ashland, Oregon. Außerdem ist er Kuratoriumsmitglied der Stiftung New World Sanctuary.

In Dankbarkeit

Obwohl es vorab lebenslanger Erfahrung bedurft hat, wurde dieses Buch doch innerhalb von nicht einmal neunzig Tagen geschrieben und von einem Verlag angenommen. Wenn in meinem Leben so etwas geschieht, habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass ich selbst damit nur sehr wenig zu tun habe. Dies ist zwar vielleicht meine persönliche Geschichte, doch ihre Botschaft gilt für uns alle, und in tiefster Dankbarkeit verneige ich mich insbesondere vor den Pferden – dafür, dass sie Glück, Bequemlichkeit und sogar ihr Leben für alte Freuden und für etwas geopfert haben, was, wie ich inzwischen hoffe, unsere Evolution werden wird.

Diese Geschichte wäre nicht möglich ohne die Lektionen aus meiner Kindheit oder die unerschütterliche Unterstützung durch meine Familie. Auch wenn sie an meiner geistigen Gesundheit zweifeln, hat mich doch nie jemand von der Verwirklichung meiner Träume abhalten wollen. Dafür, und auch dafür, dass sie mich zu der starken, resilienten Frau gemacht haben, die ich heute bin, danke ich ihnen unendlich. An alle Freunde und früheren Kunden zu Hause in Texas, die sich mit einer Unmenge unbequemer Veränderungen arrangiert haben: Dieser Dank geht auch an euch.

Die Arbeit an diesem Buch war – insbesondere, wenn man bedenkt, wie lange ich sie hinausgezögert und vor mir hergeschoben habe – zuweilen ein überwältigendes Unterfangen. Ein riesiges Dankeschön möchte ich Sas Petherick sagen, die mich von Anfang bis Ende gecoacht hat; außerdem Brenda Peck und Diane »Kleiner Saturn Großer Baum« Saturnino, die unterdessen jedes Wort gelesen und mir aus ihrem großen, bedingungslosen Herzen sofort Unterstützung zugesprochen und Feedback gegeben haben; darüber hinaus Jackie Scott, der mir ein absoluter Engel und Freund war, als ich ihn am meisten brauchte.

Es macht mich sprachlos, wie schnell und leicht es gehen kann, ein Buch zu schreiben und zu veröffentlichen, wenn alles stimmt. Mit großer Bescheidenheit und Wertschätzung danke ich dem Team bei Vegan Publishers für ihr Interesse an meiner Geschichte und dafür, dass ich in einem derart großen Rahmen Pferden eine Stimme geben darf. Für mich erfüllt sich damit ein Traum, und Sie haben es mir absolut leicht gemacht. Danke allen, die mir dabei sehr wertvolles und großzügiges Feedback gegeben haben. Ein ganz besonderes Dankeschön an Sie, J. R. Westen, für Ihr Vorwort zu diesem Buch, für Ihre Anregung, meinem Werk tatsächlich die Zügel schießen zu lassen, und dafür, dass Sie an mich geglaubt haben.

Danke allen von früher und heute, die sich die Zeit genommen haben, mich in der Pferdepflege auszubilden, mich an ihrem Wissen teilhaben zu lassen und meinen Horizont in vieler Hinsicht zu erweitern. Ich bin sehr dankbar für jeden Menschen, dem ich auf diesem Weg begegnet bin, sowie für alles, was sie zu dieser erstaunlichen Reise und meinem persönlichen Wachstum beigetragen haben.

An Alexander und Lydia Nevzorov – ich bin euch auf ewig dankbar für euren Einfluss auf mich und die Pferde, die ich liebe. Euer unerschütterlicher Einsatz für das, was ihr als wahr erkannt habt, hat das Bild der Welt von Pferden und von der Beziehung zwischen Pferd und Mensch stark beeinflusst. Ich werde immer mit ganzer Kraft für die Pferde-Revolution eintreten, mit großem Respekt für alles, was Ihr geleistet habt. Dieser Dank muss auch meine liebe Freundin Stormy May einschließen, durch deren wunderbaren Dokumentarfilm Der Weg des Pferdes ich von den Nevzorovs erfahren habe. Danke euch allen dafür, dass ihr den Weg geebnet habt.

Nichts hat mich im Leben positiver beeinflusst als meine Zeit auf der High-Hope-Ranch und die förderlichen Verbindungen, die ich dort aufgebaut habe. Ihr heiliger Boden, die geschützte Umgebung, in der ich lernen durfte, und die Geborgenheit durch das Wissen, dass ich hier zu Hause bin, haben mein Denken und Empfinden in einer Art und Weise erweitert, wie ich es mir nie hätte vorstellen können, und dies mit einer Geschwindigkeit, die manche als bemerkenswert bezeichnen würden. An Krystyna, Chandler und Dharma – ihr habt mein Leben verändert und die Inspiration zu alledem gegeben, was ich bin und noch werde. Ich liebe euch und bleibe euch in tiefster Dankbarkeit verbunden.

Dank schließlich der Frau, die mein Herz der bedingungslosen Liebe geöffnet hat – meiner ersten wahren Partnerin im Leben, meiner allerbesten Freundin Brandy Setzer. Nur durch dich habe ich mich gefunden. Du hast mich mit der wahrsten Liebe, mit der innigsten Freundschaft zwischen zwei Menschen gesegnet; und dies zuzulassen, hat mir über alle Grenzen hinweg Mut gegeben. Ohne deine unerschütterliche Unterstützung wäre nichts von alledem möglich gewesen. Danke, dass du mich als die liebst, die ich bin, auch wenn es nicht einfach ist. Ich werde dich bis in alle Ewigkeit ganz genauso lieben.

image

Ren Hurst

image

EINS

image

Ein Traum in Schwarzweiß

»Ein Pferd ist die Projektion der Träume der Menschen von sich selbst – stark, mächtig, schön –, und es besitzt die Fähigkeit, uns einen Ausweg aus unserem Alltagsdasein zu eröffnen.«

Pam Brown

»Schon seine bloße Anwesenheit ließ die Zeit stillstehen. Als er aus der Dunkelheit trat, schlugen mir die Stärke und die Kraft seiner schieren Essenz in Wellen entgegen. Jedes einzelne Haar an meinem Körper stellte sich auf. Mein Herz pochte. Alle Stimmen verschwanden, und an ihre Stelle trat die Konzentration, die sich augenblicklich einstellt, wenn es ums Überleben geht. In seiner Nähe war es, als lebte man in Zeitlupe. Wie die Erde bei jedem Auftreten vom Boden stob. Wie sein Fell noch im fahlsten Licht glänzte. Wie stolz er seine Mähne fliegen ließ und den Kopf hochwarf, als ob sich ihm in diesem Leben kein Hindernis in den Weg stellen könnte, das er nicht mit wildem Mut angehen würde. Er war ein Hengst. Stolz und kühn neigte er den Hals und blähte die Nüstern, als er entschlossen auf mich zukam. Er forderte mich heraus. Ich spiegelte ihm seine Sprache, und mit bis zum Hals pochendem Herzen nahm ich seine Einladung an …

Der Traum endete mit Herzrasen. Nur selten erhalte ich im Schlaf klare Botschaften, doch ich war mir einfach sicher, dass dieser Traum ein Versprechen war, dass ich bekommen würde, was ich mir verzweifelt wünschte – ein Pferd, das zusammen mit mir in der Weiterentwicklung des respektvollen Umgangs mit dem Pferd Schlagzeilen machen würde. Ich war bereit, meine Fähigkeiten und meine Erfahrung als Pferdeausbilderin auf die Ebene zu heben, von der ich mir immer schon vorgestellt hatte, dass ich sie erreichen könnte; und ich hatte das Gefühl, ein schwarzweißer Hengst für meine Stute würde mich dorthin bringen. Seit Wochen sah ich mich in Gestüten nach dem perfekten Pferd um, das meine Stute Velvet decken könnte. Schließlich hatte ich mich für ein beeindruckendes schwarzweißes National Show Horse entschieden, ein auffälliger Schecke, eine Kreuzung zwischen Araber und American Saddlebred mit 1,78 Metern Stockmaß. Ich stellte mir vor, mein Traum sei ein erster Hinweis auf das künftige Hengstfohlen und ein sicheres Anzeichen dafür, dass Velvet ein Hengstfohlen für mich entbinden würde, aber auf das, was mir tatsächlich bevorstand, war ich nicht vorbereitet.

Immer noch ein wenig erschüttert und mit nicht ganz wachen Augen setzte ich mich an meinen Computer, um die morgendlichen eMails durchzusehen. Die erste Nachricht in meinem Posteingang kam von einer meiner Hufpflege-Kundinnen und hatte einen Anhang: ein Foto von einem schwarzweißen Hengst, der dringend meine Hilfe brauchte. Damals konnte ich es noch nicht begreifen, aber soeben war die Karte »Der Tod« zu meinen Gunsten gezogen worden. (Fortsetzung in Kapitel 13.)«

Mein erstes Pferd war eine halbgelungene Überraschung von meiner Mutter zu meinem zwölften Geburtstag. Ich trat aus der Tür unseres Hauses in einem sehr bürgerlichen Wohngebiet und entdeckte im Vorgarten ein junges Fuchsfohlen, das gesattelt und mit den Zügeln an einen Baum gebunden war.

Katy Bug war ein dreijähriges, als Rennpferd gezüchtetes Quarter-Horse-Fohlen und als Erstpferd für ein unerfahrenes Mädchen wahrscheinlich die denkbar schlechteste Wahl. Entgegen ihrer Behauptung verstanden meine einzigen Reit-Mentoren überhaupt nichts von Pferden, daher war dies auf jeden Fall eine Zeitlang eine interessante Partnerschaft. Katy hatte lauter Rennsieger in ihren Zuchtpapieren, und bis heute verstehe ich nicht – und will auch gar nicht wissen –, wie meine Mutter sie für mich hatte kaufen können. Ich wusste, dass sie in den richtigen Händen eine Menge Geld wert war, doch vorerst war ich einfach glücklich, dass sie in den falschen gelandet war.

Ich bin in einer Mittelschicht-Familie aufgewachsen, die sehr zu kämpfen hatte. Ich war ein kluges Kind, und es fiel mir leicht, in der Schule gute Noten zu schreiben. Auch in Musik und Sport war ich gut, doch es fehlte mir an Selbstvertrauen, um in beidem mein Potenzial auch nur annähernd auszuschöpfen. Liebe gab es bei uns zu Hause in einer sehr verqueren Form. Es gab freundliche Worte und Berührungen, aber häufig waren sie von einer sehr viel dunkleren und schmerzhafteren Wirklichkeit überschattet. Doch wir hatten immer Tiere, und solange ich denken kann, waren sie mein seelischer Jungbrunnen. Ich eignete mir unendlich viel Wissen über Tiere an und könnte Ihnen die Rasse jedes Hundes sowie Familie, Gattung und Art der meisten Säugetiere auf Erden nennen. Wölfe und Großkatzen waren meine Lieblingstiere, und ich hatte große Träume von mir als Biologin und Wildtier-Retterin, die draußen in der Wildnis lebt, weit weg von den einzigen Tieren, die ich nicht ausstehen konnte – den Menschen. In meiner gesamten Kindheit gab es ein breites Spektrum milder Formen des Missbrauchs, darunter Gewalt, sexuelles Fehlverhalten, eine hässliche Scheidung mit einem Kampf ums Sorgerecht, in dessen Verlauf ich vorübergehend bei einer Pflegefamilie untergebracht war, um nur einige wenige Beispiele zu nennen. Ich war ein verzogenes Gör mit wenig Struktur, das sich kaum einmal sicher, geborgen oder verstanden fühlte. Bis ich fünfzehn war, wohnte ich bei meiner Mutter und meinem Stiefvater; meinen Vater sah ich, wenn überhaupt, nur jedes zweite Wochenende. Alle drei Elternteile haben nach ihrem besten Wissen gehandelt, und als ich älter war und sah, wie sie aufgewachsen und erzogen worden waren, lernte ich, dankbar für meine Erfahrungen zu sein, so schwierig sie auch waren. Doch bis dahin war ich ein durch und durch zorniges junges Mädchen, das mit seiner gesamten Umwelt im Krieg lag.

Im Alter von fünf Jahren war ich von älteren Kindern, denen ich vertraut hatte, belästigt und sexuellen Situationen mit anderen Kindern ausgesetzt worden. Ich hatte keine Ahnung, dass ich dabei missbraucht wurde, und setzte mein Verhalten jahrelang fort. Dies führte dazu, dass ich lange Jahre eine ungesunde Beziehung zu und ein verqueres Verständnis von Sex und Nähe sowie tiefe Scham- und Schuldgefühle hatte, die mich bis ins Erwachsenenalter hinein begleitet haben. Außerdem resultierte es darin, dass ich im Alter von vierzehn Jahren ohne Gewaltanwendung vergewaltigt wurde.

Ich erinnere mich an keine Zeit in meiner Kindheit, in der Auseinandersetzungen nicht die Lösung der Wahl für jedes Problem gewesen wären. Verbal oder körperlich – durch Beobachten meiner Umgebung lernte ich, meine Probleme so zu lösen. Wegen häuslichen Streits war die Polizei regelmäßiger Gast bei uns zu Hause, und mehr als einmal habe ich gesehen, wie in Notwehr eine Pistole gezogen und auf jemanden gerichtet wurde. Mir wurde auch selbst beigebracht, wie man mit Waffen umgeht, und ich fühlte mich damit recht wohl, obwohl mein älterer Bruder mir einmal aus Versehen ins Gesicht geschossen hatte, als ich bei meiner Oma auf dem Sofa lag und im Fernsehen My Little Pony anschaute. Ich wurde notoperiert, um die kleine Kugel, die unter meinem Oberkiefer feststeckte, zu entfernen, und ich kann mich noch recht gut daran erinnern, wie es klang, als die chirurgischen Metall-Instrumente gegen meinen kleinen Schädel schlugen. Der Arzt sagte uns, wenn die Kugel nur zwei Zentimeter höher eingedrungen wäre, hätte ich umkommen können. Dies war die erste von vielen Narben, die noch folgen sollten.

Mit Krankenhäusern kannte ich mich aus. Genau wie meine Mutter wurde ich wegen diverser Krankheiten und Operationen ständig eingeliefert und wieder entlassen. Zweimal fasste ich den Mut, es mit Sport zu versuchen, und beide Male brach ich mir noch am selben Tag den Arm. Das erste Mal war im Alter von zehn Jahren – ein komplexer Mehrfachbruch meines rechten Arms an dem Tag, an dem ich mich im Fußballverein anmelden sollte. Das zweite Mal war in der siebten Klasse beim Probetraining für die Basketball-Mannschaft. Einen Tag nach dem Testspiel erschien ich mit einem roten Gips bis zur Mitte meines Unterarms, nur um zu erfahren, dass ich es zur Aufbauspielerin in der Ersten Mannschaft gebracht hatte … zum begehrtesten Platz in der besten Mannschaft. Ich verbrachte die Saison hauptsächlich auf der Bank, und mein Selbstvertrauen auf dem Spielfeld rauschte in den Keller. Und um das Ganze noch schlimmer zu machen, starb meine Mutter kurz danach vor meinen Augen an den Folgen eines epileptischen Grand-Mal-Anfalls. Ich wählte den Notruf, und die Sanitäter konnten sie wiederbeleben, doch durch den Sauerstoffmangel waren ihr Sprech- und Denkvermögen bereits beeinträchtigt worden. Am Ende wurde sie wieder vollständig gesund, doch es war eine sehr schwierige Zeit für mich, und ich weiß noch, dass mich damals Vieles sehr durcheinander gebracht hat. Zum einen waren die Sanitäter anscheinend, gelinde gesagt, sauer, dass sie an jenem Tag zu uns nach Hause kommen mussten, und es gab etliche Erwachsene, darunter auch mein Basketball-Trainer, die auf mich zukamen und fragten, ob ich nicht eine Zeitlang bei ihnen wohnen wollte. Damals hatte ich keine Ahnung, warum jemand so etwas fragen sollte, und es machte mir Angst.

Mit dreizehn war ich nicht mehr zu bändigen, und meine Eltern wurden kaum noch mit mir fertig. Ich tat, was ich wollte, mit wem ich es wollte, und nutzte Manipulation und Einschüchterung, um mich durchzusetzen. Von den Erwachsenen in meinem Leben und von ihrer Art, mich bei ihren persönlichen Auseinandersetzungen sehr oft gegeneinander auszuspielen, hatte ich viel über Manipulation gelernt. Für meine Mutter bestand die Lösung praktisch darin, sich jeder meiner Launen zu beugen. Ich hatte null Respekt vor ihr und meinem Stiefvater, und wenn mir gedroht wurde, drohte ich zurück. Wenn körperliche Gewalt im Raum stand oder gegen mich gerichtet wurde, spannte ich alle Muskeln an und sagte »nur zu«. Depressionen und Wut kannte ich bald allzu gut, und Pferde waren die lindernde Droge meiner Wahl. Ich hatte das große Glück, von guten Freunden und ihren Familien umgeben zu sein, hauptsächlich deshalb, weil meine mit Leichtigkeit erworbenen guten Schulnoten mich in einen Kreis brachten, der einen guten Einfluss auf mich ausübte, auch wenn dieser Kreis klein war.

image

Die traurigen Geschichten und Herausforderungen meiner Kindheit sind nicht das Thema dieses Buches, aber ich finde, es ist wichtig, Ihnen kurze Einblicke in meine frühe Entwicklung zu geben, damit Sie besser verstehen können, wohin mein Weg mit den Pferden mich geführt und wo er begonnen hat. Wie Sie sehen, habe ich nicht davon geträumt, schöne Pferde zu umhegen und mich in sie zu verlieben, wie dies viele junge Mädchen tun. Ich habe in ihnen einfach eine Möglichkeit gesehen, den oftmals entsetzlichen Umständen meines Lebens rasch zu entkommen.

Wenn Sie auch nur die geringste Ahnung von Pferden haben, dann wissen Sie bestimmt, dass ein dreijähriges ungerittenes Fohlen und ein zwölfjähriges zorniges Mädchen für die erste Begegnung zwischen Mensch und Pferd nicht gerade eine geeignete Kombination sind. Ich hatte keinen Schimmer, wie ich Katy Bug dazu bringen sollte, dass sie auf mich hört, und ich hatte null Interesse, ihr zuzuhören. Ich wollte einfach nur reiten. Ich wollte den schlechten Karten entkommen, die mir zugeteilt worden waren und auf Katy Bugs Rennpferdbeinen so schnell abhauen, wie sie mich nur tragen konnten. Ein Problem war, dass ich sie kaum einmal dazu bringen konnte, dahin zu reiten, wo ich wollte, noch viel weniger in dem von mir gewünschten – oder befohlenen – Tempo. Diese Zeit war sehr frustrierend. Endlich hatte ich mein Pferd, aber ich konnte nicht viel mit ihm anfangen, und ich hatte kaum Hilfe. Meine geniale Lösung war, im Stall einen Eimer mit Süßfutter zu füllen und dann mit Katy ans hinterste Ende des Geländes zu gehen, das wir für sie gepachtet hatten. Dort angelangt, sprang ich auf, schlug ihr mit einer Gerte auf den Hintern und klammerte mich dann gut fest, während mir vor lauter Tempo und weil mir die Luft ins Gesicht schnitt, die Tränen übers Gesicht liefen. Dermaßen schnell war sie. So musste sich Freiheit anfühlen, und ich war sofort süchtig danach.

Mein Leben als Reiterin sah eine ganze Zeitlang im Grunde genau so aus, durchsetzt mit vielen weiteren gescheiterten Versuchen, hier und da etwas sinnvoller vorzugehen. Ob Sie es glauben oder nicht, bei alledem hat Katy tatsächlich begonnen, ein bisschen besser auf mich zu hören, und, noch unglaublicher, dieses Pferd hat mir nicht ein einziges Mal weh getan.

Zum ersten Mal in meinem Leben verspürte ich weder Angst noch Wut. Bei den verrückten Stunts, die ich vollführte, um den Wind in meinem Gesicht zu spüren, hätte ich hundert Mal und mehr draufgehen können, aber sie hat auf Schritt und Tritt auf mich aufgepasst, und ich wusste, ich brauchte keine Angst vor ihr zu haben. So wenig Ahnung, wie ich damals hatte, will ich gar nicht wissen, wie oft und wie sehr ich ihr weh getan habe, doch die Liebe, die ich für sie empfand, und was wir zusammen erlebt haben, muss ihr etwas bedeutet haben – etwas, wodurch sie trotz meines abgrundtiefen Unwissens und der körperlichen Schmerzen, die sie durch mich erleiden musste, auf mich aufpassen konnte. Liebe ist immer stärker als der Schmerz, selbst wenn sie tief unter einem Haufen Mist vergraben ist.

image

ZWEI

image

Fancy – So ein Schmerz

»Schau zurück auf unser Ringen um Freiheit, geh unserer heutigen Kraft auf den Grund, und sieh, dass des Menschen Weg zur Größe auf den Knochen des Pferdes ruht.«

Verfasser unbekannt

»Da saß ich nun, voller blauer Flecken und Schnitte, und die Tränen schossen mir aus den Augen. Ich dachte, du machtest dir etwas aus mir, doch wenn es um deine Bedürfnisse ging, dann erging es mir bei dir genau wie bei allen anderen: Am Ende landete ich auf dem Arsch im Dreck. Ich hasste dieses Leben. Es war von Grund auf ungerecht. Ich weiß noch, wie ich in der sechsten Klasse einmal mit ein paar anderen Kindern Handlesen gespielt habe. In dem Spiel sollte ermittelt werden, in welchem Alter man sterben würde. In meiner Hand stand wohl, dass ich mit einundzwanzig sterben würde. Ich weiß noch, dass ich dachte: »Gott sei Dank, dann muss ich das alles zumindest nicht mehr allzu lang mitmachen.« Dann hörte ich, dass deine Hufe auf mich zu stapften und dein verzweifeltes Wiehern mich rief. Ich hielt den Atem an, und die Tränen versiegten. Du kamst zu mir zurückgerannt und schautest dich verzweifelt um. Konnte das sein?

Hattest du wirklich gerade deinen Eimer Futter und deinen Kumpel im Stall stehen gelassen, um nach mir zu suchen? Stimmt, du hattest mich eigentlich überhaupt nicht abgeworfen; ich hatte einfach nur das Tempo und die Entfernung für den Sprung falsch eingeschätzt und konnte mich nicht gut genug festhalten. Allerdings war es wesentlich leichter, dir die Schuld zuzuschieben. Doch du bist zurückgekommen und wirktest verzweifelt und besorgt.

Nein, das packe ich nicht. In meiner Brust spürte ich ein Brennen. Es tat immer noch viel zu weh zum Aufstehen, daher klaubte ich ein paar Steine um mich herum zusammen. Ich warf sie nach dir und schrie dich an, du solltest bloß abhauen und mich in Ruhe lassen. Dabei liefen mir Tränen über meine glühend roten Wangen. Doch du bist nicht abgehauen, Fancy. Im Zickzack bist du um mich herumgelaufen und hast mich gedrängt, wieder auf die Beine zu kommen. Ich verweigerte. Du hast gewartet.

Ich konnte nicht glauben, dass du zurückgekommen bist, und ich konnte es auch nicht annehmen. Doch du hattest mir einen ersten Eindruck vermittelt, wozu Pferde fähig sind, und das konnte ich nicht vergessen. Der Schmerz und die Wut in mir waren aber zu groß, als dass ich es hätte an mich heranlassen können. Stattdessen habe ich damals beschlossen, dass es wohl sicherer wäre, wenn ich so etwas nicht erlebte. Ich stand auf, und schweigend gingen wir zurück zum Stall, Seite an Seite, doch ohne Interaktion zwischen uns. Liebe konnte ich nicht annehmen. Das war einfach zu viel.«

Irgendwann war ich echt frustriert über meine Versuche, Katy dazu zu bringen, dass sie auf mich hört, und wollte mehr. Mir war langweilig geworden, und ich wollte auf dem Rücken meines Pferdes Entscheidungen treffen können. Außerdem wollte ich mit jemandem zusammen reiten können, aber ich hatte keine Freundinnen mit Pferden, daher wünschte ich mir ein zweites Pferd, das meine Freundinnen reiten könnten. Ich überzeugte meine Mutter, dass ich ein weiteres Pferd bräuchte, und so kam Fancy zu uns. Für ein Mädchen wie mich wäre Fancy das perfekte Erstpferd gewesen. Sie war klein, nur etwa 130 cm Schulterhöhe, um die sieben Jahre alt und zuvor von einem Mädchen ausgebildet worden, das nicht viel älter war als ich. Fancy und ich waren eine erstaunliche Kombination. Sie versuchte alles, was ich von ihr verlangte, und ohne einen blassen Schimmer von Pferdeausbildung konnte ich ihr beibringen zu springen und mich ohne Sattel absolut überallhin zu tragen, wo ich wollte. Zum ersten Mal verspürte ich außerhalb meiner Komfortzone Selbstvertrauen; und dass kleine Jungs auf ihren Fahrrädern mir nachpfiffen, wenn ich ohne Sattel auf meinem Pony über alte Landstraßen ritt, tat meinem Selbstwertgefühl auch nicht gerade einen Abbruch. Leider führt diese Art der Aufmerksamkeit nicht zu echtem Selbstvertrauen, sondern eher auf einen erheblich dunkleren Pfad, besonders für ein Kind wie mich.