Danksagung

Irgendwo in der Tiefe meines Schreibcomputers sitzt ein fieses Monster und wartet nur darauf, dass ich wieder einmal irgendeine Taste drücke, die mich vor Probleme stellt. Zum Glück gibt es in meiner Familie einen Computer-Flüsterer, der dann mit belustigtem Funkeln in den Augen anrückt und den Text rettet. Dafür danke ich meinem Sohn Matthias.

Das Recherchieren, Schreiben und Übersetzen hatte mir viel Spaß gemacht. Doch irgendwann muss jemand dafür sorgen, dass die Grammatik stimmt und aus dem Ganzen ein Worddokument wird. Ich danke meinem Mann Michael für seine Geduld und Ausdauer. Ohne Dich wäre aus dem Manuskript niemals ein Buch geworden.

Silvia Dörfle

Auf der Jagd nach Fisch und Fetisch

Die Reisen der Mary Kingsley in Westafrika

Inhalt

»Nehmen Sie stets Maß, Miss Kingsley, und immer vom erwachsenen Männchen…«

Die Fahrt ins Grab des weißen Mannes

Sierra Leone

Dies ist deine Heimat, komm' zurück!

Fische, Krokodile und ein teuflischer Onkel

Fernando Po und die Bubi

Teufelsjagd, Hühnerkisten und erwartungsvolle Haie

Vive la France!

Mein Logbuch auf der Mové und der Éclaireur

Auf Schlangenjagd in Talagouga

In den Stromschnellen des Ogowé

»Wo ist Dein Ehemann, Ma?«

Zu den ‚schrecklichen Fang‘ am Nkonié-See

Durch Flüsse und Sümpfe nach Efoua

Im Diebesnest Egaja

Flussfahrt mit Obanjo, alias Captain Johnson

Logbuch der Lafayette

»Lass die Finger davon, das ist kein Picknick«

Aufstieg zum Mungo

Seeschlange der Saison

Nachwort

Anmerkungen

Bildnachweis

Bibliografie

»Nehmen Sie stets Maß, Miss Kingsley, und immer vom erwachsenen Männchen…«

So lautete der Auftrag des Britischen Museums. Eine Anweisung, die sich der typisch viktorianische ‚Lehnstuhl-Wissenschaftler‘ wohl etwas einfacher vorstellte, als sich das praktisch umsetzen ließ. Vor allem, wenn das zu vermessende Exemplar ein Gorilla, Leopard, Nilpferd oder eine fünf-Meter lange Pythonschlange war ‒ und noch lebte. In den fischreichen Seen, Flüssen und Mangrovensümpfen nördlich des Kongo zu angeln, fiel der begeisterten Amateur Zoologin deutlich leichter. Dr. Günther, ein bekannter Ichthyologe, hatte Miss Kingsley dafür mit fachlichem Wissen und 15 Gallonen Spiritus ausgerüstet. Sein umfangreiches Werk, das Studium der Fische, verkürzte ihr die Zeit, wenn sie am Äquator mal wieder stundenlang in einem lecken Kanu hockte. Geduldig warten können »in feuchtheißer Luft, die zu 45 % aus Moskitos besteht«, gehörte zum Fischfang in Afrika dazu, wie der Haken zur Angel. Und wurde allzu oft nur mit dem üblichen Schlammfisch belohnt. Wann auch immer Miss Kingsley einheimische Fischer nach ihrem Tagesfang fragte, zeigten sie ihr Körbe voll Schlammfisch. Wo auch immer sie die Angel aus dem Wasser zog, hing in neun von zehn Fällen dieses urtümliche Scheusal daran. Zur Freude des Britischen Museums entwickelte sich Miss Kingsley in Westafrika zur fachkundigen Sammlerin. Sobald sie ihre Furcht überwunden hatte, ging sie im Busch auf die Jagd nach Schlangen. Auch ein breites Spektrum an Insekten brachte sie nach England mit ‒ von der roten Treiberameise samt Nest bis zur riesigen Elefantenzecke. Die hatte sich ‒ in der typisch rabiaten Art westafrikanischer Insekten ‒ mit einem »höllischen Stich« an ihrem Bein bemerkbar gemacht.

Als Mary Kingsley 1893 zum ersten Mal ihren Seesack packte und nach Westafrika fuhr, war sie noch völlig unbekannt. Wenige Jahre später mischte sie sich lautstark in die britische Kolonialpolitik mit ein. Mutig widersprach sie der herrschenden Meinung über ‚die Neger‘. Diese Westafrikaner seien weder bösartige ‚Wilde‘ noch naive ‚Kinder der Natur‘. Jeder Stamm hätte seine eigene Kultur, eigene Gesetze und eine höchst komplizierte Glaubenswelt. Selbst auf einer kleinen Tropeninsel wie Fernando Po unterschieden sich ein Galwa und ein Bubi wie ein »Londoner von einem Lappländer«. Dass ausgerechnet eine Frau es wagte, bösartige Zeitungsartikel über Westafrika zu zerpflücken, auf die Arroganz der britischen Kolonialverwaltung hinzuweisen und die Ignoranz vieler Missionare zu kritisieren, sorgte für Empörung. Doch Miss Kingsley hatte die gesamte Küste bereist, vom britischen Sierra Leone bis hinunter ins portugiesische Loanda. Sie wusste also, wovon sie sprach. Mit Fug und Recht nannte sie sich selbst einen Old Coaster.

Von ihrer zweiten Westafrikareise (1895) zurückgekehrt, schrieb Miss Kingsley in Rekordzeit zwei beeindruckend dicke Wälzer. Travels in Westafrica hieß ihr erstes Reisebuch. Vermutlich war niemand erstaunter als die Autorin selbst, dass ihr »wahrer Wortsumpf« aus über 7oo Seiten augenblicklich auf der Bestsellerliste stand. Auch gehörte es für sie rasch zum Alltag, vor gelehrten Zirkeln, in Universitäten oder Schulen ihre Vorträge abzuhalten. Bald füllte sie Säle mit bis zu zweitausend Zuhörern, da die bizarre, aber gelungene Mischung aus abenteuerlichem Reisebericht, haarsträubend makabrem Küstengarn und wissenschaftlich fundierten Informationen ein breites Publikum begeisterte. Auch gab es bei Miss Kingsley immer was zu lachen, denn im Gegensatz zu den ‚heroischen‘ Afrikaforschern (Stanley, Burton oder Baker) nahm sie sich selbst gern aufs Korn. Doch bei einem Vortrag in einer Mädchenschule zeigten sich die jungen Damen zunächst recht enttäuscht. Eine kühne Afrikaforscherin hatten sie sich völlig anders vorgestellt. Die hagere Gestalt im steifen Seidenkleid mit dem streng gescheitelten Haar über dem Gesicht einer Dürer Madonna passte absolut nicht zu diesem Bild. Einzig das etwas schief sitzende schwarze Käppchen vermittelte den Eindruck von Verwegenheit. Ansonsten erinnerte diese Miss Kingsley an die komische Figur, die in kaum einem viktorianischen Bühnenstück fehlte: die schrullige maiden aunt ‒ die unverheiratete alte Tante. Doch dann erzählte sie Geschichten, die Miss Blake, die Schulleiterin, in höchste Alarmbereitschaft versetzten. Von Paddeltouren einer weißen englischen Lady mit schwarzen Einheimischen, die nichts am Leibe trugen, als einen knappen Lendenschurz; vom Fieber, das einen kerngesunden Menschen innerhalb von Stunden dahinrafft; von überraschend sympathischen Kannibalen; von Krokodilen, die versuchten, mit ins Boot zu klettern und weißen Buschhändlern, die fluchten, Tabak spuckten und selten völlig nüchtern waren. Noch 7o Jahre später erinnerten sich diese ehemaligen Collagegirls vergnügt an Miss Kingsleys aberwitzige Geschichten.

Ein paar gute Ratschläge hatte Mary Kingsley auch noch parat. Wie man auf die ewig lästige Frage: »Wo ist dein Ehemann, Ma?« am besten reagiert, und sollte eine dieser jungen Damen später einmal für ethnologische Studien durch Westafrika ziehen, müsse sie unbedingt darauf achten, genügend Tauschware dabei zu haben. Erschien man nämlich als merkwürdige weiße Gestalt und wie »der Blitz aus heiterem Himmel« in einem Buschdorf, stellte neugierige Fragen und zog womöglich auch noch ein Maßband heraus, um die Leute zu vermessen, dann wurde man vermutlich als Teufel angesehen und mit ziemlicher Sicherheit erschlagen. Hatte man dagegen eine Warenkiste vorzuweisen, dann saß man als Ehrengast am abendlichen Feuer und palaverte mit den Häuptlingen, Dorfältesten und Medizinmännern. Vor allem genoss man den Schutz und das Wohlwollen der alten Damen, die überall in Afrika das Sagen hatten. Als gestrandete Buschhändlerin war Miss Kingsley einmal in der unangenehmen Lage, in einem Dorf der Fang nichts mehr zum Verkauf anbieten zu können. Keinen Handelsgin, kein Stückchen Stoff, keinen Tabak ‒ ja, nicht einmal mehr ein Duftwässerchen, das selbst bei den Damen im tiefsten Busch noch als Tauschware begehrt war. Die Fang galten als Kannibalen. Man hatte sie gewarnt, dass diese »schrecklichen Fang« hin und wieder einen Buschhändler in »handliche Stückchen« zerteilten. Doch Miss Kingsley wusste sich in jeder gefährlichen (oder gelegentlich auch absurden) Situationen zu helfen, ob sie einen angreifenden Leoparden in die Flucht schlug, unter die Affenjäger geriet oder nichts mehr zu verkaufen hatte als ihre eigene Zahnbürste, ein Paar Wollstrümpfe und ein Dutzend Blusen. Damit begann ein reges Feilschen: Baumwollblusen gegen Rohgummikugeln oder Elfenbein. Die muskulösen Krieger des Dorfes fanden diese Art Bekleidung offenbar höchst sexy. Vermutlich war es das einzige Mal, dass viktorianische Blusen mitten im Busch zum Verkaufshit wurden.

In puncto Kleidung ging Miss Kingsley keine Kompromisse ein. Sie war fest davon überzeugt, dass man kein Recht hat »in Afrika in etwas herumzulaufen, für das man sich zuhause schämt«. Getreu dieser Devise trug sie selbst am Äquator – und in Gesellschaft von Leuten, die sich mit »etwas roter Farbe, ein paar Leopardenschwänzen und einem knappen Lendenschurz« bestens angezogen fühlten ‒ die gleiche Ausstattung wie in London. Diese bestand aus einem knöchellangen schwarzen Wollrock, einer bis zum Hals zugeknöpften Bluse mit langen Ärmeln, einem Seidenhütchen, derben Schnürstiefeln und natürlich einem Regenschirm. Damit durch den Busch zu marschieren, den Großen Kamerunberg zu besteigen oder sich durch reißende Flüsse zu kämpfen ist schon alleine eine Heldentat. Selbst beim Durchwaten der blutegelreichen Sümpfe weigerte sie sich standhaft, ihre »erdwärts gerichteten Extremitäten« in Hosen zu stecken. Man mag es heutzutage etwas seltsam finden, dass eine viktorianische Lady zwar munter über ihr Korsett plaudert, aber »lieber das Schafott« bestiegen hätte, als in Hosen herumzulaufen. Doch in spätviktorianischer Zeit galt die Hose keineswegs als harmlos. Sie war vielmehr zum Symbol geworden, für jene »kreischenden Weibsbilder«, die lautstark das Wahlrecht für Frauen forderten.

Mit einem mageren Reisebudget von 3oo Pfund heuerte Miss Kingsley stets nur einen kleinen Trupp an schwarzen Trägern an. So mancher Afrikareisende ließ sich in der Hängematte tragen, schleppte den halben Hausrat mit und glaubte, ohne einen riesigen Vorrat an Dosen in Afrika zu verhungern. Miss Kingsley marschierte durch den Urwald oder paddelte im Kanu durch Flüsse und Mangrovensümpfe. Auf Zelt, Gummibad und ähnlich unnützen Luxus legte sie keinen Wert. Unterwegs ernährte sie sich von allem, was die »tägliche Buschküche« bot. Die bestand im Wesentlichen aus gestampftem Maniok ‒ eine Herausforderung für den robustesten Magen. Der einzige Luxus, auf den sie nicht verzichten mochte, war ein stark gebrauter englischer Tee. Welch ein Unterschied zu der Afrikareisenden, May French Sheldon, die sich mit 134 Trägern, zwei Soldaten und einem Stammeshäuptling ins Gebiet der kriegerischen Massai wagte. Während Miss Kingsley für ihre Träger wie eine »Mutterglucke« sorgte, prahlte Mrs. Sheldon damit, dass sie ihre Träger auspeitschen ließ. Tagsüber reiste die reiche Amerikanerin in einer monströsen Sänfte, abends speiste sie stilvoll an einem eigens dafür mitgebrachten Tisch. Danach ließ sie sich von ihrer schwarzen Köchin massieren. Täglich zog sie sich mehrmals um und vor Häuptlingen erschien sie mit einem Seidenkleid aus Paris, einer blonden Perücke und jeder Menge Schmuck. Ihr Gewehr hielt sie stets griffbereit und drohte, im Falle einer Meuterei sofort zu schießen.

Auf ihrer zweiten Reise führte auch Miss Kingsley einen Revolver mit. Man hatte ihr geraten, ihn stets schussbereit zu halten. Leider stellte er auf der gesamten Reise nur ein Ärgernis dar, denn nach ihren Streifzügen durch den Urwald, bei dem sie stets bis zum Hals in irgendeinem Sumpf landete, war der »Revolver kein Schmuckstück mehr, geschweige denn zu irgendetwas nutze.« Überhaupt fand sie es idiotisch, lebensgefährlich und obendrein völlig undamenhaft, mit einem Revolver herumzufuchteln und zu drohen, dass man jemanden damit erschießt. In brenzligen Situationen, das wusste sie aus Erfahrung, erreichte man weitaus mehr mit »stundenlangem Palaver und etwas Tabak«.

Von ihren zwei Afrikareisen 1893 und 95 kehrte Mary Kingsley mit einer erstaunlich reichen Ausbeute an Fetischobjekten, Musikinstrumenten, Fischen, Reptilien, Wasserkäfern, Moosen, Baumfarnen und Gräsern zurück. Obwohl es manchem viktorianischen Zeitgenossen schwerfiel zu begreifen, was eine über dreißigjährige ‚alte Jungfer‘ in den westafrikanischen Urwäldern und Mangrovensümpfen zu suchen hatte, erntete sie für ihre Sammelobjekte großes Lob. Sah man jedoch das Interesse für urtümliche Fischformen schon als etwas reichlich Exzentrisches an, so erforderte die Neugier für die Fetischkultur der afrikanischen ‚Wilden‘ einiges an Erklärung. Der Glaube an Fetische oder Jujus war schließlich nicht nur mit Dämonen, Hexen und bösen Geistern, sondern oft auch mit Kannibalismus und rituellen Menschenopfern verbunden. Miss Kingsley rechtfertigte ihr seltsames Hobby damit, dass sie es ihrem Vater schuldig sei, sein ethnologisches Werk zu vollenden. In Ausübung ihrer Pflichten verzieh man einer Tochter manches ‒ sogar die Fahrt ins berüchtigte Grab des weißen Mannes.

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In der englischsprachigen Welt ist Mary Kingsley ein household name – ein Name, den jeder kennt. Bei uns ist sie dagegen fast unbekannt. Mein Interesse an Mary Kingsley liegt schon über 3o Jahr zurück. Damals durfte ich als Gasthörerin an der Cornell University einen Women‘s Studies Kurs zu besuchen. Mary Kingsley fiel als Studienobjekt zwar durch (zugunsten von Virginia Woolf), doch meine Neugier war geweckt. Ich kaufte mir den englischen ‚Türstopper‘ mit über 7oo Seiten. Beim Stöbern im Buch fand ich rasch Gefallen an der humorvollen Erzählweise. Trotz des völlig chaotischen Durcheinanders von erster und zweiter Reise hatte mich die ‚Anglerin‘ Mary Kingsley bald am Haken. Diese viktorianische Lady war nicht nur mit ‚Fisch und Fetisch‘, sondern auch mit einem schier unerschöpflichen Vorrat an Anekdoten aus Westafrika zurückgekehrt. Die fand ich – teilweise wie die Rosinen im englischen Plumpudding versteckt – in ihren beiden schwergewichtigen Büchern, in Vortragsmanuskripten, Notizbüchern, Buschjournalen, Tagebüchern und Briefen.

Wer sich mit Mary Kingsley und ihrer Zeit beschäftigt, pflegt irgendwann ein typisch viktorianisches Hobby: das Sammeln. In meinem Fall von Biographien und Büchern reisender Frauen. So manche viktorianische Lady veröffentlichte interessante Reiseberichte, doch keine schrieb auch nur ansatzweise so salopp und witzig wie Mary Kingsley. Die folgende Reiseerzählung ist der Versuch, durch die ‚Wortsümpfe‘ der Originalliteratur einen halbwegs plausiblen Pfad zu finden. Vor allem die ausführliche Biographie A Voyager Out von Katherine Frank diente mir dabei als Kompass. Wichtiger als die exakte Reiseroute war mir allerdings, den humorvoll anekdotischen Stil der Mary Kingsley zu erhalten.