Über den Autor

Jan Steinmacher wurde 2001 geboren und veröffentlichte mit „Rebels - Der Anfang“ 2017 seinen ersten Roman, der im Folgejahr mit „Rebels - Die Legende“ eine Fortsetzung erhielt. „Rebels - Letzter Aufstand" vervollständigt die erste Trilogie des Autors, der 2019 die Abiturprüfungen ablegte, als letzte Teil der Reihe.

Jan Steinmacher

Rebels - Letzter Aufstand

Für eine gute Zukunft

PART I

„Die Geschichte der Freiheit ist eine Geschichte des Widerstands“
Woodrow Wilson

1

Jason Adams öffnet die Augen. Schwer atmend richtet er sich auf, die Haare vom Schlamm verklebt. Er muss genau dort auf dem Boden eingenickt sein, wo sein Bruder Derek und dessen neugewonnener Freund Aiden ihn zurückgelassen haben.

Mühsam steht er auf und taumelt, noch benommen vom Schlaf, auf wackligen Beinen zurück zu seinem Zelt. Auf dem scheinbar nie enden wollenden Weg schaut er sich im Lager um, erkennt jedoch alles nur verschwommen. Er legt einen kurzen Stopp an einem kleinen, eiskalten Weiher ein und weicht seine verkrusteten Haare darin auf, während er einen Schrei unterdrücken muss. Dieses Gewässer macht Oimjakon ohne Frage Konkurrenz. Er weiß, dass er keine Zeit hat, der guten Beziehung mit seinem Bruder nachzutrauern, auch wenn er gerade nichts lieber tun würde, als sich mit Schokolade und einer Decke in sein Zelt zu kuscheln. Die Erinnerung an das Leben in der Zivilisation, die so nah und doch gleichzeitig so weit weg ist, verliert man selbst in den härtesten Zeiten nicht.

In dem Moment kommt ihm jedoch ein anderer Gedanke, der ihn wie ein harter Schlag trifft, seine Mission. Die Mission, an der Leben hängen. Das Flugzeug, das über entferntem Gebiet abgestürzt ist und in dem sich wichtige Leute für die Zukunft der Rebellion befinden - oder befanden. So wurde es ihm zumindest gesagt. Und mit jeder Sekunde, in der er und sein Team sich noch innerhalb der Wälle dieses Camps befinden, sinken die Überlebenschancen derer drastisch, die vielleicht überlebt haben.

Er hat einen Zeitpunkt festgelegt, zu dem sich sein Team am Ausgang des Camps einfinden sollte und jetzt kann nicht einmal er selbst sich daran halten.

Im Zelt angekommen macht er sich in größter Eile fertig, streift sich ein enges Funktionsshirt über, das nachts die Kälte abhalten soll, und bettet sieh im Zwiebellook in frische Klamotten; ein verstärktes T-Shirt, darüber einen dicken Kapuzenpulli, eine Tarnhose und darunter eine enge lange Unterhose, schwere Stiefel und eine Funktionsjacke, die er nur wenige Stunden vorher aus dem kleinen Lager mitgenommen hat.

Dann packt er seinen Rucksack mit den notwendigen Dingen; ein kleines Zelt, zwei Schusswaffen, zwei Messer, viel Wasser und etwas Proviant. Jason hasst Eile, besonders, wenn sie entweder durch seine eigenen Regeln oder durch seinen Bruder verursacht wurde. Und hier ist gleich beides der Fall.

Mit beiden Händen packt er die Planen, die das Zelt bedecken, und schiebt sie energisch nach außen. Er saugt die frische Luft tief in seine Lungen, dann richtet er sich auf.

„Hey, Jase!“, ertönt da eine Stimme hinter seinem Rücken, die aus seinem Zelt zu kommen scheint. Er dreht sich mit misstrauischem Blick um und steht seinem Freund Keenan Kennedy gegenüber, der mit verschränkten Armen vor dem Eingang von Jasons Zelts steht.

„Bist du da gerade rausgekommen?“, erkundigt er sich verblüfft und zeigt auf sein Zelt, doch Keenan schüttelt energisch den Kopf und geht einen Schritt auf Jason zu.

„Habe nur einen Blick reingeworfen, ich dachte, du wärst dort drinnen. Wo gehst du hin?“

„Hat es dir dein Vater nicht erzählt? Ich leite eine Rettungsmission, eine äußerst wichtige wie es hieß. Das macht mich, ehrlich gesagt, ein bisschen nervös. Draußen gab es einen Flugzeugabsturz einer Rebellenmaschine, die ich mit meinen Leuten bergen soll. Es hieß, dass wichtige Leute in dem Flugzeug waren, Überläufer und Informanten, und eventuell noch gerettet werden könnten. Ich habe jetzt wirklich keine Zeit.“

„Jaja, ich weiß. Aber genau deswegen bin ich hier. Kann ich… vielleicht mitkommen? Ich habe hier kaum etwas anderes zu tun, als ab und zu Wache zu schieben und ständig Proviant von A nach B zu schleppen. Ich meine… ja, ich erinnere mich, dass ich dir letztens nicht helfen konnte, weil ich zu beschäftigt war, aber jetzt ist das nicht mehr so. Beziehungsweise, vielleicht bräuchten die mich, aber diese immer gleiche Leier macht mich fertig. Ich muss hier raus. Bitte, nimm mich mit!“, bettelt Keenan mit mitleidserregendem Hundeblick und tritt noch einen Schritt näher an Jason heran.

„Keen, ich bin dein Freund und nicht dein Vorgesetzter. Von mir aus geht das klar, ich kann auf dieser Exkursion jeden starken Mann gebrauchen, der ein fähiger Schütze ist. Du wärst ein Segen für mein Team, also meinetwegen bist du dabei. Dann, sag deinem Vater, dass du mitgehst und pack dein Zeug. Wir warten am Südtor auf dich, alles klar?“

Keenan nickt breit grinsend, dann joggt er in Richtung des Kommandozelts davon.

Keine zwanzig Meter weiter wird Jason, der endlich zu seinem Team stoßen will, erneut aufgehalten.

„Jason?!“, ruft Kelly Henderson, die Ärztin seines Vertrauens und inzwischen lange Bekannte Jasons.

Er seufzt angestrengt und lächelt etwas gezwungen. „Gerade ist aber auch wirklich das komplette alte Camp New Home auf einem Fleck…“

„Mag sein. Habe ich richtig mitbekommen, dass du eine Mission leitest?“

„Komm, wir gehen ein Stück beim Reden“, sagt er angespannt und bewegt sich langsam weiter in Richtung des Südendes des Camps. „Ja, du hast richtig gehört. Es geht um einen Flugzeugabsturz von neuen Rekruten und wichtigen Leuten für uns, ich gehe davon aus, dass Admiral Stark den Flieger geschickt hat. Sie wissen schon, der Mann, der auch uns damals in ein Rebellencamp gebracht hat. Kelly, ich danke dir für dein Interesse, aber ich muss jetzt dringend gehen, alles -

Plötzlich rufen weitere Stimmen Jasons Name, doch diesmal weitaus hektischer und aggressiver als zuvor Kelly und Keenan.

Er erkennt die beiden Stimmen sofort.

„Cage? König??“, fragt er und dreht sich abrupt um. Erst der Sohn, jetzt der Vater, erst Keenan, nun Cage Kennedy.

„Jason, warum seid ihr noch hier??“, fragt Cage schwer atmend und stiert ihn mit einem ungläubigen, fast entsetzten Blick an.

„Wir sind gerade auf dem Weg, es gab Verzögerungen“, erklärt er. „Ich verstehe. Aber ihr müsst jetzt raus, dringend“, sagt Cage mit ruhiger Stimme, doch ist es deutlich, dass er äußerst unruhig und angespannt ist.

Im Kopf Jasons macht sich Verwirrung breit, Cage ist normalerweise ein zutiefst bedächtiger Mensch, den sonst nur schwerlich etwas aus der Ruhe bringen kann.

„Späher haben uns gemeldet, dass eine durchaus ernst zu nehmende Truppe der Western Pirate Union auf das Camp zumarschiert und es ist von großer Wichtigkeit, dass ihr die Absturzstelle so bald wie möglich erreicht.“

Just in dem Moment kommt ein Mann angeritten, das schäu-mende Pferd kommt wenige Meter vor ihnen zum Stehen.

„Sir! Sir! Das war noch nicht alles. Ein zweiter und dritter Trupp von denen ist im Anmarsch, sie kommen! Commander Kennedy, wir werden angegriffen!“, schreit der Bote und seine Worte überschlagen sich fast, während sich seine glasigen Augen weiten.

„Das… das kann nicht sein. Wir waren gerade in den Angriffsplanungen, da sagten unsere Späher, unser Angriff wird planmäßig stattfinden können! Jetzt werden wir in die Defensive gedrängt??“, fragt König Azrael entgeistert und völlig verständnislos.

„Bei allem Respekt, mein König! Wir müssen reagieren, es bringt uns nichts, hier zu verharren und zu bedauern, dass wir uns nicht an unseren Plan halten können! Kelly, lass sofort in allen Ecken des Camps verlauten, dass die Soldaten ihre Posten einnehmen müssen. König, lassen Sie sich von Ihrer Leibwache umgehend in Sicherheit bringen! Wir befinden uns im Krieg!“, dröhnt Cage mit durchdringender Stimme und lädt zur Unterstreichung seiner Worte die Waffe in seiner Hand durch.

Noch im selben Moment kommen sowohl Prinz Kendrick, König Azraels Sohn, als auch seine beiden engsten Vertrauen, Chefberater Edward Grey und Oberbefehlshaber Commander Racker, um die Ecke und auf die vier zu.

„Hört mir jetzt genau zu, alle. Bitte auch Ihr, König Azrael“, sagt Cage und schaut in die Runde.

„Edward, schaffen Sie den König hier weg. Er soll zusammen mit Rex, seiner Leibwache und dem Rexagon in ein sicheres Zelt gebracht werden, dort …

„Ich werde den König in Sicherheit schaffen, ja. Auch wir kommen mit besorgniserregenden Neuigkeiten, es geht um König Rex.“

„Dann gebt uns einen Lagebericht“, sagt Cage sachlich, doch Azraels stichelt sofort gegen den anderen König, für den er nach wie vor nicht allzu viel übrighat.

„Ist er geflohen?“

„Ganz im Gegenteil… als er von den anrückenden Feinden gehört hat, hat er all seine Männer bewaffnen und auf die Wälle gehen lassen. Aber er selbst und das Rexagon, nun ja, die haben sich die schnellsten Pferde aus den Stallungen geholt und reiten auf das Südtor zu. Es scheint mir, als wollten die der WPU direkt hier und jetzt die Stirn bieten, allein.“

In diesem Moment dreht Cage seinen Kopf ruckartig zu Jason, der den Blick panisch erwidert.

Das Südtor.

„Kendrick!“, ruft Cage, grabscht nervös in seinen Jackentaschen herum und hält kurz darauf triumphierend einen Autoschlüssel in die Höhe.

Er wirft ihn dem Sohn des Königs zu, woraufhin der wissend nickt. „Jason!“, brüllt der Prinz daraufhin in der Manier Cages und Jason lässt es sich nicht zweimal sagen, Kendrick zu folgen.

„Ihr müsst hinten raus, Jason, hinten! WEG von diesem Südtor, verstanden??“

Jason hat definitiv verstanden. Das Südtor wird sich in kürzester Zeit zu verbrannter Erde verwandeln.

„Kendrick, pass auf dich auf, mein Sohn!“, kann König Azrael im letzten Moment noch rufen.

Während die beiden Jugendlichen in höchstem Tempo zwischen den Zelten entlang sprinten, hebt Kendrick seinen rechten Arm, um seinem Vater zu zeigen, dass er genau das tun wird.

„Wo gehen wir hin?“, fragt Jason seinen Begleiter schwer atmend, während sie Meter um Meter hinter sich lassen, als wäre der Teufel selbst hinter ihnen her.

„Alter Pickup. Wie Cage sagte, wir müssen hinten raus. Ich weiß, durch Keenan und mich seid ihr zwei mehr geworden, aber damit musst du jetzt leben“, presst Kendrick atemlos zwischen den Schritten heraus.

Nach einem gefühlten Kilometer erreichen sie endlich den mitgenommen aussehenden Ford-Pickup aus früheren Zeiten, den wohl irgendjemand auf einer Fähre hierhergeschafft hat.

Kendrick klemmt sich umgehend hinters Steuer und Jason hechtet auf den Beifahrersitz, während der Prinz Gas gibt.

Sie rasen die Wege entlang, die nicht von Zelten oder Feuerstellen gesäumt sind, überholen auf dem Weg eine in Höchstgeschwindigkeit galoppierende Reiterkolonne, an deren Spitze sie König Rex erkennen können, der mit verbissenem Blick geradeaus blickt und eine halbautomatische Waffe in der Hand schwingt.

„Drück drauf!“, brüllt Jason verzweifelt. Er kann seinen Blick nicht vom Rückspiegel abwenden, während sich eine dunkle Staubwolke hinter den immer schneller werdenden Reitern in die Lüfte erhebt.

Damit versteinert sich auch auf Kendricks Miene eine verbissene Entschlossenheit und er drückt das Gas noch weiter durch, bis sie schließlich driftend und mit Schlamm spritzend das Südtor erreichen.

Dort steht das völlig verwirrte Team Jasons, deren Blicke unbezahlbar sind, als sie Kendrick und Jason im Führerhaus des kleinen Trucks erkennen.

Dutzende um Dutzende von schwer bewaffneten Soldaten stürmen auf die Brüstung des Walls und einige schwärmen nach draußen. Einige Augenblicke vergehen, dann hat auch das Rexagon mit ihrem exzentrischen König an der Spitze aufgeholt und reitet nun geradewegs durch das Tor und in den Kampf.

„Macht Platz dem König!“, dröhnt ein massiger Reiter weit vorne mit tiefer, lauter Stimme.

Unterdessen windet sich Jason aus dem Pickup und richtet hektische Worte an seine Freunde.

„Wir müssen sofort weg hier, das Camp wird angegriffen. Fragt nicht, das können wir alles später klären. Jetzt alle sofort rein hier, schmeißt euch auf die Ladefläche und auf den Rücksitz, stapelt euch von mir aus, aber bitte beeilt euch!“

Alexa wirft ihre gepackte Tasche unsanft in den geräumigen Kofferraum - die anderen tun es ihr nach - und setzt sich ohne Nachzudenken auf Jasons Schoß. Lee, E.T., Fiona und Keenan hechten sich nacheinander auf die Rückbank, wo sie sich zusammenquetschen, während die restlichen sechs mitsamt ihrem Gepäck auf die Ladefläche springen.

Bella, Decker, Cara, Sofia, Michelle und Hank sind die Unglücksraben und müssen sich tatsächlich stapeln, wobei sowohl der ExSeal Jake Decker als auch Hank die wirklich schlechten Karten ziehen und unten liegen müssen. Im letzten Moment reißt Sofia die Heckklappe zu und noch während Kendrick mit quietschenden Reifen anfährt, fallen draußen vor dem Tor die ersten Schüsse, zwei Heere prallen aufeinander und bestialische Schreie von sterbenden Soldaten auf beiden Seiten ertönen.

Der Krieg hat begonnen.

2

„Laufen Sie! Laufen Sie!“, hetzt Cage und scheucht den alten Edward Grey und König Azrael vor sich her, während ihnen bis an die Zähne bewaffnete Soldaten entgegenkommen und sich, ohne sie eines Blickes zu würdigen, einen Weg in Richtung Südtor des Camps bahnen.

Ich sollte in die genau entgegengesetzte Richtung laufen, zur Hölle nochmal!, ist der Gedanke in Cages Kopf, der sich wieder und wieder wiederholt.

„Bleibt stehen!“, sagt er dann plötzlich und blickt in zwei verwirrte Gesichter.

„König, warum ist Eure Leibwache nirgends zu finden?? Das kann doch nicht wahr sein, oder? Die haben nur einen einzigen Job!“, empört sich Cage, der eine solche soldatische Disziplin und Unachtsamkeit nicht verstehen kann.

„Ach, zur Hölle mit Ihnen, Kennedy! Hören Sie auf, ständig zu jammern. Wo zum Teufel ist Commander Racker überhaupt hingegangen?? Der sollte für meine Sicherheit zuständig sein!“

Wie gerufen taucht dann plötzlich wirklich Rackers blutendes Gesicht in ihrem Blickfeld auf. Er prescht in Schieflage auf einem weißen Schimmel heran und kommt vor den dreien hustend zum Stehen, dann steigt er keuchend ab und stützt sich auf seine Knie. „Gerade haben wir über Euch geredet. Was ist los? Ihr seht mitgenommen aus, Commander“, sagt Cage und mustert Racker von oben bis unten.

„Grey, bringen Sie den König in eines der Zelte und treiben Sie zwei fähige Soldaten auf, die Wache halten können. Cage, ich brauche dich jetzt. Deine ersten beiden Einheiten stehen führerlos vor den Toren in der Reserve. Es reicht schon, dass die ganzen Einheiten des Prinzen ohne Anführer dastehen, North und seine Männer noch nicht von der Patrouille zurück sind.“

„Was?! Die werden ins offene Messer laufen, wenn wir sie nicht warnen! Die müssen durch das Nordtor kommen, oder sie werden überrannt.“

„Das ist geregelt, wir haben unsere schnellsten Boten geschickt. Jetzt brauche ich dich aber vorne an der Front!“ Cage lässt es sich nicht zweimal sagen. Er schwingt sich leichtfüßig hinter Racker auf das Pferd, und der Commander gibt dem Schimmel die Sporen.

„Wie sieht es mit Rex aus??“, erkundigt sich Cage, während ihnen der Wind um die Ohren pfeift und der Hengst geschickt durch das Meer aus Zelten galoppiert.

„In der Bredouille. Sieh es dir selbst an.“

Nach wenigen Minuten kommen sie am Südtor an und schon von weitem ist der Lärm der Schlacht zu hören. Racker steigt sofort ab und überlässt Cage das Pferd, mit dem der zu seinen zwei Einheiten reitet. Dort angekommen richtet er sofort das Wort an sie:

„Männer! Wir müssen einen König retten. Rex und sein Rexagon haben Probleme da draußen. Jetzt heißt es, sie zu evakuieren. Wir fusionieren diese beiden Einheiten auf der Stelle“, erklärt er mit lauter und zugleich enorm ruhiger Stimme. Ohne auch nur einen Moment zu zögern, rücken die beiden Truppen im Gleichschritt zu einer großen Einheit zusammen.

„Jeeps vorne raus, Keilformation. Reiter an die Flanken, Trichter. Quads hinter die Jeeps, nach meinem Befehl durch die Lücken ausschwärmen. Speeder hierlassen. Alle Fußsoldaten hinter die Quads. Quad-Fahrer, sobald ihr ausschwärmt, nehmt ihr euch deren Flanken vor. Fußsoldaten, dann das Feuer eröffnen. Wir schließen das Rexagon in unserer Mitte ein und rücken dann ab. Alle Mann, auf geht´s!!“, brüllt er, stößt seine rechte Faust gen Himmel und marschiert mit festen Schritten, unter denen die Erde zu erzittern scheint, auf das Tor zu. Dort angekommen springt er auf ein Quad und lässt den Motor aufheulen.

Der Kampf ist kräftezehrend und es kommt auf beiden Seiten auf jede Patrone an, bei den sich verschanzenden Rebellen jedoch noch viel mehr, da sie keine Chance auf Nachschub haben.

Das Scharmützel zieht sich hin, doch nach einer Weile schaffen es Cages Truppen, Rex und seine Männer zu erreichen und für sicheres Geleit hinter die Wälle zu sorgen. Für den riskanten Einsatz galt es allerdings einen Preis zu zahlen; drei gute Soldaten sind gefallen und auch zwei der Quads mussten zerstört auf dem Schlachtfeld zurückgelassen werden.

Mit einem lauten Krachen schließen die beiden Tore des Südwalls, als auch der letzte Soldat hindurch ist. Die völlig erschöpften Männer Cages und Rex´ liegen und sitzen weit verstreut, schwer atmend, aber größtenteils unverwundet auf der freien Wiese hinter dem Südtor, während den Soldaten auf dem Wall nicht einmal eine kurze Pause vergönnt ist. Sie kauern dort vor Anstrengung schwitzend und feuern vereinzelte Salven über die Brüstung, um die WPU-Männer so gut es geht auf Entfernung zu halten.

Wie, zum Teufel, kommt Ihr auf die höllisch dumme Idee, dort einfach rauszustürmen??“, tobt einer von Cages Unteroffizieren unterdessen und starrt Rex entgeistert an, während Cage selbst nur mit grimmigem Blick danebensteht.

„Wir wollten dieses Camp und die Leben darin schützen, im Gegensatz zu anderen Führungskräften hier“, sagt Rex eiskalt und wirft Cage einen abschätzigen Blick zu.

„Rex, Cage, wir müssen das Ganze hier vernünftig und rational angehen. Lasst uns zu einer Generalstabsitzung zusammenkommen, um das weitere Vorgehen zu besprechen“, sagt Azrael, der inzwischen auch zum Südtor gekommen ist, und schaut die beiden Streithähne erwartungsvoll an.

Rex atmet langsam und tief ein und aus, es wirkt, als müsste er sich selbst daran hindern, Azrael mitten ins Gesicht zu schlagen.

Wo der Herrscher über den größten Teil des Vierten Sektors normalerweise stets äußert berechnend und ruhig bleiben kann, ist der andere König des Sektors ein Dorn in seinem Auge und dessen Handlungen haben ihn schon oft an die Grenze seiner Geduld gebracht.

„Azrael, eine Sitzung? Die Feinde stehen vor den Toren, die bauen da gerade eine Belagerung auf oder überlegen, wie sie uns am besten überrollen können und Sie wollen eine Sitzung einberufen? Verstehen Sie nicht, dass die Zeit für Sitzungen vorüber ist? Wir müssen handeln, es ist ohnehin schon viel zu viel geredet worden!“, brüllt Rex jetzt derart laut, dass selbst Meter entfernt stehende Soldaten zusammenzucken.

„Ich muss Rex in diesem Punkt Recht geben, König. Die Zeit zu handeln ist gekommen“, drängt auch Cage und nickt Rex zu, der die Geste grimmig erwidert.

„Ich schlage vor, wir formieren funktionierende Einheiten aus allen verfügbaren Soldaten und greifen an, wenn sie es nicht erwarten“, sagt Cage und wartet angespannt auf eine Antwort der beiden Könige.

„Nein. Dafür haben wir nicht die Zeit, Kennedy. Wir müssen sofort angreifen. Mit einem sofortigen Angriff rechnen die nicht, es ist unsere beste Chance“, sagt Rex bestimmt und es wird deutlich, dass ihn von dieser Ansicht nichts mehr abbringen wird. Doch Azrael schüttelt nur den Kopf.

„Verstehen Sie beide nicht, dass wir nicht in der Lage sind, anzugreifen? Unsere Männer sind geschwächt, die können heute sicher keine Schlacht mehr gewinnen.“

Die drei schauen sich an und die vergiftete Atmosphäre ist fast greifbar, dann packt Rex plötzlich sein Walkie-Talkie und benachrichtigt Horren, den Leiter des Rexagons. Keine fünf Sekunden später macht Azrael das gleiche und lässt seine gesamte Leibwache und die Soldaten Safarias auflaufen.

„WALLWACHEN!“, ruft derweil Cage und eilt den Aufgang zum Schutzwall empor. „Lasst niemanden hier raus, außer ich befehle es“, sagt er.

Ein äußerst merkwürdiges Bild ergibt sich aus all dem Wirrwarr. Sämtliche Wachposten auf dem Wall haben ihre Waffen angelegt, zielen jetzt jedoch nicht mehr auf den Feind draußen, sondern auf die Männer unter ihnen, die auf der Wiese hinter dem Südtor stehen.

Dort passiert dasselbe Schauspiel; Waffen werden geladen und Soldaten des Rex-Empire zielen auf die Köpfe der Safaria-Männer, während diese die Wallwachen und Empire-Soldaten ins Visier nehmen.

Oben auf der Brüstung steht Cage und blickt nach unten, wo sich Azrael und Rex gegenüberstehen und einander unsicher anschauen.

„Ich glaube, wir haben hier eine klare Patt-Situation. Und wenn, wie ich sehr hoffe, keiner von uns ein Massaker an den eigenen Leuten befehlen will, so kommen wir auf diese Weise nicht weiter“, sagt Cage laut, damit die beiden ihn deutlich verstehen.

Im selben Moment kommen zwischen den nächstgelegenen Zeltreihen drei Pferde angeprescht. Commander Racker, Azraels rechte Hand, ist der erste, der absteigt. Captain Michael Yeager und Edward Grey, die beide ebenfalls Männer aus Safaria sind, folgen seinem Beispiel.

„Was zur Hölle ist hier los?“, fragt Yeager nervös und beäugt dieses einmalige Mexican standoff ungläubig.

Es ist eine Situation, die von keinem gewonnen werden kann.

„Ich habe einen Vorschlag, Azrael, Cage“, erklärt Rex und wirft den beiden einen Blick zu, während jeder der Drei in einer verwunderlichen Einigkeit konsequent die drei Neu-ankömmlinge ignoriert, selbst Azrael.

„Wir halten eine Wahl ab. Die Soldaten selbst stimmen ab, wir tragen unsere jeweiligen Meinungen vor. Einverstanden?“

Beide überlegen kurz, nicken dann verbissen und mit versteinerten Blicken.

Dass auch Rex nicht ganz zufrieden ist, ist ihm deutlich anzusehen. Der Wahlkampf ist eröffnet.

3

Die auf unmenschlich wenig Platz zusammengepferchten Jugendlichen fahren fast 20 Minuten über Wurzeln, Büsche und Steine, bis der Motor plötzlich zu röcheln beginnt.

„Verdammt!“, brüllt Kendrick und schlägt mehrfach auf das Lenkrad ein, bis Jason seine Faust packt und ihn eindringlich anstarrt. „Kendrick! Lass das. Es bringt die Karre auch nicht wieder zum Fahren. Kommt schon, alle raus. Wir machen Pause und unterdessen werden E.T., Decker, Kendrick und ich uns das Auto mal anschauen, vielleicht bringen wir das Kätzchen ja wieder zum Schnurren“, sagt er entschlossen und lässt erst Alexa aus der Beifahrertür steigen, dann setzt auch er seine Stiefel auf den matschigen Waldboden.

Nach und nach verlassen alle den Pickup und setzen sich in kleinen Grüppchen an den Wegesrand. Nur der junge Königssohn, Decker, Technikgenie E.T. und Jason selbst bleiben beim Wagen.

„Hey Jase, warum lässt du Keenan, Lee und mich nicht helfen?“, fragt Hank verstimmt und schaut Jason unglücklich an.

„Weil ich es sage. Bei wichtigeren Entscheidungen beziehe ich eure Meinung gern in meine Entscheidung ein, aber wir müssen keine Zeit verschwenden und bei jeder Winzigkeit diskutieren“, erwidert Jason ernst und widmet sich wieder dem Pickup.

Während ein etwas verstimmt wirkender Hank beschwichtigend von Alexa weggeführt wird und Sofia mit netten Worten neben ihm herläuft, öffnet Ex-Seal Decker die Motorhaube, aus der es kräftig und widerwärtig stinkend qualmt.

„Jason, komm mal kurz mit“, sagt er zähneknirschend und zieht Jason mit sich hinter den Wagen. Dann beginnt er zu reden, nachdem er sich vergewissert hat, dass keiner der anderen zuhört.

„Du weißt, dass ich ein Werkstatt-Kind bin, ich habs dir erst letztens erzählt, aber für das da brauche selbst ich einige Stunden. Wir sollten die anderen jedoch nicht so schnell demotivieren. Du wirst ihnen sagen, dass ich das Problem bald in den Griff bekomme, wir hier aber trotzdem ein Lager aufschlagen, da es ohnehin spät ist. Ja?“

„Okay, machen wir es so. Hinten ist noch Werkzeug, halt dich ran, Jake. Ich will hier nicht unnötig lange bleiben. Und du weißt, in unserem Fall bedeutet Zeit Leben.“

Einige Minuten später macht sich Decker ans Werk, während ihm E.T. assistiert. Jason hat die anderen inzwischen aufgefordert, das kleine Lager aufzuschlagen. Er baut gerade zusammen mit Kendrick ein Zelt auf, als er Lee etwas abseits sitzen sieht.

Mit langsamen Schritten geht er auf seinen asiatischen Freund zu. „Lee?“, fragt er vorsichtig, doch der starrt gedankenverloren ins Leere. „Hey, darf ich mich zu dir setzen?“

Lee antwortet nicht gleich, nach einer Weile nickt er aber und rückt ein Stück zur Seite, um Jason neben sich sitzen zu lassen.

Die beiden wechseln für mehrere Minuten kein Wort, schauen gemeinsam dabei zu, wie Decker am Wagen schraubt und blicken lange in den Himmel. Dann ist es Jason, der das Schweigen bricht. „Damals, in Sieben, als mein Leben noch normal war und mein Bruder und ich gemeinsam mit unseren Eltern im kalifornischen Bezirk gelebt haben, habe ich auch gern einfach in den Himmel geschaut. Ich habe die vorbeifliegenden Hovercrafts von WarTech oder von verschiedenen Reisegruppen beobachtet und irgendwie hat mich das entspannt. Es ist ein komisches Gefühl, hier in den Himmel zu schauen und keine …“

Plötzlich wird er von einem markerschütternden Schrei unterbrochen. Keine Sekunde später peitschen mehrere Schüsse durch die Luft und Jason springt alarmiert auf. Er sprintet zu dem Ford-Pickup, umrundet ihn und findet ein furchtbares Schauspiel vor.

Hank liegt blutend am Boden, während ein muskulöser Puma auf ihm thront und sich scheinbar in seinem Arm verbissen hat. Die Schüsse wurden offensichtlich von Fiona, Alexa und Sofia abgefeuert, die allesamt mit ihren Waffen dastehen und zitternd auf das Raubtier zielen.

„Gebt ihm den Rest, zum Teufel!“, brüllt Jason hysterisch und Sofia ist die erste, die reagiert und dem Tier mehrere Kugeln in den Körper jagt, bis es über Hank zusammensackt.

Inzwischen ist auch Lee zu ihnen gestoßen, der jetzt gemeinsam mit Jason den Leichnam des Tiers von Hanks lädiertem Körper hebt.

„Kümmert euch um Hank, sofort! Lee, hilf mir, das Ding auf die Ladefläche zu bringen. Wir haben sowieso nicht genug Proviant dabei. Das wird uns jetzt für einige Tage wenigstens gut versorgen können“, sagt Jason und Lee nickt zustimmend.

Während die beiden den Transport des toten Pumas angehen, muss Decker auf einen völlig verstörten E.T. beruhigend einreden und Michelle, Bella und Sofia sind damit beschäftigt, Hanks Wunden zu verbinden. Er wurde übel zugerichtet. Cara und Keenan checken die Munition, die ihnen noch geblieben ist und Kendrick steht besorgt und an seinen Fingernägeln kauend über dem Mädchengespann, das sich angestrengt um Hank kümmert.

„Cara, wie sieht es aus?“, fragt Jason laut, woraufhin Cara den Kopf schüttelt und ihre Lippen zusammenpresst.

„Drei volle Magazine fürs Gewehr, ein volles für die Pistolen. Drei fast leere fürs Gewehr und vier halbvolle für die Pistolen.“ Die beiden werfen sich einen ernsten Blick zu, dann wendet sich Jason an Keenan.

„Keenan. Erstell einen Plan, wie wir Nahrung und Munition rationieren, okay?“

Der dunkelhäutige Jugendliche nickt und zeigt Jason seinen nach oben gerichteten Daumen.

„Kendrick, wie sieht es bei euch aus?“, fragt er angespannt, doch es ist Bella, die ihm antwortet.

„Er wird vorerst auf jeden Fall durchkommen und momentan sieht es nicht so aus, als würde es sich entzünden. Die Betonung liegt auf momentan. Jetzt braucht es gute Verbände und viel Glück“, erklärt sie ernst und richtet ihren Blick danach sofort wieder auf „ihren Patienten“.

„Jake, E.T.?“, fragt er dann noch und schließt damit seine Fragerunde ab.

„Vermutlich besser als drüben bei Hank, aber trotzdem deutlich zu schlecht. Wir sind nicht gerade sehr viel weiter gekommen…“, erklärt E.T. bedrückt und sich immer noch von dem Schock erholend.

„Lee“, sagt Jason, dreht sich um, hält dann jedoch inne. „Lee?“, fragt er angespannt, doch sein Freund ist weit und breit nicht zu sehen.

„FUCK!“, brüllt Decker plötzlich und hämmert gegen die Karosserie des Pickups.

„Alle sofort in den Wagen, los, los, los!“, schreit er, rennt selbst zum Verwundeten und hebt ihn sanft zu sich hoch. Die anderen folgen seiner Anordnung, ohne sie zu hinterfragen und klettern entweder in den Pickup, auf die Ladefläche oder gar aufs Dach des Führerhäuschens.

Decker hat Hank sanft neben der Leiche des Pumas abgelegt, als er den anderen schwer atmend zeigt, wieso er plötzlich die Flucht angetreten hat.

Jetzt erblicken auch die anderen die beiden Raubkatzen, die mit gespitzten Ohren um den Wagen herumschleichen.

Die Brüder des ersten Angreifers sind gekommen und sie scheinen nicht gerade begeistert vom Tod ihres Artgenossen, den sie ohne Zweifel witterten.

„Lee, du bist da unten, oder?“, fragt Jason, der sich selbst auf das Dach gelegt hat, seine Antwort jedoch von Cara bekommt.

„Lee ist nicht hier bei uns. Ich dachte, er wäre bei dir?“, sagt sie langsam und mit merklicher Angst in der Stimme. Jason dreht sich ruckartig um und inspiziert die Ladefläche, sieht dort jedoch nur Decker, Michelle, Bella, E.T und Hank, der immer bleicher wird. Keine Spur von Lee.