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Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen

12/2019

ISSN 0379-0231

Das „Wissenschaftliche Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen“ setzt die Tradition der „Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum“ fort.

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INHALT

VORWORT
Wolfgang Meighörner

EINE NEU ENTDECKTE ZEICHNUNG VON HANS SCHÄUFELEIN
Der Entwurf für ein Stifterfenster des Froners Heinrich Zehentner in Schwaz
Uwe Gast

WIDER DAS VERGESSEN DES IN WILTEN GEBORENEN BAROCKMALERS JOHANN CYRIAK HACKHOFER
Hubert Held

UMHAUSEN-FARST – DER „ADLERHORST DES ÖTZTALES“ IN TIROL EIN HOTSPOT FÜR SCHMETTERLINGE (LEPIDOPTERA)
Peter Huemer

TAG DER ARTENVIELFALT 2019 – TIROL/BRANDENBERG
Konrad Pagitz & Peter Huemer (Wissenschaftliche Koordinatoren)

ANDREAS ALOIS DIPAULI UND DAS ELTERLICHE GRABDENKMAL IN DER PFARRKIRCHE VON ALDEIN
Nebst weiteren Zuwendungen für seinen Geburtsort
Hansjörg Rabanser

MASSIMILIANO ODER BIANCA MARIA SFORZA?
Eine Neubewertung der sogenannten „Siegelkapsel der Bianca Maria Sforza“
Delia Scheffer

ERHEBUNG DER SCHMETTERLINGSDIVERSITÄT IM MÜHLAUER FUCHSLOCH (INNSBRUCK)
Benjamin Wiesmair, Petra Schattanek, Siegfried Erlebach, Raimund Franz, Herbert Seelaus, Wolfgang Auer & Peter Huemer

AUTORINNEN UND AUTOREN

VORWORT

Es ist nun tatsächlich schon elf Jahre her: 2008 erschien der erste Band der Reihe „Wissenschaftliches Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen“, welche die vorangegangen „Veröffentlichungen des Tiroler Landesmuseums Ferdinandeum“ ablöste. Das Ziel dieser jährlich erscheinenden Publikation war es – und ist es auch heute noch – die aktuellsten Forschungsergebnisse zu präsentieren, die aus der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Themenkreisen aus dem Umfeld unserer fünf Häuser (Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Tiroler Volkskunstmuseum, Museum im Zeughaus, Hofkirche und DAS TIROL PANORAMA mit Kaiserjägermuseum) oder der Bestandsforschung im vergangenen Jahr hervorgegangen sind. Die insgesamt 143 Beiträge behandelten diverseste geistes- und naturwissenschaftliche Themen und wurden sowohl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Tiroler Landesmuseen als auch von externen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus dem In- und Ausland verfasst. Jedes einzelne „Wissenschaftliche Jahrbuch“ beinhaltet ein vielfältiges Potpourri an interessanten Fragestellungen, das der Leserschaft sicher spannende Lesestunden bietet.

Dies trifft sicherlich auch auf den Ihnen vorliegenden Band zu: Im Bereich der Geisteswissenschaften beschäftigt sich Uwe Gast mit einer neu entdeckten Zeichnung von Hans Schäufelein, einem Entwurf für ein Stifterfenster des Froners Heinrich Zehentner in Schwaz, Delia Scheffer nimmt eine Neubewertung der sogenannten „Siegelkapsel der Bianca Maria Sforza“ in Angriff, Hubert Held widmet sich dem in Wilten geborenen Barockmaler Johann Cyriak Hackhofer und Hansjörg Rabanser schreibt über den Südtiroler Andreas Alois Dipauli und das elterliche Grabdenkmal in der Pfarrkirche von Aldein. Im Bereich der Naturwissenschaften werden die Region Umhausen-Farst durch Peter Huemer und das Mühlauer Fuchsloch in Innsbruck durch Benjamin Wiesmair, Petra Schattanek, Siegfried Erlebach, Raimund Franz, Herbert Seelaus, Wolfgang Auer und Peter Huemer hinsichtlich der Schmetterlingsdiversität beschrieben, darüber hinaus konnten beim Tiroler Tag der Artenvielfalt in der Gemeinde Brandenberg unter der Leitung der Wissenschaftlichen Koordinatoren Konrad Pagitz und Peter Huemer 1.300 Taxa dokumentiert werden.

Den Autorinnen und Autoren sei an dieser Stelle nicht nur für ihre wert- und eindrucksvollen Beiträge, sondern auch für die termingerechte Abgabe derselben gedankt. Dank gilt auch wie jedes Jahr dem Studienverlag für die professionelle Umsetzung und Gestaltung sowie die Unterstützung beim Vertrieb. Ich möchte an dieser Stelle auch ganz herzlich Astrid Flögel danken, die heuer kurzfristig – und wie ersichtlich mit bestem Ergebnis! – die Redaktion und das Lektorat des Bandes übernommen hat.

Auf das „Wissenschaftliche Jahrbuch der Tiroler Landesmuseen 2019“ sehe ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Einerseits freut es mich sehr und macht es mich stolz, dass die vorliegende Publikation die bereits 12. in der Reihe ist, andererseits stimmt es mich traurig, dass dieser Band der letzte sein wird, den ich in meiner Amtszeit als Direktor der Tiroler Landesmuseen herausgebe. Ich möchte mich daher hiermit bei allen Autorinnen und Autorinnen der 12 Bände, beim Studienverlag und bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Redaktion und am Lektorat der Reihe für ihre Arbeit und ihr unermüdliches Engagement von ganzem Herzen bedanken. Ich verbinde dies mit der Hoffnung, dass auch künftig eine Plattform für die Publikation wissenschaftlicher Ergebnisse eine Heimat an den Tiroler Landesmuseen haben möge.

Wolfgang Meighörner

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Abb. 1: Hans Schäufelein, Beweinung Christi, Ausschnitt aus einem Entwurf für ein Glasfenster mit der Beweinung Christi und einem Stifterpaar (Heinrich Zehentner und Caritas Hofstetter), 1507, Tusche auf Papier, Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna, Arezzo, Inv.-Nr. 109.
Foto: Francesco Bini, Wikimedia Commons, licensed by CC BY-SA 3.0, url: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 (Zugriff: 26.9.2019).

EINE NEU ENTDECKTE ZEICHNUNG VON HANS SCHÄUFELEIN

Der Entwurf für ein Stifterfenster des Froners Heinrich Zehentner in Schwaz1

Uwe Gast

ABSTRACT

It is a well-known fact that the German painter and designer Hans Schäufelein went to Tyrol for some two years after his stay in Nuremberg at the workshop of Albrecht Dürer (c. 1503–1507). The small oeuvre of Schäufelein in Tyrol can be expanded by a further work, a really unexpected finding. It is a design for a stained glass window that was planned by the so-called Froner Heinrich Zehentner and his wife, Caritas Hofstetter, for the Church of Our Lady in Schwaz. The drawing of Hans Schäufelein, originated from his journey from Nuremberg to Meran in 1507, derives from the collection of Mario Salmi and is now kept in the Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna in Arezzo. Although only preserved as a sketchy design, the projected Düreresque window should be without doubt an outstanding part of the church furniture made by several artists from Swabia, Bavaria and even Franconia. Concerning the patron Heinrich Zehentner and his personal environment, there were a lot of connections to Nuremberg. Therefore it seems possible that Schäufelein started his journey to Tyrol with good prospects of concrete orders.

ZUSAMMENFASSUNG

Es ist eine wohlbekannte Tatsache, dass der Maler und Grafiker Hans Schäufelein sich nach seiner Zeit in der Werkstatt von Albrecht Dürer (ca. 1503–1507) für etwa zwei Jahre in Tirol aufgehalten hat. Dort ist er mit einem kleinen OEuvre zu fassen, dem sich als überraschender Fund ein weiteres Werk hinzufügen lässt. Es handelt sich um den Entwurf für ein Glasfenster, das der Froner Heinrich Zehentner und seine Frau Caritas Hofstetter für die Filialkirche Unserer Lieben Frau in Schwaz geplant hatten. Das 1507 datierte Blatt, das heute im Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna von Arezzo aufbewahrt wird, ist auf Schäufeleins Reise von Nürnberg nach Meran entstanden. Zwar ist es nur der flüchtige Entwurf eines von Dürer geprägten Künstlers, doch sollte das projektierte Werk in der reichen, von Künstlern aus dem ganzen süddeutschen Raum geschaffenen Ausstattung der Kirche ohne jeden Zweifel einen ganz eigenen Akzent setzen. Aus dem Umfeld, in dem der Stifter Heinrich Zehentner sich bewegt hat, führen vielerlei Spuren nach Nürnberg, sodass Hans Schäufelein seine Reise nach Tirol möglicherweise mit der konkreten Aussicht auf Aufträge angetreten hat.

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Abb. 2: Hans Schäufelein, Entwurf für ein Glasfenster mit der Beweinung Christi und einem Stifterpaar (Heinrich Zehentner und Caritas Hofstetter), 1507, Tusche auf Papier, Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna, Arezzo, Inv.-Nr. 109. Foto: Francesco Bini, Wikimedia Commons, licensed by CC BY-SA 3.0, url: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 (Zugriff: 26.9.2019).

Es ist nicht wirklich zu erwarten, in einem kleinen italienischen Museum auf die Zeichnung eines deutschen Malers der frühen Neuzeit zu treffen. Im Global Village des 21. Jahrhunderts ist ein solcher Fund aber leicht möglich. Dank der vielen Bilder, die im Netz zu einzelnen Sammlungen, Künstlerinnen und Künstlern oder Bildgegenständen und -themen publiziert sind und laufend publiziert werden, sind Trouvaillen im Grunde fast an der Tagesordnung. Eine offenbar die Pfarrkirche von Schwaz in Tirol betreffende Entdeckung – die Zeichnung eines Fensters, die in Arezzo im Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna aufbewahrt wird – soll im Folgenden vorgestellt und diskutiert werden.

Das Blatt – eine in Teilen aquarellierte Tuschzeichnung auf Papier mit den Maßen 13 x 28 cm (Abb. 1, 2) – stammt aus der Sammlung des Kunsthistorikers Mario Salmi (1889–1980). Es wurde zusammen mit einigen weiteren Werken im November 2010 von dessen Tochter, Lina Magnanelli Salmi, dem Museo Nazionale d’Arte Medievale e Moderna in Arezzo geschenkt und 2012, vermutlich aufgrund von Notizen Salmis, als eine „Veduta“ des Nürnberger Malers Michael Wolgemut publiziert.2 Indes, man braucht kein Spezialist für Kunst um 1500 in Nürnberg zu sein, um diese Zuschreibung als Irrtum zu erkennen. Das Blatt stammt vielmehr von der Hand eines Künstlers, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts im Umkreis von Albrecht Dürer tätig gewesen sein muss, und offensichtlich war dies, wie noch zu diskutieren sein wird, Hans Schäufelein (1480/1485–1538/1540). Darüber hinaus enthält die Darstellung so detaillierte Informationen, dass sie, genauer als bisher, als Entwurf zu einem Stifterfenster für einen Sakralbau in Schwaz in Tirol identifiziert werden kann. Welche Bedeutung kommt diesem Blatt zu? Was verrät es über die Vita des Künstlers, über das Repräsentationsbedürfnis des Stifterpaares, über den Bergbauort Schwaz selbst, an dem eine Vielzahl von Kunstwerken unterschiedlicher Herkunft versammelt war?

Dargestellt ist die untere Partie eines Fensters, die durch senkrechte Pfosten in drei Bahnen und durch waagerechte Eisen in zwei Zeilen unterteilt ist. Die untere Zeile mit drei Scheiben von leicht hochrechteckigem Format ist vollständig sichtbar, die obere Zeile ist lediglich angedeutet. Die figürliche Komposition ist der Fensterarchitektur entsprechend dreiteilig aufgebaut. Über einem Sockelband mit durchlaufender Inschrift ist in der Mittelbahn Maria mit dem toten Christus zu sehen, in den Außenbahnen knien, von ihren Vollwappen begleitet, der Stifter und seine Frau. Sowohl Maria und Christus als auch Stifter und Stifterin werden überfangen von Baldachinen aus dichtem Ast- und Laubwerk, das, gleichsam rhythmisiert, in der Mitte üppiger als auf den Seiten gestaltet ist. Die Hauptäste deuten jeweils einen Kielbogen an, ohne dass sie sich in die nächste, verkürzte Zeile fortsetzen und dort zusammenfinden würden. Die breit gelagerten Bogen- und Astwerkfüllungen dieser oberen Zeile bilden stattdessen einen für sich stehenden friesartigen Abschluss. Letzteres deutet möglicherweise darauf hin, dass die gesamte Komposition – Sockelband mit Inschrift, Beweinung Christi, Stifter und Stifterin, Bekrönungen – zu einem nur partiell farbig verglasten Fenster gehören sollte.

Stifter beziehungsweise Auftraggeber und Ausführungsdatum dieses projektierten Fensters werden in der Sockelinschrift genannt: „Hainrich Zechentner dy zeit froner / Anno dom[in]i 1507 / Karitas Hofsteterin sein haw[sfraw]“. Zwischen den Worten „zeit“ und „froner“ wurde, wohl auf Wunsch des Stifters, noch die Formel „Ro[emisch] k[ö]n[iglicher] m[aje]s[tä]t“ nachgetragen, wie sie ähnlich in einer Rundscheibe von 1514 für denselben Auftraggeber erscheint (Abb. 3).3 Heinrich Zehentner – in dieser Schreibweise ist sein Name überwiegend überliefert – legte offenbar großen Wert darauf, dass er das Froneramt zu Schwaz, das heißt die Aufgabe des Einzuges des Bergzehnten, im Jahr 1501 vom Landesfürsten Maximilian I. verliehen bekommen hatte und sein Titel richtig genannt wurde.4 Zuvor war er seit Längerem als Verweser eingesetzt gewesen. Nach seiner Absetzung infolge des Bergarbeiteraufstandes 1525 schrieb er, ein alter Mann, an Erzherzog Ferdinand I., er habe das Froneramt 38 Jahre verwaltet.5 Sein Wappen stellt in Rot einen silbernen Schwan mit ausgebreiteten Flügeln dar, das Wappen seiner Frau Caritas Hofstetter eine doppelte, von zwei Sternen begleitete Lilie. Von Letzterer ist bekannt, dass sie im Jahr 1548 verstorben war.6

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Abb. 3: Rundscheibe (Pasticcio) aus Schwaz mit der Inschrift „Hainrich Zehentmär Rö[misch] Kay[serlicher] M[ajestä]t Frener zv Schwacz 1514“, Augustiner-Chorherrenstift, Herzogenburg, Inv.-Nr. D 27. Foto: Corpus Vitrearum Österreich / Christina Wais-Wolf.

Heinrich Zehentner war also bereits viele Jahre in Schwaz ansässig und als Steuerbeamter eine angesehene Persönlichkeit, als er zusammen mit seiner Frau die in der Zeichnung dokumentierte Fensterstiftung plante. Ob sie überhaupt jemals ausgeführt wurde oder einfach nur verloren ist, bleibt ungewiss. Sie ist aber eine von drei projektierten und/oder realisierten Kunststiftungen, die heute noch mit seinem Namen verbunden werden können.7

Das Projekt fiel in eine Zeit fiebriger Bau- und Ausstattungstätigkeiten in Schwaz.8 Der Ort war infolge der Reaktivierung des Bergbaues um 1420/1430 bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts von einer Siedlung zu einem Wirtschafts- und Finanzplatz mit bis zu 20.000 Einwohnern angewachsen. Politisches, ökonomisches und religiöses Zentrum wurde der Ortsteil „Markt“, jenes Quartier südwestlich des Lahnbaches und östlich des Flusses Inn, in dem binnen weniger Jahrzehnte nicht nur das Gerichtshaus sowie Geschäfts- und Wohnhäuser verschiedener Gewerkenfamilien, sondern auch zwei große Kirchen erbaut und ausgestattet wurden: zum einen die – erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts zur eigenständigen Pfarre erhobene – Filialkirche Unserer Lieben Frau, zum anderen die Klosterkirche der Franziskaner. Von beiden Bauten kommt aus chronologischen Gründen wohl allein die Liebfrauenkirche mit ihren durchgängig dreibahnigen Fenstern als geplanter Standort für die Zehentner-Stiftung in Betracht, allenfalls noch die zur Kirche gehörige Totenkapelle.9

Die Liebfrauenkirche, die einen Vorgängerbau aus dem 14. Jahrhundert ersetzte, ist im Kern in den Jahren 1460 bis 1478 und 1490 bis 1502 errichtet worden.10 Ihre eigenwillige architektonische Gestalt in Form einer an der Mittelachse gespiegelten vierschiffigen Halle mit zwei Ostchören erklärt sich aus ihrer Geschichte. Die in der ersten Etappe von Hans und Gilg Mitterhofer errichtete Kirche war noch ein dreischiffiger, vierjochiger Bau mit eingezogenem Chor.11 Dieser Bau muss sich schon bald nach seiner Vollendung als zu klein und darüber hinaus für die gesellschaftliche Zweiteilung der Einwohnerschaft von Schwaz in Bürger und Knappen als unpraktisch erwiesen haben. Die Kirche wurde deshalb in der zweiten Etappe nach Plänen von Erasmus Grasser aus München und unter örtlicher Leitung von Christoph Reichartinger auf ihre heutige Größe erweitert.12 Es war ein bemerkenswerter, im Grunde genialer Umbau. Die Kirche erhielt im Osten einen zweiten Chor, im Süden anstelle des alten, schmalen Seitenschiffes, das abgebrochen wurde, ein zweites Hauptschiff und ein neues Seitenschiff (Abb. 4), im Westen wurde sie um zwei Joche verlängert. In noch unvollendetem Zustand wurde die erweiterte Kirche mit sieben Altären Ende November 1502 geweiht.13 Es ist überliefert, dass die Nutzung ihrer neuen südlichen Hälfte der Knappschaft vorbehalten war und eine hölzerne Trennwand Bürgerund Knappenkirche voneinander schied.14

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Abb. 4: Schwaz, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt, Blick durch die südlichen Schiffe nach Osten. Foto: Simon Koopmann, Wikimedia Commons, licensed by CC BY-SA 3.0, url: http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0 (Zugriff: 26.9.2019).

Noch während die Umbauarbeiten an der Kirche in vollem Gange waren, wurden die Retabel für die beiden Hochaltäre in den Chören 1500 in Auftrag gegeben. Das Retabel im Nordchor wurde bei Veit Stoß in Nürnberg bestellt, der es fristgerecht 1503 lieferte und aufrichtete.15 Das Retabel im Südchor wurde an einen offensichtlich weniger zuverlässigen Bildschnitzer vergeben, Ulrich Vaist in Landsberg am Lech, der seine Arbeit erst 1518 vollenden konnte.16 Beide Werke sind bis auf zwei Gesprengefiguren vom Stoß-Retabel verloren. Zusammen mit den Resten anderer Retabel, die in der Kirche erhalten sind, wie etwa dem Schrein vom Anna-Altar von 1505/1510 im Südseitenschiff,17 lassen sie dennoch darauf schließen, dass die Kirche noch im ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts nutzbar gemacht wurde, trotz der laufenden oder unmittelbar bevorstehenden Arbeiten an Dachstuhl und Dach (1503–1508, 1508–1510), Sakristei und Turm (1503–1508, 1509–1513) sowie an den Emporen im Innern (1516–1518, 1518–1520).18

Zur gleichen Zeit wurde von Christoph Reichartinger nördlich der Kirche die Totenkapelle errichtet (1504–1506, Weihe 1509), ein zweigeschossiger Bau, der in der Unterkapelle ebenfalls ein dreibahniges Fenster besitzt.19 Er wurde im Jahr 1511 mit Retabeln von Sigmund Haffner aus München und Christoph Scheller aus Memmingen ausgestattet, von denen das letztere, für die Oberkapelle geschaffene Werk erhalten geblieben ist.20

Was über die in wenigen Scheiben überlieferten Farbverglasungen von Kirche und Kapelle bekannt ist,21 passt zu dem Bild kontinuierlich mit den Bauten gewachsener Ausstattungen, mit denen Werkstätten von Tirol, über Schwaben und Bayern, bis nach Franken beauftragt worden sind.

Die seit 1948/1949 in der Kirche in drei Langhausfenstern eingesetzten Reste entstammen drei Verglasungskampagnen. Erhalten sind zwei Darstellungen der Muttergottes aus der Zeit um 1485/1490 beziehungsweise um 1490, die einer in Tirol ansässigen Werkstatt zugeschrieben werden,22 eine fast lebensgroße, zwei Fensterfelder umfassende Darstellung des Propheten Daniel, ein Werk des in den Jahren 1506 und 1509 für Schwaz tätigen Augsburger Malers und Glasmalers Gumpolt Giltlinger,23 und schließlich vier Darstellungen von Wappenhaltern und Heiligen von 1515/1520 aus einer weiteren im süddeutschen Raum, möglicherweise in München lokalisierbaren Werkstatt.24 In der Totenkapelle ist dagegen nur ein kleiner Kruzifixus aus dem dritten Viertel des 15. Jahrhunderts vorhanden.25 Er stammt vermutlich aus der Kirche, aus der er zu einem unbekannten Zeitpunkt in die Unterkapelle versetzt worden sein muss, während die ursprüngliche, für Gumpolt Giltlinger und den wohl ortsansässigen Glaser Sigmund bezeugte, im Übrigen partielle Farbverglasung der Kapelle von 1509 verloren zu sein scheint.26 Als Bestimmungsort der geplanten, 1507 datierten Zehentner-Stiftung dürfte die Kapelle folglich ausscheiden.27

Allein im Hinblick auf diesen sehr lückenhaften Bestand, dem sich lediglich einige in Schrift und Bild überlieferte Glasmalereien hinzufügen lassen,28 bedeutet die Zeichnung in Arezzo einen Gewinn (Abb. 2). Im Gegensatz zu den genannten, für sich stehenden figürlichen Fragmenten vermittelt sie noch eine zusammenhängende, auf drei Bahnen ausgedehnte Komposition. Dabei ist nicht sicher, ob die Darstellung zu einem vollständig farbig verglasten Fenster gehören oder – ob auf dem Fenstersockel stehend oder innerhalb des Fensters schwebend – mit einer Blankverglasung verbunden werden sollte. Auch ihr ursprünglicher Standort innerhalb des Kirchenbaues ist nicht zu ermitteln.29 Mit Sicherheit war aber ein Fenster projektiert, mit dessen Stiftung Heinrich Zehentner und seine Frau Caritas Hofstetter sich unter jene am Schwazer Bergbau beteiligte (Gewerken-)Familien einreihen konnten, die sich, wie die Tänzl, Hofer und Maxlrain, ebenfalls um die glasmalerische Ausstattung der Kirche verdient gemacht hatten. Die Wappen der Tänzl und Hofer waren in Fenstern des Langhauses zu sehen,30 die Gewerken Christian Tänzl († 1491) und sein Sohn Veit Jakob Tänzl Freiherr von Tratzberg († 1530) hatten sich in der Kirche begraben lassen.31 Von besonderem Interesse im Zusammenhang mit der Zehentner-Stiftung ist die 1910 aus der Kirche entfernte, nur in einer Fotografie dokumentierte Scheibe mit dem Wappen Maxlrain (Abb. 5).32 Sie ist dank der in Resten erhaltenen zweizeiligen Inschrift „maxlrain / fraindperg“ allein auf Sigmund von Maxlrain zu beziehen. Er war mit Christina Fieger, einer Tochter des in Schwaz ansässigen Gewerken Hans Fieger, verheiratet, war nachweislich 1490 Pfleger zu Schwaz, 1491 Pfleger zu Burg Freundsberg oberhalb von Schwaz und starb im Jahr 1492(?).33 Es ist vermutet worden, dass die Scheibe am rechten Rand beschnitten wurde.34 Tatsächlich ist dort aber ein Beschnitt nicht zwingend zu erschließen. Vielmehr deuten der profilierte Rahmenpfeiler und die leicht geschwungene Hohlkehle am oberen Rand auf ein entsprechendes Gegenstück mit dem Wappen Fieger hin. Ein solches Gegenstück soll laut Erich Egg im 18. Jahrhundert noch vorhanden gewesen sein und die Inschrift „Christina Fuegerin sein hausfrau 1493“ getragen haben.35 Das wohl erst nach dem Tod Sigmunds von Maxlrain ausgeführte Fenster, in dessen Mittelbahn die ebenfalls verschollene, fragmentarisch überlieferte Gnadenstuhl-Darstellung der Sammlung Grützner eingesetzt gewesen sein könnte (Abb. 6),36 war demnach wie die Zehentner-Stiftung als dreibahnige Komposition angelegt. Doch im Unterschied dazu war es mit einer opulenten rahmenden Architektur versehen, wie sie zum Beispiel das Fenster mit der Kreuzigung Christi im Mortuarium des Eichstätter Doms aufweist, ein gleichzeitiges, um 1495/1500 datiertes Werk der Giltlinger-Werkstatt in Augsburg nach einem Entwurf von Hans Holbein d. Ä.37

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Abb. 5 (links): Gumpolt Giltlinger (?), Werkstatt, Glasgemälde mit dem Wappen von Sigmund von Maxlrain, 1493, Sammlung Grützner, ehemals München. Foto: Sammlung Eduard von Grützner München, Auktionskatalog München 1930, München 1930, Taf. XXV.

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Abb. 6 (rechts): Gumpolt Giltlinger (?), Werkstatt, Fragment eines Glasgemälde mit dem Gnadenstuhl, 1493 (?), Sammlung Grützner, ehemals München. Foto: Sammlung Eduard von Grützner München, Auktionskatalog München 1930, München 1930, Taf. VI.

Die von Gunther Thiem vorgeschlagene Zuschreibung der Maxlrain-Scheibe an die Giltlinger-Werkstatt ist überzeugend, auch wenn seine Datierung der Scheibe ins frühe 16. Jahrhundert zu revidieren ist.38 Die Zuschreibung lässt sich zudem vielleicht mit persönlichen Kontakten Sigmunds von Maxlrain nach Augsburg stützen, wohin sich Georg von Maxlrain († 1504), Sigmunds Bruder, in seinen späten Lebensjahren zurückgezogen hatte.39

Angesichts der Regelmäßigkeit, mit der die Werkstatt Gumpolt Giltlingers um 1500 Glasmalereien nach Schwaz geliefert hat (1493, 1506, 1509), wäre es nicht verwunderlich, wenn auch Heinrich Zehentner und Caritas Hofstetter ihr Fenster bei Giltlinger in Augsburg in Auftrag gegeben hätten. Letztendlich kann das sogar nicht einmal ausgeschlossen werden, doch weist der Stil der Entwurfszeichnung nach Nürnberg.

Als erstes, frühes Vergleichsbeispiel ist eine Illustration in den „Reuelationes sancte Birgitte“ beziehungsweise in „Das puch der Himlischen offenbarung der heiligen wittiben Birgitte von dem kůnigreich Sweden“ anzuführen.40 Das umfangreiche, mit 18 Bildseiten ausgestattete Buch erschien in den Jahren 1500 und 1502 in der Offizin von Anton Koberger in Nürnberg, zuerst als lateinische, dann als deutsche Ausgabe. Auftraggeber war König Maximilian I., gedruckt wurde es auf Kosten von Florian Waldauf Ritter von Waldenstein, einem Vertrauten, ja Freund des Königs.41 Der Holzschnitt, in der deutschen Ausgabe unter dem Titel „Die erst form“ (fol. 15r), zeigt in einer umgekehrten tauförmigen Komposition, deren Aufteilung verblüffend an ein Maßwerkfenster erinnert, die Heilige Birgitta zwischen einem Stifterpaar und darüber deren Aufnahme in den Himmel als Braut Christi (Abb. 7). Der Fensterentwurf erweist sich im Allgemeinen in der Komposition, im Besonderen in der Figur des Stifters Heinrich Zehentner und in der Wiedergabe des Ast- und Blattwerkes, das in ähnlich krauser Form den Thron Birgittas überfängt, als verwandt (Abb. 1, 2).

Es ist hier nicht der Ort, in die komplizierte, offene Frage der Zuschreibung der Birgitten-Holzschnitte – ein Minenfeld – einzusteigen.42 Ohne für Albrecht Dürer selbst in Anspruch genommen werden zu können, führen sie in dessen unmittelbares Umfeld. Der Zeichner des Fensterentwurfes ist daraus hervorgegangen. Dabei ist fraglich, ob er mit dem Entwerfer der Holzschnitte identisch gewesen ist. Er muss jedenfalls mit Hans Schäufelein identifiziert werden, denn zu dessen grafischem Werk weist die Zeichnung die engsten Bezüge auf. So ist es kein Zufall, dass die in der Mittelbahn des Entwurfes dargestellte Beweinung Christi ihr Vorbild in einem der Holzschnitte von Hans Schäufelein im „Speculum passionis“ hat.

Dieses Buch, laut Kolophon von Ulrich Pinder in Nürnberg zusammengestellt, herausgegeben und gedruckt, erschien – das Datum ist nicht unwichtig – am 30. August 1507.43 Es enthält neben einer Reihe kleiner, älterer Holzschnitte aus „Der beschlossen gart des rosenkra(n)tz marie“ (Nürnberg 1505) 39 seitenfüllende, große Holzschnitte, deren Hauptteil Hans Schäufelein zugeschrieben wird, darunter die Kreuzabnahme (fol. LXIIr). Der Leichnam Christi ist bereits vom Kreuz abgenommen und wird von Josef von Arimathäa gehalten, während Maria zusammen mit Johannes dem Evangelisten trauernd neben ihrem toten Sohn kniet (Abb. 8).

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Abb. 7: Das puch der Himlischen offenbarung der heiligen wittiben Birgitte von dem kůnigreich Sweden, Nürnberg 1502, fol. 15r, Bayerische Staatsbibliothek, München, Rar. 425. Foto: Bayerische Staatsbibliothek, München.

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Abb. 8: Hans Schäufelein, Kreuzabnahme, um 1506/1507, aus: Speculum passionis, Nürnberg 1507, fol. LXIIr, Bayerische Staatsbibliothek, München, Rar. 871. Foto: Bayerische Staatsbibliothek, München.

In der Zeichnung ist diese Vierergruppe auf die Figuren Christus und Maria reduziert: In spiegelbildlicher Anordnung bilden Mutter und Sohn nun eine Zweiergruppe, wobei die halb aufgerichtete Haltung des Toten durch das Fehlen einer Assistenzfigur unmotiviert wirkt und kompositorisch höchst unglücklich gewählt ist (Abb. 1). Die Figuren selbst sind in Holzschnitt und Zeichnung bis auf geringe Abweichungen identisch. Die Silhouette der am Boden kauernden Maria im Holzschnitt ist ebenso in den Fensterentwurf übernommen worden wie ihr Trauergestus, ihr Abstützen des rechten Armes Christi und das am Boden auslaufende Gewand. Schließlich ist sogar die Strichführung in beiden Darstellungen ähnlich, hier wie dort kurze geschwungene und lange gerade Schraffuren. Ein für Schäufelein charakteristisches Detail sind dabei die von oben nach unten verlaufenden, parallel gesetzten Striche, die in der Zeichnung als Schattenpartie in das Gesicht Marias gesetzt sind. Sie sind auch im „Speculum passionis“ zu finden, so etwa in der Darstellung der Erscheinung Christi vor Maria im Gesicht des Auferstandenen (fol. LXIXv).44

Es bedarf wohl keiner weiteren Vergleiche, um Schäufelein als Autor des Blattes in Arezzo, das heißt des Fensterentwurfes für die Filialkirche Unserer Lieben Frau in Schwaz, akzeptieren zu können. Es bedarf ihrer auch deshalb nicht, weil seine Tätigkeit für Schwaz sich ohnehin lückenlos in seine Biografie einfügen lässt.

Hans Schäufelein – um hier bei der eingeführten Schreibweise seines Namens zu bleiben – wurde laut seinem jüngsten Biografen Christof Metzger in den frühen 1480er- Jahren geboren, möglicherweise am Oberrhein.45 Als offenbar fertig ausgebildeter Grafiker und Maler ist er aber zuerst in Nürnberg als einer der Mitarbeiter in der Werkstatt Dürers fassbar. Ein Beleg dafür ist zwar nicht überliefert, weder für die Dürer-Werkstatt, deren Existenz als ein Betrieb mit mehreren Lehrknaben und Gesellen in der jüngeren Forschung auf Skepsis gestoßen ist,46 noch für den Zeitpunkt von Schäufeleins Ankunft in Nürnberg. Seine Tätigkeit im Holzschnitt für die Bücher „Der beschlossen gart des rosenkra[n]tz marie“ und „Speculum passionis“ sowie als Maler des so genannten Ober-St.-Veiter Altares von 1505 bis 1507 lassen aber vermuten, dass er im ersten Jahrfünft des 16. Jahrhunderts in Nürnberg ansässig wurde und mit Dürer, der noch mit der Ausführung des Retabels beauftragt worden sein dürfte,47 in engem Kontakt stand. Seine Anstellung in der Dürer-Werkstatt bis zu seinem Wegzug aus Nürnberg (1507) darf vorausgesetzt werden,48 und wäre es nicht sogar möglich, dass Schäufelein die Geschäfte Dürers während dessen Italien-Reise von 1505 bis 1507 kommissarisch führte?49 Wie auch immer, wohl um die Mitte des Jahres 1507 verließ Schäufelein Nürnberg und die erste Schriftquelle überhaupt, in der sein Name erwähnt wird, weist ihn gegen Ende 1507 in Meran in Südtirol aus, wo er sich vergeblich um den Auftrag für das Fastentuch der Pfarrkirche St. Nikolaus bemüht hatte.50 Sein Weg dorthin muss ihn über Schwaz geführt haben. In Meran wurde er, nachdem er um 1507/1508 für den Landeshauptmann Leonhard von Völs gearbeitet hatte,51 Mitarbeiter der Werkstatt von Hans Schnatterpeck, in der er um 1508/1509 die Passionsszenen für das Retabel in der Pfarrkirche Maria Himmelfahrt in Niederlana malte,52 in die Gegend von Schwaz führte ihn später der Auftrag des Gewerken Veit Jakob Tänzl für ein Turnierbild auf Schloss Tratzberg zurück, das um 1509 datiert wird.53 Schäufelein verließ Tirol noch 1509 und wurde Geselle in der Werkstatt Hans Holbeins d. Ä. in Augsburg, welcher er vermutlich bis um 1513 angehörte. Um diese Zeit zog er nach Nördlingen, wo er, nun Inhaber einer eigenen Werkstatt, bis zu seinem Tod um 1539/1540 lebte.

Die Entwurfszeichnung in Arezzo für das Zehentner-Fenster in Schwaz ist der früheste Beleg für Schäufeleins Tätigkeit in Tirol. Gab es vielleicht konkrete Aufträge, die ihn veranlasst hatten, Nürnberg zu verlassen?54 Oder war er, wie seine Mitarbeit bei Hans Schnatterpeck vermuten lassen könnte, auf Gesellenwanderung?55 Hatte er das Ziel, wie Dürer nach Italien zu reisen?56 Ob äußerer Anlass oder persönliches Motiv, der Grund für Hans Schäufeleins Tirol-Reise ist letztlich unbekannt. Es fällt aber auf, dass er von Beginn an für hochstehende, wohlhabende Auftraggeber gearbeitet hat, wobei ihm seine Herkunft aus der Dürer-Werkstatt behilflich gewesen sein mag. Außerdem dürfte es aufseiten seiner Auftraggeberschaft bestehende Kontakte nach Nürnberg gegeben haben. Im Fall von Heinrich Zehentner ist dies zwar nicht offenkundig, doch war er als Froner in Schwaz, als landesherrlicher Steuerbeamter zweifellos gut vernetzt. So ist – um die Vielfalt der Möglichkeiten anzudeuten – zu vermuten, dass Zehentner mit dem königlichen Rat und Kämmerer Florian Waldauf von Waldenstein bekannt war, der mit der Schwazer Baumeister- und Gewerkentochter Barbara Mitterhofer verheiratet war.57 Waldauf von Waldenstein hatte sich, wie oben erwähnt, um die Herausgabe der „Reuelationes sancte Birgitte“ verdient gemacht und das Buch in Nürnberg bei Anton Koberger drucken lassen (1500, 1502). Die Illustrationen dieses Buches führen direkt in den Umkreis Dürers und der Holzschnitt mit dem Stifterpaar mutet wie das Vorbild für die Stifterdarstellungen Heinrich Zehentners und Caritas Hofstetters an (Abb. 2). Die Mutter Barbara Mitterhofers, Katharina, heiratete nach dem Tod ihres Mannes Peter Rummel von Lichtenau aus Nürnberg, der sich in den 1470er-Jahren in Schwaz als Gewerke niedergelassen hatte und in den 1490er-Jahren ebenfalls in den Kreis der Räte König Maximilians aufstieg.58 Diesem Kreis gehörte natürlich auch Leonhard von Völs an,59 zusammen mit Heinrich Zehentner einer der ersten Auftraggeber Hans Schäufeleins in Tirol.

Im Hinblick auf diese vielfältigen personellen Verflechtungen, in die Schäufelein 1507 eintrat und aus denen sich verschiedene Aufträge für ihn ergaben, mutet sein Aufenthalt in Tirol nicht zufällig an. Umgekehrt holten sich seine Tiroler Auftraggeber in der zweiten Reihe hinter Maximilian einen Abglanz der Kunst Dürers in ihre Heimat.

 

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1 Bei der Abfassung dieses Textes haben verschiedene Kolleginnen und Kollegen aus Italien, Österreich und Deutschland mir mit Rat und tatkräftiger Hilfe zur Seite gestanden, die hier bedankt seien: Dr. Michele Loffredo, Arezzo; Dr. Christina Wais-Wolf, Wien, Dr. Reinhard Rampold, Innsbruck, und Dr. Roman Zehetmayer, St. Pölten; Dr. Rüdiger Fuchs und Prof. Dr. Michael Oberweis, Mainz, sowie Dr. Daniel Parello und Dr. Hartmut Scholz, Freiburg.

2 Refice, Paola/Siemoni, Giulia (Hg.): Museo Nazionale d’arte medievale e moderna di Arezzo. Guida alla visita del museo e alla scoperta del territorio, Florenz 2012, S. 115.

3 Herzogenburg, Augustiner-Chorherrenstift, Sammlungen, Inv.-Nr. D 27. Hierzu: Egg, Erich: Kunst in Schwaz, Schwaz 1974, S. 63. – Zuletzt: Bacher, Ernst/Buchinger, Günther/Oberhaidacher-Herzig, Elisabeth et al.: Die mittelalterlichen Glasgemälde in Salzburg, Tirol und Vorarlberg (= Corpus Vitrearum Medii Aevi Österreich IV), Wien–Köln–Weimar 2007, S. 461. – Die Rundscheibe scheint übrigens ein Pasticcio zu sein. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts war nur die Einfassung mit der Inschrift erhalten, das Mittelbild, vermutlich das Wappen des „Hainrich Zehentmär“, fehlte. Heider, Gustav/Häufler, Joseph V[inzenz]: Archäologische Notizen gesammelt auf einem Ausfluge nach Herzogenburg, Göttweih, Melk und Seitenstätten im September 1849, in: Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen 3, 1850, S. 139–178, 523–606, S. 163.

4 RI XIV,3,1 n. 11568, in: Regesta Imperii Online, url: http://www.regesta-imperii.de/id/1501-02-22_1_0_14_3_1_2600_11568 (Zugriff: 25.2.2016).

5 Laube, Adolf: Der Aufstand der Schwazer Bergarbeiter 1525 und ihre Haltung im Tiroler Bauernkrieg, in: Jahrbuch für Geschichte des Feudalismus 2, 1978, S. 225–258, S. 237f.

6 Hartmann, Alfred/Jenny, Beat Rudolf (Hg.): Die Amerbachkorrespondenz VIII. Die Briefe aus den Jahren 1551 und 1552, Basel 1974, S. XXXVII, Nr. 3410.

7 Die Zehentner-Rundscheibe von 1514 in Herzogenburg, die aus dem Franziskanerkloster in Schwaz stammen soll, wurde bereits erwähnt (Anm. 3). – Ungleich bedeutender ist die Stiftung eines der Wandbilder im Kreuzgang desselben Klosters, das den Abschied Christi von seiner Mutter darstellt. Die verlorenen, lediglich in einer Kopie des 17. Jahrhunderts überlieferten Wappen entsprachen denen des Fensterentwurfes, sodass das um 1525 entstandene, bedauerlich schlecht erhaltene Wandbild nun erstmals als Stiftung des Heinrich Zehentner und seiner Frau Caritas Hofstetter angeführt werden kann. Zu dem Wandbild grundlegend: Lossky, Boris: Les fresques du cloître franciscain de Schwaz (Tyrol) (= Collection de l’Institut Français de Vienne, Série B 1), Paris 1950, S. 37ff., Nr. I, fig. 4. – Zur Identifizierung der Wappen: Lieb, Norbert: Die Fugger und die Kunst im Zeitalter der hohen Renaissance (= Studien zur Fuggergeschichte 14), München 1958, S. 327. – Zuletzt: Madersbacher, Lukas: Spätgotische Malerei und der Übergang zum neuzeitlichen Bild, in: Naredi-Rainer, Paul/Madersbacher, Lukas (Hg.): Kunst in Tirol I. Von den Anfängen bis zur Renaissance (= Kunstgeschichtliche Studien – Innsbruck N. F. 3), Innsbruck–Wien–Bozen 2007, S. 339–352, 513–542, S. 542, Nr. 250.

8 Zur Entwicklung des Ortes Schwaz im Mittelalter und in der Neuzeit: Hye, Franz-Heinz: Schwaz, in: Czeike, Felix/Banik-Schweitzer, Renate/Opll, Ferdinand (Hg.): Österreichischer Städteatlas, 6. Lfg., Wien–Linz 2000.

9 Siehe die Grundrisse von Kirche und Kapelle in Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), Abb. 582, 618. Das Franziskanerkloster wurde erst 1507 gegründet, Kirche und Klausur wurden in der Folge von 1508 bis 1515 erbaut, siehe dazu Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 31–36. Zur Totenkapelle an der Liebfrauenkirche als potenziellem Standort s. u.

10 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 11–15, 16–21.

11 Für die Rekonstruktion des Grundrisses siehe Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 12.

12 Grundriss siehe Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 16. – Brucher, Günter: Gotische Baukunst in Österreich, Salzburg–Wien 1990, S. 293f. – Huber, Markus T.: Erasmus Grasser als Bausachverständiger und technischer Berater. Die Projekte in Rorschach und Schwaz, in: Eikelmann, Renate/Kürzeder, Christoph (Hg.): Bewegte Zeiten. Der Bildhauer Erasmus Grasser (um 1450–1518), Katalog Bayerisches Nationalmuseum München 2018 und Diözesanmuseum Freising 2018, München 2018, S. 137–145, S. 140–143.

13 Fischnaler, Conrad: Die Weiheurkunde der Schwazer Pfarrkirche, in: Zeitschrift des Ferdinandeums für Tirol und Vorarlberg 41, 1897, S. 302ff.

14 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 18.

15 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 52f. – Egg, Erich: Gotik in Tirol. Die Flügelaltäre, Innsbruck 1985, S. 40f. – Söding, Ulrich: Das Hochaltar- retabel für die Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt in Schwaz, in: [o. Verf.]: Veit Stoß und Österreich, Katalog Österreichische Galerie Belvedere 2005 (= Bedeutende Kunstwerke – gefährdet, konserviert, präsentiert 20), Wien 2005, S. 45–48.

16 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 53. – Egg: Gotik in Tirol (wie Anm. 15), S. 39f. – Schindler, Herbert: Andreas Pranberger und Ulrich Vaist. Zwei spätgotische Bildschnitzer im Umkreis des Veit Stoss und der Augsburger Renaissance, in: Verein für Christliche Kunst in München e. V. (Hg.): Jahrbuch des Vereins für Christliche Kunst in München 11, 1980, S. 15–29, S. 24ff.

17 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 53f. – Das von Egg noch Christoph Scheller von Memmingen zugeschriebene Retabel gilt mittlerweile als Werk des Christoph Geiger von Innsbruck. Hierzu: Söding, Ulrich: Gotische Skulptur, in: Naredi-Rainer/Madersbacher (Hg.): Kunst in Tirol I (wie Anm. 7), S. 217–266, S. 260, Nr. 171.

18 Zu all diesen Baumaßnahmen siehe Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 20f., 22, 27f., 29f.

19 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 23. – Rampold, Reinhard: Die Friedhofskapelle zu den Heiligen Michael und Veit in Schwaz, in: Heimatblätter. Schwazer Kulturzeitschrift, Nr. 59, 2006, S. 4–26.

20 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 54. – Egg: Gotik in Tirol (wie Anm. 15), S. 377. – Rampold: Friedhofskapelle (wie Anm. 19), S. 12f.

21 Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 62f. – Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 404–431.

22 Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 417f., 426, 428f., Abb. 607, 614.

23 Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 418, 422f., 431, Abb. 601.

24 Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 419ff., 424f., 426ff., Abb. 605f., 609f. – Vgl. Parello, Daniel: Die mittelalterlichen Glasmalereien in Regensburg und der Oberpfalz (ohne Regensburger Dom) (= Corpus Vitrearum Medii Aevi Deutschland XIII, 2), Berlin 2015, S. 76.

25 Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 432f., Abb. 620.

26 Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 415, 431. Gemäß dem Wortlaut der Abrechnung vom 6. Juni 1509 schuf Gumpolt Giltlinger alles „geschmeltzst vnnd scheybenn glass“, der Glaser Sigmund „d[as] furmberch vnnd d[as] Rattfenster“. Giltlinger in Augsburg war demnach offenbar mit den gebrannten figürlichen Glasmalereien in den Rechteckfeldern beauftragt, dagegen Sigmund als ortsansässiger Glaser mit der in Blankglas ausgeführten Verglasung aller kompliziert geformten Öffnungen („furmberch“). Eine etwas andere Deutung des Begriffes „furmberch“ vertreten Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 431.

27 Als Standort käme die Unterkapelle St. Michael nur dann in Frage, wenn sie vor 1509 verglast worden sein sollte.

28 Bis zum Jahr 1729 waren in den vier Flankenfenstern der beiden Kirchenchöre mittelalterliche Glasmalereien vorhanden und im Langhaus befanden sich im 18. Jahrhundert Wappenscheiben verschiedener Schwazer Gewerken. Teile des mittelalterlichen Bestandes gingen noch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts durch Verkauf oder Zerstörung verloren, so u. a. auch einige Scheiben in der Totenkapelle St. Veit. Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 408–411, 429ff., Abb. 586f., 616f.

29 Im Ausschlussverfahren kommt jedoch am ehesten das Südschiff der Kirche in Betracht. Die Chorfenster waren offenbar vollständig farbig verglast und in die Fenster der Westfassade der Kirche hat Günther Buchinger die Figur des Propheten Daniel und die ehemals in der Totenkapelle vorhandenen Reste eines Jüngsten Gerichtes lokalisiert. Hierzu: Buchinger, Günther: Spätmittelalterliche Ausstattungsprogramme in Westösterreich. Ein Beitrag aus der Glasmalereiforschung, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 59, 2005, S. 51–62, S. 53f. – Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 411–415.

30 Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 408.

31 Beide Grabsteine sind erhalten. Zu den Tänzl: Egg, Erich: Aufstieg, Glanz und Ende des Gewerkengeschlechts der Tänzl, in: Gerhardinger, Hermann/Huter, Franz (Hg.): Tiroler Wirtschaft in Vergangenheit und Gegenwart. Festgabe zur 100-Jahrfeier der Tiroler Handelskammer I: Beiträge zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte Tirols (= Schlern-Schriften 77), Innsbruck 1951, S. 31–52.

32 [o. Verf.]: Sammlung Eduard von Grützner München, Auktionskatalog München 1930, München 1930, S. 26, Nr. 216. – Thiem, Gunther: Die Glasmalerei. Ihre Entwürfe und Werkstätten, in: Beutler, Christian/Thiem, Gunther: Hans Holbein d. Ä. Die spätgotische Altar- und Glasmalerei (= Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg 13), Augsburg 1960, S. 141–238, S. 173, 226, Nr. 3. – Egg: Kunst in Schwaz (wie Anm. 3), S. 62. – Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 429ff.

33 Wiedemann, Theodor: Die Maxlrainer. Eine historisch-genealogische Abhandlung, in: Oberbayerisches Archiv für vaterländische Geschichte 16, 1856/1857, S. 3–111, 227–282, S. 33f.

34 So zuletzt noch Bacher/Buchinger/Oberhaidacher-Herzig et al.: Glasgemälde (wie Anm. 3), S. 429.

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