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Über dieses Buch:

Sie dachte immer, genau zu wissen, was sie will – bis er ihr zeigt, welche Wünsche wirklich in ihr schlummern … Die Wall-Street-Millionärin Emma Fox eilt von Erfolg zu Erfolg und hat keinen Mangel an sexy Liebhabern – aber tiin sich spürt sie das Verlangen nach einem anderen Leben. Also nimmt sie das Angebot einer alten Freundin an, als Teilhaberin ihrer kleiner Londoner Immobilienfirma noch einmal ganz neu anzufangen. Vorher will Emma das Büro und die Mitarbeiter inkognito kennenlernen und gibt sich darum als Praktikantin aus. Ihr erster Auftrag: Sie soll für den Sohn einer vermögenden Familie das perfekte Loft finden. Matthew ist unverschämt attraktiv, teuflisch charmant … aber natürlich tabu für Emma, die ihre Tarnung auf keinen Fall aufgeben will. Doch wie lange kann sie seinen herausfordernden Blicken widerstehen?

Über die Autorin:

Mariah Greene ist das Pseudonym einer bekannten britischen Autorin, die eigentlich für ihre Spannungsromane berühmt ist – und es genießt, in ihren Hot-Romance-Romanen eine ganz andere Seite ihrer Kreativität auszuleben.

Bei venusbooks erschienen auch ihre prickelnden Lese-Highlights »The Agency – Verbotene Küsse« und »The Garden – Gefährliches Verlangen«.

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eBook-Neuausgabe Januar 2020

Ein eBook des venusbooks Verlags. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Dieses Buch erschien erstmals 1996 unter dem englischen Originaltitel »Sleeping Partners« bei X-Libris, a division of Little, Brown and Company (UK), London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2010 unter dem Titel »Stadt der Lüste« im Knaur Taschenbuch Verlag.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1996 by Mariah Greene

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2010 by Knaur Taschenbuch. Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co.KG, München

Copyright © der aktualisierten Neuausgabe 2020 dotbooks GmbH, München

Copyright © der Lizenzausgabe 2020 venusbooks GmbH, München

Copyright © der aktuellen eBook-Neuausgabe 2020 venusbooks Verlag. venusbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, München.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von shutterstock/Fadi Barghouthy, kinikson, A-Star

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-95885-708-7

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Mariah Greene

THE OFFICE – Brennende Leidenschaft

Roman

Aus dem Englischen von Gesina Fuchs

venusbooks

Kapitel 1

Die Stimme von Roger Metz, dem Leiter für Fusionen und Übernahmen der Firma Morse Callahan, dröhnte aus dem Lautsprechersystem des Büros und lenkte Emma Fox von der vor ihr liegenden Aufgabe ab.

»Ich weiß, dass sie um ihren letzten Tag kein großes Aufheben machen will«, brummte es aus den Boxen, »aber wir können unsere Lieblings-Investmentbankerin nicht einfach still und heimlich gehen lassen.« Emma seufzte, blickte kurz auf die vertraute Skyline Manhattans und wandte ihre Aufmerksamkeit dann wieder Knox Turner zu, dem jungen Star der Arbitrage-Abteilung, der sich gerade sowohl Hose als auch Unterhose abstreifte. Sein steifer Penis zeichnete sich deutlich unter dem Hemd ab. Sie wusste, dass Knox fast zwei Jahre lang auf diesen Moment gewartet hatte, und Roger Metz’ Monolog würde weder ihm noch ihr diesen Augenblick vermiesen.

»… ich kann mich noch daran erinnern, wie unerfahren sie wirkte, als sie von Goldmann Sachs zu uns wechselte, aber sie entpuppte sich als gnadenlose Killerin. Ich kenne eine Menge Leute, die das zu spüren bekommen haben – zu ihrem Leidwesen.«

Für ihren letzten Arbeitstag hatte sich Emma ein wenig mehr aufgestylt als üblich und wirkte eher, als wolle sie auf eine Party gehen. Das teure Dior-Kleid, das sie heute Morgen über ihren kurvenreichen Körper gezogen hatte, war nun bis zur Hüfte hochgeschoben. Sie saß breitbeinig auf der Kante ihres Schreibtisches und wartete darauf, dass Knox den nächsten Schritt machte. Hoffentlich verlor er nach solch langer Zeit nicht die Nerven. Überrascht hätte es Emma nicht. Ihr waren an der Wall Street viele Männer begegnet, die nicht hielten, was sie versprachen. Sie war angenehm feucht zwischen den Beinen, und die Aussicht auf Knox’ Schwanz versprach einiges – zumindest nach dem zu urteilen, was nun unter dem gestreiften Hemd hervorlugte. Die Vorstellung, in den heiligen Hallen von Morse Callahan und zu der monotonen Stimme ihres Chefs Sex zu haben, gefiel Emma immer besser.

»… die Übernahme von Colworth, die durch ihre Mitarbeit zustande kam, sorgte für die höchsten Honorareinnahmen, die es in dieser Firma je gegeben hat. Natürlich nur, bis Emma danach auch noch den Deal mit Contrelle abschloss. Morse Callahan bedankt sich für großes Engagement, indem die Firma ihren Profit mit den Angestellten teilt, die ihn erwirtschaftet haben. Emma haben wir in der Vergangenheit allerdings so viel gezahlt, dass wir ihr für die Zukunft nichts mehr bieten können. Dies sollte uns allen eine Lehre sein.«

Als Emma Roger mitteilte, dass sie kündigen würde, zeigte er sich nicht halb so überrascht, wie sie gehofft hatte. Anfangs wirkte er eher verstört, später persönlich gekränkt. Roger glaubte an die Wall Street, und wenn eine derart begnadete Investmentbankerin wie Emma ihm sagte, dass sie aus dem Rennen ausstieg, war dies, als würde ihm jemand den Boden unter den Füßen wegziehen. Zweiunddreißig sei kein Alter, um alles hinzuschmeißen, mahnte er, doch seine Worte stießen bei Emma auf taube Ohren. Morse Callahan hatte sie derart reich gemacht, dass sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr arbeiten musste. So einfach war das. Roger erhöhte den Einsatz, indem er ihr eine geradezu lächerlich hohe Geldsumme anbot, und Emma dachte sogar kurz darüber nach, weiterzumachen. Doch dann erinnerte sie sich an den Grund für ihren Ausstieg und lehnte sein Angebot höflich ab. Die Firma hatte ihr eine glänzende Zukunft gesichert, aber Emma wollte diese nicht in der Firma verbringen.

Knox sah aus, als wolle er sich in den Schwanz zwicken, um sicherzugehen, dass er nicht träumte. Sein Körper war schlank und durchtrainiert, sein Haar glatt zurückgekämmt, und sein Lächeln öffnete ihm sowohl Türen als auch Schenkel. Emma lächelte nun ihrerseits einladend, woraufhin er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr und näher an sie herantrat. Die Spitze seines Schwanzes war nur noch wenige Zentimeter von ihrer Spalte entfernt, und Emma spürte die Hitze zwischen ihren Körpern. Hoffentlich nahm er sie so hart, dass er Rogers Stimme und mit ihm die ganze Firma aus ihren Gedanken verbannte. Das war ihre Art, endgültig mit Morse Callahan abzuschließen.

Während der vergangenen Wochen hatte ihr Telefon immer seltener geklingelt, bis es schließlich verstummte und Emma nur noch Übergabegespräche mit den Mitarbeitern führte, die ihre Aufgaben übernahmen. Drei Angestellte würden fortan den Job erledigen, für den sie allein verantwortlich gewesen war, was Emma mit großer Genugtuung erfüllte. Sie hatte vor anderthalb Monaten gekündigt und die letzten fünf Wochen dazu genutzt, sich langsam aus der Firma zurückzuziehen. Jetzt musste sie nur noch zwei Dinge erledigen: würdevoll ihr Abschiedsgeschenk entgegennehmen und Knox Turner ficken.

»Musst du unbedingt dieses Ding tragen?«, knurrte sie Knox an, der innehielt und an seinem Headset herumfummelte, mit dem er aussah wie ein Angestellter eines Callcenters.

»Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, Baby«, erwiderte er. »Irgendjemand könnte mich anrufen.«

»Und ich dachte schon, du wolltest mit deiner Mutter telefonieren«, sagte sie, umfasste seine Hüften und dirigierte seinen Schwanz in ihre Spalte.

Sie fielen schnell in einen kraftvollen Rhythmus. Emmas Position auf der Kante des großen Schreibtisches verengte ihre Vagina und machte sie wahnsinnig empfindlich.

Knox beugte sich vor, knabberte an ihrem Ohrläppchen und atmete heiß hinein, bevor er zu sprechen begann.

»Stimmt es, dass Lasch im Spiel ist? Ich habe gehört, dass Ikon ein Übernahmeangebot unterbreitet hat. Ist das wahr?«

Emma schob ihn ein Stück weit von sich und sah ihm in die Augen.

»Sag jetzt bitte nicht, dass du mich nur deswegen fickst«, entgegnete sie halb amüsiert, halb verärgert. Ohne in der Bewegung innezuhalten, erwiderte er: »Natürlich nicht. Aber es wäre eine äußerst nützliche Information.«

»Vor allem wäre es eine Insiderinformation, Knox. Die könntest du für Morse ohnehin nicht gebrauchen. So dumm ist die Börsenaufsicht nicht. Oder hast du etwa ein kleines Extra-Konto irgendwo auf den Cayman-Inseln?«

»Du hast meine Frage noch nicht beantwortet.« Emma zog seine Hüften fester an sich. Knox’ Schwanz war während des Gesprächs über feindliche Übernahmen deutlich härter geworden.

»Hast du die Chinese Walls vergessen, Knox? Wir dürfen über solche Dinge nicht sprechen.«

»In meiner Abteilung wirst du ›Die Große Chinesische Mauer‹ genannt.«

»Was du nicht sagst. Ich würde dir ja gern verraten, wie man dich in meiner Abteilung nennt, aber leider kann ich mich nicht daran erinnern, dass dein Name dort jemals gefallen wäre.«

»Du bist wirklich eine …«

Knox’ Headset begann zu piepen. Er hielt mitten im Stoß inne und nahm das Gespräch an.

»Hi. Nein, davon haben wir zu wenig. Du machst Witze! Wirklich? Das ist ja der helle Wahnsinn!«

Nach diesen offenbar guten Nachrichten stieß er wieder in sie, und Emma spürte, dass sein Schwanz weiter anschwoll und er kurz vor dem Orgasmus stand. Sie war nicht bereit, ihm den ganzen Spaß zu überlassen, daher presste sie sich an ihn und begann, sich heftig auf und ab zu bewegen.

Sie war sich undeutlich der Stimme von Roger Metz bewusst, der langsam zum Ende seiner Rede kam. Rogers Timing war wirklich tadellos. Ihr würde noch genug Zeit bleiben, um mit Knox abzuschließen und sich für die Geschenkübergabe zurechtzumachen. Emma geriet aufgrund steigender oder fallender Aktienkurse schon lange nicht mehr in Ekstase. Im Gegenteil. Sie hatte sich oft ein Leben ohne Morse Callahan und die Wall Street vorgestellt, aber erst jetzt wurde ihr bewusst, wie wundervoll es sich tatsächlich anfühlte. Ihre Zukunft hielt ungeahnte Möglichkeiten bereit. Als sie zum Höhepunkt kam, krallte sie ihre Fingernägel in Knox’ Haut, und ihre Vagina pulsierte um seinen ejakulierenden Schwanz. Sie schrie vor Lust, und auch Knox stöhnte hilflos auf. Ihre Empfindungen waren intensiver als alles, an das sie sich in letzter Zeit erinnern konnte. Dann begriff sie, warum das Gefühl derart stark und neu war: Sie war frei. Ab sofort musste sie sich um nichts mehr Sorgen machen.

Emma schickte Knox so schnell wie möglich weg, da sie kein Interesse daran hatte, noch länger Zeit mit ihm zu vertrödeln. Wahrscheinlich konnte er es sowieso kaum erwarten, vor den anderen mit seiner Eroberung zu prahlen. Sie hatte nichts dagegen, aber als er um ihren Slip als Trophäe bat, ging ihr das doch einen Schritt zu weit. Nachdem Knox verschwunden war, musste sie nur noch ihre Abschiedsrede hinter sich bringen. Sie zog ihren Slip wieder an und betrat das zu ihrem Büro gehörende Badezimmer.

Ihr Einfluss bei Morse Callahan war derart groß, dass der Waschraum auf ihren Wunsch hin umgebaut und in sanften Gold- und Marmortönen ausgestaltet worden war, wodurch er sowohl kostspielig als auch feminin wirkte. Emma schaltete die Lampe ein und sah in den Spiegel. Das Licht war äußerst schmeichelnd, obwohl sie das im Grunde gar nicht nötig hatte.

Emma beugte sich ein wenig vor, fuhr mit der Fingerspitze über ihre sorgfältig gezupften Augenbrauen und blinzelte einige Male. Ihre graublauen Augen waren am äußeren Rand der Iris ein wenig dunkler und rings um die Pupille beinahe weizenfarben. Sie puderte sich das Gesicht, zog ihre Lippen nach und warf ihrem Spiegelbild eine Kusshand zu.

Emmas Aussehen verlieh ihr ein ungeheures Selbstbewusstsein. Sie war in der Lage, durch ein schlichtes Neigen des Kopfes das Vertrauen ihres Gegenübers zu gewinnen. Ihr Gehirn funktionierte wie ein Computer und verarbeitete Daten in einer irrsinnigen Geschwindigkeit, und wenn nötig, zeigte sie sich knallhart. Ihr Äußeres ließ kaum erahnen, was unter der Oberfläche zum Vorschein kommen konnte, und sie war beherrscht und selbstsicher genug, um genau zu kontrollieren, wann und wo sie die Maske fallen ließ. Sie kämmte sich und hoffte, dass sie in London einen Friseur finden würde, der ihre dunkelbraunen Haare ebenso professionell aufhellte und schnitt. Sie trug ihr Haar kurz, mit Mittelscheitel und hinter das Ohr gestrichen. Sobald sie in London angekommen war, würde sie sich einen Friseursalon empfehlen lassen und dem Stylisten sagen, dass sie ihre Haare genau so geschnitten haben wollte, wenn sie in fünf Wochen wiederkam.

Als Emma fertig war, verstaute sie alle Utensilien in ihrem Kosmetiktäschchen und ging zur Tür. Bevor sie das Licht ausschaltete, wandte sie sich noch einmal um und ließ ihren Blick durch das Bad schweifen. Sie straffte die Schultern und brachte so ihre Brüste besser zur Geltung, strich das schwarze Dior-Kleid glatt, drehte sich seitlich zum Spiegel und bewunderte ihren flachen Bauch, den festen Po und die muskulösen Oberschenkel, die im Spiegel gerade noch sichtbar waren.

»Auf in den Kampf. Zum letzten Mal«, sagte sie zu sich selbst, knipste das Licht aus und schloss die Tür.

Als sie aus ihrem Büro trat, erklangen einige bewundernde Pfiffe, und leiser Applaus brandete auf. Obwohl sie um wenig Brimborium gebeten hatte, freute sie sich, dass so viele Menschen gekommen waren. Einige der Gesichter kamen ihr nicht einmal bekannt vor. Da sich der Arbeitstag dem Ende zuneigte, waren die meisten bester Laune. Viele freuten sich für Emma und ließen ihren eigenen Fantasien von einem Leben ohne Morse Callahan freien Lauf. Emma bahnte sich ihren Weg zu Roger Metz, der in der Mitte der Menge stand und sie bereits erwartete. Er strahlte sie durch seinen üppigen Vollbart hindurch an. Dann gebot er dem Gemurmel mit einer Handbewegung Einhalt. Er war Ende vierzig und verfügte über ein gerüttelt Maß an natürlicher Autorität.

»Ich bin mir bewusst«, begann er, »dass ich euch von eurem Feierabend-Cocktail abhalte, und da ihr das meiste bereits über Lautsprecher gehört habt, fasse ich mich so kurz wie möglich. Es tut mir aufrichtig leid, dass Emma uns verlässt, und ich wünschte, ich hätte sie überzeugen können, bei uns zu bleiben.«

Er legte eine Kunstpause ein. Roger Metz war nicht um Worte verlegen, im Gegenteil, er schien zu viel auf einmal sagen zu wollen. Einen Augenblick lang sah es aus, als wolle er etwas ganz Bestimmtes loswerden, doch dann verriet sein Gesichtsausdruck, dass er sich eines Besseren besonnen hatte.

»Wie immer muss Emma einen Flieger erwischen, deswegen komme ich gleich zum Punkt: Ich danke dir und wünsche dir für deinen weiteren Lebensweg viel Erfolg. Ich werde dich vermissen, und ich weiß, dass ich im Namen fast aller hier spreche.«

Wieder machte er eine Pause, diesmal jedoch für die Lacher aus dem Publikum. Emma ließ ihren Blick über die Anwesenden schweifen und sah in erwartungsvolle Gesichter. Sie selbst würde keinen Einzigen von ihnen vermissen.

»Wir, deine Freunde von Morse Callahan, möchten dir ein Geschenk überreichen – als kleines Dankeschön und in der Hoffnung, dass du von Zeit zu Zeit noch einmal an uns denkst.« Er überreichte ihr eine in Silberpapier eingewickelte Schachtel.

Emma packte sie aus und öffnete den Deckel. Zum Vorschein kam eine Uhr von Patek Philippe, die sie einmal im Gespräch mit einer Kollegin erwähnt hatte. Sie suchte deren Gesicht in der Menge und lächelte ihr wissend zu, beeindruckt davon, dass sie sich eine solch beiläufige Bemerkung gemerkt hatte. Dann holte sie tief Luft und begann mit ihrer Rede.

»Das ist wahrscheinlich der längste Abschied der Geschichte. Ich fühle mich, als hätten wir die letzten zehn Nächte durchgefeiert, und dafür bin ich wirklich zu alt. Mein besonderes Dankeschön geht an Frank, der mit mir in eine kleine Bar in Midtown gegangen ist, die ich noch nicht kannte. Es ist immer gut zu wissen, was Teenager heutzutage tragen. Aber jede Party muss einmal zu Ende gehen, und diese Party endet jetzt. Ich werde euch alle vermissen. Fast alle. Die Zeit bei Morse Callahan war außerordentlich lehrreich für mich. Ich werde an euch denken und es euch wissen lassen, wenn ich die nächste lehrreiche Erfahrung mache. Ihr kennt mich ja – ich bin schrecklich unsentimental, was Abschiede anbelangt, und da ich jedem von euch bereits persönlich auf Wiedersehen gesagt habe, fehlt jetzt nur noch der Abschied in die Runde. Vielen Dank.«

Höflicher Applaus ertönte. Roger legte seine Hand auf ihren Arm.

»Hast du all deine Sachen?«, fragte er.

»Ja. Nur eine Aktentasche und eine Reisetasche. Der Rest wird verschifft.«

»Ich begleite dich nach oben, wenn du nichts dagegen hast.«

»Natürlich nicht.«

Während sich Emma und Roger einen Weg durch die Menge bahnten, riefen ihr noch einige Kollegen »Auf Wiedersehen!« zu oder tätschelten ihre Schulter. Nachdem sie ihren Mantel und ihre beiden Taschen geholt hatte, betraten Roger und sie den Aufzug. Auf dem Weg zum Dach verlor er kaum ein Wort. Emma wusste, dass er sich immer noch wünschte, sie wäre geblieben.

»Ich fühle mich gerade genauso wie an dem Tag, an dem meine Tochter geheiratet hat«, brach er schließlich das Schweigen.

»Du kannst ja Reis streuen, wenn du willst, Roger.«

»Kurz bevor wir uns auf den Weg zur Kirche machten, habe ich zu ihr gesagt: ›Du kannst es dir immer noch überlegen. Selbst jetzt noch. Ich würde dir keinerlei Vorwürfe machen.‹ Dasselbe gilt auch für dich, Emma.«

»Roger, bitte sag mir nicht, dass du mich nur begleiten wolltest, um mich doch noch rumzukriegen.«

Er lächelte, erwiderte aber nichts. Der Aufzug kam sanft zum Stehen.

Die Skyline Manhattans leuchtete im Licht der untergehenden Sonne wie die Glut eines sterbenden Feuers. Auf dem Dach wehte ein starker Wind, und durch den Lärm des Hubschraubers konnte man kaum etwas verstehen.

»Danke, dass du mir den Hubschrauber zur Verfügung stellst«, sagte Emma. »Aber ich hätte auch eine Limousine nehmen können.«

»Ach was«, erwiderte er und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ich habe sogar nachgefragt, ob die Concorde heute Nachmittag auf dich warten würde, aber darauf hat man sich nicht eingelassen. Du wirst also mit der ganz normalen ersten Klasse auskommen müssen.« Sein Lächeln verwandelte sich in ein Lachen.

»Danke für alles, Roger. Ich melde mich bei dir.«

Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn auf die bärtige Wange. Dann ging sie auf den Hubschrauber zu, und ihr kurzes Kleid flatterte im Luftwirbel der Rotoren, bevor sie einstieg.

Als der Helikopter startete und sie in den immer dunkler werdenden Himmel trug, sah sie, wie Roger ihr nachschaute, aber sie konnte nicht erkennen, ob er lächelte oder eine Grimasse schnitt. Dann betrachtete sie die Patek-Philippe-Uhr und las die Gravur auf der Rückseite: »Von deinen Freunden bei MC.« Sorgfältig legte sie die Uhr wieder in die Schachtel, verstaute diese in einem Fach ihrer Aktentasche und fragte sich, ob sie je wieder einen Blick darauf werfen würde.

Kapitel 2

An einem kühlen Donnerstagmorgen in der Kings Road hätte die Wall Street nicht nur wenige tausend, sondern genauso gut eine Million Kilometer entfernt sein können. In den zwei Tagen nach ihrer Ankunft in London war Emma Fox in eine neue Wohnung gezogen, hatte sich mit neuer Garderobe eingedeckt und mit niemandem ein Wort gesprochen. Jetzt steuerte sie entschlossen auf ihr Ziel zu, die Lomax-Immobilienagentur, die sie sich bereits vier Monate zuvor während eines geheimen Besuchs angesehen hatte. Dank der Concorde war sie innerhalb von drei Tagen nach London und wieder zurück nach New York geflogen, und sie vermisste bereits dieses Gefühl von Unabhängigkeit. Die Uhr von Patek Philippe lag immer noch unberührt in der Schachtel. Emma hatte sogar ihre eigene Armbanduhr von Raymond Weil durch ein älteres Modell ersetzt, das sehr viel teurer war, als es aussah. Genau diesen Eindruck wollte sie mit ihrem gesamten Auftreten vermitteln: auf den ersten Blick nicht so exklusiv zu wirken, wie sie war. Sie betrat das Gebäude der Immobilienagentur, und als sich die schweren Glastüren hinter ihr schlossen, verbannten sie den Straßenlärm nach draußen.

Der Empfangsbereich war groß und behaglich und wirkte eher wie ein hübsch eingerichtetes Wohnzimmer. Drei Sofas, ein Glastisch mit sorgfältig drapierten, noch ungelesenen Zeitschriften und mehrere Pflanzen verströmten Gemütlichkeit. Ein wuchtiger, niedriger Schreibtisch markierte die Grenze zwischen dem Empfangsbereich und dem Großraumbüro dahinter, er war jedoch nicht besetzt. Während Emma wartete, betrachtete sie die Aufteilung des Büros, die jedem Mitarbeiter an den insgesamt zehn Schreibtischen zumindest ein wenig Privatsphäre sicherte. Ihr letzter Besuch hatte mitten in der Nacht stattgefunden, und der Raum war verlassen gewesen, ohne die Geschäftigkeit, die ihn nun erfüllte.

»Kann ich Ihnen weiterhelfen?«

Der Stimme nach zu urteilen hätte Emma mit einem verknöcherten Mann Ende vierzig gerechnet, mit rot geädertem Gesicht und Schnurrbart. Daher war sie überrascht, plötzlich einem jungen Mann Mitte zwanzig gegenüberzustehen, der sein langes, schwarzes Haar mit zu viel Gel zurückgekämmt hatte. Er besaß die schlaksige Unbeholfenheit, den schlechten Kleidungsstil und das übermäßige Selbstvertrauen, die Emma mit Internatserziehung und Upper-Class-Inzucht in Verbindung brachte. Das musste Ed Shields sein.

»Ich bin Emma Fox. Ich möchte gern zu Catherine Lomax.«

»Die Neue«, sagte er mehr zu sich selbst.

Offenbar hatte die Wandlung von Kundin zu neuer Kollegin sie zu Freiwild in seinem privaten Territorium gemacht. Mit seiner Nadelstreifenhose, den Hosenträgern und dem gestreiften Hemd erinnerte er Emma an Hunderte von Wall-Street-Börsenmaklern, alle in der Lage, diesen Jungen zum Frühstück zu verspeisen, und doch nicht Manns genug für sie. Ed machte keinerlei Anstalten, sich zu bewegen oder etwas zu sagen, sondern betrachtete sie, als sei sie ein Auto, das er vielleicht kaufen wollte. Emma konnte spüren, wie sich das Verlangen in ihm aufstaute. Sein Blick schien zu sagen: »Ich habe dich zuerst gesehen, und jetzt gehörst du mir.« Sie hätte ihm am liebsten deutlich gemacht, dass sie ihn mühelos in die Tasche stecken konnte, doch noch war die Zeit dafür nicht gekommen. Wenn er sie allerdings ohne weiteres als die Neue und als leicht zu haben einstufte, bewies dies, dass ihre Tarnung als schlichte Emma Fox funktionierte. Sie würde sich problemlos anpassen und keinen Verdacht erregen. Andererseits war sie sich bewusst, dass diesem Knaben kein Berg zu hoch erschien und dass selbst Elizabeth Taylor den gleichen abschätzenden Blick geerntet hätte.

»Ich bin Ed Shields«, stellte er sich schließlich lächelnd vor und reichte ihr seine feuchtkalte Hand. »Hier entlang.«

Mehrere Mitarbeiter blickten von ihren Schreibtischen auf und sahen ihr nach. Telefone klingelten leise, Tastaturen klackten – die Hintergrundgeräusche eines Büros glichen sich überall. Dieses Büro war jedoch deutlich vornehmer als die meisten anderen, schließlich sollte es dazu beitragen, den Kunden das richtige Image zu vermitteln.

»Hast du gut hierher gefunden?«, fragte Ed und ging wie selbstverständlich zum »Du« über.

»Ja, danke. Das ist wirklich ein sehr schönes Büro«, erwiderte Emma.

»Hm«, antwortete er, offenbar abgelenkt vom Ausschnitt ihres Kleides. »Hier wären wir.«

Die Tür zu Catherine Lomax’ Büro war nur angelehnt. Catherine saß an ihrem Schreibtisch und sah einige Unterlagen durch, die ordentlich aufgereiht vor ihr lagen.

»Catherine, das ist Emma Fox, die Neue«, sagte Ed in einem sehr viel freundlicheren Tonfall als zuvor bei Emma.

»Kommen Sie doch herein«, bat Catherine förmlich. »Und schließ bitte die Tür, wenn du gehst, Ed. Danke.« Sie warf ihm ein wohlwollendes Lächeln zu, bevor er verschwand.

Nach ein paar Sekunden durchbrach Emma die Stille. »Die Neue?«

Sie fingen beide an zu lachen, dann kam Catherine hinter ihrem Schreibtisch hervor, umarmte Emma und küsste sie auf die Wange.

»Ich hätte dich noch angerufen«, sagte Catherine, »aber ich dachte, du willst dich vielleicht erst ein wenig einleben. Ich war mir nicht sicher, ob du heute wirklich kommst, aber ich habe es den Mitarbeitern trotzdem erzählt. Ich war mir nicht einmal sicher, ob du überhaupt kommst.«

»Sei nicht albern, Catherine. Ich kneife nicht, du kennst mich doch.«

»Tja, und deinen neuen Kollegen Ed hast du auch schon kennengelernt. Aber lass dich davon bitte nicht abschrecken«, sagte Catherine lächelnd.

»Du siehst großartig aus«, sagte Emma und meinte es auch so. Mit sechsunddreißig war Catherine vier Jahre älter als Emma, doch sie entwickelte eine Reife, die ihre Schönheit nur noch unterstrich. Ihre langen Locken fielen ihr bis über die Schultern und umrahmten ihr Gesicht, das auf klassische Art schön war und Emma an Schwarz-Weiß-Fotografien von Hollywoodstars aus den 1930er und 1940er Jahren erinnerte.

Emma und Catherine waren in den letzten zehn Jahren mal mehr, mal weniger in Kontakt geblieben. Sie hatten sich auf der Hochzeit einer entfernten Cousine Emmas mit einem Freund von Catherines Mann, Victor Lomax, getroffen. Sie waren sofort miteinander ins Gespräch gekommen und hatten einander versprochen, die Verbindung nicht abreißen zu lassen. Zu ihrer beider Überraschung gelang ihnen dies auch. Sie schrieben einander ein oder zwei Briefe im Jahr, telefonierten ab und zu und trafen sich gelegentlich. Emma war fasziniert von den Kreisen, in denen Catherine und Victor verkehrten, von der leicht blasierten Eleganz ihres Lebensstils und der Ungezwungenheit, mit der sie sich auslebten. Es war eine wundervolle, unverbindliche Freundschaft, wenn auch über eine große Distanz hinweg.

Vor sechs Jahren hatte Catherine Emma angerufen und ihr mitgeteilt, dass Victor mit dem Sportflugzeug, mit dem er so gern flog, im Süden Englands in den Tod gestürzt war. In den folgenden beiden Jahren schlief der Kontakt zwischen ihnen ein wenig ein. Emma spürte, dass Catherine Raum und Zeit benötigte, um den Schicksalsschlag zu verkraften. Sie selbst hätte wahrscheinlich genauso reagiert. Emma drängte sich Catherine nicht auf, signalisierte aber, dass sie ihr jederzeit behilflich sein würde. Die verschiedenen Firmen, die Victor Lomax gehört hatten, wurden abgewickelt, wobei sich die maroden und gesunden Unternehmen bei der Gewinn- und Verlustrechnung fast die Waage hielten. Catherine behielt lediglich die erste Firma ihres Mannes, die Lomax-Immobilienagentur. Die Agentur vermittelte Wohnungen und Häuser in der Londoner Innenstadt an einen elitären Kundenstamm und erwirtschaftete genug Geld, um das kleine Vermögen zu vergrößern, das von Victors ehemaligem Besitz übrig geblieben war.

Emma gewann mit der Zeit den Eindruck, dass Catherine und sie einander an einem Wendepunkt in ihrer beider Leben begegnet waren – die eine bewegte sich auf der gesellschaftlichen Leiter nach unten, die andere nach oben. Emma hatte eine erfolgreiche Karriere begonnen und sich Catherine dabei zum Vorbild genommen. Doch nach Victors Tod strauchelte Catherine. Sie war zwar weit davon entfernt, arm zu sein, aber ohne ihren Mann veränderte sich ihr Leben erheblich. Mit dem Verkauf der Firmen versuchte sie offenbar, die Geister der Vergangenheit loszuwerden. Emma und Catherine entwickelten sich in verschiedene Richtungen, und bis auf ihren Willen, in Kontakt zu bleiben, verband sie im Grunde nichts mehr. Die Idee, dass Emma stille Teilhaberin der Agentur werden und dieser mit einer kleinen Finanzspritze unter die Arme greifen könnte, war den beiden Frauen während eines Telefonats gekommen. Sie konnten sich nicht einmal mehr daran erinnern, wer sie zuerst gehabt hatte. Der Gedanke spukte noch tagelang in Emmas Kopf herum, und sie spielte im Geiste alle möglichen Szenarien durch. Ein weiteres Telefonat folgte, und plötzlich besprachen sie bereits Details, beide Feuer und Flamme. Am Ende machte Catherine einen überraschenden Vorschlag: Wenn Emma wirklich ihr Leben als Investmentbankerin aufgeben wollte, könnte sie doch zuerst einmal bei Lomax hineinschnuppern, bevor sie ihr Geld in die Agentur steckte. Emma dachte darüber nach und stimmte schließlich unter einer Bedingung zu. »Ich mache es. Aber es muss unser Geheimnis bleiben.« Während der Zeit bei Morse Callahan war sie an zahlreichen Übernahmen beteiligt gewesen, doch sie hatte nie die Möglichkeit gehabt, eine Firma von innen heraus kennenzulernen.

»Hast du dich gut eingelebt?«, erkundigte sich Catherine nun. »Ich hätte dich ja persönlich begrüßt, aber ich dachte, vielleicht sollte ich dich am Anfang besser in Ruhe lassen.«

»Ich bin noch nicht lange genug hier, um mich wirklich eingelebt zu haben«, erwiderte Emma. »Anfangs kam ich mir vor wie in einem Agentenfilm – der Umschlag mit den Wohnungsschlüsseln, das Dossier über die Agentur … Eigentlich fehlte nur noch die Videokassette, die sich nach dem Ansehen selbst zerstört. Danke, dass du ein paar Lebensmittel eingekauft hast. Nach all den Jahren in den USA weiß ich kaum noch, wie die ganzen Sachen hier überhaupt heißen.«

»Ach, ich habe nur das Nötigste zum Überleben besorgt. Ich hoffe, dass du dich in der Wohnung wohl fühlst. Ich habe Sonia deine Bankverbindung mitgeteilt, du stehst jetzt offiziell als Aushilfe auf der Gehaltsliste, mit einem vierwöchigen Vertrag, der jeden Monat erneuert werden kann.«

Emma zog die Mappe mit den Informationen, die Catherine ihr zugeschickt hatte, aus ihrer Aktentasche, schlug sie auf und ließ ihren Blick über die Daten schweifen.

»Was hast du deinen Mitarbeitern gesagt?«

»Was wir vereinbart hatten. Du bist eine entfernte Verwandte von Victor, hast jahrelang in einer Bank gearbeitet und vor kurzem deinen Job verloren. Du arbeitest vorübergehend hier in der Miet-Abteilung, bis du eine richtige Stelle gefunden hast, und lernst dabei etwas über das Immobiliengeschäft.«

»Und niemand hegt Verdacht?«

»Nein. Einige haben die Stirn gerunzelt, als ich Victor erwähnte, als ob die Vetternwirtschaft noch aus dem Grab heraus am Werk wäre. War dir mein Bericht über die Firma denn eine Hilfe? Ich hatte teilweise das Gefühl, als würde ich meine Autobiografie schreiben.«

»Danke, er war sehr nützlich. Aber ich muss mittendrin sein, um wirklich zu verstehen, wie alles funktioniert. Deine Notizen über die Mitarbeiter waren ziemlich diplomatisch formuliert. Nach deiner Darstellung hätte ich Ed zum Beispiel niemals als derart schwanzgesteuert eingestuft, obwohl du durchaus Anhaltspunkte dafür lieferst.«

»Ed kümmert sich um die Vermietungen, zusammen mit Malcolm. Ehrlich gesagt – in diesem Bereich kann ich dich am leichtesten als Aushilfe unterbringen.«

»Und was halten Ed und Malcolm davon?«

»Malcolm würde eine Anordnung von mir und die Hierarchie in der Agentur niemals in Frage stellen, auch wenn er etwas geknickt war, weil er überhaupt kein Mitspracherecht hatte. Ed hingegen betrachtet sich gern als eine Art Naturgewalt als aufgehenden Stern am Immobilienhimmel. In den meisten Fällen funktioniert diese Kombination gut, aber möglicherweise wird Ed versuchen, dich ein bisschen auszubremsen.«

»Damit komme ich schon klar«, erwiderte Emma.

Die Agentur bestand aus der Inlandsabteilung für die Geschäfte in Großbritannien, der Auslandsabteilung und der Verwaltungsabteilung. In Großbritannien wurden Objekte sowohl vermietet als auch verkauft, während die Auslandsimmobilien – hauptsächlich in den USA, aber auch in Kontinentaleuropa – ausschließlich zum Verkauf standen. Die Verwaltung kümmerte sich um die Finanzen, Verträge und Rechnungen. Malcolm Dean war der Leiter der Inlandsabteilung und hatte einschließlich Ed Shields drei Angestellte unter sich, Jane Bennett leitete die Auslandsabteilung und Sonia Morgan kümmerte sich um die Verwaltung, beide mit jeweils einem Mitarbeiter als Unterstützung. Das ergab acht Mitarbeiter insgesamt, neun inklusive Emma, und zehn, wenn man auch Catherine Lomax dazuzählte.

»Wie lange möchtest du …« – Catherine suchte nach einem passenden Wort – »die Beobachterin spielen?«

»Nur für ein paar Wochen. Ich werde mich mal ein wenig genauer mit den Zahlen beschäftigen. Die Daten, die ich von dir bekommen habe, sehen zwar gut aus, aber ich möchte ein wenig tiefer graben.«

Catherine runzelte die Stirn. »Mehr kann ich dir zu den Zahlen auch nicht sagen. Die Unterlagen, die ich dir geschickt habe, sind Kopien der Aufstellungen, die ich jeden Monat von Sonia bekomme. Du weißt also genauso viel wie ich.«

»Hast du einen eigenen Buchhalter?«

»O nein. Mit dem Thema sind wir durch. Bevor Victor seine Geschäfte ausbaute, kümmerte sich Sonia um die Buchhaltung. Dann beschäftigten wir einen Steuerberater für die gesamte Lomax-Gruppe, der die ganze Zeit davon sprach, das Aktienkapital zu erhöhen. Es war ein einziger langer Kampf zwischen ihm und Sonia. Nach der Auflösung der Firmengruppe hat Sonia die Buchhaltung wieder übernommen.«

»Ist sie eine geprüfte Buchhalterin?«

»Selbstverständlich.«

Emma war überrascht. Sie hatte angenommen, dass die Lomax-Immobilienagentur mit einem unabhängigen Buchhalter zusammenarbeitete. Zwar besaßen alle großen Firmen eigene Buchhalter, doch Lomax war keine große Firma. Aus Emmas Sicht sollte niemand, der derart eng mit der Firma in Verbindung stand wie Sonia, über solche finanziellen Informationen verfügen. Für sie selbst bedeutete das zudem, dass sie nicht an diese Informationen gelangen konnte, ohne Verdacht zu erregen. Jeder in der Agentur würde erfahren, dass sie plante, als Investorin einzusteigen, und dies wollte sie vorerst vermeiden. Natürlich war es ein Unterschied, ob man als Partnerin in eine Agentur einstieg oder an der Wall Street mit ganzen Firmen jonglierte und Unternehmen ausschlachtete. Doch die Grundstrategie und die Taktik blieben selbst bei einer vergleichsweise bescheidenen Investition dieselben, dessen war sich Emma sicher.

»Gibt es irgendeine Möglichkeit, unbemerkt an detaillierte finanzielle Informationen zu kommen?«

»Nein.«

Sie musste sich die Daten also auf anderem Wege besorgen. Catherine gab ihr zwar bereitwillig über die Agentur Auskunft, doch das reichte Emma nicht. Aus den Zahlen ließ sich ein kaum merklicher, aber nichtsdestotrotz beunruhigender Abwärtstrend herauslesen, der mit den wenigen Informationen, die sie besaß, an nichts Bestimmtem festgemacht werden konnte. Emma hoffte, dass die Arbeit in der Agentur die Zahlen mit etwas mehr Substanz unterfüttern würde. Die Vorstellung, dass Catherines Schicksal zum Großteil in den Händen von Sonia Morgan lag, behagte ihr ganz und gar nicht. Aus den Akten wusste Emma, dass Sonia zwar ein stattliches Gehalt bezog, aber weder einen Partnerstatus besaß noch irgendwie sonst an der Agentur beteiligt war. Emma fragte sich, welche Auswirkungen dies wohl auf ihre Loyalität haben mochte.

»Irgendwann nächste Woche veranstalten wir ein Willkommens-Dinner für dich und stellen dich den Mitarbeitern offiziell vor. Heute Morgen würde ich dich gern nur mit Malcolm bekannt machen und dich in seine Obhut geben. Die anderen fänden es merkwürdig, wenn ich eine Aushilfe gleich durch die ganze Agentur führen würde.«

»Das klingt hervorragend. Ich nehme mal an, dass ich einen eigenen Schreibtisch bekomme?«

»Aber natürlich. Du hast einen Schreibtisch und einen Computer mit allem, worum du gebeten hast.«

»Können wir heute zusammen zu Mittag essen, um noch ein paar Dinge zu besprechen?«

»Gern. Ian soll irgendwo für uns reservieren.«

Ian Cameron arbeitete sowohl am Empfang als auch für Sonia Morgan, er war Rezeptionist und Verwaltungsassistent in Personalunion. Da Emma dank Catherines Unterlagen bereits viel über die Mitarbeiter von Lomax wusste, kam es ihr jetzt beinahe vor, als sähe sie im Kino die Verfilmung eines Buches, das sie gerade erst ausgelesen hatte. Würden die Figuren genauso sein wie in ihrer Vorstellung? Ed zumindest hatte ihre Erwartungen nicht enttäuscht.

***

»Malcolm, das ist Emma Fox.«

»Ah ja«, sagte er, erhob sich von seinem Schreibtisch und schüttelte Emma die Hand. »Malcolm, Malcolm Dean. Ich leite die Inlandsabteilung.«

»Freut mich, Sie kennenzulernen«, entgegnete Emma und erwiderte seinen kräftigen Händedruck.

Malcolm war um die vierzig und gut angezogen, auch wenn seine Kleidung ein wenig abgenutzt aussah. Insgesamt schien er in seinem Erscheinungsbild eher unauffällig bleiben zu wollen. Er hatte hellbraune Haare und seine Frisur hätte eher in die frühen 1980er gepasst. Er war verheiratet, hatte zwei Kinder und wirkte, als sei er jederzeit bereit, den Fußball herauszuholen und mit seinem Sohn eine Runde zu kicken.

Catherine zog sich zurück und überließ es Malcolm, Emma in den neuen Job einzuweisen. Er stellte sie Ed vor, und Emma klärte ihn auf, dass sie bereits das Vergnügen gehabt hatte. Die anderen beiden Männer, die für Malcolm arbeiteten, waren Tony Wilson und Dominic Lester. Tony und Dominic kümmerten sich um die Kaufimmobilien, Ed und Malcolm um die Vermietungen, wobei Malcolm gegenüber Ed eine Art Vaterrolle einnahm. Tony und Dominic waren sehr zuvorkommend, schienen aber nach ein paar Begrüßungsfloskeln nicht mehr zu wissen, worüber sie mit Emma reden sollten.

»Ist die Agentur nicht nur in Inland und Ausland aufgeteilt, sondern auch nach Geschlechtern?«, fragte sie Malcolm leichthin.

Sie befanden sich inzwischen in der kleinen Küche, und er schenkte ihr Kaffee aus einer großen gläsernen Filterkanne ein, die bereits halb leer war und an deren oberem Teil sich das Kondenswasser in dicken Tropfen abgesetzt hatte.