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Forum Sportwissenschaft, Band 39

Hrsg. vom Verein zur Förderung des
sportwissenschaftlichen Nachwuchses e. V.

Schriften der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft · Band 286

Herausgeber: Deutsche Vereinigung für Sportwissenschaft

ISSN 1430-2225

Clemens Töpfer

Sportbezogene Gesundheitskompetenz: Kompetenzmodellierung und Testentwicklung für den Sportunterricht

Forum Sportwissenschaft, Band 39

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Die vorliegende Arbeit wurde als Dissertation von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen.

Tag der mündlichen Prüfung (Disputation): 23.02.2017

Vorsitzende des Promotionsorgans: Prof. Dr. Heike Paul

Gutachter:

Prof. Dr. Ralf Sygusch

Prof. Dr. André Gogoll

Prof. Dr. Stephan Kröner

ISBN 978-3-88020-686-1

Alle Rechte vorbehalten

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

Danksagung

1Einleitung

2Kompetenzen im Sportunterricht – Theorie und Forschungsstand

2.1Begriffsbestimmung: Ursprünge und Facetten des Kompetenzbegriffs

2.2Arten von Kompetenzmodellen

2.3Kompetenzen und Kompetenzmodelle im Sportunterricht

2.3.1Handlungsfähigkeit im Sport als Bildungsziel

2.3.2Chancen und Risiken der Kompetenz- und Standardorientierung für den Sportunterricht

2.3.3Kompetenzmodelle für den Sportunterricht – Forschungsstand

2.4Zusammenfassung

3Gesundheitserziehung, Gesundheitsbildung und Gesundheitsförderung im Sportunterricht – Theorie und Forschungsstand

3.1Begriffsbestimmung

3.2Didaktische Gesundheitskonzepte für den Sportunterricht

3.2.1Objektivierende Position

3.2.2Subjektivierende Position

3.3Gesundheit als Facette des Erziehenden Sportunterrichts

3.3.1Erziehender Sportunterricht

3.3.2Die Pädagogische Perspektive Gesundheit

3.3.3Gesundheitliche Zielstellungen in Lehrplänen und Handreichungen

3.4Zusammenfassung

4Gesundheitskompetenz – Theorie und Forschungsstand

4.1Begriffsbestimmung

4.2Modelle der Gesundheitskompetenz – Forschungsstand

4.2.1Stufenmodelle der Gesundheitskompetenz

4.2.2Strukturmodelle der Gesundheitskompetenz

4.3Empirische Befunde

4.4Zusammenfassung

5Sportbezogene Gesundheitskompetenz – Modellentwicklung

5.1Fragestellungen

5.2Methodisches Vorgehen

5.3Theoretische Ausgangspunkte einer sportbezogenen Gesundheitskompetenz

5.4Theoretische Modellstruktur der sportbezogenen Gesundheitskompetenz

5.4.1Kompetenzbereiche

5.4.2Gesundheitsbezogene Themenfelder

5.4.3Anforderungsniveaus

5.5Zusammenfassung

6Sportbezogene Gesundheitskompetenz – Testentwicklung

6.1Fragestellungen

6.2Gegenstand der Testentwicklung

6.2.1Testart

6.2.2Zielgruppe

6.2.3Testkonstruktion

6.2.4Aufgabenformate

6.2.5Testtheoretische Grundlagen

6.3Methodisches Design

6.4Itementwicklung: Anforderungssituationen

6.5Voruntersuchungen

6.5.1Pretests

6.5.2Expertenbefragungen

6.5.3Itempool

6.6Hauptuntersuchungen

6.6.1Methoden

6.6.2Stichprobe

6.6.3Ergebnisse

6.6.4Zusammenfassung

7Diskussion und Ausblick

7.1Diskussion der Ergebnisse

7.2Diskussion der Methoden

7.3Ausblick

8Zusammenfassung

Literatur

Anhang

Der Autor

Danksagung

Für das Gelingen dieser Forschungsarbeit haben verschiedene Menschen auf Ihre Art und Weise einen wichtigen Beitrag geleistet. Besonderen Dank möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Ralf Sygusch aussprechen. Er hat mich in zahlreichen Gesprächen darin unterstützt, den Fokus auf das Wesentliche in meiner Arbeit nicht zu verlieren. Ich danke ihm darüber hinaus vor allem für seine Wertschätzung mit Blick sowohl auf meine Person als auch auf meine Arbeit. Ralf Sygusch hat mich auch dabei unterstützt, frühzeitig mein Promotionsvorhaben auf Tagungen präsentieren zu können und zur Diskussion zu stellen. Danken möchte ich auf diesem Wege auch Prof. Dr. André Gogoll, der mir hilfreiche Impulse besonders bei der Modellierung und der Testentwicklung gegeben hat.

Hiermit möchte ich mich insbesondere auch bei meinen (ehemaligen) Kolleginnen und Kollegen für die vielen formellen und informellen Diskussionsrunden bedanken. Besonderer Dank gilt meiner langjährigen Kollegin Julia Hapke, die mit mir diesen manchmal aufreibenden Weg der Promotion „geteilt“ hat. Weiterhin möchte ich mich vor allem bei Sebastian Liebl, Christian Herrmann und Verena Oesterhelt für Ihre wissenschaftliche Unterstützung und den Austausch in den vergangenen Jahren bedanken. Auch einige Hilfskräfte haben zum Gelingen dieser Arbeit maßgeblich beigetragen. Ich danke vor allem Jana Ulbig, Sebastian Walter und Philipp Strzebin.

Die Erstellung der vorliegenden Arbeit wurde mitunter dadurch ermöglicht, dass ich durch ein Promotionsstipendium gefördert wurde. Ich möchte mich daher bei der Konrad-Adenauer-Stiftung für die finanzielle Förderung, die tiefgründigen Seminarveranstaltungen sowie bei meiner KAS-Hochschulgruppe Erfurt für den sozialen Rückhalt bedanken.

Während der empirischen Phase meiner Arbeit haben sich viele Menschen zur Mitarbeit im Rahmen meines Promotionsvorhabens bereit erklärt. Besonderer Dank gilt sowohl allen Schülerinnen und Schülern, die an den Erhebungen von Vor- und Hauptuntersuchungen teilgenommen haben, als auch allen Sportlehrkräften, die ihre Sportstunden für die Erhebungen zur Verfügung gestellt haben oder selbst an Expertenbefragungen teilgenommen haben.

Abschließend möchte ich mich insbesondere bei meiner Frau Nadja für ihre Geduld, ihre Motivation und ihre emotionale Unterstützung bedanken. Vor allem im letzten Jahr meiner Promotion hat sie mir gemeinsam mit unseren beiden Kindern familiär oft den Rücken freigehalten und Verständnis für mein Vorhaben gezeigt. Danksagen möchte ich auch meinen Eltern und meinen Geschwistern, die immer wieder Interesse für meine Arbeit gezeigt haben, mich ermutigt haben und Verständnis hatten für die eine oder andere fehlende Stunde zusammen.

1 Einleitung

Spätestens seit der Veröffentlichung der Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“1 sehen sich die Fachdidaktiken damit konfrontiert, empirisch fundierte Kompetenzmodelle und standardbasierte Lehrpläne zu entwickeln (Klieme et al., 2007). Diese Mittel wurden im Nachgang der „Bildungskatastrophe“ um PISA gewählt, um im Bildungssystem für die nötige Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung zu sorgen (Thiele, 2012). Viele Fachdidaktiken sind den Forderungen nach wissenschaftlicher Evidenz gefolgt und haben sich intensiv mit der Entwicklung und Überprüfung von Kompetenzmodellen und Bildungsstandards beschäftigt. Vergleichsweise schwerfällig kam die Kompetenzdiskussion in der Sportdidaktik in Schwung, die sich „gemessen an der hohen Diskussions- und Forschungsdichte in anderen Fachdidaktiken […] noch immer sichtlich schwer“ tut (Gogoll, 2013, S. 6). Gogoll führt diesen Zustand mitunter auf den fehlenden Handlungsdruck zurück, da für das Fach Sport bislang seitens der KMK keine nationalen Bildungsstandards geplant sind (ebd.). Hinzukommt, dass die Entwicklung von Bildungsstandards in der Sportpädagogik mit skeptisch-distanzierten Resonanzen verbunden ist (u. a. Stibbe, 2010a; Thiele, 2012). Im Zuge der Diskussion um Bildungsstandards und Output-Orientierung stellt sich die Sportpädagogik jedoch zunehmend der Forderung nach Überprüfung und Messung im Sportunterricht vermittelter Kompetenzen. Bei aller Zurückhaltung ist man sich mittlerweile relativ einig, dass die Sportdidaktik nicht um die konstruktive Auseinandersetzung mit Kompetenzmodellen und Standards umherkommt, da der Legitimationsdruck gegenüber anderen Fächern enorm ist (Balz, 2011; Gogoll & Kurz, 2013; Schierz & Thiele, 2013).

Zusammenfassend erkennt Balz (2012) in der sportpädagogischen Kompetenzdiskussion drei Problembereiche. Er kritisiert „die Leerstelle eines leitenden Kompetenzmodells mit konsensfähigen Kompetenzbereichen, das Defizit empirischer Schulsportforschung zu diesem Thema sowie der Mangel an praxisorientieren Empfehlungen und geeigneten Beispielen [Hervorhebungen: C. T.]“ (Balz, 2012, S. 7). Während man dem Problem der praktischen Umsetzung mittlerweile mit diversen kompetenzorientierten Unterrichtsbeispielen in Verbindung mit Aufgabenkultur begegnet (u. a. Pfitzner, 2014), liegen die schwerpunktmäßigen Defizite auf der Ebene der Bildungsstandards oder der Diskussion um Kompetenzmodelle. Darüber hinaus entziehen sich die bislang vorliegenden Modellentwürfe für den Sportunterricht einer empirischen Überprüfung (Balz, 2011).

Die Tragweite der begrifflichen und empirischen Defizite in der sportpädagogischen Entwicklung eines Kompetenzmodells zeigt sich auch bei der Lehrplanentwicklung deutscher Kerncurricula für den Sport. Kurz und Gogoll kritisieren (2010), dass die bisher erlassenen Kernlehrpläne häufig lediglich die Terminologie der neuen Kompetenzdiskussion aufgreifen, jedoch im Kern die Programmatik der Kompetenz- und Standardorientierung vermissen lassen. Zu häufig orientieren sich die Formulierungen an dem, was im Sportunterricht am leichtesten bei Schülern2 messbar ist: motorische Fertigkeiten und Fähigkeiten (Prohl & Krick, 2008; Aschebrock & Stibbe, 2008). Darüber hinaus reichende Standardformulierungen erscheinen mitunter sehr willkürlich und entziehen sich meist einer empirischen Überprüfung. Mit dem Maßstab, messbare Bildungsstandards für das Fach Sport zu entwickeln, sieht Aschebrock (2011, S. 52) folglich eine „große Gefahr darin, sich bei der Formulierung von Standards im Fach Sport vom pädagogischen Gesamtkonzept eines erziehenden Schulsports zu verabschieden“. Dem aufgezeigten Pragmatismus des Messbaren sollte die Sportpädagogik mit einer theoriegeleiteten Modellierung von Kompetenzen begegnen (Gogoll, 2013). Dadurch ließe sich die „Verbindung zwischen curricularen Anforderungen, fachspezifischen Zusammenhängen, kognitionspsychologischen Modellen und konkreten Aufgabensammlungen“ kohärent gestalten (Klieme & Leutner, 2006, S. 884). Zudem wird durch die Entwicklung eines konsensfähigen Kompetenzmodells die Grundlage für empirisch fundierte Bildungsstandards geschaffen (Klieme et al., 2007). Klieme et al. (2007, S. 75) empfehlen zusammenfassend, „bei der Entwicklung von Kompetenzmodellen auf dem Theorie- und Erkenntnisstand der Fachdidaktiken aufzubauen“.

In der sportpädagogischen Kompetenzdiskussion besteht derzeit weitgehend Konsens darüber, dass man sich bei der Entwicklung von Kompetenzmodellen an der didaktischen Position des Erziehenden Sportunterricht orientieren sollte (u. a. Balz, 2011; Gogoll, 2013). Zentrale Merkmale des Erziehenden Sportunterrichts liegen ausgehend von einer mehrperspektivischen Akzentuierung in der Entwicklung von sport- und bewegungsbezogener Handlungsfähigkeit (Gogoll, 2013; Kurz, 2000).

Vor dem Hintergrund der eingangs aufgezeigten Problemsituation ist es das Ziel dieser Arbeit, im Sportunterricht erlernte Kompetenzen theoretisch zu fundieren, inhaltlich auszudifferenzieren und empirisch zu erfassen. Mit Blick auf die mehrperspektivische Ausrichtung des Erziehenden Sportunterrichts werden im Folgenden insbesondere jene Kompetenzen betrachtet, die sich mit dem Thema Gesundheit beschäftigen. Diese thematische Selektion wird insbesondere vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Bedeutsamkeit von Gesundheitsförderung sowie der damit verbundenen Legitimation des Faches Sport vorgenommen. Diese gesundheitliche Schwerpunktsetzung gewinnt in erster Linie dadurch an Bedeutung, dass in den Gesundheitswissenschaften seit den 2000er Jahren verstärkt das Konzept der Gesundheitskompetenz erforscht wird und sich in diesem Fokus Zusammenhänge zur potentiellen Gesunderhaltung der Menschen andeuten (Soellner et al., 2009; Sørensen et al., 2012). Darüber hinaus zeigen vereinzelt auch Lehrpläne für das Fach Sport, dass sich Gesundheitskompetenz zu einer relevanten und für den Sport noch auszudifferenzierenden Begrifflichkeit entwickelt hat (z. B. Thüringen: TMBWK, 2012).

Für den Themenbereich Gesundheit im Fach Sport werden anhand der übergreifenden Zielsetzung für die vorliegende Arbeit zwei forschungsleitende Fragestellungen konkretisiert:

1. Wie können gesundheitsbezogene Kompetenzen in Bewegung, Spiel und Sport mit Hilfe eines Kompetenzmodells theoretisch fundiert werden?

2. Wie können gesundheitsbezogene Kompetenzen in Bewegung, Spiel und Sport mit Hilfe eines Testinstruments empirisch erfasst werden?

Als Ausgangspunkt für beide Fragestellungen wird ein theoretischer Bezugsrahmen, bestehend aus drei Zugängen, gewählt: die sportpädagogische Kompetenzdiskussion (vgl. Kap. 2), die sportpädagogische Gesundheitsdiskussion (vgl. Kap. 3) sowie die Diskussion um Gesundheitskompetenz (vgl. Kap. 4).

Im zweiten Kapitel wird demnach zunächst geklärt, wie der aktuelle Theorie- und Erkenntnisstand zum Thema Kompetenzen in der sportpädagogischen Diskussion gefasst werden kann. Im Kern geht es hierbei um die Diskussion vorhandener Kompetenzmodelle hinsichtlich ihrer Anbindung an die Vorstellungen der empirischen Bildungsforschung sowie die Fundierung anhand aktueller didaktischer Konzepte. Ziel ist es, ein Modell zu finden, welches sich aus Sicht der oben genannten Kriterien für eine vertiefende theoretische Fundierung sowie eine weiterführende Ausdifferenzierung eignet (vgl. Kap. 2).

Im Mittelpunkt des dritten Kapitels steht der Theorie- und Forschungsstand zu sportpädagogischen Gesundheitskonzepten. Aktuell vorhandene Leitideen und Konzepte von Gesundheitserziehung, Gesundheitsbildung und Gesundheitsförderung im Sportunterricht sollen herausgearbeitet werden. Ergebnis dieses Vorgehens soll ein Konsens zum Theorie- und Erkenntnisstand gesundheitsbezogener Bildungsziele im Sportunterricht sein (vgl. Kap. 3).

In Erweiterung zum Forschungsstand in der sportpädagogischen Kompetenz- und Gesundheitsdiskussion (vgl. Kap. 2 und Kap. 3) werden im vierten Kapitel aktuelle Entwicklungen aus Sicht der Gesundheitswissenschaften aufgegriffen. Hierfür wird das Konzept der Gesundheitskompetenz in den Vordergrund gestellt und sowohl aus theoretischer wie auch empirischer Perspektive diskutiert. Im Mittelpunkt steht die Erarbeitung zentraler Aspekte aus Definitionen und Modellen zur Gesundheitskompetenz (vgl. Kap. 4).

Im fünften Kapitel wird sportbezogene Gesundheitskompetenz als Ergebnis der theoriegeleiteten Entwicklung eines Kompetenzmodells vorgestellt. Das methodische Vorgehen für die theoriegeleitete Entwicklung des Kompetenzstrukturmodells orientiert sich an den Empfehlungen der empirischen Bildungsforschung (Klieme & Leutner, 2006). Neben der begrifflichen Fundierung einer sportbezogenen Gesundheitskompetenz geht es vor allem um die Beschreibung der Modellstruktur gemäß den vorliegenden Dimensionen des Modells (vgl. Kap. 5).

Der empirische Teil der vorliegenden Arbeit folgt im sechsten Kapitel. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung eines Testinstruments zur Erfassung sportbezogener Gesundheitskompetenz. Im Anschluss an die Formulierung der Forschungsfragen zu diesem Abschnitt folgen allgemeine Ausführungen zum Gegenstand der Testentwicklung. Darauf aufbauend wird das übergreifende methodische Design der Testentwicklung beschrieben. Dies unterteilt sich in zwei Hauptarbeitsphasen: Voruntersuchungen (vgl. Kap. 6.5) und Hauptuntersuchungen (vgl. Kap. 6.6). Im Unterkapitel zu den Voruntersuchungen wird das Vorgehen der Testentwicklung anhand von Pretests und Expertenbefragungen erläutert. Die darauf aufbauenden Hauptuntersuchungen umfassen Itemanalysen und insbesondere Modellanalysen, mit Hilfe derer Aussagen zur Validität des Testinstruments getroffen werden können (vgl. Kap. 6).

Im siebten Kapitel folgt ausgehend von den zwei Phasen Modellentwicklung und Testentwicklung die kritische Diskussion der vorliegenden Ergebnisse sowie der verwendeten Methoden. Auf dieser Basis werden im Ausblick Ableitungen für die Forschungs- und für die Unterrichtspraxis skizziert (vgl. Kap. 7). Abschließend werden die Kapitel dieser Arbeit knapp zusammengefasst (vgl. Kap. 8).

1In der öffentlichen Diskussion häufig kurz als ‚Klieme-Expertise‘ bezeichnet.

2Aus Gründen der besseren Lesbarkeit (insbesondere bei der Ergebnisdarstellung) wird im Folgenden bei Schülerinnen und Schülern die männliche Form „Schüler“ genutzt. Weibliche und anderweitige Geschlechterindentitäten werden dabei ausdrücklich mitgedacht (m/w/d).

2 Kompetenzen im Sportunterricht – Theorie und Forschungsstand

Das schlechte Abschneiden der deutschen Schüler im Rahmen der internationalen Studien PISA und TIMSS, führte Anfang der 2000er Jahre zu einer Debatte um eventuelle Defizite des deutschen Schulwesens. In den Studien bereitete den Schülern insbesondere das Bewältigen von Anwendungsaufgaben große Schwierigkeiten. Daraus wurde geschlussfolgert, dass das vorhandene Wissen und Können nicht in variablen Leistungssituationen nutzbar gemacht werden kann, sodass – bildlich gesprochen – die Schüler nur über „Träges Wissen“ und „Blindes Können“ verfügen (Klieme et al., 2007). Als „ Träges Wissen“ gelten erlernte Wissensbestände, auf die die Schüler im Handeln in bestimmten Situationen und im Lösen praxisnaher Probleme nicht zugreifen können. Es fehlt also die Verknüpfung zwischen dem Wissen und der typischen Anforderungssituation, in der es gebraucht wird. Unter einem „Blinden Können“ werden allgemeinhin Handlungen verstanden, die unreflektiert und ohne Sinnzuschreibung ausgeführt werden.

Nicht zuletzt im Zuge der Veröffentlichung der Expertise „Zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ (Klieme et al., 2007) wurden einige Veränderungen angestoßen, die genau an dieser Problematik anzusetzen versuchen. Kompetenzen stehen dabei im Sinne der Qualitätsentwicklung für „anwendungsfähiges Wissen und ganzheitliches Können“ (Klieme & Hartig, 2007, S. 13). Ausgehend von der bislang vorherrschenden Inputorientierung im schulischen Bildungssystem fokussiert die Klieme-Expertise die flächendeckende Umsetzung einer Outputorientierung anhand von Bildungsstandards sowie die zugrundeliegende Entwicklung von Kompetenzmodellen.

Diese Veränderungen sind in ihren „massiven Auswirkungen wohl nur mit der Bildungsexpansion der 60er und 70er Jahre des letzten Jahrhunderts vergleichbar“ (Thiele, 2012, S. 14f). Gravierender Unterschied zwischen beiden „Bildungskatastrophen“: Bei der ersten Bildungskatastrophe reagierte der Staat mit dem quantitativen Ausbau des Bildungssystems. Im Nachgang von PISA wird im Gegensatz dazu ein qualitativer Umbau des Bildungssystems angesteuert. Das Hauptaugenmerk liegt dabei zunächst auf der kompetenz- und standardorientierten Entwicklung von Lehrplänen. Während zunächst die „PISA-Fächer“ in Folge eines Beschlusses der KMK zur Entwicklung nationaler Bildungsstandards aufgerufen wurden, folgten die übrigen Fächer mehr oder weniger freiwillig der Offerte – so auch das Fach Sport. Im Fach Sport war (und ist) die „neue Steuerung“ im Rahmen von Kompetenzorientierung und Bildungsstandards ein Thema, dass innerhalb der Sportpädagogik zu kritisch-distanzierten aber auch kritisch-konstruktiven Resonanzen geführt hat (u. a. Kurz & Gogoll, 2010; Stibbe, 2010a; Thiele, 2012). Insbesondere mit Blick auf die kompetenzorientierte Unterrichtsgestaltung wurden unter dem Stichwort einer neuen „Aufgabenkultur“ zuletzt Anregungen zur praktischen Umsetzung und zur empirischen Überprüfung initiiert (u. a. Pfitzner, 2014).

Im Folgenden soll der Begriff der Kompetenz zunächst aus allgemeindidaktischer Sicht konkreter bestimmt werden (vgl. Kap. 2.1). Darauf aufbauend werden aktuelle Entwicklungen zu verschiedenen Arten von Kompetenzmodellen aufgegriffen und mit Beispielen aus anderen Fachdidaktiken belegt (vgl. Kap. 2.2). Im Kapitel 2.3 wird das Thema Kompetenzen im Kontext des Sportunterrichts betrachtet. Ausgehend von den Bildungszielen des Sportunterrichts (vgl. Kap. 2.3.1), werden die Chancen und Risiken einer Einführung von Kompetenzen und Standards diskutiert (vgl. Kap. 2.3.2). Es folgt eine ausführliche Darstellung verschiedener bereits vorliegender Modellentwürfe für Kompetenzen im Sportunterricht (vgl. Kap. 2.3.3). Anschließend werden die vorliegenden Befunde zur Kompetenzorientierung zusammenfassend dargestellt (vgl. Kap. 2.4).

2.1 Begriffsbestimmung: Ursprünge und Facetten des Kompetenzbegriffs

Geht man zurück zu den lateinischen Wurzeln des Kompetenzbegriffs, so charakterisiert sich Kompetenz in drei Bedeutungsmomenten: Fähigkeit, Zuständigkeit und Bereitschaft (Müller-Ruckwitt, 2008). Demnach verfügt ein Individuum dann über Kompetenz, (1) wenn es bestimmte Fähigkeiten besitzt, die notwendig sind um in bestimmten Situationen zu handeln; (2) wenn es Zuständigkeit übernimmt und (3) wenn es Bereitschaft zeigt. Gemäß Marquard (1974) müssen sich diese drei Bedeutungsmomente in Deckung befinden, um von einem kompetent handelnden Individuum sprechen zu können. Um diese Anknüpfungspunkte zu konkretisieren, erscheint es sinnvoll, im Folgenden Facetten des Kompetenzbegriffs aus den verschiedenen Blickrichtungen der Wissenschaftsdisziplinen näher zu beleuchten.

Die Wurzeln des sozialwissenschaftlichen Kompetenzbegriffs liegen in den 1950er Jahren und können vermutlich drei Disziplinen zugeordnet werden: der Soziologie (Weber), der Linguistik (Chomsky) und der pragmatisch-funktionalen Psychologie (White) (vgl. Klieme & Hartig, 2007). Der linguistische und der psychologische Ansatz können aus heutiger Sicht für die aktuelle Kompetenzforschung als prägend eingeschätzt werden. In der Motivationspsychologie (White, 1957) wurde Kompetenz als eine grundlegende Fähigkeit gesehen, die weder genetisch angeboren noch das Produkt von Reifungsprozessen ist, sondern vom Individuum selbst hervorgebracht wird. White sieht Kompetenz als „wirkungsvolle Interaktion eines Individuums mit seiner Umwelt“ (Klieme & Hartig, 2007 S. 16). Offensichtlich bezugnehmend zu Whites Kompetenzverständnis formulierte die Sozialpsychologie Kompetenz als Gegenbegriff zu Intelligenz (McClelland, 1973).

Ein weiterer einflussreicher Ursprung der sozialwissenschaftlichen Kompetenzforschung liegt in der sprachwissenschaftlichen Theorie der „linguistic competence“ von Chomsky (1968), welche als allgemeines Sprachvermögen bezeichnet werden kann. Darin unterscheidet er zwischen Kompetenz und Performanz. Die Performanz, welches als konkretes Handeln in spezifischen Situationen beobachtbar ist, basiert auf den beim Individuum vorhandenen Kompetenzen (ebd.). Mit anderen Worten können Kompetenzen somit als „Performanzpotenziale“ bezeichnet werden (Maag Merki, 2009, S. 494).

In den Erziehungs- und Bildungswissenschaften lassen sich derzeit zwei Diskussionslinien zu Kompetenzen unterscheiden. Zum einen der sich in den 1970er Jahren begründete erziehungswissenschaftliche Ansatz von Roth (1971), zum anderen der in der empirischen Bildungsforschung seit den 2000er Jahren verwendete Ansatz (Weinert, 2001a; 2001b; Klieme & Leutner, 2006). Die Diskussionslinien unterscheiden sich in der Weise, wie sie Bildung und Kompetenz ins Verhältnis zueinander setzen.

Nach dem erziehungswissenschaftlichen Ansatz werden Bildung und Kompetenz auf einer Ebene gesehen. „Mündigkeit […] ist als Kompetenz zu interpretieren“ (Roth, 1971, S. 180). „Mündig ist demnach, wer fähig ist, für sich selbstverantwortlich handeln zu können, (Selbstkompetenz), wer für Sachbereiche (Sachkompetenz) oder für sozial, gesellschaftlich und politisch relevante Sach- und Sozialbereiche (Sozialkompetenz) urteils- und handlungsfähig […]“ ist (Gogoll, 2009, S. 52). Gemessen an der sozialwissenschaftlichen Diskussion, liegt hier ein sehr breiter Kompetenzbegriff zu Grunde (Klieme & Hartig, 2007).

In der empirischen Bildungsforschung wird im Gegensatz dazu die Kompetenz der Bildung untergeordnet. Kompetenzen stellen somit einen funktionalistischen Teil von Bildung dar oder bilden, wie Baumert (2002) es versteht, einen „pragmatisch bedeutsamen Kern“. Kompetenzen ermöglichen aber schließlich den Zugang zu höherer Bildung (Gogoll, 2009; Klieme & Hartig, 2007). Ausgehend von der Kritik, die Kompetenzen nach Roth seien lediglich globale Kompetenzkonstrukte, die inhaltlich nicht hinreichend bestimmt und kaum überschneidungsfrei operationalisierbar sind (Gogoll, 2009; Hartig, 2008), wird von Seiten der empirischen Bildungsforschung ein Kompetenzbegriff zu Grunde gelegt, der sich in seiner Kontextgebundenheit und funktionalen Orientierung von den bislang vorhandenen erziehungswissenschaftlichen Kompetenzkonstrukten formaler Bildung (Roth, 1971) unterscheidet.

Sowohl in der älteren als auch in der neueren Kompetenzdiskussion wurde der Kompetenzbegriff anhand unterschiedlicher Theorien und Handlungsfelder sehr variabel ausgedeutet. Um etwas mehr Klarheit zu den verwendeten Kompetenzdefinitionen zu gewinnen, analysierte Weinert (2001b) im Auftrag der OECD die verschiedenen vorhandenen Konzepte von Kompetenzen. Sechs verschiedene Kategorien von Kompetenzen wurden von ihm identifiziert (Weinert, 1999 zit. nach Hartig & Klieme, 2006, S. 128):

1. „Kompetenzen als generelle kognitive Leistungsdispositionen, die Personen befähigen, sehr unterschiedliche Aufgaben zu bewältigen,

2. Kompetenzen als kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf bestimmte Klassen von Situationen und Anforderungen beziehen. Diese spezifischen Leistungsdispositionen lassen sich auch als Kenntnisse, Fertigkeiten oder Routinen charakterisieren,

3. Kompetenzen im Sinne der für die Bewältigung von anspruchsvollen Aufgaben nötigen motivationalen Orientierungen,

4. Handlungskompetenz als eine Integration der drei erstgenannten Konzepte, bezogen auf die Anforderungen eines spezifischen Handlungsfeldes wie z. B. eines Berufes,

5. Metakompetenzen als das Wissen, die Strategien oder die Motivationen, welche sowohl den Erwerb als auch die Anwendung spezifischer Kompetenzen erleichtert,

6. Schlüsselkompetenzen als Kompetenzen im unter 2. genannten funktionalen Sinn, die aber für einen relativ breiten Bereich von Situationen und Anforderungen relevant sind. Hierzu gehören z. B. muttersprachliche oder mathematische Kenntnisse“.

Weinert (2001a; 2001b) unterscheidet im Wesentlichen zwei verschiedene Ansätze von Kompetenzen: fachliche Kompetenzen und überfachliche Kompetenzen. Fachliche Kompetenzen sind jene Fähigkeiten und Fertigkeiten, die für die Bewältigung von Anforderungen in einer Domäne (Physik, Spanisch, Biologie) spezifisch sind. Überfachliche Kompetenzen – häufig auch als Schlüsselqualifikationen bezeichnet – sind unabhängig von einer bestimmten Domäne. Hierzu zählen beispielsweise allgemeine Problemlösefähigkeiten oder auch soziale Kompetenzen wie Teamfähigkeit. Gemäß dieser Vorstellung entwickelte Weinert aus den sechs möglichen definitorischen Facetten von Kompetenz, die folgende – mittlerweile viel zitierte – Kompetenzdefinition (Weinert, 2001a, S. 27f.). Kompetenzen sind

„die bei Individuen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten, bestimmte Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“.

In seiner Definition führt Weinert die definitorischen Ansätze fachlicher und überfachlicher Kompetenzen zusammen, da beide für ein erfolgreiches Handeln verantwortlich sind. Die Verknüpfung beider Ansätze bezeichnet er als Handlungskompetenzen, die als potentielle „Erträge des schulischen Unterrichts“ erwartet werden können (Weinert, 2001a, S. 28). Dieses weite Kompetenzverständnis findet sich auch in der Klieme-Expertise durch folgende sieben Facetten skizziert: Fähigkeit, Wissen, Verstehen, Können, Handeln, Erfahrung und Motivation (Klieme et al., 2007, S. 73). Bezieht man sich konkret auf Handlungskompetenz wird in diesem Zusammenhang umgangssprachlich vom Wissen, Können und Wollen gesprochen (Klieme & Hartig, 2007; vgl. auch Storz, 2005). Viel häufiger tritt in der Literatur das Begriffspaar „Wissen und Können“ in den Vordergrund (Klieme & Hartig, 2007; Klieme et al., 2007). In diesem Sinne wird – zumindest in der rein wörtlichen Nennung – auf die motivationalen Aspekte von Handlungskompetenz verzichtet.

Aufgrund des sehr weiten Kompetenzverständnisses von Weinert (2001a) hat man sich in Forschungsarbeiten zur Entwicklung von Kompetenzmodellen auf ein engeres Kompetenzverständnis geeinigt. Ausgehend vom Kompetenzverständnis Weinerts definieren Klieme und Leutner (2006, S. 879)3 Kompetenzen als „kontextspezifische kognitive Leistungsdispositionen, die sich funktional auf Situationen und Anforderungen in bestimmten Domänen beziehen“. Diese testtheoretisch zu begründende Engführung des Kompetenzbegriffs klammert motivationale, volitionale und soziale Aspekte des Weinertschen Kompetenzverständnisses aus (vgl. Weinert, 2001a; Klieme et al., 2007; Hartig, 2008). Auf diese Weise distanzieren sich Klieme und Leutner (2006) vom Verständnis der Handlungskompetenz, welches sich maßgeblich durch Facetten wie Einstellungen und Haltungen determiniert. Gleichzeitig verweisen Klieme und Hartig darauf (2007), dass Weinert selbst eine getrennte Erfassung von kognitiven und motivational-volitionalen Facetten der Kompetenz empfiehlt. Diese Problematik stellt eine Kernfrage dar, die sich immer wieder in der Kompetenzdiskussion wiederfinden lässt. Obwohl vielerorts der Handlungskompetenz eine große Bedeutung beigemessen wird und motivational-volitionale Facetten als wichtiger Baustein zum erfolgreichen Handeln in komplexen Situationen betrachtet werden, stößt die Bildungsforschung in der Erfassung der selbigen scheinbar an ihre Grenzen. Eine Beschränkung auf kognitive Facetten von Kompetenz ist in der Testpraxis oftmals die Folge (u. a. Klieme & Leutner, 2006; Knigge, 2010).

In Folge der eingangs beschriebenen Wurzeln des Kompetenzbegriffs lassen sich einige Charakteristiken skizzieren. Im Mittelpunkt steht dabei häufig die Unterscheidung von Kompetenzen gegenüber Intelligenz (McClelland, 1973). Während Kompetenzen kontextgebunden sind und zur Bewältigung von spezifischen Situationen und Anforderungen dienen, ist Intelligenz generalisierbar und kontextunabhängig (Hartig & Klieme, 2006, S. 129ff). Zwei weitere bedeutsame Unterschiede liegen zum einen in der Erlernbarkeit von Kompetenzen und zum anderen in der Binnenstruktur der Kompetenzen, die sich maßgeblich aus den jeweiligen Situationen und Anforderungen ergibt. Intelligenz, im Gegensatz dazu, ist angeboren und damit zeitlich (relativ) stabil. Ihre Binnenstruktur determiniert sich aus grundlegenden kognitiven Prozessen (ebd.).

Zusammenfassend umschreiben Klieme und Hartig (2007, S. 14) den Aspektreichtum der Kompetenz wie folgt:

„Kompetenz zeigt sich im je situativen Bewältigen von Anforderungen (in der „Performanz“ des Handelns), wird aber als Disposition interpretiert. Dementsprechend ist Kompetenz kontextualisiert und spezifisch, aber auf Transfer und Verallgemeinerung angelegt. Kompetenz bezieht sich sowohl auf Handlungsvollzüge als auch auf die ihnen zugrunde liegenden mentalen Prozesse und Kapazitäten, zu denen Kognition, Motivation und Volition bzw. Wissen und Können gehören“.

2.2 Arten von Kompetenzmodellen

„Die zentrale Aufgabe der Forschung besteht in der Entwicklung von Modellen der Struktur, Stufung und Entwicklung von Kompetenzen, die kognitionspsychologisch fundiert sind und mit avancierten psychometrischen Techniken verbunden werden können“ (Klieme & Leutner, 2006, S. 880). Diese weitreichende Forderung stellt aktuell eine der wichtigsten Aufgaben für die Fachdidaktiken dar. Kompetenzmodelle gelten als bedeutsame Ausgangspunkte, weil auf ihrer Basis weiterführende Aufgaben der Kompetenz- und Standardorientierung gelöst werden können. „Die Rolle von Kompetenzmodellen besteht darin, zwischen abstrakten Bildungszielen und konkreten Aufgabensammlungen zu vermitteln“ (Klieme et al., 2007, S. 71). Sie dienen als Grundlage sowohl für die Gestaltung von Testverfahren im Rahmen der Kompetenzdiagnostik als auch für die Entwicklung von in Kerncurricula verankerten Bildungsstandards. Darüber hinaus sind Kompetenzmodelle erforderlich, um auf dieser Basis kompetenzorientierte Lernaufgaben konstruieren zu können, welche einen kumulativen Kompetenzerwerb gewährleisten (Klieme et al., 2007; Klieme & Leutner, 2006; Schecker & Parchmann, 2006).

Im folgenden Kapitel sollen Kompetenzmodelle daher aus verschiedenen Blickrichtungen näher betrachtet werden. Im Sinne einer Einführung sollen unterschiedliche Arten von Kompetenzmodellen vorgestellt und mit Beispielen aus anderen Fachdidaktiken belegt werden. Diese Systematisierung soll helfen, die später vorgestellten Kompetenzmodelle für den Sportunterricht besser einordnen zu können (vgl. Kap. 2.3.3).

In der Expertise zur „Entwicklung nationaler Bildungsstandards“ (Klieme et al., 2007) wird zunächst unterschieden zwischen Modellen, welche die „Komponentenstruktur“ darstellen, und jenen Modellen, die „Kompetenzstufen“ berücksichtigen. Sie differenzieren somit zwischen Kompetenzstrukturmodellen und Kompetenzniveaumodellen. Konkretere Ausführungen zu dieser Unterteilung finden sich bei Hartig und Klieme (2006).

Kompetenzstrukturmodelle bilden die Dimensionalität von Kompetenzen ab. Im Mittelpunkt steht dabei die Beschreibung jener Voraussetzungen, die zur Bewältigung von bestimmten Aufgaben und Problemen in einem spezifischen Anforderungsbereich erforderlich sind (Schecker & Parchmann, 2006). Ausgangspunkt für Strukturmodelle sind häufig theoretische Annahmen zu logisch abgrenzbaren Bereichen. Am Beispiel des theoretischen Modells der DESI-Studie wird erkennbar, wie die Sprachkompetenz in einem Kompetenzstrukturmodell begründet ist (vgl. Abb. 1). Die finale Modellstruktur mit entsprechenden Dimensionen ergibt sich in der Regel aus faktorenanalytischen Auswertungen.

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Abb. 1. Theoretisches Strukturmodell der Sprachkompetenz (Jude & Klieme, 2007, S. 19).

Kompetenzniveaumodelle (auch Kompetenzstufenmodelle4 oder Kompetenzentwicklungsmodelle) konkretisieren spezifische Kompetenzen (oder Teilbereiche dieser Kompetenzen) anhand unterschiedlicher Ausprägungen. Mit anderen Worten: welche Anforderungen kann ein Schüler mit niedriger Kompetenz bewältigen, welche Anforderungen bei hoher Kompetenz (Hartig & Klieme, 2006). Aussagen darüber können mit Hilfe quantitativer Daten in Folge einer Kompetenzmessung getroffen werden. Obgleich die Ausprägung einer Kompetenz im Grunde als Kontinuum zu verstehen ist, wird aus praktischen Gründen eine Unterteilung in Abschnitte (Niveaus, Stufen) vorgenommen. Die Festlegung solcher Niveaustufen findet auf empirischem Weg mit Hilfe von psychometrischen Modellen auf Basis der Item-Response-Theorie statt (z. B. dem Rasch-Modell) (Knigge, 2010; Rost, 2004).

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Abb. 2. Kategorien von Kompetenzmodellen nach Schecker und Parchmann (2006, S. 47).

Schecker und Parchmann (2006) führen in Erweiterung der Unterteilung von Hartig und Klieme (2006) die Begriffe normative Modelle und deskriptive Modelle ein (vgl. Abb. 2). Normative Modelle leiten sich von den Bildungszielen eines Faches ab und sind überdies fundiert über Konzepte der Lernpsychologie. Im Gegensatz dazu beruhen deskriptive Modelle auf den Ergebnissen empirischer Forschung. Schecker und Parchmann (2006) verweisen, bezugnehmend auf Helmke und Hosenfeld (2004), auf die vorliegenden Defizite in der Entwicklung deskriptiver Kompetenzmodelle. Im Rahmen des DFG-Schwerpunktprogramms zur Kompetenzmodellierung sind in diesem Zuge einige Modelle entstanden. In einigen Fachdidaktiken (so auch in der Sportdidaktik) ist die Erstellung von empirisch fundierten Modellen nach wie vor mit Schwierigkeiten verbunden (Balz, 2011; Gogoll & Kurz, 2013). Die Entwicklung solcher Modelle gestaltet sich sehr aufwendig bezüglich des Prozesses der Aufgabenkonstruktion und der aufwendigen Auswertung (vgl. Knigge, 2010).

In der empirischen Bildungsforschung hat sich darüber hinaus ein hybrider Modelltyp etabliert, in welchem die drei Aspekte Inhalte, Anforderungsbereiche und (Teil-)Kompetenzen in Verbindung gesetzt werden (Bernholt, Parchmann & Commons, 2009) (vgl. Abb. 3). Die Inhalte sollten sich auf die curricularen Vorgaben beziehen. Die naturwissenschaftlichen Didaktiken lehnen sich bei den Kompetenzmodellen diesbezüglich häufig an den sogenannten Basiskonzepten der nationalen Bildungsstandards an (ebd.). Die Anforderungsbereiche spiegeln die Schwierigkeiten von Aufgaben wider und die Ausprägung der zur Lösung notwendigen Fähigkeiten. „Je anspruchsvoller die Anforderungsmerkmale der Aufgabe, desto höher die notwendige Kompetenzausprägung auf Seiten der Schüler/-innen, um die Aufgabe zu bewältigen“ (ebd., S. 222). Teilkompetenzen umfassen im Sinne eines „Tätigkeitsprofils“ jene Fähigkeiten und Fertigkeiten, die zur Lösung einer Aufgabe notwendig sind. Am Beispiel des im Rahmen der TIMSS-Studie entworfenen Modells werden die jeweiligen Dimensionen naturwissenschaftlicher Kompetenzen erkennbar (vgl. Abb. 4).

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Abb. 3. Allgemeine Kompetenzdimensionen (Bernholt, Parchmann & Commons, 2009, S. 222).

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Abb. 4. Kompetenzdimensionen in TIMSS (Bernholt, Parchmann & Commons, 2009, S. 225).

In Folge der vielfältigen Ansätze sind in den naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken einige Modellentwürfe entstanden, die sich zwar in vielen Aspekten ähneln, aber letztlich nicht kompatibel sind. Bernholt, Parchmann und Commons (2009) schlagen für die Entwicklung von Kompetenzstufen in diesem Zuge die Nutzung des „Model of Hierarchical Complexity“ (MHC) (u. a. Commons et al., 1998) vor. Bernholt, Parchmann & Commons (2009) haben das Model of Hierarchical Complexity für den Inhaltsbereich Chemie (MHC-C) weiterentwickelt und im Rahmen der Entwicklung von Testaufgaben empirisch überprüft (vgl. Abb. 5).

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Abb. 5. Modell der hierarchischen Komplexität mit Beispielen der Chemie (Bernholt et al., 2009, S. 231).

Es handelt sich dabei um ein kognitiv ausgerichtetes und wissensbasiertes Modell, in welchem davon ausgegangen wird, dass „mit der Handhabung einer steigenden Anzahl von Inhaltselementen auch die Schwierigkeit der Verarbeitung ansteigt“ (Bernholt, Parchmann & Commons, 2009, S. 229). Im Sinne eines kumulativen Kompetenzaufbaus leiten sich die Stufen des Modells u. a. von Prinzipien der Stufentheorie von Piaget (1966) ab. Folglich baut jede Stufe auf der darunterliegenden Stufe auf und entsteht aus der Verknüpfung und Koordination von vorhandenen Elementen.

Neben der Kompetenzentwicklung in den naturwissenschaftlichen und sprachlichen Fachdidaktiken können bisweilen (wenn auch nur vereinzelt) die Didaktiken der „weichen“ Fächer auf Kompetenzmodelle zurückgreifen. Nahe an der Diskussion der empirischen Bildungsforschung erscheint das Modell „Musik wahrnehmen und kontextualisieren“ aus der Musikdidaktik (Knigge, 2010; Niessen et al., 2008) (vgl. Abb. 6). Das theoretische Kompetenzmodell weist sowohl verschiedene Teilkompetenzen als auch unterschiedliche Anforderungsniveaus aus.

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Abb. 6. Theoretisches Kompetenzmodell „Musik wahrnehmen und kontextualisieren“ (Knigge, 2010, S. 46).

Mit den wenigen skizzierten Modellentwürfen aus den sprachlichen, naturwissenschaftlichen und musischen Fächern wird deutlich erkennbar, dass die Arbeiten an Kompetenzmodellen in einigen Fachdidaktiken zu diesem Zeitpunkt bereits weit vorangeschritten sind (vgl. Fleischer, Koeppen, Kenk, Klieme & Leutner, 2013). Im folgenden Kapitel wird der aktuelle Theorie- und Forschungsstand zu Kompetenzmodellen für den Sportunterricht seit Erscheinen der Klieme-Expertise diskutiert.

2.3 Kompetenzen und Kompetenzmodelle im Sportunterricht

„Die aus Standardisierungssicht »weichen«, ehemals KU-MU-TU-Fächer genannten ästhetischexpansiven Handlungsfelder Kunst – Musik – Turnen (Sport) lassen sich nicht nur schwerer in ein generalisierendes Evaluationsprogramm integrieren, sondern ihrem Curriculum fehlt auch der vordergründige, allgemein bestimmbare alltagsweltliche Nützlichkeitsnachweis“ (Franke, 2008, S. 213)

Mit dieser Aussage Frankes (2008) deutet sich bereits an, dass die Einführung von Kompetenz- und Standardorientierung mit Blick auf die „weichen“ Fächer durchaus Schwierigkeiten birgt. Gerade der fehlende „Nützlichkeitsnachweis“ des Faches und der ausbleibende Auftrag der KMK zur Entwicklung von nationalen Bildungsstandards im Sport, scheinen die Forschungstendenzen merklich zu erschweren.

Als Ausgangspunkt für die folgende Diskussion über Kompetenzen im Sportunterricht soll zunächst auf einer allgemeinen Ebene geklärt werden, welche Bildungsziele dem Fach Sport zugrunde liegen (Kap. 2.3.1). Anschließend sollen darauf aufbauend Chancen und Risiken einer Kompetenzorientierung und der damit verbundenen Standardisierung von Bildungsprozessen erörtert werden (Kap. 2.3.2). Kernelement zur Bearbeitung der vorliegenden Forschungsfragen stellt die Diskussion vorhandener Kompetenzmodelle für den Sportunterricht dar (Kap. 2.3.3).

2.3.1 Handlungsfähigkeit im Sport als Bildungsziel

Seit dem Bestehen des Faches Sport wird ein praktisches Bildungsverständnis für das Fach ausgewiesen (Zirfas, 2011; Gogoll & Kurz, 2013). Ausgangspunkt für diese Beschreibung ist die Orientierung an dem Begriff der Handlungsfähigkeit. Diese wird bezugnehmend auf Kurz (2004) von Gogoll und Kurz (2013, S. 84) als „pragmatische Schwester des Bildungsbegriffs“ betitelt.

Die Grundidee einer handlungsbezogenen Bildung erwachte ausgehend von der allgemeinen Didaktik, die von Sportpädagogen auf unterschiedliche Weise im Kontext des Begriffs der Handlungsfähigkeit erarbeitet wurde (Ehni, 1977; Kurz, 1990). Über die Zeit wurde das Konzept der Handlungsfähigkeit bis zuletzt ergänzt und weiterentwickelt (u. a. Kurz, 2000; Thiele & Schierz, 2011; Schierz & Thiele, 2013). Den verschiedenen Überlegungen zur Ausdeutung von Handlungsfähigkeit ist gemeinsam, „dass sich die Bildungsresultate, die sich mit dem Begriff der Handlungsfähigkeit verknüpfen, im praktischen Handeln der Menschen zeigen und erweisen müssen“ (Gogoll & Kurz, 2013, S. 84). Auf diese Weise wird der alltägliche und lebensweltliche Bezug von Bildung im Sinne der Handlungsfähigkeit deutlich. Ganz allgemein wird gemäß dem sportwissenschaftlichen Lexikon Handlungsfähigkeit als „die Fähigkeit eines Menschen verstanden, das eigene Leben selbstbestimmt, reflektiert und sinngeleitet zu gestalten“ (Kurz, 2003, S. 247).

Im Zuge der Zeit mündeten diese grundlegenden Vorstellungen in die fachdidaktische Position eines Erziehenden Sportunterrichts (Prohl, 2010), welcher zwischen Sportartenkonzept (u. a. Söll, 2000) und Körpererfahrungskonzept (u. a. Funke-Wieneke, 2001) eine Mittellage einnimmt und folglich als so genanntes „Intermediäres Konzept“ (Balz, 2009, S. 29) bezeichnet wird. Der Erziehende Sportunterricht ist mittlerweile als Konsens-Position anerkannt (u. a. Aschebrock, 2013; Kuhlmann, 2007) und spiegelt sich deutlich erkennbar in der neueren deutschen Lehrplanentwicklung seit der Jahrtausendwende wider (Prohl & Krick, 2006). Im Erziehenden Sportunterricht wird der Bildungsauftrag des Faches Sport als sogenannter Doppelauftrag (Erziehung zum Sport und Erziehung durch Sport) formuliert. In erster Linie soll dabei die sportliche Handlungsfähigkeit den pädagogischen Kern des Sportunterrichts bilden. Dabei geht es darum, die Schüler zu befähigen, die Bedeutung und den Sinn der Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur für ihr eigenes Leben einschätzen zu können und im sportlichen Setting dementsprechend mündig zu handeln. Dazu soll Sportunterricht unter sechs pädagogischen Perspektiven gestaltet werden, um Schülern verschiedene Möglichkeiten aufzuzeigen, wie sportliche Aktivität mit Sinn belegt werden kann (z. B. Miteinander, Gesundheit). Gleichzeitig erschließt sich mit jeder Perspektive, inwiefern sportliche Aktivität auch für die Persönlichkeitsentwicklung pädagogisch wertvoll sein kann. Mit dem Erziehenden Sportunterricht wird somit auch die Hoffnung verbunden, dass die Schüler die im sport- und bewegungskulturellen Setting erworbenen Erfahrungen und Einsichten auch auf außersportliche Felder transferieren können (Kurz, 2000).

Das Bildungsziel eines Erziehenden Sportunterrichts ist als sport- und bewegungsbezogene Handlungsfähigkeit aufzufassen (Gogoll, 2013). Diese hat im Anschluss an die öffentliche Bildungsdiskussion zwei Formen der Erweiterungen erfahren, denen Schulfächer folgen sollten, wenn sie „sich schulpädagogisch vollumfänglich legitimieren wollen“ (Gogoll, 2013, S. 11). Schierz und Thiele (2013) verstehen diese zwei Sinnbestimmungen von Schule als die Vermittlung einer zum einen basalen Handlungsfähigkeit und einer zum anderen reflexiven Handlungsfähigkeit. Eine basale Handlungsfähigkeit soll erreicht werden, indem Sozialisationsergebnisse durch bewegungs- und sportbezogene Erziehung kompensiert und korrigiert werden sollen. Dieser sozialisationstheoretische Ansatz geht davon aus, dass Schüler über ihre Bewegungsumwelt (durch Eltern, Geschwister und Freunde) unterschiedlich ausgeprägte Qualifikationen erwerben. Der Sportunterricht hat die Aufgabe ein Mindestmaß an körperlich-motorischen Normen zu erreichen. So gesehen „leistet das Schulfach Sport mit der Sicherung motorischer Basisqualifikationen doch substanzielle Erziehung im Sinne der Überformung und Korrektur für defizitär befundene Sozialisationsergebnisse“ (Schierz & Thiele, 2013, S. 136). Es beteiligt sich jedoch lediglich an der „Vermittlung des kulturell Selbstverständlichen“ (ebd.). Damit liegt der Verdacht nahe, dass das Fach Sport nicht über die „Erziehung als bloßer Korrektur von Sozialisation“ hinauskommt und „bei der Erzeugung eines sportbezogenen Grundbestands an Könnensformen stehen“ bleibt (ebd., S. 136).

Im Rahmen der reflexiven Handlungsfähigkeit geht es um die Überschreitung bestehender Welt- und Selbstsichten. Das Plädoyer für eine reflexive Handlungsfähigkeit ist kein neuer Ruf. Schierz und Thiele (2013) erinnern an die bereits in den 1970er Jahren angestoßene Debatte zur Sinnbestimmung im Schulsport. Die neuzeitliche Sinnbestimmung begründet sich

„in Überlegungen zu vernünftiger Selbstbestimmung urteilsfähiger Bürgerinnen und Bürger in einer funktional differenzierten (Welt-)Gesellschaft, deren Zusammenhänge sich nicht von selbst verstehen, sondern einer rekursiven Objektivierung von Selbst- und Weltsichten in organisierten Lernprozessen bedürfen“ (Schierz & Thiele, 2013, S. 138).