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Band 225

 

Der neue Imperator

 

Susan Schwartz

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

1. Arkon I, Kristallpalast

2. MAGELLAN

3. Wie man sich als Imperator bewirbt

4. Glück oder Schock

5. Vorbereitungen

6. Das Ding

7. Ein stolzer Name

8. Bankett mit Folgen

9. Eine neue Allianz?

10. Das Spiel ist eröffnet

11. Beschwichtigungen

12. Zwischenfall

13. Test

14. Eine Unterredung mit Folgen

15. Meister der Intrige

16. Karaketta!

17. Die Folgen

18. Das nächste Kapitel

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

Gut fünfzig Jahre nachdem Perry Rhodan auf Außerirdische getroffen und die Menschheit zu den Sternen aufgebrochen ist, haben sich terranische Siedlungen auf verschiedenen Welten entwickelt. Die Solare Union bildet die Basis eines friedlich wachsenden Sternenreichs.

Ende 2089 wird Rhodan ins Imperium der Arkoniden entsandt. Er gerät mitten in einen Konflikt, bei dem die bisherige Herrscherin gestürzt wird. Mascudar da Gonozal, der bereits vor 10.000 Jahren auf Arkons Thron saß, will die Macht ergreifen und setzt hierfür auf die Transformkanone, eine Waffe, die seine Kriegsflotte unüberwindlich machen könnte.

Nur durch Verhandlungen können die Menschen der Vernichtung entgehen. Allerdings muss Perry Rhodan dem Arkoniden das Großraumschiff MAGELLAN übergeben. Mascudar reist nun mit seiner Streitmacht und seinem Sohn Atlan ins Arkonsystem, wo er endgültig den Thron besteigen will – als DER NEUE IMPERATOR ...

1.

Arkon I, Kristallpalast

 

Der Lakai, wie Gemlin da Hozarius seinen persönlichen Assistenten zu nennen pflegte, stürmte mit wehendem Haar in den Arbeitsraum.

»Zhadum Thalan!«, rief er, stammelte, stotterte, schluchzte beinahe. »Sie werden es nicht glauben, es ist unfassbar, und doch scheint es wahr ...«

Der Haushofmeister blickte von dem in einen goldenen Rahmen eingefassten Hologramm auf, das für andere uneinsehbar und leicht schräg über dem Multifunktionstisch schwebte. »Fassen Sie sich, Borgan da Abal!«, sagte da Hozarius streng, jedoch ohne eine Miene zu verziehen. Das war nicht erforderlich. Er lachte nie, und er war niemals freundlich. Er wusste: Trotz seiner Pausbacken wirkte er nicht wie jemand, mit dem man gern feierte, und erst recht nicht wie jemand, den man zu seinem Freund erkor. Trotz seines schütteren, weißen Haars war er niemals Gegenstand schlüpfriger Witze, nicht mal im allerverschwiegensten Winkel des Kristallpalasts.

Seine voluminöse Stimme, die durch den Resonanzkörper des mächtigen Bauchs verstärkt wurde, verfehlte ihre Wirkung nicht.

Normalerweise nicht.

Doch der Lakai fiel diesmal nicht sofort in sich zusammen und bat unterwürfig um Verzeihung für den Verstoß gegen das Protokoll. Eigentlich durfte niemand wagen, derart hereinzupoltern und Gemlin bei seiner überaus anstrengenden und bedeutenden Arbeit zu unterbrechen. Ein Hinauswurf in Schande war das Mildeste, was derjenige erwarten konnte.

Gemlin da Hozarius war jedoch nicht dumm. Wenn jemand von seinen Untergebenen, die aufs Allerhärteste gedrillt worden waren, derart alle Vorschriften über den Haufen warf, musste etwas eingetreten sein, das ... Wie hatte da Abal es doch gleich bezeichnet? Unfassbar? ... ja, unfassbar war.

Der Lakai hatte also bereits in diesem Moment die volle Aufmerksamkeit des Haushofmeisters, des Zhadum Thalan, doch ließ sich Gemlin das nicht anmerken.

»Soeben kam eine Meldung herein!«, schnatterte Borgan da Abal weiter.

Er war an sich ein recht gewiefter Bursche, knapp dreißig Jahre alt und sehr ehrgeizig. Gab sich nie eine Blöße, die ihm einen Verweis eingefangen hätte, und wenn er intrigierte, dann tatsächlich so, dass der Haushofmeister es nicht mitbekam. Zumindest nicht sofort und sofern sich da Hozarius nicht darum kümmerte. Sobald Gemlin jedoch erst mal anfing, Fäden zu ziehen, kam die Wahrheit schnell ans Licht. Aber noch ließ er den jungen Mann vielfach sogar dann gewähren. Nur so konnte Gemlin herausfinden, über welche Talente da Abal verfügte und wie lange es wohl dauerte, bis er versuchte, sich Gemlins Position anzueignen. Denn der Haushofmeister hoffte, in seinem Lakaien einen geeigneten Nachfolger zu finden, und ihn – sofern er die erforderlichen Voraussetzungen erfüllte – für eben diese Aufgabe erziehen zu können. Gemlin brauchte jemanden, auf den er sich verlassen konnte und der irgendwann in seinem Sinne weitermachen würde. Und auf niemanden konnte man sich besser verlassen als auf einen erkorenen Feind. Der Feind verriet einen nie.

»Es ist unglaublich!«, wiederholte da Abal.

»Sie strapazieren meine Geduld mit dieser Lyrik«, mahnte Gemlin. »Machen Sie so weiter, und Sie werden demnächst als niederer Ausrufer Dienst tun.«

Da Abal wedelte mit der Hand. »Ich weiß, ich weiß, aber ... sehen Sie selbst. Ich konnte mich nicht formell anmelden, das müssen Sie ohne Zeitverzögerung erfahren, und ich gehe jede Wette ein, dass Sie damit nicht gerechnet haben!«

Borgan da Abal war genau wie Gemlin da Hozarius üblicherweise völlig rational und ohne jegliche Phantasie. Er dramatisierte nie, war nie theatralisch. Wenn Gemlin es nicht besser gewusst hätte, hätte Borgan sein Enkel sein können. Genau aus dem Grund hatten die beiden überhaupt zusammengefunden.

»Als Hofnarr würden Sie sich auch gut machen«, sagte der Haushofmeister kühl. »Wollen wir darum wetten?«

»Ha, ich gewinne!« Der Lakai übergab Gemlin einen Datenkristall, den der Haushofmeister in eine hierfür vorgesehene Lesevorrichtung seines Arbeitstischs steckte. Ein Hologramm baute sich auf, anfangs verwackelt, dann wurde das dreidimensionale Bild deutlicher. »Es ist noch kein offizieller Funkruf eingetroffen«, fuhr da Abal aufgeregt fort. »Jemand ... hat das übermittelt.«

»Haben Sie den Absender eruiert?«

»Einer der dort Anwesenden, der es allerdings verstanden hat, seine Identifikation zu verschleiern. Er muss das Holovideo von einem neutralen Komgerät des Raumschiffs aus geschickt haben. Aber ich bleibe dran.«

»Hm. Nein. Das ist nicht wichtig.«

»Nicht?«, wunderte sich da Abal.

»Nein. Ich weiß, wer das geschickt hat.«

»Oh ...«

Der Haushofmeister starrte auf die Aufnahme. Es war kein Ton zu hören, und die Personen bewegten sich fast ruckartig. Die Bildsequenz währte nur wenige Millitontas, dann war sie beendet.

»D... das ist er doch, oder?«, stotterte der Lakai. »Er ist aus Andromeda zurück? Warum? Seit wann?«

Gemlin rieb sich das feiste Doppelkinn. »Er ist im Anflug hierher?«, fragte er, ohne auf da Abal einzugehen. Dessen erste Frage beantwortete sich selbst, die zweite war offensichtlich, die dritte irrelevant.

»Ja. Ich habe sofort Späher von den Patrouillen losgeschickt, die in der Nähe der festgestellten Koordinaten sind. Wie ...«, Borgan da Abal räusperte sich. »Wie es aussieht, ist eine ganze Flotte auf dem Weg hierher ...«

Zweihundert Raumschiffe, um genau zu sein, eine gewaltige Streitmacht. Gemlin da Hozarius wusste, dass bei Aarakh Ranton etwas im Gange gewesen war, hätte aber niemals vermutet, dass die Sache solche Ausmaße annähme. Jemand hatte sich dort breitgemacht und sich eine Machtbasis geschaffen. Jemand hatte den imperialen Hof hierbei nicht nur missachtet, sondern offenbar auch aktiv getäuscht.

Und damit ihn.

Es geschah selten, dass Gemlin fassungslos darüber war, dass er nichts geahnt hatte. Sämtliche Celistas mussten ein Doppelspiel getrieben haben. Und seit einiger Zeit hatte es gar keine Nachrichten mehr gegeben, nicht mal eine offizielle Anfrage an Aarakh Ranton hatte Erfolg gehabt. Man hatte da Hozarius hingehalten, in Sicherheit gewiegt, hatte seine derzeit prekäre Lage ausgenutzt, dass er damit beschäftigt war, das Imperium am Auseinanderbrechen zu hindern – um den Auftritt im Arkonsystem dann umso pompöser zu gestalten.

»Also, soll ich mir passende Kleidung als Hofnarr machen lassen?«, fragte Borgan da Abal herausfordernd.

Gemlin warf ihm einen so finsteren Blick zu, dass der Assistent nun doch in sich zusammenschrumpfte. »Ich neige gerade dazu, Sie zum Aufseher einer Gefängniszelle zu machen. Innerhalb davon.«

Der Haushofmeister stand auf, verschränkte die Arme auf dem Rücken und wanderte zu der großen, bodentiefen Fensterfront. Sein Arbeitsbereich im Kristallpalast befand sich so weit oben, dass es nur wenige Kelchbauten in der Nähe gab, die gleichhoch oder höher waren als seine Büroetage.

Seine Stadt breitete sich dort unten aus, und er war stolz auf sie. Prachtbauten, Prachtanlagen, Prachtstraßen. Der Kristallpalast ragte in leuchtendem Weiß darüber empor, mit perfekt gemusterter Außenfassade voller Erker, Ausbuchtungen, Vorsprünge, Plattformen und herauskragender Gärten.

Trotzdem war der Trichterbau längst nicht fertig, noch immer gab es unvollendete Baustellen am Gebäude, die mit Holos jedoch geschickt kaschiert wurden, und noch immer waren nicht alle Geschossebenen komplett eingerichtet. Zumindest das Wichtigste, der Prunk- und Audienzsaal, die Gemächer der Herrscherfamilie sowie einige weitere bedeutsame Räumlichkeiten konnten sich vor Gästen sehen lassen. Die imperiale Verwaltung und Logistik hingegen musste sich teilweise noch mit Provisorien begnügen. Aber dorthin kamen geladene Besucher und um Audienz Ersuchende, die aus dem gesamten Reich anreisten, ohnehin nicht.

Die Beziehungen Arkons zu den Kolonien und den Baronien standen gegenwärtig leider nicht zum Besten. Viele lokale Herrscher revoltierten. Manche von ihnen lud Gemlin in den Kristallpalast ein, um sie davon zu überzeugen, dass es im Schutz des Tai Ark'Tussan, des arkonidischen Sternenreichs, sehr viel mehr Sicherheit und Wohlstand gab als außerhalb davon. Was wollten die kleinen Systeme denn erreichen, sobald sie auf sich gestellt wären? Zusammenarbeit war erforderlich, um das Große Imperium wieder zu wahrer Größe zu führen. Dafür mussten eben auch ab und zu Opfer gebracht werden – an denen die Systemherrscher nicht unerheblich selbst profitierten, weil sie an der Plünderung der kolonialen Ressourcen beteiligt wurden. Die Mehandor stellten sich in diesen Dingen recht geschickt an, und Gemlin hatte die Beschwerden mancher Flottenbefehlshaber, die einen Lakan oder einen Rhagarn kommandierten, zurückgewiesen. Sie befanden sich nicht im Bruderkrieg, in dem ein hartes militärisches Durchgreifen erforderlich gewesen wäre.

Noch nicht. In den siebzig Jahren, seit Gemlin nun schon unauffällig die Fäden im Kristallpalast zog, hatte er noch keine solche Krise erlebt wie derzeit.

Immerhin: Von außen war die marode Lage des Imperiums nicht zu erkennen. Das war das Wichtigste. Für Arkons Ruhm und Ehre – das allein zählte.

»Haben Sie mit irgendjemandem darüber gesprochen? Wer weiß von dieser Nachricht?«, forschte Gemlin nach.

»Niemand, Herr. Sie war verschlüsselt, also bin ich sofort informiert worden, da kein Niederrangiger solche Botschaften lesen darf. Es war nicht schwierig, den Code zu enträtseln, darauf hatte es derjenige gar nicht angelegt. Er wollte nur, dass die Nachricht unverzüglich an den richtigen Adressaten gelangt.«

»Das sehe ich auch so.« Gemlin starrte weiterhin aus dem Fenster. »Borgan, treffen Sie alle Vorbereitungen für die Dheraam dama Zhdopanthi.«

Der junge Assistent verlor seine gesunde Hautfarbe. Er wurde fahlbleich. »F... für die Inthronisation?«, stammelte er. »Sie glauben, dass er ... dass Mascaren da Gonozal ...«

»Er oder ein anderer.«

»Ein and...«

»Wir werden es sehr bald erfahren«, unterbrach Gemlin da Hozarius. »Und wir werden uns nicht damit blamieren, dass wir unvorbereitet sind. Informieren Sie Kristallmarschall Erthau da Durian und Zeremonienmeister Truk Drautherb. Sie sollen sich bei mir für eine Besprechung einfinden, sobald diese Flotte eintrifft, und sich vorab schon mal Gedanken über den Ablauf der Inthronisationszeremonien machen. Die beiden werden – in aller Diskretion – die Logistik dafür planen: Personal, Festivitäten, was eben so anfällt. Sie, Borgan, waren bei der Inthronisation von Emthon der Fünften nicht dabei – natürlich nicht, vor zweiundfünfzig Jahren waren Sie noch nicht mal geboren. Aber stöbern Sie in meinem Archiv, denn ich war damals beteiligt. Dort finden Sie alles Benötigte. Der Zugang ist mit Ihrer Freigabestufe möglich.«

Etwas schien in den Augen des jungen Manns aufzuleuchten. »Ich werde mich umgehend daranmachen – und ich werde Arda da Reloni Bescheid geben, sich als Assistentin in meinem Büro zu Ihrer Verfügung zu halten.«

 

Gemlin da Hozarius winkte den Lakaien hinaus, während er zu seinem Tisch zurückkehrte. Dann aktivierte er erneut die Aufnahme und ging auf Standbild.

»Er hat die Aufnahme selbst geschickt«, murmelte er. Der Haushofmeister war sich immer noch sein liebster, weil kompetentester Gesprächspartner. Da er der dienstälteste Hofbeamte war, hatte niemand so viel Erfahrung wie er. »Als Vorwarnung. Der Kristallpalast sollte sie bekommen. Ich sollte sie bekommen.« Mascaren da Gonozal kannte Gemlin noch aus den Tagen, als die Kurtisane Theta sich zur Imperatrice Emthon V. aufgeschwungen hatte.

Es war eine Ankündigung und Drohung zugleich. Dem Kristallpalast sollte deutlich gemacht werden, dass es eine gewaltige Änderung geben würde. Und das ohne Verhandlung oder Diskussion.

Aber wer war der andere?

Trotz der schlechten Qualität der Aufnahme, die zweifelsohne beabsichtigt war, wirkte die Gestalt des zweiten Arkoniden im Holo stattlich. Er trug ungewöhnlicherweise einen üppigen Vollbart, weshalb es nicht leicht war, sein Gesicht für eine eindeutige Identifizierung herauszufiltern.

Etwas regte sich in Gemlin, die Erinnerung an eine ... Geschichtsstunde? An eine Erzählung? Mascaren musste mit diesem Mann zu tun haben, weshalb sonst war er mit ihm zusammen unterwegs nach Arkon? Aber welche Beziehung bestand zwischen ihnen?

Gemlin zog das dreidimensionale Gesicht in ein anderes Arbeitsholo, gab verschiedene Begriffe in die Tischpositronik ein und startete die Suche.

Es dauerte nicht lange, bis er ein Ergebnis erhielt; nur exakt eins, nicht mehrere. Das Resultat ließ keinerlei Raum für alternative Spekulationen zu.

Selbst den abgebrühten Haushofmeister schockierte die Auskunft der Datenbank. Er hatte geglaubt, nach siebzig Jahren Dienst alles zu wissen und durch nichts mehr überrascht werden zu können.

Damit hätte er niemals gerechnet. Nicht in seinen schlimmsten Albträumen, nicht in einem Anfall von Phantasiewahn.

Und er hatte richtig gehandelt, seinen Lakaien mit der Aufgabe zu betrauen, das Inthronisationsverfahren anzuschieben – diskret, aber doch mit ausreichend Vorbereitung, um nicht völlig überrumpelt dazustehen. Keine Frage, einer dieser beiden Hochadligen würde den verwaisten Thron besteigen, und Mascaren würde in jedem Fall auf Gemlins Unterstützung hoffen.

Natürlich wäre es das Beste. Theta war weggeputscht – ob Mascaren wohl eine Antwort auf die Frage nach ihrem Verbleib hatte? –, und angesichts dieser neuen Lage würde sie es nicht mehr schaffen, an die Macht zurückzukehren.

Das Große Imperium war dabei, zu zerbrechen. Die Kolonien verlangten nach Autonomie, die Khasurne – die Geschlechter des mächtigen Hochadels – bekriegten einander zwar bislang lediglich auf dem diplomatischen Parkett, waren aber von einem militärischen Bruderkampf nicht mehr weit entfernt. Die Wirtschaft lag infolge der politischen Unsicherheit im Reich nahezu brach, das Volk war unruhig und trauerte alten Glanzzeiten nach. Unzufriedenheit allüberall, der Zwölferrat, der Berlen-Than, regierte vor sich hin, ohne wirksam dagegenzusteuern. Die Khasurne machten sich die Stimmung zunutze und waren so sehr in ihre eigenen Machtbestrebungen verstrickt, dass sie nicht merkten, wie sehr sie das sensible Gefüge im arkonidischen Imperium noch mehr bedrohten und ins Schwanken brachten. Sie gruben sich den Boden unter den eigenen Füßen weg.

Es wäre also gut, wieder eine starke Hand an der Spitze zu haben, damit die alten Werte abermals an Bedeutung gewännen, um die Stabilität zu sichern. Ob Mascaren oder der andere – beide wären geeignet.

Das Problem dabei war allerdings, dass Gemlin da Hozarius ganz andere Pläne verfolgte.

»Abwarten«, sagte er zu sich. »Erst mal sehen, was genau sie vorhaben. Möglicherweise lässt sich alles miteinander vereinen. Das Einzige, was zählt, ist die Erhaltung des Tai Ark'Tussan. Ihm diene ich, und ihm muss ich Opfer bringen, wenn es erforderlich ist.«

2.

MAGELLAN

 

Mirona Thetin entdeckte ihren Gefährten wie vermutet in der Medostation, in dem gesicherten Raum, wo Theta behandelt wurde. Die Arkonidin lag in einer Kapsel im Heilschlaf. Viel war nicht von der Patientin zu erkennen, weil nur ihr Gesicht unbedeckt war, der Kopf steckte in einer Haube, Sensoren hafteten an ihren Schläfen.

»Was empfindest du, wenn du sie siehst?«, fragte Mirona ohne Einleitung.

Atlan da Gonozal wandte sich ihr zu. »Abscheu«, antwortete er. »Ich bin immer noch fassungslos darüber, was sie getan hat. Dass sie es fertiggebracht hat, so weit zu gehen.«

»Sie war auch nicht zimperlich, als sie an die Macht kam, wenn dein Bericht über sie stimmt.«

»Aber da war sie zumindest nicht für das Geschehnis verantwortlich. Sie hat die Gunst der Stunde genutzt und die Macht ergriffen, nachdem der Regent und sein Widersacher einander gegenseitig mehr oder minder versehentlich umgebracht hatten.« Der Arkonide schüttelte den Kopf. »Ja, sie war skrupellos und machthungrig, wie so viele am imperialen Hof. Aber ...«

Mirona legte den Kopf leicht schief und lächelte. »Sie ist gewiss auch früher schon über Leichen gegangen, nur eben nicht so offensichtlich. Atlan, du weißt selbst, dass der Weg zur Macht aus vielen Hürden besteht.«

»Ich habe das nie getan«, murmelte er.

»Das hat dir den arkonidischen Thron verwehrt«, sagte sie. »Aber nicht den an meiner Seite. Du hast den richtigen Thron gewählt, und Theta bezahlt einen hoffentlich hohen Preis für ihre falsche Wahl. Es gibt doch diese Infinite Todesstrafe bei euch, nicht wahr? Das fände ich angemessen.«

»Conrad war ein Freund«, sagte Atlan leise. Sein Blick glitt zu der Kapsel. »Die Frau, die dort drin liegt, kenne ich nicht«, fuhr er schroff fort. »Sie ist eine gewissenlose Mörderin. Ich habe nichts mit ihr zu tun.« Er nickte Mirona Thetin zu. »Lass uns gehen. Mascudar wird entscheiden, was mit ihr geschehen soll, und es wird zu unserer Beruhigung nichts Gutes sein.«

Wenig später betraten sie die Zentrale des mächtigen Fernraumers, den Atlans Vater Perry Rhodan abgenommen hatte. Eine weitere sehr heikle Situation, die Atlan in Loyalitätskonflikte brachte – noch dazu, weil Mascudar damit auch Thora, eine Angehörige seines eigenen Volkes, hinausgeworfen hatte.

Mirona behielt ihre Gedanken für sich, aber Mascudar hatte so absolut gar nichts an sich, was ihr den Eindruck vermittelte, er sei zweifelsfrei Atlans Vater. Kein Wunder, dass er seinen Sohn seinerzeit als »missraten« erachtet hatte, denn Atlan war das pure – positive – Gegenteil des hochherrschaftlichen, autokratischen Mascudar. Theta hätte ihrem Wesen nach eher seine Tochter sein können. Vermutlich bedauerte Mascudar sogar, dass sie im Sterben lag.

Die ehemalige Imperatrice war zwar nachgerade deswegen ins Heilkoma versetzt worden, um ihren Tod zu verhindern. Aber momentan konnte niemand sagen, ob sie jemals wieder daraus erwachen und in welchem geistigen Zustand sie dann sein würde. Ihre Verletzungen waren zu schwer gewesen, um darüber eine Prognose stellen zu können.

»Ah, Mascaren!«, dröhnte die tiefe Stimme des imposanten Arkoniden durch die Zentrale, als er das Paar bemerkte. Er ging gut gelaunt auf dem Kommandantenpodest auf und ab.

Mirona zuckte zusammen, doch sie verbiss sich erneut einen Kommentar. Ihr Stand war ohnehin schwierig genug. »Mascaren« war ihr Gefährte schon sehr lange nicht mehr. Er war Atlan. Und Faktor Null. Die Liduuri wusste, wie sehr er seinen früheren Namen hasste, weil er ihn an die ungeliebte Vergangenheit erinnerte.

Nun stand die Vergangenheit lebendig vor ihnen, in Form eines Duplikats, das glaubte, an der Stelle weitermachen zu können, wo das Original vor zehntausend Jahren aufgehört hatte.

»Ich bevorzuge Atlan«, sagte der Angesprochene ruhig.

»Unsinn, du bist mein Sohn Mascaren.«

»Das habe ich nicht abgestritten. Sondern darüber gesprochen, was ich bevorzuge.«

Und was respektiert werden sollte, dachte Mirona wütend. Sie entschied, eine aufrechte Haltung und einen hochmütigen Ausdruck zu zeigen. Weil sie Atlan keine Stolpersteine in den Weg werfen wollte, der sich ohnehin in einer schwierigen Lage befand, hielt sie den Mund. Aber sie konnte ihre Missbilligung auch anders zum Ausdruck bringen. Sie wusste, dass Mascudar das nicht entging. Er beharrte auf patriarchalischen Strukturen, in denen Frauen zwar Rudergängerinnen oder Flottenkommandantinnen werden konnten, aber am Ende vor ihm zu kuschen hatten. Noch dazu, wenn sie wie Mirona keine Arkonidinnen waren. Mirona war eine Bras'cooii, was eine neutrale Bezeichnung für Nichtarkoniden sein sollte, aber seit jeher einen negativen Beigeschmack hatte. Dass sie Herrscherin einer Galaxis war, kümmerte Mascudar nicht. Er ignorierte sie einfach, konzentrierte sich nur auf seinen Sohn.

Warum? Warum jetzt?

Sollte das Atlan nicht misstrauisch machen? Aber nein, er ... er freute sich, seinen Erzeuger leibhaftig vor sich zu sehen, ihm noch einmal zu begegnen und ihm zeigen zu können, dass er nicht der Versager war, als der er damals immer betitelt worden war. Mascudar freute sich erstaunlicherweise ebenso, seinen Sohn wiederzuhaben.

So viele Widersprüche, so viele Emotionen, die nicht zusammenpassten. Mirona versuchte zu verstehen, was zwischen den beiden Männern vor sich ging.

Sie konnte es nicht. Was Atlan als Kind und junger Erwachsener durchgemacht hatte, war bei ihr nie der Fall gewesen. Ihr Vater hatte sie respektiert, sie hatte mit ihm zusammengearbeitet. Er war stolz auf sie gewesen und hatte sie gefördert. Für lange Zeit war ihre Familie eine Gemeinschaft gewesen; der Bruch war erst mit der Aufgabe der Heimat und der Flucht nach Andromeda gekommen. Mirona hatte während des Heranwachsens nie um Anerkennung ringen müssen – und sie konnte sich nur wundern, weshalb Atlan, den sie als intelligent, selbstbewusst, falls erforderlich auch durchaus als hart und unnachgiebig kannte, seine Jugendtraumata offensichtlich auch nach zehntausend Jahren noch immer nicht bewältigt hatte.

Sie wusste, sie musste sehr vorsichtig in allen Äußerungen sein, die sie Atlan gegenüber machte, damit sie ihn nicht verlor.

Es gab nicht viel, was Faktor I fürchtete. Da war zum einen das zunehmende Versagen des Zellaktivators, der vordringlichste Anlass, der sie und Atlan in die Milchstraße zurückgeführt hatte. Und zum anderen ... nein, kein und, ihr fiel nichts ein. Nichts sonst fürchtete sie. Sie konnte alles bewältigen, alles bekämpfen, und sie würde am Ende siegen, wie sie es immer getan hatte.

Doch sich zwischen Vater und Sohn zu stellen, konnte zu ihrer ersten Niederlage führen – und zu einer Katastrophe. Die gleich zwei gewaltige Sternenreiche in den Untergang reißen mochte.

Mirona war sicher, dass ihr Gefährte die Situation derzeit nicht überblickte, weil er zu sehr in Emotionen gefangen war und sich längst nicht von dem verheerenden Einfluss seines Vaters befreit hatte. Sie war also auf sich gestellt.

Als Mascudars Blick sie zufällig streifte, reckte sie den Kopf noch höher. Sollte er es ruhig als Kampfansage auffassen. Sie würde sich nicht so verhalten, wie der alte Imperator es erwartete. So alt er auch sein mochte – sie war noch älter. Ihr Reich noch größer. Ihre Regierungszeit noch länger.

 

Je näher sie mit ihrer zweihundert Einheiten starken Raumflotte dem Arkonsystem kamen, desto mehr wunderte sich Mirona Thetin, weshalb man im Kristallpalast nicht reagierte. Keine Abfangeinheiten, keine hereinprasselnden Funksprüche – nichts. Was ging da vor sich? Man konnte auf Arkon schließlich nicht wissen, wer sich an Bord des terranischen Raumers MAGELLAN aufhielt. Dass es Perry Rhodan sei, konnten sie nicht annehmen, der hätte sich längst angemeldet. Vor allem musste man sich auf der Kristallwelt doch fragen, wieso zweihundert arkonidische Raumer den Terraner begleiteten.

Mascudar da Gonozal musste irgendwie dafür gesorgt haben, dass man bereits Bescheid wusste, wer genau da kam. Oder war das Atlan gewesen?

Der Altimperator war weiterhin bester Laune, und Mirona musste zugeben, dass er es verstand, seine Leute ebenso zu begeistern. Die Stimmung in der Zentrale war gut. Nicht nur, weil treu ergebene Arkoniden die Kontrollen bedienten, auch Mascudars charismatische Erscheinung, seine Zuversicht lösten das aus. Wenn Mirona nicht selbst eine mächtige Herrscherin gewesen wäre, hätte auch sie sich mitreißen lassen, da brauchte sie sich nichts vorzumachen.

Sie war ihrem Gefährten daher nicht gram, dass er sich ebenfalls anstecken ließ. Atlan war seiner Heimat so lange fern gewesen, verständlicherweise freute er sich, sie wiederzusehen. Und dann noch in Begleitung seines Vaters auf einem Triumphzug. Der Arkonide in ihm brach durch, und das verübelte sie ihm nicht. Das war nun mal seine Mentalität, so wie Mirona immer Liduuri bleiben würde, obwohl sie sich vor mehr als fünfzigtausend Jahren von ihrem Volk losgesagt hatte – und nun die letzte Überlebende war.

Deswegen würde sie erst recht nüchtern und sachlich bleiben und notfalls als Atlans Gewissen agieren. Normalerweise war das die Aufgabe von Atlans Extrasinn, aber auf den war angesichts der Situation sicherlich nicht hundertprozentig Verlass. Sie würde also den zweiten Extrasinn geben. Beobachten, analysieren, mit Fakten aufwarten, wenn sie Atlan davor warnen musste, den falschen Weg zu beschreiten.

Dennoch war sie zu ihrem eigenen Erstaunen von dem Schauspiel amüsiert, sie fand es interessant und gut inszeniert. Mascudar hatte offenbar nichts von seiner einstigen Verve verloren, gleichwohl er nur ein Duplikat war.

Schließlich zeigte sich doch eine Reaktion von Arkon. Eine Flotte kam ihnen entgegen – und reihte sich als weitere Eskorte ein. Eine Botschaft des Kristallpalasts grüßte aus dem Funkempfänger: »Herzlich willkommen in der Heimat.«

Wer mochte das geschickt haben? Mirona ahnte, dass es jemanden am Hof gab, der die Lage sehr genau überschaute. Vielleicht derjenige, der von dem Anflug heimlich informiert worden war?

Was die arkonidischen Intrigenspiele betraf, kannte Faktor I sich nicht aus. Sie hatte das in der Form nie nötig gehabt, weil sie schon immer an der Spitze gestanden hatte. Ihre eigenen Intrigen hatten eine ganz andere Qualität gehabt – andere zu manipulieren, von einer unangefochtenen Position aus.

»Sehr gut!«, rief Mascudar, prüfte den Sitz seiner Uniform, fuhr durch seine Haare, strich den Bart glatt, und stellte sich dann in Positur.

»Offener Funk an alle!«, befahl er. »Kündigt eine Übertragung an, die von jedem an jedem Ort vernommen werden soll. Wartet die Bestätigung aus dem Kristallpalast ab.«

Währenddessen ordneten sich die Raumschiffe, Mascudars Flotte ebenso wie die Eskorte von Arkon, in einer besonderen Formation, die vollständig im Außenbeobachtungsholo der Zentrale gezeigt wurde.

Atlan kam zu Mirona und stellte sich neben sie. »Das ist eine traditionelle Achtungsbezeugung für den Begam«, erläuterte er leise. »So lautet der militärische Titel des Imperators. Es ist eine Ehrenformation.«

»Aber dein Vater ist doch noch gar nicht Imperator«, wandte sie ein.

»Das ist nur eine Formsache«, erwiderte er. »Mascudar da Gonozal ist dazu berechtigt, den Thron zu beanspruchen. Er war bereits Imperator, und ein ruhmreicher dazu.« Atlan zögerte kurz, dann fügte er hinzu: »Nicht zuletzt dank einer Information, die ich ihm gegeben hatte.«

Mirona begriff, dass sie eine Menge nachzuholen hatte, um dies alles zu verstehen.

Mascudar eröffnete seine Rede.

»Bürger des Großen Imperiums!«, verkündete er mit klangvoller Stimme und präsentierte sich in seiner ganzen imposanten und charismatischen Erscheinung.

Mirona musste zugeben, dass er es verstand, sich zu inszenieren. Auch der Auftritt der Flotte war pompös – allein schon die Formation mit dem Signum des Begam. Noch bevor das Volk überhaupt wusste, worum es ging, sah es etwas, das Zusammengehörigkeit versprach, ein Symbol für die Ordnung, und das in diesen unsicheren Zeiten.

An sich brauchte er gar nicht mehr viel zu sagen, er hatte bereits durch seinen Auftritt wohl jedermann auf seiner Seite: Der Heilsbringer, der das Chaos beendete, der den verlorenen Stolz wiederauferstehen ließ. Allmählich begriff die Herrscherin von Andromeda, was ihr Gefährte über die Mentalität seines Volkes erzählt hatte. Und sie gab es nicht gern zu, aber so unähnlich waren sie sich gar nicht.

»Volk von Arkon!

Ich bin Mascudar da Gonozal. Als Gonozal der Siebte herrschte ich vor gut zehntausend Jahren als Imperator. Zur Zeit des Schreckens, der Methankriege – und ich habe sie erfolgreich beendet! Nicht zuletzt mithilfe meines Sohns Mascaren, der dank seines Zellaktivators genauso wie ich hier vor euch stehen kann. Er überbrachte mir damals die Pläne der Konverterkanone, mit deren Hilfe wir unseren grausamen Erzfeind endlich überwinden konnten.

Und nun bin ich zurückgekehrt, ich habe die Stärke und den Willen, das arkonidische Volk wieder zum Triumph zu führen, das zerstrittene Tai Ark'Tussan zu vereinen! Ich will Arkon gleichermaßen wie die Kolonien zusammenführen, um uns einen wirtschaftlichen Aufschwung zu bescheren und uns wieder zum wichtigsten Volk nicht nur von Thantur-Lok, sondern der gesamten Debara Hamtar, der Galaxis, zu machen!

Ich werde die herrschenden Unsicherheiten und Zukunftsängste beenden, ich werde für Gerechtigkeit und Wohlstand für jedermann sorgen!«

Mascudar machte eine Kunstpause. Der bärtige Arkonide lächelte auf gütige Weise, als wolle er jeden Einzelnen seines Volkes behütend in seine starken Arme nehmen.

»Ich beanspruche hiermit den Thron. Ich werde das Volk in eine glorreiche Zukunft führen und dafür sorgen, dass es den Rang zurückerhält, der ihm gebührt.

Ich komme zudem nicht mit leeren Händen! Ich bringe als Unterstützung meine Flotte von zweihundert überaus kampftauglichen Einheiten – und werde noch mehr bereitstellen können!

Und das ist längst nicht alles, den wichtigsten Punkt habe ich mir für diesen Moment aufgespart, denn er muss entsprechend präsentiert werden.«

Ein Bild wurde kurz eingeblendet – die ruhende Theta in ihrer Kapsel.