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Nr. 3086

 

Aipus Spur

 

Eine Cairanerin in Nöten – Haluter und Terraner erkunden das Sternenrad

 

Arndt Ellmer

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Klaitard. 6. Juli 2046 NGZ

2. In der Unterwelt

3. Inselspringer

4. Gespräche am Raumhafen

5. In geheimer Mission

6. Fährtensuche

7. Zwei Herzen in einer Brust

8. Zurück zum Hyperschub-Dom

9. Aipu

10. Gelungene Pläne

11. Schlittenfahren mit einem Haluter

Stellaris 77

Vorwort

»Die Sehnsucht der Flechte« von Gerhard Huber

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner. Mit ihren Raumschiffen sind sie in die Tiefen des Universums vorgestoßen und dabei immer wieder außerirdischen Lebensformen begegnet; ihre Nachkommen haben Tausende von Planeten besiedelt und sich der jeweils neuen Umwelt stets angepasst.

Perry Rhodan ist der Mensch, der den Terranern diesen Weg zu den Sternen eröffnet und sie seitdem begleitet hat. Seit einiger Zeit steht er vor einer seiner größten Herausforderungen: Er wurde mit seinem Raumschiff, der RAS TSCHUBAI, vorwärts durch die Zeit in eine Epoche katapultiert, in der Terra und Luna verloren und vergessen zu sein scheinen.

Auf der Suche nach der Erde und ihrem Mond hat er einen Zwilling unseres Universums entdeckt, das zusammen mit dem Einstein-Universum das sogenannte Dyoversum bildet. In jener anderen Hälfte des Dyoversums hat er Terra und Luna wiedergefunden. Die Rückkehr der Ursprungswelt aller Terraner ist damit in greifbare Nähe gerückt.

In der heimatlichen Milchstraße ist seit Jahrhunderten das Sternenrad aktiv, eine riesige Sphäre, mit der die Cairaner ein unheimliches Machtmittel zur Hand haben. Zwischen den Welten des Sternenrads ist eine kleine Erkundungsmission aus Menschen und Halutern unterwegs. Sie suchen nach Hinweisen, wie man die Cairaner stoppen kann, und sind zugleich auf AIPUS SPUR ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Chione McCathey – Die Wissenschaftlerin wird mit Stürmen und anderen Problemen konfrontiert.

Bouner Haad – Der Haluter handelt trotz seiner Jugend sehr umsichtig und zurückhaltend.

Dupa Emuladsu – Die Kosmopsychologin folgt ihrer ganz eigenen Agenda und der Spur ihres Sohnes.

Nuanit Takkuzardse – Die Jägerin der Cairaner misstraut allen und ist nur ihrer Jagd verpflichtet.

KUTUTRA I – Die robotische Amme handelt in den Augen von Terranern und Halutern mehr als seltsam.

1.

Klaitard. 6. Juli 2046 NGZ

 

Lionel Obioma betrachtete die drei vierarmigen, dreiäugigen Riesen, die so fremdartig und gefährlich aussahen, ihm aber mittlerweile näherstanden als so mancher Mensch.

Sie waren – gemessen an der Lebenserwartung ihres Volkes – jung.

Sie waren dynamisch, hingen den Traditionen nicht bedenkenlos an, sondern wollten sie in die Gegenwart führen.

Und sie waren tatendurstig.

Sie gingen ihren eigenen Weg.

Und dieser hatte sie zu den Terranern geführt, wo ihr großes Vorbild auf sie gewartet hatte: Icho Tolot, der Träger eines Zellaktivators, der ihm die relative Unsterblichkeit verlieh.

Ja. Auch Tolot hatte einst Tabus gebrochen und war nun eine lebende Legende.

Sie aber standen erst am Anfang ihres Weges.

Sie waren drei von vielen.

Bouner Haad. Der Pfadfinder. Einer der extrem seltenen Haluter, die über Parakräfte verfügten. Er war der Anführer des Dreierteams.

Madru Bem. Der Sänger. Auch wenn nicht einmal alle Haluter seinen Intonationen mit Genuss lauschten, höflich ausgedrückt. Aber so waren Haluter nun einmal: stets höflich.

Kro Ganren. Der Ruhige.

Von den 24 denkbaren Kandidaten ihrer Ausbildungsklasse in Tolots Festung über Rudyn waren sie von Reginald Bull höchstpersönlich zur Bleisphäre geschickt worden. Ihr erster Einsatz hatte sich von einer Rettungsmission längst in eine Aufklärungsaktion verwandelt, die ihrerseits bereits im Begriff war, in einen Einsatz mit waschechter Sabotage zu münden.

Haluter im Einsatz für den Rest der Welt. Lionel Obioma beschleunigte seine Schritte, um zu Bouner Haad aufzuschließen.

Haad trat so leicht wie möglich auf, dennoch vibrierte der Boden. Die Gruppe hatte es eilig. Zwar hatte man sie bislang nicht entdeckt, aber die Cairaner wussten von ihrer Anwesenheit und suchten sie.

Der unbewohnte Turm mitten in Klaitard war zwar wie gerufen gekommen, konnte allerdings jederzeit zur Falle werden.

Um von den Überwachungsanlagen nicht entdeckt zu werden, verzichteten sie auf den Vaku-Schnelllift und benutzten den Wendelgang im Innern des Stiels, zusätzlich durch ihre Deflektorfelder vor normaloptischer Entdeckung geschützt. Wenn sie mit niemandem zusammenstießen, waren sie für Passanten, die sie zufällig trafen, nicht vorhanden. Untereinander konnten sie einander sehr wohl sehen, dafür sorgten die Antiflex-Einrichtungen ihrer Schutzanzüge.

Am Fuß des Wendelgangs gelangten sie in das Foyer des Turms. Bouner Haad blieb stehen und fuhr die Lamellen seiner Ohrmuscheln auf maximale Größe aus.

»Freunde!«, grollte er. »Ich höre Alarmsirenen. Wir machen eine kurze Pause.«

Augenblicke später hörte auch Obioma das charakteristische Jaulen. Zwischen den Wohntürmen Klaitards bildeten sich Luftwirbel, was die Geräusche der Sirenen zu einem metallischen Quietschen verquirlte.

Die SERUNS der Männer und Frauen meldeten aus allen Richtungen aufflammende Energieschirme.

Etwas kam auf sie zu. Obioma stellte sich auf Schwierigkeiten ein.

 

*

 

Chione McCathey hätte es nicht zugegeben, aber sie war erleichtert über die willkommene Pause. Alles ging so schnell – ihre Gewohnheit, Dinge zu durchdenken und Vorgehensweisen aufgrund von detailliert beschriebenen Zusammenhängen zu entwickeln, war vollkommen unter die Räder gekommen.

Ich bin Astrophysikerin und ein derartiges Tempo nicht gewöhnt!, dachte sie mit leichtem Zorn auf sich selbst.

Und trotzdem: Böte ihr jemand an, sie in ihr gewohntes Umfeld wieder zurückzuversetzen, würde sie rundheraus ablehnen. Sie hatte sich auf dieses Abenteuer eingelassen, und sie würde es bestehen.

Draußen verdunkelte sich der Himmel. Im Innern des Turms hielt die Lichtsteuerung offenbar automatisch dagegen, um eine gleichbleibende Helligkeit zu garantieren.

»Der Alarm gilt nicht uns«, meldete der TARA-Psi. »Es handelt sich um eine reguläre Sturmwarnung für Klaitard.«

Das Toben wurde lauter. Irgendwo in der Stadt arbeitete eine Überwachungsanlage, die offenbar auf die Naturgewalten reagierte. Die Gefahrenstufe wurde heraufgesetzt, das Jaulen der Sirenen lauter. Binnen kürzester Zeit wurde aus der Sturmwarnung eine Orkanwarnung!

Chione McCathey beobachtete die Anzeigen ihres Multikoms. Die Werte hätten auf Rudyn den Weltuntergang signalisiert. Auf Ghibona schienen sie zum Alltag zu gehören. Die wichtigste Welt des Sternenrads war die mit den heftigsten Stürmen.

Das wiederum empfand sie als Anachronismus auf dieser ausgesprochen rudynähnlichen Welt, die für McCatheys Geschmack allerdings ein bisschen zu kugelrund war. Ein Planet hatte abgeplattete Pole zu haben ...

»Sallu?«, fragte die Astrophysikerin.

Der kegelförmige Roboter, der das Bewusstsein des Menschen Sallu Brown in sich trug, ließ sich zwar am liebsten mit seiner offiziellen Bezeichnung TARA-Psi benennen, tolerierte aber auch die etwas vertrautere Anrede, solange sie nicht hinausposaunt wurde. Mit seinem bisherigen Dasein hatte er abgeschlossen, mochte es seinen Mitmenschen auch schwerfallen, das zu akzeptieren.

»Was meine ich wozu?«, fragte der TARA-Psi nach.

»Diese Welt ...«, sagte sie. »Sie stimmt einfach nicht. Und dennoch existiert sie.«

»So ist es«, bestätigte er ungerührt. Er hatte selbstverständlich längst alle physikalischen Gegebenheiten durchgerechnet und war zu dem gleichen Ergebnis gekommen: Ghibona war eigentlich unbewohnbar: Die Entfernung zu den beiden Sonnen des Sternenrads war viel zu hoch, und das, obwohl es sich um den sonnennächsten Planeten handelte. »Für unseren Verständnishorizont.«

Chione McCathey atmete heftig aus. Wie dumm von ihr! Dass Ghibona für Humanoide bewohnbar war, lag an der Technologie, die den Cairanern zu Gebote stand: Sie basierte auf dem Wissen einer Superintelligenz. Und diese war für Normalsterbliche wie sie zumeist unbegreiflich. Mit ihrem Wissen über Naturgesetze waren die Arbeiten einer Superintelligenz selten vereinbar.

»Also schön. Wir sind also zu dumm, das zu verstehen.«

Der TARA-Psi gab einen rauen Laut von sich, der wie ein ersticktes Lachen klang. »Nicht nur wir. Die Cairaner benutzen die Anlagen sogar, verstehen sie aber ebenso wenig.«

McCathey verzog das Gesicht. »Das wird für sie eines Tages ein schlimmes Ende nehmen, vermute ich.«

Auf Ghibona standen die große Enzephalotronik und die Kontrollanlagen für die Hyperschub-Maschinerie. Die technischen Einrichtungen waren gegen einen möglichen Eindringling und Saboteur abgesichert.

»Eine solche Hoffnung ist emotional nachvollziehbar, muss deswegen aber nicht gerechtfertigt sein«, tadelte der TARA-Psi. »Wenn du in Rechnung stellst, was wir durch den Benshér erfahren haben, sind die Cairaner Lebewesen, die von Angst getrieben werden. Und Angst war stets ein schlechter Ratgeber. Aus Angst sind schlimme Dinge geschehen, die der Betreffende normalerweise nie getan hätte. Geh also mit den Cairanern nicht zu sehr ins Gericht, ehe du nicht auch ihre Sicht der Dinge kennst.«

»Das ist mir zu abgeklärt«, sagte sie brüsk. »Meine sachliche wissenschaftliche Sicht endet da, wo ich schreiendes Unrecht sehe. Und die Cairaner tun in der Milchstraße jede Menge Unrecht.« Sie musste nicht von den Ausweglosen Straßen und anderen Dingen sprechen, ihre Begleiter wussten das selbst gut genug.

»Nach menschlichen Maßstäben: womöglich«, sagte der TARA-Psi und ließ an der Betonung erkennen, dass er nicht weiter darüber sprechen würde.

McCathey konzentrierte sich auf das, was sich draußen abspielte: Der Orkan wütete über den Straßen und Plätzen Klaitards. Er rüttelte an den Türmen und deren Wohneinheiten, die ihm allerdings standhielten. Dazwischen fand er reiche Nahrung: Bäume, Büsche, Felsbrocken und Grassoden wurden aus dem Boden gerissen und mit dem Sturm fortgetragen.

Schlimmer kann's nicht mehr kommen, dachte McCathey und wurde umgehend eines Besseren belehrt: Nun kamen der Regen und die Blitze, dazu schmetterten zahlreiche der umherwirbelnden Trümmer auf den Boden.

Mit einer Mischung aus Staunen und Unverständnis sah sie anhand des Niederschlags, wie die Stadt geschützt wurde: Zuerst erhob sich eine Kuppel aus Energie, die dann aber zurückfloss, bis nur noch die Gebäude von konturnahen Schirmfeldern umgeben waren.

Was soll das?, fragte sich die Astrophysikerin.

Von den Bewohnern Klaitards war nichts zu sehen. Die Cairaner sowie die Angehörigen anderer Völker kannten solche Stürme offenbar und hatten sich wohl vorsorglich in Sicherheit gebracht.

Bouner Haad wandte sich an McCathey, Obioma, Dancer und Schlafner sowie an den TARA-Psi. »Wenn es euch recht ist, werde ich etwas sagen.«

»Nur zu!« Chione McCathey machte eine einladende Geste.

Der Haluter erklomm ein Stück des Wandelgangs, der sich auf der Innenseite des Stiels entlangzog. Die Mitglieder des Einsatzkommandos versammelten sich im Halbkreis. Haad stellte sich an die Brüstung.

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Illustration: Swen Papenbrock

»Freunde!«, sagte Haad. Er gab sich Mühe leise zu sprechen, dennoch war er deutlich zu verstehen, selbst vor dem Toben des Sturms. »Wir stehen vor einer schweren Entscheidung.«

Lionel Obioma, der Hyperphysiker, nickte. »Eile ist geboten. Uns läuft die Zeit davon.«

»Habt keine Sorge!«, sagte Haad. »Solange unsere Rücken euch decken, holen die Cairaner euch nicht ein. Und die Zeit ... Wir werden sie schnell wieder einholen. Lasst uns über den Weg aus dem Sternenrad sprechen!«

Oberste Priorität hatte, das erworbene Wissen um das Sternenrad an die Liga und an Arkon zu übermitteln. Die Sicherheit des Teams und jegliche mögliche Sabotagepläne hatten dahinter zu rangieren.

Das Wissen, das sie erlangt hatten, war überaus bedeutsam: Es ging einerseits um kosmologische Informationen – um die Benshéri als Diener von HATH'HATHANG, um HATH'HATHANGS Entwicklung – und andererseits um strategisches Wissen. Dazu zählten Kenntnisse über die Enzephalotronik und ihre Einsatzmöglichkeiten ebenso wie allgemeines Wissen über das Sternenrad und dessen Geschichte. Die Cairaner taten derzeit nichts anderes, als ein Instrument des Friedens zu missbrauchen, indem sie Planeten aus ihrem bisherigen System rissen und im Leerraum aussetzten.

»Wir kapern ein cairanisches Schiff!«, schlug Madru Bem vor.

Kro Ganren zögerte einen winzigen Augenblick. »Mit unserem Schlitten ginge es besser.«

»Ja«, sagte Chione.

Der Schlitten war von Anfang an Teil ihres Plans gewesen. Einen Augenraumer der Einheimischen zu kapern, war unmöglich, da diese Raumer den Boden nie berührten.

Aber selbst wenn der Einsatztrupp es versuchen könnte, hätte er 100 andere Raumer gegen sich gehabt und an Bord selbst 2000 Roboter und Soldaten. Und dabei wären die Parakräfte des Haluters und des TARA-Psi nicht ins Gewicht gefallen.

Sie alle sahen in dem halutischen Raumschlitten die einzige Chance, Informationen in den Weltraum zu schicken. Es war den Halutern beim Eindringen in das Sternenrad gelungen, das Fahrzeug an einen Augenraumer der Cairaner anzudocken und durch die Lichtschleuse ziehen zu lassen. Bouner Haad hatte währenddessen mit seiner Fähigkeit der Parapassage die von den goldenen Blasen der Naats erzeugten Perforationen genutzt, um sich und seine beiden halutischen Kameraden durch den Schirm zu bringen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Perforationen im Weißen Schirm immer noch Bestand hatten, schätzten alle in der Gruppe als gering ein. Der Schlitten stellte demzufolge ihre einzige Chance dar. Alles andere mussten sie den terranischen Freunden außerhalb des Schirmes überlassen.

Chione blickte die Mitglieder des Einsatzteams nacheinander an. Dancer und Schlafner wirkten konzentriert. Lionel Obioma machte einen nachdenklichen Eindruck. Dem Roboterkörper des TARA-Psi konnte sie keine Regung andichten.

Und die Haluter? Sie strotzten, wie eigentlich immer, vor Tatendrang. Kannten sie denn überhaupt keine Furcht?

»Wir brauchen ein passendes Trägerschiff für den Schlitten«, sagte Haad. »Unauffällig, möglichst unbewacht. Am besten einen Lastentransporter.«

Den TARA-Psi hielt der Haluter für am geeignetsten, den Standort eines Datenterminals ausfindig zu machen.

»Drei Kilometer nach Osten und vier nach Süden steht ein öffentliches Terminal«, meldete sich der Roboter zu Wort. »Dort müssen wir hin.«

 

*

 

Die Gruppe brach auf. Die Plätze und Verbindungsstraßen waren, da sie nicht von den Energieschirmen der Gebäude geschützt wurden, übersät mit Bäumen, Ästen und allem, was der Sturm dem Boden Ghibonas entrissen hatte.

Mit den Konturschirmen verhindern die Cairaner also wohl, dass sich der ganze Unrat rings um die Kuppel auftürmt, überlegte Chione McCathey angesichts der Verwüstungen. Stattdessen lassen sie den Sturm seine Beute wie in Kanälen durch die Straßen treiben und damit wieder aus der Stadt heraus ...

Sie schüttelte den Kopf. Eine solche Vorgehensweise wäre ihr niemals in den Sinn gekommen. Aber eine bessere Erklärung hatte sie nicht.

Und den TARA-Psi wollte sie gewiss nicht fragen: Dessen belehrender Ton, als die Sprache auf die Cairaner gekommen war, genügte ihr für den Rest des Tages.

Sie beobachtete interessiert, wie der Orkan mit Urgewalten durch die Stadt toste, als wollte er die Ordnung von Luftdruck und Schwerkraft ein für allemal beseitigen. Alles, was nicht irgendwie befestigt oder geschützt war, wirbelte durch die Straßen, und immer wieder krachte etwas zu Boden, um dann wieder emporgerissen und fortgeschleudert zu werden. Ein Ende des Orkans war nicht abzusehen.

Den Funksprüchen der Luftüberwachung entnahm McCathey, dass es sich offenbar nur um ein lokales Phänomen handelte. Sonst hätten sie an ein Auseinanderbrechen des Sternenrads geglaubt.

 

*

 

In einem lang gestreckten Bogen zogen die beiden Sonnen Cayssis und Cayunin ihre Bahn über den Himmel Ghibonas, 7,5 Millionen Kilometer voneinander entfernt. Die beiden annähernd gleich großen Sterne folgten dabei einem nie enden wollenden Gesetz: Der kleinere hielt sich in der Spur des größeren.

Der TARA-Psi schwebte auf seinem Antigravkissen voraus. Die drei Haluter in ihren Kampfanzügen folgten, wobei sie die Terraner in ihre Mitte nahmen. In wenigen Metern Abstand schob der Sturm seine Beute durch die schmale Gasse, die ihm die Energieschirme zwischen den Gebäuden ließen. Trotz der hohen Geschwindigkeit des Orkans wirkten die Bewegungen von zersplitterten Bäumen und allerlei Schutt fast schwerfällig.

»Noch ein Punkt auf meiner Liste der Merkwürdigkeiten«, kommentierte Chione McCathey. »Wenn diese Stürme auf Ghibona zum Tagesgeschäft gehören, haben die Cairaner ein verdammt schlechtes Krisenmanagement. Das alles wirkt mehr schlecht als recht vorausgeplant.«

»Noch ein Punkt auf meiner Liste«, sagte Schlafner mit schmalem Lächeln. »Der Liste von Dingen, die mir egal sind. Ich will hier weg, so schnell wie möglich.«

»Mein Bruder ist bei uns für die positive Stimmung zuständig, wie man merkt«, spottete Dancer. »Aber er hat recht: Es kann uns ja eigentlich egal sein, was die Cairaner warum und wann gegen Stürme unternehmen. Sie werden ihre Gründe haben, und wären die auch nur Gleichgültigkeit und Desinteresse.«

»Was mit anderen geschieht, ist ihnen egal, solange sie selbst ihre Ruhe haben«, vermutete Lionel Obioma. »Wobei das ...« Er winkte ab. »Alles nur müßige Spekulation.«

Bouner Haad grollte. Das Geräusch bewirkte, dass sich wieder alle auf den Haluter konzentrierten. »Unterhaltet euch später! Das hält euch nur auf.«

200 Meter später gab der TARA-Psi einen kurzen Alarm. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte ein Ortungsstrahl seine Abschirmung durchbrochen.

»Justiert alle Tarnsysteme auf maximale Leistung!«, befahl der TARA-Psi. »Der Strahl kam von oben. Aus einem der Türme, wahrscheinlich aus einer Wohnkugel.«

An manchen Stellen an den Turmstielen sahen sie die offenen Mittelebenen der Kugeln, aus denen das Grün der Gartenanlagen wucherte. Hinter den Schutzschirmen waren sie von den Auswirkungen des Sturms geschützt, was angesichts der tobenden Gewalten manchmal verwirrend aussah.

Chione seufzte. »Von wegen ›alles Gute kommt von oben‹!«

Die Cairaner wussten, dass sich Eindringlinge in Klaitard aufhielten, und versuchten alles, sie ausfindig zu machen. Dabei ließen sic sich auch nicht von einem Sturm ausbremsen.

»Chione, sieh mal da!« Lionel Obioma deutete nach vorn. »Wir kommen nicht weiter!«

Vor ihnen staute sich der Wust aus Splitterholz, Gras, Moos, Gestein und triefenden Flechten, sodass er eine Art Fladen bildete und ihnen den Weg versperrte.

Chione McCathey schüttelte im Helm den Kopf. »Es ist nichts verloren, solange es noch Hoffnung gibt.«

»Lass mich raten!«, sagte Dancer. »Du führst eine Liste widerlicher Plattitüden und zögerst nicht, sie zu benutzen?«

McCathey warf ihm einen wütenden Blick zu. »Sieh mal genau hin! Da tut sich etwas.«

Das unsichtbare Schirmfeld flirrte an etlichen Stellen. Grellfarbene Streifen in Rosa und Grün erweckten den Eindruck, als würde der Stoff des Energievorhangs zerreißen.

»Nicht zanken! Konzentriert euch!«, rief Bouner Haad. Der Haluter hetzte über den Spiegelboden durch den enger werdenden Zwischenraum zu dem Nachbarturm, der in greifbare Nähe rückte.

McCathey schloss zu dem TARA-Psi auf. »Was kannst du erkennen, Sallu?«

»Wenig. Meine Ortungs...«

Der Druck einer Explosion fegte die Mitglieder des Teams von den Beinen.

Der Schirm neben dem Turm erlosch mit einer letzten Lichtkaskade.

War das eine Fehlfunktion, ein Schaden oder Absicht? Chione konnte es nicht sagen. Man müsste ...

Haad stieß ein Knurren aus und stupste sie sanft an. »Weiter! Wir müssen da durch!«

Dorthin, wo gerade noch eine Energiewand gewesen war, drängte nun die Lawine aus Dreck und Stein, aus Holz und Blättern, ein Moloch aus zermalmter Materie, der sich unaufhörlich bewegte. Dadurch entstand ein Durchgang oder zumindest etwas, das sich als solcher nutzen ließ.

Madru Bem packte Dancer und Schlafner. Mit den Laufarmen drückte er die Zwillinge an seinen Anzug, mit den Handlungsarmen schützte er ihre behelmten Köpfe. Kro Ganren folgte seinem Beispiel mit Obioma und McCathey.

Bouner Haad sicherte den Pulk nach hinten, nach vorne übernahm das der TARA-Psi. Mehr Sicherheit war in dieser Lage kaum möglich.

»Da!«, rief Obioma neben ihr.

Chione drehte den Kopf, brauchte einen Augenblick, um sich zu orientieren. Sie sah, wie das Schirmfeld sich wieder stabilisierte und emporwuchs.

Gleichzeitig schoben sich die energetischen Wände aufeinander zu: McCathey war bereit, darauf zu wetten, dass sich mit dem Abflauen des Sturms auch die Prallfeldkuppel wieder ausformen würde.

Wir werden zerquetscht werden!, dachte sie entsetzt.

Sie wollte schreien, brachte aber keinen Laut heraus. Der Splitterbrei vor ihnen wurde durch die Energieschirme weg und nach oben gedrückt. Chione entdeckte Fragmente eines Gleiters darin, zerknülltes Metall, das an den Resten der weißen Farbe zu erkennen war.

»Ruhig, meine Kleinen!«, rief Bouner Haad. »Auf drei ...!«

Die Haluter rannten nun dicht an dicht in einer Kette auf den nächsten Wohnturm zu. Sie mussten knapp 20 Meter überwinden.

»Eins ... zwei ...« McCathey bemerkte, wie Bouner Haad einen kurzen Moment zögerte. »... drei!«

Vor ihnen öffnete sich eine Lücke im Schirm. Die Haluter sprangen hindurch, und gleich darauf schloss sie sich wieder, und der Schirm wuchs wie eine gewaltige Blase in die Höhe.

»Wir ... wir sind durch!«, brachte McCathey mühsam heraus. »Wie ...?«

»Halutergeheimnis«, behauptete Bouner Haad trocken. Sie erkannte nicht, ob das ein Scherz sein sollte.

Madru Bem und Kro Ganren setzten die Terraner ab.

Chione seufzte. Das war alles genauso hektisch und knapp gewesen wie all ihre Abenteuer im Sternenrad. Ob sie sich jemals daran gewöhnen würde?

Sie bemerkte, dass Dancer, Schlafner und Obioma sie abwartend anblickten. »Na dann: danke, Freunde. Gut gemacht! – Und was machen wir als Nächstes?«

Bouner Haad lächelte breit. »Wir gehen da hinein.«

2.

In der Unterwelt

 

Die kleine Gruppe wartete im Foyer des Turms; zumindest nannten sie den Raum im Erdgeschoss so.

Den TARA-Psi hatten sie zur Erkundung losgeschickt. Dieser hatte sich umgehend auf den Weg in die unterplanetaren Bereiche begeben.

Nach kaum fünf Minuten meldete er sich über Funk: »Kommt bitte zwei Stockwerke nach unten. Ich möchte euch etwas zeigen!«

Madru Bem und Kro Ganren machten den Anfang. Bouner Haad gab der Gruppe Rückendeckung. Chione McCathey ging direkt vor ihm.

Sie betraten den Wendelgang, der sich um den Schacht des Vakulifts wand. Das erste Stockwerk unter der Oberfläche des Platzes lag im Dunkeln. Im zweiten brannte Licht; der Wendelgang endete dort. Ein geometrisches und gleichzeitig asymmetrisches Konglomerat schlanker Quader wuchs aus dem Boden, führte kreuz und quer nach oben, verzweigte sich und endete in dem rechteckigen Sockel, der dem Turm als Standfläche diente.

Zwischen den sich kreuzenden Stützen aus grauem, betonähnlichem Material blinkten weiße Lichtkegel. In einem von ihnen zeichnete sich die Gestalt des TARA-Psi ab.