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Nr. 3088

 

Gucky kehrt zurück

 

Der Mausbiber kämpft sich durch – es geht um die THORA

 

Michael Marcus Thurner

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

Erster Akt: Begegnung im Andersraum

Zweiter Akt: In der THORA

Dritter Akt: Rettung

Vierter Akt: Letzte Anstrengungen

Report

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner. Mit ihren Raumschiffen sind sie in die Tiefen des Universums vorgestoßen und dabei immer wieder außerirdischen Lebensformen begegnet; ihre Nachkommen haben Tausende von Planeten besiedelt und sich den neuen Umwelten angepasst.

Perry Rhodan ist der Mensch, der den Terranern diesen Weg zu den Sternen eröffnet und sie seitdem begleitet hat. Nun steht er vor einer seiner größten Herausforderungen: Er wurde mit seinem Raumschiff, der RAS TSCHUBAI, vorwärts durch die Zeit in eine Epoche katapultiert, in der Terra und Luna verloren und vergessen zu sein scheinen.

Mittlerweile hat er in einem Zwilling unseres Universums die beiden Himmelskörper wiederentdeckt. Nun muss er nur noch einen Weg finden, sie zurückzubringen. Die Staubfürsten sind ihm dabei eine große Hilfe.

Im heimischen Universum spitzt sich die politische Lage derweil dramatisch zu: Die Cairaner treiben ihr Trajekt massiv voran, zu dessen Erfüllung Atlan und die Bleisphäre eine besondere Rolle spielen. Um die Kontrolle zu behalten, haben sie ihr Sternenrad in den Kugelsternhaufen M 13 befördert. Und sie haben aller Welt den Tod des Mausbibers Gucky vorgegaukelt. Aber nun wendet sich das Blatt. GUCKY KEHRT ZURÜCK ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Gucky – Der Mausbiber straft alle Berichte über seinen Tod Lügen.

Daidra und Pretopart – Zwei Wegbegleiter bleiben zurück.

Mevander – Ein Posbi mit vielen Händchen fürs Praktische.

Gordy Shampley – Ein Erwachter übernimmt Befehle.

Anna – Eine Ingenieurin beweist Nerven.

Erster Akt:

Begegnung im Andersraum

 

Gucky stand wie verloren in der endlos weiten Ebene. Er fühlte sich leer und müde, seine Gedanken flossen träge dahin.

Er ging, weil es nichts anderes zu tun gab. Seine Paragaben hatten ihn verlassen. Es gab in dieser Gegend keine Gedanken zu lesen und nichts mithilfe seiner telekinetischen Kräfte zu bewegen. Die Steine und Felsen, die er rings um sich sah, ließen sich nicht erfassen.

So gerne wäre er teleportiert, aber er schaffte es einfach nicht. Etwas hinderte ihn daran, womöglich er selbst. Schließlich war er nicht ganz bei sich.

Gucky setzte einen Schritt vor den anderen. In Richtung jener etwas stärkeren Linie am Horizont, die womöglich ein Gebirge darstellte. Sie war das einzige Ziel, das er in dieser Wüstenei ausmachen konnte.

Wie lange bewegte er sich schon durch die Ebene? Eine Sekunde, einen Tag, ein Jahrzehntausend?

Er wusste es nicht zu sagen. Er war froh, dass er seine Namen – Plofre und Gucky, aber nie zugleich – kannte, denn viele andere Dinge hatte er vergessen.

Was tat er an diesem Ort? Wie war er hergekommen? Wo war er überhaupt?

Er ging und ging und ging.

Da war ein Freund gewesen, der eine Wanderschaft durch die Ewigkeit hinter sich gebracht hatte. Jul... Julian war sein Name gewesen, oder? Den Jahrmillionenmann hatten sie ihn genannt.

Drohte ihm ein ähnliches Schicksal?

Verging in dieser Einöde mit jedem seiner Schritte ein Jahrtausend? Zerbröselten Reiche, während er einen Atemzug tat? Wurden Superintelligenzen geboren und starben, während er einen Gedanken fasste?

Da waren so viele Erinnerungsfetzen in ihm, die er nicht recht einzuordnen wusste. So viele, dass sie wohl kaum in das Leben eines Einzelnen passten.

»Gucky«, sprach er den Namen aus, der ihm richtig vorkam, »ich heiße Gucky. Ich bin ein Ilt. Ich stamme von einer ... einer Welt, deren Namen ich nicht kenne.«

Ein Fluch seiner Muttersprache fiel ihm ein. »Pettek!«, sagte er und fühlte, wie seine Barthaarspitzen erzitterten. Er war nicht so. Er verwendete selten Schimpfwörter.

Das Gebirge rückte nicht näher. Es war Gucky, als träte er auf der Stelle. Markante Felsbrocken, die er in der Ebene links und rechts bemerkte, schienen sich umzugruppieren und neue Formationen zu ergeben.

Gucky glaubte, sich schon öfter durch diese Ebene bewegt zu haben. Er war sich allerdings nicht sicher. Sein Erinnerungsvermögen war zu schwach.

Etwas änderte sich. Gucky benötigte eine Weile, bis er diese Änderung benennen konnte. Neben jener dicken Linie, die vielleicht einen Gebirgszug markierte, waren mehrere Pünktchen aufgetaucht.

Im Unterschied zu der Linie bewegten sie sich aber.

Auf ihn zu.

Mit dem Anblick der Veränderung, der ersten Veränderung seit gefühlten Jahrmillionen, kamen Erinnerungen zurück. Gucky wusste wieder, wer er war – und wie er womöglich auf diese öde Ebene gelangt war.

 

*

 

Da waren die beiden Tomopaten gewesen, Ly und Genner. Dazu ihre Helfer. Ein Asaran namens Trupar sowie dessen Lehrer, der Gefirne Shattka Agheff.

Ein Kampf. Eine Teleportation. Ein kurzer Schmerz. Ein Betäubungsmittel.

Er lag halb betäubt da und fühlte, dass rings um ihn Feinde waren. Also wehrte er sich. Intuitiv und kaum in der Lage, einen logischen Gedanken zu fassen.

Er las unerklärliche, unbeschreibliche Gedanken. Sie waren ein Richtwert. Etwas, das man packen und mithilfe der Telekinese bekämpfen konnte.

Trotz all seines Einsatzes war der Widerstand der Gegner zu stark. Er versank in finaler Bewusstlosigkeit ...

 

*

 

Immer wieder kam Gucky zu sich. Er versuchte zu espern und zu erfassen, was man mit ihm tat. Doch da war nichts Greifbares. Roboter hatten ihn transportiert. Dumme Maschinenwesen.

Was war mit dem Trackersystem an seinem SERUN? Mit den Nanosonden, die dieser ausgestoßen hatte? Oder war das gar nicht geschehen? Hatte das System seines Anzugrechners versagt?

Offensichtlich. Denn niemand kam, um ihn zu unterstützen oder gar zu befreien.

Immer wieder erhielt Gucky Beruhigungsmittel. Sie sorgten dafür, dass er zwischen Wachsein und Bewusstlosigkeit pendelte. Ohne dass er Zugriff auf seine Parakräfte bekam.

Die Roboter ließen ihn irgendwann fallen. Auf ein Lager. Nein: in eine Art Gefäß, das Erinnerungen in ihm weckte. Es fühlte sich einerseits komfortabel an, andererseits wie ein Gefängnis.

Gucky versuchte die Augen zu öffnen und zu sehen. Es wollte kaum gelingen. Die Beruhigungsmittel hielten ihn fest im Griff. Die Augen sahen, aber das Gehirn schaffte es nicht, die Informationen aufzunehmen und in klare Bilder umzuwandeln.

Seine Haptik sprach ein klein wenig besser an: Er fühlte, dass er in eine Art Gruft gebettet worden war. Die Umgebung war ihm vage bekannt.

Gucky ruhte in einer Art Suspensionsalkoven, wie er sie von der RAS TSCHUBAI her kannte. Nur der Geruch nach Katzenminze war ihm neu.

Dafür war dieser Alkoven etwas geräumiger. Die Halterungen für die Hände im Inneren hatten feine, scharfgratige Nute, die auf schlampige Fertigung schließen ließen. Und die Liegefläche gab nur widerwillig nach. Die denksensitiven Druckpunkte waren nicht für das geringe Gewicht eines Ilts gefertigt worden, ganz im Gegensatz zu jenem Alkoven, den Gucky auf der RAS TSCHUBAI zur Verfügung hatte.

Gucky besaß unendlich viel Erfahrung. Er wusste ganz genau, wie viel er seinem Körper und seinem Geist zumuten konnte. Er war erschöpft, ja. Aber er war schon unter bedeutend schlechteren Umständen teleportiert. Also würde es auch hier funktionieren.

Was für ein Ziel sollte er anvisieren? Er kannte seine Umgebung nicht. Auch hatte man ihm den SERUN ausgezogen. Ein Sprung aus dem Inneren des Alkovens war mit hohem Risiko verbunden.

Na und? Gucky kicherte. Sein Leben war meist ein Spiel gewesen. Warum sollte er nicht um sein Leben spielen?

Er versuchte, einen Platz unmittelbar neben dem Alkoven zu visualisieren. Ein Minisprung, kaum einen Gedanken wert, würde ihn problemlos dorthin bringen. Also gab er sich einen geistigen Ruck – und blieb hängen. Die Teleportation gelang nicht. Wie er auch mit der Telekinese scheiterte.

Gucky hatte seine besonderen Gaben verloren.

 

*

 

Falsch.

Seine Gaben waren noch da. Er fühlte, wie sie in Ansätzen funktionierten, aber rasch von irgendeiner Kraft neutralisiert wurden. Der Alkoven war von Anti-Psi-Feldern umgeben. Etwas, das ihn daran hinderte, seine Talente einzusetzen.

Also musste er Geduld haben und warten. Irgendwann würde man sich um ihn kümmern. Es wäre widersinnig, würde ihn ein Gegner leben lassen und sich nicht mehr für ihn interessieren. Man wollte etwas von ihm.

Vermutlich Informationen. Er war mit Atlan unterwegs gewesen. Vielleicht betrachteten ihn seine Kidnapper als Druckmittel, um an den Arkoniden heranzukommen.

»Ha! Ihr werdet euch wundern!«

Seine eigene Stimme klang sonderbar. So, als hätte er sie seit einer Ewigkeit nicht mehr benutzt. Sie klang schrill und ein klein wenig nach Panik. Die Lage setzte Gucky mehr zu, als er sich selbst gegenüber zugeben wollte.

Er konzentrierte sich auf sein Inneres. Ausgerechnet Bully, der als der spontanste aller Unsterblichen galt, hatte ihm in langen, ausführlichen Sitzungen beigebracht, wie man zu innerer Ruhe fand.

Guter, alter Reginald. Deine Freundschaft ist unbezahlbar. Wenn wir uns wiedersehen, bekommst du einen Freiflug über Neu-Terrania von mir spendiert. Ich bin mir sicher, dass du deinen Spaß damit haben wirst.

Die Erinnerungen an seinen besten Freund halfen ihm tatsächlich, zu mehr Ruhe zu finden. Er versenkte sich in ein einfaches Mantra, das ein Mohrrübenkompott zum Thema hatte, und wartete. Gucky lauerte auf diesen einen Augenblick, in dem sich jemand am Alkoven zu schaffen machte. Dann wäre er fort.

 

*

 

Die Müdigkeit überwältigte ihn, Gucky erlaubte sich dennoch keinen Schlaf. Immer, wenn ihn Trägheit zu packen drohte, putschte er sich mit besonderen Gedanken hoch. Wie würde er Rache nehmen an den beiden Tomopaten und ihren Helfern? Er würde sie nicht töten, aber der eine oder andere gebrochene Knochen ging schon in Ordnung. Oder sollte er lieber Ly und Genner ihre Krallenhände dorthin stecken, wo die Sonne nie hinschien?

Gucky fühlte Anzeichen einer Veränderung – und war augenblicklich bei der Sache. Jemand machte sich am Alkoven zu schaffen. Dieser Jemand war vorsichtig.

Obwohl Gucky seiner Parakräfte beraubt war, fühlte er, dass der andere mit größter Sorgfalt vorging. Er wollte ihm keinerlei Chance zur Flucht eröffnen.

Gucky wartete weiterhin und griff in möglichst kurzen Abständen mit seinen Gaben nach jener Lücke, die sich unweigerlich auftun würde. Nach einem winzigen Lichterschein im Dunkel seiner Begabungslosigkeit.

Da war das Licht. Der Hauch eines Paralichts, schwach und kaum funkelnd. Enttäuscht stellte Gucky fest, dass diese Chance zu klein war, um zu teleportieren. Auch Telekinese griff nicht, und Telepathie schon gar nicht.

Aber er hatte einen letzten Pfeil in seinem Paraköcher. Einen, den er zwar nur höchst ungern einsetzte, aber in diesem Fall musste er darauf zugreifen.

Gucky ertastete eine Abschirmung, die sich mithilfe der Schmerzensteleportation überwinden ließ. Seine Feinde hatten ihre Hausaufgaben schlampig gemacht. Andernfalls hätten sie ihm diese Möglichkeit zur Flucht nicht offengelassen.

Gucky sprang in diese zähe, widerliche Masse, die den Zugang zum Andersraum kennzeichnete. Der Vorgang war derart mühsam und schmerzhaft, dass er einen Schock erlitt. Einen, der all seine Erinnerungen beiseite wischte. Als er in der Ebene des Andersraums wieder zu sich kam, wusste er rein gar nichts mehr.

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Illustration: Dirk Schulz

 

*

 

Das waren nun seine Erinnerungen an all die Dinge, die er vergessen gehabt hatte.

Sollte das alles sein?

Nein.

Tröpfchen- und dann schubweise kehrte sein Wissen zurück. Eine Schicht an verloren gegangenen Gedanken legte sich um die nächste, so lange, bis er wieder der Gucky war. Der Überall-zugleich-Töter, der beste Freund der Terraner, der fähigste Parabegabte der bekannten Milchstraße – und das vielleicht einsamste Wesen des Universums.

Seine Kräfte allerdings waren nicht zurückgekehrt. Sie funktionierten nicht im Andersraum.

Er schritt schneller aus, auch wenn er nicht das Gefühl hatte, dadurch den Punkten am Horizont rascher näher zu kommen. Er musste sich beeilen. Er hatte diese bewegungslose Bewegung so satt ...

Gucky war nie ein guter Läufer gewesen. Seine Beine schmerzten schnell, und es kostete ihn gehörig Kraft, den Schwanz so weit anzuheben, dass er nicht über den staubigen Boden schleifte. Er keuchte und schleppte sich dahin, legte immer wieder kurze Pausen ein, um Luft zu holen, und eilte dann weiter.

Hatte es mit seinen Bewegungen zu tun, dass diese winzigen Punkte größer wurden – oder waren es sein Wunsch nach Veränderung und seine Willenskraft?

Es kümmerte ihn nicht. Seine Aufregung stieg, als sich die Pünktchen als Teile einer kleinen Karawane entpuppten.

Reittiere. Sechsbeinige Kamele, die sich hölzern durch die Landschaft bewegten. Links und rechts von ihren mächtigen Körpern hingen Körbe herab, die mit jeder Bewegung der Lasttiere in Schaukelbewegungen versetzt wurden.

Gucky hielt in seinem Lauf inne. Er konnte einfach nicht mehr. Also atmete er kräftig durch und massierte seine sauren Muskeln. Vor allem der Schwanz schmerzte gehörig von der starren, fast waagrechten Haltung.

Müde ging er weiter – und bemerkte erschrocken, dass die Karawane links an ihm vorbeiziehen würde. Hatte man ihn denn nicht bemerkt? Und überhaupt: Wo waren die Besitzer der Sechsbeiner? Bisher hatte er bloß die Tiere samt ihrer Körbe gesehen.

»Hierher!«, rief Gucky. »Schaut gefälligst hierher!«

Er winkte, sprang in die Luft, schleuderte Steine in Richtung der Karawane und schaufelte haufenweise Sand empor, sodass die Körnchen in diesem Raum völligen Stillstands langsam und majestätisch wieder auf ihn herabrieselten.

Nichts. Keine Reaktion. Die Tiere zogen weiter, stur und in einem sanften Wiegeschritt. Sie gingen einer uralten Spur nach, die ihre Urahnen womöglich zu Anbeginn der Zeit durch den Andersraum gezogen hatten. Vermutlich konnten sie gar nicht anders.

Heftiger Zorn packte Gucky. So sehr hatte er diese Begegnung herbeigesehnt. Seine Einsamkeit als letzter Ilt des Universums war bei Weitem nicht so schlimm wie eine Enttäuschung derart großen Ausmaßes. Was, wenn er die kleine Karawane wirklich verfehlte? War er dann gezwungen, bis zum Ende seines Lebens dieses tote Land zu durchwandern?

Er stampfte mit dem rechten Fuß auf, gab ein enttäuschtes Mausbiberpfeifen von sich und trommelte mit dem Schwanz auf den Boden.

Als wären dies die einzig richtigen Signale, hielten die Kamele abrupt inne – und wandten sich in seine Richtung. Sie hatten ihn bemerkt.

 

*

 

Die Tiere näherten sich quälend langsam. Sie ähnelten tatsächlich Kamelen mit sechs Beinen, allerdings besaßen sie robotische Körperkomponenten. Teile der Brust und des Hinterteils waren mit Metallplatten verziert, die wiederum mit glänzenden Nieten beschlagen worden waren. Mit jedem Schritt der Tiere entstand ein leiser Ton, der je nach Schrittlänge variierte. Gleichzeitig erzeugten die Tritte bildliche Symbole, die auf die genieteten Metallplatten übertragen wurden. Diese Bilder erinnerten Gucky an etwas. Er wusste nicht zu sagen, was es war. Womöglich hatte er doch nicht alle Teile seiner Erinnerungen zurückgewonnen?

Die Kiefer waren metallüberzogen, die Augen rot glühende Linsen. Als das Leittier einen Schrei ausstieß und die Karawane, bestehend aus insgesamt sechs Tieren, etwa 20 Meter von Gucky entfernt anhielt, stellte sich sein Nackenfell auf. Die Metallkamele wirkten wütend.

Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen, auf sich aufmerksam zu machen?

Das Schwanken der Körbe endete, die Kamele standen ruhig da. Wie auf Kommando gingen die Tiere in die Knie und verschränkten die Beine unter ihren Körpern. Das Leittier beugte seinen Hals unnatürlich weit nach hinten, in Richtung des linken Tragkorbes. Der Hals bestand aus ineinander verschobenen Elementen. Scherenelemente, die wie die Spielerei eines irrwitzigen Bastlers wirkten.

Nichts von dem, was Gucky sah, war moderne Technik. Doch es musste eine interne Rechnersteuerung geben. Ein positronisches oder anders höherwertiges Gerät, das die Kamele befehligte.

Er hatte zu viel gesehen und erlebt, um sich über derartige Hybridwesen zu wundern. Es gab im Universum nichts, das es nicht gab. Also nahm er die Existenz der Metallkamele hin.

Das Leittier öffnete die Klappe des einen Korbes mithilfe seiner weichen Nüstern, holte Nahrung hervor und wandte den Kopf wieder in Guckys Richtung. Gemächlich kaute es auf Körnern herum und spuckte immer mal wieder Schleim auf den Boden.

»Was seid ihr bloß für Geschöpfe?«, fragte Gucky. »Kann man sich mit euch unterhalten?«

Keine Reaktion. Alle sechs Tiere hatten sich mittlerweile an ihren Nahrungskörben bedient. Sie stierten ihn an, als warteten sie auf etwas.

Geduld war nie seine Stärke gewesen. Gucky ging auf das Leittier zu und streckte beide Hände aus. Vielleicht verstand es dieses Symbol der Offenheit und Friedfertigkeit? Würde der Steuerrechner des Tiers erkennen, dass er Kontakt aufnehmen wollte? Waren sie so etwas wie Wächter dieser endlosen Wüste, die nach Gestrandeten suchten und Meldungen an eine übergeordnete Einheit weitergaben?

Das Leittier hob den Kopf, als wollte es etwas sagen – und spuckte ihn an. Mitten auf die Brust. Das Zeug verfing sich in seinem Fell und verklebte es.

»Du verdammtes Vieh! Ich werde dir ... werde dir ...«

Was konnte er schon machen? Er war bloß ein Ilt mit einem leichten Hang zu einem Wohlstandsbauch. Völlig nackt, all seiner Fähigkeiten beraubt. Wenn er dem Tier auf die Nase hieb, würde es den Schlag vermutlich nicht einmal richtig spüren. Aber es würde auf den Angriff womöglich reagieren, seinen Hals ein weiteres Mal ausfahren und ihm den Kopf abbeißen.

Gucky beherrschte sich also. Er umrundete die Tiere, die wie an einer Perlenkette hintereinander aufgereiht dasaßen. Ihre Köpfe drehten sich mit ihm. Beobachteten ihn in völliger Synchronizität. Verfolgten jeden seiner Schritte.

»Was wollt ihr von mir?«, piepste Gucky, so laut er nur konnte. »Soll ich mich etwa auf einen von euch draufsetzen? Ist es das, weshalb ihr hergekommen seid?«

Die Metallkamele kauten gemächlich weiter. Nur das Leittier bewegte den Kopf nach oben und nach unten, als wollte es Guckys Frage bejahen.

»Also schön, ihr Teufelsviecher. Wenn mir etwas geschieht, schwöre ich euch, dass ich aus der Mausbiberhölle zurückkehre und euch telekinetisch die Hälse verknote.«

Gucky war klar, dass er sich gerade keine Freunde machte, sollte seine Begegnung mit den Tieren von einer Leitinstanz registriert und ausgewertet werden. Aber er war völlig erschöpft, ratlos und verzweifelt. Er hatte keine Ahnung, wie er jemals wieder aus dem Andersraum zurück in die Realität finden sollte. Die einzigen Wesen, die so etwas wie Hilfe versprachen, spuckten ihn an und verhielten sich feindselig.

Also ging Gucky schnurstracks auf das hinterste Tier zu, krallte sich kurzerhand im Körperfell fest und wuchtete sich auf seinen Rücken.

Es gab ein Grunzgeräusch von sich, mit dem es womöglich seiner Überraschung Ausdruck verlieh. Es spannte die Muskeln gut spürbar unter Guckys Hintern an – und schob sich wackelig in die Höhe.

Die anderen Metallkamele taten es ihm gleich. Sie verfielen in gemächlichen Schritt und setzten ihren Weg fort. Weiter in jene Richtung, die sie ursprünglich verfolgt hatten.

Gucky schwankte vor und zurück, immer wieder. Bereits nach wenigen Schritten wusste er, dass er diese Art des Reisens ganz und gar nicht mochte. Zu seinem Glück hatte er nichts in seinem Magen, das er von sich geben konnte.

 

*

 

Die Tiere wanderten gemächlich dahin, und während sie dies taten, veränderte sich die Landschaft nun doch. Es war, als würde die Karawane eine Realität im Andersraum schaffen, die Gucky verstand. Mit einem Mal hatte er wieder Hunger. Auch die Hitze machte sich unangenehm bemerkbar. Seine Kräfte allerdings kehrten nicht zurück. Weiterhin hinderte ihn etwas in seinem Kopf, darauf zuzugreifen.

»Wohin bringt ihr mich?«, fragte Gucky, an sein Transporttier gewandt. »Habt ihr so etwas wie einen Heimatstall, in den ihr zurückkehrt?«

Keine Antwort. Natürlich nicht. Diese Hybridwesen waren stumpfe Tiere ...

Ein Geräusch.

Etwas, das nicht zu dem beständigen Klingklang gehörte, das die Metallkamele erzeugten. Vielmehr eine Art Zirpen, das hinter ihm ertönte.

Gucky wandte sich um. Da war bloß ein weiteres Tier, das gemächlich kaute. Die beiden Transportkörbe schaukelten genauso weit hin und her wie die seines eigenen Transportkamels.

Der rechte Korb öffnete sich. Ein Kopf lugte daraus hervor, der dem einer großen Maus mit noch größeren Ohren ähnelte. Die Hörorgane waren durch biomechanische Prothesen ersetzt, die weitaus raffinierter gefertigt waren als die der Metallkamele.

Das Wesen schob sich bis zum Bauch aus dem Transportgestell und streckte die schlanken Arme weit in die Höhe, als würde es sich ausgiebig strecken. Es gähnte, eine silbrig glänzende Zunge wurde hinter einem einzelnen stumpfen Zahn sichtbar.

Ein zweites Wesen tauchte aus einem Transportkorb auf. Es hatte im Tragegestell des letzten Kamels gesteckt und wirkte ebenso wie das andere verschlafen.

Gucky sah die beiden Geschöpfe an. Fassungslos. Warum hatten sie sich nicht gerührt, als er aufgesessen hatte? Wer waren sie? Warum nahmen sie seine Anwesenheit derart selbstverständlich hin? Sie grinsten ihn pausbäckig an, ihre einzelnen Zähne schillerten im Licht.

Das eine Wesen sagte etwas, das andere ergänzte. Gucky verstand kein Wort. Allerdings waren da erneut vage Erinnerungen, als hätte er dies Sprache bereits einmal gehört.

»Tut mir leid, Jungs«, sagte er, »ihr müsst schon deutlicher reden. Aber schön, dass ihr da seid. Ihr hättet euch gerne etwas früher melden können. Ach ja, noch etwas: Eure Transporttiere sind nicht sonderlich gut erzogen. Wenn ihr sie und euch schon mit Prothesen umbaut, denkt bitteschön bei der nächsten Ergänzung daran, ihren Speichelfluss zu unterbrechen.«

Eines der Wesen rief mit schriller Stimme einen Befehl. Sein Reittier glitt aus der Reihe, ging einige schnellere Schritte und war gleich darauf neben Gucky. Sein Gefährte glitt an die andere Seite von Guckys Metallkamel.

Beide deuteten auf seinen Mund und zogen zugleich eiförmige Geräte aus ihren Tragegondeln. Gucky verstand: Er sollte weiterreden und damit den Wortschatz erweitern, den seine beiden neuen Freunde mithilfe eines translatorähnlichen Geräts aufzeichnen und analysieren wollten.

»Meine Güte«, plapperte Gucky, »was bin ich froh, dass wir uns gefunden haben! Ich hätte es nicht mehr lange ausgehalten in dieser verdammten Pettek-Wüste ...«

Die beiden Fremden bekamen große Augen und wedelten aufgeregt mit den kurzen, schlanken Armen.

»Pettek!«, wiederholten sie, »Pettek!«

Ein Zufallstreffer, nicht mehr und nicht weniger. Es gab mehr Sprachen, als man zählen konnte, und natürlich gab es Ähnlichkeiten. Pettek bedeutete im Jargon der beiden Wesen ganz gewiss etwas anderes ...

Sein linker Gesprächspartner schob sich ein gutes Stück aus dem Transportkäfig und tastete nach Guckys Arm. Die Bewegung fühlte sich sanft an. Doch das war es nicht, was Gucky zuerst zum Zittern und dann zum Weinen brachte.

Es war der Schwanz, der dem Fremden aus dem Steiß wuchs. Er war wie Guckys eigener. Ein echter Mausbiberschwanz.

 

*

 

Es dauerte eine Weile, bis sich Gucky beruhigt hatte und damit fortfahren konnte, die Translatoren der beiden mausbiberähnlichen Geschöpfe zu füttern.

Immer wieder unterbrach er und suchte nach Ähnlichkeiten. Sie waren unverkennbar da. Der Schwanz und der einzelne Zahn, der allerdings stumpf war wie der eines irdischen Bibers. Die übergroßen Ohren. Die zarten Hände, das in großen Teilen vorhandene Körperfell. Eine gewisse Verschmitztheit, die sich den beiden in die behaarten Gesichter gebrannt hatte.

»Ich bin Daidra«, sagte das etwas stämmigere Wesen, nachdem der Translator durch ein Blinken angezeigt hatte, dass er vorläufig genügend Daten gesammelt hatte.