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Nr. 3089

 

Das Atlan-Update

 

Der Mascant findet eine neue Bestimmung – der Plan der Cairaner bringt eine Bedrohung

 

Kai Hirdt

 

 

 

Pabel-Moewig Verlag KG, Rastatt

 

Cover

Vorspann

Die Hauptpersonen des Romans

1. Bericht Atlan

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

10.

11.

12.

13.

14.

15.

16.

Fanszene

Leserkontaktseite

Glossar

Impressum

PERRY RHODAN – die Serie

 

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Mehr als 3000 Jahre in der Zukunft: Längst verstehen sich die Menschen als Terraner. Mit ihren Raumschiffen sind sie in die Tiefen des Universums vorgestoßen und dabei immer wieder außerirdischen Lebensformen begegnet; ihre Nachkommen haben Tausende von Planeten besiedelt und sich den neuen Umwelten angepasst.

Perry Rhodan ist der Mensch, der den Terranern diesen Weg zu den Sternen eröffnet und sie seitdem begleitet hat. Nun steht er vor einer seiner größten Herausforderungen: Er wurde mit seinem Raumschiff, der RAS TSCHUBAI, vorwärts durch die Zeit in eine Epoche katapultiert, in der Terra und Luna verloren und vergessen zu sein scheinen.

Mittlerweile hat er in einem Zwilling unseres Universums die beiden Himmelskörper wiederentdeckt. Nun muss er nur noch einen Weg finden, sie zurückzubringen. Die Staubfürsten sind ihm dabei eine große Hilfe.

Im heimischen Universum spitzt sich die Lage derweil dramatisch zu: Die Cairaner treiben ihr Trajekt massiv voran, zu dessen Erfüllung Atlan und die Bleisphäre eine besondere Rolle spielen. Um die Kontrolle zu behalten, haben sie ihr Sternenrad in den Kugelsternhaufen M 13 befördert – und sie haben einen Trumpf in der Hand: DAS ATLAN-UPDATE ...

Die Hauptpersonen des Romans

 

 

Atlan – Der Arkonide erinnert sich an Dinge, die er nie erlebt hat.

Leutnant Millar – Ein Besatzungsmitglied erinnert sich nicht.

Jasmyne da Ariga – Eine Verbündete erinnert sich.

Ammu Avvagadse – Ein Vater offenbart sich seinem Sohn.

1.

Bericht Atlan

 

Die Galaxis ging den Bach runter, und ich war zum Zusehen verdammt.

Das cairanische Sternenrad stand im Zentrum von Thantur-Lok: riesig, mächtig, unangreifbar und – zugegeben – wunderschön. Direkt daneben, wenn man astronomische Maßstäbe anlegte, die Bleisphäre. Diese Hinterlassenschaft des Atopischen Tribunals war beinahe ein dunkler Zwilling des cairanischen Mordinstruments: ein Ellipsoid, so gewaltig, dass es das komplette Arkonsystem in sich verbarg. Aber anders als das weiß leuchtende Sternenrad war die Bleisphäre schwarzgrau.

Irgendwann in 1000 Jahren würde jemand Heldenlieder über diese Konstellation singen. Ich hoffte, darin eine Rolle zu spielen – als derjenige, der den Cairanern in den Hintern getreten, die Bleisphäre geknackt und die Arkoniden in ihre Heimat zurückgeführt hatte.

Im Moment sah es leider nicht danach aus. Ich stand hoch oben auf der Fahndungsliste der Cairaner, obwohl ich nur vage wusste, warum: Es ging um meine Ritteraura und darum, ihnen ein Tor zu öffnen. Fiel ich in ihre Hände, konnten die Folgen katastrophal sein. Aber je länger meine erzwungene Untätigkeit dauerte, desto eher war ich bereit, dieses Risiko einzugehen.

Zehn Tage war es her, dass die Cairaner die letzte Maske hatten fallen lassen. Die Versetzung von Tschirmayn, dem Zentralplaneten der gleichnamigen Baronie, war das wohl größte Verbrechen, seit die Terminale Kolonne vor 700 Jahren die Heimatwelt der Akonen zerteilt hatte. Tschirmayn existierte zwar noch, aber die Cairaner hatten den Planeten mit dem Weißen Schirm ihres Sternenrads umschlossen und aus der Umlaufbahn seiner Sonne herausgerissen. 45.000 Lichtjahre weit waren sie gesprungen und hatten ihn im Halo der Milchstraße ausgesetzt, im leeren, sonnenlosen Raum.

Während Tschirmayn langsam auskühlte und sich in eine lebensfeindliche Eishölle verwandelte, lief die Evakuierung auf vollen Touren. Die Arkoniden selbst durften dabei nicht helfen. Das hatten die Cairaner ausdrücklich untersagt und bei Zuwiderhandeln gedroht, weitere Planeten zu entführen. Aber sofort mit Bekanntwerden der Katastrophe hatte sich eine leistungsstarke Flotte aus Einheiten der Liga, der Jülziish und der Posbis zusammengetan. Die Arbeiten gingen zügig voran. Wahrscheinlich würde man nicht nur die Bevölkerung vollständig retten, sondern auch Flora und Fauna bergen und neu ansiedeln können.

Dass mir die Hände gebunden waren, brachte mich schier um den Verstand. Denn leider musste man sagen: Ich war am Schicksal Tschirmayns nicht ganz unschuldig. Ich wollte Buße tun, die Rettungsaktion an vorderster Front mitgestalten. Aber das Risiko war gewaltig. Konnte ich sicher sein, dass die Cairaner den Planeten nicht einfach nur deshalb zu einem eisigen Tod verdammt hatten, um mich aus der Deckung zu locken?

Nein, das konnte ich nicht. Und so blieb ich in meinem Versteck auf der THORA, dem terranischen Flaggschiff, das Reginald Bull mir für unbestimmte Zeit zur Verfügung gestellt hatte.

Eine Nachricht des Schiffskommandanten Holger Bendisson lockte mich aus meinem Quartier in die Zentrale. Die TARTS war von Tschirmayn zurückgekehrt – mein eigentliches Flaggschiff, seit ich als Mascant den Oberbefehl über die arkonidischen Flotten übernommen hatte. Geführt wurde es von meinem Stellvertreter, dem De-Keon'athor Markul agh Fermi. Er war ein extrem fähiger und zugleich ungewöhnlich aufrichtiger Offizier mit ausgeprägtem moralischem Kompass. Männer wie er waren, wie mir schien, in den letzten Jahrhunderten selten geworden.

»Kontakt herstellen!«, forderte ich.

»Haben wir schon versucht«, erklärte Bendisson mir lächelnd. Er lächelte immer. »Sie lehnen ab und wollen nur über eine gesicherte Verbindung sprechen.«

»Wo ist das Problem? Warum bauen wir keine auf?«

»Sie verstehen darunter etwas anderes als wir.« Der Kommandant vergrößerte einen Ausschnitt des Ortungsholos. Ein winziger Flugkörper war von der TARTS unterwegs zu unserer Position.

»Eine Sonde?«, fragte ich erstaunt.

»In der Tat könnte man es so nennen, wobei die Abmessungen eher ungewöhnlich groß sind«, erklärte Bendisson. »Mit individuellen, verplombten Codes. Standardflottenverschlüsselung ist ihnen zu unsicher. Sie halten es für möglich, dass die Cairaner diese kennen und alles mithören. Deshalb sollst du warten, bis der Container hier ist, und dich dann beim De-Keon'athor melden.«

In finsterer Stimmung brütete ich 20 Minuten lang, bis wir die heiße Ware endlich in einem Hangar gesichert hatten. Agh Fermi wollte wirklich ganz sichergehen, dass die Codes nicht in falsche Hände gerieten. Ich musste mich mit Fingerabdruck, Netzhautscan und Genprobe ausweisen, bevor die Sonde sich öffnete und mir Zugriff auf ihr Inneres gewährte.

Dein Stellvertreter entpuppt sich als kleine Plaudertasche, kommentierte mein Extrasinn das Bild, das sich mir bot.

Ich wusste nicht recht, was ich erwartet hatte: eine gläserne Bulle mit einem Datenträger darin, vielleicht erhöht deponiert auf einem Piedestal, am besten mit dramatischem Scheinwerferlicht in Szene gesetzt?

So theatralisch war agh Fermi nicht veranlagt. Mit der Bulle hatte ich zwar gar nicht falsch gelegen, aber die verplombte Kapsel bestand aus mattem Metall, nicht aus Glas. Und vor allem war es nicht nur eine, sondern 400 Stück davon, die in schmucklosen, eckigen Metallboxen auf mich warteten. Damit hatte agh Fermi für eine Weile vorgesorgt. Wenn wir in Zukunft vertraulich plauschen wollten, war bis auf Weiteres keine zeitraubende Lieferung mehr notwendig.

Unzeremoniös schnappte ich mir eine Codekapsel, schloss den Container und ordnete eine lückenlose Überwachung des Hangars an. Dann begab ich mich in meinen Bereitschaftsraum und legte meinen Daumen auf das vorgesehene Kontaktfeld. Ein Ende der Röhre glühte auf und verdampfte, ohne dabei mehr als leichte Wärme zu verströmen.

Ich entnahm einen Datenkristall und schob ihn in die Kommunikationsstation. Kurz darauf erschien ein Holo von Markul agh Fermi und, zu meiner Überraschung, Kristallbaron Larsav da Ariga. Wenn der Primus inter Pares der Vereinigten Baronien sich die Zeit nahm, um mit mir zu sprechen, musste etwas Wichtiges anstehen.

Seinem Rang entsprechend grüßte ich ihn zuerst, dann meinen Stellvertreter: »De-Keon'athor. Ich freue mich, euch zu sehen. Es ist ein zum Teil unerwartetes Vergnügen.«

»Wieso?«, fragte da Ariga. »Der Herrscher wird sich doch noch mit seinem obersten Feldherrn in Verbindung setzen dürfen?«

Ich zog den Mund schief. Prinzipiell hatte da Ariga recht, aber ganz so einfach war die Situation nicht. Ich hatte zwar nominell den Oberbefehl. Aber da die Cairaner nicht erfahren durften, wo ich mich befand, führte de facto agh Fermi die Flotte. Wenn es mir überhaupt gelang, mit ihm in Kontakt zu treten, musste ich ihm meine Befehle heimlich erteilen. Und oft genug hatte er sehr eigenwillige Interpretationen dafür gefunden.

Ich ging nicht auf die Bemerkung ein, das hätte nur Zeit gekostet. Ich hatte davon viel zu viel, aber die beiden anderen waren mit der Bewältigung einer Krise beschäftigt. »Wie schlimm ist die Lage bei Tschirmayn wirklich?«

»Was meinst du?«, fragte agh Fermi.

»Was über offizielle Nachrichtenkanäle hereinkommt, ist nicht schön«, antwortete ich. »Die Evakuierung und dass wir uns nicht annähern dürfen, auf fremde Hilfe angewiesen sind. Aber im Großen und Ganzen klingt es so, als könnte ein Armageddon mit unzähligen Todesopfern vermieden werden.«

»Und?«, fragte der Baron.

»Beruhigende Nachrichten erfüllen mich seit Jahrtausenden mit Misstrauen.«

Agh Fermi musste lächeln. »Dann muss ich dich bitter enttäuschen. Es ist alles wahr. Die Cairaner arbeiten mit Lügen und Täuschung. Wir haben beschlossen, auf die Wahrheit zu setzen. Die Terraner helfen, als ginge es um ihre eigenen Leute, und der Kommandant der Jülziish, dieser Lyirid Ghüra, ist brillant. Abgesehen von ein paar Unfällen, die bei einer solchen Massenevakuierung wohl unvermeidbar sind, gibt es bislang keine Opfer. Und wir gedenken, das so zu halten.«

»Wozu dann die Heimlichtuerei?« Ich hielt den Rest von der Codekapsel in den Erfassungsbereich der Aufnahmeoptik.

Da Ariga atmete kurz durch. Ich kannte diese Geste von ihm. Er musste ein unangenehmes Thema anschneiden. »Wir halten es für möglich, dass du einen Verräter an Bord hast.«

»Hmm.« Ich zog die Brauen zusammen. Niemand hört so etwas gern über sein Schiff, und ich hatte mit den Männern und Frauen der THORA einiges durchgemacht in den letzten Wochen. Aber ich war lange genug dabei, um den Vorwurf nicht einfach abzutun. Schließlich war ich erst kurz an Bord und hatte mit der Auswahl und Überprüfung der Besatzung nichts zu schaffen gehabt. »Wie kommt ihr auf die Idee?«

Agh Fermi übernahm. »Die Geschwindigkeit, mit der die Cairaner auf deinen Ladhonen-Vorstoß reagiert haben.«

Da war er, mein wunder Punkt. Die Allianz zwischen Cairanern und Ladhonen war lange Zeit verheimlicht worden und danach noch immer gewissermaßen inoffiziell, obwohl im Grunde durch den Gang der Ereignisse mittlerweile hinlänglich bewiesen. Für die Öffentlichkeit waren die beiden Völker verfeindet gewesen und hatten nur selten gemeinsam agiert. Ich hatte einen Keil zwischen die Fraktionen treiben wollen und den Ladhonen eine Zusammenarbeit mit den Arkoniden angeboten. Selbstverständlich auf Umwegen, denn ich hatte ja meinen Standort nicht verraten dürfen.

Die Versetzung Tschirmayns war die Strafe der Cairaner für dieses harmlose, taktische Manöver gewesen. Ich hatte einen freundlichen Funkspruch abgesetzt, sie verurteilten eine blühende Welt zum Tode. Quid pro quo.

»Was genau meint ihr?«, fragte ich.

»Wir wissen bislang wenig über das Sternenrad.« Da Ariga erzählte mir nichts Neues. »Aber wir gehen davon aus, dass die Versetzung eines ganzen Planeten Vorbereitung braucht. Und dafür haben sie zu schnell reagiert. Sie müssen vor deinem Funkspruch an die Ladhonen gewusst haben, was du vorhast.«

Das wollte mir nicht ganz einleuchten. »Das heißt aber nicht, dass jemand auf der THORA geplaudert hat. De-Keon'athor agh Fermi wusste ebenfalls im Vorfeld von dem Plan. Und ich vermute, du warst desgleichen im Bilde. Die Ursache kann ein abgehörter Funkspruch sein oder ein Verräter auf der TARTS oder im Kristallpalast.«

Noch während ich sprach, fiel mir auf, wie dünn diese Argumente waren. Gegen das Abhören von Funksprüchen hatten die beiden mit ihren individuellen Codes schon etwas unternommen. Zudem wurde mit Sicherheit auch auf der TARTS und im Palast jeder mit Zugang zu den sensiblen Plänen überprüft. Sie hatten ja nicht behauptet, der Verräter müsse bei mir an Bord sein, sondern nur gesagt, dass es so sein könnte.

»In Ordnung«, sprach ich daher schnell weiter, bevor mich jemand anders darauf aufmerksam machen konnte. »Ich werde auf der THORA nach einer undichten Stelle suchen. Abgesehen davon: Gibt es neue Ansätze, was wir gegen die Cairaner tun können?«

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Illustration: Dirk Schulz

»Ich hatte gehofft, mein Mascant hätte einen Plan entwickelt«, sagte der Baron.

Ich nickte. »Hat er. Allerdings ist er nicht ohne Risiko.«

»Riskieren wir, einen kompletten Planeten zu verlieren?«

Ich wusste nicht, ob das ein zynischer Witz sein sollte oder eine Spitze gegen mich, weil das nun mal das Ergebnis meines letzten Plans gewesen war. Also ignorierte ich die Bemerkung. »Militärisch können wir gegen die Cairaner nicht vorgehen«, stellte ich fest. »Was, wenn im Sternenrad neben der mörderischen Waffe auch eine gigantische Flotte steckt? Einer von Bulls Haluterspionen ist aus dem Rad zurückgekehrt, er könnte uns dazu wohl Einiges sagen. Aber mit mir hat Bull diese Informationen bislang nicht geteilt. Mit euch?«

Meine beiden Gesprächspartner schüttelten den Kopf.

Ich massierte meine Schläfen, als ich begriff, warum mein alter Freund bei den Terranern so geheimnisvoll tat. Er glaubte ebenfalls an einen Verräter. Das wurde lästig und hielt uns auf. Sollte der Betreffende sich auf der THORA befinden, würde ich mit Vergnügen ein Exempel an ihm statuieren.

»Ganz abgesehen davon«, fuhr ich fort, »ist das Sternenrad selbst eine furchtbare Waffe, sowohl gegen Raumschiffe als auch gegen ganze Planeten. Alles in allem ein Kampf, den wir nur verlieren können. Außer, wir verändern die Rahmenbedingungen zu unseren Gunsten.«

»Was hast du vor?«, fragte agh Fermi.

»Grundsätzlich haben wir zwei Möglichkeiten«, erklärte ich. »Wir dringen ins Sternenrad ein und schalten es ab. Allerdings: Selbst wenn das gelänge, hätten wir immer noch die Cairanerflotte am Hals. So weit kommt es aber gar nicht. Wir scheitern schon daran, dass wir mit unseren technischen Möglichkeiten nicht hineinkommen. Das ist also nur eine theoretische Option.«

»Du würdest diese Rede nicht halten, wenn dir nicht auch etwas praktisch Umsetzbares vorschwebte«, stellte da Ariga ganz richtig fest.

Ich lächelte verkniffen. »In der Praxis müssen wir einen Ansatzpunkt finden, um die Cairaner unter Druck zu setzen. Angeblich wollen sie dieses Universum verlassen, wenn wir auch nicht wissen, wie. Aber dass ich dabei eine gewichtige Rolle zu spielen habe, ist klar. Da ist ein Ansatzpunkt.«

»Ich ahne, worauf das hinausläuft.« Agh Fermi verbarg sein Gesicht halb hinter seiner Hand, eine Geste zwischen Unglauben und Fassungslosigkeit.

»Genau. Ich bin der Köder«, erklärte ich. »Die Cairaner werden mich jagen und fangen. Damit bin ich vor Ort, um herauszufinden, wofür sie mich brauchen. Am Ende muss ich nur noch fliehen und diese Information gegen sie verwenden.«

»Du bist ziemlich alt«, bemerkte da Ariga lakonisch. »Wie hast du bis heute überlebt, wenn du dein Leben so idiotisch aufs Spiel setzt?«

»Ich hätte andere Worte gewählt«, sagte mein Stellvertreter, »aber ich stimme dem Baron zu. Solange wir nicht wissen, wohin die Cairaner dich bringen wollen und wie du von dort wieder ...«

Eine Alarmmeldung ging auf meinem Pult ein. Ich unterbrach agh Fermi und ließ mir Holger Bendisson einblenden. »Was ist los?«

»Jemand hat den Container mit den Codekapseln geöffnet«, sagte der Kommandant.

»Was?«, rief ich. »Was ist mit der Überwachung, die ich angeordnet habe?«

»Wurde nicht ausgelöst. Zumindest nicht die der THORA. Wir haben ein Alarmsignal vom Container selbst bekommen.« Er schickte mir eine Holoaufnahme. Ich musste schlucken.

»Ich habe mitgehört«, sagte agh Fermi. »Da haben wir ja unseren Verräter! Ich habe mir die Freiheit genommen, ein paar zusätzliche Sicherungen einzubauen.«

»Du hast automatische Paralysatoren in diese Sonde bauen lassen?«, fragte ich.

Agh Fermi verneinte. »In die Kapseln. Nur du allein kannst sie entnehmen. Jeder andere wird betäubt. Aber keine Sorge, es ist eine schwache Dosis. Der Täter kann bald befragt werden.«

»Da bin ich nicht ganz sicher.« Meine Stimme war rau.

Ich leitete Bendissons Holo weiter. Es zeigte eine Frau in der Borduniform der THORA. Sie war im Moment der Paralyse zusammengebrochen und mit dem Kopf gegen einen der scharfkantigen Kapselbehälter geschlagen. Sie lag in einer gewaltigen Lache ihres eigenen Blutes.

Für mich sah es nicht so aus, als würde sie jemals wieder sprechen.

2.

 

Ich erreichte den Hangar kurz nach den Sicherheitskräften und zeitgleich mit den Medikern. Eine Wachtruppe stand etwas verloren herum. Ihr Leiter, Leutnant Millar, wusste nicht recht, was seine Leute tun sollten: Das Verbrechen war schon geschehen und hatte sich gewissermaßen selbst aufgeklärt. Zudem hatte die Behandlung der Patientin Vorrang vor der Spurensicherung.

Selbst dabei würde es wohl wenig zu tun geben. Der Fall lag ziemlich klar. Interessant war lediglich die Frage, wie Sergeant Halampa – so hieß die Verletzte – es geschafft hatte, die von mir angeordneten Sicherungen zu unterlaufen. Aber diese Frage würde man eher an einem Positronikterminal klären als am eigentlichen Tatort.

Die Mediker hingegen hatten alle Hände voll zu tun. Halampa war so unglücklich gestürzt, dass sie sich den Schädel gebrochen hatte. Eine Containerecke war knapp hinter der Schläfe mehrere Zentimeter tief in den Kopf eingedrungen. Noch war völlig unklar, ob das Gehirn dabei nur gequetscht oder verletzt worden war.

Noch im Hangar begannen die Mediker eine Notversorgung, damit der Blutstrom keine Knochensplitter ins Hirn oder andere Teile des Körpers trug, die später schwerwiegende Folgeschäden auslösen konnten. Mit selbststeuerndem Nanomaterial verschlossen sie durchtrennte Arterien, während Medoroboter feine transparente Kapillaren mit den offenen Enden verbanden und die ausbleibende Blutzufuhr durch Synthoplasma ersetzten, das sich automatisch der Blutgruppe des Verletzten anpasste. Ein lokal streng begrenztes Antigravfeld mit leichtem Unterdruck erleichterte es, die Wunde zu säubern und erste Knochenfragmente zu entfernen.

Während die Ärzte um Sergeant Halampas Leben kämpften, betrachtete ich das Umfeld. Es gab Kameras sowie Luftdruck-, Strahlungs- und Temperatursensoren. Wieso hatte nichts davon Alarm ausgelöst? Welche Manipulationen waren dafür notwendig, und wie hatte der Sergeant diese zuwege gebracht?

Ein überraschtes Schnaufen einer Medikerin riss mich aus den Überlegungen. Ich drehte mich zu ihr um. »Was ist los?«

»Keine Ahnung.« Sie sah mich mit aufgerissen Augen an.

»Was heißt das?« Seit Zehntausenden Jahren plagte ich mich mit Terranern herum, und in all der Zeit hatten allzu viele Angehörige dieses Volk es nicht gelernt, klar und verständlich Meldung zu machen.

»Sieh selbst!«

Sie winkte mich zu ihrer Patientin. Die Kopfwunde war mittlerweile gesäubert und blutete nicht mehr. Ein steriles Schutzfeld trennte Sergeant Halampas frei liegende kleine graue Zellen von der Umgebungsluft.

Allerdings waren die Zellen nicht grau. Jedenfalls nicht alle. Ein Areal von der Größe zweier Daumennägel war dunkelgrün verfärbt, und darunter zeichnete sich eine unnatürlich symmetrische, zylindrische Form ab.

Sergeant Halampa trug irgendein Gerät in ihrem Kopf, das dort nach menschlichem Dafürhalten nicht hingehörte.

 

*

 

Halampa war auf die Medostation gebracht worden. Spezialisten untersuchten ihr Quartier und ihren Arbeitsplatz. Ich selbst brütete über ihrer Akte und suchte darin nach einem Hinweis, was mit der Frau geschehen sein mochte.

Bislang erfolglos. Megrat Halampa stammte von Rudyn, war 32 Jahre alt und diente seit elf Jahren in der Raumflotte. Vor fünf Jahren war sie von der Mannschafts- in die Unteroffizierslaufbahn gewechselt und hatte sich bei mehreren Kommandounternehmen empfohlen. Deshalb war sie zwei Jahre zuvor auf Reginald Bulls Flaggschiff berufen worden und führte seitdem ein so tadelloses Leben, dass die terranischen Flottenpioniere aus der Epoche der furchtbaren lindgrünen Uniformen sie schallend ausgelacht hätten.

Sie leitete eine Raumlandeeinheit, war also für alle Unwägbarkeiten ausgebildet, die bei Kampfeinsätzen auftreten konnten. Mit anderen Worten: Sie verfügte über ein breites, aber oberflächliches Wissen. Die Sicherheitsprotokolle der THORA konnte man aber nur mit Spezialkenntnissen außer Kraft setzen, ohne Alarm auszulösen. Wie war ihr das gelungen?