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Wolfram Christ

Sex mit tödlicher Nebenwirkung

Thriller

1. Auflage der überarbeiteten Neuausgabe

Inhalt

Aus und vorbei

Wahnsinn mit Methode

Sarah

Ein Opfer kommt selten allein

Fragen über Fragen

Die Liste

Freiheit

In der Sackgasse

Weit weg

Kein Traum vom Glück

Tina

comediantes
Verlag für Lyrik und Belletristik
des 21. Jahrhunderts

e-book
ISBN 978-3-946691-08-2

© 2020 www.comediantes.de

Erstveröffentlichung 2012 im
AAVAA-Verlag Berlin

Aus und vorbei

Kaum hörbar arbeiteten die Kolben unter der Motorhaube. Ruhig und gleichmäßig. Ein sonores Summen. Regentropfen prasselten. Dick und schwer klatschten sie direkt vor meinem Gesicht auf die Frontscheibe. Das war kein Regen mehr. Das war Eis! Im Nu überzog ein jungfräulich weißer Film die linke Fahrspur. Der Laster vor mir erzeugte hässlich graue Fontänen. Ich stellte die Scheibenwischer schneller. Wirkung gegen null. Beschissenes Ende eines beschissenen Tages. Und das, so kurz bevor ich von der Autobahn runter musste. Nicht auszudenken, wenn der Brummi die gleiche Ausfahrt nähme.

Ein Blick in den Spiegel, ein Blick nach links, blinken und dann ganz vorsichtig das Lenkrad herum. Nur ein klein wenig. Das Gaspedal tiefer getreten.

Weich zog der Wagen auf die unberührte Überholspur. Frisches Weiß blendete im Scheinwerferkegel. Dichtes Treiben. Das Fahrgeräusch der Reifen änderte sich. Leises Knirschen.

Ich sah zur Temperaturanzeige. Null, minus nullkommafünf, minus eins. Das hieß, dass die Außentemperatur in kaum dreißig Sekunden, seitdem sich die Tropfen in Eisgraupel verwandelt hatten, um ziemlich genau fünf Grad abgestürzt war.

Ich befand mich jetzt direkt neben dem LKW. Irgendwie wurde ich das Gefühl nicht los, als würde mich sein Sog stärker als üblich nach rechts ziehen. Seine Radkästen kamen bedrohlich nah. Ich versuchte gegenzusteuern.

Glucksend und blubbernd umschmeichelte das warme Badewasser Sarahs Haut. Die Achtzehnjährige rekelte sich im Whirlpool. Sie dehnte sich, zog die Beine an, drehte sich leicht und streckte sie wieder aus. Sie wusste, dass der Mann sie beobachtete. Sie wusste es. Sie genoss es. Sollte er.

Strobel war ein alter Bock. Schwammige Visage. Dauergrinsen … wenigstens wenn Sarah sich in seiner Nähe aufhielt. Aber er zahlte gut. Sehr gut sogar. Jedes Gramm Fett seines Wabbelbauches ein Geldschein. Musste nur richtig gemolken werden. Und … Strobel hatte keine Angst. Keine Angst, ein Mädchen einzuladen, das viele andere neuerdings mieden. Das sie mieden, als hätte es die Pest.

Luftbläschen perlten am Nacken der Badenden aufwärts, spielten mit ihren Locken, kitzelten unten zwischen den Beinen. Sarah bekam eine Gänsehaut vor lauter Lust.

Strobel war dicht an die Wanne herangetreten, krempelte die Ärmel hoch und begutachtete sie mit unverhohlener Gier.

Sarah hielt seinem Blick stand.

„Möchtest du mich nicht bisschen verwöhnen? So vom großen Zeh an aufwärts?“ Dabei streckte sie ihren rechten Fuß aus dem Wasser. Der Mann griff zu. Schweiß brach ihm aus allen Poren. Wenn dieses junge, wundervolle Geschöpf ihn so selbstbewusst herausforderte, stieg in dem distinguierten Gentleman jedes Mal eine Hitzewelle hoch. Dann sah er sich außerstande, Haltung zu bewahren. Heute mehr denn je. Sollte er beunruhigt sein?

Wegen der Geschichte mit den Morden? Was, wenn er den Fuß einer eiskalten Killerin in Händen hielt? … Sarah? … Unsinn! Allein diesem Engel zuzusehen, wog jede Gefahr auf. Voll und ganz.

Strobel hockte sich nieder und begann, Sarahs Waden zu massieren. Und er massierte gut. Sehr gefühlvoll. Sie schloss die Augen. Seine Hand arbeitete sich langsam den Schenkel empor. Das aufregende Prickeln einer unkonventionellen Beziehung. Anders als die albernen Schulhofromanzen ihrer Klassenkameradinnen. Abenteuer pur. Gewinnbringend.

Außerdem waren die Erfahrungen der alten Kerle durchaus nicht zu verachten. Wie sanft entschlossen seine Finger ihre Brust umfingen. Sarah schnurrte vor Vergnügen wie ein Kätzchen.

Filialleiter Strobel, dem seriösen Banker, wurde über seiner freudvollen Tätigkeit der Atem knapp. Endlich zerrte er sich den Schlips vom Hals. Dann packte er Sarah. Das Leichtgewicht bereitete ihm trotz seiner Körperfülle keine Schwierigkeit.

Schwäche zu zeigen, konnte er sich ohnehin nicht leisten; jedenfalls nicht vor so einem jungen Ding.

Er packte sie, hob sie aus der Wanne und trug sie, tropfnass wie sie war, quer durch den langen Flur hinüber zum Schlafzimmer.

Das Mädchen kreischte auf, als er es mit Schwung auf sein mondänes Doppelbett warf. Sarah wusste genau, jetzt hatte sie ihn. Es gab kein Entrinnen. Er war ihr ausgeliefert. Nur noch einen Moment.

Der Mann keuchte. Sie machte ihn wild. Wie ein gehetztes Reh kauerte sich die Kleine an der oberen Bettkante zusammen. Taktik. Die Taktik einer Raubkatze, die auf ihre Chance wartet. Er war wie von Sinnen, kroch auf allen Vieren auf sie zu.

Aber kaum, dass er über sie kam, schnellte sie hoch und stürzte sich nun ihrerseits auf den wehrlos auf den Rücken kugelnden Mann-Käfer. Jetzt war sie der Chef im Ring. Seine Herrin. Fauchend zeigte sie ihm die Zähne.

Dr. Hartmut Strobel durchzuckte ein Glücksgefühl. Ihm schwindelte. Er sah sie nicht mehr, spürte sie dafür umso intensiver. Was für ein Mädchen! Fast ohne Überleitung ging sein atemloses Grunzen in ein genussvolles Aufstöhnen über. Was für ein Mädchen!

Wie ein Puck gegen die Bande des Eishockey-Feldes geschleudert, prallte der Wagen von der Mittelleitplanke zurück. Ein letztes Mal versuchte ich, meine Fahrkünste in die Waagschale zu werfen, dem Unausweichlichen zu trotzen. Es half nichts. Um mich drehte sich die Welt im Kreis.

Als das Karussell innehielt, sah ich den Brummi, den ich eben überholt hatte, direkt vor mir. Er raste mit kaum verminderter Geschwindigkeit frontal auf mich zu. Merkwürdigerweise kam er trotzdem nicht näher. Meine Räder rutschten immer noch. Rückwärts. Ich gab es auf, irgendetwas selbst tun zu wollen, ließ mit mir geschehen.

Verblüffend, wie ruhig mich diese erzwungene Passivität machte. Angst? Eher weniger. Dafür Neugier. Tatsächlich, Neugier. Was passiert, wenn mich das große Fahrzeug erfasst? Der Augenblick des Todes – finales Erlebnis oder Übergang in eine andere Dimension?

Noch blieb mir eine Galgenfrist. Noch schleuderte ich ein zweites Mal gegen die Leitplanke. Mit der Motorhaube. Ein Blitz. Bunte Plastik und schwarze Metallteile flogen.

Das Auto pendelte um seine Achse zurück. Es krachte erneut. Diesmal hinten am Heck. Dann tauchte der Lastwagen wieder vor mir auf. Ich musste mit unglaublicher Geschwindigkeit über das Eis segeln, dass er mich bisher nicht erwischt hatte. Und ich segelte weiter. Meter um Meter, der Standspur zu. Auf dieser Seite gab es keine Leitplanke. Nur Bäume, Gestrüpp und ein Feld. Abschüssig. Großer Gott!

Ein Stoß. Ich kippte. Ein Stück. Nicht völlig. Bis zu einem toten Punkt. Stille.

Unerträglich lange Augenblicke. Dann wippte der Wagen auf seine vier Räder zurück. Und endlich bewegte sich nichts mehr. Gar nichts. Schluss. Aus. Vorbei.

Mit Blaulicht und Sirene raste der Streifenwagen in Richtung Norden. Mitten durch ruhig verschlafene Straßen, fernab des Trubels im Zentrum. Gleich darauf ein zweiter und ein Zivilfahrzeug – ebenfalls mit Blaulicht. Zwei Notarztwagen folgten. Erstaunt hielten ein paar Passanten inne, sahen den Wagen nach.

Die Nacht war jung für Leipziger Verhältnisse. Genau genommen zu jung, als dass es schon die erste Schlägerei unter Betrunkenen sein konnte, die den Lärm verursachte. Zumal die, wenn überhaupt, in der entgegengesetzten Richtung zu erwarten wäre.

Noch strömten Vergnügungssüchtige den Tempeln der Spaßgesellschaft in der Innenstadt zu. Leute, für die die Nacht erst richtig anfing, wenn anderswo die ersten Wecker klingelten.

Fette Beats dröhnten aus den Betonkasematten der ehemaligen Stasizentrale. Treffpunkt der Backfische. Gegeelte Lackaffen fortgeschrittenen Alters protzten im alten Untergrundmessehaus am Markt mit breiten Goldkettchen und aufgetufften Bräuten. Unweit davon, zwischen beiden gelegen, hallte Gelächter aus verschiedenen Studentenkneipen und Kaffeehäusern durch die engen Gassen und Passagen.

Drüben im Metropolis ließen die, die wirklich Geld in der Tasche hatten, die Puppen tanzen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Mit langen Beinen auf hohen Tresentischen. Champagner! 80 Mark die Piccolo Flasche.

Die Stadt bebte. Sie fieberte dem Samstagmorgen entgegen. Endlich Wochenende!

Ristorantes, Pubs, Varietés, kubanische Bars, Bordelle, bayerische Bierstuben. Für jeden Geschmack das Passende. Neuankömmlinge mischten sich mit jenen, die schon vor Stunden aus der gesitteten Langeweile von Kinos und Theatern in das bunte Treiben der Straße gesickert waren.

Anders im Norden der Stadt. Dort, wo der Konvoi der Polizei- und Sanitätsfahrzeuge durch die Nacht jagte. Wo er schließlich in einer Seitenstraße zwischen noblen Altbauten anhielt. Hier war das pulsierende Leben der City nur mehr als fernes Echo zu erahnen. Und auch das erst, nachdem die hektisch aus ihren Wagen springenden Leute die Sirenen abgeschaltet hatten.

Ziemlich schräg stand ich zwischen zwei kleinen Obstbäumen im Morast des Feldraines. Der Schlamm hatte mich aufgefangen. Nicht auszudenken, wäre hier eine Leitplanke gewesen. Der Laster war an mir vorbeigerauscht und gut hundert Meter weiter hinten erst zum Stehen gekommen.

Ich hatte nicht das Geringste abbekommen. Kein Kratzer, kein Kopfschmerz, nichts. Das schien angesichts meines leichtsinnigen Überholmanövers so unwahrscheinlich, dass ich es kaum glauben mochte. Ein ungeheures Gefühl von Glück und Dankbarkeit. Klar, das Auto war hin, die Chance, noch vor dem Morgengrauen daheim zu sein, so gut wie vertan. Wochenendausflug ade. Eine Menge Bürokratie lag vor mir. Aber … ich lebte!

Der Brummifahrer und zwei Männer, die mit ihren PKW sofort gehalten hatten, um mir zu helfen, sahen mich ziemlich verwirrt an, als ich ihnen selig lächelnd erklärte, es sei nichts geschehen und sie könnten beruhigt weiterfahren.

Vermutlich waren sie der festen Überzeugung, dass bei mir durch den Schock einige Schrauben locker saßen. Womöglich hatten sie damit sogar recht.

Sie hatten meine Todesspirale mehr oder weniger ausführlich beobachten können und mit mir gelitten. Ich glaube, die drei waren blasser als ich.

Allerdings beunruhigte mich das Zischen unter der völlig zerbeulten Kühlerhaube. Dampf kroch aus den leeren Grotten, in denen sich bis eben Scheinwerfer befunden hatten.

Ich stellte das Warndreieck auf und postierte mich mit meinem Telefon in gehöriger Entfernung von der Unfallstelle. Ich wollte auf Nummer sicher gehen. Dann setzte ich alle, die es wissen mussten, über mein Missgeschick in Kenntnis. Automobilklub, Polizei, …

Die nasse Kälte, die mit dem Matsch über den Rand der Halbschuhe in meinen Körper drang, ließ die Warterei zur Tortour werden. Gestern Morgen hatte ich die Stiefel schon in der Hand gehabt. Das war schon mal die erste Fehlentscheidung des Tages gewesen.

Es klingelte. Einmal kurz. In der Villa der Webers rührte sich nichts. Der Samstagmorgen war dem vielbeschäftigten Manager normalerweise heilig. Seine Damen hielten ohnehin viel auf ihren Schönheitsschlaf. Es klingelte erneut. Diesmal länger, ungeduldig. Und gleich darauf zum dritten Mal. Ärgerlich rappelte sich Hannes Weber hoch. Ein Blick zur Uhr. Kurz nach drei. Was sollte der Unsinn?

Die Haustürklingel gellte ihm in den Ohren. Der aufdringliche Besucher gab nicht nach.

„Geh endlich und jag die Nervensäge zum Teufel!“ zischte seine bessere Hälfte unter ihrer Decke hervor. Mühsam wälzte sich der Mann aus dem Ehebett. Er bekam kaum die Augen auf. Ein Griff zum Morgenmantel.

Der Mensch an der Tür hämmerte inzwischen zusätzlich zum Klingelsingsang mit den Fäusten auf die Nerven der müden Hausbewohner ein. Das war zu viel! Weber explodierte förmlich. Was für eine Impertinenz! Mit Schwung riss er die Haustür auf.

„Himmeldonner …“

„Kathrin Kranz. Mordkommission. Herr Weber?“ Vor ihm stand eine energische Dame. Sie hielt ihm ihren Ausweis und ein Stück Papier unter die Nase. Hinter ihr zwei Uniformierte.

„Herr Weber, ich habe den Auftrag, Ihre Tochter Sarah in Haft zu nehmen. Sie steht unter dringendem Tatverdacht, heute Nacht einen Mord begangen zu haben. … Ist sie da?“

„Ja … nein … ich weiß nicht …“

„Darf ich?“ Ohne eine weitere Antwort abzuwarten schob sich die Polizistin an dem konsternierten Menschen vorbei.

„Würden Sie uns bitte zu Sarahs Zimmer führen.“

„Sie kommt am Wochenende immer erst sehr spät heim. Ich weiß nicht …“

„Würden Sie uns bitte Sarahs Zimmer zeigen!“ Die Stimme der Beamtin klang so ungeduldig wie zuvor ihr Klingeln und Klopfen. Weber machte eine hilflose Handbewegung.

Auf der Treppe erschien das bleiche Gesicht seiner Gemahlin. Mit weit aufgerissenen Augen verfolgte sie das Geschehen ohne wirklich zu begreifen, was da vor sich ging.

Das Mädchen hatte von all dem nichts mitbekommen. Sie war erst vor kurzem zu Hause eingetrudelt. Tief und ruhig ging ihr Atem. Ihre weichen Züge hatten etwas beruhigend Friedliches an sich. Eine Märchenprinzessin, die wach zu küssen kein Prinz umhin gekommen wäre. Sarah hatte einen festen Schlaf. Nicht einmal die krachend aufplatzende Tür konnte sie wecken. Erst als ihre Schwester Joanna sich auf sie warf, sie hin und her rüttelte, kam Sarah zu sich. Sie wollte den Quälgeist wegschubsen.

„Eh!“, knurrte sie wütend „Lass den Quatsch. Verzieh dich!“

„Die Polizei ist da. Du musst fliehen!“

Wie ein aufgescheuchtes Huhn stob die Kleine durch das Zimmer der großen Schwester, wühlte sich durch deren herumliegende Plüschtiere zum Schrank und begann, wahllos irgendwelche Sachen in eine Reisetasche zu stopfen. Sarah war plötzlich hellwach.

„Was? Spinnst du? … Hör sofort auf, in meinen Sachen …“

Durch die offene Tür trat eine fremde Frau ein.

„Sarah Weber? Ich muss Sie bitten, mich zu begleiten. Ziehen Sie sich an und packen Sie das Nötigste ein. Alles was Sie für einen längeren Aufenthalt benötigen. Zahnbürste, Nachtzeug und so weiter. Und Beeilung, wenn ich bitten dürfte.“

Wahnsinn mit Methode

Ich hatte mich kaum hingelegt, da klingelte das Telefon. Ich registrierte es im Unterbewusstsein und beließ es dabei. Wenn man die Nacht auf zugigen Autobahnen, mit gestressten Verkehrspolizisten, in überheizten Abschleppwagen und beim Werkstattnotdienst zugebracht hat, weiß man, wo man hingehört. Unter die Bettdecke! Und zwar möglichst bis zum Nachmittag. Ob darüber gerade die Welt unterging oder nicht, war mir im Moment ziemlich Schnuppe. Ich drehte mich auf die andere Seite und zog mir das Kopfkissen übers Ohr. Vergeblich. Mürrisch schob ich meine Füße in die Filzpantoffeln. Sie hatten gerade angefangen, warm zu werden.

„Hall …“, schnarrte ich in die Hörmuschel.

Was mich am meisten aus der Fassung brachte, war das viele Blut. Eine richtige Lache auf dem Teppich. Da, wo den Kreidestrichen nach zu urteilen der zusammengekrümmte Leichnam gelegen hatte.

Blut am Spiegel. Blut am Bettgestell. Tropfspuren quer über das Laken.

Blut auf dem Nachttisch.

Blut in jenem Becher, der normalerweise vermutlich den dritten Zähnen oder einer Aspirin vorbehalten war. Überall Blut. Mir wurde speiübel. Der blanke Horror.

Einer der Kriminaltechniker, die mit der Spurensicherung beschäftigt waren, schubste mich grinsend in den langen Flur zurück.

„Tschuldigung, können Sie Ihre aufsteigenden Magensäfte woanders abladen? Wir sind hier noch nicht fertig. Hat diesmal ganze Arbeit geleistet, Ihre hübsche Mandantin.“

Verständnislos blickte ich den Mann an. Er hob missbilligend die Brauen.

„Geben Sie’s auf. Nach der dritten Nummer im gleichen Stil haben Sie eh keine Chance mehr. Sie war’s. Die Beweise sind erdrückend. Wissen Sie, was wir hier alles an Haaren, Wollfusseln und so weiter finden? Unmengen! Und heute Nacht hat sie’s besonders heftig getrieben. Hat Ihnen das keiner erzählt? Das Wasserglas? Da steckte sein Pimmel drin. Den hat sie diesmal komplett abgesäbelt.“

Es dauerte eine Weile, bis ich das Bad wieder verlassen konnte. Edles Ambiente. Mir wurde das seltene Vergnügen zuteil, mich in die Sanitärkeramik einer bekannten deutschen Porzellanbude entleeren zu dürfen. Was die Angelegenheit, unter uns gesagt, nicht sonderlich angenehmer machte.

Nebenan, in der Wanne, sofern man diesen stattlichen Whirlpool überhaupt als Wanne bezeichnen konnte, stand noch das Badewasser des vergangenen Abends. Ob da Sarah …?

Außer den Spezialisten im Schlafzimmer, die weitere Hinweise auf das nächtliche Treiben sammelten, war niemand mehr am Tatort, der mir über den Stand der Ermittlungen etwas sagen konnte. Genau genommen hatte ich fürs erste auch genug gesehen und gehört.

Also verließ ich die ungastlichen Hallen so schnell als möglich. Höchste Zeit. Mein Magen meldete sich bereits zum zweiten Mal. So sensibel kannte ich ihn gar nicht. Vielleicht hatte ich mir letzte Nacht auf der Autobahn was eingefangen. Ein Wunder wär’s nicht.

Als ich auf dem Revier eintraf, hatte Sarah schon die erste Runde Verhör hinter sich. Kathrin Kranz, meine spezielle Freundin, war schnell. Zu schnell.

„Herrschaften! Hatte ich vorhin am Telefon nicht ausdrücklich gesagt, keine Befragung ohne mich? Frau Weber, wollen die Ihnen irgendwas anhängen? Ich hoffe, Sie haben nichts gesagt.“

Sarah antwortete nicht, starrte nur vor sich hin. Kathrin Kranz verdrehte die Augen.

„Brechen Sie sich keinen Zacken aus der Krone, Hall. Wir haben nur zwanglos geplaudert. … Übrigens: Guten Morgen!“

„Kann kein guter Morgen werden, wenn wir beide uns über den Weg laufen. Und zwanglos geplaudert wird hier auch nicht ohne mein Einverständnis. Merken Sie sich das bitte, Frau Kommissarin.“ Sie winkte ab.

„Spucken Sie keine Töne, Hall. Raten Sie Ihrer Mandantin lieber, endlich auszupacken. Wenn sie kooperiert, versprech ich Ihnen, dass ich mich für mildernde Umstände einsetze. Das würde uns nämlich ne Menge Arbeit sparen. Habe ich mich klar ausgedrückt, lieber Herr Hall?“

„Schon kapiert! Sie suchen ein bequemes Opfer, damit Sie um gründliche Ermittlungen rumkommen. Nicht mit mir! Und jetzt würde ich Sie bitten, mich allein mit meiner Mandantin reden zu lassen. Liebe Frau Kranz!“

„Vorsicht Hall! Wir lassen Sie hier mit Sarah allein. Aber überlegen Sie sich bitte anschließend ganz genau Ihre Wortwahl. Von Ihnen lass ich mir nicht auf der Nase herumtanzen. Nicht von Ihnen!“

Nachdem der Raum leer war, setzte ich mich dem Mädchen gegenüber. Mein Gott, sah die Kleine schlecht aus. Die weichen Gesichtszüge … verkrampft. Die sonst so leuchtenden Augen … stumpf und leer. Wirre Haare zottelten um blasse graue Wangen. Man hatte ihr anscheinend nicht mal Zeit gelassen, sich zu kämmen. Scheiße! Womit beginnen?

Seit ich vor gut einer Woche den Anruf von Weber bekommen hatte, ich solle die Vertretung seiner Tochter übernehmen, war so ziemlich alles schief gegangen, was schief gehen konnte. Dabei klang der Auftrag zunächst ganz simpel. Vermutlich aus Geldgier hatte sich die Göre auf ein Verhältnis mit einem reichen Gönner eingelassen.

Mit einem Professor der hiesigen Uni. Ein Bekannter des Herrn Papa. Eine einmalige Entgleisung, hatte es geheißen.

Dummerweise war der feine Lehrer auf ziemlich brutale Weise vom Leben zum Tode befördert worden. Einen Schnitt in den Penis und einen durch die Gurgel. Mit eiskalter Präzision und einer Art scharfem Messer. Von der Mordwaffe fehlte jede Spur.

Ausgerechnet am Vorabend nun hatte Sarah nachweislich ein Date mit dem alten Zausel gehabt. Mein Engagement sollte eine reine Vorsichtsmaßnahme sein. Leicht verdientes Geld.

Das zierliche Kind mochte hochnäsig, leichtsinnig, naiv und was weiß ich nicht alles sein. Von mir aus auch berechnend. Welche Frau wäre nicht berechnend? Dämlich war Sarah aber definitiv nicht.

Und so viele Spuren zu hinterlassen, wie sie es getan hatte, wäre, gesetzt den Fall, sie wäre die Mörderin gewesen, ziemlich dämlich gewesen.

Nein, sie war keine Mörderin. Diese Überzeugung ihrer Eltern teilte ich vom ersten Augenblick an unbesehen.

Drei Tage später allerdings änderte sich die Lage erheblich. Eine zweite Leiche. Wieder ein gut betuchter älterer Herr. Wieder die bekannte Schnittfolge. Wieder kein Raubüberfall. Dafür an der Nachttischlampe Sarahs Telefonnummer. Schluss mit lustig!

Sarah war um die Tatzeit herum zwar in einer Disco gesehen worden, vorher jedoch wies ihr Alibi Lücken auf. Schließlich musste sie zugeben, tatsächlich auch diesen Herrn besucht zu haben. Sie schwor Stein und Bein, dass er noch gelebt habe, als sie ihn verließ. Zeugen gab es dafür naturgemäß nicht. Die Story von dem einen alten Gönner war damit vom Tisch. Gab es vielleicht weitere Freier?

Jedenfalls fiel es zunehmend schwerer, die Staatsanwältin zu überzeugen, dass der von Kathrin Kranz geforderte Haftbefehl übertrieben wäre. Genau genommen hatte ich lediglich davon profitiert, dass die Frau Kommissarin die wundervolle Gabe besaß, sich überall nach Kräften unbeliebt zu machen. Ihr Diensteifer wirkte mitunter penetrant.

Jetzt allerdings sah ich wirklich keine Möglichkeit mehr, Sarah schnell aus ihrer Patsche zu helfen. Vielleicht war es am Ende sogar besser, sie ein paar Tage aus dem Verkehr zu ziehen. Warum begriff sie nicht, dass sie wenigsten das Ende der polizeilichen Ermittlungen abwarten musste, bevor sie erneut ihrem sicher lukrativen Zeitvertreib nachgehen konnte?

„Ich war es nicht.“ Sarahs Worte rissen mich aus meinen Gedanken.

„Aber Sie waren da, heute Nacht?“

„Schon. Aber ich war es nicht?“

„Wer war es dann? Haben Sie einen Verdacht?“ Sie schüttelte den Kopf.

„Können Sie mir sonst irgendwas sagen?“ Kopfschütteln.

„Und warum waren Sie da?“ Schulterzucken.

„Er hat mich angerufen.“

„Als Sie gegangen sind, hat er gelebt?“

„Ja.“

„Gut. Passen Sie auf. Wir kommen so nicht weiter. Die Haft kann ich Ihnen vorläufig nicht ersparen. Ich muss überlegen, was zu tun ist. Ihre Eltern konsultieren. Vielleicht gibt es eine Möglichkeit gegen Kaution. Sie sollten auf jeden Fall nachdenken, ob es nicht mehr gibt, das ich wissen sollte. Dass Sie es nicht waren, können Sie der Frau Kommissarin sagen. Sonst nichts. Kein Wort. Haben Sie mich verstanden? Lassen Sie mich reden.“ Sie nickte. „Und auch zu keinem anderen ein Wort, wenn ich nicht dabei bin. Versprechen Sie mir das?“

„Ja.“

„Gut, dann können wir die Bullen wieder rein lassen. Die scharren vor der Tür bestimmt schon ganz ungeduldig mit den Hufen.“

Es sollte ein Scherz sein. Irgendwie war uns aber beiden nicht zum Lachen.

„So gegen zehn ist sie gegangen. Was weiß ich wohin! Zu dem Kerl wohl. Oder? Mir erzählt sie ja nichts.“ Barbara Weber, Sarahs Mutter, schnäuzte sich. Ihre Augen waren rot vom vielen Weinen. Erregt sprang ihr Mann auf.

„Jedenfalls hat Sarah ihn nicht umgebracht.“

„Sagt sie“, warf ich ein.

„Das steht fest. So was würde meine Tochter nicht tun. Nie. …

Finden Sie raus, wer’s war und entlasten Sie Sarah! Das ist Ihr Job. Dafür bezahle ich Sie!“ Er schnaufte hörbar.

„Ich bin Anwalt, kein Detektiv! Wenn Sie es wünschen, kann ich aber gern einen engagieren. Könnte hilfreich sein.“

Die herablassende Art dieser Leute ärgerte mich. Schon beim ersten Treffen. Geringschätzig hatte Sarah mich taxiert. Ich stand nicht auf Designerklamotten. Und von Idealgewicht konnte keine Rede sein. Dafür lebte ich zu gern ein bisschen zu gut. Der wehleidige Blick aus den tiefen dunklen Augen des Mädchens zu ihrem Vater sprach Bände: ‚Muss ich wirklich mit diesem naduweißtschon Typen reden?’

Als sie dann zu sprechen begann, gab sie sich betont cool. Sie könne halt mit grünen Jungs nichts anfangen. Und wenn ein guter Freund einen einlade und einem was schenke, sei dagegen wohl nichts einzuwenden. Sei ihre Sache. Oder besser seine. Alles andere wäre dummer Zufall gewesen.

Gelangweilt ihre Stimme. Ausdruckslos ihr Gesicht. Lediglich die dunklen Augen ließen vermuten, dass sie zu anderen Regungen fähig war. Wunderschöne Augen übrigens. Was sollte ich von diesem Mädchen halten? Irgendwie passte das ganze Gehabe nicht zu ihr. Irgendwas war faul im Staate Dänemark. Genau genommen ging mich das alles jedoch nichts an.

„Fakt ist, wenn ich Sarah verteidigen soll, wenn ich ihre Unschuld vor Gericht beweisen soll, brauche ich konkrete Anhaltspunkte. Fakten. Was meinen Sie, was ein Staatsanwalt alles vorliegen haben muss, damit er einen Haftbefehl unterschreibt? Beim jetzigen Stand der Dinge bekomme ich Ihre Tochter nie im Leben aus der Untersuchungshaft. Selbst wenn Sie noch so viel Kaution bieten. Die Kripo hält das Mädchen für gemeingefährlich. Frau Kranz haben Sie ja kennengelernt. Wenn die sich in eine Sache verbeißt …“

Barbara Weber schluchzte. Ganz klein, völlig in sich zusammengesunken, kauerte sie in der riesigen Couchgarnitur. Krasser konnte der Kontrast zu dem riesigen Zimmer nicht ausfallen. Dunkles Parkett und schwere Teppiche gaben dem Raum ein wohlig gediegenes Aussehen.

Die breite Holztreppe, die ins Obergeschoß führte, teilte ihn in zwei Erlebnisbereiche. Der von mir aus gesehen hintere Teil war nur spärlich möbliert. Er schien so eine Art privater Galerie der Webers zu sein. Kräftige Farben und abstrakte Figuren dominierten. Bill, Müller-Eibenstock und Altenbourg. Nicht gerade Allerweltskram. Die Leute hatten Geschmack.

Am Fenster plätscherte ein Zimmerspringbrunnen. Ein ausladender Leuchter hüllte den Raum mit seinen Kerzen in warmes, weiches Licht. Es wehte ein Hauch von Vivaldi. Das Violinenkonzert. Kaum hörbar aber präsent. Ein Hauch eben. Hervorgezaubert von einer sündhaft teuren Musikanlage. Alles vom Feinsten. Unter normalen Umständen … ein Traum. Jetzt empfand ich die Atmosphäre als Alptraum.

Hannes Weber zuckte mit den Schultern.

„Und nun?“

„Hat sie denn nicht irgendwas gesagt, vorher oder hinterher? Nachdem sie weg war, meine ich?“ Schweigen.

„Wann sie wiederkam, weiß ich nicht.“ Das Sprechen fiel Barbara Weber sichtlich schwer. „Wir haben geschlafen. … Heute morgen … ich weiß nicht …“ Sie schluckte.

Immer wieder dieses ‚ich weiß nicht’. Ich weiß nicht. … So viel Nichtwissen über die eigene Tochter ging mir zunehmend auf die Nerven. Aber ich sagte nichts.