Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

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© 2015 Annegret Bodemer

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 978-3-739272696

Je mehr ich über die Schöpfung, ihre Prinzipien und Ordnung lerne, desto eher kann ich den Sinn und Zweck meines irdischen Lebens erkennen. Dafür bedanke ich mich bei meiner Mutter, die mir dieses Leben schenkte sowie bei meinen Kindern, die es wertvoll machen und insbesondere meinen verkörperten und entkörperten Freunden, die mir helfen meine Erkenntnisse in Handlung umzusetzen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

A.: Ursprünglich plagten gewisse Ängste meine Gedanken. Bin ich dieser Aufgabe tatsächlich gewachsen? Eine von vielen Fragen, die permanent in meinem Kopf kreisten.

Die Verunsicherungen der letzten Tage konnte ich nach langer Überlegung endgültig ablegen. Plötzlich spürte ich eine tiefe Entspannung, die mein Gemüt wie eine schützende Hülle umgab. Nun konnte ich mich der Aufgabe mit Freude und Gelassenheit stellen.

„Ich muss mich auf unsere non-verbale Konversation vorbereiten, um deine gesendeten Gedanken entschlüsseln zu können. Ich werde mir große Mühe geben, deine Botschaften sinngemäß auf Papier zu bringen.“

G.: Die Vorbereitung für dieses Vorhaben hat mich ebenfalls viel Mühe gekostet. Ich musste lernen, meine Vergangenheit zu akzeptieren, mich in eine neue Lebensform zu integrieren und letztlich die Kunst der Übertragung zu erlernen und zu beherrschen. Du weißt, Schreiben war nie meine Stärke. Eine Schule auf der Erde habe ich nie konsequent besucht. Daher musste ich mich im Organisieren meiner Gedanken üben – also, meine Gedanken sammeln und sie Schritt für Schritt loslassen.

Das Verlagen die Eindrucke und Erlebnisse in meiner neuen Heimat, besonders meiner irdischen Familie, zu vermitteln, gewann immer mehr an Priorität und hat mir keine Ruhe gelassen. Um diesen Schritt einzuleiten, durchwanderte ich einen steinigen Weg voller Hürden.

A.: Wie kann ich dich nennen?

G.: Günther. So hat mich mein Vater genannt. Er war der einzige in der Familie. Alle anderen riefen mich mit meinem zweiten Namen.

Zu Beginn möchte ich mich bei dir für deine Bereitschaft bedanken. Es wurde mir mitgeteilt, dass du nicht sofort einverstanden warst. Ängste erschweren unsere Existenz, egal auf welcher Ebene wir sie spüren. Sie begleiten uns nach der Entkoppelung von Leib und Seele und verfügen über einen langhaltigen Einfluss, bis wir sie vollständig ausgestanden und den Grund der Belastung erkannt haben. Bei dir war es, wie so oft in deinem Leben, die Angst vor Ablehnung.

Aber sei dir sicher, dass wir beide die Gnade bekommen haben, belastende Disharmonien aus unserem Leben auszuräumen und zu verzeihen. Diese Möglichkeit wurde uns zugetragen, völlig unabhängig von der Wirkung dieser Schrift nach außen. Zudem wurde meinem Wunsch zugesprochen, meiner Familie und allen, die es wollen, einen winzigen Einblick in die Lebensweise auf der anderen Seite zu gewähren.

Ich möchte noch hinzufügen, dass ich zuvor diverse Versuche anstrebte diese Erzählung ausschließlich meiner irdischen Familie zu übermitteln. Doch ich musste feststellen, dass es nicht realisierbar war. Sie hatten wunderschöne Träume, sahen Bilder meiner neuen Heimat, die ich ihnen immer wieder sendete. Doch nach jedem Tagesanbruch erblassten diese Gedanken, wie eine menschliche Silhouette im nebligen Ambiente.

Daher mussten andere Möglichkeiten gesucht werden bis mir gesagt wurde, du könntest es...

A.: Es ist für mich eine große Ehre. Ich freue mich sehr auf diese Erfahrung und auf alles was du zu erzählen hast. Wie du weißt, bin ich immer gerne gereist. Neue Länder, neue Lebensweisen haben mich stets fasziniert. Nun habe ich die Möglichkeit deine Welt kennenzulernen. Dafür danke ich dir von ganzem Herzen.

Leverkusen, 27.07.2014

Das Aufwachen

G.: Die Augen wollten sich nicht öffnen. Meine Augenlider fühlten sich an als wären sie aus Blei. Ich strengte mich an, aber sie fielen immer wieder zu. Du kennst dieses Gefühl, wenn ein grelles Licht dich blendet oder wenn du wach wirst aber die Augen sich nicht öffnen lassen. So war es an diesem Tag. Ich wachte auf, die Augen wollten aber nicht. Eine Gestalt kam zu mir und beruhigte mich.

„Entspanne dich... es wird schon...“, sprach die sanfte Stimme zu mir. „Ich versuche das Zimmer zu verdunkeln, damit dir das Erwachen leichter fällt“, fügte sie hinzu und wandte sich von mir ab.

Sofort umgab mich ein seltsames Gefühl der Geborgenheit.

„Nun, versuche es jetzt noch einmal“, sagte die Stimme, von der ich nicht einschätzen konnte, ob sie von einem Mann oder einer Frau kam.

Langsam spürte ich wie meine Augenlider sich bewegten und einen Spalt öffneten. Verschwommen nahm ich wahr, dass sich im Raum andere Menschen aufhielten. Einige Umrisse bewegten sich, andere wiederrum blieben vor mir stehen.

„Lass dir Zeit“, sagte die Stimme wieder an meiner Seite. „Wir freuen uns, dass es dir gut geht. Das Erwachen ist immer eine kleine Hürde, die überwunden werden muss. Aber ich versichere dir, keiner ist im Schlaf geblieben.“

Er oder sie richtete mich auf, so dass ich halbwegs im Bett saß; gab mir zu trinken und ermutigte mich endlich die Augen zu öffnen.

„Schau nach unten oder dreh deinen Kopf zur Seite. Es wird angenehmer für die Augen, denn das Licht wird abgeschwächt. Versuche es... Wenn es nicht geht, lassen wir es sein und starten morgen einen neuen Versuch.“

Ich ließ meinen Kopf auf die Brust fallen und schaute auf die Bettdecke. Es war tatsächlich einfacher. Der Spalt wurde immer größer. Es kostete mich viel Kraft aber ich konnte das weiße Tuch, welches meinen erschöpften Körper bedeckte, erkennen, dann die Gitter am Bett. Anschließend wanderte mein Blick zu meinen Füßen, die sich unter dem Lacken abzeichneten. Nachdem ich mich besinnen konnte, nahm ich einen, an meinem Fußende stehenden Fremden war, der sich gerade verabschiedete.

Erschöpft, drehte ich meinen Kopf zur Seite und sah der Stimme direkt in die Augen. Es war eine junge Frau. Sie trug ein langes, luftiges Gewand, welches bei jeder Bewegung wie eine Feder im Winde flatterte und seine Farbe bei unterschiedlichem Lichteinfall veränderte. So etwas habe ich nie zuvor gesehen oder nie wahrgenommen. Meine Sinne schienen auf dieser Seite des Lebens um ein Vielfaches sensibler zu sein.

„Seltsam“, dachte ich.

Mein Kopf war schwer und schmerzte bei jedem Gedanken.

„Geht es jetzt besser?“, fragte die junge Frau. „Ich sehe, du hast es geschafft die Augen komplett zu öffnen“, fügte sie sanftmütig hinzu.

„Wo bin ich hier?“, wollte ich wissen.

„In der Aufwachstation“ sagte sie und nahm ein kleines Gefäß vom Beistelltisch. „Ich werde dir diese Salbe auftragen. Dadurch wird das Sehen mit der Zeit schärfer und die Schmerzen werden gelindert. Die Dauer der Regeneration hängt vom Individuum ab. Jeder reagiert anders. Hauptsache ist, dass du ruhig und entspannt bleibst; dir Zeit nimmst zum Aufwachen. Der Prozess des Wachwerdens ist die erste große Hürde für Neuankömmlinge. Aber eines verrate ich dir: jeder muss dadurch! Übrigens, ich bin Schwester Lisa!“

Sie schaute mich an und lächelte. Ihr Gesicht strahlte so viel Ruhe und Vertrauen aus, dass ich mich ihren Worten nicht wiedersetzen konnte. Ich rutschte in die liegende Position zurück und versuchte nachzudenken, aber mein Kopf war seltsam leer. Ich fühlte mich völlig inhaltslos. Losgelöst von jeglichen Erinnerungen und Emotionen. Nichts als Leere.

Der angenehme Duft meines Kissens wiegte mich wieder in den Schlaf.

Zwei Tage später konnte ich die Augen ohne Schwierigkeiten öffnen. Ich hatte mich an das Licht gewöhnt. Das Aufrichten im Bett fiel mir nicht mehr schwer. Nun konnte ich auch Nahrung zu mir nehmen. Ich bekam morgens Brei, mittags Suppe und abends erneut Brei. Zu jedem Zeitpunkt befand sich eine volle Wasserflasche auf meinem Beistelltisch, die mich zum Trinken anregen sollte. Nach jedem Schluck, merkte ich, wie mein Körper sich darauf freute. Beim ersten Versuch, das Bett zu verlassen, knickte ich ein. Meine Gliedmaßen gaben nach als hätte ich jegliche physische Stabilität verloren. Zum Glück war der Pfleger nicht weit.

„Es ist noch zu früh um das Bett zu verlassen“, sagte er und setzte mich zurück. „Hab noch etwas Geduld. Ab morgen werden wir das Aufstehen üben. Erst das Aufwachen, dann das Aufnehmen von Nahrung, dann das Aufstehen. Was danach kommt, hängt von dir ab.“

Der Pfleger war groß und kräftig. So wie man sich einen trainierten Physiotherapeuten vorstellt. Wir vereinbarten das Training jeden Vormittag, zwischen Frühstück und Mittag. Und so war es auch. Er kam meistens zur gleichen Zeit. Zuerst ließ er seine großen Hände über mein Gesicht schweben. Obwohl es keine Berührung gab, spürte ich eine ungewöhnliche Energie, die durch meine Augen in meinem Körper hineinströmte. Anfangs war es unangenehm, ein seltsames und ungewöhnliches Gefühl. Mit der Zeit spürte ich die wohltuende Heilung. Jede Behandlung war nun eine Stärkung für meinen Geist.

Danach bewegte er meine Füße, Beine und Arme; massierte mir den Kopf und das Genick. Zu allerletzt streifte er, ohne mich zu berühren, einen sonderbaren Stab über meinem Körper. Dieser funkelte wie ein einsamer Stern am Himmel und wechselte, abhängig von der Körperstelle, seine Farbe. Dabei wirkte der Stab wie ein leuchtender Regenbogen, der den mühsamen Versuch anstrebte eine triste Landschaft auszuleuchten.

Der Therapeut war wortkarg und machte seine Arbeit sehr konzentriert. Sobald er fertig war, legte er die Hände auf seine Brust, schloss die Augen, forderte mich auf ihn nachzuahmen und versank in eine tiefe Entspannung. Später erfuhr ich, dass es ein Gebet war, eine Danksagung an allen Helfer und Helferinnen für die geleistete Arbeit. Nach den Behandlungen war ich immer sehr entspannt und gelöst, hatte keine Schmerzen, kein Unwohlsein, keine Beklemmung. Alles war gut und ich war ein Teil dieses Gefüges, dieses Ganzen.

Ein paar Tage später konnte ich die Füße auf den Boden setzen und stehen. Die Knie hielten stand und schon bald konnte ich die ersten Schritte wagen. Erst von dem Pfleger gestützt, dann alleine, mich am Bett haltend, bis ich voller Mut den Weg zum Fenster zurücklegte. Schwester Lisa kam jetzt nur einmal am Tag vorbei und war sichtlich erfreut über meinen Fortschritt.

„Bald wirst du diese Station verlassen. Ich freue mich sehr, dass du alles so gut und schnell überstanden hast. Wir wissen, wie schwer die erste Zeit bei uns ist...“

„Jetzt, nachdem ich mich an allem gewöhnt habe soll ich gehen?“, fragte ich.

„Ja! So ist es im Leben. Wir gehen durch viele Stationen, müssen unzählige Hürden bewältigen, viele Ängste durchstehen, um irgendwann im Licht aufzuwachen. Und gerade diese letzte ist einer der schwierigsten Unternehmungen, die wir leisten. Unsere Patienten befinden sich unter Schock, wenn sie hier ankommen. Der Vorbehalt, die Unwissenheit, das fehlende Vertrauen erschwert unsere Arbeit und somit die Genesung. Es vergeht wertvolle Zeit bis ein Patient bzw. sein Körper so entspannen kann, dass er unsere Hilfe und Medikamente annehmen kann. Wir alle wünschen uns eine Veränderung in dieser Hinsicht und sind diejenigen dankbar, die es leichter schaffen“, sagte Schwester Lisa sichtlich gerührt.

Sie machte eine Bewegung, als ob sie die Gedanken abschütteln wollte und fügte hinzu:

„Du wirst bald begreifen, wie schön das Leben ist; wie schön es ist hier zu sein... Ich freue mich über jeden Patienten, der diese Station verlässt. So auch für dich. Und... ich bin gekommen um dir zu sagen, dass es gleich morgen sein wird.“

Sie ging zur Tür, machte als Abschiedsgruß eine Handbewegung und verließ das Zimmer ohne sich umzudrehen.

Die Ankunft

G.: Angst begleitet mich schon mein ganzes Leben. Als meine Mutter verstarb – deine Großmutter – war ich siebzehn und der älteste Sohn. Die Last der Verantwortung auf meinen Schultern war enorm. Zu groß für einen Knaben meines damaligen Alters. Sie erdrückte mich. Keiner konnte wissen, was in mir vorging; jeder innerhalb der Familie war mit sich selbst beschäftigt und versuchte seinen Ängsten Herr zu werden. Aber dies erkenne ich erst jetzt; erst seit meinem Aufenthalt in der Aufwachstation habe ich die Möglichkeit erkannt, die Dinge ohne die Beteiligung von Emotionen und den Einfluss des Verstandes betrachten zu können.

Keiner konnte die Ängste erahnen, die sich in mir als Flüchtlingskind ausbreiteten. Gewaltige Ängste begleiteten mich als Vater nicht aus dem Krieg zurückkehrte, als wir gezwungenermaßen des vertraute Heim verlassen mussten, als wir das Schiff in einer unbekannten Welt und somit in ein ungewisses Leben betraten. Als der furchterregende Unfall meine Schwester – deine Mutter – lähmte, lähmte er uns alle.

Wir versuchten, das Leben so anzunehmen wie es kam, ohne uns daran zu beteiligen. Die Angst lähmte uns. Und als Mutter im Sterben lag, hatte auch sie große Angst. Nicht weil sie das materielle Kleid nicht ablegen konnte, sondern weil sie eine Horde ängstlicher Seelen zurücklassen würde, besonders die kleine Enkelin – dich.

Die Traurigkeit, die mich in diesem Moment überwältigt, ist in der Erkenntnis begründet, dass die Menschen sich wie ein Stück Treibholz im Fluss des Lebens treiben lassen. Die Eigenschaften des Flusses bestimmen den Weg und die Chancen zum Überleben.

Ohne Halt lassen wir uns von dem Lauf des Flusses lenken, in der Hoffnung, dass alles gut wird. Meine Ängste wurden nie weniger. Sie verstärkten sich mit der Zeit, fanden Grund und Boden in meinem Verstand. Dieser alles bestimmende Verstand unterdrückt die Belange der Seele, so dass sich die Ängste mehr und mehr manifestieren können.

Das Verfassen dieser Schrift ist die größte Gnade, die Gott mir durch die Liebe seiner Helfer gewährt hat. Nun habe ich die Möglichkeit mich in aller Form bei allen Menschen, denen ich Leid, Kummer und Schmerz zugefügt habe, um Vergebung zu bitten. Nichts rechtfertigte mein Verhalten.

Die Ängste machten aus mir einen Getriebenen, einen Verfolgten, einen Flüchtling, so wie in meiner Kindheit – jetzt nur kräftiger, überzeugter, erwachsener. Als Kind waren Verlustängste permanent präsent; als Erwachsener entwickelten sie sich zu Versagensängsten; im Alter waren beide die treibende Kraft zuzüglich der, welche mein Verstand von Zeit zu Zeit erschuf. Ich bin der Flüchtende aus der Kindheit geblieben... Ich suchte Zuflucht in der Ehe und im Kinderreichtum; ich flüchtete aus der Großstadt und vor mir selbst.

Aus einigen Lebenserfahrungen konnte ich Lebensmut schöpfen, dennoch suchte ich weiter nach innerem Frieden. Ich flüchtete in die Religion, in den Glauben. Dort habe ich Halt gefunden. Die Richtlinien gaben mir eine Richtung, und mein Vertrauen wuchs stetig an. So sollte es sein; dies hatte ich gesucht. Ich begab mich auf einen Pfad, der sowohl meine Verhaltensweise als auch moralische Einstellung bevormundete und mir zeigte was „Richtig“ und „Falsch“ sei.