978-3-943531-89-3.jpg

Der Normanne und die belagerte Stadt

 

Historischer Roman

von Claudia Speer

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-946531-89-3 (E-Book)

ISBN 978-3-946531-88-6 (Print Ausgabe)

 

© Burgenwelt Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Heerstr. 103 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Juliane Stadler

Umschlaggestaltung: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Eridanus IT-Dienstleistungen

1 – Schattenmann 

 

Ein Tag nach dem Fest des Heiligen Nikolaus,

anno Domini 1197

 

Schneeflocken schmolzen auf den Schultern des an den Baum gefesselten Lothringers. In den Haaren, auf Kopf und Rücken hielten sie sich länger, während sie am Boden bei jedem Schritt rasch zu glibberigem Matsch wurden und die Stiefel des Schattenmanns durchweichten. Das war nicht das einzige Ärgernis. Erneut zeigte sich, wie wenig man sich auf Laufburschen verlassen konnte.

»Es war nicht da. Ich schwöre es, bei allen Heiligen! Der Kaiser hat es, vermutlich.« Der lothringische Ritter schielte über die Schulter und versuchte seinen Peiniger im Auge zu behalten. Er umarmte nackt, wie Gott ihn geschaffen hatte, den Stamm der dicken Eiche. Die Fesseln zwangen ihn, sich zu strecken, damit sie nicht in die Handgelenke schnitten. Seine Knie zitterten vor Anstrengung und Kälte.

Nachsinnend drehte der Schattenmann eine schmucke, eher auf Repräsentation ausgelegte Klinge, mit einem Gold durchzogenen Knauf, von einer Seite zur anderen. Jemand hatte die Edelsteine aus dem Griff und der Schwertscheide herausgebrochen.

»Du hast mir eine Nachricht gesandt. Ich ging davon aus, dass du das Schwert geborgen hast. Stattdessen versuchst du, mich mit diesem Witz hier übers Ohr zu hauen, Dieterich. Das ist nicht, was ich erwartet hatte.«

»Ich dachte, ich hätte es! Dann merkte ich den Betrug und habe in Etiningem erneut die Fährte aufgenommen. Dieser Ritter, den ich in Strazpurc erledigt zu haben glaubte, ist wieder aufgetaucht, bevor ich mir seinen Knappen richtig vornehmen konnte. Er hätte tot sein müssen.«

»Du dachtest also.« Der Schattenmann kräuselte die Nase wegen eines Schneekristalls, der an ihrer Spitze haften blieb. »Wie amüsant.«

»Der Kerl ist ein Satan. Er hätte tot sein müssen. Ich schwöre es bei Gott! Da war diese Hexe, die hat ihm einen Zaubertrank gebraut!« Angst belegte Dieterichs Stimme.

»Verstehe, er war mit dem Teufel im Bunde.« Der Schattenmann rollte die Augen. Für gewöhnlich sagten die Leute solche Dinge über ihn, sobald sie begriffen, wie ihnen geschah.

»Es hat ihm nichts genutzt. Ich habe es gesucht. Sie haben es ebenfalls gesucht. Keiner hat es gefunden. Es ist nicht da! Es war alles Lug und Trug! Bitte macht mich los und lasst mich in die Kleider steigen. Ich erfriere«, behauptete der Lothringer, dabei rollten Schweißperlen von seiner Stirn.

Der Schattenmann seufzte und trat näher an ihn heran. »Ich stelle mir vor, wie die Wölfe heute Nacht heranschleichen. Sie lieben Gedärm und werden sich um die schmackhaftesten Teile zanken.« Er zuckte mit den Schultern. »Gehab dich wohl, mein Freund.« Damit wandte er sich zum Gehen.

»Was? Nein! Geht nicht. Es ist nicht meine Schuld. Thurstan und ich konnten nicht ahnen, dass dieser Teufel sich uns in den Weg stellen würde! Bitte macht mich los! Ich flehe Euch an!« Dieterich verlor mit jedem Schritt, den der Schatten sich seinem Pferd näherte, mehr an Fassung. Schließlich siegte die Wut. »Gott verfluche diesen verdammten Bastard!«

Der Schattenmann nahm die Zügel auf und stellte den Fuß in den Steigbügel. Dieser Kerl verhielt sich wie ein Waschweib. Seine Tiraden brachten ihn zum Schmunzeln. »Wen meinst du? Mich etwa?« Er würde der Sache selbst nachgehen. Excalibur löste sich nicht einfach in Luft auf. Der Trottel hatte etwas Entscheidendes übersehen.

»Gisborne – dieses Aas – Guy of Gisborne!« Dieterich spuckte beim Sprechen. Vor Wut spannte er die Muskeln, bis die Fesseln in die Haut schnitten. Das Lächeln des Schattenmanns verlor sich. Er nahm den Fuß wieder aus dem Steigbügel und setzte ihn zurück in den Matsch. »Wer?«

Der Lothringer witterte Morgenluft. »Guy of Gisborne. Ich schwöre, die Ratte persönlich umzubringen!«

Beim Aufsteigen dachte der Schatten über den Vorschlag nach. Er entnahm der Geldkatze ein paar Silbermünzen und warf sie in den Matsch. Dann zog er den Dolch aus dem Gürtel, den er dem Ritter abgenommen hatte und wog ihn in der Hand. »Das wird nicht nötig sein. Ich kümmere mich selbst um die Sache.«

Dieterich keuchte und verrenkte sich den Hals. Er riss an den Fesseln. »Nein! Bitte!«

Die Klinge bohrte sich ein Stück über dem Seil in den Stamm. Wenn es dem Lothringer gelang, am Baum hochzuklettern, es ertrug, sich seine Weichteile an der rauen Borke wundzureiben, mochte er überleben. Niemand sollte behaupten, er sei nicht großzügig. Natürlich gab es jene, die das Gegenteil erfahren hatten. Die waren allerdings nicht mehr in der Lage, es zu bezeugen.

»Reite nach Hause. Ach ja, vergiss, was du gesehen oder gehört hast, falls du an deinem Leben hängst.« Der Schattenmann wendete sein Pferd und trabte davon. Gisborne, also. Wie überaus pikant.

 

2 - Schuldigkeiten

 

Guy bürstete kräftig über Cornelius’ Flanke – und brach die Bewegung abrupt ab. Er ließ sich mit schmerzverzerrtem Gesicht gegen sein Streitross sinken. »Der Teufel soll den Schreiberling holen«, zischte er durch die zusammengepressten Zähne und schickte einen Aufschrei hinterher. Wie sehr er Jakob brauchte, zeigte sich täglich: Stallarbeiten, Besorgungen, das grässliche Teutsch. Pure Selbstüberschätzung hatte ihn dazu getrieben, den Jungen ziehen zu lassen.

Nachdem der Bursche endlich eingewilligt hatte, Knappe zu werden, befiel Guy ein gewisses Wohlwollen gegenüber dem meckernden Jüngling. Hoffentlich hatte sich seine Reise nicht durch den Schneefall der letzten Tage verzögert. Je eher er zurückkam, umso besser. Der Ritt nach Augsburg war zu keiner Jahreszeit ungefährlich und vor allem weit.

Sein Blick wanderte zu dem Bündel am Boden, das neben den anderen Habseligkeiten lag. Ein guter Ort für König Artus’ Schwert Excalibur. Bei seinem Hengst war es sicherer als in den Gästeunterkünften des Hofguts. Cornelius duldete keine Fremden im Verschlag. Guy durfte es nicht verlieren. Freunde hatten dafür ihr Leben gelassen. Und er selber war mit Jakobs Hilfe nur knapp dem Flammentod entronnen.

Gedankenversunken grinste er und zog den Striegel bedächtiger über den Rücken des Pferdes, während der Hengst am Boden nach Fressbarem stöberte. Guy vermisste Jakobs aufsässige Widerreden bereits.

»Verdamm mich, Cory.« Beim Kosenamen gerufen, drehten sich die Ohren des Rosses zu ihm. Es mochte makaber erscheinen, einem Tier den Namen des ermordeten, jüngeren Bruders Cornelius zu geben. Guy verlieh es die Kraft auszuhalten, bis er heimkehren und den letzten Rest der Schmach, die ihm widerfahren war, tilgen konnte. Fast vier Jahre irrte er schon auf dem Kontinent herum. »Richard hat keine andere Wahl. Er muss mir die Burg übergeben, bei einem solchen Geschenk.« Der Hengst stimmte seinem Herrn schnaubend zu.

»Sicher, ich muss einen Weg finden, dort hinzukommen, ohne von den Franken oder einem normannischen Ritter abgeschlachtet zu werden. Das ist in der Tat knifflig.«

Löwenherz hielt sich, wie man hörte, auf der im Bau befindlichen Festung bei Les Andelys auf. Die Ritterschaft zerriss sich das Maul über die hohen Kosten. Darüber, wie es dem englischen König gelang, nach der horrenden Lösegeldforderung des Kaisers in so kurzer Zeit dieses Bollwerk zu errichten.

»Hab Geduld, mein Freund. Es wird sich ein Weg finden. Zunächst der Rücken und Jakobs Rückkehr. Und mit ein bisschen Glück kommen wir an genug Münzen, um unsere Ausrüstung standesgemäß aufzustocken«, erklärte er dem Pferd. Der Gedanke, Richard Löwenherz huldigen zu müssen, verursachte ihm Bauchgrummeln. Er wollte sich einen letzten Rest Würde bewahren. Der König hatte stets jede Gelegenheit genutzt, ihn zu demütigen.

Unvermittelt hob der Hengst den Kopf und drängte vorwärts. Guy stieß ein Knurren aus und knuffte das Tier in die Flanke, damit er ihm nicht auf die Füße trat. »Verräter! Dich wird eines Tages der Schinder holen, das prophezeie ich dir.«

Die Stalltür klapperte den ganzen Tag, ohne die Beachtung des Hengstes zu finden. Nur ein Geräusch hatte das verräterische Pferdeherz im Sturm erobert: Es waren die leichten Tritte der Hexe. Sie hatten sich in Guys Gedächtnis geprägt, mitsamt dem Bild ihres geschmeidigen Körpers, den glänzenden Locken und diesem energischen, von eigenem Willen geprägten Gesicht. Miriam schlüpfte herein.

»Na, wie geht es meinem Liebling?«, säuselte sie mit sanfter Stimme.

Wie redete sie mit seinem Schlachtross? Die heimtückische Absicht, sich bei Cornelius einzuschmeicheln, erkannte er ohne Übersetzung. Dafür, dass er die Frau am Hals hatte, einen weiteren Fluch auf den Knappen. Miriam sprach weder die einfache Zunge der Angelsachsen, die er und Jakob üblicherweise gebrauchten, noch die des englischen Adels. Zwar erahnte Guy zwischenzeitlich die meisten Inhalte dessen, was hierzulande gesprochen wurde, das reichte jedoch hinten und vorne nicht für eine Unterhaltung.

Der Rappe wieherte ein Willkommen für die Hexe. Guy schnaubte und gesellte sich neben das Schlachtross. »Was mackst dou hiea, Frow?« Die Zunge würde ihm noch im Mund verfaulen, wenn sie sich auf Dauer so verbiegen musste.

Miriams Aufmerksamkeit galt einem Beutel, den sie umhängen hatte. Sie erschrak und wich einen halben Schritt zurück. »Huch, Ritter Griesgram! Ist der Stall jetzt Euer Zuhause geworden? Hätte ich geahnt, wie tierisch Ihr Euch fühlt, hätte ich Euch auch einen Beißwurz mitgebracht.« Sie zog die pfahlartige Wurzel aus dem Beutel und der Rappe stürzte sich mit Genuss auf das Gewächs.

Guy runzelte die Stirn. »Willst du wohl aufhören, mein Pferd zu vergiften, Weib?«, schimpfte er in seiner Zunge.

Miriam freute sich, wie eifrig der Hengst die Wurzel zermalmte und dabei einen scharfen Dampf freisetzte, der Guy zum Husten zwang. Sein Protest ließ sie ungerührt. Er kletterte aus der Box. »Was ist das für ein Teufelszeug? Was dou gebe?«

Das aus Basel geflohene Weib verjüngte sich, wenn Freude ihre Züge erleuchtete. Sie war eine halbe Jüdin und hatte bei ihrem Vater das Heilen gelernt. Guy baute sich dicht vor ihr auf. Sie lachte trotz des grimmigen Ausdrucks und fischte ein dünnes Überbleibsel der Wurzel aus ihrem Beutel. »Hier, versucht es ruhig selbst. Das könnte einem alten Dachs wie Euch die Laune aufbessern!«

»Das nickt guut.« Guy gab sich Mühe, unfreundlich zu sein, damit sie gar nicht erst auf die Idee kam, er könnte sie mögen. »Gäh, ick nix braucken.«

Seine Grobheit beeindruckte die Frau kein Stück. Sie hatte ihm mit ihrer Kräuterkunst das Leben gerettet. Die Brandwunden auf dem Rücken hatten ihn beinahe umgebracht. Eine einfache Wahrheit und doch verübelte er ihr den Schock ihrer ersten Begegnung – den Moment, als ihr Antlitz sein Herz in Brand gesteckt hatte.

Sie war weder reich noch adelig. Ein schlauer Ritter suchte sich eine Frau mit Mitgift. Überhaupt, es kam zu spät. Nach Marians Verrat würde er keinem Weib mehr trauen.

»Glaubt Ihr, ich will Euch vergiften?« Miriam biss ein Stück ab. Die Schneeflocken in ihren Haaren schmolzen zu Wassertropfen, die trotz des dämmrigen Lichts wie das Geschmeide einer Königin funkelten. Er widerstand dem Drang, mit den Fingern darüber zu streichen.

Herr im Himmel, nimm diesen Bann von mir. Sein Stoßgebet fand keinerlei Gehör. Er griff nach der Wurzel, steckte sie in den Mund und zerrieb sie mit den Backenzähnen. Schärfe breitete sich auf seiner Zunge aus, stieg in die Nase, durch die er hastig Atem holte. Ein Fehler, der das Leiden verschlimmerte.

Miriam kaute und lächelte. Der Hengst hatte das Gewächs begeistert verschlungen, da würde er doch mit einem einzigen Stückchen zurande kommen. Sollte es ruhig jedes Gefühl für sie aus ihm brennen. »Du siehst, du kannst mich nicht bezwingen«, krächzte er und spuckte den Brocken heimlich ins Stroh, sobald Miriam sich dem Hengst zuwandte.

»Ich verstehe Euer Inselkauderwelsch nicht. Ich frage mich, wie Jakob es mit Euch ausgehalten hat. Hier …«, sie entnahm ihrer Tasche einen Tiegel. »Lasst mich Euren Rücken sehen.«

Guys Widerborstigkeit erlosch. Er stieß ein Seufzen aus. Das Öl, alles womit sie ihn bisher behandelt hatte, half ausgezeichnet. Er löste seinen Waffengurt. Jedes Opfer schien ihm gerechtfertigt, um seine alte Stärke zurückzugewinnen. Miriam schmunzelte, führte ihn nach draußen und ließ ihn auf dem Rand des Brunnentroges Platz nehmen. Sie half ihm, das Hemd über den Kopf zu streifen, und zog die Wundtücher vorsichtig ab. Ihre warmen Hände bildeten einen woh­ligen Kontrast zum beißenden Frost, der ihm unter die Haut kroch. Sie durchbrach die dünne Eisschicht im Trog, um die Tücher auszuwaschen, und tupfte die Wundränder ab. Jede Berührung schmerzte, jedoch lange nicht mehr so, wie noch vor einigen Tagen.

»Ihr habt Glück, es trocknet alles sauber ab. Wenn sich alle Wunden wieder geschlossen haben, werdet Ihr gut damit leben können. Ich hoffe, dieses dumme Stück Eisen war der Mühe und der Schmerzen wert.«

Eisen? Meinte sie das Schwert? Guy warf einen grimmigen Blick nach hinten. »Nickt davon sprecken, Frow.«

»Nein? Soll ich nicht? Jakob glaubt an den guten Zweck. Aber was ist mit Euch? Seid Ihr der Meinung, der Kampf um ein wie auch immer geartetes Ding rechtfertigt all das? Ihr Männer macht es euch leicht, Unheil mit Ehre und Gewissen zu entschuldigen, zu kämpfen und zu sterben für die nichtigsten Anlässe. Wir Frauen dürfen es flicken, die Scherben aufkehrten und für eure verlorenen Seelen beten.«

Guy schloss die Augen, als sie das Öl auftrug, das zunächst leicht brannte und sich dann warm und wohltuend ausbreitete. Miriams Rechte ruhte auf seiner Schulter und ihre Fingerspitzen schienen sein Schlüsselbein zu liebkosen. Das musste er sich einbilden. Ihrem Tonfall entnahm er eine Anklage und sie hatte nicht unrecht damit.

Schuld lag in mannigfaltiger Weise auf seiner Seele. Er dachte an seinen Freund Adelphos, der in seiner Obhut starb, als sie es eigentlich schon geschafft hatten. Und an König William, der nicht mehr als ein geschundenes Kind gewesen war. Trotzdem war ihnen Excalibur zugefallen. Am Ende ohne sein Zutun. Wer, wenn nicht Gott, hatte Jakob mit der Nase auf das Schwert aller Schwerte gestoßen? Das schien so unglaublich, dass er sich beherrschen musste, die Waffe nicht stundenlang anzustarren. Fragte sie ihn, ob es das alles wert gewesen war? Wie sollte Guy das wissen, bevor er das Lehn seines Vaters in Händen hielt? War es zu eigennützig, wenn er es zu diesem Zweck nach Hause brachte? Die Opfer, die bisher erbracht wurden, waren groß. Vielleicht stiegen sie noch.

Er hoffte, das Richtige zu tun. Und auf eine winzige Chance, nicht für all die Sünden in der ewigen Verdammnis zu landen. Guy griff nach der Hand auf der Schulter und hielt sie fest. Er hätte es lassen sollen. Es verstärkte einen unerfüllbaren Wunsch. »Jakob dick gerettet hat. Schweig Frow. Nickt gut sprecken hiea«, zischte er barsch.

Miriam atmete langsam aus und presste ihm ein neues Tuch auf den Rücken. Es haftete am Öl. »Schon gut, Ritter Griesgram. Ich weiß, ich bin nur eine Last für Euch.« Sie half ihm beim Anziehen und kehrte ins Gästehaus zurück.

 

 

Stimmen und Geklapper weckten Guy in aller Herrgottsfrühe. Die Seilwinde des Hofbrunnens quietschte, schlurfende Schritte bewegten sich auf den Stall zu, die Knechte und Laienbrüder machten sich an die Arbeit. Ihre flackernden Lampen durchdrangen kaum die Dunkelheit. Der Hengst blies ihm warmen Atem ins Gesicht und scharrte mit dem Vorderhuf.

Guy gab ein langgezogenes Stöhnen von sich, lehnte sein Schwert, das er die ganze Nacht festgehalten hatte, an die Wand und schälte sich aus der kratzigen Pferdedecke.

Cory schnappte nach dem Lederwams und zog Guy mit einem Ruck auf die Beine, bevor der in der Lage war zu reagieren. »Hey, Frechdachs!« Der Hengst ließ ihn los und scharrte erneut mit den Hufen. Hastig überprüfte Guy, ob die Kleidung den Zähnen standgehalten hatte. »Das hat dir Dornhall beigebracht, was?« Es waren nur wenige Wochen vergangen, seit er den Vorbesitzer des Tieres in die Hölle geschickt hatte. Je mehr Cornelius ihm vertraute, umso interessantere Fähigkeiten offenbarten sich. Für ein Pferd schien er außerordentlich schlau zu sein. Er tätschelte den Rappen und räkelte sich. Das Läuten zur Prim musste er glatt verschlafen haben, obwohl er jede Wette abgeschlossen hätte, kein Auge zubekommen zu haben.

»Gott zum Gruß, Ritter Gisborne!« Bertram, einer der Laienbrüder, war wie in den Tagen zuvor einer der ersten im Stall.

Guy brummte eine undeutliche Erwiderung, kletterte aus der Box und beteiligte sich beim Verteilen des Futters. Danach eilte er über den mit Schneematsch bedeckten Hof ins Gästehaus für eine Schale Brei. In Etiningem fühlte er sich nicht sicher. Was, wenn Dieterich zurückkam? Zudem musste er sich bei Gottfried melden. Der Priester hatte ihm angeboten, sich bei seinem Protegé um eine Anstellung für ihn zu bemühen. Außerdem erzielte er in Strazpurc höhere Preise für die Edelsteine, die er versetzten wollte.

Er fand Miriam hinter dem großen Kessel. Offenbar half sie beim Verteilen des Essens. Sie fügte sich schnell ein. Vielleicht wollte sie nicht mehr nach Strazpurc zurückkehren. Je weiter sie sich von Basel entfernte, umso weniger musste sie befürchten, von irgendjemandem erkannt und als Hexe denunziert zu werden. Etiningem war kein schlechter Ort für sie. Jakob hatte allerdings angeboten, sie in die weit größere Stadt zurückzubringen.

»Wenn Ihr mir die Schüssel hinhalten würdet, anstatt sie an Eure Brust zu pressen, müssten die anderen nicht so lange warten.« Sie klang freundlich, aber bestimmt.

»Ick Strazpurc reiden. Du Sacken packe?« Die Sätze schmerzten in den Ohren. »Biete«, fügte er hinzu, als er keine Reaktion erfuhr.

Miriam beugte sich über den Kessel, zog ihm die Schale aus der Hand und schöpfte einen fetten Klecks Brei hinein. »Sobald es hell wird. Ihr versteht mehr von unserer Sprache, als Ihr uns weismachen wolltet, Ritter Grimmbart.«

Der Korbflechter hinter Guy drängte sich an ihm vorbei. »Willst du noch länger das Mädchen angaffen, Herr? Hier stehen Leute, denen der Magen bis zu den Kniekehlen hängt.«

Grimmbart? Was das wohl bedeutete? Guy zog sich in eine Ecke des Raums zurück. Der Brei dampfte, obwohl er nicht mehr heiß war. Er beobachtete Miriam zwischen den einzelnen Bissen. Sein Teller leerte sich, ohne dass er einen Gedanken an den Geschmack des Essens verschwendet hätte. Was aus ihr werden würde, so allein in Strazpurc?

Er verließ den Speiseraum, wusch den Teller aus und kehrte in den Stall zurück. Dort sattelte er den Hengst und belud ihn mit seinem Gepäck. Die Decken würden den Sitz für Miriam hergeben. Erneut stach es ihn in den Rücken. Zu oft und in zu kurzer Zeit hatte sein Leib Verwundungen davongetragen. Die alten Knochen leisteten nicht mehr die zuverlässigen Dienste wie früher.

Es bereitete ihm eine gewisse Sorge, ob Jakobs Vater den Sohn gehen lassen würde. Was sollte den schlauen Jungen davon abhalten, Kaufmann zu werden? Sollte er ihm entgegenreiten, falls er auf sich warten ließ? Nein, wenn er sich auf jemanden verlassen konnte, dann auf Jakob.

Guy führte den Hengst nach draußen und ließ ihn an der Tränke saufen. Nach getaner Arbeit kroch die Kälte unter seine Kleidung. Die Dunkelheit hob sich und offenbarte dichte Wolken am Himmel. Er fragte sich, ob es Gott gefallen würde, die Sonne durchdringen zu lassen. Solange es wenigstens nicht wieder schneite, sollte es ihm egal sein. Er beobachtete den Eingang des Gästehauses. »Wo bleibt das Weib bloß?«

»Schade, dass wir kein Schiff nehmen können. Es war angenehm, den Fluss herunterzufahren, fandet Ihr nicht auch?«

Himmel! Guy fuhr herum. »Hm!«, brummte er, um den Schrecken zu kaschieren. Er nahm die zusammengerollte Decke entgegen und band sie zu den anderen. Die Idee, sie auf dem Hengst reiten zu lassen, gefiel ihm nicht sonderlich. Frauen sollten keine Streitrösser besteigen. Es würdigte das herrliche Tier herab. Zudem hatte Cory untätig im Stall gestanden und schäumte vor Übermut. Aber wenn er vorankommen wollte, gab es keine Alternative. Miriam griff nach den Zügeln.

»Nein, Frow!« Guy leierte ihr die Riemen aus den Fingern. Dann schwang er sich in den Sattel, gab den Bügel frei und reichte ihr die Hand. »So einfack!«

Miriam hatte sein Tun mit gerunzelter Stirn betrachtet. »Wenn es dem Pferd und Euch nicht zu viel ist, Ritter Grimmbart. Die Nähe wird uns warm halten.« Sie ließ sich nach oben ziehen, sortierte ihren Rock sorgsam und umfasste Guys Hüfte.

»Gout festhalten!« Er hörte sich wie ein halber Idiot an. Jakob konnte man herrlich zurechtweisen; zur Not mit einer ordentlichen Maulschelle. Wie verhielt es sich mit einer Frau, die es darauf anlegte, einem den Verstand zu rauben?

Sie passierten das Tor bei Morgengrauen. Der Torwächter winkte ihnen nach. »Schlitzt den Sarazenen die Bäuche auf, Ritter Gisbert!«

Guy erinnerte sich an den Holzkopf mit den tauben Ohren, der Jakob und ihn bei ihrer ersten Ankunft in der Stadt kontrolliert hatte. Offenbar hatte sich sein richtiger Name nicht zu ihm herumgesprochen.

Vor ihnen lag die Straße, auf der er Adelphos kennengelernt hatte. Der sizilische Normanne hatte vorgegeben, ein Krämer zu sein. Die gute Seele. Er war in die Nähe des Odilienbergs gezogen, um in Verbindung mit der gefangengehaltenen Königin bleiben zu können. Das Schicksal hatte es nicht gut mit ihm gemeint.

»Nun, Herr Ritter, wie wäre es, wenn ich mich für Eure Freundlichkeit erkenntlich zeige und Euch mehr von unserer Sprache beibringe? Es kann Euch in Strazpurc von Nutzen sein.«

Guy antwortete nicht. Er dachte an die beiden lothringischen Ritter, die ihnen das Schwert abjagen wollten. Thurstan, Adelphos’ Mörder, hatte er im Wald den Kopf abgeschlagen. Bei Dieterich hatte er Gnade vor Recht gesetzt. Es hatte ihm Folter und den kaputten Rücken eingebracht.

Miriam nuschelte etwas, das sich wie »sturer Esel« anhörte. »Nun, wenn Ihr nicht mit mir reden wollt, so lasst es bleiben. Wenn Eure Wunden so sehr schmerzen, dass Ihr mein Öl nötig habt, werdet Ihr die Sprache schon wiederfinden, nicht wahr?«

Das typische Meckern einer Ziege!

Er plante bei einem Fischer in Hügelisheim einzukehren. Der Mann war ein Freund des Siziliers gewesen. Wie sollte er ihm erklären, dass Adelphos auf ihrer Mission ermordet worden war? Selbst wenn er den Namen rief, ein Kreuzzeichen schlug und einen aufgebahrten Toten mimte, erklärte das kaum, wie es dazu gekommen war. In Etiningem hatte Jakob alles arrangiert, bevor er gegangen war. Ab jetzt musste Guy sich selber kümmern, bis er in Strazpurc Gottfried wiedersehen würde. Wie hieß der Fischer noch gleich? Er hatte den Namen vergessen. Verflixt!

Ein hoher Preis, wahrlich ein hoher Preis für ein Schwert, dachte er bei sich. Guys Hand wanderte zu dem fest verschnürten Bündel, das an der Seite des Sattels hing. Er betastete den Knauf der Waffe. Die Eiseskälte des Metalls stach durch die groben Handschuhe bis in die Knochen.

Miriam legte den Kopf an seine Schulter. »Diese schrecklichen Geschehnisse werde ich nie vergessen.«

Sie sprach von Basel, dem Erdbeben, die Nacht des Überfalls. Miriam war von Jakob aus der Stadt geschleust worden und Guy fürchterlich wütend gewesen, weil er wusste, dass ihnen das nur Scherereien einbringen würde. Es hagelte Pfeile aus der Dunkelheit und er hatte Miriam die Schuld gegeben. In der gleichen Manier, wie die Basler eine Schuldige für ihre eingestürzten Häuser und Toten gesucht hatten. Im Grunde nur, um von eigenen Fehlern abzulenken, wie der Priester, der die Anschuldigung gegen Miriam ausgesprochen hatte.

Dafür wirst du in der Hölle schmoren, sagte er sich. Er drehte den Kopf halb nach hinten. »Dou mich beibringen su sprecken, Frow!«

Miriam richtete sich auf und umklammerte ihn fester. »Gerne, da Ihr die Sprache wiedergefunden habt, Herr Ritter. Immerhin haben wir noch zwei Tage Frost und Schnee vor uns. Doch zuerst könntet Ihr mir erklären, warum dieses Schwert so wichtig für Euch ist.«

»Es mick bringt su Hause.«