Tom Diesbrock ist Psychologe, Coach und Sachbuchautor. Er lebt und arbeitet in Hamburg. Von ihm sind bisher u.a. erschienen:

Von Hunden und Menschen und der Suche nach dem Glück (Herder Verlag 2018)

Hören Sie auf, sich im Weg zu stehen - mentales Selbstmanagement in Alltag und Job (Herder Verlag 2016)

HERMANN! Vom klugen Umgang mit dem inneren Kritiker (Herder Verlag 2013)

Jetzt mal Butter bei die Fische! Das Selbstcoaching-Programm für Ihre berufliche Neuorientierung (Campus Verlag 2012)

Ihr Pferd ist tot? Steigen Sie ab! Wie Sie sich die innere Freiheit nehmen, beruflich umzusatteln (Campus Verlag 2011)

www.tomdiesbrock.de

Copyright: © 2018 Tom Diesbrock

Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand GmbH, Norderstedt

ISBN: 9783752817614

Inhaltsverzeichnis

Vorwort zur dritten Auflage

Es war im Herbst 2013, Jacob lebte damals schon ein halbes Jahr bei mir, als mir die Idee kam, unsere gemeinsame Geschichte aufzuschreiben. Nicht mit der Absicht, daraus ein Buch zu machen, sondern aus dem Bedürfnis, die vielen aufregenden, schönen und auch nicht so schönen Erinnerungen festzuhalten. Für mich selbst und für die Menschen, die sich für Jacobs langen Weg nach Hamburg interessieren.

Die Resonanz war unerwartet positiv, und ich wurde immer wieder gefragt, warum ich die Geschichte nicht veröffentliche. Das Buchschreiben ist mein Beruf, allerdings hatte ich bis dahin nur Sachbücher über psychologische Themen herausgebracht. Würde sich tatsächlich ein größeres Publikum für Jacob und mich interessieren? Ich war anfangs recht skeptisch.

2014 erschien Jacobs Weg - trotz meiner Bedenken -, und die Reaktionen der Leser übertrafen alle Erwartungen. Noch nie hatte ich für ein Buch so positive, zustimmende und vor allem mitfühlende Rezensionen und Zuschriften bekommen! Und ich muss zugeben, dass, obwohl für einen Autor jeder seiner Titel wie ein Kind ist, dieses Kind mir ganz besonders am Herzen lag und liegt.

Neben Lesern, die sich einfach an unserer Geschichte erfreuten, wurde ich auch von Menschen kontaktiert, die in einer ähnlichen Situation waren wie ich damals: Sie hatten einen Hund in Indien (oder in einem anderen außereuropäischen Land) kennengelernt und wollten ihn nach Europa holen. Und genauso wie ich waren sie ratlos bis verzweifelt. Für mich eine wunderbare Gelegenheit, nicht nur mein mühsam recherchiertes Know-how weiterzugeben - sondern auch etwas von der Unterstützung und Ermutigung, die ich selbst erfahren habe.

Seitdem durfte ich an manchem Hundeschicksal teilhaben. Meistens nahm es einen guten Verlauf, und diese Wesen mit so erbärmlichen Startbedingungen leben heute gesund und glücklich bei ihren Menschen. Aber leider klappt es nicht immer, und dann wird mir wieder besonders bewusst, welches Glück Jacob und ich hatten.

In diesem Jahr erscheint erneut ein Buch, in dem Jacob die Hauptrolle spielt. Mir kam nämlich vor einiger Zeit die Frage in den Sinn, was mein Hund wohl sagen würde über seinen Menschen und seine Versuche, ein glückliches Leben zu leben. Daraus wurde Von Menschen und Hunden und der Suche nach dem Glück.

Dieses neue „Jacob-Buch“ nehme ich jetzt zum Anlass, Jacobs Weg noch einmal neu herauszubringen - mit mehr und dieses Mal farbigen Fotos und einigen Ergänzungen.

Ich hoffe, es gefällt Ihnen, und wünsche Ihnen viel Freude beim Lesen.

Tom Diesbrock 2018

Nach einem heftigen Sturm geht ein Mann am Strand spazieren.

Das Meer hat Tausende von Seesternen auf den Sand gespült.

Da sieht er einen Jungen, der einen Seestern nach dem anderen aufsammelt und zurück ins Meer wirft. Er sagt zu ihm:

„Es gibt im Meer doch Millionen von Seesternen,

Tausende liegen hier am Strand, und du bist ganz allein.

Es macht keinen Unterschied, ob du einige von ihnen zurückwirfst, du kannst ohnehin nicht alle retten.”

Da bückt sich der Junge erneut, hebt den nächsten Seestern hoch und sagt:

„Es macht einen Unterschied für diesen hier!”

(Unbekannter Verfasser)

Westjütland - Oktober 2013

Von überall aus dem kleinen Holzhaus kommen knackende und knarrende Geräusche, während der Nordseesturm mit Macht gegen Wände und Dach drückt. Regentropfen laufen hektisch über die Fensterscheiben und lassen den Blick auf die Dünen und die weite heidebewachsene Ebene davor verschwimmen. Dort draußen sind die Temperaturen schon spätherbstlich kühl, und ich bin froh, es hier vor dem Feuer warm und behaglich zu haben. Es duftet nach verbranntem Holz und nach Kaffee über den typischen Gerüchen von Salz, Strandhafer und lange unbewohntem Ferienhaus.

Eingerollt vor meinen Füßen auf einer Wolldecke unter dem Kaminofen liegt Jacob. Er döst mit halb offenen Augen vor sich hin, als würde er tagträumen. Nur ab und zu schaut er auf, wenn ein Geräusch das Getöse des Sturms kurz übertönen kann. Dann hebt er müde den Kopf, starrt eine Weile in die unwirkliche Welt vor unserem Haus, bis er sich überzeugt hat, dass keine Gefahr droht, und rollt sich wieder ein.

Wie gut, dass der Kühlschrank gut gefüllt ist und ich vorerst das Haus nicht verlassen muss. Soll der Sturm ruhig noch eine Weile weiter stürmen. Ich fühle mich wie auf einer Insel am Ende der Welt - in dieser Jahreszeit ist kaum ein Mensch in der Gegend. Wenn wir abends über die Dünen wandern, sehe ich nur gelegentlich Licht aus einem weit entfernten Haus scheinen. Es ist dann gut zu wissen, nicht ganz allein zu sein. Aber auch, dass die anderen Menschen uns nicht zu nah sind.

Fast jedes Jahr verbringe ich im Herbst einige Zeit an der dänischen Nordseeküste. Wenn die Sommertouristen schon lange abgereist und die Weihnachtsurlauber noch nicht da sind. Nirgendwo kann ich besser entspannen, wenn ein Jahr langsam seinem Ende entgegengeht und in mir die Sehnsucht nach Abstand und Ruhe erwacht. Besonders in diesem so turbulenten Jahr zog es mich hierher. Ich war auch gespannt, wie Jacob die Nordsee gefallen würde, denn er wurde am Meer geboren und verbrachte dort seine ersten Lebensmonate. Allerdings an einem sehr weit entfernten Meer.

Gerade rumpelt es draußen laut, und wir schrecken beide auf. Erst befürchte ich, dass sich etwas vom Dach gelöst hat. Aber es ist nur ein Liegestuhl, der vom Wind gegen eine Holzwand geschleudert wurde. Jacob widmet sich wieder seinen Träumen und ich mich dem Notebook auf meinem Schoß. Ich bin nämlich nicht nur hier, um zu faulenzen und mit Jacob am Strand spazieren zu gehen - ich habe mir auch Arbeit mitgebracht. Anfang des Jahres hatte ich mir vorgenommen, bis zum Herbst ein neues Buch fertig zu schreiben, ein ziemlich umfangreiches. Aber dann spürte ich bis zum Sommer herzlich wenig Lust und Energie für dieses Projekt und hatte - Jacob sei Dank - auch viel weniger Zeit als erwartet.

Also beschloss ich, mich für zwei Wochen zum Schreiben ans Meer zu verziehen. Ich mag solche Schreibklausuren weit weg von den vielen kleinen Störungen des Alltags sehr. Immer wieder an der Nordseeküste, aber auch gern im Süden auf einer kanarischen Insel oder in Jacobs Heimat Indien.

Jetzt gelingt es mir nur überhaupt nicht, mich auf mein Thema zu konzentrieren, das mir gerade ziemlich trocken erscheint. Bisher habe ich kaum etwas Vernünftiges zustande gebracht.

Kein Wunder, denn anstatt auf den Bildschirm zu schauen, wandert meine Aufmerksamkeit immer und immer wieder zu meinem Hund. Es wird mir nicht langweilig, ihn zu beobachten, und sei es beim Schlafen, wenn er im Traum zuckt, schmatzt oder manchmal kurz jault. Wo mag er in seinen Gedanken dann sein? Tobt er mit seinen Kumpels über den tropischen Strand von Varkala, seinem Zuhause? Liegt er angekettet und gelangweilt unter dem Wellblechdach seiner „Hundepension“, wo er einige Monate verbringen musste? Oder handeln seine Träume schon von seiner neuen Heimat Hamburg und dem Elbstrand?

Für mich ist es immer noch ein Wunder, dass dieser kleine Kerl jetzt hier bei mir ist. Denn hinter uns beiden liegt ein sehr langer Weg mit vielen Problemen, Sorgen und Zweifeln - und einem sehr guten Ende. Die Idee, die Geschichte unseres Weges aufzuschreiben, verfolgt mich schon eine Weile. Bisher habe ich sie nur immer wieder beiseitegeschoben, gab es doch vermeintlich Wichtigeres zu tun. Aber eben bin ich, ohne wirklich darüber nachzudenken, einem Impuls gefolgt und habe auf meinem Computer eine neue Datei angelegt und sie Jacobs Weg genannt. Sofort meldete sich eine mahnende Stimme in meinem Kopf. Das kann ich nicht machen. Total unvernünftig. Erst mal das Sachbuch abschließen. Danach hab ich ja genug Zeit für anderen Kram…

Es mag unvernünftig sein, aber ich möchte im Moment so viel lieber Jacobs und meine Geschichte erzählen.

Bisher habe ich Bücher geschrieben, weil ich Menschen etwas Nützliches vermitteln wollte. Das macht mir auch großen Spaß. Aber jetzt drängt es mich zum ersten Mal, etwas Persönliches aus meinem eigenen Leben aufzuschreiben. Nicht als Experte.

Natürlich habe ich Jacobs Geschichte schon oft erzählt. Meine Familie und Freunde haben sie ja sehr genau mitverfolgt. Ein halbes Jahr sprach ich wohl über kaum etwas anderes. Niemand fragte mich in dieser Zeit, wie es mir ginge, sondern nur noch: „Was macht Jacob?“

Und auch heute, wenn ich mich mit anderen Hundemenschen beim Gassigehen unterhalte, geht es oft darum, woher unsere Hunde stammen. „Spanien, Italien, Osteuropa, … Indien, ach wirklich?“ Dann gebe ich meistens nur die Kurzversion zum Besten. Aber noch nie habe ich diese Geschichte mit all ihren Details erzählt - und wie ich die wohl schwierigste Entscheidung meines Leben traf.

Alles begann mit einem ganz normalen Urlaub an einem Ort, den ich gut kannte…

Varkala - Dezember 2012

Ich war wieder in Indien und unerwartet noch einmal in Varkala. Die Taxifahrt vom Flughafen durch den ganz normalen indischen Verkehrswahnsinn hatte meinem Magen ziemlich zugesetzt. Normalerweise ist der relativ robust, und ich hatte in diesem Land schon ganz andere Transportmittel genießen dürfen. Aber dazu kam der Klimaschock vom feuchtkühlen Dezemberwetter in Hamburg vor nicht einmal zwölf Stunden zu tropischen fünfunddreißig Grad und gefühlten hundertzwanzig Prozent Luftfeuchtigkeit. Aber mir ging es, auch wenn mein Körper schlapp war, einfach großartig!

Die kleine Straße zum Strand, in die mein Taxi einbog, erinnerte ich noch gut. Zuletzt war ich vor zwei Jahren hier als erholsame Schlussetappe nach einer anstrengenden Rundreise durch Südindien. Damals war ich mir sicher, es würde definitiv mein letzter Besuch in Varkala sein. So viele Touristen, viel zu viel Rummel. Und warum sollte man auch immer wieder an einen Ort kommen, den man schon kennt, wo es doch so viele andere unbekannte gibt?

Aber dann ging der Herbstregen zu Hause langsam in den Winterregen über, und meine Freundin Anna schrieb mir, sie werde über Weihnachten einige Wochen in Varkala verbringen. Ob ich nicht auch kommen wolle? Ich hatte für die Feiertage noch kein anderes Reiseziel, und bis zum Frühling wollte ich mir noch eine Prise Sonne gönnen. Für mich als Selbstständigen ist das Jahresende die ideale Reisezeit, wenn meine Coachingpraxis zu Hause ohnehin leer ist. Die letzten Monate des Jahres würden ziemlich stressig sein, und ein Buchprojekt, das ich vor einer Weile gestartet hatte, wartete darauf, endlich weitergeführt zu werden.

Dazu kam, dass meine Stimmung schon seit einer Weile kriselte. Ich fragte mich oft, wie zufrieden ich mit meinem Leben eigentlich war. Und ob ich es vielleicht in eine ganz neue Richtung lenken wollte. Etwas Ablenkung und Erholung an einem paradiesischen Ort, den ich nicht mehr entdecken müsste? Das war keine üble Vorstellung, und schließlich konnte ich an meinem Buch auch unter Palmen arbeiten. Also buchte ich spontan einen Flug und quartierte mich in einem Guesthouse ein, das ich schon kannte.

Mein Zimmer lag an einem kleinen Teich, in dem auf Stelzen vier Pavillons mit Dächern aus Palmenblättern gebaut waren. Auf dem braunen Wasser schwammen Seerosen und darin angeblich Schlangen. Meine Terrasse war schattig und still. Nur ab und zu kam einer der vielen Helfer vorbei, die für Ayurveda-Behandlungen zuständig waren - grüßte schweigend mit einem Lächeln und war verschwunden.

Ein sehr guter Ort, um den ersten Nachmittag mit Jetlag und Hitzeschock zu überstehen. So tat ich stundenlang nichts anderes, als das wuchernde Grün um mich herum zu bewundern. Was für eine unwirkliche Farbe nach der grauen Trübnis des norddeutschen Winters. Dass ich in den Tropen war, konnte ich noch kaum fassen. Erst am Abend, als die Hitze etwas nachließ, fühlte ich mich fit genug, um einen Blick aufs Meer zu werfen.

Varkala hat einen wunderbaren kilometerlangen Strand, der von einer Steilküste umrahmt wird. Am nördlichen Teil davon, dem North Cliff, tummeln sich die meisten Touristen. Zwar ist der Blick von den Klippen auf Strand und Meer spektakulär - das übliche Angebot aus Pizza, Banana Pancake, Ayurveda und Tibet-Trash findet man aber genauso in Goa, Thailand oder sonst wo, wo sich die Individualtouristen gegenseitig auf die Füße treten.

Der Südstrand bildet dazu einen angenehmen Kontrast, denn dort dreht sich nicht alles um Urlaub und Tourismus. An der Strandstraße liegt ein alter und bedeutender Tempel, von dem am Wochenende Hunderte von Pilgern zum Meer strömen, um dort Rituale abzuhalten. Für Hindus ist dieser Teil des Strandes ein heiliger Ort. Direkt neben badenden und in der Sonne bratenden Touristen, die keine Lust haben, auf „ihrer Seite“ zu bleiben. So mischen sich hier Religiosität und indisches Familienleben mit westlicher Urlaubskultur. Man beäugt sich gegenseitig interessiert, findet sich wohl gleichermaßen exotisch und ein bisschen verrückt. Kulturelle und sprachliche Schranken werden mit viel Lächeln überbrückt. Hier kann ich stundenlang sitzen, das Geschehen beobachten und kleine Schwätzchen halten.

Besonders mag ich das Menschengewimmel am Abend, wenn Einheimische und Touristen nebeneinander den Sonnenuntergang bestaunen. Und so saß ich damals wieder hier im noch warmen Sand, Kuchen aus der German Bakery in der Hand, und fühlte mich einfach nur sauwohl.

Strandhunde

Am Strand tummelten sich nicht nur Menschen. Neben den üblichen Tauben gab es jede Menge Krähen, die ihr Abendbrot zusammensuchten und dabei ordentlich zum allgemeinen Lärmpegel beitrugen. Ohne Lärm gibt’s in Indien keinen Spaß. Und durch den Trubel tobten einige Hunde, deren Zuhause anscheinend der Strand war.

Vor meiner Abreise hatte ich mich in einem Reiseforum zu Varkala umgesehen, um vielleicht ein paar Tipps und Neuigkeiten zu finden. Dabei war ich über eine eindringliche Warnung vor den Strandhunden gestolpert. Angeblich seien sie in letzter Zeit aggressiv geworden. Man solle sich unbedingt vor ihnen in Acht nehmen! Mir haben Hunde eigentlich nie Angst gemacht. Aber nachdem mich vor zwei Jahren in Spanien ein weniger freundliches Exemplar gebissen hatte, nahm ich immerhin Notiz von der Meldung.

Jetzt kam sie mir in den Sinn, als eine Gruppe von drei Hunden den Strand heruntergerannt kam. Sie tobten, jagten sich gegenseitig, purzelten übereinander und hatten offensichtlich eine Menge Spaß. Gefährlich sahen sie nicht gerade aus. Auch wenn ich von Hunden keine Ahnung hatte - ich bin mit Katzen aufgewachsen -, erschienen mir zwei von ihnen noch sehr jung. Ihre Bewegungen waren wunderbar unkoordiniert, und sie stolperten ständig über ihre eigenen Pfoten. Der dritte schien schon ausgewachsen zu sein, war aber mit genauso viel Begeisterung bei der Sache wie seine jugendlichen Kollegen.

Der kleinste der Gruppe war der wildeste und dem älteren gegenüber völlig respektlos. Er warf sich gegen den viel größeren Hund und biss in jedes Körperteil, das er nur irgendwie erreichen konnte, und der ließ sich alles gutmütig gefallen. Ich überlegte, ob die beiden vielleicht Papa und Sohn sein könnten, aber dafür sahen sie zu unterschiedlich aus. Manchmal wurde die Aufmerksamkeit des Kleinen von einem Stück Holz, etwas Essbarem oder einem Vogel abgelenkt. Dann wirkte er, als hätte er die Existenz seiner Kumpel für einen Moment völlig vergessen - bevor er sie wieder entdeckte und sich erneut auf sie stürzte.

Da sich eine Menge Leute am Strand versammelt hatten, blieb es nicht aus, dass die Hunde im Spiel auch mal Menschen nahe kamen. Das fand offensichtlich niemand witzig, jedenfalls kein Inder. Auch nicht, wenn die Tiere etwas Essbares in einer Tasche vermuteten und höfliches Interesse zeigten. Man schimpfte, drohte und warf mit Sand nach ihnen. Ich ärgerte mich darüber, denn die Hunde hatten ganz sicher nichts Böses im Sinn.

Vor allem gefiel mir der Kleinste des Trios! Der Sonnenuntergang war gegen ihn eine ziemlich öde Angelegenheit. Er mochte vielleicht vier oder fünf Monate alt sein und sah anders aus als seine Artgenossen am Strand. Während die meisten gleichmäßig braun waren, heller oder dunkler, hatte er ein weißes Fell mit großen und kleinen milchkaffeebraunen Flecken. Seinen runden Babybauch zierten dunkle runde Punkte wie bei einem Dalmatiner, und die Schlappohren sahen aus wie eine Nummer zu groß für seinen kleinen Kopf.

Das Auffälligste an ihm war aber der Ausdruck in seinem Gesicht: Wenn er sich auf etwas zu konzentrieren schien, warf sich sein Fell zwischen den Ohren in Falten, und die Ohren rückten ein Stück zusammen, als würde er die Stirn runzeln. Und kleine Fältchen um die Augen ließen ihn manchmal fröhlich, aber meistens etwas traurigmelancholisch kucken. Ein sehr charmanter Kerl!

Erst als die Sonne verschwunden war, wurde mir meine bleierne Müdigkeit bewusst. Die lange Reise und die Zeitverschiebung zeigten ihre Wirkung. Als ich gerade aufstehen und gehen wollte, geschah jetzt etwas Merkwürdiges: Nachdem mich die drei Hunde bisher gar nicht zur Kenntnis genommen hatten, drehte sich der kleine Gefleckte jetzt zu mir um. Für ein paar Sekunden saß er einfach nur da und schaute mich interessiert an. Seine braunen Augen blinzelten frech, und ich verstand diesen Blick als „Hey du da, komm her, und spiel mit mir!“ Als ich aber seinem Wunsch gerade nachkommen und zu ihm gehen wollte, drehte er sich um und stürzte sich wieder lustvoll auf seine beiden Freunde.

come here, want puja?

Mein Lieblingsrestaurant in Varkala war eine unscheinbare zweistöckige Hütte aus Palmenholz direkt am südlichen Teil des Strandes. Nicht unbedingt wegen des Essens, sondern weil man von hier wunderbar Pilgern dabei zuschauen konnte, wie sie mit den Priestern ihre Rituale abhielten. Im Erdgeschoss standen einige Plastiktische und Stühle im Sand, im ersten Stock konnte man das Treiben am Strand mit etwas mehr Distanz betrachten. Ich war lieber hier unten, nah am Leben.

Hierher kam ich auch zum Frühstück an meinem ersten Urlaubsmorgen. Noch ziemlich früh für meine Verhältnisse, aber ich konnte einfach nicht mehr schlafen. Auf dem schmalen gepflasterten Fußweg direkt vor meinem Tisch herrschte jetzt schon eine Menge Verkehr. Einheimische, die ersten Touristen, Händler, die lautstark ihre Produkte anpriesen, Kinder auf dem Weg zur Schule und Pilger, die nach Gebeten am Strand zu einer Quelle weiter im Norden wanderten.

Erste Sonnenstrahlen tasteten sich über die Steilküste und würden bald das Restaurant erreichen. Einige der Priester hatten bereits ihre kleinen „Tempel“ aufgebaut, die nur aus einer Plattform aus Sand, bunten Tüchern darüber und einem Sonnenschirm bestanden, unter dem sie saßen und auf die ersten Kunden warteten. Die meist älteren Männer trugen nur weiße Dhotis, fußlange Wickelröcke, die man beim schnelleren Schritt auf Kniehöhe raffen kann. Auf ihrer Stirn zeigten farbige Male, wer für welche Gottheiten zuständig war. Jeder der Priester hatte um sich herum Schalen mit Blütenblättern und anderen Zutaten für ihre Rituale bereitgelegt.

Come here, want puja?“