ZIEMLICH BESTE FREUNDINNEN

Liebe Sabine,

da sitzen wir nun im Café und überlegen beide, wann wir uns das erste Mal bewusst wahrgenommen haben. Klar, es war am Tag unserer Aufnahmeprüfung für das Designstudium. Und unter all den 80 Prüfungskandidatinnen bist du mir sofort aufgefallen. Du warst einfach eine coole Socke und ich weiß nicht mehr, wer wen zuerst angesprochen hat, aber wir kamen ziemlich schnell ins Gespräch. Und ich weiß noch, dass ich dich wahnsinnig toll fand. Du warst unglaublich inspirierend und irgendwie hast du mich gefesselt, übrigens ein Zustand, der auch heute noch so ist. Aber dazu später.

Ich erinnere mich auch an das Glücksgefühl, als ich dich am ersten Tag unseres Studiums in der Menge entdeckt habe und mir dachte: »Gott sei Dank, sie hat es auch geschafft.« Ab diesem Tag waren wir praktisch unzertrennlich. Wir haben nahezu die gleichen Fächer belegt, unsere Projekte diskutiert, stundenlang telefoniert, um uns dann doch noch zu treffen. Wir hatten die gleichen Vorlieben für Kekse und Saft und die gleiche Abneigung gegen was auch immer. Wir fanden die gleichen Professoren doof und liebten beide die Aktzeichenkurse. In Summe: Wir verbrachten eine wundervolle Studienzeit. Du warst ständig bei mir und ich war ständig in deiner WG. Ich frage mich heute noch, warum wir eigentlich nicht zusammengewohnt haben?

Ich finde es faszinierend, wie unglaublich kreativ du bist, wie du vor Ideen sprühst und ständig neue Ansätze findest. Wie du es wieder und wieder schaffst, mich zu begeistern und nicht nur mich. Wenn du zur Tür hereinkommst und als Erstes sagst: »Uli, ich habe eine suuuper Idee …«, dann weiß ich, jetzt kommt wieder was.

Und noch etwas schätze ich so sehr an dir. Ich liebe es, mit dir Gespräche zu führen. War immer klasse und ist es noch. Wir sind ganz sicher nicht immer einer Meinung, aber ich finde unseren Austausch wahnsinnig anregend. Und ich bewundere deine Gabe, mit jedem und allen in einen Dialog zu gehen. Du hast zu allem einen Standpunkt und das macht es unglaublich spannend.

Nachdem wir noch eine sehr intensive Diplomzeit erlebt haben, haben sich unsere Wege erst einmal getrennt. Du gingst nach Hamburg und ich nach München. Trotzdem hatten wir immer engen Kontakt. Und dann warst du plötzlich auch wieder in München und die Welt wieder in Ordnung. Zumindest kurzzeitig, denn auf einmal bist du aus meinem Leben verschwunden und ich wusste damals lange nicht, warum. Ich habe dich immer wieder kontaktiert und irgendwann aufgegeben. Dadurch habe ich eine wichtige Zeit in deinem Leben verpasst. Nämlich die Zeit, in der du deine beiden wundervollen Töchter großgezogen hast. Du hast leider auch die Zeit verpasst, in der ich meinen Sohn bekommen habe.

Irgendwann haben wir uns durch einen Zufall wiedergetroffen. Und es war ab der ersten Minute so, als ob die zehn Jahre Pause nicht stattgefunden hätten. Es war, als ob wir am Tag zuvor aufgehört hätten zu quatschen.

Ich habe darüber nachgedacht, wieso das so ist. Ich glaube, es hat etwas mit Vertrauen zu tun. Es ist eine Bindung oder ein Band, das wir in unserer Vergangenheit geknüpft haben und das nie verloren gegangen ist. Ich fühle mich unglaublich wohl in deiner Nähe und möchte dich nicht mehr missen, liebe Sabine. Du bist eine Bereicherung und ich freue mich über all unsere Projekte, die wir in letzter Zeit so auf die Beine gestellt haben und die uns natürlich auch verbinden. Und über die Zeit, die wir zusammen verbringen dürfen. Denn die Dinge können sich so schnell ändern, das weißt du am allerbesten. Und schon deshalb sage ich: Wie schön, dass es dich gibt!

Ich wollte mich wirklich benehmen. Aber da gab es noch so viele andere Optionen.

Yours, Uli

 

Boaaah, liebe Uli …

So schön deine Worte, dass ich sie mir am liebsten auf DIN A1 vergrößern möchte und aufhängen :)). Denn Großes haben wir schon immer geliebt, aber dazu später.

Was ist es, das langjährige Freundschaften am Leben erhält? Ich denke, es gehört die Gabe dazu, vergeben und vergessen zu können. Und darin bist du ganz große Klasse: Das hast du bewiesen, als ich mich nach über zehn Jahren Sendepause bei dir wieder gemeldet habe. Kein Wort des Vorwurfs, eher Freude, pure Freude.

Warum unsere Freundschaft damals in die Sendepause ging? Mir ist das Leben dazwischengekommen. Ich hatte meine erste Tochter bekommen, bin sozusagen zwischen all den Windeln, der Erschöpfung und den Emotionen im Chaos versunken und habe mich irgendwann einfach aus schlechtem Gewissen dir gegenüber nicht mehr gemeldet. Zu oft schon hatte ich nicht auf deine Anrufe geantwortet, die du während meiner Stillsequenzen und Babygeschrei auf den AB gesprochen hattest. Bis ich irgendwann gar nicht mehr wusste, wie ich mich jetzt wieder melden sollte. Wie ich mich erklären könnte. Und so sind tatsächlich fast zehn Jahre ins Land gegangen, bis du mir auf Facebook als Freundschaftsvorschlag gezeigt wurdest. Es war eigentlich kein Zufall, denn aus irgendeinem Grund wusste ein Algorithmus im Silicon Valley besser Bescheid über den Rhythmus unseres Lebens als wir selbst. Und dann hatte ich auf einmal wieder den Mut. Zu verbunden war ich innerlich mit dir, dass es mich nicht mehr interessiert hätte, wie dein Leben weitergegangen war.

Ich erinnere mich noch, wie furchtbar aufgeregt ich war, als ich dich als Freundin bei Facebook angefragt habe. Und wie erleichtert ich war, als du diese virtuelle Freundschaft angenommen hast. Vier Wochen später haben wir uns das erste Mal persönlich getroffen und sofort konnten wir wieder ohne Unterlass miteinander sprechen. Wir haben tatsächlich einfach da weitergemacht, wo wir Jahre zuvor aufgehört hatten – vielleicht ein bisschen vorsichtiger deinerseits, aber immer noch hattest du dieses große Herz und das Interesse für die Geschichten anderer Menschen. Und das, ohne etwas zu bewerten.

Und es braucht ähnliche Werte, Humor und Interessen, damit Freundschaften über die Jahre Bestand haben. Uns beide verbinden nicht nur ein ausgeprägter Familiensinn und unzählige Lachanfälle, sondern auch die Kreativität und die Liebe zu schönen Dingen. Nur dass die Schönheit bei dir, sei es beim Wohnen oder bei der Lust, sich zu stylen, um einiges ausgeprägter ist als bei mir. Denn im Gegensatz zu mir bist du eine Perfektionistin. Wie gerne war ich schon während des Studiums immer bei dir, weil einfach alles in deinem Zimmer schön war. Immer ein bisschen vertüdelt, aber genau das hat mich angezogen, denn ich war von jeher eher die Minimalistin. Und wenn ich heute bei Projekten schon lange aufgebe, bleibst du mit deiner Hartnäckigkeit dran, schaffst es meistens sogar, mich zurück ins Boot zu holen.

Groß haben wir beide immer gedacht. Ich erinnere mich, dass wir beide die größten Schachteln für unsere Diplomarbeiten abgegeben haben. Überflüssig zu erwähnen, dass wir diese beim gleichen Buchbinder haben machen lassen.

Im Gegensatz zu anderen Frauenfreundschaften, bei denen zumindest in jungen Jahren immer wieder auch Konkurrenzdenken aufkam, kann ich mich bei uns nur daran erinnern, dass wir uns immer unterstützt haben. So ist es auch heute noch. Wir kommen uns nicht in die Quere. Obwohl, manchmal schon … denn tatsächlich haben wir sehr oft den gleichen Kleidungsgeschmack. Ich denke da an ein braunes Safarikostüm, dass wir uns mit Anfang 30 unabhängig voneinander gekauft hatten. Nur hattest du natürlich gleich noch die perfekte Brosche und einen passenden Gürtel dazu …

Was könnte noch das Geheimnis dafür sein, warum wir unsere Freundschaft über all die Jahre erhalten haben? Ich glaube, es braucht die Bereitschaft, die andere bei Veränderungen zu unterstützen. Eine gewisse Flexibilität im Denken. Und auch große Neugierde für andere Lebensmodelle. Auch das verbindet uns.

Und jetzt haben wir wieder ein großes gemeinsames, aber wirklich ambitioniertes Projekt: Mit vielen Lachanfällen und vielen neuen Ideen gemeinsam alt werden. Auf dass es uns gelingen möge.

Alles Liebe, Sabine

FUCK THE FALTEN 3D!

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© eBook: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

© Printausgabe: GRÄFE UND UNZER VERLAG GmbH, München, 2020

Alle Rechte vorbehalten. Weiterverbreitung und öffentliche Zugänglichmachung, auch auszugsweise, sowie die Verbreitung durch Film und Funk, Fernsehen und Internet, durch fotomechanische Wiedergabe, Tonträger und Datenverarbeitungssysteme jeder Art nur mit schriftlicher Zustimmung des Verlags.

 

Projektleitung: Anja Schmidt

Lektorat: Anna Cavelius

Covergestaltung: independent Medien-Design, Horst Moser, München

eBook-Herstellung: Christina Bodner

 

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ISBN 978-3-8338-7481-9

1. Auflage 2020

 

Bildnachweis

Fotos: Robert Eckert

Syndication: www.seasons.agency

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Jetzt ist es eh zu spät, um jung zu sterben. Jetzt müssen wir es durchziehen.

Als wir, Uli und Sabine, einst in Nürnberg gemeinsam studierten, lagen wir nach langweiligen Vorlesungen oft auf einem unserer Betten und unterhielten uns stundenlang über Schönheitsideale, Berufskarrieren, Träume, Männer, Reisen und unser zukünftiges Leben, das uns in den buntesten Farben entgegenschillerte. Nicht selten endeten diese Gespräche in Gekicher. Eines war klar: Unsere Jugend mussten wir unbedingt auskosten, denn irgendwann wäre der Spaß ja vorbei.

Heute, dreißig Jahre nach unseren 24. Geburtstagen, wissen wir, dass Dinge, die mal einen großen Reiz auf uns ausgeübt haben, sich plötzlich an anderer Stelle in der Prioritätenliste finden. Heute sind Freunde und Familie die wahren Konstanten im Leben. Sie sind da, wenn man sie braucht und wenn es einem schlecht geht.

Wir haben uns verändert. Äußerlich, aber natürlich auch in uns drin. Nur eines ist gleich geblieben: Wenn wir gemeinsam verreisen, liegen wir irgendwann auch wieder auf einem Bett und schmieden Pläne. Keine Idee ist uns dabei zu absurd und auch heute enden unsere Gespräche oft in wilden Lachanfällen.

Der Spaß ist definitiv nicht vorbei, im Gegenteil. Denn: Wir MÜSSEN plötzlich NICHT mehr alles. Wir müssen uns nicht mehr verbiegen – wir müssen erst mal gar nichts! Daran muss man sich gewöhnen. Langsam manchmal. Aber – sie ist definitiv bei uns angekommen, die Freiheit, die uns das Älterwerden schenkt.

In diesem ersten Fuck-the-Falten-Buch können wir nicht alle Themen unseres Lebens abhandeln, deshalb freuen wir uns auf zahlreiche Anregungen, ihr 6 000 000 Babyboomerinnen. Wir diskutieren sie dann gerne auf unserem Blog www.fuckthefalten.de (der überhaupt der Ursprung dieses Buches ist) mit euch. Also nur her damit!

Alles ist gut, solange ihr wild seid.

Uli & Sabine

DER JO-JO-EFFEKT IN MEINEM KOPF

Sabine sagt immer, es gäbe zwei Typen von Frauen. Die, die in ihrer Jugend immer darüber gejammert haben, dass ihr Busen zu klein sei – und jetzt, 30 Jahre später, aber sehr froh darüber sind. Denn kleiner Busen heißt in dem Fall meist auch eine schlanke Figur.

Und dann die anderen, die früher von den anderen Mädchen um ihren Busen beneidet wurden, weil der einfach sexy war und … tja, das sind aber eben die, bei denen sich mit zunehmendem Alter die »weiblichen Rundungen« konsequent auch am übrigen Körper durchgesetzt haben, vom sichtbaren Gesetz der Schwerkraft ganz zu schweigen … Wie nennt Sabine die beiden Arten immer? »Typ Ziege« und »Typ Kuh«. Es gibt aber auch noch einen dritten Typ … Ich bin ganz klar Typ Kuh. Wobei ich sagen muss, dass ich meinen Busen früher wie heute total in Ordnung finde. Und um es mal vorwegzunehmen, ich bin sicher nicht »dick« im Sinne von dick. Wenn ich diesbezüglich mein Umfeld befragen würde, käme als Antwort wahrscheinlich »normal« mit weiblichen Rundungen.

Aber so ist das mit der Wahrnehmung: Die eigene ist nun mal eine andere wie die der anderen.

Und keiner käme darauf, dass ich Gewichtsprobleme gehabt habe, jahrelang.

Das erste Mal, als ich mir meiner vermeintlichen Figurprobleme bewusst – oder sagen wir, auf sie aufmerksam gemacht – wurde, war ich zehn oder elf Jahre alt. Fräulein Bertram war meine Ballettlehrerin und ehemalige Tänzerin, also von Haus aus »Typ superschlank« und total reizend bis zu dem Tag, an dem sie spröde zu mir sagte, meine Oberschenkel würden bei manchen Etüden wohl etwas sehr aneinanderreiben. Ich solle mal weniger Süßigkeiten essen, meine Battements würden mir dann leichter fallen.

Nun fand ich meine Battements bis dahin völlig luftig und leichtfüßig und meine Oberschenkel total normal. Wahrscheinlich waren sie es auch, denn ich war noch nie ein Fan von Süßigkeiten. Außerdem hatte ich auch nie die Ambition geäußert, in den Corps des Bayerischen Nationalballetts aufgenommen oder gar Primaballerina zu werden. Ich hatte bis dahin einfach nur Spaß am Spitzentanz.

Aber bähhhm, da war es nun, dieses Urteil, auf das ich anfangs nur trotzig und dann aber irritiert reagiert habe. Trotzig, weil ich dachte: »Gut, dann esse ich halt jetzt gar nichts mehr«. Und irritiert, weil ich ab diesem Zeitpunkt damit anfing, jedes Nahrungsmittel kritisch auf seinen Energiegehalt zu überdenken, bevor ich es mir in den Mund schob. Der Beginn einer fast lebenslang andauernde Angewohnheit.

Ich habe oft darüber gegrübelt, was ein so dahingesagter Satz mit einem Kind machen kann. Gerade bei einem jungen, unsicheren, heranwachsenden Mädchen, das erst noch nach seiner Richtung sucht und nach dem Körper, in dem es sein will und sich wohlfühlt.

In dieser Zeit der Vorpubertät sind wir so sensibel und empfänglich für jeden Einfluss und Kritik von außen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten noch gesteigert und zugespitzt. Durch Fernsehshows, Magazine und die sozialen Medien wird das Erreichenwollen eines vermeintlichen Schönheitsbilds unter jungen (und auch älteren) Mädchen und Frauen immer mehr zum Lebensinhalt.

Gut, als ich elf war, gab es noch keine sozialen Medien, aber eine Ansage der verehrten Ballettlehrerin hatte sicher ähnliche Auswirkungen wie heutzutage ein kritischer Kommentar von Heidi Klum an ihre Mädchen. Fräulein Bertrams Urteil hat mich für mein Körpergewicht sensibilisiert und ich vermute, es hat in mir eine lebenslange Daueraufgabe losgetreten – die des Strebens nach dem perfekten Körper.

Noch nie gab es so viele essgestörte junge Menschen, die sich entweder runterhungern oder nach dem Essen die Seele aus dem Leib kotzen.

Man stelle sich vor: Hätte ich diese Ballettstunde verpasst, wer weiß, wie mein Leben verlaufen wäre?

Ich bin mir allerdings auch sicher, dass ich ohne diese Ansage auch nicht völlig aus den Nähten geplatzt wäre. Denn als Mitglied der Babyboomer-Generation habe ich meine gesamte Freizeit draußen verbracht, bin permanent herumgerannt, geklettert, geschwommen, habe sämtliche Sportfeste mit Bravour gemeistert und habe meist auch nur dann gegessen, wenn ich Hunger und vor allem Zeit dazu hatte. Süßigkeiten gab es bei uns nicht in dem Überfluss wie heute und waren eher die Ausnahme. Wir hatten eine völlig entspannte Einstellung zum Essen und das war eine gute Basis für die gesunde Entwicklung eines jungen Körpers.

In diesem Sommer, in dem ich wegen meiner Oberschenkel getadelt wurde, ging es los, dass ich nicht mehr so unbeschwert ins Schwimmbad gegangen bin wie all die Jahre zuvor. Ich stellte mich nicht mehr einfach auf das Dreimeterbrett und sprang ins Wasser, ohne mir Gedanken zu machen, wie das wohl aussähe. Vielmehr zog ich jetzt immer den Bauch ein, wenn ich im Bikini umherlief. Auch dieses Verhalten hat sich über die Jahre in mir manifestiert.

Egal, ob ich später zeitweise eher dünn war oder mal mehr auf den Rippen hatte: Es war ein Reflex, eine Sache, die automatisch läuft, wie atmen. Bikini = Luft anhalten, Bauch einziehen. Wenn ich so nachdenke, gab es in meinem Leben nur eine Zeit, in der ich den Bauch in Badekleidung nicht eingezogen habe, und das war, als ich ihn nicht einziehen konnte – in meiner Schwangerschaft.

Mein Figur-Selbstoptimierungsprogramm lief nun auf Autopilot. Ich war zwar ein normalgewichtiges Kind und eine ebensolche Jugendliche, aber die Vorstellung, dass ich zu dick sei, hatte sich schon fest in meinem Kopf manifestiert. Und sie fraß sich weiter fest, wie ein Virus. So richtig kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wann ich meine erste richtige Diät gestartet habe. Aber ich glaube, es war während meiner Studienzeit. Auf alle Fälle habe ich sie sehr konsequent mit sehr großem Erfolg durchgezogen: Ich nahm in 30 Tagen fünf Kilo ab. Das ist ziemlich viel für eine normalgewichtige junge Frau.

Die Wirkung der Radikalkur war so tief greifend, dass sich mein Stoffwechsel das für immer gemerkt hat. Ich bin mir sicher, er dachte an Hunger und Krieg und arbeitete nur noch auf Sparflamme. Als ich nach der Diät wieder normal aß, behielt mein Körper erst mal alles an sich, damit er bei den nächsten Hungerkatastrophen eine ordentliche Notration vorrätig hätte. Bis heute schaltet er sofort auf Sparflamme, sobald mein Gehirn das Wort Diät auch nur denkt.

Den Diäterfolg, den ich als Studentin hatte, konnte ich in dieser Form nie wiedererlangen. Wobei ich wirklich eine ganze Reihe von vielversprechenden und auch weniger vielversprechenden Diäten ausprobiert habe. Wenn ich zurückdenke, war mein Körper eigentlich einem ständigen Jo-Jo-Effekt ausgesetzt. Trotzdem bin ich glücklicherweise nie so richtig auseinandergegangen, dafür habe ich immer zu viel Sport gemacht und letztendlich auch immer auf die Kalorien geschaut. Ich bin nicht der Typ, der sich abends hemmungslos eine Tafel Schokolade am Stück reinziehen kann. Zum einen schmeckt mir das gar nicht wirklich und dann hätte ich auch immer ein viel zu schlechtes Gewissen. Aber das Thema Essen hat immer einen immens großen Stellenwert für mich gehabt und leider habe ich oft Essen und Genuss mit einem schlechten Gewissen verbunden.

Irgendwann schlug mir mein Körper oder besser gesagt meine Schilddrüse ein Schnippchen. Sie sorgte nämlich dafür, dass mein lang und mühsam angelerntes Schlankheitskopfkino plötzlich praktisch über Nacht nicht mehr so ablief, wie ich es gewohnt war. Denn plötzlich wog ich trotz gleichbleibenden Essverhaltens und gleichen Bewegungskontos fünf Kilo mehr. Zuerst war mir das ein völliges Rätsel und es ratterte der übliche Mechanismus in meinem Kopf los. »Du musst jetzt sofort eine Diät starten«, was ich natürlich in gewohnter Weise auch tat. Das Resultat: 0! Absolut 0,0 Gramm Gewichtsverlust!

Meine Ärztin servierte mir dann nach einem Bluttest die niederschmetternde Nachricht: »Sie können gar nicht abnehmen, weil Ihre Schilddrüse in einer massiven Unterfunktion ist.« Ja, und was heißt das nun? »Wir stellen Sie jetzt mal medikamentös ein und dann wird sich alles wieder einpendeln.« Gesagt, getan. Wir experimentierten also eine ganze Weile mit Schilddrüsenhormonen herum, bis ich angeblich »optimal« eingestellt war. Und was passierte mit meinen fünf zusätzlich gewonnenen Kilos? Nix – gar nix! Sie purzelten nicht einfach so wieder herunter.

Zum Glück purzelten sie auch nicht noch weiter nach oben, was mir Freundinnen mit ähnlichen Beschwerdelagen düster prophezeit hatten. Trotzdem ist es ungerecht: »Typ Ziege« hätte eine zu lahme Schilddrüse wahrscheinlich gar nichts ausgemacht. Im Gegenteil, »Mähhähhäh«, hätte sie jetzt auch noch Komplimente über ihr gesünderes Aussehen und ihre schönen vollen Wangen bekommen.

Trotzdem veränderte sich durch die Diagnose etwas in mir. Ich hatte plötzlich keine Lust mehr, mir unrealistische Diätziele zu stecken. Vielleicht, so habe ich mir gedacht, will mir meine Schilddrüse genau das sagen: »Hör endlich auf, dich zu kasteien, und lass die Finger davon, gegen irgendwelche Kilos anzukämpfen. Und zwar jetzt!« Das war wie ein kleiner Befreiungsschlag.

Ich schaffte es tatsächlich, das Thema loszulassen. Nicht einfach so natürlich. Aber langsam, Stück für Stück, konnte ich mich davon befreien.

Eines der tief greifenden Erlebnisse, die mir hier auch weitergeholfen haben, war meine Schwangerschaft und die Geburt meines Sohnes. Schon alleine dafür zolle ich ihm meine Dankbarkeit. Aber natürlich auch für vieles mehr.

Auch dafür, dass er jeden Tag auf wundersame Weise seinen Dienst verrichtet. Letztendlich ist es nur der Jo-Jo-Effekt in meinem Kopf, den es zu bändigen gilt.

Keine von uns weiß, was sie erwartet oder was noch auf sie zukommen wird. Jeder Tag bringt neue Aufgaben und Herausforderungen für mich und meinen Körper. Er muss aufstehen, sich bewegen, denken, arbeiten, essen, trinken, fühlen und sich nachts wieder regenerieren – solange ich lebe. Und ich muss diese Herausforderungen annehmen und lernen, damit umzugehen. Dabei spielt es keine Rolle, ob ich nun ein paar Kilos zu viel auf der Waage habe, ob sich die Orangenhaut an den Oberschenkeln nun endgültig durchgesetzt hat, die Muttiarme winken oder ich hin und wieder mal das Fitnessstudio schwänze und mir dafür am Abend noch ein Stück Käse in den Mund schiebe und ein Glas Rotwein dazu trinke.

Das Schöne ist doch: Alter befreit und wir sollten die Zeit der ewigen Selbstzweifel einfach hinter uns lassen und einen Weg finden, der zu uns und unserem Leben passt.

Ich habe mit meinem Körper deshalb endlich Frieden geschlossen und versuche das zu tun, was mir und ihm guttut. Ohne Reue und schlechtes Gewissen. Keine weiteren Diäten – stattdessen habe ich meine Ernährung umgestellt und an meine Bedürfnisse angepasst. Das klappt aber nur, weil ich nicht mehr so streng bin mit mir.

Mein Körper hat es verdient, dass ich ihm mit Achtung begegne und nett zu ihm bin, und ich sollte ihn nicht wegen ein paar Gramm zu viel quälen. Mit dieser Einstellung hat auch mein Körper mit mir Frieden geschlossen.

Und plötzlich hat sich das Jo-Jo einfach selber aufgerollt.

(Uli)

Und als ich auf der Waage stand, wurde mir klar: Wer ein Herz aus Stahl, Nerven wie Drahtseile und einen Charakter aus Gold hat, kann ja gar nicht weniger wiegen.