Die Quantengöttin

Die Quantengöttin

Wellen und Teilchen - ein Geheimnis

Lotte Ingrisch

Helmut Rauch

Seifert Verlag

Was wissen wir über die Entstehung des Universums (­Urknall usw.), was ist gesichertes Wissen und was ­Vermutung?

Wieso gibt es die Natur gerade so, wie wir sie erkennen oder zu erkennen glauben? Wieso haben die Naturkonstanten gerade die Werte, die wir beobachten? Was wäre, wenn diese anders wären? Wie entsteht unsere Welt aus der dahinterliegenden Quantenstruktur?

Was ist existent und können wir nicht oder nur sehr schlecht messen (Neutrinos, dunkle Masse, dunkle Energie usw.)?

Ist ein Ende abzusehen?

Helmut Rauch (22.1.1939–2.9.2019)

Inhalt

1. Asche und Licht

2. Du bist eine Antenne!

3. Hat Newton den Mythos ­umgebracht?

4. Das Entsetzen

5. Glaubt Erwin Schrödinger an Geister?

6. Wer bin ich?

7. Das Geheimnis der Quantenwelt

8. Der Prophet

9. Der Quantengott

10. Die Quantengöttin

11. Ich möchte eine Geschichte ­erzählen

12. Rechner und Sänger

13. Religionskriege

14. Es gibt kein Ich, keine Zeit, ­keinen Tod

15. Der Verfall

16. Ein Recht auf das Leben. Ein Recht auf den Tod

17. Ratschläge einer Raupe

18. Wo herrscht der Quantengott?

19. Ein Intermezzo mit ­William Blake

20. Was ist Religion?

21. Die zweite Geschichte und ihre Zeugin

22. Ein Wolf stirbt

23. Fabelwesen

24. Der Physiker im Wunderland

25. Sylvie und Bruno

26. Die Entrückung

27. Die Welt vibriert

28. Homöopathie

29. Ein Spektrum von Realitäten

30. Der fremde Gott

31. Die Doppelnatur

32. Little People

33. Alte Zaubersprüche, neue ­Formeln

34. Verzauberung und Erlösung

35. Die Verwandlung der Elben durch die Aufklärung

36. Energie

37. Zurück vor den Urknall!

38. Pythagoras

39. Himmel und Hölle

40. Die Seele

41. Geist und Materie

42. Frequenzen

43. Wie viele Welten gibt es?

44. Das Jenseits

45. Leben und Liebe

46. Drei Briefe

47. Die zweite Zeugin

48. Ein Plural von Biografien

49. Was ist information?

50. Ein Toter geht zum Friseur

51. Haben wir mehr als einen Körper?

52. Das ungehorsame Gehirn

53. Träumen Quanten?

54. Die Welt schwingt

55. Wer werde ich in wenigen ­Minuten sein?

56. Wolf und Eule

57. Mein fünftes Evangelium

58. SOS an die Wissenschaft

59. Gestatten, ich bin ein Riesenteilchen,…

60. Eine Antwort mit Folgen

61. Wie schaut ein Quant aus?

62. Der doppelte Pietschmann

63. Erklärt das ein unerklärliches Phänomen?

64. Erklärt das ein unerklärliches Phänomen?

1

Asche und Licht

Götter und Göttinnen wachsen aus uns wie Bäume aus der Erde. Auch Engel, Dämonen, Geister und Elben. Es gibt vielerlei Erden. Fruchtbare, Wüsten, Moore. Und in allen gedeihen andere Früchte.

Woraus wachsen wir? Wir wissen es nicht. Und weil wir es nicht wissen, unterscheiden wir gehorsam zwischen Richtig und Falsch.

Gibt es falsche Bäume? Falsche Götter? Gibt es Engel, Dämonen, Geister und Elben? Gibt es alles und nichts?

Das vermute ich. Und weil das Zentrum jedes Mythos, jeder Religion der Tod ist, soll er auch das Zentrum dieses Buches sein. Nicht der Tod als Gegensatz des Lebens, sondern als seine ständige Verwandlung.

Wir sind, sagt die Religion der Physik, Quanten. Teilchen und Welle. Materie und, wie man es seit Jahrtausenden nennt, Seele. Aber beide sind, so viel wir auch forschen, Geheimnisse geblieben.

In dieser Welt fressen wir, um zu leben, uns gegenseitig auf. Tiere, Pflanzen, Menschen. Auch Sterne. Und Teilchen. Kannibalismus scheint unsere Natur zu sein, auch wenn wir sie kaum mehr wahrnehmen.

Fressen die Götter einander ebenfalls auf? Ja, das tun sie. Und wir Menschen helfen ihnen gründlich dabei. Mit Glauben und Gewalt.

Nach unserer Vorstellung hat Jahwe die Welt erschaffen, eine der grausamsten Gestalten, die aus uns wuchsen.

Aber wurde sie überhaupt erschaffen? Oder erschuf sie sich selbst? Wir sind Sternenstaub. Kinder der Sterne, und Gaswolken sind unsere Ahnen. Wir sind kosmische Prozesse, ineinander verflochten wie himmlisches Haar. Und ineinander verflochten ist alles. Menschen und Milchstraßen, Schwarze Löcher und Weiße Riesen, Vergangenheit, Zukunft, Leben und Tod: das Gewebe der Welt. Ein Gewebe aus Erscheinungen, die sich fortwährend ineinander verwandeln, schrecklich und wunderbar.

Ob Leben der einzige Zustand der Existenz ist? Wir könnten uns auch fortpflanzen wie das Licht und Liebe nicht als Trieb, sondern als geistigen Zustand erfahren. Was die Physik Frequenzen nennt, schließt vielleicht verschiedene Grade der Wahrnehmung ein, in denen Schamanen und Magier vergangener Kulturen andere Wirklichkeiten erfahren wurden.

»Es gibt«, sagt Sir Karl Popper, »keine Theorie über die Wirklichkeit, die absolut und jederzeit gültig wäre.« Und da kann man ihm kaum widersprechen. Denn sie verändert sich mit dem Raum und der Zeit, in der sie erscheint, und wir nehmen sie unterschiedlich wahr. »Wie wirklich«, fragt Paul Watzlawik, »ist die Wirklichkeit?«

Wahrscheinlich ist sie die Übersetzung eines uns unbegreiflichen Seins in so viele Sprachen oder auch Dialekte, als es Individuen gibt. Wobei die Sprachen, wie die Individuen, einander ähnlich sein können oder auch nicht. Es gibt also keine verbindliche Wirklichkeit, obwohl sie uns alle verbindet. Und manchmal auch trennt.

Ist Wirklichkeit weniger wirklich, wenn sie in uns – statt außerhalb von uns – erscheint? Die Grenze zwischen Innen und Außen wurde noch von jeder Kultur anders gezogen, und von manchen überhaupt nicht. Sie ist willkürlich oder unwillkürlich, je nachdem, wie man eine Kultur definiert.

Ob wir der Erde nicht ähnlicher sind, als wir glauben? Geformt nach ihrem Bild. Ihr Kern ist aus Nickel und Eisen, mit einem Feuermantel darüber. Und über dem Feuer Wasser, Erde und Luft. Der Mensch ist, sagen wir, irdisch. Sollten wir nicht auch unsere feurigen, flüssigen und luftigen Zustände haben?

Vielleicht sind wir, wenn wir träumen, in unserem flüssigen Zustand. Wir fließen, wie auch die Träume es tun, und verwandeln uns in jede Gestalt. Sind Träume wirklich? Ebenso gut könnten wir fragen, ob Wasser wirklich ist. Nur gelten dort andere Gesetze als auf der Erde, und wieder andere gelten im Feuer oder der Luft.

Feuer ist der Tod. Feuer ist die Auferstehung. Feuer verwandelt uns in Asche und Licht.

Den Text von Lotte Ingrisch mit Faszination lesend, verbleibt mir als Naturwissenschaftler nur zu versuchen, einige Aspekte aus dieser Gedankenwelt einzubringen. Dabei geht es um genauere Begriffsbestimmungen und um die Wiederholbarkeit von Ereignissen, also um die Verifikation von gemachten Aussagen. Wir können nur Aussagen tätigen, sofern wir für die Objekte der Aussagen geeignete Antennen haben, um zumindest Teilaspekte in unser Bewusstsein aufnehmen zu können. Als derartige Antennen können unsere Augen, Ohren, Geruchs- oder Tastsinne gelten, aber auch alle von Menschen geschaffenen Antennen, seien es Radio- oder Fernsehantennen, Teleskope oder Mikroskope zur Erforschung der Makro- oder Mikrowelt, oder aber die riesigen Teilchendetektoren beim CERN. Wir erkennen daher nur diese Teile der uns umgebenden Natur, für die wir Antennen verfügbar haben, wobei wir im Bereich der Naturwissenschaft zusätzlich die Einschränkungen machen, dass die jeweiligen Antennen für alle Menschen eine vergleichbar gleiche Information liefern.

Für viele von Lotte Ingrisch angeführte Phänomene haben wir zumindest bisher keine den naturwissenschaftlichen Kriterien adäquate Antennen, was aber nicht bedeuten soll, dass es diese Phänomene nicht gibt und diese nicht von Person zu Person verschieden wahrgenommen werden. Sehen wir uns in diesem Zusammenhang das Phänomen Traum an. Auch diesem ist Realität zuzuordnen, zumal im Bewusstsein verschiedene Vorgänge aktiviert werden, die es gestatten, den Traum zu erleben und diesen zumindest teilweise abzuspeichern, und so gibt es zahlreiche Phänomene, die Personen individuell wahrnehmen, die aber nicht den Kriterien der Wiederholbarkeit entsprechen.

Wir können daher als Conclusio festhalten, dass wir nur einen sehr beschränkten Zugang zu den wahren Vorgängen der Natur haben, sei es wegen der fehlenden, der zu geringen Empfindlichkeit der uns zur Verfügung stehenden Antennen.

Während im naturwissenschaftlichen Bereich die Antennen Messresultate liefern, die alphanumerisch oder grafisch dargestellt werden können, gibt es im Bereich vieler mentaler Wahrnehmungen diese Möglichkeit nicht. Selbst bei verbalen Beschreibungen bleibt die Bedeutung der verschiedenen Worte und deren Zusammenhänge der individuellen Interpretation der Individuen vorbehalten. Noch viel stärker ist diese an das Individuum gekoppelte Wahrnehmung bei Phänomenen wie Trauer, Freude, Gefühl, Liebe usw. Gemeinsam haben jedoch heuristische und naturwissenschaftliche Beobachtungen, dass sie nie vollständig sein können und Platz für neue Erkenntnisse lassen. Wie tief neue Erkenntnisse in das Meer des Unbekannten vordringen, hängt von der Qualität der Antennen ab; sie werden jedoch nur einen winzigen Teil des Unbekannten aufklären können. Das Individuum, das heißt der Beobachter, spielt dabei eine essentielle Rolle, wodurch sich ein direkter Zusammenhang mit der Quanten­physik ergibt.

2

Du bist eine Antenne!

Mein Leben lang hat mir das eine innere Stimme gesagt. »Empfange und sende! Das ist deine Aufgabe. Sonst nichts.«

Zwei Antennen haben einander gefunden. Helmut Rauch revolutionierte die Quantenphysik und zeigte, dass Neutronen wie Licht reagieren. Lotte Ingrisch versucht, unser Weltbild zu revolutionieren – nicht nur Neutronen, auch Tote reagieren

wie Licht. Rauch auf der Physikertagung:

Neutronen scheinen über die physikalische Information anderer Neutronen informiert zu sein, unabhängig, wie weit sie voneinander entfernt sind.

Masseteilchen oder Menschen, gelten die gleichen Gesetze? Wie Neutronen können auch wir unabhängig von der Entfernung biologische und psychische Situationen anderer Personen erkennen.

Quantenmechanische Unschärferelationen sind keinerlei dimensionsabhängigen Beschränkungen unterworfen. … Sämtliche Ergebnisse zeigen, wie Quanteneffekte den Makro­kosmos ebenso beeinflussen wie den Mikrokosmos.

Eine uralte Weisheit: Wie oben, so unten!

3

Hat Newton den Mythos ­umgebracht?

Diese Frage stellte der amerikanische Fernsehjournalist Bill Moyers meinem Lieblingsmythologen Joseph Campbell. »Oh«, antwortete dieser, und vielleicht lächelte er dabei: »Ich denke, der Mythos kommt wieder.«

War er nicht die ganze Zeit da? Nur traten die Götter und Göttinnen bei Newton als Gesetze auf, und Schluss war mit der schönen Allotria. Als dann Relativitätstheorie und Quantenphysik in die wissenschaftliche Arena einzogen, mussten sie nicht mehr eisern sein und offenbarten neuerlich ihre mutwillige, laszive Natur. Auch die Erde spielte nicht länger Maschine und feierte ihr Comeback als Göttin Gaia, die wir leider sehr ungöttlich behandeln.

Meine »Physik des Jenseits« erschien 2004 und trägt den Untertitel »Einsteins Märchen, Quantenmythen und exakte Geisterwissenschaft«. Ich war damals – und bis zu seinem Tod – mit unserem größten Mathematiker, Edmund Hlawka, befreundet, sogar ein Planet ist nach ihm benannt. »Ist aber nur ein ganz kleiner Planet«, sagte der bescheidene Wissenschaftler.

Ich zitiere ein Gespräch, das wir in jener Zeit führten:

Lotte: Du, Edmund …

Hlawka: Ja?

Lotte: In dem Buch, das ich grad schreib …

Hlawka: Du schreibst schon wieder ein Buch?

Lotte: Noja.

Hlawka: Ich hab mir dein letztes gekauft.

Lotrte: Was, ich hab es dir nicht geschenkt?

Hlawka: Hast du nicht. Und lauter Felder kommen drin vor. Kein Mensch weiß, was ein Feld ist.

Lotte: Was Frequenz ist, weiß auch niemand.

Hlawka: Die Anzahl der Bewegungen.

Lotte: Was soll sich schon bewegen, wenn es in Wirklichkeit gar nichts gibt?

Hlawka: Ja, ein Teilchen hat noch niemand gesehen.

Lotte: Aber Gespenster? Tausende haben Gespenster gesehen. Zu allen Zeiten. Ich auch.

Hlawka: Du mit deinen Gespenstern.

Lotte: Im neuen Buch erkläre ich alle Physiker zu Mythologen.

Hlawka: Die werden sich freuen. In der Luft zerreißen werden sie dich. (Taten sie auch, besonders ein gewisser Aichelburg.)

Lotte: Warum sollten sie? Ich liebe sie doch. Die Physik und die Mythologie, das ist dasselbe.

Hlawka: Ist es nicht. Die Physiker halten sich für exakt.

Lotte: Exakt ist überhaupt nichts. Oder war Newton exakt?

Hlawka: Du meinst, wegen Einstein und der Quantenphysik? Aber du musst unterscheiden zwischen Atomen und Eddingtons zweitem Tisch.

Lotte: Jö, Eddington! Den liebe ich besonders. Ein Mystiker der Physik. Er glaubt auch nicht, dass die Welt wirklich ist.

Hlawka: Das Wesen der Wirklichkeit ist geistig, sagt er. Das ist nicht dasselbe.

Lotte: Vielleicht nicht ganz. Aber der Mathematiker begreift die Welt nicht besser als der Dichter, er versteht sich nur besser aufs Rechnen. Sagt er auch. Ach so, entschuldige. Was ist mit dem Tisch?

Hlawka: Es gibt den Tisch, an dem du sitzt. Und dann gibt es den Tisch, der hauptsächlich aus Leere besteht, in der wie ein Fliegenschwarm elektrische Ladungen herumschwirren.

Lotte: Jetzt hab ich dich gar nicht gefragt, wie es dir geht?

Hlawka: Wie soll es mir schon gehen? Ich bin siebenundachtzig.

Lotte: Bist du nicht, warum machst du dich immer älter? Außerdem ist Sterben schön. Wenn du die kritische Schwarzschildfläche durchquerst, was ist die überhaupt?

Hlawka: Die Wand des Schwarzen Lochs. Seine Haut.

Lotte: Wenn du da durchgehst, erblickst du die Unendlichkeit.

Hlawka: Ich erblicke gar nichts, weil das Schwarze Loch mich in Stücke zerreißt. Wo ich eh so wehleidig bin. (Seufzt)