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Impressum

Die Originalausgabe erschien 2020 unter dem Titel «Stephen Hawking. A Memoir of Friendship and Physics» bei Pantheon Books, New York.

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2020

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Stephen Hawking. A Memoir of Friendship and Physics» Copyright © 2020 by Leonard Mlodinow

Lektorat Frank Strickstrock

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung Anzinger und Rasp, München

Coverabbildung China Photos/Getty Images

Schrift DejaVu Copyright © 2003 by Bitstream, Inc. All Rights Reserved.

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Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-00569-3

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

ISBN 978-3-644-00569-3

Fußnoten

Stephen nannte seine Pflegerinnen «Betreuerinnen». Die meisten waren keine professionellen Krankenpflegerinnen.

Caius wird Keys ausgesprochen.

Unter der Voraussetzung, dass die Diskrepanz nicht auf einen experimentellen Fehler oder ein Versagen der Näherungsmethode zurückgeht, die angewandt wurde, um die Voraussage herzuleiten.

Dunkle Energie und dunkle Materie stellen zwei unerklärte Anomalien in der heutigen Physik dar. Werden sie sich schließlich innerhalb unseres gegenwärtigen Rahmens von Theorien erklären lassen oder durch deren Nachbesserung, oder werden sie einen völlig neuen Ansatz erfordern? Das weiß bislang niemand.

Ausgesprochen «Schama».

Mit «kaum verändert» war die kosmische Skala gemeint. Kleinräumige Veränderungen sind ganz offensichtlich Teil der Natur – Planetenbahnen, Felslawinen, das Leben und Sterben der Menschen.

Die Kosmologische Konstante wirkt sich nur bei sehr großen Entfernungen aus. Sie führte keine Effekte in die Gleichung ein, die mit der damaligen Technologie messbar gewesen wären, daher hatte Einstein die freie Wahl, sie einzufügen oder nicht. Im Jahr 1998 änderte sich dies. Der Term musste tatsächlich eingefügt werden.

Der Begriff «Schwarzes Loch» wurde bereits 1964 in einem populärwissenschaftlichen Artikel über eine Astrophysikkonferenz erwähnt.

Der Raum besteht aus Punkten, die sich durch die Koordinaten für Länge, Breite und Höhe definieren lassen. Um festzustellen, wie weit ein Punkt von einem anderen entfernt ist, bildet man die Differenz zwischen den entsprechenden Koordinaten. Die Raumzeit ist aus «Ereignissen» aufgebaut, Punkten im Raum mit einem aufgedruckten Zeitstempel, und die Trennung von Ereignissen in diesem Raum hängt von ihrer zeitlichen wie auch von ihrer räumlichen Distanz ab.

Aus technischen Gründen sollte diese Masse die Form einer Kugelschale annehmen, aber dieses Detail ist für unseren Kontext unwichtig.

LIGO steht für Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory/Laser-Interferometer Gravitationswellen-Observatorium. Die Entdeckung wurde 2016 publik gemacht.

Wenn auch nicht unbedingt im Bereich sichtbarer Wellenlängen.

Die ganze Sache ist für rotierende Schwarze Löcher etwas komplizierter, aber das interessiert uns in diesem Zusammenhang nicht.

Nur sehr massereiche Sterne weisen eine innere Gravitationskraft auf, die groß genug ist, um bei ihrem Kollaps ein Schwarzes Loch zu erzeugen.

Schall bewegt sich durch verschiedene Stoffe mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Die Schallgeschwindigkeit, auf die ich mich hier beziehe, ist die Geschwindigkeit des Schalls in dieser bestimmten Flüssigkeit.

Makroskopische Alltagsobjekte bestehen aus sehr vielen Molekülen. Bei solchen Objekten heben sich die Beiträge der meisten Pfade gegenseitig auf und schaffen so etwas, das – als Ganzes gesehen – den Newton’schen Gesetzen gehorcht. In der Sprache der Physiker sagt man, es komme durch Wechselwirkung von inneren Freiheitsgraden zu Dekohärenz.

Die Allgemeine Relativitätstheorie sagt uns auch, dass zusammen mit der Verlangsamung der Zeit direkt am Rand eines Schwarzen Lochs Lichtwellen, die von den dort quasi festsitzenden Objekten emittiert werden, immer langsamer schwingen. Ihre Frequenz nimmt schließlich derart ab, dass diese Objekte, ganz gleich, wie hoch der Stand unserer Technologie ist, unentdeckbar werden. In mancher Hinsicht macht das die Frage, ob sie hineingefallen sind oder am Rand des Ereignishorizonts «festkleben», hinfällig.

Haco, S., Hawking, S.W., Perry, M.J., & Strominger, A. (2018). Black hole entropy and soft hair. Journal of High Energy Physics, 2018 (12), 98.

Siehe Stephen Hawking, «Cosmology from the Top Down», The Davis Meeting on Cosmic Inflation, 22.–25. März 2003.

Technisch wird in der Quantenfeldtheorie über Feldkonfigurationen summiert.

 

1942–2018

Ich nahm Abschied von Stephen in der Kirche St. Mary, einem 500 Jahre alten Gebäude im Zentrum von Cambridge. Es war im März 2018. Ich saß im Seitenschiff, und als er vorbeigetragen wurde, waren wir einander für einen letzten Moment sehr nahe. Ich hatte das Gefühl, als sei ich wieder bei ihm, trotz des Sarges, der ihn vor mir und den anderen Trauergästen verbarg und der ihn nach 76 Jahren endgültig vor den Gefahren und Herausforderungen der physischen Welt beschützte.

Stephen glaubte, der Tod ist das Ende. Wir Menschen erzeugen Gebäude, Theorien und Nachkommen, und der Fluss der Zeit trägt sie vorwärts. Aber wir selbst werden letztlich Geschichte sein. Davon war auch ich überzeugt, und doch hatte ich, als der Sarg vorbeigetragen wurde, das Gefühl, als sei er im Inneren der hölzernen Kiste immer noch bei uns. Es war ein unheimliches Gefühl. Mein Verstand sagte mir, dass das Leuchtfeuer von Stephens Existenz erloschen war, wie auch mein eigenes in nicht allzu vielen Jahren erlöschen würde. Die Physik hatte mich gelehrt, dass eines Tages nicht nur alles, was wir schätzen und lieben, sondern überhaupt alles, dessen wir uns bewusst sind, vergangen sein wird. Ich weiß, dass selbst unsere Erde, unsere Sonne und unsere Galaxie nur auf begrenzte Zeit existieren und wenn unsere Zeit ausläuft, alles zu Staub wird. Dennoch sandte ich Stephen im Stillen meine Liebe und meine besten Wünsche für die ewige Zukunft.

Stephen war weltberühmt dafür, die Welt der Physik aufzumischen, Bücher darüber zu schreiben und all das aus dem Inneren eines versehrten Körper heraus. Aber nicht weniger herausfordernd für jemanden, der sich nicht bewegen und vor allem nicht sprechen kann, ist es, langfristige Freundschaften aufrechtzuerhalten, tiefe Beziehungen zu entwickeln und Liebe zu finden. Stephen wusste, dass es menschliche Bindung, Liebe und nicht nur seine Physik war, die ihn nährte. Und auch in dieser Beziehung war Stephen über alle vernünftige Erwartung erfolgreich.

Einige Lobreden spielten auf die Ironie an, dass Stephen, der nicht an Gott glaubte, eine kirchliche Trauerfeier hatte. In meinen Augen ergab das sehr wohl Sinn, denn obwohl er intellektuell leidenschaftlich davon überzeugt war, dass die Gesetze der Naturwissenschaften alles kontrollieren, was in der Natur geschieht, war Stephen ein tiefspiritueller Mensch. Er glaubte an den menschlichen Geist. Er glaubte, dass alle Menschen über eine emotionale und moralische Essenz verfügen, die uns von anderen Tieren unterscheidet und uns als Individuen definiert. Die Überzeugung, dass unsere Seele nicht übernatürlich ist, sondern vielmehr das Produkt unseres Gehirns, minderte seine Spiritualität nicht. Wie denn auch? Für Stephen, den Mann, der weder sprechen noch sich bewegen konnte, war sein Geist alles, was er besaß.

«Sturheit ist meine beste Eigenschaft!», pflegte Stephen gern

***

Ich lernte Stephen kennen, nachdem er 2003 Kontakt zu mir aufgenommen hatte. Er fragte mich, ob ich mir vorstellen könne, mit ihm ein Buch zu schreiben. Er hatte meine Bücher gelesen, Das Fenster zum Universum: Eine kleine Geschichte der Geometrie (Euclid’s Window) über den gekrümmten Raum, und Feynmans Regenbogen (Feynman’s Rainbow) über meine Beziehung zu dem legendären Physiker. Er sagte, er mochte meine Art zu schreiben und auch, dass ich als Physikerkollege in der Lage sei, seine Arbeit zu verstehen. Ich war überwältigt, ich war geschmeichelt. In den folgenden Jahren sollten er und ich zwei Bücher zusammen schreiben, und wir sollten darüber hinaus Freunde werden.

Unser erstes gemeinsames Buch war Die kürzeste Geschichte der (A Briefer History of Time). Das war kein originäres Werk, sondern eine Neufassung von Stephens berühmtem Buch Eine kurze Geschichte der Zeit (A Brief History of Time). Seine Idee war, das Original verständlicher zu machen. Kip Thorne, ein theoretischer Physiker am Caltech und einer seiner engsten Freunde, meinte einmal zu mir, je mehr man über Physik wisse, desto weniger verstehe man Eine kurze Geschichte der Zeit. Stephen drückte es ein wenig anders aus: «Jeder kauft es», spottete er. «Aber nicht viele lesen es.»

Die kürzeste Geschichte der Zeit kam 2005 heraus. Ich gehörte damals zur Fakultät des Caltech. Stephen lebte in England, besuchte das Caltech aber jedes Jahr für zwei bis drei Wochen. Seine Besuche und unsere E-Mail-Kommunikation hatten ausgereicht, um Die kürzeste Geschichte fertigzustellen. Wie Das Universum in der Nussschale (The Universe in a Nutshell) und seine anderen Bücher basierte dieses Buch auf seiner Forschung in den 1970er und 1980er Jahren. Aber nach der Veröffentlichung von Die kürzeste Geschichte entschlossen wir uns, Der große Entwurf: Eine neue Erklärung des Universums (The Grand Design) zu schreiben. Darin ging es um seine neuesten Arbeiten, und wir würden ganz von vorn anfangen und über neue Theorien schreiben, die er noch nie zuvor in populärer Form vorgestellt hatte – und wir würden einige ziemlich komplexe Themen behandeln müssen. Paralleluniversen, die Idee, dass das Universum aus einem Zustand des Nichts entstanden sein könnte, die Tatsache, dass die Naturgesetze in genau der Weise aufeinander abgestimmt zu sein schienen, die für die Existenz von Leben notwendig ist. Es war klar, dass wir uns damit in einer anderen Liga bewegen würden. Wir würden viel Zeit im persönlichen Gespräch miteinander verbringen müssen. Und so begann ich, zwischen Kalifornien und Stephens Wohnsitz in Cambridge hin- und herzupendeln. Das blieb so, bis wir das Buch 2010 schließlich abschlossen.

***

Einstein kämpfte mit diesem Widerspruch. Musste die Relativitätstheorie geändert werden? Sollte man Newtons Gravitationstheorie aufgeben? Er wälzte das Problem zehn Jahre, verließ das Patentamt und pendelte zwischen akademischen Positionen in Bern, Zürich, Prag und Berlin. 1915 stellte Einstein seine neue Theorie, die Allgemeine Relativitätstheorie, schließlich fertig. Es war eine umfangreiche Umarbeitung der Speziellen Relativitätstheorie, eine Erweiterung dieser Theorie, in der den Auswirkungen der Schwerkraft explizit Rechnung getragen wurde.

Zu den vielen Punkten, in denen die Allgemeine Relativitätstheorie von Newtons Theorie abweicht, gehört eben die Korrektur von Newtons Grundsatz, dass Gravitation instantan übermittelt wird: Der Allgemeinen Relativitätstheorie zufolge pflanzt sich die Schwerkraft ganz analog den Lichtwellen wellenförmig fort – und zwar mit Lichtgeschwindigkeit; damit beachtet sie die Geschwindigkeitsbeschränkung der Speziellen Relativitätstheorie. Obgleich die zufriedenstellende Beschreibung, wie die Gravitationskraft übertragen wird, zu den ersten Erfolgen gehörte, die Einsteins

Newton hatte erklärt, warum Planeten ihre Bahnen ziehen und Dinge fallen, indem er sich eine Kraft vorstellte, die er Gravitation nannte. Die Gravitation oder Schwerkraft sorgt dafür, dass alle Materie einander anzieht und die Bahnen von Objekten von ihrer «natürlichen Bewegung» abweichen, die, so Newton, entlang einer geraden Linie erfolgt. Einstein zeigte uns, dass es sich dabei nur um eine näherungsweise Vorstellung handelt, dass es eine tiefere Wahrheit gibt, nach der das Phänomen der Gravitation auf ganz andere Weise beschrieben wird.

Einstein zufolge üben Materie und Energie ihre gegenseitige Anziehungskraft nicht mittels der Anwendung einer Kraft aus. Vielmehr sorgen sie dafür, dass der Raum sich krümmt – während die Raumkrümmung ihrerseits festlegt, wie Materie sich bewegt und wie Energie sich fortpflanzt. Die Materie wirkt auf die Raumzeit, und die Raumzeit wirkt auf die Materie. Diese Rückkopplungsschleife ist es, die die Mathematik der Allgemeinen Relativitätstheorie so schwierig macht. Um sie zu entwickeln, musste Einstein lernen, ein damals obskures Gebiet in den Griff zu bekommen, die sogenannte Nichteuklidische Geometrie – die Mathematik des gekrümmten Raumes. Im Lauf dieser zehn harten Jahre, die er brauchte, um die Allgemeine Relativitätstheorie zu perfektionieren, ging Einstein des Öfteren nach der Methode von Versuch und Irrtum vor und postulierte Formen, die die Theorie annehmen könnte, berechnete die Konsequenzen seiner provisorischen Versionen und überprüfte seine eigenen Ideen.

Für gewöhnlich liefert Newtons Theorie eine gute Näherung – darum hat es Jahrhunderte gedauert, bis irgendjemandem ihre

Heute wird die Spezielle Relativitätstheorie auf vielen Gebieten der Physik eingesetzt. Die Kontexte, in denen die Allgemeine Relativitätstheorie erforderlich ist, um die Dinge verständlich zu machen, sind jedoch begrenzt. Zu den zwei wichtigsten gehören Schwarze Löcher und der Ursprung des Universums. Jahrzehntelang erschienen beide Themen abgelegen und experimentell unzugänglich. Das frühe Universum galt als zu weit in der Vergangenheit liegend, als dass man es mit Gewinn hätte untersuchen können, und Einstein selbst verwarf Schwarze Löcher, denn er hielt sie für rein mathematische Kuriositäten und nicht ein tatsächlich in der Natur auftretendes Phänomen. In dem halben Jahrhundert, das auf Einsteins Artikel von 1915 folgte, wurden diese Themen daher weitgehend ignoriert, und die Allgemeine Relativitätstheorie wurde aufs wissenschaftliche Abstellgleis verschoben.

Was andere Physiker dachten, schreckte Stephen nicht ab. Sein erster Text war dann auch ein Wälzer, dessen Mitautor er war: The Large Scale Structure of Space-Time beschäftigte sich vorwiegend mit dem gekrümmten Raum und der Mathematik, die ihn beschreibt. Ich habe im College einen großen Teil dieses Buches gelesen und fand es sehr spannend, ein wirklich fesselndes Buch, aber man musste sich gründlich einlesen. Es konnte eine Stunde oder länger dauern, eine einzige Seite zu verdauen.

Schwarze Löcher und auch das frühe Universum faszinierten Stephen, und er machte die Physik dieser Systeme zum Hauptgebiet seiner Forschung. Seine frühen Arbeiten hatten großen Einfluss auf andere Wissenschaftler und ebneten den Weg für eine Wiederbelebung der vor sich hin dämmernden Allgemeinen Relativitätstheorie. Später trugen seine Entdeckungen hinsichtlich des Wechselspiels

Solchen Ideen und Phänomenen widmete Stephen sein Leben. Er legte ihre Bedeutung dar, und er hörte niemals auf, sie nach neuen Entdeckungen zu durchforsten. Als sich Stephen nach 40 Jahren Nachdenken und harter Arbeit entschloss, Der große Entwurf zu schreiben, glaubte er, die Antwort auf die schwierigsten Fragen, die er sich zu Beginn seiner Karriere gestellt hatte – wie hat das Universum begonnen, warum gibt es überhaupt ein Universum, und warum sind die Gesetze der Physik so, wie sie sind –, gefunden zu haben. Seine Antworten zu erklären war das Ziel unseres Buches Der große Entwurf.

***

Wenn man mit jemandem an einem Projekt arbeitet, muss man sich geistig mit dem anderen verbinden. Wenn man Glück hat, gelingt es auch, sich innerlich zu verbinden. Im Lauf unserer Arbeit wurden wir Freunde. Aus dem, was als intellektuelle Allianz begann, erwuchs eine tiefe menschliche Verbindung. Ich war überrascht, hätte es aber nicht sein sollen, denn Stephen suchte nicht nur nach den Geheimnissen des Universums, sondern er suchte auch nach Menschen, mit denen er sie teilen konnte.

Als Kind wurde Stephen von anderen Jungen gehänselt. «Er war klein und sah aus wie ein Äffchen», meinte ein früherer Kamerad aus der Highschool. Als Erwachsener war er der Gefangene eines nicht funktionierenden Körpers. Doch er bekämpfte die Schikanen mit Humor und seine Lähmung mit innerer Stärke. Niemand, der Stephen gut kannte, blieb unberührt von seiner starken Persönlichkeit oder seinem wissenschaftlichen Weitblick. Auf den nun folgenden Seiten möchte ich meine Erfahrungen teilen, wie es war, mit

Ich bin nicht besonders schaulustig, aber als ich 2006 das erste Mal in Cambridge eintraf, riss ich doch die Augen weit auf. Es war der Sommer in Stephens 64. Lebensjahr, und auch wenn viele Einzelheiten seines Lebens nicht mit der Darstellung in dem Hollywood-Film übereinstimmten, der ihn porträtierte, Cambridge erinnerte in vielen Details tatsächlich stark an einen anderen Film, den ich gesehen hatte – einen Harry-Potter-Film. Cambridge war Hogwarts. Die Nachbarbezirke weiter außen haben wahrscheinlich weniger Charme und Geschichte, doch ich wagte mich nur selten über das «alte Cambridge» hinaus, das Newton kannte, ein Gewirr von steinernen Straßen und Gebäuden, die an scheinbar zufällig gewählten Plätzen aus der Erde emporgewachsen waren. Dort liegt zwischen mittelalterlichen Kirchen und Friedhöfen ein großer Teil der Universität. Es ist ein Ort mit hohen, vor Jahrhunderten errichteten Mauern, die die Studenten vor den Stadtbewohnern schützen sollten, mit engen Gassen und fast ebenso engen, ungeordnet angelegten backsteingepflasterten Straßen, die wie lappige Bandnudeln aussahen.

Die ungeplante und unregelmäßige Anlage der Stadt wird verständlich, wenn man sich klarmacht, dass die Universität vor 800 Jahren gegründet wurde, Jahrhunderte bevor René Descartes sein ordentliches rechteckiges Koordinatensystem entwickelte. Dennoch ist «alt» ein relativer Begriff: Die Region von Cambridge

Auch wenn Cambridge an Hogwarts erinnerte, gab es einen wesentlichen Unterschied. Die Magie, die hier ausgeübt wurde, war real. Da war der Hof, in dem Newton mit dem Fuß aufstampfte, um die Zeit zu bestimmen, bis das Echo ertönte und damit die Schallgeschwindigkeit zu messen; da gab es die Laboratorien, die von James Clerk Maxwell gebaut wurden, der die Geheimnisse von Elektrizität und Magnetismus lüftete, und wo J.J. Thomson das Elektron entdeckte; da war die Bar, in der Watson und Crick gerne Bier tranken und über Genetik diskutierten, und das Gebäude, wo Ernest Rutherford – der Mann, der das Rätsel des Atomaufbaus entschlüsselte – seine sorgfältig geplanten Experimente durchführte.

In Cambridge ist man zu Recht stolz auf die eigene wissenschaftliche Tradition, Oxford, das stärker humanistisch orientiert ist, nennen sie nur «jene andere Schule». Der Leiter von Stephens Abteilung erzählte mir, dass er wie Stephen als angehender Student in Oxford gewesen war und seine Professoren von ihm verlangten, Aufsätze über wissenschaftliche Themen zu schreiben, statt die üblichen Hausaufgabenprobleme zu stellen. Er sagte, er habe versucht, in Cambridge solche Aufsätze einzuführen, aber keiner seiner Studenten habe einen Aufsatz abgeliefert. Hier liefen altmodische, urwüchsige Wissenschaftstypen herum, und wenn sie dazu bestimmt waren, einen Nobelpreis zu gewinnen, dann würde es nicht der Literaturnobelpreis sein.

Während meiner Besuche hatte Stephen mich in dem College untergebracht, zu dem er gehörte, Gonville & Caius[2], in einem

Als ich schließlich das Centre for Mathematical Sciences erreichte, den Gebäudekomplex, in dem Stephen sein Büro hatte, war ich froh, ins Innere zu gelangen. Es war jedoch schwierig, Stephens Gebäude zu finden. Das Zentrum umfasst sieben Pavillons, die parabelförmig angeordnet sind. Erbaut aus Ziegelstein, Metall und Naturstein, erinnerte ihr Aussehen an futuristisch-japanische Tempel. Ich mochte die Fenster, und es gab ziemlich viele. Der Gebäudekomplex hatte einen Preis für sein Design gewonnen, doch das Gestaltungselement, das ich am meisten vermisste, waren Pfeile mit der Aufschrift «Zu Stephen Hawking hier entlang».

Stephens Pavillon lag neben einem älteren Gebäude, dem Isaac Newton Institute. Newtons Name tauchte häufig auf, wenn man Stephen kannte. Die Leute verglichen ihn sogar mit Newton, was nicht einer gewissen Ironie entbehrt, denn Stephen konnte Newton nicht leiden. Newton war in zahlreiche kleinliche Streitereien verwickelt, war intrigant und rachsüchtig, als er eine Machtposition innehatte. Er weigerte sich, den Ruhm für irgendeine seiner Entdeckungen zu teilen oder auch nur zuzugeben, dass er von den Ideen anderer beeinflusst worden war. Zudem war er humorlos. Ein Verwandter, der fünf Jahre lang sein Assistent gewesen war, meinte, er habe Newton nur ein einziges Mal lachen sehen, und zwar, als ihn jemand fragte, wie man auf die Idee kommen konnte, Euklid zu studieren.

Vielleicht wichtiger als Stephens Einschätzung von Newtons Charakter ist, dass Stephen in der Highschool von der Newton’schen Physik, die dort unterrichtet wurde, gelangweilt war. Einen Wissenschaftler reizt die Entdeckung – ein Verhalten aufzuzeigen, das noch niemand zuvor gesehen hat, oder etwas zu verstehen, das noch niemand zuvor verstanden hat. Aber da die Newton’schen Gesetze die Alltagswelt beschreiben und jahrhundertealt sind, gab es in der Highschool-Physik keine Überraschungen. In der Highschool benutzen Lehrer Newtons Gesetze, um ein schwingendes Pendel zu beschreiben oder um vorauszusagen, was passiert, wenn zwei Billardkugeln zusammenstoßen. Für Stephen schien die Lehre daraus zu sein: Wer Spaß haben will, spielt Billard, Physiker schreiben nur Gleichungen dazu auf. Daher hatte Stephen in seiner Schulzeit keine Geduld für Physik. Er mochte Chemie lieber. In der Chemie explodierte wenigstens hin und wieder etwas.

Stephens Pavillon im Centre for Mathematical Sciences beherbergte das Department of Applied Mathematics and Theoretical Physics oder DAMTP, wie die Leute es liebevoll nannten, wobei sie das Akronym so aussprachen, als sei das P stumm (damt klingt wie damned, verdammt). Das DAMTP war weltberühmt als Stephen Hawkings Fachbereich.

Stephens Gebäude hatte nur drei Stockwerke, und das Treppenhaus wand sich um einen Aufzugsschacht. Ich stieg ein paar Stufen bis in den zweiten Stock hinauf. Das Gebäude war rollstuhlgerecht ausgebaut. Stephen ärgerte sich oft, wenn Gebäude das nicht waren. Das war ein weiterer Punkt, der ihm das Caltech so lieb und teuer machte – als er die Einladung akzeptierte, dort 1974 ein Jahr zu verbringen, ließ die Universität als Teil ihres Willkommens den gesamten Campus behindertengerecht umgestalten. Solche Maßnahmen

Am Ende der Treppe wandte ich mich nach links, was mich vor Stephens Bürotür brachte. Die Tür war geschlossen. Ich konnte nicht wissen, was das bedeutete, doch ich sollte es bald erfahren. Ich war ein bisschen nervös deswegen und weil ich jetzt hier war, das erste Mal in seinem Revier.

Als ich mich Stephens Tür näherte, trat mir seine Palastwache entgegen. Ihr Name war Judith. Stephen hatte ein Eckbüro, und ihr Büro lag gleich daneben. Judith war formidabel. Um die 50, kräftig gebaut, mit dazu passender Persönlichkeit. In jungen Jahren hatte sie vier Jahre auf den Fidschi-Inseln verbracht, wo sie Pionierarbeit leistete, indem sie Kunsttherapie als Alternative für Elektroschocks bei unzurechnungsfähigen Tätern einführte. Einer der Patienten, die sie dort betreute, hatte seinem Vater den Kopf abgeschnitten. Innerhalb weniger Wochen brachte sie ihn dazu, mit Malkreiden Palmen zu zeichnen. Wenn sie mit ihm fertiggeworden war, würde sie auch mit mir fertigwerden.

«Sind Sie Leonard?», fragte sie. Sie hatte eine kräftige Stimme. Ich nickte. «Schön, Sie persönlich zu treffen», sagte sie. «Es dauert nur ein paar Minuten. Stephen ist auf der Couch.»

Stephen ist auf der Couch. Was bedeutete das? Ich lege mich auf die Couch, wenn ich ein Nickerchen halten oder einen Fernsehfilm gucken will. Ich glaubte nicht, dass es in diesem Fall um so etwas ging. Doch ich hatte das Gefühl, es sei unhöflich zu fragen, also nickte ich nur, als sei es ganz normal zu warten, während ein berühmter Wissenschaftler seine Zeit auf der Couch totschlug.

Auch wenn wir uns zuvor noch nicht persönlich getroffen hatten, hatten Judith und ich viele E-Mails gewechselt und miteinander telefoniert. Ich wusste, dass sie eine wichtige Kraft in Stephens Universum war. Wenn man um Zeit mit Stephen bat, war sie es, die entschied, ob er frei war. Wenn man anrief, war sie es, die abnahm und

Meine Mutter sagte oft: «Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.» Sie hatte eine Menge solcher Sprüche, aber dieser ergab Sinn. Tatsächlich hat jedes Sicherheitssystem seine Schwachstellen, und das galt auch für Stephens. Es gab eine Hintertür. Man konnte Judith umgehen und Stephen direkt kontaktieren, wenn man die E-Mail-Adresse kannte, die er Freunden zukommen ließ und selbst checkte. Das Problem war, dass er häufig nicht antwortete. Selbst Kip, der seit Jahrzehnten Stephens enger Freund war, erzählte mir, dass Stephen seine E-Mails nur etwa in der Hälfte der Fälle beantwortete. Keine Antwort hieß nicht, dass Stephen die E-Mail nicht gelesen hatte – doch man wusste nie, was genau es hieß. Falls er sie gelesen

Judith konnte einem Korrespondenten auch helfen, wenn sie auf seiner Seite war. Wenn man eine E-Mail mit einem CC für sie versah, druckte sie sie aus, ging hinein und las sie Stephen vor. Und wenn er zögerte zu antworten, drängte sie ihn. Oder wenn ich mit ihm sprechen musste, rief ich sie an, und sie setzte sich zu ihm und nahm den Anruf auf der Freisprechanlage seines Schreibtischs entgegen. Wenn sie aber entschied, er habe Besseres zu tun, als mit jemandem zu kommunizieren, war er seltsam unerreichbar, wann immer man versuchte, Kontakt aufzunehmen. Nachdem wir ein paar Minuten geplaudert hatten, klingelte Judiths Telefon, und sie bat mich, kurz in ihrem Büro zu warten, während sie in Stephens ging. Eine Minute später kam sie zurück und holte mich. Seine Tür war nun offen.

***

Judith führte mich hinein. Und da saß Stephen in seinem berühmten Rollstuhl hinter seinem berühmten Schreibtisch. Er schaute hinunter auf seinen Computerbildschirm. Sein Gesicht wirkte jung für das eines Vierundsechzigjährigen. Er trug ein blaues Buttondown-Hemd, bei dem ein oder zwei der obersten Knöpfe geöffnet waren, sodass sein Stoma zu sehen war – die Öffnung an der Basis seines Halses, durch die er atmete. Sie sah aus wie ein roter Kreis aus Blut, so groß wie ein Zehn-Cent-Stück. Er war sehr dünn, und sein Hemd und seine graue Hose saßen entsprechend locker. Die einzigen Muskeln, die Stephen willentlich bewegen konnte, befanden sich in seinem Gesicht. Seine übrigen Muskeln waren verkümmert, daher fehlte dem Körper die Spannung, und das beeinträchtigte

«Hi, Stephen», sagte ich, obwohl er nicht aufgeschaut hatte. «Gut, dich zu sehen. Und es ist toll, hier zu sein. Ich liebe Cambridge.»

Er sah noch immer nicht auf. Ich wartete eine Minute. Dann meinte ich, um die Stille zu füllen: «Ich freue mich darauf, mit dem Buch zu beginnen.»

Sobald ich den Satz gesagt hatte, bedauerte ich ihn. Ein dummes Klischee, dachte ich, und auf jeden Fall füllte es die Stille nicht lange. Außerdem stimmte das, was ich gesagt hatte, ablauftechnisch gar nicht. Wir hatten bereits bei Stephens letztem Aufenthalt am Caltech einige Arbeit in das Projekt gesteckt, allerdings war alles, was wir damals machten, die Diskussion darüber, was das Buch beinhalten würde. Wir hatten bislang noch kein Wort geschrieben.

Ich überlegte, was ich sonst sagen könnte. Etwas Intelligenteres. Aber mir fiel nichts ein. Schließlich bemerkte ich, dass Stephen seine Wange zucken ließ. Auf diese Weise tippte er. Seine Brille hatte einen Sensor, der die Muskelzuckungen wahrnahm und sie in Mausklicks umsetzte, die ihm erlaubten, Buchstaben, Wörter oder Satzteile aus Listen auszuwählen, während sich der Cursor auf seinem Bildschirm bewegte. Es war ein wenig so, als spiele man ein Computerspiel. Da er tippte, dachte ich, er werde auf mein Geplapper antworten. Er würde etwas sagen, das mir aus der Patsche half.

Das brachte mich aus der Fassung. Ich war 6000 Meilen geflogen und ein paar Tage früher angekommen, um bei unserem ersten Treffen frisch zu sein, und die einzige Reaktion, die ich erhielt, war «Banane»? Was bedeutet es, wenn man jemanden begrüßt und er mit dem Namen einer Frucht antwortet?, grübelte ich. Aber dann sprang Sandi, seine Betreuerin, von der Couch auf, wo sie gesessen und in einem Liebesroman gelesen hatte.

«Banane und Kiwi?», fragte sie.

Stephen hob seine Augenbraue, was ja hieß.

«Und Tee?»

Er signalisierte erneut Zustimmung.

Als Sandi zu der Mini-Küche hinter ihm ging, hob er seinen Blick endlich zu mir. Wir sahen uns in die Augen. Seltsamerweise benötigte er jetzt keine Worte. Sein Ausdruck war warm und glücklich, und er entwaffnete mich. Nun hatte ich ein schlechtes Gewissen wegen meiner Ungeduld. Er begann zu tippen. Nach etwa einer Minute vernahm ich endlich die Worte, auf die ich gewartet hatte: «Willkommen im DAMTP», sagte seine Stimme.

Ich konnte mir denken, dass es nicht viel Smalltalk geben würde, und das passte mir gut. Ich freute mich wirklich auf unsere Arbeit. Aber genau in diesem Moment betrat ein Cambridge-Professor, ein nicht ganz so bekannter Kosmologe, den Raum. Ich erkannte ihn, konnte mich aber nicht an seinen Namen erinnern. Und der wurde mir auch nicht genannt, denn natürlich verschwendete Stephen keine Energie darauf, uns miteinander bekannt zu machen. «Ich möchte mit dir über Daniel reden», teilte er Stephen mit, ohne mich zu beachten. «Hast du eine Minute Zeit?»

In den kommenden Jahren sollte ich diese Unterbrechungen stets ziemlich ärgerlich finden. Leute kamen in zufälligen Abständen hereinspaziert und unterbrachen uns mitten in der Arbeit. «Nur

Stephen hob seine Augenbraue, das hieß also ja, was bedeutete, dass ich zu warten hatte. Eine Weile war die Unterhaltung ganz interessant. Offenbar war das Stipendium eines Studenten namens Daniel ausgelaufen, und er war noch nicht fertig mit seiner Promotion. Aber er hatte fleißig gearbeitet und einen guten Anfang gemacht. Konnte der Fachbereich ihn finanziell unterstützen, bis er fertig war? Als Leiter der Gruppe Allgemeine Relativitätstheorie entschied Stephen über die Vergabe gewisser Zuschüsse an Studenten und junge Postdocs zum Lebensunterhalt, für Reisen und andere Bedürfnisse.

Nach einigen Minuten ließ ich meine Gedanken schweifen. Ich sah mich im Raum um. Das Büro war mehr oder weniger rechteckig geschnitten, wobei eine der längeren Seiten jene mit der Tür war. Die gegenüberliegende Seite enthielt mehrere Fenster, die viel Licht spendeten und einen schönen Blick auf den futuristischen Komplex erlaubten.

Stephens Schreibtisch befand sich gleich links, wenn man durch die Tür kam, im rechten Winkel zu den Fenstern. Die Couch stand rechts, mit der Rückenlehne zu den Fenstern. Hinter Stephen befand sich die Mini-Küche – ein Buffet mit einer Spüle und einem Elektrokessel – und darüber eine Wand mit Bücherregalen. Rechts und links der Tür gab es Tafeln voller Gleichungen, die von seinen vielen Studenten und Mitarbeitern dort hingekritzelt worden waren. Dort hing auch eine Fotomontage von Stephen und Marilyn Monroe, von der er in jüngeren Jahren geradezu besessen gewesen war.

Das Zimmer war groß für ein Universitätsbüro, kleiner nur als

Sie kamen allmählich zum Schluss. Also, fragte der Professor, würde Stephen 6000 Pfund für den Jungen genehmigen? Stephen tippte seine Entscheidung ein: «3000.» Der Professor dankte ihm und ging. Solche Fragen waren, wie sich herausstellte, an der Tagesordnung, und Stephen beschied solche Anfragen stets positiv, weil er viel Empathie für seine Studenten empfand. Aber er halbierte die Menge stets, um nicht als Softi zu erscheinen. Das funktionierte jedoch nicht. «Er ist ein absoluter Weichling», erklärte mir Judith. «Und sie alle wissen, dass er die Summe halbiert, darum bitten sie um das Doppelte. Es ist wirklich ein seltsames Spiel, gespielt von seltsamen Leuten. Das ist nicht respektlos gemeint.»

In der Zeit, in der der Professor sein Anliegen vortrug, hatte Sandi längst eine Banane und eine Kiwi geschält und beides püriert sowie eine Kanne Tee gekocht. Ich saß die nächsten zehn Minuten auf der Couch, während sie ihn mit einem Löffel fütterte. Der Löffel war recht groß, genau die richtige Größe, um Nahrung in Stephens Mund zu befördern. Eine seiner Betreuerinnen war eines Tages in einem Restaurant im Ort darauf gestoßen und hatte ihn in ihrer Handtasche mitgehen lassen. Nun benutzten sie ihn bei jeder Mahlzeit.

Die Couch, die berühmte Couch, war mit leuchtend orangerotem Leder bezogen und ziemlich bequem. Später fand ich heraus, dass Stephen – von der diensthabenden Betreuerin und seinem IT-Assistenten Sam Blackburn – dorthin getragen wurde, wenn er sich mit Hilfe der Betreuerin erleichtern musste. Das erklärte die

Stephens Besuche auf der Couch nahmen einige Zeit in Anspruch. Anschließend konnte er recht erschöpft wirken, und er nahm danach gern einen Tee, eine pürierte Banane oder beides zu sich – wie er es gerade getan hatte. Die Zeit auf der Couch, so erfuhr ich nach und nach, war so gut wie die einzige Zeit, in der Stephens Tür geschlossen blieb.

Ich fragte mich, wie es für Stephen sein musste, dass in einer so intimen Situation stets eine Betreuerin anwesend war. Ich fragte mich, wie es wohl war, andere in einer solchen Situation zu benötigen. Sich für ihre Hilfe zu öffnen, wie er es tun musste. Ich sah zu ihm hinüber, und er war mit dem Essen fast fertig. Etwas Bananenbrei und ein Rinnsal Tee tröpfelten aus dem Mund und rannen sein Kinn hinab. Sandi wischte sie mit einer Serviette ab. Diese Art von Hilfe zu akzeptieren war eine Brücke, über die er schon vor vielen Jahren gegangen war, und nichts wies darauf hin, dass er sich selbst bemitleidete. Vielmehr schien er sich glücklich zu schätzen, die Menschen, die er brauchte, um sich zu haben.

Wir Physiker untersuchen, wie sich Systeme mit der Zeit verändern, aber wir dürfen nicht erwarten, in die eigene Zukunft schauen zu können. Ein anderer Spruch meiner Mutter war: «Man weiß nie, was das Morgen bringt.» Sie war eine Holocaust-Überlebende, und für sie bedeutete dieser Satz, dass das unabänderliche Verhängnis stets hinter der nächsten Ecke lauern konnte. Die Botschaft, die Stephen aus seiner eigenen Geschichte herauslas, war das genaue Gegenteil. Sie besagte: Wie mies das Blatt auch immer ist, das dir das Leben zugeteilt hat, man kann etwas daraus machen. Er erkrankte bereits in jungen Jahren, aber obgleich sein Zustand sich immer weiter verschlimmerte, konnte dies sein Leben nicht einschränken. Im Gegenteil, es gewann ständig an Reichtum. An Tagen, an denen ich aus irgendwelchen Gründen entmutigt zur

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Während Stephens Besuchen am Caltech hatten wir in einem detaillierten «Plan» skizziert und umrissen, was jedes Kapitel beinhalten sollte. Wir hatten einen großen Entwurf für Der große Entwurf ausgearbeitet. Eine kurze Geschichte der Zeit hatte umrissen, was wir über Ursprung und Evolution des Universums zu Beginn der 1980er Jahre wussten, und beschäftigte sich mit der Frage: Wie hat das Universum begonnen? Der große Entwurf sollte eine natürliche Fortsetzung bilden, die Antwort auf diese Frage aktualisieren, aber auch darauf eingehen, warum es überhaupt ein Universum gibt – bedarf es eines Schöpfers? – und warum die Naturgesetze so sind, wie sie sind.

In unserem Plan für das Buch entwickelten Stephen und ich ein Narrativ, das diese Themen beleuchtete. Wir zerlegten Stephens aktuelle Arbeiten und den gesamten Hintergrund, der nötig war, um ihre Bedeutung zu verstehen, in eine Reihe von Unterthemen. Dann entschieden wir, wie wir das Schreiben aufteilen wollten. Kapitel für Kapitel einigten wir uns auf die Abschnitte, die jeder von uns bearbeiten sollte. Unsere Strategie war, Entwürfe unserer jeweiligen Themen zu verfassen und sie via E-Mail auszutauschen, uns dann in Cambridge oder am Caltech zu treffen und die Arbeit des anderen durchzugehen. Dann würde jeder von uns den Text des anderen überarbeiten, und der Zyklus würde sich wiederholen.

Bei einigen Passagen, die Stephen mir schickte, verstand ich nicht, was er damit sagen wollte, und musste auf seine physikalischen Originalartikel zurückgreifen, um es herauszufinden. Anders als das einverständliche Verhalten, das Stephen bei unserer Zusammenarbeit an der Kürzesten Geschichte der Zeit an den Tag

Dies war der erste dieser Besprechungsbesuche. Wir arbeiteten mehrere Stunden lang und diskutierten, was jeder von uns geschrieben hatte. Hier in England mit Stephen zu sprechen ließ den amerikanischen Akzent seiner Computerstimme seltsam erscheinen. Er war in England geboren, doch seine Stimme stammte aus Kansas.