Ein Jahr im Leben eines aus politischen Gründen verurteilten ostdeutschen Menschen in einer Welt, in der wir letzten Endes alle Gefangene sind, unter dem Aspekt der Allgegenwart der Vergangenheit, die in jedem Punkt gleichzeitig unsere Zukunft ist.


Bernd Kaczmarek

 

 

1971
Teil 1

EINE KATZE SCHLEICHT DURCH DEN RAUM UND DIE WIDERWÄRTIGKEIT DER STILLE UMKLAMMERT MEINEN HALS...

Die Gebeine der Toten stehen stumm im Widerglanz einer fast hinter Wolken versteckten Sonne. Der Wind umstreift mit lässiger Sorgfalt die blank gescheuerten Knochen. Einige letzte Krähen umkreisen suchend den Totenpulk. Aber außer den Stofffetzen, die noch an den Skeletten hängen und hier und dort spielerisch mit den Windböen einher wehen, ist nichts mehr zu holen. Die Welt atmet Stille. Der Mensch ist unentschlossen. Sand weht entlang einer nie gekannten Linie durch die trockene Ebene. Ab und zu hat sich nochmal ein Grasbüschel verirrt und setzt ein paar grüne Tupfer in die Landschaft. Das Ganze atmet Endzeit. Die ehemals gigantischen Bauten sind zu kleinen Hügeln geschrumpft, unter denen nur noch ein Rest-Wimmern von den barschen Befehlen der einst Mächtigen zurück geblieben ist. Kein Tier ist zu sehn. Kein kleiner Wurm, der nach getaner Arbeit in der Tiefe seinen Kopf über die Erde streckt. Die Wüste ist groß und endlos. Sie fängt nicht an und hört nicht auf. Es lebt der Hauch von Zeitenwende.

Nichts wird geschehen, als dass es nicht schon geschehen ist.

NICHTS WIRD GESCHEHEN, ALS DASS ES NICHT SCHON GESCHEHEN IST. DER IMPULS STEHT IN EINEM PUNKT, WIE (UNENDLICH / IN / SELBST) VON DIESEM PUNKT ENTFERNT.

Über den Sternentüchern ballen sich die roten Farben. Das System steht in Blut und Untergang. Im Gleichmarsch revolutionieren die Angepassten gegen den freien Geist. Die "GESTAPO" des "Dritten" hat sich zur "STASI" des "Vierten Reiches" gewandelt. Deutschland zeigt sich wieder einmal von seiner besten Seite. Die Politgeister haben wie immer einen Weg gefunden, die Gegenwart nach ihren Vorstellungen zu brechen, das Leben zur Spielwiese perversen Treibens umzuformen. Die Mauerbauer haben das Sagen. Schon früh wird die Jugend, kaum dass sie die Windelabteilung hinter sich gelassen hat, erneut in roten und blauen Tüchern verpackt. Nicht den ganzen Körper, den Hals hüllen die Stoffe, so als wäre ein Atmen ohne diese Utensilien nicht möglich, aber bestimmt so, als wäre die Ideologie, die hinter dem Tragen dieser Fetzen steht, ganz bestimmt lebensnotwendig. "Seid bereit!", "Immer bereit!" hallt es durch die sozialistischen Welten und Gemächer. Rot und blau als Vereinigungsmanifestation der roten "Jungpioniere" zur folgenden blauen "Freien Deutschen Jugend". Von welcher Freiheit wird da gesprochen? Wie kann ein Volk hinter Mauern frei sein? Oder besitzt der Mensch in seiner Jugend Flügel, die ihn über alle Mauern und Hindernisse hinweg tragen können? Wovon ich hier schreiben, als sprechen will, ist ein Aspekt gelebter sozialistischer Gegenwart. Neben den Gleich-Marsch-Fanatikern gibt es auch jene, die still am Rande stehen und jeden unbekannten Gedanken aus tiefem Unbewusstsein hervor rufen, der ihnen die Kraft gibt sich 1. gegen die Staatsideologie des neuen Reiches zu positionieren und 2. in stillem Ertragen des Unsinns, nach einem Weg zu suchen, sich aus der allgegenwärtigen Umklammerung zu befreien. Zu diesen Leuten gehöre ich.

SCHNEE FÄLLT LEISE. Der Winter hat die Landschaft erobert. Hier kann es sehr kalt werden. Die "Lausitz", zu der Cottbus mit seinem großen "Gefangenenlager für Neukriminelle" gehört, steht über Polen hinweg oft unter dem Einfluss des russischen "Landklimas". Trockene, aber eisige Kälte regiert nicht selten den Winter. So sind auch die Menschen hier dieses Wetter gewohnt und verstecken in schnellen Schritten ihr Sein hinter gewaltigen Schneewehen, eingehüllt in tiefem katholischem Glauben und dem Sinn einer immer währenden Eintracht ihrer "Sorben-Schaft" zum Deutschen Staat. Wütend drängen die Flocken im eisigen Sturm die Menschen in ihre Behausungen und werfen im Gegenlicht blakender Gaslaternen die Ewigkeit zu Boden, so als wäre der Winter ein immer währender Augenblick. Nichts hält die Seelen fest, als dieses Fliehen vor der Kälte. Nichts bleibt gedacht, als dass die Hoffnung auf den Frühling nicht allgegenwärtig wäre und im selben Augenblick der Hoffnung auf den nächsten Morgen weichen muss. So stehen wir da, wir Neu-Ankömmlinge. "Neu-Kriminelle" ist unsere juristische Bezeichnung. Der Sturm durchdringt in eisigem Willen unsere ausgelaugten Körper und setzt zu den drei Reihen hintereinander, zu denen wir anbefohlen aufgebaut sind, seine eigenen Befehle. "Zieht Euch warm an!" ... doch womit. Viele von uns, zu denen auch ich gehöre, haben nichts als unsere Sommer-Klamotten, die wir am Leibe tragen. Sommer war es, als wir verhaftet wurden! Hinter uns schält sich gut sichtbar, weil angestrahlt, das Zuchthaus aus dem Flockenmeer. Vor uns schwadronieren die in blau gekleideten "Schließer" auf und ab.

"Müller?"

"Hier!"

"Meier?"

"Hier!"

"Schulze?"

"Hier!"

So wird die ganze Truppe nacheinander aufgerufen, bis alle Namen laut Tabelle genannt sind. Wir haben gerade einen schweren Gefangenentransport hinter uns. Dabei geht bekanntermaßen selten jemand verloren. Wir wurden aus dem Untersuchungsgefängnis hierher zu unserer zukünftigen Haftanstalt verbracht. Dieses geschah mit Hilfe eines Eisenbahnwaggons, der an einen Personenzug hinten angehängt wurde. Dicht an dicht standen, mehr hingen wir darin an unseren Handgelenken, die an einer Über-Kopf-Haltestange mit Handschellen fest verbunden waren. Zogen wir daran, wurden diese immer enger. Niemand war bereit, sie aufzuschließen und neu einzustellen. Jetzt stehen wir alle im Schnee. Und stehen und stehen. Dann geht es los. Quietschend öffnet sich ein großes Tor, durch das wir, geführt und begleitet von den "Schließern", in eine unbekannte Zukunft gehen. Wir finden uns wieder in einem sehr großen dunklen Raum, mehr einer Halle. An den Wänden sind Doppelstockbetten, die bis in den 5. Stock reichen, aufgebaut. Ich suche mir ein Bett im 1. Stock. Dort erwartet mich eine staubige Decke. Nichts zum Wärmen, eher etwas zum Fürchten. Einer weint. "Ruhe!" ist von draußen durch die Tür zu hören

... Stille. Ganz hinten oben in der Ecke ist ein kleines quadratisches Fenster zu erkennen. Ein Licht von draußen zeigt den immerwährenden Schneefall, der mit jeder Flocke, die am Fenster vorbei fällt, so tut, als würde er nach uns sehen wollen. Hundegebell dringt an meine Ohren. Es ist das Letzte, was ich vor dem Einschlafen höre. Ein Schlüssel rast durchs Schloss. "Aufstehen! Wach werden!" Wir mühen uns aus den Betten. Wir werden zu einer Kleiderkammer geführt, die uns mit Anstaltskleidung "ausrüstet". Nix Dolles. U.a. ein dünner brauner Anzug aus Filzstoff mit einem gelben Streifen auf dem Rücken. Dann werden wir zu den Zellen geführt, die jeweils für uns vorgesehen sind. Ich trete ein ... und begehe den ersten großen Fehler! Ich setze einen großen Schritt über das vor mir auf dem Boden liegende Handtuch. Nur der, welcher auf das Handtuch tritt, ist einer von Ihnen, ein "echter" Strafgefangener. Sie, das sind all die Leute, die schon in der Zelle "sitzen". Ca. 20 Leute auf ein paar Quadratmetern. Ich trete ein und mir wird gleich rechts neben der Tür ein Bett im 1. Stock zugewiesen. Auch hier sind die Betten bis zu fünffach übereinander gestapelt. Da bin ich nun. Einer von über 20 Leuten in einem engen Raum zusammengepfercht. Lass es 30 qm sein, vielleicht 40. Macht die Sache auch nicht besser! Links in der Ecke eine Toilette mit Schwingtür, kurz davor ein Waschbecken mit tropfendem Wasserhahn. Tagsüber dürfen wir nur sitzen und stehen, nicht liegen. Nachts darf nicht mehr gesprochen werden. Nachts, das heißt ab 20 Uhr. 6 Uhr morgens werden wir geweckt. Es gibt Frühstück, dann ab zur Arbeit. Wir arbeiten alle für den "VEB Pentagon". Die gestanzten Aluminiumgehäuse für deren Fotoapparate entgraten. Dafür erhält jeder einen "Dreikant-Schaber", ein dreikantiges, spitz zulaufendes Werkzeug, ... und einmal in der Woche "Einkauf". Wer gut arbeitet, erhält so um die 20,- Mark im Monat und kann sich u.a. dafür Tabak kaufen. Eine Packung "Columbus" kostet 1,50 M. Tabak ist hier Währung. Unsere Zelle befindet sich im dritten Stock innerhalb eines zusätzlich vergitterten Zellentraktes. Sonntags werden alle Zellentüren geöffnet und die Gefangenen können miteinander reden und Tischtennis spielen. Ich arbeite zusätzlich freiwillig in der Küche. Dort schälen wir riesige Berge von Kartoffeln. Nach der Arbeit müssen wir in Reih und Glied antreten und werden durchgezählt. Ich hatte einmal losen Zucker in meinen Hosentaschen versteckt, um den Gefangenen oben auf Zelle eine Freude zu machen. Mir war jedoch nicht bewusst, dass sich in meiner rechten Hosentasche ein Loch entwickelt hatte, so dass sich ein Zuckerhof um meinen rechten Schuh bildete. Es ist strengstens verboten, Lebensmittel nach oben auf die Zelle mitzunehmen. Als der Schließer vor mir stand und erst auf meine Schuhe und dann mir tief in die Augen sah, glaubte ich, es wäre um mich geschehen. Einzelhaft unter erschwerten Bedingungen! Aber er schritt an mir vorbei und tat so, als hätte er nichts bemerkt. Ein "Menschenfreund"! ...immerhin!

12 Uhr bis 12.30 Uhr ist Freigang. Wir laufen im Gefängnishof im Kreis. Hier darf nicht miteinander gesprochen werden. Egal, auf jeden Fall können wir an der Gefängnismauer entlang gelegen die Laufgitter sehen, in denen große Wachhunde rastlos hin und her laufen. Ewig aufgeregte, hungrige Tiere. Nachdem ich über das Handtuch gestiegen bin, hatte ich anfangs viel Mühe, überhaupt zu existieren. Obwohl die Erlebnis-Welten stark begrenzt sind, machen es sich die Gefangenen zusätzlich schwer untereinander. Ganz abgesehen von den Schließern, die sich auch immer mal wieder etwas Neues einfallen lassen. Zur Zeit haben wir hier bis zu 20 Grad minus. Ich bin zum Garagenbau eingeteilt. Wir arbeiten unter Bewachung vor den Mauern der Haftanstalt. Es ist eisig kalt, doch eine zusätzliche Bekleidung zu unseren dünnen Filzsachen gibt es nicht. Wir müssen schwere kalte Steine schleppen, die als Grundierung für Garagenzufahrten dienen. Wahrscheinlich lassen sich hier die Herrschaften die "Behausungen" für ihre Autos bauen. Nachdem ich dort einige Tage mitgearbeitet habe, werde ich krank. Nierenbecken-Entzündung. Ich werde mit über 40 Grad Fieber in ein Knastkrankenhaus verbracht. DIESE WELTEN sind mir unbekannt. Schwere Schleier durchpflügen die Gegenwart. Die Wände verbinden sich mit dem Bett, auf dem ich liege. Irgendein Mann wird für die Belegung des 2. Bettes ins Zimmer gebracht. Er erzählt, dass er ein erfolgreicher Judokämpfer sei. Er wolle mir einen Trick beibringen, mit dem ich mich aus jeder Umklammerung würde lösen können. Unaufgefordert legt er sich zu mir ins Bett. Ich müsse mich auf den Bauch legen. ... was bei anderen Menschen ein Bauch ist, ist bei mir ein Stahlgerüst. Das kann der Krösus natürlich nicht wissen, aber ich weiß es, auch durch meine fast 41 Grad Fieber hindurch. Ehe ich mich versehe, dreht er mich auf den Bauch, legt sich auf mich drauf und schlingt seine Betonarme um meinen Körper.

EINE KATZE SCHLEICHT DURCH DEN RAUM UND DIE WIDERWÄRTIGKEIT DER STILLE UMKLAMMERT MEINEN HALS...

Was soll das werden? Wo sind die angekündigten Ratschläge für die Befreiung? Allein mit meinem linken Arm schaffe ich 7 Klimmzüge, aber ich packe ihm meinen rechten um den Hals. Der ist stärker! Da er verstummt ist und seine Umklammerung immer enger wird, kann ich nichts weiter feststellen, diese ganze Aktion als ein Angriff auf mein Leben zu betrachten. Langsam und unter äußerstem Kraftaufwand gelingt es mir, seinen Kopf zur rechten Seite wegzuziehen. Ich schiebe meinen linken Arm unter meinem Körper hindurch und in Vereinigung beider Hände hab ich ihn in der Schlinge. Jetzt hat ER ein Problem... Der Schlüssel eines Schließers rast durch das Türschloss und beendet augenblicklich meine Wut und die Ohnmacht des Angreifers. ... wie wollen sich die Schwachen wehren gegen diese verfluchten Vergewaltiger? Wo ist Gott, wenn die Perversen zuschlagen und die Unschuld unter ihrer Psycholast begraben wird? Der Tod kennt keine Gnade. Was ist mit dem Menschen..? Der löst sich auf, wenn der Teufel die Gedärme beherrscht und die Gewalt der Sucht nach Befriedigung das Universum zum Einsturz bringt. Als ich zu mir komme, bin ich wieder in der Haftanstalt gelandet. Nichts bleibt übrig von den Wahrheiten, als das Fieber in denen sie geboren wurden. Keine Zeile Glück gestaltet mir einen freundlichen Tag. Keine Welt verbeugt sich vor meinem Sieg über das Jenseits, als dieses gesehen und gleichzeitig gelebt zu haben. DIE INTELLIGENZ der Materie ist größer, als die des Geistes. Sie speichert das Erlebte auf eigene Art und Weise. Danach ziehen die Gemächer des Dunkels jederzeit ans Licht und manifestieren sich dort als einzigartige Erscheinung. Der Meister des Augenblicks resultiert immer aus der Meisterschaft, das Ganze erkannt zu haben, oder zumindest um die Existenz des selbigen zu wissen. ...

Sie haben mir mal wieder meine Zahnpasta entwendet und vorhin das Mittagessen weggenommen. Das wird immer durch eine Klappe in der Zellentür gereicht. Der, der das Essen austeilt, ist ein Mitgefangener von besonderen Gnaden. Er steht zusammen mit den Schließern vor der Tür. Er wird als "Brigadier" bezeichnet, nur "Brigder" genannt. Dieser Brigadier ist gleichzeitig Mitglied unserer Zellenbesatzung und ordnet hier die Dinge nach seinen Vorstellungen. Das geschieht in Übereinstimmung mit den Schließern. Er ist wie er sagt Schwergewichts-Boxer. Da ich nun seit Tagen nichts essen, noch mir die Zähne putzen kann, stelle ich mich eines Tages diesem Ungeheuer in den Weg.

EINE KATZE SCHLEICHT DURCH DEN RAUM UND DIE WIDERWÄRTIGKEIT DER STILLE UMKLAMMERT MEINEN HALS...

Wir stehen auf Faust zu Faust, Leben und Tod. Ich drücke mehrmals am Tag 50 Liegestützen auf den Fäusten. Mein Sportlehrer in der Schule war ein ehemaliger Boxer. Zwei Jahre lang hat er uns beigebracht wie das geht und Ringähnliche Situationen geschaffen. Nun stehen sich zwei ausgebildete Boxer ohne die sie schützenden Boxhandschuhe gegenüber. Mein Gegner ein Schwer -, ich ein Mittelgewichtler. Ein Schlag an die falsche Stelle gelandet und der Tod kommt durch die Zellentür hereinspaziert. Ehe ich nachdenken kann, explodiert meine Rechte. Sie trifft den Solar Plexus meines Kontrahenten. Das Ungeheuer sackt zusammen. ... der Kampf ist beendet! Ich habe mein Essen und die Zahnpasta zurück.

Die Tage schleppen sich dahin. Nachts werden die Mücken wach und ziehen als Spermaspuren an den Wänden herunter. Ich habe mich in den 5. Stock verzogen. Freie Wände. Beständig dringt das Geflüster der Schlafunwilligen durch die Nacht und füllt den Raum. Die Sichtklappe wird betätigt. "Ruhe!" dröhnt es von draußen. Als ob sie sehen könnten, was da geflüstert wird! Wir haben sie ständig im Genick. Die Augen und Ohren unserer Bewacher. Ein Flugzeug startet. Es transportiert 6 Gefangene und deren Bewacher auf der Route von Budapest nach Berlin. Es ist eine russische Maschine. Eine "IL18". Ungarn ist ein schönes Land. Ich mache hier gerade am "Balaton" Urlaub , als ich mich zur Flucht entschließe. "Republikflucht!" Darauf steht in Ostdeutschland Gefängnis. Und nicht zu knapp. Die Höhe der Strafe liegt im Ermessen des Richters. Sie geizen im allgemeinen nicht mit Jahren. Nun gut, meine Flucht wird vereitelt. Erst lande ich in einem Militärgefängnis in Körmend, dann werde ich in ein großes Gefängnis nach Budapest überführt. In Körmend erwartet mich vor allem Dunkelheit. Zudem bestehen die Wände meiner Zelle aus Stein. Es ist eiskalt. Ein Fenster gibt es nicht. Die Dunkelheit umklammert alles, was ich bin. Nach einigen Tagen finde ich mich in einem großen Drahtkäfig wieder. Der ist hier im Budapester Gefängnis so eine Art von Aufenthaltsort, bevor wir auf die Zellen verlegt werden. Was mir an Budapest prinzipiell gefällt, ist die Großzügigkeit und Freundlichkeit, die durch die Stadt weht. Sie erscheint mir als jung und weltoffen. Selbstbewusst tragen die jungen Frauen ihre schönen Gesichter durch die Gegend, immer eine "Fecske" zwischen und ein Lächeln auf ihren Lippen. Am "Balaton" hat jeder Weinbauer seinen eigenen Weinkeller, in den er jeden, der vorbei kommt, gerne mal auf ein Gläschen einlädt. Viele wollen natürlich auch ihre Zimmer vermieten, aber dennoch sind sie von ihrer Grundeinstellung her dem Leben freundlich gesonnen. Gemütlichkeit ist in der heutigen Zeit eher etwas Unbekanntes. ... so unbekannt, wie mir der große Drahtkäfig ist, in dem ich nun zusammen mit ca. 30 weiteren "Auserwählten" hocke. Zum allgemeinen Schrecken gesellt sich noch eine ungeheure Hitze und ein mit Wasser gefüllter Eimer, in die Mitte des Käfigs gestellt, zu uns. Sollen wir daraus trinken, oder wozu ist das gedacht? Nach einigen Tagen des Aufenthalts in diesem Chaos werde ich auf eine Zelle verlegt. Dort treffe ich auf einen Mann, dem sie im Krieg den Unterkiefer weg geschossen haben. Er ist von nun an mein Zellengenosse. Ich kann nicht erfahren, warum sie ihn, einen so schwer verletzten Menschen, überhaupt eingesperrt haben. Jedenfalls "isst" er seine Suppe durch die Nase. Die Ungarn entschuldigen sich bei mir für die Unannehmlichkeiten, die sie mir machen müssten. Sie hätten mit Ostdeutschland einen "Auslieferungsvertrag" abgeschlossen. Wenn es nach ihnen gänge, könnte ich, wenn ich wollte, jetzt sofort in den Westen fahren. ... na bitte! Geht doch! 20 Jahre später ist sowieso Schluss mit dem "Osten"! Nach einigen Wochen werde ich genau dorthin ausgeflogen. Wir landen in Berlin. Von dort aus werde ich mit einem Gefangenentransport in den "Roten Ochsen" verbracht. Das ist das Untersuchungsgefängnis von Halle/Saale. Diese Stadt ist meine Heimatstadt. Sie hat eine sehr schöne Marktkirche, in der ich so manchen "24." verbrachte. An dem Tag sind die Menschen voller Erwartung und bedenken in Stille ihre Schuld, die sie das ganze Jahr lang auf sich geladen haben. Zumindest habe ich solche Anwandlungen. Niemand ist unschuldig dem Leben gegenüber. Die Kinder müssen wir davon ausnehmen. Sie sind frei von Schuld!