MARVIN H. ALBERT

 

 

Das große Rennen

rund um die Welt

 

Roman

 

 

 

 

Apex Adventure, Band 2

 

 

Apex-Verlag

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

 

DAS GROSSE RENNEN RUND UM DIE WELT 

Erstes Kapitel 

Zweites Kapitel 

Drittes Kapitel 

Viertes Kapitel 

Fünftes Kapitel 

Sechstes Kapitel 

Siebtes Kapitel 

Achtes Kapitel 

Neuntes Kapitel 

Zehntes Kapitel 

Elftes Kapitel 

Zwölftes Kapitel 

Dreizehntes Kapitel 

Vierzehntes Kapitel 

Fünfzehntes Kapitel 

Sechzehntes Kapitel 

Siebzehntes Kapitel 

Achtzehntes Kapitel 

 

 

Das Buch

 

Die Vereinigten Staaten zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die beiden Sensationsdarsteller Leslie Gallant III., genannt der große Leslie, und der hinterhältig-durchtriebene Professor Fate versuchen, sich gegenseitig mit immer gewagteren Kunststücken zu übertreffen. Während bei dem mürrischen Fate meist alles schiefläuft, geht Lebemann und Frauenheld Leslie stets als Gewinner hervor. Darüber hinaus versucht der Professor, Leslies Stunts bei jeder Gelegenheit mit Unterstützung seines Gehilfen Max zu sabotieren, was aber regelmäßig nach hinten losgeht.

Eines Tages verkündet Leslie ein Projekt, das beweisen soll, dass auch die Amerikaner hervorragende Autos bauen, die sich hinter der europäischen Konkurrenz von Mercedes Benz und Rolls-Royce nicht zu verstecken brauchen. Dazu schlägt er ein offenes Wettrennen vor, das von New York über Asien bis nach Paris führen soll. Neben Leslie und etlichen anderen Fahrern nehmen auch Fate und Max die Herausforderung an...

 

Das große Rennen rund um die Welt von Marvin H. Albert ist die spannende,  turbulente und höchst unterhaltsame Roman-Adaption des gleichnamigen Films aus dem Jahr 1965 (Regie: Blake Edwards), in den Hauptrollen: Tony Curtis (als Leslie Gallant III.), Jack Lemon (als Professor Fate), Natalie Wood (als Maggie DuBois), Peter Falk (als Max Meen) und Keenan Wynn (als Hezekiah Sturdy). 

Das große Rennen rund um die Welt erscheint in der Reihe APEX ADVENTURE, in welcher Klassiker der Abenteuer-Literatur als durchgesehene Neuausgaben neu aufgelegt werden. 

   DAS GROSSE RENNEN RUND UM DIE WELT

 

 

 

 

 

  Erstes Kapitel

 

 

Das große Rennen fand am Anfang unseres Jahrhunderts statt, als die Welt noch ganz anders war als heutzutage.

Das Automobil befand sich in einem Stadium seiner Entwicklung, in dem es noch immer treffend als pferdelose Kutsche bezeichnet wurde. Der Mensch beschäftigte sich mit dem Problem, mit Maschinenkraft den Himmel zu erobern, und die beiden Geschlechter waren noch immer auf den ersten Blick zu unterscheiden.

Männer trugen die Hosen, traten mit berechtigtem Stolz und gravitätischer Würde auf und entwickelten sich nach der Hochzeit zu den unangefochtenen Gebietern ihres Haushaltes. Frauen - sogar jene, die so unsinnig waren, für ihr Wahlrecht zu kämpfen - trugen lange Röcke, die artig ihre Knöchel verdeckten, wurden allgemein als das schwache Geschlecht angesehen und benützten keine Schminke. Dieses ordinäre Zeug blieb einer kleinen, unglücklichen Sorte von Damen Vorbehalten. Wirklich, zu jener Zeit war alles noch ganz anders.

Die Menschheit kannte nicht einmal Radio, Fernsehen oder Kino zur Unterhaltung. Stattdessen sahen sie sich Schauspieler an. Der Draufgänger war ein besonders populärer Typ, und die berühmtesten waren zwei Rivalen, der große Leslie und Professor Fate.

Es war mehr als ihre Rivalität, die sie einander hassen ließ. Sie waren von Natur aus die krassesten Gegensätze, so verschieden wie Tag und Nacht oder Feuer und Wasser.

Auch das war typisch für jene Zeit um die Jahrhundertwende: es war noch immer einfach, den Unterschied zwischen guten und bösen Menschen zu erkennen. Damals gingen die schlechten Menschen noch nicht zum Psychiater, um zu erfahren, warum sie schlecht waren; es fiel ihnen also auch nicht ein, sich heilen zu lassen. Nein, sie waren Bösewichte, weil es ihnen gefiel, Bösewichte zu sein.

Einer der abgefeimtesten war Professor Fate.

Für Fate war es eine Ehrensache, die Rolle des gemeinen, gerissenen Bösewichts voll auszukosten, und um ihr gerecht zu werden, stimmte er sogar seine Erscheinung darauf ab. Er war immer ganz in Schwarz gekleidet. Auch sein Bart war schwarz, mit spitzen, gewachsten Enden. Seine kleinen Schusseraugen verfolgten schamlos lüstern jedes hübsche, junge Mädchen und brachten es in Verlegenheit.

Bösewicht Fate war der geborene Draufgänger. Sein Genie, gepaart mit einer starken Einbildungskraft, ließ ihn bald weit über seine Rivalen hinauswachsen, und diejenigen, die er nicht überflügeln konnte, sabotierte er einfach. Um 1900 herum hatte er es in dieser Hinsicht schon zu einer Berühmtheit gebracht.

Er war es nicht sehr lange. Innerhalb weniger Jahre tauchte ein neuer Rivale auf, der die Leistungen des berühmten Fate sogar in den Schatten stellte. Ein jüngerer Mann, der große Leslie.

Leslie war ein Held aus dem gleichen Grund, aus dem Fate ein Schurke war: er fand Spaß daran, seine Heldenrolle zu spielen. Er besaß ein ausgeprägtes Profil, ein starkes Kinn, stahlblaue Augen und ein jungenhaftes, übermütiges Lächeln. Er war verlässlich, treu, hilfsbereit, höflich, gütig, fröhlich, sparsam, tapfer, sauber und ehrerbietig. Und er blickte niemals schamlos lüstern auf hübsche, junge Mädchen.

Zwar erlaubte er sich manchmal eine Liebschaft zu der hübschesten der vielen, die sich ihm zu Füßen warfen, aber er war immer galant und diskret. Er prahlte niemals mit seinen Eroberungen, denn vor allen Dingen war er ein Gentleman.

Natürlich beteten die Frauen den großen Leslie an. Zu jener Zeit zogen Frauen eben noch immer einen Helden den Bösewichten vor.

Doch nicht nur Frauen gehörten zu seinen Verehrern. Auch die Männer bewunderten und beneideten ihn. Kleine Jungs träumten davon, so zu werden wie er.

Leslie errang seinen Ruhm, indem er Fate überflügelte. Eines der größten Kunststücke Fates war zum Beispiel die Ersteigung des höchsten Wolkenkratzers von New York, das Flatiron-Gebäude. Leslie nahm die glatten Außenwände ohne Mühe - und dann stellte er Fates Leistung in den Schatten, als er von der höchsten Brüstung aus in ein winziges Wasserfass tauchte, das auf dem Gehsteig aufgestellt war.

Ein anderes Mal entkam Fate aus einem Sarg, in dem er - mit Handschellen gefesselt - auf den Boden eines Sees versenkt wurde. Leslie befreite sich aus einem versperrten Tresor, trotz Hand- und Fußfesseln, nachdem er in der Mitte des Atlantischen Ozeans über Bord geworfen worden war.

Professor Fate schluckte diese Niederlage in äußerst schlechter Laune, und schließlich griff er wieder zu der bewährten Methode, mit der er sich schon früher seine Rivalen vom Hals geschafft hatte: Sabotage.

Tag und Nacht überlegte er, wie er Leslie ruinieren, wie er seinen Ruhm und nach Möglichkeit sein Leben zerstören könnte. Seine Gehässigkeit war verständlich, schließlich war er der Inbegriff des Schurken. Und Schurken sind durchaus unfair.

So darf nicht verwundern, was sich eines Tages Anfang des Jahres 1906 außerhalb von Trenton, New Jersey, ereignete...

 

Vormittag. Ein bunter Ballon schaukelte in der näheren Umgebung von Trenton über einem kleinen Hügel. Der geflochtene Weidenkorb darunter war durch ein dickes Seil am Boden verankert. In der Nähe spielte eine Kapelle schwungvolle Marschmusik zur Unterhaltung der Menschenmenge, die sich um den Hügel versammelt hatte, um eines Schauspiels zu harren. Dem Ballon am nächsten standen die Reporter, Fotografen und Zeichner, die gekommen waren, um über das bevorstehende welterschütternde Ereignis in ihren Zeitungen zu berichten.

Neben der Gondel stand das eigentliche Objekt der allgemeinen Bewunderung: der große Leslie. Er trug ein weißgoldenes, hautenges Kostüm, das seine athletische Figur gut zur Geltung brachte. Er wartete gelassen, während die Kapelle muntere Weisen spielte. Seine klaren, blauen Augen registrierten mit Befriedigung die vielen Menschen.

Rechts neben ihm stand ein Marktschreier in einem rotblauen Kostüm, links sein treuer Begleiter und Helfer, Hezekiah - ein Hüne von Mann, mit einem ausdruckslosen, gleichgültigen Gesicht.

Leslie wartete, bis die Aufregung der Menge ihren Höhepunkt erreicht hatte, bevor er dem Kapellmeister zunickte.

Die Musik erstarb. Erwartungsvolle Stille trat ein. Der Marktschreier wandte sich mit weit ausgebreiteten Armen an die Zuschauer.

»Ladys und Gentlemen!«, rief er. »Sie sind Zeugen des ergreifendsten, des gefährlichsten, des furchtbarsten Schauspiels, das je gewagt wurde, ausgeführt von einem Artisten ohnegleichen: dem großen Leslie.

Die Menge jubelte begeistert, klatschte und feierte den berühmten Helden ausgiebig. Ein hübsches, junges Mädchen rannte auf den Ballon zu, schlang ihre Arme um Leslies Hals und bedeckte sein Gesicht mit Küssen.

Leslie gestattete ihre Verehrung mit einem nachsichtigen Lächeln. Aber Hezekiah griff nach dem Mädchen, zerrte es von Leslie weg und schob es wieder in die Menge zurück.

 

In einiger Entfernung beobachtete Professor Fate aus der Sicherheit eines Gebüschs die Ereignisse durch ein langes Teleskop. Normalerweise hätte sich Fate über solch offensichtliche Beweise der Popularität seines Rivalen geärgert, heute aber lächelte er verbissen, während die Spitzen seines schwarzen Bartes erwartungsvoll zitterten. Er hatte alles gewissenhaft vorbereitet und dafür gesorgt, dass dies die letzte Vorstellung des großen Leslie wurde.

Er nahm das Fernrohr von seinem tränenden Auge, um sich umzusehen. Hinter ihm war Maximilian, sein kleiner, gedrungener Assistent, damit beschäftigt, die Feder der riesigen Armbrust zu spannen, die zwischen zwei starken Pfählen errichtet war und zum Himmel wies. Fate hob das Teleskop, um die Ereignisse auf der Hügelkuppe weiter zu beobachten.

Der Ansager vollendete seine Ankündigung: »Der große Leslie wird vor Ihren Augen in eine Zwangsjacke verschnürt und in den Himmel gehoben werden - zu den Wolkenheimen des Adlers, in die sich kein Spatz wagt!«

Der hünenhafte Hezekiah zog Leslie eine Zwangsjacke an und verschnürte die Riemen so stark, dass Leslies Arme fast augenblicklich jedes Gefühl verloren. Dann befestigte er das Ende eines Seils an der Ballongondel und band das andere Ende um Leslies Fußgelenke.

Das Geraune der Menge erstarb und wich einem ängstlichen Schweigen, als Hezekiah nach einer Axt griff und sie hoch über seinen Schädel schwang. Ein Trommler ließ einen dumpfen, schauerlichen Wirbel erklingen, und Leslie zeigte übermütig lächelnd seine schneeweißen Zähne.

Hezekiah schwang die Axt auf das Seil herunter, das den Ballon am Boden festhielt - gerade in dem Moment, in dem ein anderes hübsches Mädchen aus der Menge eilte, Leslie umarmte und stürmisch küsste.

Die scharfe Schneide der Axt durchtrennte das Seil, und der Ballon hob sich vom Boden. Das Seil, das Leslie mit der Gondel verband, spannte sich und riss ihn an den Fußgelenken nach oben.

Die Menge seufzte tief auf, als Leslie in die Luft gehoben wurde. Einen Augenblick lang suchte das junge Mädchen sich noch an ihm festzuhalten, dann aber erlahmte ihr Griff, und sie fiel auf die Erde zurück. Statt eines Seufzers ließ die Menge nun ein ermutigendes Gebrüll hören, während der Ballon himmelwärts strebte und Leslie mit dem Kopf nach unten am Seil unter der Gondel baumelte.

 

Hinter den Büschen hatte Professor Fate das Teleskop zur Seite gelegt und half seinem Assistenten bei den letzten Handgriffen. Die Feder war bis zum äußersten gespannt.

»Rasch, Max!«, zischte Fate. »Der Pfeil!«

Max griff nach dem Pfeil und legte ihn in die Rille. Fate zielte sorgfältig; sein Finger lag ruhig am Abzug der Armbrust.

Der Ballon stieg mit jeder Sekunde höher und hob Leslie mit sich, der unter dem Korb hin und her schwang und jeden Muskel spannte, um sich aus der Zwangsjacke zu befreien.

Fate zielte und wartete auf den richtigen Augenblick. Plötzlich drückte er den Abzug durch. Die Armbrust sirrte leise, als der Pfeil durch die Luft schoss und seinem Ziel zustrebte.

Fate und Maximilian verfolgten seinen Flug mit besorgter Miene. Der Pfeil traf sein Ziel, fuhr durch den dünnen Stoff des Ballons und verschwand in seinem Inneren. Die beiden Männer sprangen vor Begeisterung in die Luft.

Leslie hatte eben einen Arm befreit, als sich das Loch, das der Pfeil gebohrt hatte, zu einem großen Riss erweiterte. Das Geräusch und zischendes Gas erregten Leslies Aufmerksamkeit. Er blickte nach oben, sah den sich ständig vergrößernden Riss und nahm alle seine Kräfte zusammen, um den anderen Arm zu befreien.

Unter der wartenden Menge am Hügel hob plötzlich ein Mann den Arm und deutete zum Himmel. »Schaut!«

»Der Ballon hat ein Loch!«, rief ein anderer.

Eine dicke Frau schrie gellend auf, fiel hin und verlor das Bewusstsein, wobei sie ihren Mann und ihre beiden Kinder unter sich begrub.

Derweilen kämpfte Leslie noch immer mit der Zwangsjacke. Mit jedem Augenblick vergrößerte sich der Riss, und das Gas entwich aus dem Ballon, der inzwischen aufgehört hatte, zu steigen. Bald würde er sinken - erst langsam, dann mit der Geschwindigkeit eines Steines.

Hinter dem Gebüsch packten sich Fate und Max an den Armen und vollführten einen Freudentanz.

Der Ballon war bereits ein paar Meter gesunken, als es Leslie endlich gelang, sich aus der Zwangsjacke zu befreien. Er wusste, dass es nur einen Weg gab, um sein Leben zu retten, und es blieben ihm nur noch Sekunden dafür.

Mit schier übermenschlicher Anstrengung schwang er sich nach oben und lockerte die Knoten an seinen Fußgelenken. Unter ihm hielt die Menge den Atem an, als er an dem Seil nach oben turnte und sich in die Gondel schwang.

Professor Fate und Max beobachteten ihn ebenfalls wie gebannt. Sie tanzten nicht mehr, sondern starrten besorgt nach oben.

Mit einem Griff hatte Leslie den Fallschirmpacken vom Boden der Gondel genommen. Der Ballon fiel schneller und schneller, als sich Leslie den Packen umschnallte, sich aus der Gondel schwang und sprang.

Die Menge um den Hügel schrie gellend auf, und weitere Frauen fielen in Ohnmacht. Dann öffnete sich der Fallschirm, und langsam segelte Leslie nach unten, beinahe elegant und mit einem beruhigenden Lächeln um die Lippen.

Hinter dem Gebüsch stampfte der Professor voller Wut auf den Boden.

»Verflucht!«, zischte er.

Aber Max, der noch immer zum Himmel hochstarrte, sah etwas anderes.

»Professor!«, rief er.

Fate blickte hoch und sah den Ballon, der jetzt vollkommen platt war und genau auf sie herunter fiel.

Die beiden Männer ergriffen die Flucht, aber nicht schnell genug. Die schwere Weidengondel landete genau auf ihnen und begrub sie unter sich.

 

Als Fate und Max aus dem Krankenhaus entlassen wurden, brütete der rachsüchtige Professor schon wieder über einem Plan. Er überlegte sich, wie er Leslies Abenteuer mit dem Ballon in den Schatten stellen könnte.

Fliegen, so entschied er, wäre das Ereignis, mit dem er sich die ehrfürchtige Bewunderung der ganzen Welt erobern könnte. Es war erst drei Jahre her, seitdem es den Gebrüdern Wright in Kitty Hawk gelungen war, eine Flugmaschine in die Lüfte zu heben und sie eine Zeitlang vor dem Absturz zu bewahren. Seitdem waren Flugzeuge der neue Sport geworden. Es gab Männer, die sich mit ihrem Bau beschäftigten, und es gab sogar solche, die darin flogen.

Professor Fate beschloss, ebenfalls ein Flugzeug zu konstruieren.

An einem klaren Morgen, etwa einen Monat später, stand das Ergebnis seiner Arbeit auf einem Feld hinter einem Farmhaus in Ohio: ein schwarzes Flugzeug, mit einem Totenkopf auf jedem Flügel und der Aufschrift Professor Fate auf dem Rumpf. Auf einem Podium spielte eine Kapelle vor einer riesigen Menge, die gekommen war, um Fate zu bestaunen. Max saß in der Kanzel hinter den Armaturen. Zwei weitere Assistenten standen für den großen Augenblick bereit.

Als keine neuen Zuschauer mehr kamen, stieg ein Mann auf das Podium und nahm seinen Strohhut ab.

»Ladys und Gentlemen!«, brüllte er. »Sie werden jetzt einer Vorstellung beiwohnen, die so gefährlich ist, dass nur ein Mann sie wagen kann...« Mit einer Handbewegung stellte der Schreier seinen Brotgeber vor: »Der erstaunliche Professor Fate!«

Die Tür des Farmhauses öffnete sich, und Fate trat heraus, in schwarze, enge Hosen, ein schwarzes Hemd, einen schwarzen Umhang und einen schwarzen Sturzhelm gekleidet. Ein weißer Totenkopf verzierte sein Hemd.

Fate verbeugte sich vor dem Publikum und marschierte in die Mitte des Feldes.

Zwei stählerne Pfähle waren dort in einem Abstand von zwei Metern in die Erde getrieben worden. Dazwischen spannte sich ein Draht, von dem ein Ledergeschirr baumelte.

»Der Professor«, behauptete der Marktschreier, »wird dem Tod ins Auge sehen, wenn sein Assistent aus dem Himmel fällt, den Professor vom Boden entführt und ihn zu den Wolkenheimen des Adlers trägt, in die sich kein Spatz wagt!«

Fate übergab einem seiner Assistenten den Umhang und schnallte sich in das Geschirr. Der zweite Assistent trat vor das Flugzeug und warf den Propeller an.

Das Flugzeug rollte über das Feld, wurde schneller und näherte sich dem Farmhaus. Max zog den Steuerknüppel durch, und das Flugzeug stieg sanft in den Himmel. Max beschrieb einen großen Kreis um das Feld.

Als das Flugzeug das erste Mal über ihn hinwegdonnerte, hob Fate seine Füße und umspannte sie mit den Händen, während er in seinem Geschirr hing. Als er über seine Schulter spähte, erkannte er, dass Max eine zweite Kurve beschrieb und jetzt genau auf ihn zuraste. Fate bereitete sich auf den entscheidenden Augenblick vor, legte den Kopf auf die Arme und wartete.

Die Menge verharrte atemlos, als sich das Flugzeug näherte und dicht über Fate dahinraste. Ein Haken, der vom Fahrgestell herunterhing, verfing sich in dem Draht des Geschirrs, und Fate Wurde zwischen den Pfählen herausgerissen.

Die Menge jubelte, als das Flugzeug, mit Professor Fate unter sich, im Tiefflug über das Feld raste. Fate indessen jubelte nicht. Die Maschine flog zu niedrig, und er war keinen halben Meter von der Erde entfernt.

»Hoch, Max!«, brüllte er in den Motorenlärm hinein. »Nimm die Maschine hoch!«

In der Kanzel zerrte Max verzweifelt am Steuerknüppel. Aber das schwerer gewordene Flugzeug wollte nicht steigen.

Fates Beine schleiften über die Erde. Er zog sie an und heulte: »Hoch, du Idiot! Hoch...«

Er blickte nach vorn und sah, dass sie auf das Farmhaus zuflogen. »Oh, oh...«

Max riss den Steuerknüppel mit aller Kraft zurück, und langsam hob sich das Flugzeug - zu langsam.

Fates Schrei wurde von der Menge deutlich vernommen. »Ah - oh...«

Der Schrei verstummte, als das Flugzeug im letzten Augenblick über das Dach wegzog. Fate, der am Ende des Drahtes baumelte, schaffte es leider nicht ganz.

Er schoss durch ein Fenster im ersten Stock des Farmhauses und verschwand in seinem Innern. Der Draht spannte sich und riss die Schnauze des Flugzeugs herunter. Die Maschine beschrieb einen kurzen Bogen und zerschellte am Dach.

 

Als Fate und Max diesmal aus dem Krankenhaus entlassen wurden, war der Professor verständlicherweise in einer Stimmung, in der er zu allem bereit war, um die Scharte auszuwetzen, die er in seinem Zweikampf mit dem großen Leslie erlitten hatte.

Dieser Gedanke allein erfüllte sein Rache sinnendes Gehirn, als er das Gerücht hörte, Leslie plane eine Sensation, die er als das große Rennen bezeichnete.

 

 

 

 

  Zweites Kapitel

 

 

Leslie beschäftigte sich in der Tat schon seit einer geraumen Weile mit dieser Idee. Er hatte viel Zeit damit verbracht, die Fahrzeuge zu testen, die von Dutzenden von Automobilfirmen im Lande hergestellt wurden.

Schon bald entschied er sich für den Benzinverbrennungsmotor und begann Firmen zu suchen, denen es gelungen war, bereits mehrere Jahre zu existieren. Schließlich entschloss er sich für die Weber Carriage Company, die für seine Zwecke am günstigsten schien.

An einem Tag im Jahre 1906 erhob sich Leslie im Konferenzzimmer der Weber Company, um dem versammelten Firmenrat seine Gedanken vorzutragen. Hinter ihm stand ein kleiner Tisch mit zwei Modellen - eines davon war die Postkutsche, der die Gesellschaft ihre Gründung im Jahre 1882 verdankte, das zweite war ein Modell des ersten Automobils mit Verbrennungsmotor, das die Firma im Jahre 1902 auf den Markt gebracht hatte. Vor ihm, an einem langen Tisch saßen die Mitglieder des Firmenrates, die meisten mit buschigen Bärten, wie es ihrer Stellung und der Zeit entsprach.

»Gentlemen«, begann Leslie, »ich habe um diese Zusammenkunft gebeten, um Ihnen meinen Vorschlag vorzutragen. Ich bin der Meinung, dass Ihre Gesellschaft das beste Automobil der Welt baut. Und das Automobil stellt einen Meilenstein des Fortschritts dar - ein glänzendes Beispiel für den Erfindungsgeist und die Entschlossenheit Amerikas.«

Leslie wandte sich während seiner Ansprache hauptsächlich an den bärtigen Generaldirektor, der am anderen Ende des langen Tisches saß. »Es stimmt zwar, dass manche Menschen noch immer die europäischen Erzeugnisse als die besten betrachten. Aber so darf es nicht weitergehen. Unsere große Nation kann es sich nicht erlauben, an zweiter Stelle hinter ausländischen Rivalen wie Daimler, Mercedes, Napier, Rolls-Royce oder Panhard zu stehen. Ich schlage vor, zu beweisen, dass das amerikanische Automobil, Ihr Automobil, Gentlemen, ohne Zweifel das Beste der Welt ist.«

Der Generaldirektor räusperte sich unsicher. »Und wie hoffen Sie das zu beweisen?«

»Durch ein Rennen«, antwortete Leslie gelassen.

Der Generaldirektor blickte ihn leicht enttäuscht an.

»Wirklich, Sir«, sagte er, »ich hätte einen anderen Vorschlag von Ihnen erwartet. Automobilrennen sind heutzutage keineswegs mehr ungewöhnlich.«

»Ich stelle mir ein langes Rennen vor - ein sehr langes Rennen.«

»Von Buffalo nach Albany?« Der Generaldirektor lehnte seinen eigenen Vorschlag mit einem Schulterzucken ab. »Das gab es schon einmal.«

Neben ihm nickte der Vizepräsident seine Zustimmung.

»Chicago-Cleveland? Auch das hat es schon gegeben.«

Leslie ließ sich nicht irritieren. »Was würden Sie zu New York-Paris sagen?«

Der Vizepräsident schluckte. »Von New York nach...«

Der Generaldirektor stand langsam auf. Seine Stimme klang ehrfürchtig. »...nach Paris?«

Leslie nickte. »Ich sehe, dass Sie der Gedanke interessiert. In der gleichen Weise würde ein solches Rennen das Interesse der gesamten zivilisierten Welt erregen. Von New York quer durch unseren Kontinent nach San Francisco, entlang der Westküste nach Alaska, nach Sibirien hinüber, durch Russland und Europa nach Paris.«

»Mein Gott«, flüsterte der Generaldirektor beeindruckt, »ist das möglich?«

»Durchaus, wenn Sie ein Automobil genau nach Anweisung bauen - nach Anweisungen, die ich Ihnen geben werde. Es soll ein schnelles, aber auch außerordentlich strapazierfähiges Automobil sein. Es wird auf Probleme stoßen, wie noch kein anderes Fahrzeug zuvor - und es wird sie alle überwinden!«

Leslie beobachtete den Generaldirektor und den Vizepräsidenten, während er sprach. Er stellte mit Befriedigung fest, dass beide von seiner Begeisterung und Zuversicht angesteckt schienen.

»Natürlich werden auch andere Gesellschaften ihre speziell konstruierten Automobile in diesem Rennen erproben«, fuhr er fort, »aber Ihres wird besser sein, und ich werde es zum Sieg lenken. Die amerikanische Fahne wird an seinem Kühler flattern...«

»Nein!«

Dieser ärgerliche Zwischenruf kam von einem bärtigen Mann am Ende des langen Tisches. Alle Gesichter wandten sich ihm zu.

Der Generaldirektor starrte ihn an und wurde ein wenig unruhig, als er den Sprecher nicht erkannte. »Ich - verstehe nicht...«

Der verärgerte Mann sprang auf. »Ich sagte nein! Und ich sage nochmals nein! Es wäre unverständlich, unverantwortlich und erniedrigend, die Zukunft einer angesehenen Firma, unserer Firma, an einen Mann wie Mr. Leslie auszuliefern!«

Leslie hatte den wütenden Mann nachdenklich betrachtet, während er gestikulierte. Jetzt ging er um den Tisch herum.

Der bärtige Mann deutete mit mahnend erhobenem Finger auf Leslie, der sich ihm näherte. »Er ist nichts anderes als ein billiger Jahrmarktschwätzer! Ein Schwindler!«

Leslie griff nach dem dichten Bart und zog kräftig daran.

Der wütende Mann schrie gellend auf. »Hilfe! Er ist verrückt! Lassen Sie meinen Bart los!«  

Leslie zupfte trotz der Proteste noch einmal. Die Mitglieder des Firmenrates hielten den Atem an. Sie waren schockiert und verstanden Leslies Verhalten nicht.

Leslie war ebenfalls schockiert, nämlich durch die Tatsache, dass der Bart nicht in seiner Hand zurückblieb, wie er es erwartet hatte. Er ließ ihn los und trat einen Schritt zurück. »Ich bitte um Verzeihung, Sir. Ich dachte, Sie seien...«

»Sie sind verrückt!«, brüllte der Mann. Er wandte sich an die anderen am Konferenztisch. »Haben Sie es gesehen? Er wollte meinen Bart an den Wurzeln ausreißen!« Um seine Worte zu bekräftigen, griff er nach dem Bart. »Er hat mich tätlich angegriffen!«

Er zeigte wie und riss an seinem Bart. Das Haargebilde löste sich vom Kinn und darunter kam ein bekanntes Gesicht hervor: Professor Fate.

Im Augenblick freilich war Fate zu beschäftigt, Leslie auszustechen, um den kleinen Regiefehler zu bemerken. »Ich habe Sie gewarnt!«, schrie er und fuchtelte mit dem falschen Bart. »Ich habe es schon einmal gesagt, er ist ein...«

Plötzlich sah er den Bart in seiner Faust.

Seine Reaktion kam prompt. Er ließ den Bart fallen, rannte zum Fenster und hüpfte auf das Sims. »Leslie wird verlieren! Ihr Automobil wird verlieren! Ich werde das große Rennen gewinnen!«

Mit diesen Worten schwang er sich hinaus. Das Fenster befand sich im dritten Stock, und die Männer drängten sich gleichermaßen überrascht wie erschrocken heran. Ein Stockwerk tiefer hing Fate an einem Fahnenmast und klammerte sich mit Armen und Beinen daran fest.

Er grinste zu ihnen hinauf und schüttelte seine Faust. »Ich werde das beste Automobil der Welt bauen - und ich werde damit gewinnen!«

Unter ihm knatterte ein Motor; Max fuhr in einem großen Peerless-Automobil vor. Auf dem Rücksitz war ein Fangnetz angebracht. Max steuerte den Wagen genau unter Fate und rief nach oben: »Alles klar, Professor!«

Fate löste die Beine vom Fahnenmast und hing nur noch an seinen Armen. »Leslie wird diesmal nicht gewinnen, sondern ich, Professor Fate!«

Mit dieser Prophezeiung löste er den Griff und ließ sich fallen. Er landete genau in der Mitte des Netzes und federte wie ein Trampolinspringer in die Luft.

Max fühlte den Aufprall und gab Gas, während Fate noch immer durch die Luft segelte. Statt im Wagen, verschwand der Professor durch die dunkle Öffnung eines Kanalisationsschachtes.

 

Die Nachricht über das große Rennen lief um den ganzen Erdball. Alle Zeitungen beschäftigten sich mit dem Plan. Einige davon vertraten die Ansicht, dass es unmöglich sei, die breiten Wüsten im Westen Amerikas zu durchqueren, und selbst wenn es einigen Fahrern gelänge, müssten sie im eisigen Alaska oder in Sibirien erfrieren. Andere Zeitungen wiederum bezeichneten das Rennen ohne Einschränkungen als das größte in der Geschichte der Menschheit. Ob zustimmend oder ablehnend, mehr und mehr wurde über das bevorstehende Ereignis berichtet, und eine Anzahl von Autofirmen und Privatleuten meldeten ihre Teilnahme.

Während dieser Zeit arbeitete die Weber Carriage Company fieberhaft an dem Automobil, zu dem Leslie seine Anweisungen gegeben hatte. Vieles musste bedacht werden: Das Fahrzeug musste gegen extreme Klimaschwankungen ebenso gewappnet sein wie gegen Pannen: platte Reifen, gebrochene Federung, Kabelkurzschlüsse bei Regen, gerissene Keilriemen und vieles andere mehr. Es musste eine komplette Werkzeug- und Ersatzteilausrüstung geben für den Fall, dass kein Schmied zu erreichen war. Und es musste Platz für Vorräte an Nahrungsmitteln und Getränken geschaffen werden, denn große Teile der Route führten durch unbewohnte Gebiete.

Durch Anforderungen dieser Art gingen die Arbeiten an Leslies Wagen nur langsam voran. Aber endlich, zwei Wochen vor dem Start des Rennens war der Wagen fertig. Leslie erschien in der Fabrik, um das Resultat in Augenschein zu nehmen.

Von den restlichen Mitgliedern des Firmenrates gefolgt, begleitete der Generaldirektor den großen Leslie zu einem verhüllten Objekt vor der Fabrikmauer, das von zwei Männern bewacht wurde. Die Gruppe hielt an, und der Generaldirektor begann eine kleine Ansprache: »Mr. Leslie - nicht ohne Stolz präsentiert die Weber Carriage Company ihre neueste und bedeutendste Errungenschaft: das Automobil der Zukunft!«

Die beiden Wächter schlugen die Plane zurück, und darunter zeigte sich ein glänzender, kraftvoll wirkender, niedriger Viersitzer. Es war ein schöner Wagen. Messing spiegelte den weißen Lack im Sonnenlicht wider. Die Mitglieder des Firmenrates zeigten sich beeindruckt.

»Wir erlaubten uns die Freiheit«, fuhr der Generaldirektor fort, »dieses Automobil Leslie Spezial zu nennen, nach dem Mann also, dem es seinen Ursprung verdankt.«

»Es ist mir eine große Ehre«, erwiderte Leslie und trat nach vom, um das Wunder genauer zu betrachten, das seinen Namen trug. Es war eine perfekte Leistung. Impulsiv öffnete er die Tür und setzte sich hinter das Steuer.

In diesem Augenblick donnerte ein schwerer Zementblock herunter und landete auf der Stelle, wo Leslie noch vor Sekunden gestanden hatte.