Zwischenzeiten

Endnoten

Das New Yorker Museum of Modern Art zeigte Ende 2014 in einer Ausstellung Nicholas Nixons Fotografien der Brown-Schwestern. Forty Years of The Brown Sisters erregte internationale Aufmerksamkeit, und das Magazin der New York Times verschaffte seinen Lesern online Zugang zu der vollständigen Fotoserie. Den immer noch gültigen Link dazu finden Sie hier: http://www.nytimes.com/interactive/2014/10/03/magazine/01-brown-sisters-forty-years.html

Ob es die Andropause (oder das Klimakterium virile) tatsächlich gibt, ist keine Frage der Biologie, denn aus Sicht der Hormone findet eine männliche Menopause nicht statt: kein Ende der Fruchtbarkeit, kein hormoneller Stillstand. Trotzdem ist das Thema natürlich verlegerisch interessant: ein Phänomen, das sich wunderbar zu einem Ratgeber aufblasen lässt. Als da wären: The Andropause Mystery: Unravelling Truth About the Male Menopause von Robert S. Tan M. D. (AMRED Publishing, 2009) zum Beispiel oder Male Menopause von Jed Diamond (Sourcebooks, 1997) mit einem »Vorwort von John Gray PhD«, um zwei Titel vom englischsprachigen Buchmarkt zu nennen. Man beachte die Heraushebung akademischer Titel auf dem Schutzumschlag, eine Praxis, die bei mir grundsätzlich den Verdacht erregt, dass alles zwischen den Buchdeckeln eher kontrovers sein könnte – das absolute Gegenteil dessen, was die angeberischen Qualitäten auf dem Cover vermitteln sollen.

Das Alter (Neuausgabe, übersetzt von Anjuta Aigner-Dünnwald, RoRoRo, Reinbek, 2000) von Simone de Beauvoir erschien erstmals 1970 bei Gallimard, Paris, unter dem Titel La Vieillesse. Simone de Beauvoir war damals 62. »Für die Gesellschaft ist das Alter eine Art Geheimnis, dessen man sich schämt und über das zu sprechen sich nicht schickt. (…) das ist der Grund, weshalb ich dieses Buch schreibe: um die Verschwörung des Schweigens zu brechen«, schrieb de Beauvoir in der Einführung. Der Essay ist umfassend angelegt und unglaublich faszinierend. De Beauvoir beleuchtet das Thema Alter unter den Lupen der Geschichte, der Anthropologie, der Philosophie, der Literatur und der Wissenschaft und sprenkelt ihre Texte mit reichlich Anekdoten und literarischen Zitaten. Besonders fesselnd fand ich das erste Kapitel, in dem de Beauvoir über fast drei Seiten alles aufzählt, was sich beim Alterungsprozess im Körper abspielt, wobei sie sich von der zellularen Ebene nach außen bewegt. Die Psychologin und feministische Aktivistin Lynne Segal – die erwähnten Titel wurden nicht ins Deutsche übersetzt – hat sich umfassend mit Simone de Beauvoirs Arbeiten über das Alter auseinandergesetzt, unter anderem in The Coming of Age. Ihr Buch Out of Time: The Pleasures and Perils of Ageing (zuletzt veröffentlicht bei Verso, New York, 2013) setzt sich mit der feministischen Neudefinition kultureller Haltungen in Bezug auf das Altern in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auseinander.

Christiane Northrup, Weisheit der Wechseljahre (ZS Verlag, München, 2016, ergänzende Übersetzung und Überarbeitung: Christina Knüllig). Northrup fungiert inzwischen als One-Woman-Inspirations-Maschine: Nach dem Folgetitel Lustvoll durch die Wechseljahre (Arkana, München, 2009, Übersetzung: Mohani A. Marin Cardenas) zielt ihr jüngstes Werk auf all jene »Seniorinnen« ab, die sich nicht damit zufriedengeben wollen, im Alter heiter und gelassen zu sein. Göttinnen altern nicht: Wie wir der Zeit die Macht nehmen, indem wir uns für die Fülle des Lebens entscheiden (Arkana, München, 2015, Übersetzung: Christina Knüllig).

Jaki Scarcello Fifty & Fabulous!: The Best Years of a Woman’s Life (Watkins Publishing, London, 2010). Dieser Titel ist nicht auf Deutsch erschienen. Bei der Arbeit zur Theorie der Gerotranszendenz, aus der die Autorin wiederholt zitiert und die ihrem Buch hinsichtlich Glaubwürdigkeit und Ansehen bei Weitem überlegen ist, handelt es sich um Gerotranscendence: A Developmental Theory of Positive Aging (Springer Publishing Company, New York, 2005) des schwedischen Soziologen Lars Tronstam. Auch dieser Titel ist nicht auf Deutsch erschienen.

Ich mache mir unter den feministischen Autorinnen, die ich hier zitiere, bestimmt keine Freundinnen, wenn ich ihre Bücher als Titel bezeichne, mit denen ich meine Schwierigkeiten hatte, zumal auch diese Titel mich definitiv dazu anspornten, zu den Themen Lebensmitte und Klimakterium eine eigene Haltung zu entwickeln. Trotzdem, auf ihre eigene Weise sind sowohl in The Year I Turn …: A Quirky A-Z on Ageing von Angela Neustatter (Gibson Square Books, London, 2013) als auch in Anne Karpfs Titel How to Age (The School of Life Series, Macmillan, London, 2014), beide nicht auf Deutsch erschienen, Züge von positivem Denken und Selbstoptimierung zu finden.

Our Bodies, Ourselves des Boston Women’s Health Book Collective wurde 1970 bei New England Free Press, Boston, veröffentlicht. Die deutsche Ausgabe Unser Körper, unser Leben: Über das Älterwerden – Ein Handbuch von Frauen für Frauen erschien, im Kollektiv übersetzt, 1980 bei Rowohlt, Reinbek. Ich gehöre selbst jener Frauengeneration an, die aus diesem Handbuch viel über die Anatomie ihrer Genitalien und die vielfältigen Infektionskrankheiten erfuhren, die für sexuell aktive Frauen zur Gefahr werden konnten. Ganz egal, wie gut informiert ich hinsichtlich der gesundheitlichen Aspekte war, hielt das den Arzt, der mich mit 23 im Krankenhaus wegen meiner Beckenentzündung behandelte, nicht davon ab, mir zu sagen, ich sollte »meine Würde bewahren« als ich ihn bat, mich zu untersuchen.

Ich habe frei zitiert aus dem im Journal of the American Geriatrics Society, Ausgabe 11, April 1963, S. 347362, erschienenen Artikel »The Fate of the Nontreated Postmenopausal Woman: A Plea for the Maintenance of Adequate Estrogen from Puberty to the Grave« von Robert A. Wilson und Thelma A. Wilson.

Robert A. Wilson, Die vollkommene Frau (Kindler, München, 1966, Deutsch von Dr. E. H. G. Lutz). Bei meinen Recherchen zur Hormonersatztherapie zog ich diverse Titel zu Rate; der in meinen Augen beste davon ist The Pursuit of Perfection: The Promise and Perils of Medical Enhancement (Pantheon Books, New York, 2003) von Sheila M. Rothman und David J. Rothman – in diesem Buch wird auch der Dissens zwischen Edmund Novak und Wilson detailliert beschrieben. Auch Hot and Bothered: Women, Medicine and Menopause in Modern America (Havard University Press, Cambridge, 2006) von Judith A. Houck ist gleichermaßen informativ wie unterhaltsam. Eine weitere Quelle: The Estrogen Elixir: A History of Hormone Replacement Therapy in America (Johns Hopkins University Press, Baltimore, 2007) von Elizabeth Siegel Watkins. Keiner der genannten Titel ist auf Deutsch erschienen.

Betty Friedan: Der Weiblichkeitswahn, Deutsch von Margaret Carroux, heute bei Rowohlt Repertoire, Reinbek, 2016.

Amanda Melpolder, Amy Widman und Joanne Doroshow, The Bitterest Pill: How Drug Companies Fail to Protect Women and How Lawsuits Save Their Lives, vom Center for Justice & Democracy 2008 veröffentlichtes Gutachten.

Ronald Wilsons Offenlegungen finden sich in Rebecca Goldsmiths Artikel »Advocate’s Son Feared Dangers of Hormones« im Star Ledger, New Jersey, vom 13. Juli 2002.

Patricia Cohen zitiert in In Our Prime: The Invention of Middle Age (Scribner, New York, 2012), nicht auf Deutsch erschienen, aus dieser Ehrung der reifen Frau in der Cosmopolitan. Cohens quirliges und kluges Buch versucht sich an einer Art Biografie einer Idee: der des mittleren Alters. In der Hauptsache die Sozialgeschichte des Themas von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, erweitert Cohen die Geschichte mit großen Schlenkern hinein in Wissenschaft und Psychologie. Ihr Hauptargument lautet, das mittlere Alter sei eine »dehnbare kulturelle Erfindung«, und sie zeigt in ihrem Buch auf, wie sich unsere Konzepte der Lebensmitte mit jeder nachfolgenden Generation gewandelt haben, während die ständige Veränderung von Gesellschaft, kulturellen Werten und medizinischem Wissen den Frauen zunehmend mehr Freiheit und den Menschen in der Lebensmitte allgemein immer mehr Macht verliehen hat. Der Aufschwung in diesem Titel – nie hat das mittlere Alter besser ausgesehen, nie war es in so guter gesundheitlicher Verfassung – spiegelt den Aufschwung der Babyboomer.

Das Zitat »Nichts ist unmöglich für eine alleinstehende Frau im gesetzten Alter mit eigenem Einkommen« findet sich in Sylvia T. Warner: Lolly Willowes oder der liebevolle Jägersmann (Luchterhand, Darmstadt, 1980, Deutsch von Ann Anders).

Für das in diesem Abschnitt behandelte Thema des erwachenden Sinns der Frau für gesellschaftliche Teilhabe habe ich außerdem bei Kay Heath nachgelesen, Aging by the Book: The Emergence of Midlife in Victorian Britain (State University of New York Press, New York, 2009), nicht auf Deutsch erschienen, und bei Kathleen Woodward, Ageing and Its Discontents: Freud and Other Fictions (Indiana University Press, Bloomington, 1991). Auch dieser Titel ist nicht auf Deutsch erschienen.

Frederick W. Taylor, R. Roesler, Die Grundsätze wissenschaftlicher Betriebsführung (Salzwasser Verlag Paderborn, 2011). Dort aus der »Einleitung« zitiert. Hintergründe zu Frederick Taylor liefert Robert Kanigel, The One Best Way: Frederick Winslow Taylor and the Enigma of Efficiency (Viking Press, New York, 1997), nicht auf Deutsch erschienen.

siehe Fußnote 13.

Edith Wharton, Twilight Sleep (Virago Modern Classics, London, 1996). Diese englische Ausgabe enthält eine kurze, aufschlussreiche Einführung von Penelope Farmer. Zu Deutsch: Dämmerschlaf, aus dem amerikanischen Englisch neu übersetzt von Andrea Ott, Manesse, Zürich, 2013. Diese Ausgabe wiederum enthält ein gleichermaßen aufschlussreiches Nachwort von Verena Lueken. Sämtliche Zitate sind dieser Ausgabe entnommen.

Cheryl Miller offeriert uns in »The Painless Peace of Twilight Sleep« (The New Atlantis, No. 18, Herbst 2007, S. 99106) eine Lesart des Romans aus der Perspektive von Geschichte und Wissenschaft und identifiziert dort die lebenden Vorbilder für einige von Whartons Figuren. So basiert der »Mahatma« mit seinen hüftumfangsschmälernden Ertüchtigungen und »mentaler Tiefenatmung« höchstwahrscheinlich auf dem bekannten Yoga-Meister und Gründer der Self-Realisation Fellowship Paramahansa Yogananda. Yogananda, indischstämmiger Sucher und später auch Seher, hielt in den Zwanzigerjahren in der New Yorker Carnegie Hall Vorträge zu Themen wie »Ewige Jugend: psycho-physiologische Zellverjüngung durch Nachladen der Körperbatterie.«. Pauline Manfords nächster Guru, Alvah Loft, Meister des »spirituellen Hausputzes« (dem Pauline sich verschreibt, um sich ihre Frustrationen entfernen zu lassen »wie Rachenmandeln«), hätte seinerseits wiederum sehr gut auch in Émile Coués Bestseller von 1922 gepasst, Die Selbstbemeisterung durch bewusste Autosuggestion (Neuübersetzung und Kommentar von Andreas Nieswandt, Schwabe Verlag, Basel). An diesen Ratgeber erinnert man sich heute hauptsächlich wegen seines ausgesprochen verderblichen Mantras »Es geht mir mit jedem Tag in jeder Hinsicht immer besser und besser«.

Mehr über die menschliche Fähigkeit zur Gesichtserkennung findet sich in dem Aufsatz »Understanding Face Recognition« von Vicki Bruce und Andy Young im British Journal of Psychology Vol. 77, No. 3 (August 1986), S. 305327, sowie in dem Artikel »Discriminant Analysis for Recognition of Human Face Images« von Kamran Etemad und Rama Chellappa im Journal of the Optical Society of America A, Vol. 14, No. 8 (1997), S. 17241733.

Claudia Hammond, Tick, tack: – Wie unser Zeitgefühl im Kopf entsteht (Klett-Cotta, Stuttgart, 2019, Deutsch von Dieter Fuchs). Eher populärwissenschaftlich als bahnbrechend – dafür statt fachspezifischer Details mit nennenswerten Pluspunkten in Sachen Anschaulichkeit. Eine gute Sessellektüre.

Basil Buntigs monumentales 700-Strophengedicht »Briggflatts« wurde 1965 zum ersten Mal veröffentlicht. Die zitierten Zeilen entstammen Teil eins. Basil Bunting, Briggflatts und andere Gedichte, englisch / deutsch, Übersetzung von Elmar Schenkel (Verlag Droschl, Graz).

Was macht einen »guten Tod« aus? Eine sehr gute kulturgeschichtliche Auseinandersetzung mit unserer Haltung zu Tod und Sterben im Westen ist Philippe Ariès’ bahnbrechende Studie Geschichte des Todes (dtv, München, 1978, aus dem Französischen von Hans-Horst Henschen und Una Pfau). Eine etwas philosophischere Auseinandersetzung mit der Geschichte der Kunst des Sterbens bietet beispielsweise Mary

Catharine O’Connors nur auf Englisch erschienene Dissertation The Art of Dying Well: The Development of The Ars Moriendi (AMS Press, Los Angeles, 1966).

C. G. Jung, »Die Lebenswende«, Vortrag, im Auszug veröffentlicht in: Neue Zürcher Zeitung (Zürich, 14./16. März 1930) unter dem Titel »Die seelischen Probleme der menschlichen Altersstufen«. Bearbeitet und erweitert unter dem jetzigen Titel in Seelenprobleme der Gegenwart (Psychologische Abhandlungen Band III) (Rascher, Zürich, 1931).

Aus: Gesammelte Werke, Band 8 Abschnitt 749795 (Patmos Verlag, Mannheim 1998). Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Jungs Gedanken über die Lebensmitte findet sich beispielsweise in Murray Stein: In Midlife: A Jungian Perspective, 1983 (Chiron Publications, Asheville, 2014), nicht auf Deutsch erschienen. Außerdem habe ich diverse von Jungs Artikeln über die »Psychologischen Typen«, dem sechsten Band der Gesammelten Werke, zu Rate gezogen. Die Übersetzerin ergreift die Gelegenheit und dankt an dieser Stelle Alexandra Maria Koch für deren Unterstützung.

C. G. Jung, Erinnerungen, Träume Gedanken. Aufgezeichnet und herausgegeben von Aniela Jaffé. (Walter Verlag, Olten). Die deutschen Zitate entstammen der Sonderausgabe von 1985, und zwar dem Prolog sowie dem Kapitel mit der Überschrift »Die Auseinandersetzung mit dem Unbewussten«. Über Jung wurde viel geschrieben, und ich möchte an dieser Stelle besonders zwei Werke herausheben, die ich nützlich fand: eine von Polly Young-Eisendrath und Terence Dawson herausgegebene nachdenkliche Einführung mit dem Titel The Cambridge Companion to Jung (Cambridge University Press, Cambridge, 2008), nicht auf Deutsch erschienen, sowie Andrew Samuels’ höchst lesenswerter Titel Jung and the Post-Jungians (Routledge & Kegan Paul, 1985), ebenfalls nicht ins Deutsche übersetzt.

Die klassische Definition des Begriffs der Liminalität wurde von dem Ethnologen Victor Turner geprägt und wird in diversen seiner Arbeiten beschrieben. Besonders erwähnt sei das Kapitel »Betwixt and Between: The Liminal Period in Rites de Passage«, aus Victor Turners The Forest of Symbols: Aspects of Ndembu Ritual (Cornell University Press, Ithaka, 1967), S. 93111. Dieser Titel wurde nicht ins Deutsche übersetzt. Hier beschreibt Turner den als Liminalität bezeichneten Schwellenzustand als »fruchtbare Dunkelheit«. Er sagt: »Liminalität ist der Bereich primitiver Hypothese, wo eine gewisse Freiheit herrscht, mit den Faktoren der Existenz zu jonglieren. Wie im Werk von Rabelais existiert eine wirre Vermischung und ein Nebeneinander der Kategorien Ereignis, Erfahrung und Wissen mit erzieherischer Absicht« (S. 106). Eine ausführlichere Auseinandersetzung bietet Victor Turners Das Ritual: Struktur und Anti-Struktur (Campus Verlag, Frankfurt am Main, 2005, aus dem Englischen von Sylvia M. Schomburg-Scherff) in den Kapiteln 3 und 5.

Die Psychoanalyse meint mit »spiegeln« eine Form der Übertragung. Eine Ausnahme ist Lacans Konzept des »Spiegelstadiums«, eine wesentliche Entwicklungsphase des Kindes zur Bildung der Selbstidentität. In der einschlägigen Literatur wird mit diesem Begriff Bezug auf die Entwicklung des frühkindlichen Selbstbewusstseins genommen. Wer mehr zu den Hintergründen der Theorie der Mutter-Tochter-Spiegelung erfahren möchte, die eher der Kategorie der Übertragung zuzuordnen ist, dem sei zum Einstieg The Mother / Daughter Plot: Narrative, Psychoanalysis, Feminism von Marianne Hirsch empfohlen (Indiana University Press, Bloomington, 1989). Auch dieser Titel ist nicht auf Deutsch erschienen.

Suzanne Braun Levine, The Woman’s Guide to Second Adulthood: Inventing the Rest of Our Lives (Bloomsbury, London, 2004), nicht auf Deutsch erschienen. Levine hat sich, ähnlich wie Christiane Northrup, zu einer One-Woman-Industrie entwickelt. Sie veröffentlicht Hochglanzselbsthilferatgeber und TED Talks am laufenden Band und predigt Selbstakzeptanz. Der Titel eines ihrer Bücher sagt alles: Fifty is the New Fifty (Viking, New York, 2009)

Die Zitate über die paulinische Atmosphäre in Wien und Joan Eriksons Erkenntnis sind in der Biografie Identity’s Architect: A Biography of Erik H. Erikson von Lawrence J. Friedman nachzulesen. (Free Association Books, London, 1999) Dieser Titel ist ebenfalls nicht auf Deutsch erschienen.

Erikson stellte sein Stufenmodell der Persönlichkeitsentwicklung erstmals in seinem Buch Kindheit und Gesellschaft vor (zuletzt verlegt bei Klett-Cotta, Stuttgart, 2005, Deutsch von Marianne von Eckardt-Jaffé). Vollständig ausformuliert wurde das Modell dann in Identität und Lebenszyklus: Drei Aufsätze (Suhrkamp, Frankfurt am Main, 1966; derzeit bei Suhrkamp, Berlin, 2003, Deutsch von Käte Hügel) und in Der vollständige Lebenszyklus (Suhrkamp Taschenbuch, Berlin, 1988, Deutsch von Waltraud Klüwer), ein Titel, an dem seine Frau als Co-Autorin beteiligt war. 1988, ein Jahr nachdem Joan mit 94 gestorben war, wurde eine erweiterte Ausgabe veröffentlicht: The Life Cycle Completed, Extended Version. Sie enthielt ein von Joan in ihren Neunzigern verfasstes zusätzliches Kapitel, das eine neunte Entwicklungsstufe, das Stadium des Greisenalters, zum Inhalt hatte. Der in dieser Phase zu bewältigende Konflikt entsteht zwischen den Polen »Ich-Integrität« und »Verzweiflung«. Die zu erlangende Tugend ist die »Weisheit«.

Der vollständige Titel von Francine Beenes’ Abhandlung (unter Mitwirkung von M. Turtle, Y. Khan und P. Farol) – die erste von mehreren, die sie zu diesem Thema veröffentlichte – lautet »Myelination of a Key Relay Zone in the Hippocampal Formation Occurs in the Human Brain during Childhood, Adolescence and Adulthood«, erschienen in Archives of General Psychiatry (Vol. 51, No. 6, Juni 1994), S. 477484.

»The Wonders of the Middle-Aged Brain«, in dem die neuesten neurowissenschaftlichen Erkenntnisse in diesem Bereich zusammengefasst sind, nimmt die gesamte Ausgabe von On the Brain in Beschlag, des vom Harvard Mahoney Neuroscience Institute herausgegebenen Newsletters (Vol. 19, No. 3, Herbst 2013). Wer sich genauer mit dem Thema auseinandersetzen möchte, dem sei folgender Artikel empfohlen: Schahram Akbarian und Farah Lubin, Epigenetics and Neuroplasticity: Evidence and Debate, Vol. 128 der Reihe Progress in Molecular Biology and Translational Science (Elsevier Science Publishing, 2014).

Hier können Sie einen Blick auf den Kopf von Balzac werfen: http://www.musee-rodin.fr/en/collections/ceramics/monumental-head-balzac. Was das Stendhal-Syndrom betrifft, findet sich alles in meinen Augen Wissenswerte darüber in Iain Bamforths unterhaltsamem Artikel »Stendahl’s Syndrome« in: The British Journal of General Practice, Vol. 60, No. 581 (Dezember 2010), S. 945946.

Meine Quelle für Everetts Theorien ist Peter Byrnes Artikel »The Many Worlds of Hugh Everett« in Scientific American, Vol. 297, No. 6 (Dezember 2007), S. 7279. Bezüglich der Vielen Welten im heiß diskutierten Kontext der angewandten Physik sei auf Philip Ball verwiesen: »Is The Many World Hypothesis Just a Fantasy?«, Aero Magazin, 17. Februar 2015.

Ein Artikel mit dem Titel »Killer Whales, Grandmas and What Men Want: Evolutionary Biologists Consider Menopause« in Science News, 19. August 2013, weckte meine Faszination für das Klimakterium bei Walen. Obwohl im Laufe der letzten Jahrzehnte eine ganze Reihe Artikel erschienen ist, die sich mit dem Klimakterium der Großen Schwertwale befasst haben, bleibt die Frage, in welchem Maße die Weibchen auch Symptome aufweisen, ungeklärt. Doch die Informationen, die Meeresbiologen über das Verhalten weiblicher Schwertwale sammeln konnten, haben geholfen, unser Verständnis der Evolutionsbiologie höherer Säugetiere zu verbessern. Viele der Artikel, die ich gelesen habe, sind auf Englisch online verfügbar. Beispielsweise Eric J. Ward, Elizabeth E. Holmes und Ken C. Balcomb, »Quantifying the Effects of Prey Abundance on Killer Whale Reproduction«, aus Journal of Applied Ecology, Vol. 46 (2009), S. 632640; oder Emma A. Foster und andere, »Adaptive Prolonged Postreproductive Life Span in Killer Whales«, aus Science, Vol. 337, No. 6100 (14. September 2012), ab S. 1313; des Weiteren Lauren J. N. Bernt und andere, »Ecological Knowledge, Leadership and the Evolution of Menopause in Killer Whales«, aus Current Biology, Vol. 26, No. 6 (März 2015), S. 746750. Absolut lesenswert ist außerdem das Buch The Cultural Lives of Whales and Dolphins von Hal Whitehead und Luke Rendell (University of Chicago Press, 2014). Auch dieser Titel ist nicht auf Deutsch erschienen.

Als K- und als R-Strategie werden zwei grundlegende Fortpflanzungsstrategien bezeichnet, die von dem amerikanischen Ökologen Robert MacArthur und dem Evolutionsbiologen E. O. Wilson formuliert wurden. Als K-Strategen bezeichnet man jene Arten, die sich mit ihrem Bestand an der Kapazitätsgrenze (K) der Umgebung orientieren, die sie besiedeln. Zu den R-Strategen gehören jene Arten, deren Bestand von ihrem biotischen Potenzial oder der maximalen Reproduktionsrate (R) bestimmt wird.

Erwähnter Aufsatz von George C. Williams über die »Großmutter-Hypothese« trägt den Titel »Pleiotropy, Natural Selection and the Evolution of Senescence« und erschien in Evolution, Vol. 11, No. 4 (1957), S. 398411.

Siehe K. Hawkes, J. F. O’Connell und N. G. Blurton Jones, »Hadza Women’s Time Allocation, Offspring Provisioning and the Evolution of Long Postmenopausal Lifespans«, aus Current Anthropology, Vol. 38, No. 4 (1997), S. 551577.

Zum ersten Mal erwähnte Margaret Mead den »postmenopausalen Elan« in einem Interview für das Life Magazine 1959. Siehe auch Nancy Lutkehaus, Margaret Mead: The Making of an American Icon (Princeton University Press, Princeton, 2008), S. 73 (nicht auf Deutsch erschienen).

Die Feministinnen und Autorinnen Germaine Greer und Gail Sheehy brachten das Klimakterium gemeinsam aufs Tapet und machten es zu einem Thema, über das Frauen sowohl sprechen als auch schreiben konnten. Für meine Begriffe ist Germaine Greers Ab 40: über Frauen, wie sie leben, was sie denken, wer sie sind (Econ Taschenbuchverlag, Düsseldorf, Wien, 1993, Deutsch von Ulrike Bischoff und Sabine Steinberg) bis heute die unverblümteste und mutigste Darstellung des Klimakteriums und ist gespickt mit jeder Menge literarischer Bezüge, persönlicher Einblicke und politischer Seitenhiebe. Gail Sheehys Ratgeber Wechseljahre – Na und? (Bechtermünz, Augsburg, 2001, Deutsch von Hanne Gebhard und Christine Gebhard-Kochs) wurde zum Bestseller. Temporeich und anekdotenhaft serviert sie uns ein buntes Sammelsurium weiblicher Erfahrungen in den Wechseljahren, ohne ihre Geschlechtsgenossinnen zu verraten.

Der Text, der mich durch das Zahlenwirrwarr in Bezug auf Studien zum Thema Langlebigkeit geführt hat, heißt Ewig jung? – Altersforschung und das Versprechen vom langen Leben (Econ, München, 2002, Deutsch von Sebastian Vogel). Die Autoren S. Jay Olshansky, Professor an der School of Public Health an der University of Chicago, und Bruce Carnes befassen sich intensiv mit der regelmäßig stattfindenden Fehlinterpretation von Statistiken und dem daraus resultierenden Missbrauch. Es gelingt ihnen außerdem, den falschen Argumenten, der Folklore und den pseudowissenschaftlichen Auseinandersetzungen rund um alles, das damit zu tun hat, wie und weshalb wir altern, die Nahrung zu entziehen. Was Michael Rose hingegen für mich so überzeugend macht, ist die Tatsache, dass er zu den Konvertiten zählt. Nachdem es ihm gelungen war, das Leben der Fruchtfliegen durch Selektion der besonders langlebigen Exemplare entscheidend zu verlängern, indem er von jeder Generation nur aus den Eiern Larven schlüpfen ließ, deren Mütter sie möglichst spät in ihrem Leben gelegt hatten, erkannte Rose irgendwann die Grenzen der Genomforschung. Nachzulesen beispielsweise hier: »Adaptation, Ageing and Genomic Information«, in Aeging, Vol. 1, No. 5 (May 2009) S. 444450.

Meine Bagdad-Reise hat Eingang in die in Buchform gebrachte Geschichte meiner Familie gefunden. In Last Days in Babylon: The Story of the Jews of Iraq (Bloomsbury, London, 2007) brachte ich das Leben meiner Großmutter quasi in Romanform und zeichnete zugleich das Porträt einer Gemeinschaft, die einst beispielhaft war für das Bekenntnis des Irak zu einem frühen (ich spreche von den Zwanziger- und Dreißigerjahren) Experiment in Sachen Multikulturalismus und die dann auf tragische Weise der Realpolitik der Mitte des 20. Jahrhunderts geopfert wurde.

Judith Thurman: Colette – Roman ihres Lebens (Berliner Taschenbuch Verlag, Berlin, 2003, Deutsch von Brigitte Flickinger) ist schlicht und ergreifend die beste Biografie von Colette, die auf Englisch verfasst wurde. Ich habe mich in diesem Kapitel schamlos daraus bedient. Leserinnen und Leser, die sich nicht durch 600 Seiten pralles Leben pflügen wollen, sei beispielsweise Angela Carters online verfügbarer, wundervoller Essay »Colette« empfohlen, erschienen in London Review of Books, Vol. 2, No. 19 (2. Oktober 1980), S. 1517.

Colette, La Naissance du Jour, 1928, auf Deutsch zunächst unter dem Titel Tagesanbruch erschienen (Zsolnay, Berlin, Wien, Leipzig, 1928), Deutsch von Erna Redtenbacher und Helene M. Reiff, später dann als Die Freuden des Lebens (Zsolnay, Wien, 1961). Die englische Ausgabe Break of Day (Capuchin Classics, 2012) enthält eine wunderbare Einführung der Journalistin Lisa Allardice, in der sie sich ausmalt, wie sehr Colette sich über die »Selbstverbesserungs«-Literatur unserer Zeit amüsieren würde.

Simone de Beauvoir, Das Alter (Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 1977, Deutsch von Anjuta Aigner-Dünnwald und Ruth Henry).

Thomas Mertons Gedicht »A Practical Program for Monks« findet sich in The Collected Poems of Thomas Merton (Sheldon Press, 1978). Hier ins Deutsche übertragen von Sabine Längsfeld.

Maurice Goudeket, Près de Colette, zu Deutsch: Colette (Paul Zsolnay Verlag, Wien 1957, Deutsch von Stefanie Neumann). Goudeket beschreibt in seinen Erinnerungen unter anderem das Leben in La Treille Muscate. Es findet sich dort eine hinreißende, vermutlich vom Autor ein wenig aufgebauschte Beschreibung, wie Colette sich den Blumen in einem fremden Garten näherte. Er schreibt: »Sie anzusehen genügte ihr nicht, sie mußte sie riechen und schmecken. Wenn sie einen fremden Garten betrat, sagte ich: ›Jetzt wirst du ihn wieder verschlingen.‹ Und tatsächlich bot sie, wenn sie sich hastig und gierig ans Werk machte, einen ungewöhnlichen Anblick. Dann gab es für sie keine dringendere Aufgabe, als den Garten kennenzulernen. Sie zog die Kelchblätter der Blumen auseinander, untersuchte sie, beroch sie lange; sie zerknitterte die Blätter, kaute sie, leckte giftige Beeren und tödliche Pilze und dachte intensiv über alles, was sie gerochen und gekostet hatte, nach. Auch die Insekten behandelte sie in gleicher Weise: sie wurden betastet, belauscht, befragt.« Am Ende solcher Erkundungen »glich sie einer Bacchantin nach dem Trankopfer (…). Nase und Stirn waren mit gelbem Blütenstaub befleckt, im zerzausten Haar hingen Grashalme, hier hatte sie eine Beule, dort einen Kratzer, der Puder war ihr vom Gesicht gefallen.«

Kirsty Milne, At Vanity Fair: From Bunyan to Thackeray (Cambridge University Press, Cambridge, 2015).

Es findet sich meines Erachtens keine bessere Kontemplation zur Poetik des Rituals und zu dessen Assoziation mit der kreisförmigen Qualität von Zeit als Mirceal Eliades klassische Studie aus dem Jahr 1955: Kosmos und Geschichte, Mythos der ewigen Wiederkehr (Verlag der Weltreligionen, Frankfurt am Main, Leipzig, 2007, Deutsch von Günter Spaltmann).

John Bunyan, The Pilgrim’s Progress, With a Life of John Bunyan by Robert Southey (John Murray, London, 1983). Der Abschnitt über Christian und Pilgrim auf dem Fluss befindet sich in dieser Ausgabe auf den Seiten 204206. Eine deutsche Ausgabe der Pilgerreise zur ewigen Seligkeit findet sich zum Beispiel in sprachlicher Neubearbeitung von Johannes Falk bei SCM R. Brockhaus, Witten. Die im Text verwendeten deutschen Zitate entstammen jedoch der Originalübersetzung aus dem 19. Jahrhundert.

Laurence Binyon, »The Burning of the Leaves«, aus The Burning of the Leaves and Other Poems, herausgegeben von Cicely Margaret Binyon (Macmillan & Co., 1944). Hier ins Deutsche übertragen von Sabine Längsfeld.

Eine hervorragende Einführung in die Arbeit und die Ideen von Maurice Merleau-Ponty findet sich in der IEP, der Internet Encyclopedia of Philosophy (http://embodiedknowledge.blogspot.co.uk/) und ist gut geeignet, um auch etwas über den Zusammenhang zwischen dem philosophischen Verständnis dieses Themas und eher wissenschaftlichen Ansätzen zu erfahren. Wer sich für Merleau-Pointys Studien zum Blindtippen interessiert, dem sei sein Hauptwerk empfohlen, Phänomenologie der Wahrnehmung (De Gruyter, Berlin, 1966, übersetzt und mit einem Vorwort versehen von Rudolf Boehm). Das relevante Kapitel lautet »Die Räumlichkeit des eigenen Leibes und die Motorik« und enthält außerdem faszinierende Einlassungen zu den Themen Zahlenblindheit, Phantomgliedmaßen, Orgelspiel und vielen anderen mehr. Die Vorstellung einer verkörperten Identität findet sich auch in der psychoanalytischen Literatur, erwähnt sei hier R. Lombardi, »Body, Affect, Thought: Reflections on the Work of Matte Blanco and Ferrari«, aus Psychoanalytic Quarterly, Vol. 78, No. 1 (2009), S. 123160.

Komarine Romdenh-Romluc, Merleau-Ponty und Phenomenology of Perception (Routledge Philosophy Guidebooks, 2011). Streng genommen, beschreibt der Begriff »absorbed coping«, zu Deutsch in etwa »verinnerlichte Bewältigungsstrategie«, den Quell unserer Gelassenheit, mit der wir in der Lage sind, uns in einer Welt mit einer Vielzahl von Handlungsmöglichkeiten zu bewegen, und die es überflüssig macht, sämtliche Handlungen zu durchdenken: beispielsweise das Verhalten auf einer Dinnerparty; das Lenkrad herumreißen, um niemanden zu überfahren; in die Küche laufen, um sich eine Tasse Tee zu kochen, während man mit den Gedanken woanders ist. Wie Romdenh-Romluc schreibt: »Der Erwerb einer motorischen Fähigkeit ist deshalb auch eine Frage der Kultivierung der Wahrnehmung entsprechender Gelegenheiten, sie einzuüben.« Je besser man die Fähigkeit beherrscht, desto mehr Gelegenheiten zur Anwendung wird man entdecken können. Das gilt sowohl für geistige als auch für motorische Fähigkeiten. Je vertrauter man mit einer Situation wird, desto mehr Werkzeuge stehen einem zur Verfügung, um adäquat darauf zu antworten. Für mich ist das die Quintessenz von Reife. Der Begriff »absorbed coping« wurde von Hubert Dreyfus geprägt. Merleau-Pointy selbst hat sich etwas poetischer ausgedrückt und sein außenweltresponsives Verhalten als »mit dem Möglichen rechnen« beschrieben.

Noch einmal zitiert aus Colette – Roman ihres Lebens von Judith Thurman (Berlin Verlag, Berlin, 2001, Deutsch von Brigitte Flickinger).

»Wenn mein Körper denkt«, im englischen Original zitiert aus einem Aufsatz von Sharyn R. Udall, Dance and American Art: A Long Embrace (University of Wisconsin Press, Madison, 2012), hier ins Deutsche übertragen von Sabine Längsfeld. Die deutsche Ausgabe ist schon länger vergriffen: Claudine findet zu sich selbst (Rowohlt, Reinbek, 1961, deutsch von Erika Danneberg).

 

 

 

(19642013)

 

 

 

was dir Freude macht, und noch gründlicher mit allem, was dir Schmerz bereitet.«

Colette in einem Ratschlag an die Schriftstellerin

Renee Harmon

Ich wohne an einem kleinen Platz im Nordosten Londons. Die Gebäude – gepflegte frühviktorianische Reihenhäuser mit schlichten Fassaden – sind nichts Besonderes; drei Stockwerke, Sprossenfenster, die Küche im Souterrain und nach hinten raus ein handtuchgroßer Garten. Sie wurden zwischen 1850 und 1851 hastig hochgezogen, als die Stadt von der Industrialisierung zu profitieren begann und langsam in die Breite ging. Die Eile hat ihre Spuren hinterlassen. Ohne Fundament gebaut, stehen die Häuser dicht an dicht wie Bücher in einem vollgestopften Regal, jedes verlässt sich auf die Stütze des Nachbarn, und gerade Wände sucht man vergeblich. Die Türrahmen sind schief, die Böden hängen durch. Das ist zwar nicht immer mit bloßem Auge zu erkennen, aber wenn man eine Murmel kullern lässt, kommt sie irgendwann in der Mitte des Raums zu liegen.

Ich gehöre zu den Frauen, die ihr Zuhause in gleichem Maße gestalten wie andersherum: Als würde das Haus, in dem ich wohne, umgekehrt auch mich bewohnen, als hätten seine Räume, seine Reize, seine Marotten spiegelbildliche Entsprechungen in meiner Seele. Ich finde es schön, dass mein Zuhause sich den Jahren widersetzt hat, sich trotz des windschiefen Äußeren immer noch aufrecht hält. Ich erlebe mich zurzeit, an der Schwelle zur Fünfzig, sehr ähnlich.

Es war Liebe auf den ersten Blick. An einem schwülheißen Spätnachmittag irgendwann im Frühsommer 2002 bogen mein Mann und ich – gerade aus den USA zurückgekehrt und ich im siebten Monat schwanger – auf Häusersuche um die nächste Ecke und standen plötzlich vor einer grünen, von oben bis unten wilden Wand. Üppige Bäume, ungepflegt und schwer von duftenden Blüten, ließen trunkene Gliedmaßen über die Straße baumeln, und ungebändigte Büsche reckten ihre stacheligen Ausläufer in sämtliche Richtungen. Ich konnte in meiner Vorstellung schon den Lavendel riechen, Kirschblüten, Schlehdorn und den bitteren Unterton der letzten Rosen der Saison. Die schiere Fülle an wild sprießendem Blattwerk war überwältigend.

Während wir wie hypnotisiert dastanden und nicht fassen konnten, dass sich ein solcher Dschungel tatsächlich seinen Weg durch Ziegel und Asphalt gebahnt haben sollte, wurde in meinem Gehirn jene Region aktiv, die auf Orte reagiert, und setzte ein wahres neuronales Feuerwerk frei.

Ein paar Wochen später stand eines der Häuser plötzlich zum Verkauf, und wir schlugen zu. Nach zähen

Mir ist dieser Flecken Wildnis mitten in London im Laufe der Jahre aus vielen Gründen ans Herz gewachsen, vor allem als Symbol und Ausdruck kreativer Selbstvergessenheit. Der Platz ist widerspenstig und unbezähmbar – kratzbürstige, freudvolle Qualitäten, die den Parkaufsehern der Stadtverwaltung mit ihren Laubbläsern, Heckenscheren und Rasenmähern immer wieder die Stirn bieten. Diese stachelige Widerstandskraft dringt mir durch alle Poren und inspiriert mich. Wenn ich mit einem Text zu kämpfen habe, spornt der Platz mich zu Wagnissen an und zeigt mir, dass ich nichts zu verlieren habe. Einer prinzipiellen Lebenskraft gleich bestätigt er mir, dass Schöpfen Gedeihen bedeutet und dass es eine Haltung der Großzügigkeit braucht, um Dinge in die Welt zu senden, seien es Blüten, Blätter, Kinder oder Bücher. In der Gegenwart des Platzes will auch ich wachsen.

Meiner Tochter ergeht es offensichtlich ähnlich. Vor einigen Jahren, im Winter, als alles unter einer dicken Schneedecke begraben lag, rannte sie ins Freie, um Schneeengel zu machen, und versammelte gleichgesinnte Freundinnen aus der Nachbarschaft zum fröhlichen Selfieschießen. Neulich hat sie einen Baum adoptiert. Sie verschwand im Geäst, saß mit einem Buch auf dem Schoß gegen den Stamm gelehnt und vertrieb sich in ihrem belaubten Schlupfwinkel die Stunden zwischen Schule und Abendessen.

Jedes Frühjahr erwacht der Platz zu neuem Leben. Kinder rennen kreischend und johlend zwischen knospenden

Kürzlich ist mir klar geworden, dass ich selbst bereits eine ganze Saison meines Lebens an diesem Ort verbracht habe. Als wir einzogen, war ich hochschwanger, und auch wenn ich damals schon nicht mehr jung war, war ich kraftvoll und vital, gestärkt von der Tatsache, dass in mir ein neues Leben wuchs. Es gibt irgendwo Nacktaufnahmen von mir im neunten Monat. Ich hatte meinen Mann gebeten, mich zu fotografieren, weil es mir nicht gelang, das Ausmaß der Transformation meines Körpers zu begreifen. Die Fotografien sollten forensisch sein, wie die Fotodokumentation, die einen Antrag auf Stadtentwicklung begleitet und aufgrund derer anonyme Bürokraten darüber entscheiden, welche Erweiterungen und Ausbauten strukturell sinnvoll sind und welche nicht. Beim Heraussuchen fällt mir wieder ein, dass es mir damals darum ging, meine maximale Expansion und meine hilflose Okkupation ungeschönt und sachlich zu dokumentieren. Da stehe ich, nackt vor den kahlen Badezimmerkacheln, erst frontal zur Kamera, dann im Profil. Ich überlasse meinem Bauch

Und so ist es auch: Ich bin Mutter eines Einzelkindes geblieben – eine Tochter, inzwischen fast schon ein Teenager. Heute, zwölfeinhalb Jahre später erkenne ich mich in der Frau auf den Fotos kaum wieder. Inzwischen bestehe ich nur noch aus scharfen Kanten, wulstigen Tränensäcken, knotigen Gelenken. Mein Teint ist fahl und meine Haare sind stumpf vom permanenten Färben. Ich bin quasi überreif, wie Sommerblumen kurz vor dem Verblühen, und es wäre gelogen zu behaupten, dass mir diese Veränderungen nichts ausmachen würden.